Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Brasilien – das Gewalt-Gesellschaftsmodell und die wichtige Rolle der Slums/Favelas. Hintergrundtexte. Warum Brasilien strategischer Partner der Merkel-Gabriel-Regierung ist, von der deutschen Regierung, von Joachim Gauck etc. sehr viel Lob erhält. Brasilien – Testlabor des Neoliberalismus. „Von Favela-Besuchen wird dringend abgeraten“ – AA und „Völkerverständigung“.

„Wer in diesem Wohngebiet klaut, raubt, wird exekutiert.“ Großes Warnschild in Viertel der Millionenstadt Fortaleza, aufgestellt vom lokalen Banditenkommando. Auf Website-Anfrage sagen Bewohner, man müsse bei den „Männern“ nur das Delikt anzeigen, dann kümmerten sich diese um Tätersuche und sofortige Exekution. „So ist es doch eigentlich in ganz Brasilien.“ 

“Schönheit und Fäulnis”. Neue Zürcher Zeitung/NZZ – Klaus Hart:https://www.nzz.ch/schoenheit_und_faeulnis-1.700750

-“Bewaffnete Kinder waren zu Monatsanfang bei einer Banditenaktion im Slum Cavaleiro da Esperanca dabei, als fünfzig Bewohner, vor allem Frauen, zwecks Erniedrigung und Einschüchterung gezwungen wurden, völlig nackt durch den Slum zu marschieren.”

„Von Favela-Besuchen wird dringend abgeraten“:http://www.hart-brasilientexte.de/2012/09/11/brasilien-unter-dilma-rousseff-von-favela-besuchen-wird-dringen-abgeraten-deutsches-auswartiges-amt-wie-es-um-die-basis-menschenrechte-der-slumbewohner-in-lateinamerikas-groster-demokratie-steh/

 

USA-Hinterhof Brasilien – Testlabor des Neoliberalismus, Exporteur seines Gewalt-Gesellschaftsmodells bis nach West-und Mitteleuropa(“Brasilianisierung”).Das Kalkül der brasilianischen Machteliten ging wie stets auf:http://www.hart-brasilientexte.de/2018/10/05/aus-brasilien-nichts-neues-machteliten-schicken-fuer-praesidentschaftswahlen-des-7-oktober-2018-mit-lula-ersatz-haddad-sowie-bolsonaro-zwei-der-oberschicht-sehr-genehme-zudem-bislang-politisch-mite/

„Wir lernen von anderen und besonders gerne von Brasilien.“ Bundesaußenminister Guido Westerwelle/FDP

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Hôtel de Ville.

Paris, November 2017:http://www.hart-brasilientexte.de/2017/11/16/paris-november-2017/

http://www.deutschlandfunk.de/verfolgt-bedroht-ermordet.886.de.html?dram:article_id=127774

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/27/zdf-adveniat-gottesdienst-in-favela-cachoeirinha-von-sao-paulo-2011-brasiliens-kontraste-fotoserie/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/26/zdf-uber-adveniat-gottesdienst-in-favela-von-sao-paulo/

-http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/22/luis-antonio-pereira-silva-leiter-der-slum-pastoral-in-der-erzdiozese-rio-de-janeiro-gesichter-brasiliens/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/03/protest-gegen-massaker-an-dreisig-menschen-bei-rio-de-janeiro-durch-todesschwadron-militarpolizisten-beteiligt-fotoserie/

Siehe auch: „‚Anatomie eines Slums“ – in „Unter dem Zuckerhut. Brasilianische Abgründe. Picus-Reportagen“, Picus-Verlag Wien. 

„Der Irak ist hier“:http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/24/der-irak-ist-hier-menschenrechtssamba-von-jorge-aragao-erneut-recht-aktuell-in-der-olympia-stadt-rio-de-janeiro/

https://www.youtube.com/watch?v=XkvjkxERac4

Waffen-Rap anklicken – sogar Disco-Hit der Fußball-WM in Südafrika:  http://www.youtube.com/watch?v=ZthNYozVwNM

 

Wie Barack Obama den Tropenstaat Brasilien bewertet: “Brasilien ist eine beispielhafte Demokratie. Dieses Land ist nicht länger das Land der Zukunft – die Menschen in Brasilien sollten wissen, daß die Zukunft gekommen ist, sie ist hier, jetzt”.

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/03/09/das-menschenrecht-auf-personliche-sicherheit-unter-lula-die-deutsche-botschaft-in-brasilia-informiert/

Kuba-Vergleich:http://www.hart-brasilientexte.de/2017/01/01/kubacuba-2016-erstmals-rekordmarke-von-4-millionen-auslaendischen-touristen-laut-regierungsangaben-deutsche-kuba-touristen-schaetzen-u-a-die-weit-hoehere-oeffentliche-sicherheit-als-in-merkel-de/

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Ausriß, Rio de Janeiro. Das Kleinkind, die schwangere Mutter, die Mordopfer. Wie sich Mentalitäten formen – die kriminelle Energie neoliberaler Machteliten heute. 

Brasilien – Statistiken, Daten:http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/

“Gemeinsame Werte”:  http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/30/brasilien-weiter-land-mit-weltweit-hochster-mord-zahl-stellen-landesmedien-zum-jahresende-heraus-regierungsprojekt-fur-mord-reduzierung-gestoppt-hies-es/

Politische Beziehungen

Die deutsch-brasilianischen Beziehungen sind politisch, wirtschaftlich, kulturell und gesellschaftlich breit verankert. Sie basieren auf gemeinsamen Werten und übereinstimmenden Auffassungen zur globalen Ordnung. Brasilien ist das einzige Land in Lateinamerika, mit dem Deutschland durch eine „strategische Partnerschaft“ verbunden ist. (Auswärtiges Amt, Berlin)

Deutscher Außenminister Guido Westerwelle, mehrere offizielle Brasilienbesuche: 

“Brasilien ist mit seiner Lebendigkeit, Kreativität und kulturellen Vielfalt ein ungemein inspirierender Partner, der gleichzeitig durch Exzellenz in Wirtschaft und Wissenschaft besticht.” 2013

Wem nützt die Banditendiktatur?

 http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/15/wem-nutzen-banditendiktatur-und-immer-mehr-no-go-areas/

“Die Favela ist ein Zukunftsmodell” – deutscher Architekt Ranier Hehl: http://www.hart-brasilientexte.de/2014/05/19/brasilien-die-favela-ist-ein-zukunftsmodell-so-unglaublich-es-scheint-ranier-hehl-deutscher-architekt-und-urbanist-professor-an-der-tu-berlin-in-der-brasilianischen-zeitung-o-globo/

Österreichs katholischer Priester Günther Zgubic – unter den besten Kennern Brasiliens. Textsammlung:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/12/27/oesterreichs-katholischer-priester-guenther-zgubic-unter-den-besten-kennern-brasiliens/

Fotoserie, Teil 2:http://www.hart-brasilientexte.de/2013/04/26/brasiliens-zeitungen-brasilianischer-fotojournalismus-teil-2-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/

Kriminalität und Verhaltensänderungen:http://www.hart-brasilientexte.de/2011/10/20/brasiliens-burgerfreiheiten-uber-8o-prozent-veranderten-wegen-zunehmender-gewalt-und-kriminalitat-die-lebensgewohnheiten-54-prozent-verlassen-nachts-nicht-mehr-das-haus-laut-neuer-studie/

Bundesaußenminister Guido Westerwelle:  

 “Brasilien ist das Kraftzentrum Südamerikas geworden und zu einer Gestaltungsmacht mit globalem Anspruch herangewachsen”.

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Ausriß. Merkel in Brasilia 2015. :http://www.hart-brasilientexte.de/2015/08/24/brasiliens-menschenrechtspriester-julio-lancelotti-verurteilt-schweigen-von-angela-merkel-und-ihrer-regierungsdelegation-zu-gravierenden-menschenrechtsverletzungen-im-tropenland-doppelmoral-abolu/

Ausgerechnet ein Vizepräsident der Sozialistischen Internationale(SI), der inzwischen verstorbene Linkspopulist und Ex-Gouverneur Leonel Brizola, gilt als politisch hauptverantwortlich dafür, daß die Verbrechersyndikate in Rio de Janeiro seit den 80ern soviel Macht und Einfluß erreichten, sich derart mit der Politik verquickten. Soziologen, Kolumnisten, selbst Bischöfe der katholischen Kirche betonen einhellig, daß er in zwei Amtszeiten dem organisierten Verbrechen faktisch freien Lauf ließ – im Tausch gegen politische Unterstützung. Schließlich sind die Slumbewohner auch ein wichtiges Wählerreservoir, müssen gewöhnlich für jene Kandidaten stimmen, die die Slumbosse vorgeben. Brizola, reicher Großgrundbesitzer, Chef der „Demokratischen Arbeitspartei“(PDT), rühmte sich immer seiner Freundschaft zu Willy Brandt – und erntete von der SPD, in deren Gazetten, viel Lob für seine Politik. Nur ganz, ganz wenige in der Partei griffen sich deshalb stets an den Kopf, konnten sich aber nicht durchsetzen. Ein Filialleiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung räumte zumindest ein, Brizolas PDT sei aus „pragmatischen Gründen“ in die Sozialistische Internationale aufgenommen worden:“Man war froh, daß überhaupt eine Partei aus Lateinamerika wie die PDT dazugehört – und schaute nicht so genau hin, was diese tut.“ Brizola hielt beste Beziehungen zum letzten Diktaturpräsidenten, dem Geheimdienst-General Joao Figueiredo, seine PDT ging immer wieder Wahlbündnisse mit der Partei des Militärregimes ein. Alles kein Problem für SI und SPD. Die Gangsterbosse tauften eines ihrer wichtigsten Produkte, jene kleinen Kokaintütchen, auf „Brizola“ – ihm zu Ehren. Des PDT-Chefs rechte Hand, der von Europas Intelligentsia bis heute vergötterte „Anthropologe“, Schriftsteller und Kongreßsenator Darcy Ribeiro, verstand sich gemäß hiesigen Medienberichten ebenfalls bestens mit dem organisierten Verbrechen. Historisch wurde ein Foto von 1986: Gouverneurskandidat Ribeiro auf einem Wahlkampfbankett mit schwerreichen Unterwelt-Bossen – Capitao Guimaraes, laut Zeugenaussagen einer der berüchtigtsten Folterknechte aus der Diktaturzeit sagt neben ihm ins Mikrophon:“Wir unterstützen den Kandidaten, der uns unterstützt.“(Hintergrundtext)

Brasilien: Ein Stadtguerrilheiro, Todesschwadronen und Pistoleiros – die alltägliche Kriminalität verschont auch die Reichsten nicht. Langtext(2001)

 Auf die Dachterrasse des Othon-Palace Hotels von Copacabana hinaufzufahren, ist in Rio mindestens so ein Muß wie der Zuckerhut und die Christusstatue.

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Finde ich jedenfalls. Wer mich aus Europa besucht, kommt nur  skeptisch bis widerwillig in die Bettenburg  mit, ist dann aber  sofort begeistert, genießt die spektakuläre Aussicht, dazu an der offenen Bar Caipirinhas, Cafezinhos. Von hier oben stimmen die Klischees und die Postkartensichten, erscheint das da unten tatsächlich als Traumstadt. Klarblauer Himmel, eine wundervolle Naturkulisse, auf der Avenida Atlantica Gewimmel; am kilometerlangen Strand, in den Meereswogen  verlustieren sich so viele auffällig schöne Menschen, sinnliche Frauen auf köstlichste Weise. Kein Wunder, daß die internationale Tourismusbranche ihre Kongresse, Schulungen von Reiseagenten gerne in diesem Hotel abhält. Als über dreihundert europäische Fachleute tagen, gehe ich hin, höre mir Vorträge an. Rio de Janeiro habe zu Unrecht dieses Gewalt-Image, erläutert am Mikrophon ein deutscher  Fremdenverkehrsexperte, durch eine professionell gemachte PR-Kampagne, die natürlich nicht ganz billig sei, ließe sich das problemlos ändern, könne man mehr Rio-Reisen verkaufen. In der Kaffeepause komme ich im schicken Foyer mit Fachleuten ins Gespräch, stelle mich als Journalist vor, werde sofort attackiert. Ärgerlich, wieviele erfundene Horrorgeschichten aus purem Sensationalismus über Rio gedruckt würden, wirklich, miesester Journalismus. Die Zuckerhutstadt sei doch nicht gefährlicher als San Francisco, Florida oder Hamburg. Kein Problem, hochprivilegierte Deutsche, Schweizer, Österreicher zu treffen, die seit Jahren in Rio leben und dasselbe behaupten. ”In den Tagen hier habe ich weniger Angst als abends am Frankfurter Hauptbahnhof –  da ist es gefährlich”, redet eine Reiseagenturleiterin auf mich ein. Abends ist sie mit den anderen beim fürstlichen Bankett im Palast des Gouverneurs oder in Sambashows der famosen  heißen Mulattinnen, tagsüber  gibts die Vorträge oder werden in klimatisierten Bussen einige Rio-Highlights abgeklappert. Die Autoritäten lassen  stolz verbreiten, daß einhundertfünfzig auf Stadtkosten eingeladene USA-Journalisten  bisher bereits siebzig positive Rio-Reportagen veröffentlicht hätten. Medienprodukte sind zu häufig nur eine Ware, nichts weiter, immer mehr Menschen begreifen es. „Was haben Globalisierung und Kommunikationsgesellschaft denn eigentlich gebracht”, philosophiert mein Kollege von  der „Neuen Zürcher Zeitung”. „Brasilien ist im Grunde heute weiter weg von Europa als zuvor –  man weiß und übermittelt von dem Land immer weniger.”  Dabei ist gerade das Othon-Palace-Hotel ein guter Ausgangspunkt, um der Erscheinungsebene, Rios Oberfläche zu entfliehen. Ich sitze oben auf der Terrasse, schaue auf den Atlantik, denke an den Satz der Reiseagenturleiterin. Heilige Einfalt.  Wie wäre das in Wien, Frankfurt, Berlin oder München? Über die Hälfte der Einwohner wird bisher  mindestens einmal von Bewaffneten überfallen und beraubt, etwa  jede Stunde ein Mord, alle paar Tage ein Blutbad. Auf dem Graben, an der Hauptwache,  am Ku-Damm, beim Viktualienmarkt in eine Schießerei zu geraten, im Laufschritt flüchten, gar  sich hinwerfen zu müssen  – nichts Außergewöhnliches. Und –  über ein Drittel der Kinder und Jugendlichen Wiens oder Berlins sahen bereits unfreiwillig  zu, wie Leute umgebracht wurden, sahen Geköpfte, Zerstückelte, lebendig Verbrannte.

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Scheiterhaufen “microondas” in Rio de Janeiro – laut Lokalzeitung. http://www.hart-brasilientexte.de/2010/07/05/scheiterhaufen-in-sao-paulo-mindestens-15-menschen-in-der-megacity-seit-jahresbeginn-lebendig-verbrannt-laut-landesmedien-fogo-para-matar-rivais/

Wie Barack Obama den Tropenstaat Brasilien bewertet: “Brasilien ist eine beispielhafte Demokratie. Dieses Land ist nicht länger das Land der Zukunft – die Menschen in Brasilien sollten wissen, daß die Zukunft gekommen ist, sie ist hier, jetzt”.

Fotodokumentation: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/05/brasiliens-zeitungen-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/

 Geier, Schweine fressen Leichen auf.  In jeder fünften Familie mindestens ein Mordopfer. Deutsche, österreichische Politiker müssen Einweihungen  abbrechen, sich zu Boden werfen , weil sie mit ihrem Troß unter Feuer gerieten, Wahlkämpfer können sich in Problembezirken nur blicken lassen, wenn die dort herrschenden Verbrechersyndikate ihr Okay geben . Jedes Mehrfamilienhaus hat zur Sicherheit natürlich teils bewaffnete Pförtner , rund um die Uhr passen sie hinter  zwei bis vier Meter hohen Stahlgitterzäunen auf  wie die Schießhunde –  nur sie haben die Schlüssel für die Hauptpforte, entscheiden, ob jemand reindarf oder nicht.  Kinder spielen gelegentlich  mit abgehackten Köpfen Fußball, und regelmäßig werfen Kriminelle aus Hochhäusern Mißliebige, die unten auf Asphalt oder Beton zerschellen. Man ist häufig rein zufällig vor der Polizei am Tatort, selbst den Boulevardzeitungen sind solche Verbrechensfälle schon keine Zeile mehr wert. All dies gilt für Rio de Janeiro. Dennoch streiten drittweltbewegte, alternative Journalisten regelmäßig in Szeneblättern ab, daß der Alltag in Millionenstädten wie Rio oder Sao Paulo dermaßen von Gewalt geprägt ist, hübsch politisch korrekt möchte man es haben und sich auf keinen Fall von gewissen sozialromantischen Vorstellungen oder gar Urlaubserinnerungen trennen.  Ich trinke auf der Othon-Terrasse den Espresso aus, fahre mit dem Elevador hinunter, schließe mein Fahrrad am Hurencafe „Meia Pacata” vom Avenida-Lichtmast, trete in die Pedale. Es ist nachmittags gegen drei an der Copacabana, dem dichtestbesiedelten Viertel Rios, in der Rua Gastao Baiana sehe ich, wie jemand aus über einhundert Metern Höhe aufs Pflaster hinuntergeworfen wird.  Obendrüber klebt der Hangslum Pavao-Pavaozinho an Felsen, Hochburg eines Gangstersyndikats. Die Leute in den Appartementhäusern der Mittelschicht unten sagen mir, das komme öfters vor, manchmal werde die Person so weit hinausgeschleudert, daß sie in irgendeinem Balkon, zwischen den Pflanzen und Blumen aufpralle. Aber tot sei sie dann  immer.

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Ausriß.

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Mein Othon-Palace-Hotel steht dort gleich um die Ecke, wer gerade oben auf der Dachterrasse sitzt, oder auf einem dem Hangslum zugewandten Balkon, würde die fallenden Körper ebenfalls problemlos sehen. Aber mit der Wahrnehmung ist das so eine Sache, es heißt ja, man sieht nur, was man weiß. Keine Zeitung Rios widmet dem Verbrechen, dessen Zeuge ich bin, auch nur eine Zeile. Als Gangster ins Avenida-Reisebüro eines Europäers eindringen, ohne Vorwarnung mit Maschinenpistolen vier, fünf Angestellte erschießen, mit der Kasse und anderem Brauchbaren abhauen, schafft er es, daß kein Medium darüber berichtet, sicherlich eine Großtat für Rios Image.Ein deutscher Korrespondent will mich überzeugen, daß Rios Ilha do Gouvernador, die Gouverneursinsel mit dem Airport, sehr schön und vor allem sicher sei, am selben Tag stirbt dort ein Mädchen in der Warteschlange vor einem Hospital, getroffen von einer verirrten Kugel, Normalität in Rio; Balas Perdidas töten Babies in der Wiege, spielende Kinder, Strand-, Rockkonzert-und Zirkusbesucher, Bus-und Zugpassagiere, Leute im Schlaf, Häftlinge im Knast. Und wie  wäre das in Wien oder Berlin? Frühmorgens schließt die Betreuerin die Kindergartenpforte auf, sieht zu spät, daß auf dem Spielplatz ein von Kriminellen abgeschlagener Männerkopf liegt, die Kinder rennen sofort hin, die Betreuerin ist schockiert, was tun, die Kinder wegscheuchen, den Kopf schnell in eine Mülltonne werfen? Sie steht nur da wie gelähmt, brauchte danach im Grunde  wie die Kinder einen Psychologen. Der  eigentlich ungeheuerliche Vorgang regt in Rio  niemanden in den Sozialbehörden auf, keine Zeile davon in den Medien. Es gibt Schlimmeres, jeden Tag. Ich wohne im  ziemlich heruntergekommenen,  einst vielbesungenen Stadtteil Lapa der Bohemiens, Strich-Transvestiten und Schwulen, der Cabarets, Kirchen, Klöster  und Bordelle, in der schmalen Rua Taylor, Nachbarstraße des schweizerischen Konsulats, der Luxusresidenz des deutschen Generalkonsuls, Zentrum, Altstadt von Rio. Rufe ich bei irgendeinem Pizza-Service an, fragt man zuerst nach meiner Straße  und dann folgt die höfliche Entschuldigung, zu gefährlich für unsere Pizza-Boten, die würden in solchen Ecken Rios nicht nur beraubt, sondern sogar erschossen. Chico Buarque, Brasiliens bester Liedermacher, beklagt in seinem sehr politischen Samba „Huldigung an einen Gauner”, daß es in Lapa jene kleinen Strauchdiebe von früher, mit denen man klarkam, leider nicht mehr gibt. Der Musikus hat auch in Europa eine wachsende Fangemeinde,  wohnt in der Upperclass-Südzone Rios, hätte inzwischen drastischer texten können.  Innerhalb von nur zwölf Monaten werden an meinem Wohnblock im Umkreis von etwa dreihundert Metern  mindestens vierzehn Menschen erschossen, in einem geparkten Fiat liegt im Kofferraum eine zerhackte Leiche. Einen erwischts vorm Liebes-Motel „Ebony”, einen Bankräuber vor der kleinen Bradesco-Filiale.  Die Gründe, um jemanden ins Jenseits zu befördern, sind in Rio  immer häufiger ganz schrecklich banal. Ein sechzigjähriger Brotausträger hat, als er überfallen wird,  nur umgerechnet ein paar Groschen dabei; ärgerlich darüber, erschießen ihn die Straßenräuber. Hühnerdiebe knallen einen Vierzigjährigen  ab, weil er es wagte, die regelmäßigen Klauereien anzuzeigen. Die meisten der von Straftaten betroffenen Brasilianer gehen aus Angst vor Rache nie zur Polizei. Wortwechsel unter Biertrinkern an der offenen Straßenbar meinem Haus  gegenüber, schon fallen Schüsse. Ein  Mann, mit Spitznamen Bira, bricht von fünf Kugeln getroffen, direkt vor meiner Eingangspforte zusammen, sein Blut läuft die abschüssige Straße hinunter. Diesmal bringt eine Sex-und Crime-Tageszeitung davon  sogar  ein Großfoto. Ach ja, mein völlig unbeteiligter Nachbar Jarbas Barros kriegt einen bösen Beinschuß ab, die Täter flüchten im Wagen die Rua Taylor zum malerischen Bergstadtteil Santa Teresa hinauf, wo auch Ronald Biggs, der aus dem düsteren Wandsworth-Knast ausgebrochene berühmte Posträuber  sein hübsches Haus hat.  Als ich es wieder einmal unten knallen höre, ärgerte sich gerade jemand darüber, daß ein anderer am hellerlichten Tage einfach an den Strommast pinkelt. Diesen ärgert die Kritik, er zieht noch beim Pinkeln den Revolver, erschießt den Kritiker, geht seiner Wege, wird nie gefaßt. Logisch, die Polizei gibt ja selber zu, daß nur in etwa acht Prozent der Mordfälle der oder die Täter ermittelt werden – und das heißt noch nicht verhaftet, gar  vor Gericht gestellt, bestraft. Crime compensa, Verbrechen lohnt sich, sagt man in Rio. Ein Stück meine Straße hinauf trifft es den holländischen Touristen Jan Lendert an der Seite seiner Frau und seiner Tochter. Der Chirurg ist nicht bereit, einem Halbwüchsigen wie gefordert, die teure Kamera herauszurücken – und da erschießt der ihn, nur einhundertzwanzig Meter von der nächsten Polizeiwache entfernt,  eben sozusagen zur Strafe, geht ohne Kamera weg, keineswegs unüblich in Rio. Nur ein Stückchen weiter werden im Frühjahr 2000 zwei junge Künstler gefunden, in ihrem Haus an Stühle gefesselt, mit Kopfschüssen, alle Wertsachen geraubt. An die vierhundert  Schritte von meiner Wohnung entfernt ist das Kulturzentrum „Circo Voador” unter dem berühmten Aquädukt von Lapa, auch manchen Wienern, Berlinern wegen der  wundervollen, spritzigen Sambaschwoofs wohlbekannt. Der französische Tourist Marc Eglenne, 35, stoppt dort seinen Wagen, fragt einen Passanten nach dem Weg, gerät an den falschen: Der will ihm den Ring vom Zeigefinger ziehen, schafft es nicht, hackt deshalb mit einem einzigen Messerhieb den Finger ab, verschwindet mit Finger und Ring. Ich sehe an der Stelle zum erstenmal ein Killerkommando in Aktion, es knallt ein paarmal, jemand fällt auf den Asphalt, drei Männer mit Revolvern rennen weg. Die große Kaserne der Militärpolizei am Konservatorium ist nur zweihundert Meter entfernt. Gleich hinterm Kulturzentrum die Rua Mem de Sà hinauf ist das Gerichtsmedizinische Institut. Die Direktorin klagt, daß von zehn Leichen mindestens eine, meistens mehr,  von den Familienangehörigen nicht abgeholt wird, weil sie kein Geld für die Beerdigung haben. „Die nehmen sich den Totenschein, tauchen hier nie wieder auf, während ich auf den vielen Kadavern sitzenbleibe. Das zeigt auch, wie die wirtschaftliche Lage ist.” Dabei landet nur ein Bruchteil der Mordtoten in den Institutskühlschränken, der größere Rest  wird auf geheimen Friedhöfen verscharrt, verfault irgendwo. Beispielsweise ein paar Kilometer von meiner Wohnung entfernt, am Abhang neben der zur berühmten Christusstatue führenden Estrada das Paineiras von Santa Teresa. Einer aus meinem Haus wird dort erschossen, wie so viele andere hinunter ins Tropendickicht geworfen. An einer Stelle sieht die Polizei mal  nach, findet allein elf Skelette. Sage und schreibe fünfunddreißig Prozent der registrierten Mordopfer Rio de Janeiros, so Polizeioffizier Ivan Bastos, werden niemals identifiziert, enden daher in Massengräbern. Die  sumpfigen Inselchen in der Guanabarabucht  dienen den Banditenmilizen als Cemiterio clandestino – bei der Rückkehr von der hübschen Insel Paqueta in meine Altstadt  schippert mich das Touristenboot daran vorbei. Und jeder Müllfahrer Rios weiß es, in den Plastiksäcken, die er an der Slumperipherie in die bei vierzig Grad barbarisch stinkende Öffnung seines COMLURB-LKW hineinwirft, sind regelmäßig zerhackte Leichen, banalste, zynischste Art der Opferentsorgung. 

 zeitungsfotobando.jpg Titelseite – Sex & Crime in der Olympiastadt Rio de Janeiro.

In der Rua da Lapa steht ein leerer Bus, hält den Verkehr auf, Leute  an der Tür sehen sich drinnen, auf dem Bodenblech, die zwei gräßlich blutenden Leichen  an. Ein alter Mann aus meinem Haus ist im Bus, als die Schießerei losgeht:”Die beiden Schwarzen standen plötzlich auf, zogen Revolver, brüllten, daß das hier ein Überfall ist. Hinter mir hat einer sofort seine Knarre gezogen und auf die geballert, die wieder zurück. Der hinter mir hatte aber besseres Zielwasser getrunken, hat einfach klasse geschossen, ich hab mich unter die Bank verdrückt.” Bevor die Polizei kommt, ist der Schütze weg, wie immer, weiß angeblich  keiner, wie er aussah. An manchen Tagen gibts zwanzig, dreißig Busüberfälle.  Eines Nachts gehe ich mit meiner Frau die Rua Taylor zu unserem Wohnblock hoch, als vielleicht dreißig Meter entfernt Männer aus einem fahrenden Auto auf uns feuern,  klar, wir rennen wie die Besengten los. Und als  ich eines Abends  zu meinem Zeitungshändler in Botafogo radle, ist der grade überfallen worden. Paulo Cesar Pires, 29,  will fliehen, hechtet in ein Taxi, dort treffen ihn die tödlichen Schüsse, das ganze Taxi, die Polstersitze, alles voller Blut. Einmal muß ich eine Aufzeichnung mit einem deutschen Radiosender leider abrupt  unterbrechen, denn genau am Hang  unter meinem Balkon beginnt ein Schußwechsel, also werfe  ich mich sicherheitshalber neben dem Schreibtisch auf den Fußboden. Vielen Rio-Bewohnern passiert das. Einer ist so wütend, verzweifelt über die tagtäglichen Schießereien rivalisierender Banditengangs ganz nahe an seinem  wunderschön gelegenen Haus, daß er die Ballerei aufnimmt, teils live ins Internet stellt, ein paar Wochen lang kann man es anklicken.  Alle paar Tage werden in Rio schlafende Bettler angezündet, unten in der  famosen Rua da Lapa, wieder nur Schritte von meinem Haus entfernt,  übergießt vormittags eine gutgekleidete Frau einen Obdachlosen mit Brennspiritus, hält das Feuerzeug dran, verschwindet in der Menschenmenge, der Mann stirbt an seinen schweren Verbrennungen, auch in Sao Paulo kein Einzelfall. In derselben kurzen Straße wird jemand vor einer offenen Kneipe erschossen, Männer stehen mit Biergläsern in der Hand bei  vierzig Grad Hitze um den Toten herum, diskutieren den Fall. Am nächsten Morgen gehe ich zur Bäckerei, neben der einst Che Guevara eine Wohnung hatte, der Tote liegt immer noch da, die Polizei oder sonsteine Behörde haben es nicht geschafft, die blutige Leiche abzutransportieren. Aber das passiert ja auch mitten im Strandtrubel an der Copacabana, oder in Ipanema, richtig, da, wo das „Girl from Ipanema” komponiert wurde. Alle haben sich auf den Badenachmittag gefreut, liegen dicht an dicht, wie die Heringe. Da wird jemand erschossen, soll man deshalb seinen guten Strandplatz aufgeben? Man tut es nicht, über den Toten wird eine schwarze Müll-Plastikplane gedeckt  und fertig. Ich schreibe im Avenida-Café an der Ecke zur Rua Santa Clara, unweit des Othon-Palace-Hotels, an einem Text, als Schüsse fallen. Die tödlichen Kugeln treffen das Opfer  im Sitzen beim Bier, an einem dieser hübschen Strandkioske, die Leute drumherum werfen sich auf  Asphalt und Steinpflaster, die Täter sausen mit dem Motorrad davon, werden nie ermittelt. Für die Bewohner der Rua Santa Clara wird es wieder ein „Dia infernal”, weil sich rivalisierende Verbrechermilizen die Nacht durch Schießereien liefern. An der unglaublich belebten Kreuzung Rua Barata Ribeiro/Rua Siqueira Campos bricht der Schußwechsel  am frühen Nachmittag los, nicht nur ein Gangster, sondern auch  zwei achtzigjährige Frauen werden verwundet. „Mais um dia de faroeste”, wieder ein Tag wie im Wilden Westen, sagt jemand. An der Ecke  knallts keineswegs  das erste Mal, in Ipanema nebenan kampieren regelmäßig die Familien der Hangslums sogar tagelang unten bei den Gutbetuchten an den Boutiquen und den teuren Freßkneipen, solange oben die Gangster-Mpis rattern.  Immer wieder  trifft es Deutsche wie den beliebten Restaurantbesitzer Edmund Hertlein aus Bayern oder jenen Marathon-Leichtathleten, Italiener, Franzosen, Argentinier – dann sagen der Bürgermeister, der Gouverneur von Rio jedesmal  bedauernd, doch unübertroffen zynisch, Gewalt sei leider heutzutage ein weltweites Problem – soetwas könne einem Touristen eben auch in jeder anderen Großstadt der Erde passieren. Also auch in Wien oder  Berlin zum Beispiel, die dortige  Boulevardpresse erweckt diesen Eindruck.  Nur – eben kein Vergleich mit Lateinamerikas reichster Stadt Sao Paulo, oder Rio de Janeiro, da werde ich neunmal überfallen. 1999 ermittelt eine repräsentative Meinungsumfrage, was die rund 160 Millionen Brasilianer am meisten fürchten. Violencia, Gewalt, sagen achtundsechzig Prozent. Arbeitslosigkeit, immerhin um ein Mehrfaches höher als in Deutschland oder Österreich, und nicht durch finanzielle Hilfen abgefedert, kommt erst an zweiter Stelle, mit einundvierzig Prozent.  Eine Bekannte hat ihr Kleinkind im Auto auf dem Hintersitz – als sie an der Copacabana bei Rot halten muß, nähert sich eine Horde verwahrloster Kinder dem Wagen, sie wird beraubt, ihrem Kind wird die Kehle durchgeschnitten, es stirbt noch am Tatort, die Horde rennt weg. In Wien würde man Monate davon reden, in Rio steht kein Satz darüber  in der Zeitung.  Ein Bekannter muß erleben, wie Gangster sein Haus überfallen, seine Frau, seine Tochter vor seinen Augen extrem sadistisch und brutal vergewaltigen. Tage darauf trifft er die Täter  in seiner Straße wieder, sie lachen ihm frech ins Gesicht, sind zu allem Unglück auch noch Freunde des lokalen Distriktpolizisten. Psychisch hält er das immer neue Zusammentreffen mit den Gangstern, die Unmöglichkeit, sie hinter Gitter zu bringen, nicht lange aus. Er tut schließlich, was auch andere in seiner Situation fertigbringen. Berufskillern, Pistoleiros, in fast ganz Brasilien unschwer zu ordern, gibt er umgerechnet einhundert Mark –  dafür  liquidieren sie die Räuber und Vergewaltiger. Unangenehme, gar juristische Folgen für ihn – absolut keine. Meinen Lieblingskellner  Pedro aus Lapa treffe ich eines Tages in einer Szenekneipe für Intellektuelle, progressive Künstler, Studenten und Alternative des Betuchten-Viertels Leblon. Pedro ist an den Stadtrand nach Nova Iguacu gezogen, schwärmt von seinem Viertel:”Da herrscht Ordnung – das ist nicht wie in Lapa.  Wer was macht, klaut oder so, wird sofort umgelegt und in ein kleines Tal geschmissen. Jeder weiß das und hält sich dran – wir alle leben deshalb in Frieden.”

Willy Brandt und sein Diktatur-Amtskollege José Magalhaes Pinto:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/19/brasiliens-folter-diktatur1964-1985-mit-wem-bundesausenminister-willy-brandt-damals-bilaterale-vertrage-unterzeichnet-das-massaker-an-stahlarbeitern-unter-gouverneur-jose-magalhaes-pinto/

Reinaldo Guarany, während der Folterdiktatur der Generäle ein besonders couragierter Widerstandskämpfer, Stadtguerrilheiro Rio de Janeiros, will nach dem Übergang zur Scheindemokratie seine Ruhe haben, kauft oben im Bergstadtteil Santa Teresa ein schlichtes Häuschen. Wir sitzen auf der kleinen Terrasse, trinken einen Cafezinho – Guarany ist zunächst wortkarg, was seine Biographie betrifft, zeigt mir lieber  die Dutzenden eigener origineller  Aquarelle und Ölbilder, die er zunehmend erfolgreicher ausstellt, verkauft. Doch dann höre ich doch noch  Details. Dieser kleine, eher zierlich gebaute Mann, heute Romanschreiber, Ghostwriter für Politiker, Übersetzer, Fachbuchautor, Betriebswirt, Rechtsexperte und auch noch Kunstmaler, hantierte einst  perfekt mit Maschinenpistolen. 1970, mitten in der härtesten, schwärzesten Diktaturphase, richtet er eine in meiner Nachbarstraße auf die Bewachertruppe des deutschen Botschafters Ehrenfried von Holleben, setzt sie mit einigen Feuerstößen außer Gefecht, reißt den verdatterten Diplomaten aus der Luxuskarosse, packt ihn mit Hilfe eines Companheiro in eine nach Chlorophorm duftende Holzkiste. Die Entführung gelingt, von Holleben kommt erst frei, nachdem vierzig Diktaturgegner aus den Verließen geholt und nach Algerien ausgeflogen worden sind. Die Resistencia unterteilt damals in geheime Kader , die nur nachts oder im Kofferraum das Haus verlassen können – und in solche wie Reinaldo Guarany, einen Quadro legal, der sich offen bewegen kann, nach dem niemand fahndet. Er studiert an der Uni Psychologie, malt wunderschöne Bilder und arbeitet im Apothekennetz seiner Familie, ist umgänglich zu Kunden, beliebt, kommt herum  – wechselt indessen häufig ganz plötzlich die Haut, agiert als gefürchteter, besonders kühner Bankräuber, leert mit der Mpi im Anschlag Tresore, beschafft damit viel Geld für den Widerstand. Unter der Folter verrät ihn ein Companheiro – die Geheimpolizei beschattet daraufhin Guarany durch Scharen falscher Eis-und Puffreisverkäufer. An der Copacabana, nicht weit vom Othon-Palace-Hotel, wird er schließlich überwältigt, ein Kolbenschlag kostet ihn die meisten Zähne. Jeder Rio-Tourist kommt an den Kais der Kriegsmarine vorbei, damals ein berüchtigtes Folterzentrum.”Ich wog nur vierundvierzig Kilo. Sie gaben mir nachts Elektroschocks, hängten mich kopfunter auf, drückten meinen Kopf unter Wasser – ich wurde ohnmächtig. Jemand gab mir eine Amphetaminspritze, aber nicht mal die weckte mich auf… Erst nach der zweiten Spritze, sechs Uhr früh, war ich erneut vernehmungsfähig, wurde wieder geschlagen – doch weil ich so schwach, so mager war, hauten sie nicht so hart zu wie bei den anderen Companheiros.” Guarany hätte wie so viele andere die Torturen kaum überlebt. Doch 1971 entführen Kameraden wieder in meiner Nachbarstraße den Schweizer Botschafter Giovanni Enrico Bucher, Guarany und neunundsechzig andere kommen frei, werden nach Chile ausgeflogen. Der Stadtguerrilheiro kämpft auch im Exil weiter, fälscht Hunderte von Pässen.”Mein Zimmer in Mexiko hatte deshalb den Beinamen Konsulat.” Er reist von dort mit falschem Paß auch nach Deutschland ein, studiert später in Bochum Betriebswirtschaft. Guaranys erste Frau erhält bei einer Guerilla-Aktion einen Kopfschuß, wird in Deutschland vom selben Arzt wie Rudi Dutschke operiert. Seine zweite Frau nimmt sich in Westberlin das Leben – laut Guarany wird ihm und sieben anderen Brasilianern am Tag darauf das zuvor verweigerte politische Asyl gewährt. Deutsche, belgische oder nordamerikanische Maschinenpistolen, die Guarany seinerzeit vom chilenischen Exil aus für die Guerilla in Argentinien, Uruguay und Brasilien importierte, faßt der inzwischen über Fünfzigjährige nicht mehr an, sieht sie indessen alle Tage, nur Schritte von seinem Häuschen, auf sich gerichtet. Ich sehe erst mal garnichts, hätte die Gegend wie jeder uninformierte Tourist für die friedlichste Ecke Rios halten können. Guarany geht mit mir zum Terrassengeländer, erklärt mir die Geographie. Einen Steinwurf den Hang hinauf, beginnt das pompöse Anwesen einer der reichsten Familien Brasiliens, die ein Bataillon von Hausbediensteten beschäftigt. Zum Empfang für Mick Jagger, der dort, wie es heißt, seinen Scheidungsgrund Luciana Gimenez  Morad kennenlernt und später schwängert, rauschen auch publicity-hungrige Musica-Popular-Stars wie  Caetano Veloso und Gilberto Gil durchs protzige Portal. Dann weist Guarany nach unten, gleich an der Terrasse beginnen Slums, die Favelas. Rivalisierende  Banditenmilizen liefern sich regelmäßig Gefechte, dann sind seine Tochter, seine Frau und er Gefangene im eigenen Haus, wäre der Espresso auf der Terrasse womöglich tödlich. Guarany übertreibt nicht – meine Schweizer Freundin wohnt ein Stück die Straße hinauf, leidet ebenfalls unter dem Horror, übernachtet notfalls mit den Kindern tageweise fern von Santa Teresa. Aber jetzt ist alles herrlich ruhig, doch eben nur Erscheinungsebene. „Kommt mit, ich zeig Dir was”, sagt Guarany, zieht mich zum Wagen. Wir fahren seine enge, eigentlich tropisch-pittoreske Straße hinunter – an der ersten Biegung blinkt bereits eine verchromte Mpi. In fünfzehn unsäglich langen Minuten, bis ein verkeilter LKW vor uns endlich weiterkommt, brauchte der nur mit Shorts bekleidete Zwölfjährige nur einmal durchzuziehen, und wir im Auto wären hinüber. Guarany wird nicht ein bißchen mulmig:”Noch vor zwei Jahren habe ich hier viele Jungs Murmeln spielen sehen, die mir heute mit Mpis begegnen – sie wurden Soldados des organisierten Verbrechens, prahlen damit herum, rühmen die Banditenchefs als ihre Helden.” Die Zeiten haben sich geändert – seit 1985 nennt sich Brasilien eine Democracia, Entführungen von Geldleuten, nicht mehr Diplomaten und Politikern, wurden in Rio so häufig, daß sich kaum noch jemand darüber aufregt und die Medien längst nicht mehr alle Fälle registrieren. Selbst Deutsche sind darunter, einmal sogar eine Unternehmerin. Das Neueste sind Sequestros relampagos, Blitzentführungen, die maximal ein paar Stunden dauern. Gangster greifen sich ein Schulkind auf dem Weg nach Hause, wollen von der per Handy informierten Mutter nur umgerechnet fünfzig, sechzig Mark. Oder eine Mittelschichtlerin ist dran: Der Gangster springt irgendwo zu ihr ins Auto, zwingt sie, mit der Scheckkarte an verschiedenen Geldautomaten der Stadt möglichst viel Geld abzuheben, oder gar Schecks einzulösen. Auch deshalb, und wegen der häufigen Überfälle an Kreuzungen braucht man ab zehn Uhr nachts nicht mehr bei Rot zu halten – ganz offiziell erlaubt.  Zudem stieg in  Rio der  illegale Besitz von Waffen enorm – über 700 000 Mpi, Gewehre und Revolver, dazu ungezählte schwere MG, ausländische Bazookas und Handgranaten sind unrechtmäßig in Privathand. „Wären wir damals nur fünfzehn Minuten bewaffnet in Santa Teresa auf der Straße geblieben”, so Guarany mit bitterem Humor, „hätten die sicher sogar ein Kriegsschiff hierher in die Berge geschickt.” Heute existiere eine „Komplizenschaft des Staates” mit dem organisierten Verbrechen. 1999 wird eine kuriose offizielle Statistik veröffentlicht: Die privaten Sicherheitsfirmen Rios verfügen über  18740 registrierte Waffen, doch exakt 13101 gingen die letzten Jahre in Banditenhand über, wurden den Wächtern entweder bei Überfällen abgenommen oder über korrupte Mitarbeiter aus den Firmen entwendet. In ganz Deutschland werden jährlich um die eintausend Menschen ermordet, man kann sich auf die Polizeistatistik verlassen. Allein im Großraum von Rio de Janeiro sind es dagegen über elftausend – und die Statistik ist, wie jeder weiß, geschönt, die Dunkelziffer ist hoch. Zum Deutschlandurlaub fliege ich gerne mit der russischen Aeroflot, kann so ein  paar interessante Tage in Moskau einlegen, erzähle später den Kollegen eines  deutschen Info-Radios, wie bewußt ich dort die Sicherheit, die mir in Rio fehlende Bewegungsfreiheit genieße. Die Kollegen waren nie in Rio, schwärmen aber von der Copacabana, halten mich für verrückt, freiwillig in diesem kreuzgefährlichen Moskau auszusteigen. Meine Vergleiche beeindrucken nicht: In Washington werden in dem betreffenden  Jahr neunundsechzig von jeweils einhunderttausend Einwohnern ermordet, in Rio gemäß den arg geschönten Zahlen neunundsiebzig, in Moskau  dagegen nur achtzehn. Der Moskau-Korrespondent des größten brasilianischen Nachrichtenmagazins, „Veja”, siehts wie ich, die Schießereien zwischen Gangsterbanden, schreibt er, fordern beispielsweise im ganzen Jahr 1997 dreiundfünfzig Opfer. „Das sind genauso viele wie an einem einzigen „heißen” Wochenende in Sao Paulo”. Schon 1990 weist der renommierte Kriminalexperte José Vilhena nach, daß in den fünfzig Jahren davor über 268000 Cariocas ermordet wurden, rund 91000 zwischen 1980 und 1990, annähernd  doppelt soviele wie der Blutzoll nordamerikanischer Soldaten in Vietnam. In den Neunzigern stieg die Mordrate noch einmal kräftig an. Affonso Romano de Sant `Anna, Schriftsteller und Poet aus Rio, wird auch auf Deutsch verlegt, ist gelegentlich in Europa, stellt bei der Rückkehr die brasilianische „Tagesschau” an, beschreibt im Jornal do Brasil seine Empfindungen:”Ein Horror. Gewalt und noch mehr Gewalt. Wäre ich Ausländer und hätte nach der Ankunft im Hotel den Fernseher angeschaltet, würde ich sofort die Rechnung bezahlen und für immer das Land verlassen.” Der Schöngeist hat sicher ARD-Brennpunkte gesehen, womöglich welche über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien – um dann zuhause von den Medien vorgerechnet zu  bekommen, daß in der selben Zeit allein in der Baixada Fluminense, gewaltgeprägte Peripherieregion Rio de Janeiros, viel mehr Menschen getötet wurden. In anderen Konflikten wie dem Golfkrieg, die viele Europäer beunruhigten, in Spannung versetzten, winkte man am Zuckerhut nur ab, wies naive Ausländer auf die „Guerra urbana” von Rio oder Sao Paulo. Brasilien hätte alle paar Stunden Stoff für einen TV-Brennpunkt, wenn wieder mal Indios, Landlose oder Slumbewohner massakriert, ein Polizist, ein sechsjähriges Mädchen lebendig verbrannt werden, in Salvador da Bahia der soundsovielte Unschuldige von einer Menschenmasse gelyncht wird, womöglich vor laufenden Kameras. Die europäische World-Music-Szene liebt Bahia, verehrt die Trommlergruppe Olodum, ignoriert gewöhnlich, daß Salvador auch den Beinamen „Capital da Miseria e Barbarie” trägt. 1991 wird man unten, in den tonangebenden Metropolen Sao Paulo und Rio erstmals aufmerksam, als die Polizei in Brasiliens erster Hauptstadt  in nur vier Monaten dreiundfünfzig „Linchamentos” sogar offiziell registriert, weit mehr tatsächlich geschehen.  Bedrückend, aber auch bezeichnend, wie Brasiliens Eliten, die Liedermacher Chico Buarque heute kulturloser, ungebildeter als je zuvor nennt, jene Guerra urbana zu verdrängen suchen. Als die Ärztin Barbara Rolim, gebürtige Carioca, ihren Freunden der wohlhabenden Südzonenviertel mitteilt, ab sofort für „Ärzte ohne Grenzen” zu arbeiten, lobt man ihre Courage, ist neugierig, in welches Kriegs-oder Katastrophengebiet sie wohl gehen will, denkt an Afrika, den Balkan, Afghanistan. Und ist erstaunt, verblüfft, enttäuscht, als Barbara Rolim erläutert, hier, in Rio selber, doch fern der Nobel-und Touristenviertel, in den über achthundert Slums Gewaltopfer zu betreuen, mit weiteren sechsundzwanzig Ärzten und Sozialarbeitern aus Sophie Clayrfayts Team.  Im Slum Vigario Geral erschießen 1993 Militärpolizisten während eines Massakers einundzwanzig völlig unschuldige Bewohner, jenes Häuschen, in dem man eine ganze achtköpfige Familie auslöschte, wird zum „Casa da Paz”. Dort treffe ich den Schweizer Komponisten und Theatermann Walter Stephan Riedweg, der mit seinem brasilianischen Kollegen Mauricio Dias Slum-und Straßenkindern die Welt der Kunst, der New Public Art öffnet, dabei von Pro Helvetia, Caritas und Terre des Hommes unterstützt wird. Riedweg gerät mit den Kindern in Feuergefechte zwischen schwerbewaffneten Banditenmilizen und der Polizei, weiß nach einigen Monaten mehr über Rios komplexe Realität als viele Boys und Girls from Ipanema, mit den Sorbonne-und Harvard-Diplomen, gerät in die Rolle des Informationsträgers, hält für geradezu absurd, als Ausländer abgehobenen  Intellektuellen und Gutbetuchten erklären zu müssen, wie die Mehrheit der Armen, Verelendeten lebt. Zu denken, daß „die anderen” nicht zur Gesellschaft des unsichtbar geteilten Rio gehören, ist für ihn eine „kranke Sicht”.  „Das Leben in Brasilien ist leicht und unbeschwert “ probieren Sie es selbst”, locken ganzseitige Anzeigen deutsche und österreichische Touristen an Zuckerhut und Copacabana. Doch Bischof Mauro Morellis Diözese an der Peripherie ist auch Rio. Als direkt vor ihm auf der Straße ein Strich-Transvestit von einem Unbekannten mit zehn Pistolenschüssen liquidiert, ein weiterer schwer verwundet wird, geht der engagierte Kirchenmann erneut an die Öffentlichkeit:”Wir sind Gefangene der Gewalt in einem ungerechten, schlimmen Land. Ich bin es müde, an den Straßenrändern Leichen zu sehen, neben meiner Kirche Schüsse hallen zu hören.”  Rund dreitausend Kilometer die wunderschöne Atlantikküste mit ihren unzähligen paradiesischen Stränden  hinauf liegt der Nationalpark Lencois Maranhenses, des Landes einzige echte Wüste auf 1550 Quadratkilometern, spektakulär und einmalig auf dem Globus, lohnte allein schon eine Brasilienreise. Ich kann mich nicht sattsehen an den surrealistisch geformten  Wanderdünen, manche  bis zu dreißig Meter hoch. Alle aus feinstem weißen Sand, in ständiger Veränderung. Ein Vergnügen, dort barfuß zu gehen, stundenlang, den Sonnenuntergang zu erleben. Hin und wieder kleine bis mittlere flache, ganz wundervoll kristallklare Seen, in denen  Schildkröten schwimmen. Nach einer Weile habe ich den Bogen raus, fange einige mit der Hand. An einer einsamen Lehmhütte mit Palmstrohdach gibt mir  die dicke, freundliche Mammi zu verstehen, bitte nicht laut zu sprechen, macht Pssst, zeigt auf eine Hängematte im Innern. Dort schläft ihr Sohn, zu Tode erschöpft, gerade angekommen, mit sichtbaren Verwundungen, angetrocketem Blut. Hunderte Kilometer weiter, noch in diesem Teilstaate Maranhao annähernd von der Größe Deutschlands, war er Sklave auf einer Fazenda, konnte fliehen, die bewaffneten Aufseher verfolgten ihn vergeblich mit scharfen Hunden. 1888 war die Escravidao offiziell abgeschafft worden, ausgetilgt ist sie noch lange nicht. Als das offizielle Brasilien pompös den 500.Jahrestag seiner „Entdeckung” feiert, werden im Teilstaate Mato Grosso auf einer Farm wieder mal an die dreißig Sklavenarbeiter entdeckt.  Ort des Zugangs zum Nationalpark ist das kleine malerische Barreirinhas. Abends trotten Esel über die Wege, Einwohner stellen mir dort  einen bekannten Pistoleiro vor, ich muß ihm die Hand geben, bin noch recht  neu in Brasilien und deshalb sichtlich schockiert – die Leute lachen, keine Angst, Gringo, der killt nur in anderen Städten, nicht hier, in Barreiras ist er nur, um seine Familie zu besuchen. Wo er killt, schaue ich mir ein paar hundert Kilometer entfernt, in Imperatriz an. Die ländliche  Stadt am breiten Rio Tocantins, in deren Straßen rohes Fleisch auf Leinen zum Trocknen hängt wie Wäsche, hat in Brasilien auch den Beinamen „Hauptstadt der Pistoleiros”. Matadores do Aluguel, Mietkiller, findet man leicht. Als sie sogar noch am Busbahnhof in kleinen Gruppen standen, konnte man sich, wie eine Bewohnerin sagt, „den schönsten und verwegensten aussuchen”, um persönliche und politische Gegner, wirtschaftliche Konkurrenten oder auch heimliche Liebhaber des Ehepartners umbringen zu lassen – manche töteten bisher über einhundert, nach Preistabelle. Für einen Gewerkschafter wurden umgerechnet bis zu fünfhundert Mark verlangt, für einen sozial engagierten Pfarrer mehrere tausend, für einen Bischof, Richter oder Parlamentsabgeordneten bis zu dreißigtausend. Das Opfer muß nicht aus der Region sein, kann  in Rio, Sao Paulo oder irgendwo in Amazonien leben. Der angeheuerte Pistoleiro erhält ein Paßbild oder sonst ein Foto, die Hälfte des Kopfgeldes, macht sich notfalls sofort mit einem Fernbus auf den Weg, bekommt den Rest nach erledigtem Auftrag. Pistoleiros pflegen ihre „Pädagogik des Terrors” “ einer sammelte die abgeschnittenen Ohren von Erschossenen, achtzehn Kollegen vergewaltigten eine Dreizehnjährige und verbrannten sie danach lebendig. In Imperatriz wirkt Bischof Afonso Gregory, steht auf einer Todesliste, erhält Morddrohungen, wird zeitweise von Spezialpolizei geschützt, unweit der Wohnung wird sein Padre Josimo Tavares von einem Pistoleiro liquidiert. Gregory, Präsident von Caritas International, hat hier einen schweren Stand, ich bewundere seine innere Stärke, Schlichtheit, Ausstrahlung. Während der einundzwanzigjährigen Militärdiktatur, erklärt er mir, schanzten  die neofeudalen Agraroligarchien sich und ihren Günstlingen gesetzwidrig immense Territorien zu, ließen die dort lebenden Kleinbauern von Pistoleiros vertreiben. Hunderttausende flohen auch in die Slums von Imperatriz. Jetzt streitet Gregory an der Seite der auch von den österreichischen, deutschen Kirchen unterstützten Landlosenbewegung MST dafür, daß auch die Vertriebenen ungenutzten Großgrundbesitz erhalten. Deshalb hassen ihn die Latifundistas wie die Pest. Gregory zeigt auf den Platz vor seinem Haus “ dort werden Kundgebungen, Autokorsos gegen ihn veranstaltet, steht auf den Spruchbändern „Dom Gregory “ Engel des Bösen!” Sein Wirkungsfeld trägt Züge eines Politkrimis – bei seinen regelmäßigen Reisen zum Papst, nach Österreich und Deutschland spürt er, daß sich auch von den sogenannten Dritte-Welt-Experten und Uni-Soziologen kaum jemand vorstellen kann, wie der brasilianische Alltag wirklich aussieht. Zehn Jahre arbeitete er in den Slums der Zuckerhutstadt, kennt die empörende Indifferenz der Gutbetuchten, Privilegierten gegenüber der Misere. „Die Bessergestellten von Rio”, so seine Erfahrung, „sind den USA oder Europa viel näher als den Armen, nur zehn, zwanzig Meter nebenan in den Favelas.” Die beliebte Charter-Destination Recife, von Wasserarmen durchzogene Hauptstadt Pernambucos, ist touristisch interessanter denn je – endlich wurde die Altstadt am Hafen restauriert, vor dem endgültigen Verfall bewahrt, tanzt man nachts auf schönen Plätzen Samba, Bolero, Forró oder Salsa, amüsiert sich köstlich. Weiter hinten, an der Peripherie, schauen solange Pistoleiros nach neuen Opfern. Auf zweihundert Killer schätzt die Polizei 1996 ihre Zahl im Staate, schnappt selten jemanden, zumal, wie überall in Brasilien, Beamte selber zu den Matadores de Aluguel gehören. Die Sache mit den Pistoleiros, sagt der bekannte pernambucanische  Politiker und Großgrundbesitzer Ricardo Fiuza, liegt in der Seele des Nordostens. Wenn jemand meine Frau schlägt, töte ich ihn oder lasse ihn töten. Und schau her, ich halte mich für einen Zivilisierten, habe die ganze Welt bereist, bin belesen.” Das gilt für Kolngreßsenatoren genauso: Ein Gesetzentwurf von Saldanha Derzi wird  ohne sein Wissen verändert, also droht er vor der Presse:”Wenn ich herausbekomme, wer es war, gebe ich den Auftrag, ihn zu töten.”Sein Senatskollege Alexandre Costa hat Streit mit einem Kongreßabgeordneten, die Killerbranche wird sofort hellhörig:”An die zehn Pistoleiro-Vermittler haben bei mir angerufen, ihre Dienste zwecks Liquidierung des Deputado angeboten. Ich denke darüber nach.” Politische Morde “ normal in Brasilien.  Helinho, 21, ist angeklagt, fünfundsechzig Menschen liquidiert zu haben, sitzt 1998 im Knast von Recife. Sein Stadtteil Camaragibe protestiert lautstark, dort ist Helinho ein Held, hat den Spitznamen Pequeno Principe, kleiner Prinz. Man mag ihn, weil er das Viertel von jenen „säubert”, die jemanden töten, nur um dessen Tennisschuhe, Uhr oder Fahrrad zu rauben. Filmemacher Paulo Caldas dreht über Helinho einen Dokumentarstreifen:”Beeindruckend, wie wenig sich an der  Mentalität änderte, Recht mit den eigenen Händen durchzusetzen.” Recife-Polit-Rapper Garniza widmet Helinho einen Song, stellt bei einem Gespräch  im Knast verblüfft fest, daß ein Straßenräuber, der ihm nur noch die Unterhosen ließ, von dem Killer ins Jenseits befördert worden war. Blutfehden zwischen Nordost-Clans, wegen Bodenstreitigkeiten, politischen Rivalitäten, Verdacht des Ehebruchs  fordern weiterhin hunderte Opfer: Im Hinterland von Recife kommen die Goncalves bis Mitte der Neunziger  auf vierundvierzig Tote, die Benvindo auf vierzig, die Ferraz auf zweiundzwanzig, die Nogueira auf fünfzehn, die Novaes auf dreizehn.  Für den pittoresken, wenngleich archaischen Zuckerrohr-Teilstaat Alagoas gilt das gleiche Schema – als ich dort im wunderschönen Barockstädtchen Penedo direkt am breiten Rio Sao Francisco den Polizeichef interviewe, hat der ganz offen vor sich auf dem Schreibtisch jenen allseits bekannten speziellen Hebel für die Elektroschock-Folterapparatur. Nordost-Sitten gelten längst auch an der Peripherie von Sao Paulo – jede Woche mindestens ein Blutbad, angerichtet von Pistoleiros. Zuhause das Opfer zu erwischen, ist schwierig, besser an öffentlichen Plätzen, an einer Straßenbar. Die brutale Logik: Nur einem gelten die tödlichen Schüsse “ die anderen fünf, sechs oder mehr drumherum wären Zeugen der Tat, müssen deshalb ebenfalls sterben. In Rio de Janeiros Strandviertel Barra da Tijuca leben hellhäutige Knaben und Mädchen aus gutem Hause fast ständig hinter Gittern. Ausgefressen haben sie nichts, gehören indessen wie Hunderttausende anderer junger Brasilianer zur sogenannten Geracao Condominio, zur Kondominium-Generation. Das heißt, sie wohnen in weitläufigen Bilderbuch-Wohnanlagen der Mittel-und Oberschicht mit allem Drum und Dran. Appartementblocks, daneben Swimmingpools, Spiel-und Tennisplätze, Golfwiesen, etwas Park und vor allem Sicherheit im Übermaß.Denn der ganze Condominio ist von hohen Gitterstäben umgeben, wird von einer bewaffneten Spezialgarde überwacht “ ein Berufsstand, dreimal so kopfstark wie die brasilianischen Streitkräfte. Am stabilen Portal mit den TV-Kameras werden Ortsfremde gefilzt “ die Gutbetuchten lassen sich ihre Sicherheit jährlich nicht weniger als achtundzwanzig Milliarden Dollar kosten, schotten sich immer perfekter gegen Kriminelle und die rundum wachsende Misere ab. Fahrer bringen die Kinder morgens zur Privatschule, nachmittags zurück. In Barra da Tijuca, einer Miami-Kopie für Neureiche und Aufsteiger, kennen solche Kids von Rest-Rio weit weniger als Copacabana-Touristen, , sahen das berühmte Opernhaus, Klöster und Kirchen bestenfalls auf Prospektfotos. Michel Lind, neokonservativer Herausgeber der nordamerikanischen Zeitschrift „The New Republic”, hat diese seit Jahrzehnten existierenden Sozialstrukturen nicht nur in Rio, sondern auch in Sao Paulo mit seinen weit über tausend österreichischen und deutschen Multi-Filialen ausgiebig studiert. Im neuesten Buch „The Next American Nation” richtet er deshalb eine ernste Warnung an seine Landsleute:”Wir befinden uns in einem besorgniserregenden Prozeß der Brasilianisierung, hin zu einem tyrannischen System immer ungleicherer sozialer Klassen.”Für Lind bedeutet Brazilianization, „daß sich die dominierende weiße amerikanische Klasse innerhalb der eigenen Nation noch weiter in eine Art Barrikadennation zurückzieht “ in eine Welt abgeschirmter Viertel mit Privatschulen, Privatpolizei, privater Gesundheitsbetreuung und selbst Privatstraßen.”Draußen das dekadente Amerika mit Ungleichheit und Kriminalitätsraten wie in Brasilien, all die Miserablen, Bettler, Straßenkinder, drinnen die prosperierenden Mitglieder der herrschenden Oberschicht, mit all den Privilegien, die auch lateinamerikanische Oligarchien genießen. In den USA, man weiß es, werden jährlich allein über viertausend Kinder erschossen, sogar Zweijährige, auch dank „liberaler”Waffengesetze. Mitte Zweitausend gehen in sechzehn brasilianischen Großstädten erstmals an einem Wochenende gleich Millionen auf die Straße, protestieren auch auf speziellen Gottesdienstes  vehement wie noch nie gegen die immer brutaleren, immer häufigeren Gewalttaten. „Genug des Mordens” steht auf den meisten Spruchbändern. Ich sitze wieder einmal auf der Terrasse des Othon-Palace-Hotel, genieße die spektakuläre Aussicht, erinnere mich an die Tagung der Tourismusexperten, habe grade die Menschenrechtsaktivistin Yvonne Bezerra de Mello interviewt. Ihrem Mann gehört das Hotel, die ganze Othon-Kette des Landes. Dona Yvonne zählt damit zu den reichsten Familien Brasiliens, fällt indessen aus dem Rahmen. Täglich ist die Künstlerin und Sozialarbeiterin in den Slums, bei den Straßenkindern, schreibt systemkritische Bücher, spricht als Expertin alle paar Monate auf internationalen Konferenzen, weist auf die tief eingewurzelte Kultur der Gewalt, von kleinauf erfahren, erlernt, eingeübt. Yvonne Bezerra de Mello ist eine Bekanntheit, man hätte sie natürlich zur Tourismustagung einladen, ein paar Takte zur Lage sagen lassen können. Zum Beispiel, was sie mir gerade über Minderjährige Rios berichtete, die bei kriminellen Aktionen wie dem Rauschgiftgeschäft nicht mitziehen, schwer drogensüchtig werden, den Gangsterbossen statt Profit Verluste bringen:”Die werden eliminiert, die Leichen läßt man meist verschwinden. In den Slums gibt es Ställe mit Schweinen, die Überreste von Kindern auffressen. Oder auch das: Ein Junge, oft nur dreizehn Jahre oder jünger, muß dem an einen Baum gefesselten Opfer mit einer Rasierklinge solange ins Fleisch schneiden, bis es stirbt, sogar das Herz wird herausgetrennt “ alles zur Einschüchterung der Slumbewohner. Derzeit haben die Banditenmilizen vor allem die hochmodernen schweizerischen Sig-Sauer-Sturmgewehre. Wenn mir hier in Rio ein Schweizer etwas über Neutralität erzählt, lache ich laut auf “ die Sig-Sauer-Sturmgewehre werden jetzt von den Gangstern am meisten importiert.”

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/06/08/jurandir-freire-costa-therapeut-professor-an-der-staatsuniversitat-von-rio-de-janeirouerj-in-brasilien-herrscht-ethisch-moralische-schizophrenie/

 http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/05/brasilien-%E2%80%93-kirche-und-gesellschaft-sammelbandtexte/

RioNZZFavelaBandit

Ausriß, Neue Zürcher Zeitung.

RioVergewaltigte1

Vergewaltigt, ermordet – Ausriß-Medienfoto aus Rio de Janeiro – was Deutschland noch vor sich hat. Mitteleuropäischen Medien ist aus nachvollziehbaren Gründen bisher noch verboten, im Kontext der Migrantendebatte die Zustände in Ländern der Dritten Welt realitätsgetreu abzubilden.

Crack-Boom in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/05/17/crack-macht-madchen-zu-huren-zu-raubmorderinnen-warnt-brasiliens-rapper-mv-bill-werden-die-drogen-legalisiert-sucht-sich-das-verbrechen-andere-geschaftszweige/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/01/11/militarische-besetzung-des-complexo-do-alemao-von-rio-de-janeiro-ist-modell-und-beispiel-fur-das-ganze-land-zitieren-brasiliens-landesmedien-neuen-justizminister/

RioSchweinToter

Rio de Janeiro, Schweine fressen Ermordete auf – Ausriß-Medienfoto.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/01/10/mehr-morde-an-homosexuellen-in-brasilien-eine-grauenhafte-fuhrungsrolle-laut-uni-anthropologe-luiz-mott-angesehenster-schwulenaktivist-des-tropenlandes-lula-erfullte-verfassungspflichten-nic/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/01/09/todesschwadronen-in-brasilien-menschenrechtspolitik-unter-lula-rousseff-polizisten-kommandieren-ausrottungskommandos-im-ganzen-land-viel-lob-aus-europa-fur-brasilias-kurs/

Vierteilen, köpfen, skalpieren, lebendig verbrennen
Der Alltag in brasilianischen Favelas
Eine neunzehnjährige Frau wird 2003 von einer Banditenmiliz Rio de Janeiros zuerst vergewaltigt, dann bestialisch gefoltert, schließlich skalpiert und totgeschlagen. Das Opfer findet man hinter einem öffentlichen Krankenhaus, unweit dem Nobelviertel Barra da Tijuca, Brasiliens „Miami“. Nur eine einzige Zeitung bringt eine winzige Notiz von wenigen Zeilen, nennt die von der Banditenmiliz beherrschte Favela. In Mitteleuropa gäbe es einen öffentlichen Aufschrei, würden Politiker, Menschenrechtler, Frauenverbände reagieren, die Sicherheitsbehörden alles daransetzen, die Täter zu fassen. In Rio, in Brasilien nichts dergleichen, der Fall dringt überhaupt nicht ins öffentliche Bewußtsein, wird von der Mittel-und Oberschicht, den Autoritäten, gar nicht mehr wahrgenommen. Denn seit Kolonialzeiten gehört derartiges zur Normalität, für die Bevölkerungsmehrheit in den Elends-und Armenvierteln erst recht. Wenige Tage später in Sao Paulo, drittgrößte Stadt der Welt mit über tausend deutschen Unternehmen – die gleiche Untat. Wieder wird eine junge Favela-Frau skalpiert, dann bestialisch ermordet. Und wieder nur eine winzige Notiz in einer einzigen Zeitung, keinerlei Reaktion auch von der größtenteils mit Frauen bestückten Präfektur, gar von Bürgermeisterin Marta Suplicy, Vizechefin der Arbeiterpartei von Staatspräsident Lula. In den Slums von Sao Paulo, mit dem Mehrfachen der Bevölkerung Tschetscheniens, werden Menschen von Banditenmilizen auch lebendig verbrannt – nur in Rio de Janeiro und Millionenstädten des Nordostens jedoch veröffentlicht die Presse sogar Fotos der verkohlten oder völlig zu Asche zerfallenen Opfer, aus lokalen Favelas. Oder von Geköpften. Von blutigen, aufgedunsenen, nackten Leichen, über die sich große Aasgeier hermachen. Entsetzlicher Verwesungsgeruch. Tote sollen oft zwecks Abschreckung bei Tropenhitze tagelang im Gassenlabyrinth liegenbleiben – jedermann jeden Alters muß so mit ansehen, wie freilaufende Schweine diesen die Gedärme meterlang herauszerren, die Leichen schließlich ganz oder teilweise auffressen. Die Liste von nahezu unvorstellbaren Untaten ließe sich beliebig verlängern. Jurandir Freire Costa, Therapeut, Uni-Dozent, einer der führenden Intellektuellen Brasiliens, hat eine Erklärung für das Desinteresse der Bessergestellten Rios, Sao Paulos, Salvadors oder Fortalezas am Los der Slumbewohner:“Die Mittel-und Oberschicht spricht diesen den Gleichheitsgrundsatz ab, definiert sie quasi als Nicht-Menschen, reagiert daher mit extremer Indifferenz und Akzeptanz auf jede Art von Gewalt gegen diesen Bevölkerungsteil. Daß Slumbewohner kaum ein Minimum an Menschenrechten genießen, ist somit irrelevant.“ Favelas – eines der gravierendsten hausgemachten Probleme des Tropenlandes.
–„unerklärter Bürgerkrieg“–
Die Verbrechen – alles nur Einzelfälle, sensationalistisch ausgeschlachtet, aufgebauscht? In Deutschland, mit etwa halb so viel Einwohnern wie Brasilien, werden jährlich über eintausend Menschen umgebracht – bei einer Gewaltrate wie in dem Drittweltstaat wären es indessen weit über zwanzigtausend. Zudem befänden sich mehr als zehn Millionen illegaler Waffen fast jeden Kalibers in Privat-bzw. Gangsterhand. Jeder kann erahnen, wie Deutschland dann aussähe. An Sao Paulos Slumperipherie – monatlich über achthundert Morde. Bei weit höherer Dunkelziffer, überall im Lande sind die offiziellen Zahlen nachweislich arg geschönt. Nicht zufällig sprechen Menschenrechtsaktivisten, Soziologen von „nichterklärtem Bürgerkrieg“. Und die meisten Verbrechen werden von den Favelados gar nicht angezeigt, aus Angst vor landesüblicher Rache. Wurde etwa der Vater von den Banditenmilizen erschossen, geht man lieber nicht zur Polizei. Damit riskieren, daß die Gangsterkommandos den Rest der Familie auch noch liquidieren? Alle, fast alle halten sich an das „Lei do Silencio“, das Gesetz des Schweigens. Nur nach 5,4 Prozent aller registrierten Verbrechen, so neue Studien aus Sao Paulo, wird überhaupt jemand festgenommen, bei über achtzig Prozent aller registrierten Mordfälle werden die Ermittlungen ergebnislos eingestellt. In Rio, dem zweitwichtigsten Wirtschaftszentrum, mit einem Bruttosozialprodukt über dem ganz Chiles, hat die Polizei 2003 nicht einmal drei Prozent aller Mordfälle wenigstens aufgeklärt. Ergo: Wer in Favelas wohnt, kennt Mörder, mehr als genug, hat mit ihnen täglichen Kontakt. Über dreißig Prozent der minderjährigen Slumbewohner sahen mindestens einem Mord zu. Was dies für die Psyche der Favelados bedeutet, ist vorstellbar. Man muß sich auch diese Basisfakten vor Augen führen: In Südamerikas reichster Stadt Sao Paulo, eine Art New York tropical, genießen gerade 3,46 Prozent einen europäischen Sozialstandard und nur zehn Prozent den durchschnittlich asiatischen – doch über die Hälfte lebt wie in Afrika, fast ein Drittel wie in Indien – in rund 1600 Favelas, gemäß amtlichen Statistiken. Die Medien berichten jedoch fast nur über jene Metropolenbewohner mit europäisch-asiatischem Standard – nicht zuletzt, weil Recherchieren in Favelas für Journalisten häufig lebensgefährlich ist. Wer einen realistischen Artikel schreibt, die Dinge beim Namen nennt, kann beim nächsten Mal von Banditen erkannt und ermordet werden.
Wie erlebt eine Afghanin, größtenteils in Aachen aufgewachsen, den Favelaalltag? Maryam Alekozai machte ihr soziales Jahr in Sao Paulos Slum Jardim Angela, nahe jener Formel-Eins-Piste von Interlagos, auf der Michael Schumacher seine Rennen fährt. „Es herrscht hier eine Art Bürgerkrieg, gar nicht mal so anders, wie damals in Afghanistan, als ich klein war. Tagsüber, nachts fallen Schüsse, immer wieder wird jemand umgebracht, Kinder verlieren ihre Väter. Von den Müttern, deren Sprößlinge ich betreue, sind nicht wenige deshalb alleinstehend. Ganz normal für die Kinder, daß jemand erschossen wird – die wachsen damit auf. Der Unterschied zwischen einem fünfjährigen Mädchen hier und in Deutschland ist so unglaublich groß! In den Augen der brasilianischen Kinder sehe ich Haß, ganz tiefen Haß – und Wut! Man blickt nicht in Kinderaugen, sondern eigentlich in Augen von Erwachsenen, die voller Aggressionen sind. Die Gewalt, die Ungerechtigkeit, die in diesem Lande herrscht, spiegelt sich in den Augen der Kinder – unübersehbar.“ Doch gleichzeitig weist sie auf einen scheinbaren Widerspruch:“Ein Bewußtsein über soziale Ungleichheiten existiert hier nicht – weder bei den Armen noch bei den Reichen. Aufklärung, kritisches Denken, das einem in Deutschland beigebracht wird, fehlt hier.“ Doch auch in den Favelas täuscht die Erscheinungsebene, der oberflächliche Eindruck nur zu oft. „Viele sagen – ihr kommt aus Deutschland, seht uns fröhlich und gut drauf, könnt euch aber nicht vorstellen, wie es uns wirklich geht, wie es zuhause hinter unseren vier Wänden aussieht.“ In Brasilien übertrifft die Realität nur zu oft jede Fiktion – die Favela Jardim Angela hat eine Rua Afeganistao…
Doch in Sao Paulo gibt es auch die Bilderbuch-Favela „Monte Azul“, mit außergewöhnlich erfolgreichen Sozial-und Kulturprojekten, ohne jeglichen Banditeneinfluß, alles initiiert von der Thüringerin Ute Crämer, landesweit leider die ganz große Ausnahme – von den Autoritäten gerne als Vorzeigeobjekt benutzt.
Denn nahezu überall regieren hochgerüstete neofeudale Banditenmilizen die Slums wie einen Parallelstaat, terrorisieren Millionen von Bewohnern, weitgehend toleriert von der Politik.
–Gesetz des Schweigens“ – auch für Journalisten—
Ein strenges Normendiktat wird mit harter Hand durchgesetzt. Wer das „Lei do Silencio“ bricht, interne Vorgänge des Viertels nach außen trägt, gar der Presse über die Machtstrukturen berichtet, wird zur Abschreckung exekutiert. Etwa per Microonda, Mikrowelle: Über das gefesselte Opfer werden Autoreifen bis in Kopfhöhe geschichtet, mit Benzin übergossen – und dann Streichholz dran.
Manche, die in deutschen Kinos den brasilianischen Streifen „City of God“ sahen, hielten die vielen Gewaltszenen für reichlich übertrieben, überdreht, überzogen – die paßten nicht zum sozialromantischen Bild vom Tropenstaat. Dabei wurde in dem Film weder gezeigt noch erwähnt, daß in dieser Rio-Favela „Cidade de Deus“ das Verbrennen von Mißliebigen ebenfalls üblich ist. Als alternative Hinrichtungsmethode gilt dort, sie Alligatoren zum Fraß vorzuwerfen. Paulo Lins, in der Cidade de Deus aufgewachsen, schrieb das gleichnamige Buch:“Gewalt gibts überall auf der Welt, aber bei uns erfaßt sie schon die Kleinsten. Brasilien mordet seine Kinder seit vielen, vielen Jahren – und macht bereits Kinder zu Mördern. Brasilien hat eine Gabe zum Töten, Brasilien ist ein Mörderstaat.“ Ein anderer Satz von Paulo Lins macht ebenfalls sehr nachdenklich:“Würde ich die Realität so schildern, wie sie ist, könnte man das garnicht publizieren.“
Köpfen, Zerhacken sind ebenfalls gängige Slum-Strafen. Immer wieder beobachtete man sogar Kinder, die mit abgeschlagenen Köpfen Fußball spielten. Vergewaltiger werden kastriert – Banditen, die bis zu hundert Frauen, Mädchen mißbrauchten, natürlich ausgenommen. Wie das selbsternannte Gangster-„Tribunal“ der Rio-Favela Morro do Fuba’ 2003 mit Luis do Nascimento, 22, verfuhr, schien den Taliban entlehnt. Der Vergewaltigung von Minderjährigen angeklagt, wurde er vor einer großen Menschenmenge zunächst gefesselt, geschlagen, danach mit Pflastersteinen gesteinigt, schließlich auf dem modernen Scheiterhaufen, der Microonda, verbrannt. Rios auflagenstarke Zeitung „O Dia“ brachte anderntags ein Großfoto seiner Überreste, mit sachlicher Bildunterschrift. Es hätte schlimmer kommen können: Ein anderes populäres Rio-Blatt pflegte solche Fotos mit zynischen Texten zu versehen: „Er wurde Grillfleisch, gut durchgebraten“, stand unter dem Foto eines angezündeten Schwarzen, zahlreiche neugierige Kinder drumherum.
„Harmlosere“ Strafen sind Folterungen oder das Durchschießen der Hände und Füße. Etwa für jene, die Ausgangssperren mißachten – immer wieder verhängt für weit über fünfzigtausend Favelabewohner, ob in Rio oder Sao Paulo – oder gar Banditenbefehlen nur murrend nachkommen. Denn jedermann muß mit den global vernetzten Verbrechersyndikaten kooperieren, Drogen, Waffen, Raubgut, Entführte, bei Razzien selbst Bandidos in seiner Kate verstecken. „Weil ich ein Auto habe“, so ein Slumbewohner, „muß ich andauernd schwerbewaffnete Gangster in der ganzen Stadt herumfahren, sogar zu Überfällen transportieren – bitter ist, daß es unter uns keine Solidarität mehr gibt, jeder mißtraut jedem. Im Drogenrausch hat ein Bandido auf meine Tür gefeuert, beinahe meine Kinder getroffen!“
–Autoritäten, Hilfsorganisationen respektieren Macht der Gangstersyndikate—
Ohne Zustimmung der Gangster darf niemand Besucher, nicht einmal Verwandte in den Slum mitbringen, hat auch kein Politiker Zutritt. Als ein angesehene Kongreßsenator aus Staatschef Lulas Arbeiterpartei eine Rio-Favela besucht, hält er sich ebenfalls streng an die Banditenvorgaben, verschwindet mit dem Journalistentroß pünktlich zur geforderten Zeit. Eigentlich ein haarsträubender Vorgang, politisch höchst bedenklich. Der Senator war in NGO-Sozialprojekten – auch diese brauchen grundsätzlich das Banditen-Okay, werden kontrolliert. „Hilfe zur Selbsthilfe“ – funktioniert das? Wie brasilianische Sozialarbeiter betonen, ist die Banditenherrschaft inzwischen dermaßen perfekt und brutal – und vor allem regelrecht sozial und kulturell verwurzelt, daß normale Projektarbeit unmöglich wurde. Denn mit den Gangsterbossen muß über beinahe jede Aktivität verhandelt werden – sie stimmen nur zu, wenn Vorhaben deren Image, Interesse dienen, nutzen sogar Projekteinrichtungen für ihre Feste. Die Banditen sorgen für Ordnung im Revier auf ihre Weise: Als aus einem Projektgebäude Rios ein Videogerät gestohlen wird, drohen die sich einmischenden Gangster damit, solange Menschen zu erschießen, bis der Apparat wieder auftaucht. Das ist erst nach dem achten Toten der Fall.
Jahrzehntelang hielt sich bei Gutmenschen Brasiliens und Drittweltbewegten die These, man müßte die Slums nur mit einem Netz von Sozialprojekten überziehen, um die entsetzlich hohe Mordrate drastisch zu senken, die Herrschaft der Banditenmilizen zu schwächen. Hohe Spendensummen wurde investiert – doch selbst laut Unesco-Angaben wurden weder die Gewaltrate noch der Banditenterror gegen die Bewohner gebremst. Manche ausländischen Hilfsorganisationen suchen all dies vor ihren Spendern, Förderern zu verheimlichen. Und wenn NGO-Chefs, gar Politiker, Staatspräsidenten aus der Ersten Welt in Favelas auftauchen, die Sozialkosmetik begutachten, wird peinlichstes Theater gespielt, prostet man sich mit Caipirinha zu, lächeln die Gäste freundlich, applaudieren höflich den Samba-Tanzgruppen – wird die andere Realität versteckt, ausgeblendet. Natürlich wissen auch die lokalen Projektleiter, wer welche Verbrechen beging, in welcher Slum-Barraca Entführte unter grauenhaften Bedingungen festgehalten, gefoltert werden – doch alle halten lieber die Klappe. Wer will schon die Projektarbeit gefährden, gar in der „Microonda“ enden? Wenn Sozialarbeiter in Slums bemerken, daß Alte von jungen Leuten mißhandelt, belästigt werden, diese gar Sozialarbeiter attackieren, entsteht eine bizarre Situation:“Da bleibt uns nichts weiter übrig, als mit dem Gangsterchef zu sprechen – denn der herrscht absolutistisch, spielt manchmal den Sozialhelfer für alleinstehende Senioren, hilft uns mit Sicherheit, greift sich die Täter. Und verwarnt sie nach dem Motto – noch einmal soetwas, und du weißt, was dir passiert!“ Das wirkt, schließlich drohen dann Handabhacken, Kastrieren, lebendig Verbrennen.
Wurden etwa durch einen Erdrutsch viele Leute verschüttet, rücken Feuerwehr und Sanitäter an, dürfen jedoch erst nach Banditen-Okay zur Unglücksstelle.
Und auch das Favela-Bairro-Projekt der Präfektur Rio de Janeiros funktioniert nur mit Banditenerlaubnis. Die Milizen passen auf, daß dank gepflasterter, asphaltierter Slumstraßen und Wege nun nicht auf einmal die Polizei besseren Zugang hat, lassen Betonsperren errichten, schließen ganze Straßen mit schweren Eisentoren, dicken Schlössern. Zuviel Pfuscharbeit, kritisieren die Bewohnerassoziationen, zuviele geplatzte Abwasserrohre, zuviel Halbfertiges. Und immer wieder unterbrechen Milizen einfach die Favela-Bairro-Arbeiten, jagen die Beschäftigten davon. Nicht günstig, bei den Gangsterkommandos in Mißkredit zu fallen: Ende 2003 findet man nach einem anonymen Hinweis die sterblichen Überreste des Bauleiters Paulo Ferreira Lima Filho, 39 – ermordet, verbrannt an einer Favela-Stelle, an der die dortige Banditenmiliz gewöhnlich auch andere Mißliebige foltert, verbrennt.
–Brasiliens Kindersoldaten—
Die Favelas sind Hochburgen, Operationsbasis der Milizen, die angesichts zunehmender Massenarbeitslosigkeit keine Nachwuchsprobleme haben, sogar Zehntausende von Kindern in den Arbeitsmarkt der Syndikate integrieren, ihnen Top-Löhne zahlen, mit denen diese ganze Großfamilien ernähren. Brasiliens Mindestlohn liegt bei umgerechnet etwa siebzig, achtzig Euro monatlich – schon Kindersoldaten der Favelas kommen dagegen bereits in der Woche auf fünfhundert Euro. Manche killten über vierzig Menschen. „Normale kindliche Abenteuerlust“, sagen selbst katholische Padres, „wird von den Banditen schamlos ausgenutzt, in den Köpfen der Jungen werden diese zu Helden und Vorbildern.“ Bereits als Minderjähriger Prestige und Macht zu haben – ein tolles Gefühl. Denn außerhalb, in der City, den schicken Strandvierteln, spüren nicht nur die Heranwachsenden die „soziale Apartheid“ Brasiliens, unnütz, ein Nichts, überflüssig zu sein, entsprechend behandelt zu werden. Aber wenn sie mir, dem Gringo, in ihrem Parallelstaat begegnen, lässig die NATO-Mpi umgehängt, durch die Favela schlendern, Respekt und Unterwerfung fühlen, heiße Blicke der Slummädchen – das wertet auf. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO in Genf hat es untersucht. Auffälligstes Resultat: Obwohl es in Millionenstädten wie Rio de Janeiro inzwischen mehr Schulen für Slumkinder gibt, hat das, wie fälschlich angenommen, die Attraktivität des organisierten Verbrechens nicht vermindert, ihm keine jugendlichen „Arbeitskräfte“ entzogen – ganz im Gegenteil. Junge Gangster sagten den ILO-Befragern immer dasselbe:“Warum soll ich jahrelang zur Schule gehen, wenn mir das später weder beruflichen noch finanziellen Nutzen bringt?“ Denn der Unterricht in den Favela-Schulen hat ein extrem niedriges Niveau – kein Vergleich mit den unerschwinglichen Privatschulen für die Kinder der Mittel-und Oberschicht, die folgerichtig später alle besserbezahlten Jobs besetzen.
–Feudalistisch-machistische Werte, sexualisierter Alltag, zerrüttete Familien—
„In den Slums“, so die Anthropologin Alba Zaluar, Brasiliens führende Gewaltexpertin, „ist eine neue tyrannische Kultur feudalistisch-machistischer Werte inzwischen fest installiert – alles hingenommen von den Autoritäten.“ Selbst minderjährige Mädchen drängeln sich geradezu danach, Geliebte, First Lady, Primeira Dama von Banditen zu werden, damit Status und Schutz zu gewinnen, in den besten Restaurants zu speisen, den teuersten Boutiquen einzukaufen, Gepflogenheiten der Geldelite zu kopieren. „Für die Mädchen verkörpert der Gangster Attraktivität, Schönheit, Erstrebenswertes, gar ein Lebensideal.“ Gemäß surrealer Favela-Logik kein Widerspruch angesichts des Drucks, der Gewalt, die von den Banditenmilizen ausgeht. „Hier oben ist es spannend, geil, richtiges echtes Abenteuer“, sagten in einem Hangslum Rios zwei Vierzehn-Fünfzehnjährige in superkurzen Shorts, Bikini-Oberteil. Sie haben wachsende Bäuche und erklären stolz, von zwei Top-Gangstern, über die man sogar in TV und Radio spricht, schwanger zu sein. Gangsterbosse halten sich bis zu dreißig Geliebte, die alle voneinander wissen. Gelegentlich sind fünf und mehr zur selben Zeit schwanger, versammelt jeder Warlord auf Kinderfesten seinen gesamten Favela-Nachwuchs – nicht selten über dreißig Kinder. Und stirbt er, etwa im Gefecht mit Rivalen oder der Polizei, gibts ein Heldenbegräbnis, werfen sich seine Geliebten schluchzend über den Sarg. Viele werden dann dem Nachfolger zugeteilt.
Die Parallelwelt der Favelas ist außergewöhnlich sexualisiert – Mädchen, Frauen geben sich häufig unerhört aufreizend, weit über der Landesnorm, auch auf den Massendiscos „Baile Funk“, greifen gelegentlich selber zu Revolver und Mpi. Weibliche Drogendealer verkauften nur jenen Kokain, Heroin, Haschisch, die auch mit ihnen schliefen – Fälle sind bekannt, in denen Banditinnen Männer mit der Waffe zum Geschlechtsverkehr zwangen, das ganze Wochenende über. Erwachsene Frauen initiieren gelegentlich die Jungen einer ganzen Favela sexuell, beinahe so ähnlich, wie man es von brasilianischen Indianerstämmen kennt. Mädchen, die sich in Banditen verlieben, riskieren viel. Perverse Logik mancher Milizen:“Weil sie mit einem gepennt hat, muß sie auch alle anderen ranlassen – oder wir greifen sie uns mit Gewalt.“ Selbst der Verbrecherslang ist völlig sexualisert – für Rauben, Morden werden gleiche drastische Begriffe wie für den Sexualakt verwendet.
Jugendliche Favela-Banditen betonen ganz offen, jeden sofort zu killen, der als Polizeiinformant gilt. „Uns machts Spaß, Leute zu töten – wir sind tatsächlich finstere Typen, stehen zu unserem Job.“ Einer erschoß bereits drei Polizisten, ein anderer köpfte einen Mann, „zur Abschreckung der Bewohner“, wie er sagt. Und alle wissen, daß sie im „Stadtkrieg“, Guerra urbana, der jährlich zehntausende Opfer fordert, meist keine fünfundzwanzig Jahre alt werden. Sechzehn Slumkids verschiedener Teilstaaten ließen sich für einen neuen Dokumentarfilm interviewen – nach zwei Jahren lebte nur noch einer. Natürlich hausen die Bosse des organisierten Verbrechens nicht in den Favelas: „Die wohnen in den Nobelvierteln“, betont die aus der Oberschicht stammende Künstlerin und Menschenrechtsaktivistin Yvonne Bezerra de Mello, eine der wichtigsten Favela-Expertinnen Brasiliens. Selbstzensur aus „politischer Korrektheit“ zu üben, wie in der Ersten Welt geradezu üblich, ist ihre Sache nicht – sie nahm noch nie ein Blatt vor den Mund. Was passiert mit Minderjährigen, die bei kriminellen Aktionen nicht mitziehen, gar schwer drogensüchtig werden, statt Profit Verluste einbringen? „Die werden eliminiert, die Leichen läßt man verschwinden. In den Slums gibt es Ställe mit Schweinen, die Überreste von Kindern auffressen. Oder auch das: Ein Junge, oft nur dreizehn Jahre oder jünger, muß dem an einen Baum gefesselten Opfer mit einer Rasierklinge solange ins Fleisch schneiden, bis es stirbt – sogar das Herz wird herausgetrennt – alles zur Einschüchterung der Slumbewohner.“
–Politik und organisiertes Verbrechen—
Über die Verbindungen von Politik, globalisierter Wirtschaft und organisiertem Verbrechen weiß Yvonne Bezerra de Mello mehr als genug. Das „Crime organizado“, so Roberto Precioso, neuer Chef der Bundespolizei in Rio de Janeiro, „durchdringt inzwischen die gesamte Gesellschaft.“ Die Slumbewohner, so sein Vorgänger Marcelo Itagiba, „sind Geiseln der Banditenmilizen, werden unterdrückt, weil der Staat abwesend ist – alles eine Katastrophe.“ Doch nie ein Thema, wenn hochrangige Politiker aus Europa nach Brasilien kommen, den wichtigsten deutschen Industriestandort Lateinamerikas. Auch in-und ausländische Popstars haben mit dem Banditenterror keine Probleme, nutzen gerne mal eine Favela als exotischen Videoclip-Background, so wie Michael Jackson – dessen Produktionsfirma an den Boß des Rio-Hangslums Dona Marta für die Dreherlaubnis tüchtig hinblättern mußte.
Bereits 1992 hatte der progressive Abgeordnete Carlos Minc in einer Zeitungskolumne betont:“In Rio de Janeiro sind Straftäter und Autoritäten Komplizen – das organisierte Verbrechen, das Drogenkartell herrscht in den Slums, pflegt enge Beziehungen zur Geschäftswelt, zur Stadtregierung, zu Polizei und Justiz, die daher Straffreiheit walten lassen, die Gesetze nicht anwenden, die Menschenrechte der Rio-Bewohner mißachten.“ Mincs Analyse wurde von einer parlamentarischen Untersuchungskommission für große Teile Brasiliens, zahlreiche andere Millionenstädte bestätigt. Befreiungstheologisch orientierte Bischöfe und Pfarrer argumentieren, daß die Banditenherrschaft über die Favelabewohner zugelassen werde, weil dies auch perfide verhindere, daß sie für ihre Bürgerrechte kämpfen. Bereits der Faktor Angst verhindere politische Aktivitäten – und das sei ganz im Sinne der Eliten. Fehlendes Bewußtsein mache zusätzlich passiv.
In der achtjährigen Amtszeit des neoliberalen Staatschefs Fernando Henrique Cardoso, Ehrendoktor der FU Berlin, haben die Verbrechersyndikate ihre Parallelmacht zügig ausgebaut, auch Politiker-Wahlkämpfe finanziert, besitzen für die „Guerra urbana“ inzwischen sogar Bazookas zum Abschießen von Panzern, schwere MGs zur Flieger-und Hubschrauberabwehr, deutsche G-3-Mpis, hochmoderne Sturmgewehre des Schweizer Bundesheeres, Handgranaten en masse. Und setzen all diese Waffen weiterhin gezielt ein, attackieren selbst Armeestützpunkte, Kasernen, erbeuten Munition, blockieren Stadtautobahnen, Straßentunnel, um serienweise Fracht-LKW abzufangen. Und um Macht zu demonstrieren, wird selbst in Mittelschichtsvierteln tageweise die Schließung tausender Geschäfte erzwungen, mußte gelegentlich für über zehntausend Schüler Rio de Janeiros der Unterricht ausfallen. Doch das ist neu: Zahlreiche Militärpolizisten, vom Staate entsetzlich schlecht bezahlt, lassen sich von Verbrecherorganisationen für hohen Sold anheuern, um in voller Beamtenuniform am Sturmangriff auf Slum-Hochburgen rivalisierender Syndikate teilzunehmen. Andere fühlen sich im „Guerra urbana“ verheizt, als Kanonenfutter, gehen äußerst brutal vor, foltern, killen auch Unschuldige, fangen Banditenbosse ein, lassen sie aber gegen Lösegeld wieder frei. Razzien in Favelas, liest man alle Tage, ändern an den dortigen Machtstrukturen nichts, sind bestenfalls Nadelstiche. Die Banditen erschießen in den Millionenstädten jährlich jeweils bis zu hundert Beamte – und mehr.
Aber auf der Erscheinungsebene sind Sao Paulo, Rio de Janeiro, Salvador da Bahia aufregend attraktiv wie immer – wer nur in den besseren Vierteln, etwa an der Copacabana, in Ipanema Bade-und Kultur-Urlaub macht, merkt gewöhnlich von all dem nichts.
Doch selbst laut UNESCO ist das Leben an der Rio-Peripherie weit gefährlicher als etwa in Israel und Palästina – kommen dort monatlich nur ein Sechstel so viele durch Gewalt um wie am Zuckerhut. Bezeichnend, wie Medien Europas jedoch ihre Schwerpunkte setzen.
Der ausgedehnte bergige Nationalpark „Floresta da Tijuca“ Rios wird immer mehr von Slums zerfressen, deren rasches Wachstum auch rivalisierende Syndikate wie das „Comando Vermelho“(CV, Rotes Kommando) „Terceiro Comando“ (TC, Drittes Kommando) oder die „Amigos dos Amigos“ ( ADA, Freunde der Freunde) ganz im Eigeninteresse nach Kräften fördern. Neuerdings brennen sie sogar großflächige Fluchtwege in den Nationalpark, errichten gelegentlich Straßensperren – sogar ein Umweltminister auf Inspektionsfahrt mußte deshalb schon einmal umkehren.
Schwer zu übersehen, daß sich ein Großteil der Slumjugend mit CV, TC oder ADA identifiziert, Banditenwerte übernimmt, Heranwachsende aus „gegnerischen“ Favelas unnachgiebig attackiert. Selbst kriminelle Straßenkinder teilen ihre Stadtreviere entsprechend auf:“Wenn jemand von einer anderen Fraktion im Gebiet unseres Kommandos Überfälle macht, ist er sofort dran“, erläutert ein Sechzehnjähriger in Rio de Janeiro. „Einem haben wir jetzt die Beine gebrochen und den Schädel eingeschlagen. Wir waren sieben gegen einen.“
–Fragwürdige Pseudo-Fröhlichkeit–
„Arm, aber glücklich“ – lautet eines der unzähligen Klischees über Brasilianer, deren überschäumende Lebensfreude, Zukunftsoptimismus einfach unschlagbar seien. Gespräche mit Favelados sind jedoch mehr als ernüchternd.
„Nichts wird besser – die Reichen Brasiliens lassen nie zu, daß Lula irgendwas ändert, uns hier rausholt“, sagt Eloisa; mit ihren vier Kindern, ihrer Bretterhütte zwischen den Fronten im „Guerra urbana“ der Peripherie von Sao Paulo. Wenn ein Tropengewitter runtergeht, und das passiert oft, laufen Scheiße, Urin und andere Abwässer des Elendsviertels in ihre „Barraca“ und die der Nachbarn; wenn sich die beiden rivalisierenden Gangstermilizen der Region ein Feuergefecht liefern, verstecken sich die Kinder unterm Bett, gehen bei der ersten Mpi-Salve so routiniert wie Eloisa und ihr jetziger Lebensgefährte in die Horizontale. Die in provisorischen Backsteinkaten haben oft schon Kühlschrank, Fernseher, viele sogar Videogeräte – ob gebraucht gekauft, von den Wohlstandsmüllbergen der Betuchten geholt, oder geschenkt genommen von Banditenmilizen, die sich immer mal als Wohltäter aufspielen, Fracht-LKW überfallen, in die Favela fahren, alles verteilen. Wenns zufällig einen Kosmetik-LKW traf, freuen sich die Frauen auch mal über französisches Parfüm, ungewöhnliche Duftnote im üblichen Favela-Gestank. Der an der Airport-Autobahn Rios ist geradezu barbarisch, kommt von einer fehlkonstruierten Müll-Recycling-Anlage. Zehntausende Favelados kriegen ihn ab – Proteste – zwecklos.
„Andauernd“, so Eloisa, „machen die Drogenbanditen hier Ausgangssperre – dann dürfen wir sogar bei Affenhitze nicht mal den Kopf aus der Tür stecken – oder sind geliefert – die legen jeden um, der sich nicht dran hält!“ Mehr Tote monatlich als in den aktuellen Konfliktherden dieser Erde. „Eine richtige Revolution müßte es geben, da würde sich wirklich was ändern – aber sowas bringen die Brasilianer nicht fertig, dazu sind die viel zu träge. Schrecklich, mitansehen, miterleben zu müssen, wie Kinder, Erwachsene der Familie neben einem in den engen Barracas dahinsiechen, wegsterben, weil Pillen gegen Hepatitis, Diabetes, Bluthochdruck, andere Krankheiten, eben unerschwinglich sind.“ Das desillusioniert, raubt Zukunftshoffnungen. hunderttausende Favelados enden so jährlich – systemkritische Mediziner nennen es „Projeto genocida“. Eloisa entschuldigt alles, was ihre Nachbarn an Lula kritisieren – daß die Drogenbosse und ihre schwerbewaffneten Milizen sich in Favelas wie Sapopemba, Elba, Pantanal wie Herrscher über Leben und Tod aufführen, ist für sie unabänderlich, wie ein Naturgesetz. „Das ändert sich nie – Lulas Arbeiterpartei hat doch auch Angst vor den Banditen.“ Zu einer Präfektur-Arbeitsgruppe, so Eloisa, gehört auch die Mutter mehrerer Favela-Gangsterbosse, hat in Slum-Angelegenheiten das letzte Wort:“Ich glaube nicht, daß meine Söhnchen das akzeptieren werden…“ Laut amtlichen, jedoch sehr unvollständigen Angaben hat Brasilien Ende 2003 weit über 16000 Favelas.
–Migrantenbiographien–
In Sao Paulo leben mehr „Nordestinos“ als in Nordost-Millionenstädten wie Recife, Salvador oder Fortaleza – alle zugewandert, aus Not, Hoffnung auf irgendeine Arbeit, ein besseres Leben. Die allermeisten kamen aus Favelas – hausen in Sao Paulo wieder dort. Viele Männer sind Bauarbeiter – errichten selbst am Wochenende Villen, Penthouse-Siedlungen, auch für ausländische Multi-Manager – für umgerechnet keine siebzig Cents Stundenlohn. Wieviel verdient doch gleich ein Bauarbeiter in Deutschland, der Schweiz stündlich? Nicht zufällig sehen selbst katholische Bischöfe daher die Sklavenhaltermentalität noch sehr lebendig, wohlakzeptiert von der globalisierten Wirtschaft.
Maria und ihre zwei Schwestern, ein Bruder kamen aus dem Nordosten – teilen sich in der Barraca einen einzigen Raum mit den beiden kleinen Kindern. Väter? Nicht präsent. Alle machen Aushilfe – Handlanger, Putzfrau, Wäscherin, Straßenverkäufer; arbeiten wie über sechzig Prozent der Brasilianer ohne Vertrag, unregistriert, auch sonnabends, sonntags. Eine Schwester prostituiert sich zwei, dreimal im Monat, schläft mit verheirateten Japanern der Mittelschicht, für ein paar Real. „Da komme ich wenigstens mal raus hier, die nehmen mich mit in ein Stundenhotel, das ist wie Paradies, mit Abendessen. Wenn das immer so weiterginge, wäre ich mit dem Leben zufrieden. Mehr ist doch für unsereinen nicht drin. Und hier in der Favela gibts doch nur brutale Machos, jeder hört, wenn irgendwo einer vögelt, die eigenen Kinder kriegens mit, sehen oft sogar zu.“
Rios Favela-Expertin Yvonne Bezerra de Mello beobachtet:“Die große Mehrheit der Unterschichtskinder ist Teil völlig zerrütteter Familien; nicht selten hausen auf nur neun Quadratmetern zehn Personen; Jungen und Mädchen sehen täglich homo-und heterosexuellen Verkehr, betrachten diesen Umstand gleichwohl als natürlich, nicht etwa als unmoralisch oder Sünde. Auch der Umgang mit Rauschgift ist alltäglich. Für die Mädchen gehört zu den gängigen Erfahrungen, mit acht, neun oder zehn Jahren vergewaltigt zu werden.“
Im Sao-Paulo-Slum sind Maria und die anderen wegen des Prostituta-Nebenjobs der einen Schwester erleichtert, weil er die Haushaltskasse der „Barraca“ aufbessert. „Wenn ich jeden Tag das Essen für mich und die Kinder auftreibe, bin ich schon zufrieden, mehr will ich eigentlich gar nicht.“ Für sie ist das viel, jedesmal ein enormer Sieg; Träume, große Hoffnungen hat sie nicht. Aber so viel Fatalismus in der Stimme, daß es wehtut, wie bei anderen Favela-Gesprächen. Müll wird in den stinkenden Bach nebenan geschmissen, der Strom für die Barraca ist geklaut, allein in Sao Paulo über zehn Prozent aller eingespeisten Energie. Deshalb dieses unglaubliche Strippengewirr in beinahe allen Großstadt-Favelas Brasiliens. Kurzschlüsse lösen immer wieder Großfeuer aus, ganze Slums brennen wiederholt ab, Babies, Alte, Kranke kommen in den Flammen um – fast jede Woche davon Fotos in der Zeitung. Nachbarn haben ihre Barraca so nahe an Gleisanlagen errichtet, daß Frachtzüge nur dreißig Zentimeter vorm Eingang vorbeibrausen. Fahren sie zu langsam, springen junge Männer auf, holen raus, was rauszuholen ist, demontieren sogar Export-PKW. Verunglückt an der nahen Autobahn ein LKW, rennen alle sofort los, machen sich über die Ladung her. Oft brüllt, stöhnt der eingeklemmte, blutende Fahrer vor Schmerz, versuchen Ärzte, Feuerwehrleute ihn zu befreien, doch gleich daneben streitet die Menge bereits erbittert um die Fracht. Brennt ein Vorratslager ab, wird auch das gestürmt, trotz Polizeibarrieren, Tränengas: „Angst vor schlechtem Essen haben wir nicht – besser mit vollem Magen zu sterben als vor Hunger.“ Gehen an Favelas von Rio und Sao Paulo heftige Tropengewitter herunter, verstopfen Jugendliche rasch mit Plastiktüten die Gullys vorbeiführender Straßen, damit Autofahrer im Wasser steckenbleiben. Und dann wird reihenweise per Revolver abkassiert. Wenn der Verkehrsfunk deshalb vor diesen Abschnitten warnt, ist es längst zu spät. Und dann der unglaubliche Krach in den Favelas: Open-Air-Massendiscos mit Hiphop in Hardrock-Lautstärke, bis morgens um sechs am Wochenende – den Veranstaltern, oft die lokale Banditenmiliz, aber auch den Jugendlichen ist völlig egal, ob das Alte, Kranke, Babies um den Schlaf bringt, streßt, irrsinnig nervös macht. Und tagsüber Hiphop, Rock, Samba in vielen Favelas aus quäkenden Lautsprechern – wie halten die Leute das aus? Daß jeder das Fernseh-und Radioprogramm der Nachbarn mithören muß, ist da noch harmlos.
–„Wegen Hunger, Elend protestiert hier keiner“—
Einmal im Jahr besucht Maria die Eltern, die anderen fünf Geschwister an der Peripherie von Recife – ist immer entsetzt:“Wie könnt ihr so leben, die Lehmhütte steht viel zu nahe am Kloakefluß, das ist gefährlich!“ Der Vater, die anderen kontern:“Wo sollen wir denn sonst hin?“ Im kraß archaischen Nordosten hofft erst gar keiner auf Politiker, Gouverneure, wählt den, der T-Shirts, Nahrungspakete verschenkt. „So Gott will, ändert sich was“, sagen die meisten Favelados, erscheinen tiefreligiös. „Nur Gott kann mir helfen – wir leben hier so, weil Gott es eben so wollte.“ Nicht die Linie der katholischen Kirche, befreiungstheologisch orientiert, beständig darauf aus, die Verelendeten zu mobilisieren, aus ihrer Apathie und Lethargie zu holen. Doch das gelingt nur punktuell, zumal in den Favelas Sekten dominieren. „Du wirst in so einer Hütte geboren, kaum was zu essen, du siehst, daß deine Eltern nicht vorankommen, nur Schläge einstecken, irgendwann aufgeben, müde werden. Und da wirst du auch pessimistisch, machst dir keine Hoffnungen mehr,“ meint Maria. Ihre Schwester, vierzehn, inzwischen mit einem Baby, von wem, weiß sie nicht, winkt ab:“Da wurde ein Berufskurs gratis angeboten – doch ich hatte das Geld für den Bus nicht, mußte dorthin über eine Stunde laufen, bei Hitze. Mittendrin bin ich vor Erschöpfung ohnmächtig geworden, hatte ja nichts im Bauch. Ich habe so geheult deswegen, das wäre eine Chance gewesen – aber ich habe aufgegeben.“ So viele Barrieren für Favelados, die lethargisch, apathisch machen. „Wie soll ich denn mein Leben verbessern, hier rauskommen, wenn ich nicht mal den Bus bezahlen kann, um irgendwo dort, wo es vielleicht Arbeit, Kurse gibt, nachzufragen?“ Marias Eltern sind Analphabeten, ihre Geschwister der Recife-Favela Halbanalphabeten, kaum zu begrifflichem, abstraktem Denken fähig, überfordert mit simplen Gebrauchsanweisungen, Einnahmevorschriften auf Medikamenten, gar Verhütungsmitteln. Sie könnten mit anderen Favelados rebellieren, zu den Vierteln der Reichen, zum Gouverneurspalast ziehen, auf ihre Rechte pochen, damit sich was bessert, die perverse Einkommensverteilung aufhört – Brasilien ist schließlich ein reiches Land, unter den fünfzehn führenden Wirtschaftsnationen.“Wenn du Hunger hast, fühlst du dich schwach, fehlt dir der Antrieb, aus der Hütte zu gehen – wegen Hunger, Elend protestiert hier in Brasilien keiner“, meint ein Jugendfreund Marias, der einst mit ihr einen kleinen Analphabetisierungskurs aufzog, als „Roter“ verschrien war, vom eigenen Vater deshalb immer wieder Dresche bekam. Maria wurde aus gleichem Grund von der eigenen Mutter, fanatische Sektenanhängerin, in der Lehmhütte blutig geschlagen, die riß ihr dabei sogar sämtliche Kleider vom Leibe.
„Die im Slum hier denken nicht politisch – Wut oder Haß auf die Reichen, die schuld sind an der Misere – das kennen die Favelados nicht – die denken, das sei normal so, schon immer so gewesen“, meint er. Die Politiker, die Reichen, das Fernsehen, vermitteln doch den Verelendeten, daß sie es nicht schaffen, nie weiterkommen im Leben, nie aufsteigen. Zukunft – das sei was für die in den besseren Vierteln der Strandzone, wo viele Favelamädchen als Hausdienerinnen schuften – täglich, außer sonnabends, ab sechs Uhr früh bis in die Nacht, für umgerechnet etwa fünfundzwanzig Euro monatlich.
Doch, politisch denken viele Favelados durchaus, nur wie: Marcia Soares unterrichtet Kinder und Erwachsene, macht ebenfalls die Erfahrung, daß Slumbewohner nur in Ansätzen zum abstrakten Denken fähig sind, kaum verstehen und durchschauen, was in ihrem Lebensumfeld wirklich geschieht. Zu ihrer Überraschung muß sie sich mit reaktionären, archaischen Wertvorstellungen und Denkmustern auseinandersetzen, die sie gerade bei Verelendeten am wenigsten erwartet hatte. Favelados seien fast ausnahmslos rechts, nicht progressiv orientiert. Brasilianische Soziologen trennten sich auf ähnliche Weise von bestimmten sozialromantischen Vorstellungen. Selbst ein Polizei-Massaker an mindestens 111 Häftlingen in Sao Paulo wird bejaht:“Das war richtig, die da drinnen kosten nur Steuergelder, die müssen alle umgelegt werden.“ Die heutige brasilianische Gesellschaft nennt Marcia Soares „superindividualistisch“. Schüler bieten auch ihr immer wieder Raubgut an, mal einen Fernseher, mal einen Mikrowellenherd.
Lernen in einer Slumkate, geht denn das? Neun, zwölf und mehr Personen leben, schlafen in einem einzigen Raum – unmöglich, ungestört Hausaufgaben zu erledigen. Jüngere Geschwister bekritzeln, zerreißen immer wieder Hefte und Bücher. Das familiäre Chaos erschwert, daß die Kinder lernen, ihren schulischen Alltag zu überschauen und zu organisieren. Fehl –und Unterernährung in den ersten Lebensjahren bewirken bei vielen zudem irreparable Lern-und Konzentrationsschwierigkeiten. Kinder, denen zuhause kaum Grenzen gesetzt werden, sind auch im Unterricht schwer zu bändigen, fehlen sehr häufig. Bekriegen sich rivalisierende Banditenmilizen, rückt gar die Polizei an, rennen selbst dann alle ans Fenster, wenn das Geräusch draußen kein Schuß war. Schülern fordern bisweilen mit vorgehaltener Waffe die Versetzung.
–Machos und Sex—
Joao Ricardo Dornelles, lehrender Soziologe an der Katholischen Universität Rio de Janeiros, nennt den in der brasilianischen Gesellschaft, in den menschlichen Beziehungen tiefverwurzelten Autoritarismus als wichtige Ursache, gar Hauptgrund der hohen Gewaltrate. Favela-Machos sind besonders rücksichtslos. In den Elendsvierteln Recifes gehören die Hütten, Pfahlbauten meist nicht ihnen, sondern den Müttern, sie sind das Oberhaupt der Familien. In häufigem Wechsel, „Rotativa masculina“, ziehen Männer ein, zeugen manchmal ein bis zwei Kinder und gehen dann mit verblüffender Leichtigkeit, ohne Intervall, direkt zu einer anderen, bereits ausgewählten Partnerin. Somit haben die Mütter ihre fünf, acht oder mehr Sprößlinge häufig jeweils von einem anderen Mann – und das nicht nur in Recife. Die dortige angesehene Anthropologin Fatima Quintas nennt diese Machos hochgradig verantwortungslos, ohne familiäre Ethik. „Das Leben in absoluter Misere macht hoffnungslos und nihilistisch, der Machismus wird hingenommen, als wäre er gottgegeben. Der Mann wird sogar idealisiert – er ist oberste Autorität und intelligenter, er baut die Hütte, Backsteinkate, er macht ein Kind, wenn er will, die Welt ist eben so eingerichtet.“ Recifes Favelafrauen haben laut Fatima Quintas eine sehr aktive Sexualität, über siebzig Prozent erleben diese, so unglaublich es scheint, jedoch ohne Lustempfinden und Orgasmus – dieser werde nur beim häufigen Masturbieren erreicht. Sie nennt den Hauptgrund:“Menschen dieses Miserestadiums haben kein Liebesspiel, kein Spiel der Verführung, alles geschieht sehr direkt, als mechanischer Akt. Der Mann kommt müde und oft sehr schmutzig in die Behausung, benutzt so die passive Frau kurz sexuell, dreht sich um und schläft wie sie.“ Promiskuität und auch der häufige Inzest können nicht geheimgehalten werden, daß Töchter mit den Stiefvätern schlafen, ist geradezu häufig. „Sex vor anderen wird akzeptiert, ist kein Problem, es geht ja gar nicht anders.“ Elvira aus einer Favela in Belem:“Ich habe allen meinen elf Geschwistern beim Ficken zugesehen, im Bett, in der Hängematte, auch meinen Eltern. Bin, als ich noch klein war, manchmal richtig nahe rangegangen, weil ich das interessant fand, wie der Schwanz vom Freund meiner Schwester zwischen ihre Lippen fährt, wie sie dabei stöhnt.“ Als sich eine ältere Schwester von ihrem parasitären „faulen“ Macho trennt, mit dem sie mehrere Kinder hat, läßt sich auf der Stelle die fünfzehnjährige Schwester von ihm schwängern.
Wie empfindet Elvira ihr eigenes Sexualleben?“Die Männer vögeln doch alle viel zu schnell, daß es oft sogar wehtut – sie sind selten mal zärtlich,äHängematt vögeln eigentlich für sich alleine. Wenn ich sage, mach langsamer, sagen sie, du weißt nicht, was gut und richtig ist. Die Schwarzen halten sich für die Größten, sind aber noch schneller, noch gröber mit uns. Aber einem Macho sagen, daß er schlecht fickt, nein, das geht nicht in Brasilien. Die kopieren doch alle, was sie in den Pornofilmen sehen, deshalb fehlt immer Gefühl. Man müßte auch die Prostituierten abschaffen – wegen denen sind doch die Männer an Ficken ohne Zärtlichkeit gewöhnt. Und weil die Machos auch noch so oft fremdgehen, sogar mit Männern, stecken sie uns mit Geschlechtskrankheiten, Aids und dem ganzen Zeug an. Es gibt welche, die schwängern gleich drei Frauen zur selben Zeit.“
Mehr Kinder als andere Männer zu machen, so eine Soziologin drastisch, ist für viele Machos ein Wettbewerb. Ebenfalls sehr kinderreiche Zweit-und Drittfamilien bedeuten Prestigezuwachs. Viele Machos verbieten ihren Frauen, Verhütungsmittel zu nehmen – viele Frauen niedriger Bildung sind zudem schlichtweg unfähig, effizient zu verhüten, verhalten sich bewußt-fahrlässig. „Ich bin schwanger, weil Gott das so wollte.“ Natürlich gehört auch in Drittweltländern wie Brasilien das Thema Machismus zu den fast durchweg tabuisierten Seiten der Unterentwicklung.
In Brasiliens Schwarzen-Stadt Salvador da Bahia, von riesigen Slums übersät, lehrt Anthropologe Roberto Albergar an der Universität, ist Machismus-Experte:“Mann sein heißt, die Frauen der eigenen Familie, die eigenen Geliebten maximal zu kontrollieren – und gleichzeitig maximalen sexuellen Zugang zu den Frauen der anderen zu haben, mit der größtmöglichsten Zahl zu vögeln – ob Mutter, Gattin, Tochter – und viele Kinder zu machen. Das ist die Logik des brasilianischen Machismo – besonders in der Unterschicht, also der Bevölkerungsmehrheit anzutreffen.“ Doppelmoral, Ambivalenz gelte auch für Frauen:“Alle sagen natürlich, nur einen guten, verläßlichen, treuen, verantwortungsvollen Mann als Lebenspartner zu wollen – tatsächlich aber bevorzugen sie bad Boys, Hengste, solche starken, ungestümen Machos, die verführen – und verlassen.“ Er könne ruhig fremdgehen, das werde verziehen – solange sie die Hauptfrau bleibe.
Joyce in einem Rio-Slum war mit dreizehn schwanger – die Oma füllte sie mit Haschisch-Tee, heißem Zuckerrohrschnaps voll, um eine Abtreibung zu provozieren – vergeblich. Der Vater schlug sie, trat ihr wenigstens nicht, wie oftmals in den Favelas üblich, in den Bauch – mit der gleichen Absicht wie die Oma. „Als der Kopf unten rauskam, tat das so weh, daß ich aus dem Bett gesprungen bin. Da hat mich meine Mutter verdroschen.“
–Elendsviertel wachsen immer rascher—
Alle acht Tage ein neuer Slum in Sao Paulo – landesweit explodieren die Favelas regelrecht. „Da sieht mans doch – wir kommen hier nie raus, hocken nur immer enger aufeinander. Das ändert sich nie“, höre ich immer wieder. Viele hoffen, träumen, daß es vielleicht den Kindern besser geht – aber dafür aktiv werden, etwa eine bessere Schule für sie suchen? Man wartet fatalistisch ab, daß die „oben“, die Kirche oder sonstwer was anbieten.
–„Sozialprojektchen“—
Eine Favelada hat schon drei Kinder, will sich endlich sterilisieren lassen, Verhütungsmittel sind zu teuer. Sie rennt monatelang von Hospital zu Hospital, auch zu kleinen Gesundheitsdiensten, Ambulanzen, aus Angst, erneut schwanger zu werden – aber alle machens nur gegen Geld. Jetzt kriegt sie das vierte – und weiß, daß damit Essen, Kleidung für alle noch knapper werden – das desillusioniert, frustriert noch mehr. Bohnen und Reis, Reis und Bohnen, Aber helfen sich wenigstens die Ärmsten gegenseitig, damit das Leben in der Favela erträglicher wird, nutzen sie die wenigen Zukunftschancen? „Alle schön gemeinsam, schön solidarisch – so ist das leider nicht – oder nur ganz, ganz selten“, sagen viele in den Favelas von Rio, Sao Paulo oder Belem an der Amazonasmündung. „Cada um por si“ – jeder für sich, lautet die immer wiederholte Verhaltensregel. „Jeder hat so wenig“, meint eine Frau an Fortalezas Peripherie, „und soviel Angst, das bißchen auch noch an die zu verlieren, die garnichts haben. Da sind die Leute eben egoistisch. Von Solidarität wird nur immer viel geredet – aber die gibts kaum, jeder muß für sich alleine zurechtkommen.“ Egal, wer grade an der Regierung ist, so ihre Erfahrung, „a coisa nao melhora“, nichts bessert sich.
Doch, manches schon. Weil es in den meisten öffentlichen Schulen Essen gratis gibt, gehen mehr Kinder gerne dorthin, lernen wenigstens etwas. Die Regierung hat magere Hilfsprogramme gestartet, Lebensmittel werden verteilt, manche Familien erhalten sogar monatlich etwas Geld. Lediglich ein Almosen, das nichts an der Misere ändert, sagen die Kritiker, Arbeitsplätze müßten her. Arnaldo Jabor, Cineast, bekanntester Kolumnist Brasiliens, spricht von „Sozialprojektchen“, nennt sie lächerlich. Die Städte würden von den Slums geschluckt. „Eine Lösung? Vorbei…“
Europäer verstehen kaum, daß Favelados dennoch oft so fröhlich wirken, so viel lachen – viel mehr etwa als Deutsche, Schweizer in ihrem Wohlstand. „Wir sind in der Lage, über unser eigenes Unglück zu lachen, darüber groteske Witze zu reißen; schwarzer Humor, schwärzer gehts nicht“, kommentiert ein Mann, „das ist eine Art Ventil, um damit fertigzuwerden. Wahrscheinlich ist das bei euch anders.“
In europäischen Städten sind Bars, Restaurants, Diskotheken mit Namen wie „Favela chic“ derzeit der Renner – etwas Müll clever postiert, dazu Mulattinnenposter; selbst in Paris findet man das hochexotisch. Kein Hinweis auf die Realität. „Brasiliens Armseligkeit verkauft sich gut in Europa“, bemerkt dazu Rios Qualitätszeitung „O Globo“.

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/18/lulas-rede-auf-deutsch-brasilianischen-wirtschaftstagen-2009-in-vitoria-zeitdokument-die-rolle-einer-regierung-ist-die-einer-mutter/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/21/katholisches-hilfswerk-adveniat-in-brasilien-land-der-vielen-milliardare-und-millionare-wie-es-kommt-das-in-deutschland-muhselig-spenden-fur-bedurftige-und-sozialprojekte-gesammelt-werden-obwohl-d/

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/03/15/brasiliens-slum-sondergerichte-der-banditen-diktatur-in-zeiten-neoliberaler-herzenskalte-video-anklicken/

Die Banditenkommandos unterhalten ebenso wie deren Sondergericht landesweit geheime Friedhöfe – “Verschwundene” gehen laut Landesmedien nicht in die offizielle Mordstatistik ein. 

Der katholische Favela-Priester Luis Antonio Pereira Lopes in Rio de Janeiro im Website-Interview:”Die Polizei kommt in die Favelas und ist morgen wieder weg – doch die Banditenkommandos bleiben.”

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/05/brasiliens-zeitungen-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/

BARBARITYCRACY[1] <#_ftn1>

*Frei Betto

The exodus of the population of the Vigario Geral district in Rio de Janeiro, harassed by the shootings between drug traffickers and the police, has deprived 3071 children from attending school, closed local businesses and stopped the people who live there from the elementary right to come and go.

Fragile Brazilian democracy is threatened in the larger cities. On the margin of the legal State an illegal State is expanding and becoming stronger. Barbarity is present where the government is absent. At most the State marks its sporadic presence with repressive but never administrative strength.

The drug trade reigns in favelas (shanty towns) co-opting children and young people, charging protection from local businesses, administrating dances and sports clubs, severely punishing anyone who breaks the “law of the jungle” and even giving social assistance to neighbours such as finding hospital beds for the sick, purchasing medicine, providing scholarships, fixing household items and enlarging people’s shacks.

On the cities’ periphery, militias, usually dominated by policemen, dictate norms and procedures: they collect money from inhabitants and businessmen, control the supply of gas, monopolise public transport (vans and mini buses) and impose their own candidates on those who vote in elections.

The more remiss the government is in areas densely populated by low income families, the greater is the empire of barbaritycracy – the regime of barbarity imposed through terror.

In their immense majority, inhabitants of favelas and suburbs are honest hard working people as I was able to prove during the five years I lived in the Santa Maria favela in Vitória. However, they are unprotected as citizens. They do not have places for leisure, sport or culture, schools are scrapped, teachers are badly paid (and there are still governments who react to a national standard wage) education is of low quality, public health is atrocious, sanitation is precarious, the number of low income housing built through public financing is minimal.

All we need to do is trace the works that the government puts into effect such as the expansion of the Rio de Janeiro subway to see that the priority is geared to the minority, the middle or high income population. They are the group who are capable of providing election dividends. It is this reduced but powerful segment of the population – the opinion makers – who deserve the best public services. The rest, considered as non existent and left to their own fate are pushed into the arms of scoundrels.

Between the municipalities of Rio de Janeiro and Sao Paulo there are at least two million young people between the ages of 14 and 24.  80% of homicides as well as 80% of the victims come from this group. This proves that urban violence is not due to poverty but to the lack of good quality education.

If the State were to stand firm in these explosive areas through the schools, training programmes and sports and artistic activities, the drug trade would certainly lose its strength in a short time. The drug trafficker himself does not want his son to follow in his footsteps.

When will the government bring about an ample reform regarding the selection and training of civil and military police? How to explain that many government agents commit murder, are involved in the drug trade and in the torturing and stealing of goods found in the hands of delinquents?

Unfortunately culture in Brazil is a luxury for the elite. We only need look at the Ministry of Culture’s budget. The few initiatives depend on the benevolence of businesses which rarely invest in the world of the poor.

This is the most perverse form of privatisation: that which gives drug traffickers and illicit militias the right to act as a State within the State. As everyone knows that they do not limit their actions to low income areas, the middle and upper classes become permanent hostages of the barbarity either due to the fear of the risk of violence or to the compulsory confinement behind the bars of their homes and the need to transform their cars into armoured vehicles.

Just try to imagine the R$60 billion spent every year on private security in Brazil being invested in the education of poor children and youth and in the training of irreproachable policemen!

[1] <#_ftnref1>  Cracy – combining form denoting a particular form of government, rule or influence: autocracy, democracy. (Oxford Dictionary of English)

*Frei Betto is a writer author of “Calendário do Poder” (Calendar of Power) (Rocco).

ABOUT THE AUTOR

He is a Brazilian Dominican with an international reputation as a liberation theologian.
Within Brazil he is equally famous as a writer, with over 52 books to his name.  In 1985 he won Brazil’s most important literary prize, the Jabuti, and was elected Intellectual of the Year by the members of the Brazilian Writers’ Union.

Frei Betto has always been active in Brazilian social movements, and has been an adviser to the Church’s ministry to workers in São Paulo’s industrial belt, to the Church base communities, and to the Landless Rural Workers’ Movement (MST).

Wie Barack Obama den Tropenstaat Brasilien bewertet: “Brasilien ist eine beispielhafte Demokratie. Dieses Land ist nicht länger das Land der Zukunft – die Menschen in Brasilien sollten wissen, daß die Zukunft gekommen ist, sie ist hier, jetzt”.

Rio de Janeiros Waffen-Rap – anklicken: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/07/01/hit-der-fusball-wm-in-sudafrika-rap-das-armas-aus-rio-de-janeiro-musik-des-berlinale-gewinners-tropa-de-elite-anklicken-zeitgeist/

1.? ?Leben im Ghetto? – ?Porträt einer brasilianischen Großfamilie
Armut,? ?Analphabetismus,? ?Zerrüttung
Die nordostbrasilianische Küstenstadt Fortaleza hat etwa soviele Einwohner wie Berlin? – ?doch jeder Dritte haust in den entsetzlichen Slums der Peripherie,? ?weit entfernt von den Touristenstränden.? ?Die Großfamilie Carneiro hat sich dort Stück für Stück eine kleine,? ?provisorisch wirkende Backsteinkate gebaut,? ?die an denen der Nachbarn klebt.? ?Die Kate ist fehlkonstruiert,? ?schwer zu belüften und wird deshalb schon vormittags zum Backofen.? ?Die Vorderfront besteht komplett aus Stahlgitter,? ?immer fest verschlossen,? ?um Attacken von Straßenräubern abhalten zu können.? ?Beißender Gestank von Schweinekot? ?hängt natürlich auch bei den Mahlzeiten in der Luft,? ?weil Anwohner Wand an Wand zu den Carneiros mehrere Borstentiere aufziehen.? ?Hinzu kommen die? ?Gerüche von den Abwässern,? ?den Fäkalien der Familie,? ?die gleich hinter der? ?winzigen? ?Küche in den kleinen Hof aus festgestampfter Erde geleitet werden,? ?dort eine große Schlammlache bilden.? ?Ideale Bedingungen für? ?Kakerlaken,? ?Mücken-und Fliegenschwärme,? ?Spinnen,? ?sogar Frösche und große Kröten.? ?Angesichts solcher hygienischen Verhältnisse wird einem sofort klar,? ?wieso an Slumperipherien wie in Fortaleza immer wieder Epidemien von Cholera,? ?Malaria und Tropenfieber ausbrechen,? ?TBC und Lepra häufig sind.? ?Vater Anysio Carneiro,? ?inzwischen? ?72,? ?ist Analphabet,? ?das Problem ist ihm nicht bewußt,? ?Gespräche darüber sind? ?unmöglich.? ?Derzeit wird nicht nur Rio de Janeiro,? ?sondern auch Fortaleza erneut von einer Denguefieberepidemie heimgesucht,? ?die bereits über? ? hundert Tote gefordert hat.
Mit seiner Frau Lisa,? ?69,? ?die von Indianern abstammt,? ?hat Anysio acht Kinder gezeugt,? ?die längst erwachsen sind und mit ihrer Nachkommenschaft,? ?ausgenommen Sohn Edmir,? ?in Katen ganz in der Nähe wohnen.? ?Acht Kinder? – ?gar nicht so viel.? „?Mein Vater hatte? ?15? ?bis? ?20? ?Kinder,? ?mein Großvater sogar? ?30?“?,? ?rechnet Luis Pereira vor,? ?der ebenfalls an der Peripherie lebt.? „?So fünf bis sieben von den Kindern hatten sie außerhalb der Ehe,? ?immer mit einer anderen Frau.?“
Anysio und Lisa bekommen eine staatliche Rente von zusammen umgerechnet rund? ?330? ?Euro,? ?von der sie notgedrungen an den Rest der? ?meist arbeitslosen Großfamilie reichlich abgeben.? ?Sohn Edmir beispielsweise repariert hinter den Stahlgittern? ?schwarz und recht glücklos Fahrräder,? ?verdient damit pro Monat höchstens umgerechnet sechs Euro.? ?Dickköpfiger? ?Macho wie sein Vater,? ?läßt sich Edmir? ?jedoch? ?auch von seiner eigenen Frau Maria nicht dazu bewegen,? ?nach besseren Gelegenheitsjobs Ausschau zu halten.? ?Maria ist mager und wirkt gehetzt,? ?weil sie jeden Morgen schon nach fünf die Kate verläßt,? ?um nach? ?mehrstündiger Busfahrt an die? ?12? ?Stunden,? ?auch sonnabends,? ?die? ?Hausdienerin in der Mittelschichtsfamilie eines besseren Viertels zu spielen.? ?Für umgerechnet? ?160? ?Euro im Monat? – ?grauenhaft wenig für ihre fünfköpfige Familie.? ?Im Grunde sind es sechs,? ?denn Tochter Celia,? ?15,? ? wurde mit elf Jahren schwanger und? ?brachte ihr Söhnchen? – ?Vater inexistent? ?-? ? zwar in einem kirchlichen Kindergarten unter,? ?ist indessen nicht bereit,? ?wieder in die Schule zu gehen oder? ?sich eine Arbeit zu suchen.? ?Celia hängt fast den ganzen Tag,? ?bis sie das Söhnchen aus dem Kindergarten holt,? ?schlichtweg nur herum,? ?döst,? ?schlägt die Zeit mit Fernsehen tot.? ?Wie Studien zeigen,? ?lebt ein beträchtlicher Teil der brasilianischen Slumjugend so lethargisch-apathisch wie Celia.? ?Nur gelegentlich ist sie verschwunden.? ?Die ganze Großfamilie weiß,? ?daß Celia? ?im schicken Strandviertel mit Ausländern schläft? – ?erklärt dies aber zum Tabu.? ?Celias elfjährige Schwester Cristina wirkt sehr aufgeweckt,? ?droht jedoch in der vierten Klasse sitzenzubleiben.? ?Jeden Tag müßte sie deshalb zu Nachholstunden in ihre öffentliche Schule,? ?geht aber oft nicht hin,? ?schaut lieber Fernsehen.? ?Ihren minimal gebildeten Eltern ist das egal,? ?Vater Edmir,? ?der Fahrradmechaniker,? ?läßt Cristina gewähren.? ?Für alle Fächer hat sie ein einziges Heft? – ?all ihre Hausaufgaben sind voller Fehler.? „?Die Lehrer kontrollieren nicht,? ?die schauen nicht hin,? ?berichtigen nichts.? ?In der Schule schlagen uns Jungen,? ?dort wird man auch beklaut.?“ ?Cristina hat den Kopf voller Läuse,? ?andere Mädchen und Jungen der Großfamilie ebenfalls.? ?Neurobiologen haben festgestellt,? ?daß in Misere oder Armut lebende Kinder erhebliche,? ?irreparable Lern-und Konzentrationsschwächen aufweisen? – ?Cristina ist offenbar ein typischer Fall.? ?Nach außen hin verbreiten die Carneiros brasilianische Fröhlichkeit,? ?scheinen auffällig gelassen mit ihrer Armut,? ?den familiären Problemen umgehen zu können.? ?Doch in Wahrheit ist die Großfamilie tief zerrüttet,? ?sozial verwahrlost,? ?unter Spannung.? ?Auch wegen der vielen Tabuthemen? ?gibt es kaum echten Dialog,? ?echte Gespräche zwischen Älteren und Jüngeren.? ?Als Vater Anysio mitbekommt,? ?daß seine Tochter Isa mit einem Mann flirtet,? ?läßt er beide von Militärpolizisten aus einem Hotel holen,? ?zum Standesamt zerren,? ?erzwingt dort die Eheschließung.? ?Isa ist todunglücklich,? ?will den Mann überhaupt nicht als Lebenspartner,? ?wird von ihm aber? ?sogar mit dem Lederriemen? ?geschlagen,? ?dann geschwängert,? ?in der Stillzeit des Töchterchens Marina weiter verprügelt.? ?Er hat schon eine offizielle Familie mit mehreren Kindern,? ?verschweigt dies auf dem Standesamt.? ?Isa? ?flüchtet schließlich nach Rio,? ?läßt Marina zurück? – ? sie? ?wird? ?von Anysios Frau Lisa großgezogen.? ?Marina wirkt heute bitter,? ?haust mit Sohn und Tochter allen Ernstes in einer Sieben-Quadratmeter-Kate an einer Schnellstraße? – ?in zwei Metern Abstand brettern LKW vorbei.? „?Hier im Slum ist sich jeder selbst der Nächste,? ?hier hilft niemand dem anderen.? ?Das Bretterklo dort draußen teilen wir uns mit zehn anderen Familien.? ?Strom und Wasser sind abgezapft,? ?geklaut,? ?so machen es hier viele.? ?Vom Staat bekomme ich für meinen Sohn eine Hilfe von? ?80? ?Real? – ?davon leben wir drei den ganzen Monat.? ?,? ?das ist unser einziges Einkommen.?“
80? ?Real? – ?das sind umgerechnet etwa dreißig Euro? – ?und das bedeutet für Marina,? ?Sohn und Tochter,? ?beide von verschiedenen Vätern,? ?ein Leben in Misere.? ?Der Aufenthaltsort der Väter ist unbekannt,? ?der letzte Partner Marinas hat sich aus der Kate gerade davongemacht,? ?ohne Abschied.? ?Ivonete,? ?ebenfalls aus der Großfamilie Carneiro,? ?haust in einer winzigen Lehmhütte,? ?hat fünf Kinder von fünf verschiedenen Männern,? ?die stets nach kurzer Zeit verschwanden.? ?Rentnerin? ?Lisa? ?steckt Marina und Ivonete manchmal ein paar Real zu? – ?aber sie hat ja selbst nicht viel.? ?Lisa? ?erträgt ohne Murren,? ?daß Anysio ihr nur selten erlaubt,? ?alleine aus der Kate zu gehen.? ?Wenn er ißt,? ?setzt sich Lisa nicht etwa mit an den Tisch,? ?sondern bleibt stehen,? ?um ihn zu bedienen.? ?Erst wenn Anysio die Mahlzeit beendet,? ?ißt sie auch.? ?Ihre Tochter Geni mit den indianischen Gesichtszügen kritisiert den machistischen Vater heftig,? ?der sie früher oft verprügelte.? „?Die ganze Region um Fortaleza ist von Indiokultur geprägt,? ?doch abgesehen vom Gewalt-? ?Machismus,? ?ist davon das meiste leider verloren gegangen? – ?darunter die Geheimnisse der Naturmedizin.? ?In meiner eigenen Familie wurden viele Geheimnisse und Techniken? ?einfach? ?nicht weitergegeben,? ?erklärt? – ?ich mußte alles durch Zuschauen und Beobachten lernen.? ?Meine Eltern haben keinerlei Bildung? – ?Kinder,? ?die viel fragten,? ?bekamen Schläge.? ?Ja,? ?es fehlt das Gespräch in den Familien.? ?Die Mädchen lernten Sexualität durch Alltagsbeobachtung oder eigene Praxis kennen? – ?was eben zum Desaster,? ?zu den vielen Frühschwangerschaften führt.?“? Widersprüchlich,? ?daß auch in dieser Familie die Jungen viel mehr dürfen als die Mädchen,? ?Rundumbedienung genießen,? ?früh Macho-Allüren kultivieren,? ?richtige kleine Tyrannen und Parasiten? ?sind.? ?Marcio wird auch mit sieben Jahren noch von der Mutter getragen,? ?in den Bus gehoben,? ?wenn er dies fordert? ?– und braucht? ?sich? ?nicht einmal die Schuhe selber zuzubinden.?
Die Großfamilie greift nie zu einer Zeitung,? ?schaut im Mini-Fernseher nie eine Nachrichtensendung? – ?das Thema Politik,? ?ob lokal,? ?regional oder national,? ?existiert schlichtweg nicht.? ?Alle zwei Jahre sind Pflichtwahlen? – ?dann werden die Kandidaten der Sektenkirche? „?Assembleia de Deus?“ ?angekreuzt,? ?zu der die Großfamilie Carneiro gehört.? ?Auf einem Jahreskalender und einem Poster in der Küche sind Sektenpolitiker abgebildet,? ?der bevorzugte TV-Kanal gehört der Sekte.? ?An deren absolutes Alkoholverbot hält man sich in der Kate,? ?während in der Nachbarschaft immer wieder volltrunkene Männer zu hören,? ?zu beobachten sind.? ?Einfachster Zuckerrohrschnaps ist in Brasilien billiger als Milch? ?-? ?in vielen Küchen sehe ich Zehn-Liter-Schnapsfäßchen zum ständigen Abzapfen.? ?Kritik an den Lebensverhältnissen höre ich bei den Carneiros nicht.? ?Seit der Kolonialzeit haben wir eine Kultur der permanenten Anpassung an die Verhältnisse,? ?gibt es gerade in den Slums viel Fatalismus und Passivität?“?,? ?sagt mir der katholische Menschenrechtsaktivist Francisco Whitaker,? ?Träger des Alternativen Nobelpreise,? ?Mitgründer des Weltsozialforums.? „?Nur zu oft halten gerade die Armen Veränderungen für unmöglich,? ?unterwerfen sich freiwillig,? ?statt aufzubegehren.?“? Als der deutschstämmige Kardinal Aloisio Lorscheider in Fortaleza Erzbischof ist,? ?berichtet er mir von der enormen Herausforderung der Kirche,? ?dagegen anzukämpfen.? „?Die Herrschenden,? ?das sind zynisch und skrupellos agierende Clans,? ?wollen weder Macht noch Privilegien abtreten.? ?Deshalb wird das Volk bewußt dumm gehalten,? ?werden Bildungsprojekte verhindert.? ?Denn Ungebildete,? ?Analphabeten wissen nicht,? ?wie sie sich in der heutigen Zeit bewegen sollen.? ?Sie kennen ihre Rechte nicht und fordern sie auch nicht ein.? ?Sie lassen sich fatalistisch treiben,? ?sie verbinden sich nicht mit anderen,? ?sie organisieren sich nicht.?“

3. Sekten in den Slums – haarsträubend unchristliche Gepflogenheiten
Roberto Ramos, Tempel-Küster der Wunderheilersekte „Assembleia de Deus“, lobt vor der tiefreligiös wirkenden Großfamilie Carneiro den Herrgott über alle Maßen. „Er hat mir jetzt sogar die staatliche Hungerhilfe besorgt – ist das nicht wunderbar?“ Alle am großen Eßtisch nicken zustimmend. Gott als Unterstützer unchristlichster Tricksereien? Denn eigentlich wäre heftiger Protest angebracht. Küster Ramos wohnt mit seiner Frau kostenfrei auf Tempelgelände und bekommt von der Sekte einen auskömmlichen Arbeitslohn, hat daher laut Gesetz gar keinen Anspruch auf die Hungerhilfe. Allein in der Straße des Tempels hausen viele in absoluter Misere, hätten die staatliche Hilfe bitter nötig, aber kriegen sie nicht. Auch an der Slumperipherie von Fortaleza funktioniert also die von den Sekten gepredigte „Theologie der Prosperität“, die Idee vom Reichwerden durch Gott, geradezu blendend. „Wer ein üppig-reiches Leben führt“, verkündet Sektenchef Edir Macedo auch in Fortaleza im Fernsehen, „genießt die Segnungen des Herrn.“ Daß Sektenpastoren im Luxus leben, wird akzeptiert und bewundert, nur von wenigen Slumbewohnern verurteilt. Jede Sektengemeinde, so wird mir erläutert, will auf keinen Fall einen Pastor, der aussieht und lebt wie die Leute im Viertel. „Das Volk will einen prosperierenden Pastor, damit man aller Welt sagen kann: Seht, unser Geistlicher wurde wegen seines tiefen Glaubens bereits von Gott reich beschenkt!“ Wenn der eigene Pastor sogar einen superteuren Importwagen fahre, sei das umso besser fürs Image der Slumgemeinde. Die Carneiros haben es bis zu ihrem Tempel der „Assembleia de Deus“, Gottesversammlung, nur ein paar Schritte, nehmen wie alle anderen stets die Bibel mit. Direkt über das Eingangsportal hat ein zur Sekte zählender Privatarzt frech seine große, bunte Praxis-Werbung geklebt, was aber niemanden zu stören scheint. Die Sekte stellt sogar Brasiliens Umweltministerin Marina Silva und ist auch in Fortaleza für ihre ekstatischen Wunderheilungen bekannt. Selbst Krebskranke würden schlagartig genesen, Querschnittsgelähmte aus ihren Rollstühlen aufstehen. Kein Zweifel, die allermeisten glauben das. Nicht ungewöhnlich, wenn ein Assembleia-Priester mit Gläubigen zum Friedhof zieht, eine bereits verwesende Leiche ausgraben läßt und durch eindringliche Gruppengebete versucht, den Toten zum Leben wiederzuerwecken. Mit Menschen extrem niedrigen Bildungsgrades scheint beinahe alles möglich. In den Predigten der Sektenpastoren kommt Politisches, gar soziale Probleme, nicht vor. „Für mich sind das alles scheinheilige Kirchen mit einem Gutteil Gerissenheit“, meint die Gläubige Amelia Nunes, die mir ihr Austrittsmotiv schildert:“Eine hungernde Familie hatte in tiefster Not und Verzweiflung einen reichen Assembleia-Pastor Fortalezas um Hilfe angefleht – doch der hat mit ihnen nur gebetet und sie dann weggeschickt, ihnen weder etwas zu essen noch ein Almosen gegeben. Da war es bei mir aus mit der Gottesversammlung.“ Zuvor habe sie bereits genervt, mit welchem Psychodruck die Pastoren selbst aus den allerärmsten Gemeindemitgliedern den Zehnten herauspreßten. „Wer nicht zahlte, wurde wie ein Aussätziger behandelt, von den anderen Gläubigen im Viertel geschnitten, von den Kulten ausgeschlossen. Sowas ist doch absurd, ein Verbrechen!“ Die katholische Kirche, meint die Dreißigjährige, habe es in den Slums schon wegen des Priestermangels enorm schwer. Die Sekten nähmen dagegen jeden zum Pastor, der geschäftstüchtig sei und gut reden könne. „Die Katholiken wollen von den Slumbewohnern, daß sie aufbegehren, sich sozial engagieren, ihre Lage nicht hinnehmen – die Sekten predigen genau das Gegenteil, Passivität und Anpassung, was schön bequem ist.“ Im Nachbarslum feiert eine Sekte im Hof des Tempels ihr Gemeindefest, als in heißer Tropenluft bereits nach kurzer Zeit der Nachschub an Erfrischungsgetränken und Essen stockt. Unter den Augen des Sektenpastors hatte ein Teil der Gläubigen schlichtweg die Küche geplündert, war mit den gestohlenden Flaschen und Nahrungsmitteln durch den Altarraum auf die nachtdunkle Straße entschwunden. Das Fest war daher bald zuende, der Vorfall fortan tabu. „Die Leute vergessen Solidarität, denken nur an materielle Vorteile – es fehlt Evangelisierung“, hatte Kardinal Lorscheider in Fortaleza beklagt.

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/03/14/brasiliens-atomkraft-ausbau-mit-deutscher-hilfe-mit-der-ublichen-immer-groseren-verspatung-kommen-manche-uralt-fakten-irgendwann-doch-noch-sogar-in-der-deutschen-provinz-an-rio20-und-die-spesenrit/

Joao Ubaldo Ribeiro: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/10/26/die-fakten-widerlegen-das-wir-eine-reprasentative-demokratie-sind-streng-genommen-sind-wir-nicht-einmal-eine-demokratie-joao-ubaldo-ribeiro-bestsellerautor-in-einer-politischen-analyse-am-ta/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/30/brasilien-weiter-land-mit-weltweit-hochster-mord-zahl-stellen-landesmedien-zum-jahresende-heraus-regierungsprojekt-fur-mord-reduzierung-gestoppt-hies-es/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/16/scheiterhaufenstadt-rio-de-janeiro-der-grausame-tod-einer-48-jahrigen-frau-in-der-microondas-laut-lokalzeitung/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/04/21/lulas-crack-kinder-nach-sao-paulo-auch-in-rio-immer-mehr-cracolandias-eine-dosis-crack-umgerechnet-etwa-35-cents-crack-geschaft-stimuliert-kinderprostitution/

“Brasilien ist eine stabile Demokratie und respektiert die Menschenrechte.” Staatspräsidentin Dilma Rousseff bei der Stimmabgabe 2012 in Porto Alegre, laut Landesmedien.

Ungezählte Behinderte hausen in den Slums: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/05/brasiliens-hohe-rate-von-behinderten-2391-prozent-der-bevolkerung-gegenuber-rund-1-prozent-in-hochentwickelten-landern-laut-studien/

Der soziale Aufstieg von Lula: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/04/lula-bekommt-500000-dollar-von-lg-fur-vortrag-in-sudkorea-laut-brasilianischen-landesmedien-uber-eine-million-dollar-damit-vier-monate-nach-ende-der-amtszeit-kassiert-laut-kalkulation-von-parte/

Deutliches Wachstum bei Slums:

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/07/brasiliens-boom-und-die-slumhutten/

Obdachlosenverbrennung:  http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/25/obdachlose-in-sao-paulo-protestieren-gegen-lebendiges-verbrennen-von-strasenbewohnern-und-andere-gewalttaten-in-brasilien-viele-greueltaten-garnicht-amtlich-registriert-obdachlosenvertreibung-bea/

Lynchen eines Busfahrers am Tag des Adveniat-Gottesdienstes in Sao Paulo: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/28/brasiliens-lynchpraktiken-neuester-fall-in-sao-pauloeine-feige-tat-digeane-alves-ehefrau-des-gelynchten-busfahrers/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/01/09/todesschwadronen-in-brasilien-menschenrechtspolitik-unter-lula-rousseff-polizisten-kommandieren-ausrottungskommandos-im-ganzen-land-viel-lob-aus-europa-fur-brasilias-kurs/

http://www.bpb.de/publikationen/JU16H0,0,Vom_Umgang_mit_der_Diktaturvergangenheit.html

Angela Merkel – WM-Besuch 2014 in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2014/06/16/deutsche-bundeskanzlerin-angela-merkel-reist-zur-wm-2014-nach-brasilien-trotz-gravierender-menschenrechtslage-bei-treffen-mit-staatschefin-dilma-rousseff-in-brasilia-waren-schwere-menschenrechtsve/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/01/12/massaker-vor-allem-an-jugendlichen-im-complexo-do-alemao-von-rio-de-janeiro-fakten-unterdruckt-von-autoritaten-betonen-kirchliche-menschenrechtsaktivisten-im-website-interview/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/01/12/aufregung-um-rasche-banditenruckkehr-in-complexo-do-alemao-in-rio-de-janeiro-vertrauliches-dokument-drogenverkaufspunkt-mit-bewaffneten-in-favela-da-galinha-mehr-morde-an-homosexuellen-la/

Hintergrund Favelas – Österreichs Südwind-Magazin:

http://www.suedwind-magazin.at/start.asp?ID=234729&rubrik=31&ausg=200304

Staat im Staate01.10.2002 | Amnesty Journal Artikel | BRASILIEN STAAT IM STAATE In Brasilien haben sich einflussreiche Verbrechersyndikate entwickelt, die vor allem in den Favelas, den Elendsvierteln der Großstädte das soziale Leben kontrollieren. In den über achthundert Favelas von Rio de Janeiro häufen sich Szenen wie diese: Mehrere Dutzend schwer bewaff …

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Ungesühnte Gewaltexzesse01.09.1999 | Amnesty Journal Artikel | Brasilien Ungesühnte Gewaltexzesse In den Armenvierteln der brasilianischen Großstädte gehört der Terror zum Alltag. Bewaffnete Banden, Paramilitärs und die Polizei treiben hier ihr Unwesen. Der Staat schaut zu. Rio de Janeiro, Ende Juli 1999: In Sichtweite des Rathauses und einer Polizeikaserne, ganz in …

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/08/brasiliens-favela-menschenrechtsaktivisten-eliana-takeko-kanashiro-de-araujo-prasidentin-der-associacao-futuro-melhor-sao-paulo/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/13/carla-rocha-mutige-investigative-journalistin-recherchieren-unter-lebensgefahr-gesichter-brasiliens/

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/04/15/brasilien-scheiterhaufen-microondas-bis-2011-auch-rio-favela-mangueira-sitz-der-gleichnamigen-beruhmten-sambaschule-laut-qualitatszeitung-o-globo/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/07/31/globo-serie-uber-die-diktatur-in-den-brasilianischen-slums-erhalt-transparency-international-preis/

Hintergrund: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/16/tropa-de-elite-gewann-goldenen-baren-der-berlinale-politisch-korrekte-mainstream-kritiken-blieben-auf-jury-ohne-wirkung/

China über Rio-Slums: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/06/25/nine-most-horrible-places-in-the-world-favela-slums-von-rio-de-janeiro-aus-sicht-des-bric-staats-china-subkultur-von-umweltzerstorung-armut-und-gangstern-cubatao-bei-sao-paulo-an-sieb/

Deutschlandradio Fazit: Brasilianischer Kulturminister Gilberto Gil besucht Slums…http://www.dradio.de/dlr/sendungen/fazit/337614/

Deutschlandfunk: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/marktundmedien/761337/

Gilberto Gil und die Slum-Diktatur:http://www.swr.de/swr2/programm/extra/lateinamerika/stimmen/beitrag28.html

“Säuberungen” in Slums: 

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/01/05/brasilien-limpeza-sauberung-wie-der-begriff-in-vielen-slums-des-nordostens-in-millionenstadten-wie-fortaleza-gebraucht-wird/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/16/koln-schliest-stadtepartnerschaft-mit-rio-de-janeiro-oberburgermeister-jurgen-roters-reiste-zum-zuckerhut/

Kindersoldaten: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/22/brasiliens-kindersoldaten-junge-kinder-mit-waffen-die-einfach-anderre-kinder-erschossen-haben-die-sie-gerade-mal-schief-angeschaut-habenlesermail/

Martin Sorell: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/05/19/martin-sorell-prasident-der-weltgrosten-werbe-holding-fur-mich-ist-brasilien-bereits-ein-entwickeltes-land-ich-kenne-das-land-gut-nie-war-es-so-leicht-die-marke-brasilien-zu-verkaufen/

Banditen-Terror: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/17/krieg-auf-dem-morro-dos-macacos-von-rio-de-janeiro-youtube-anklicken-bope-im-einsatz/

“City of God”: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/27/city-of-god-drittbester-spielfilm-seit-2000-auf-slash-film-ranking-in-den-usa/

BRASILIEN

Gauck: Von Brasilien lernen

Brasilien bewegt den Bundespräsidenten: Während seines Besuchs zeigte sich Joachim Gauck beeindruckt von der Aufbruchstimmung im Land. Deutschland könne von dem Mut zu Veränderungen lernen. Regierungssender Deutsche Welle 2013

Gauck sieht Kolumbien und Brasilien “auf gutem Wege”/Deutschlandradio Kultur

“Moderne Scheiterhaufen aus Autoreifen”:

-http://www.deutschlandradiokultur.de/moderne-scheiterhaufen-aus-autoreifen.1013.de.html?dram:article_id=167263

Bundesaußenminister Guido Westerwelle 2010 in Sao Paulo:

“Die brasilianische Regierung, mit der Autorität ihrer Erfolgsgeschichte im Hintergrund, sie macht ihr Wort in der Weltpolitik…Aber, meine Damen und Herren, was uns verbindet, das sind gemeinsame Werte. Und wenn man gemeinsame Werte hat, wenn man Ansichten zur Rechtsstaatlichkeit, zur Notwendigkeit internationaler Kooperation, zum Primat des Völkerrechts teilt, so ist das eine ganz besonders verlässliche Basis für eine strategische Partnerschaft. Wir haben ähnliche Vorstellungen über den Wert individueller Freiheit…”

Die Rio-Äußerung 2010 von Bundesaußenminister Guido Westerwelle(FDP), die wegen der grauenhaften Menschenrechtslage in Brasilien besonders aufhorchen ließ:”Erneut lobte Westerwelle in seiner Rede Brasilien als wichtigen “strategischen Partner” Deutschlands. Die Interessen reichten weit über Wirtschaftsinteressen hinaus. “Wir wissen, dass wir im Geiste sehr eng verbunden sind.” (Tagesspiegel) Außenminister Westerwelle traf diese Bewertung vor dem Hintergrund sehr genauer Kenntnis der gravierenden, von Staat und Regierung/Staats-und Regierungsangestellten begangenen Menschenrechtsverletzungen in Brasilien. Dies läßt wichtige Rückschlüsse auf aktuelle Politikziele in Deutschland zu. 

Marianne Birthler, Obdachlose: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/08/27/marianne-birthler-verelendete-brasilianische-obdachlose-an-der-rechtsfakultat-sao-paulos-neben-franziskanerkloster-wahrend-des-expertenseminars-goethe-institut/

http://www.deutschlandradiokultur.de/von-der-buergerrechtlerin-zur-missionarin.1278.de.html?dram:article_id=192551

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/16/brascri-in-der-schweiz-und-in-brasilien-hilfe-fur-kinder-jugendliche-und-familien-des-tropenlandes/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/12/slum-sao-paulos-in-flammen-tv-video-uber-2000-favelas-in-der-megacity/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/05/10/slum-in-sao-paulo-auch-wegen-der-meist-grauenhaften-hygienischen-verhaltnisse-haben-lepra-tbc-denguefieber-etc-in-den-brasilianischen-elendsvierteln-gute-ausbreitungsbedingungen-in-sao-paulo-jahr/

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/29/brasilien-leben-im-slum-favela-do-moinho-in-sao-paulos-innenstadt/

http://www.bpb.de/internationales/amerika/brasilien/gesellschaft/185280/das-oeffentliche-gesundheitssystem

“Wahnsinn Sao Paulo” – Fotos von Carlos Cazalis über Favela do Moinho:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/30/brasilien-der-wahnsinn-heist-sao-paulo-oocupy-sao-paulo-sao-paulo-ist-dreckig-uberbevolkert-und-je-weiter-man-rausfahrt-desto-grauer-wird-es-der-world-press-award-preistrager-carlos/

 

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/28/brasilien-nach-acht-jahren-lula-regierungwarum-hat-sao-paulo-noch-2627-slums-fragt-die-wichtigste-qualitatszeitung-o-estado-de-sao-paulo/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/16/brasilien-die-favela-paraisopolis-in-sao-paulo-tu-graz-achitektur-fakultat/

http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/terror-rap-statt-samba/763272.html

Warum ließ man Banditenkommandos problemlos entkommen? http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/26/rio-de-janeiro-bewohner-diskutieren-warum-polizei-und-armee-die-banditenkommandos-problemlos-entkommen-liesen-unerklarlich-weiter-guerrilhataktik/

Irak-Vergleichsfotos: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/26/irak-ist-hier-tageszeitung-von-rio-de-janeiro-publiziert-vergleichsfotos/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/25/rio-de-janeiro-polizeipannen-ohne-ende-tv-helikopter-zeigt-live-lange-zeit-uber-250-schwerbewaffnete-slum-banditen-wahrend-die-spezialeinheiten-unfahig-zu-entsprechendem-eingreifen-sind/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/28/katia-und-nem-rapperinnen-von-der-slumperipherie-rio-de-janeiros-die-geschlechterbeziehungen-der-macho-gesellschaft-gesichter-brasiliens/

Hintergrundtext

Köpfen, vierteilen, lebendíg verbrennen.

Luxus und Elend von Rio.

Reinaldo Guarany, Stadtguerrilhero im Ruhestand, weiß, wie man mit Maschinenpistolen umgeht. 1970, wãhrend der Militärdiktatur, richtet er eine in Rio auf die Bewachertruppe des deutschen Botschafters Ehrenfried von Holleben.  Setzt sie mit einigen Feuerstõßen außerGefecht, reißt den verdatterten Dlplomaten aus seiner Luxuskarosse, packt ihn mit Hilfe eines Companheiro in eine nach Chloroform duftende Holzkiste. Die Entführung gelingt, von Holleben kommt frei, nachdem 40 Gegner der Foítergeneräle aus den Verließen geholt und nach Algerien ausgeflogen worden sind.  Deutsche, belgische oder nordamerikanische Maschinenpistolen, die Guarany seinerzeit vom chilenischen Exil aus für die Guerrilla in Argentinien, Uruguay und Brasiiien importierte, faßt der inzwischen úber 50-jährige heute nicht mehr an,sieht sie indessen alleTage, nurSchritte von seinem Hãuschen entfernt, auf sich gerichtet. Wir fahren eine enge steile Straße des malerisch wirkenden Bergstadtteils Santa Teresa hinunter – an der ersten Biegung blinkt bereits eine verchromte MPi. In fünfzehn langen Minuten, bis ein verkeilter LKW endlich weiterkommt, brauchte der nur mit Shorts bekleidete 12-jährige nur einmal durchzuziehen, und alle im Auto wären hinüber.  Guarany wird nicht ein bißchen mulmig: ,,Noch vor zwei Jahren habe ich hier viele Jungs Murmeln spielen sehen, die mir heute mit MPis begegnen – sie wurden Soldados des organisierten Verbrechens, prahlen damit herum, rühmen die Banditenchefs ais ihre Helden!”Die Zeiten haben sich geändert – seit 1985 ist Brasilien wieder eine Demokratie, und Entführungen von Geldleuten, nicht mehr Diplomaten und Politikern, wurden in Rio so hãufig, daß sich kaum noch jemand darüber aufregt und die Medien längst nicht mehr alle Fälle registrieren. Der illegale Besitz von eingeschmuggelten Mpi stieg enorm.  ,,Wáren wir damals nur fünfzehn Minuten bewaffnet in Santa Teresa auf der Straße geblieben”, so Guarany bitter-humorig, ,,hätten die sicher sogar ein Kriegsschiff hierher in die Berge geschickt.”Einen Steinwurf von Guaranys Häuschen entfernt,beginnt das pompöse Anwesen einer der reichsten Familien Brasiliens, die ein Bataillon von Hausbediensteten beschäftigt.  Schaut deralsRomanschreiber.Fachbuchautor, Ghostwriter, Úbersetzer, Rechtsexperte, Betriebswirt und auch noch erfolgreicher Bildermaler vielbeschàftigte Ex-Guerrilheiro dagegen von seinem Balkon die Santa-Teresa-Berge hinunter, sieht er nur Slums, Favelas, die wie sämtliche rund 800 Rios in Feudalmanier grausam wie im Mittelalter von Herren úber Leben und Tod regiert werden.  Manche lassen sich sogar die Füße küssen, haben mit Dutzenden von Geliebten Dutzende von Kindern, erhalten Heldenbegräbnisse. Banditenchefs mit Namen wie Rambo oder Robocop und Minireichen wie Ratolândia(Rattenland) oder Buraco Quente (Heißes Loch) dinieren in den besten Restaurants, kaufen in den teuersten Boutiquen der Mittel- und Oberschichtsviertel Ipanema, Leblon oder Barra, benutzen nicht selten sogar Computer, Laptop und Internet, haben indessen keine Hemmungen, Mißliebige, vom Normendiktat abweichende Slumbewohner zu kastrieren, zu köpfen, zu vierteilen, aufzuspießen oder sogar lebendig zu verbrennen.lm Slum Vidigal, der direkt an das Sheraton-Hotel grenzt, ließ Banditenboß Giovani zwei 14-jährige Màdchen von seinen meist minderjährigen Soldados aus ihren Baracken holen und auf die wichtigste Favela-Straße, die Avenida Presidente João Goulart bringen.  Dort wurden ihnen vor allen Leuten die Füße durchschossen.  Sie hatten gewagt, einem anderen, mit Giovani verwandten Mädchen eine Ohrfeige zu verpassen, weil es mit dem neuen Freund einer der beiden ausgegangen war.  Ein Bewohner kommentíerte: “Die beiden baten, bei der Liebe Gottes, nicht zu schießen, aber das half nichts. Hier ist es so. Wer sich nicht an die Regeln hält, hat die Strafe sicher.” Zu den Regeln gehört das “Lei do Silencio”, Gesetz des Schweigens: Zu niemandem ein Wort über Favela-Vorgänge!Zuvor verdächtigt Gringo, ein anderer Neofeudalist von Vidigal – den Bewohner Boca Mole, für die Polizei zu spionieren. Zeugen sehen, wie dem Mann mit einer Zange die Zunge herausgerissen und mit einem Messer die Ohren abgeschnitten werden. Zunge und Ohren werden auf öffentlichem Platz fúr jedermann sichtbar an einem Pfahl angenagelt.Nebenan in Ipanema, stimuliert derartiges keinen aus derreichlich vertretenen intellektuellen Elite mit den Sorbonne-und Harvard-Diplomen zu tieferem Nachdenken, Reflektieren oder gar zu einer Aktion. Staatschef FernandoHenrique Cardoso, Soziologe, und seine Frau Ruth, Anthropologin, úbergehen das Thema schließlich auch mit Schweigen. Die Boys und Girls from Ipanema, viele davon Uni-Studenten, mucksen sich gleich gar nicht. Sie haben Wichtigeres, Hehreres im Auge – für das Recht auf freien Marihuana-Konsum am vielbesungenen, weltbekannten Strand wurde mit allen politischen Mitteln, darunter Demos, Pfeifkonzerte, Flugblattaktionen und sogar Rund-Tisch-Gesprãche mit Politikern und Intellektuellen heftig gekämpft, die Presse war voll davon. Daß Marihuana (und die anderen ebenso rege verbrauchten Modedrogen wie Kokain und Crack) nur von moralisch-ethisch einwandfreien Lichtgestalten wie Giovani, Gringo und dessen Anhang zu haben ist, die freundschaftliche Beziehungen zu den immer unentbehrlicheren, sozial zusehends aufgewerteten Dienstleistern vom nahen Hügel als Kehrseite, Nebenprodukt das Terrorregime in den Slums haben, fällt dabei glatt unter den Tisch. Charles Fábio Vidal, 18, wollte in der an einem Steilhang úber Ipanema gelegenen Favela ‘Morro do Cantagalo’ kein Soldado an den von Studenten, Alternativen und Jungunternehmern frequentierten Drogendepots sein – zur Strafe durchschossen ihm die Banditen seines Slums die Hände mit einem Revolver. Wer die Rekrutierung ablehnt, kann sogar getòtet werden. In einem Slum der Nordzone wurden nicht weniger ais 21 Jugendlichen nach Folterungen die Hánde mit Schüssen perforiert Alba Zaluar, Brasiliens führende Gewaltexpertin, eine Art einsame Ruferin in der Wüste, sieht in den rasch wachsenden Slums eíneneue tyrannische Kultur feudalistisch-machistiscner Werte inzwischen fest installiert. Von den Autoritäten werde dies hingenommen.Ex-Guerrilheiro Guarany geht noch einen Schritt weiter – spricht von einer “Komplizenschaft des Staates” mit den Drogengangstern dês organísierten Verbrechens. Diese sind übrigens verrúckt nach importierten Brutalo-Filmen, holen sich aus ihnen womõglich Anregungen: Ein Geistlicher sieht, wie in einem Slum Rios mit einem abgehackten Kopf Fußball gespielt wird. Eine Rechtsanwältin kennt einen Zeugen, der ihr berichtete, wie inmitten von Freiluft-Discos Jugendliche lebendig  verbrannt wurden. Derartiges tat auch der 1995 von Rivalen erschossene Gangsterboß Nem Maluco: Ais die Eltern einer Jugendlichen nicht einverstanden waren, daß er ihre Tochter zur Geliebten machte, befahl er Kumpanen, ein großes Loch zu schaufeln.  Die Eltern wurden gezwungen, sích hineinzulegen.Nem Maluco úberschüttete sie mit Spiritus, ließ sie ver-brennen. Der Geruch verkohlten Fleisches zog úber dieFavela – doch jedermann blieb aus Angst passiv in seinerHútte. Ein Mädchen wollte sich nicht hingeben – derGangsterboß einer anderen Favela schlitzte sie daraufhinvon unten bis oben mit einem Messer auf. Leichen sollenoft zwecks Abschreckung ím Gassenlabyrinth liegenbleiben- jedermann jeden Alters muß mit ansehen, wieGeier und freilaufende Schweine diesen die Gedärme meterlang herauszerren, die Toten schlíeßlích ganz oder  teílweíse auffressen.Die Liste von nahezu unvorstellbaren Untaten läßt sich beliebig verlângern. Jurandir Freire Costa, Therapeut und Direktor des Instituts für Sozialmedizin an der Universitát von Rio, hat eine Erklärung fúr das Desinteresse der Bessergestellten Rios, Sao Paulos, Salvadors oder Fortalezas am Los der Slumbewohner: Die Mittel- und Oberschicht spricht diesen den Gleichheitsgrundsatz ab, definiert sie quasi ais Nicht-Menschen, reagiert daher mit extremer Indifferenz und Akzeptanz auf jede Art von Gewalt gegen diesen Bevölkerungsteil. Daß Slumbewohner kaum ein Minimum an Menschenrechten genießen, ist somit irrelevant.

http://www.hart-brasilientexte.de/tag/brasilien-morro-do-dende-waffen-rap/

Texte: “Na Arte do Sexo” – http://vagalume.uol.com.br/mc-katia/na-arte-do-sexo.html

http://vagalume.uol.com.br/mc-katia/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/03/05/politischer-rap-aus-brasilien-die-racionais-mcs-sprode-authentische-slum-poesie-frei-von-oder-politischer-korrektheit/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/12/brasiliens-erotischer-sex/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/02/sex-in-brasilien-wissenschaftler-warnen-fette-latinos-vor-erektionsproblemen-haufige-klagen-von-frauen-uber-gordos-barrigudos-viagra-hipocrisia-sexual/#more-2811

IpanemaMordKonsul22
“Deutscher Diplomat erschlägt Ehemann”. BILD 2022
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Wer längere Zeit in Brasilien mitten unter Brasilianern in Wohngebäuden lebt – und nicht etwa isoliert in Einzelhäusern, Villen wie so oft, erlebt zwangsläufig die vielen Facetten von Gewalt zwischen Beziehungspartnern, Eheleuten etc. aus nächster Nähe mit – ob in Rio oder Sao Paulo. Denn es prügeln sich keineswegs nur heterosexuelle Paare. Offenbar genauso häufig kommt es zwischen Lesben zu stundenlangen Gewaltausbrüchen, wobei man nicht selten  zumindest Ohrenzeuge wird, wie eine ganze Wohnungseinrichtung zu Bruch geht. Bewohner des Gebäudes versammeln sich dann gewöhnlich vor der Tür des betreffenen Appartements und fordern lautstark, mit Rücksicht auf Kinder, auf Personen, die am nächsten Tag zur Arbeit müssen und den Nachtschlaf brauchen, endlich mit dem Gewaltexzeß aufzuhören. Gelegentlich wird die Polizei gerufen. 
Homosexuelle berichten, daß unter ihnen Gewaltausbrüche ebenfalls üblich und häufig sind. Bekomme beispielsweise ein Partner mit, daß ihn der andere betrüge, sei dies einer von verschiedensten Anlässen, um sich zu prügeln, gar mit dem Messer aufeinander loszugehen. Da es sich um erwachsene, häufig guttrainierte Männer handele, werde die Schlägerei mit hohem Krafteinsatz ausgetragen, dabei nicht selten die Wohnungseinrichtung total zerstört, gebe es sogar Tote, Schwerverletzte. Nicht nur Männer verhielten sich in Brasilien gewaltmachistisch, sondern eben auch Frauen, wird einem erklärt. Bereits Kindern werde der Machokult von den Eltern beigebracht – keineswegs nur in der Unterschicht. Väter zeigten den Töchtern explizit den Penis des nackten Bruders und belehrten: “Schaut hin, das ist ein echter Macho!” Der Machokult stamme aus der Indianerkultur, heißt es.
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“Das Leben in Brasilien ist leicht und unbeschwert. Probieren Sie es selbst.” Wie die Tourismusindustrie in ganzseitigen deutsprachigen Anzeigen die Lage in Brasilien charakterisiert.

Mittelschicht und Slums: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/08/07/wie-tickt-eigentlich-brasiliens-mittelschicht-die-classe-media-ein-genialer-song-von-max-gonzaga-auf-youtube/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/06/08/jurandir-freire-costa-therapeut-professor-an-der-staatsuniversitat-von-rio-de-janeirouerj-in-brasilien-herrscht-ethisch-moralische-schizophrenie/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/04/the-worlds-happiest-cities-forbes-rio-de-janeiro-top-of-our-list-good-humor-good-living-carnaval/

Filmemacher Paulo Lins(City of God): http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/20/paulo-lins-gesichter-brasiliens/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/03/09/das-menschenrecht-auf-personliche-sicherheit-unter-lula-die-deutsche-botschaft-in-brasilia-informiert/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/14/steinigen-im-iran-unter-ahmadinedschad-und-in-brasilien-unter-lula-lula-konnte-sich-uber-die-tatsache-beunruhigen-das-brasilien-zu-den-landern-gehort-in-denen-am-meisten-gelyncht-wird-jose/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/07/16/olympia-stadt-rio-de-janeiro-verirrte-kugel-totet-elfjahriges-slumkind-mitten-im-unterricht-fast-taglich-werden-brasilianer-opfer-von-balas-perdidas-schul-und-sicherheitspolitik-unter-lula/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/17/polizeihubschrauber-explodiert-bei-slum-einsatz-in-rio-morro-dos-macacos/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/25/banditenorganisationen-in-rio-de-janeiro-wer-herrscht-wo-stadtkarten-anklicken-satellitenfotos-nutzen/

Stadtkriegsfront Sao Paulo: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/29/berichte-direkt-von-brasiliens-stadtkriegsfront-romanautor-ferrez-aus-sao-paulos-slumregion-capao-redondo/

“Salve geral” in Sao Paulo: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/02/salve-geral-der-trailer-anklicken-marisa-feffermann-tribunal-popular-ferrez/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/19/httpwwwrechtsanwalt-brasiliende-anwalte-infur-brasilien/

Lula in Berlin – brasilianischer Systemkritiker “rasch entfernt” aus Veranstaltung:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/12/07/brasiliens-ex-prasident-lula-in-berlin-diskussion-mit-frank-walter-steinmeier/

Ruffato-Rede: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/10/08/frankfurter-buchmesse-2013-eroffnungsrede-des-brasilianischen-schriftstellers-luiz-ruffato-aus-sao-paulo/

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/10/09/frankfurter-buchmesse-in-brasilien-scharfe-expertenkritik-an-buchmessen-auf-denen-anders-als-in-deutschland-bucher-verkauft-werden-messe-wie-gang-ins-shopping-center/

Luiz Ruffato – erst mit über einem Jahrzehnt Verspätung in Deutschland “wahrgenommen” – was war da los?:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/10/08/frankfurter-buchmesse-2013-luiz-ruffato-mit-uber-einem-jahrzehnt-verspatung-vom-deutschen-feuilleton-und-literaturbetrieb-letztlich-doch-noch-wahrgenommen-wie-lange-es-dauert-bis-sich-brasilia/

Bundespräsident Joachim Gauck – Reise nach Brasilien 2013:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/17/brasilien-historischer-besuch-des-deutschen-bundesprasidenten-joachim-gauck-im-tropenland-trotz-gravierender-menschenrechtslage-folter-todesschwadronen-gefangnis-horror-sklavenarbeit-etc-b/

Joachim Gauck im Mai 2013:  ”Und zweitens ist der weitere Erfolg Brasiliens auch deswegen für uns eine Chance, da Brasilien unsere Werte – Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit – teilt und seine wirtschaftliche Potenz in den Dienst auch dieser Werte stellt.”

Morde an systemkritischen Journalisten in Brasilien – kein Wort darüber bei der Buchmesseeröffnung 2013: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/01/30/brasilien-unter-lula-rousseff-auf-pressefreiheit-ranking-weiter-abgesturzt-nur-noch-platz-108-mali-platz-99-uganda-platz-104-guatemala-platz-95-nicht-zufallig-soviel-lob-aus-mitteleuropa-fur-bra/

Gilberto Gil als Kulturminister:  http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/22/kulturminister-gilberto-gils-amtszeit-eine-grausige-bilanz-fur-brasilien/

Luiz Ruffato, Mitglied der offiziellen brasilianischen Buchmesse-Delegation, in der Neuen Zürcher Zeitung 2013: 

  ”Allerdings sind wir im Alltag noch immer mit einer institutionalisierten Barbarei konfrontiert, die sich nicht nur in einer konstanten physischen Bedrohung, sondern auch in der Korruption und in der absoluten Missachtung des menschlichen Lebens äussert. In Brasilien ist der Begriff des «wilden Kapitalismus» keine Metapher.”

Berichte aus BrasilienFavela-SchicksaleKaum Hoffnung auf bessere Zeiten in den Großstadtslums„Zukunft? So Gott will…“

 

„Arm, aber glücklich“ – lautet eines der unzähligen Klischees über Brasilianer, deren überschäumende Lebensfreude, Zukunftsoptimismus einfach unschlagbar seien. Seit Jahresbeginn ist der ehemalige Gewerkschaftsführer Luis Inacio „Lula“ da Silva Staatschef des größten lateinamerikanischen Landes – gerade die Verelendeten in den gigantischen Slums, „Favelas“ der Großstädte, heißt es in den Medien, hofften jetzt wie nie zuvor auf eine bessere Zukunft. Gespräche mit jenen „Favelados“ sind jedoch mehr als ernüchternd – statt Aufbruchsstimmung nach wie vor überwiegend Pessimismus und Apathie.„Nichts wird besser – die Reichen Brasiliens lassen nie zu, daß Lula irgendwas ändert, uns hier rausholt“, sagt Eloisa; mit ihren vier Kindern, ihrer Bretterhütte zwischen den Fronten im „Guerra urbana“ der Peripherie von Sao Paulo, drittgrößte Stadt der Welt, reichste Südamerikas, mit über zweitausend Slums. Wenn ein Tropengewitter runtergeht, und das passiert oft, laufen Scheiße, Urin und andere Abwässer des Elendsviertels in ihre „Barraca“ und die der Nachbarn; wenn sich die beiden rivalisierenden Gangstermilizen der Region ein Feuergefecht liefern, verstecken sich die Kinder unterm Bett, gehen bei der ersten Mpi-Salve so routiniert wie Eloisa und ihr jetziger Lebensgefährte in die Horizontale. „Andauernd machen die Drogenbanditen hier Ausgangssperre – dann dürfen wir sogar bei Affenhitze nicht mal den Kopf aus der Tür stecken – oder sind geliefert – die legen jeden um, der sich nicht dran hält!“ Über achthundert Tote monatlich an der Peripherie Sao Paulos – mehr als in den aktuellen Konfliktherden dieser Erde – weit über vierzigtausend jährlich in ganz Brasilien. Aber jetzt ist Lula doch auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte, könnte seine Soldaten losschicken, euch von dem Terror der neofeudalen Milizen befreien, damit dieses ewige Morden aufhört? „Das schafft Lula nicht – die Verbrechersyndikate haben mehr Macht, und die Reichen auf ihrer Seite. Alle haben Angst vor denen – auch Lulas Arbeiterpartei!“ Bei der hat Eloise sogar ein paar Jahre richtig aktiv mitgemacht, auf die – und auf Lula – läßt sie nichts kommen. „Der ist in Ordnung, einer von uns, der weiß, wie Hungern ist – aber was kann er schon machen? Eine richtige Revolution müßte es geben, da würde sich wirklich was ändern – aber sowas bringen die Brasilianer nicht fertig, dazu sind die viel zu träge.“ In den Nachbarhütten hatten die Leute gedacht, Lula zieht in den Präsidentenpalast ein, und tut sofort längst Überfälliges, kommt den Favelados gleich zu Hilfe, läßt Medikamente verteilen. „Schrecklich, mitansehen, miterleben zu müssen, wie Kinder, Erwachsene der Familie neben einem in den engen Barracas dahinsiechen, wegsterben, weil Pillen gegen Hepatitis, Diabetes, Bluthochdruck, andere Krankheiten, eben unerschwinglich sind.“ Das desillusioniert, raubt Zukunftshoffnungen. Hunderttausende Favelados enden so jährlich – systemkritische Mediziner nennen es „Projeto genocida“. Doch dann merkten die Nachbarn Marias – schon im Januar wurden Nahrungsmittel, Bus und Vorortbahn sprunghaft teurer – und Lula unternahm nichts. Sozialprogramme wurden drastisch gekürzt. Zwar soll der erbärmliche Mindestlohn, den kaum ein Favelado bekommt, umgerechnet nur etwa sechzig, siebzig Euro, angehoben werden, aber deutlich unterhalb der Teuerungsrate. „Jetzt, wo er im Palast ist, einer von denen ganz oben, hat er uns wohl vergessen“, sagen Eloisas Nachbarn, „da wird wohl nicht mehr viel passieren.“ Aber ein bißchen Hoffnung haben sie noch. Eloisa entschuldigt alles, was sie an Lula kritisieren – daß die Drogenbosse und ihre schwerbewaffneten Milizen sich in Favelas wie Sapopemba, Elba, Pantanal wie Herrscher über Leben und Tod aufführen, ist für sie unabänderlich, wie ein Naturgesetz. „Das ändert sich nie.“ Als vor über zwei Jahren Marta Suplicy von der Arbeiterpartei zur Präfektin der Megametropole, mit den meisten Milliardären, Millionären Lateinamerikas, gewählt wurde, hatten sich viele in den Slums, so wie jetzt, Hoffnungen gemacht. Die sind schnell zerstoben – außer ein bißchen Sozialkosmetik hier und da blieb alles gleich – auch der Milizen-Terror. Zu einer PT-Präfektur-Arbeitsgruppe, so Eloisa, gehört auch die Mutter mehrerer Favela-Gangsterbosse, hat in Slum-Angelegenheiten das letzte Wort:“Ich glaube nicht, daß meine Söhnchen das akzeptieren werden…“Manche minderjährigen Kindersoldaten, bekannt und gefürchtet, killten bereits bis zu vierzig Menschen. „Das ist hier eine Art Bürgerkrieg, gar nicht mal so anders wie damals in Afghanistan, als ich klein war“, sagt Maryam Alekozai, Anfang zwanzig, die in einem Slumprojekt Sao Paulos arbeitet, größtenteils in Deutschland aufwuchs, mit ihrer Familie wegen der Mujaheddin aus Kabul flüchten mußte. „Hier ist ein Genozid im Gange“, urteilt der katholische Padre Jaime Crowe in der Favela Jardim Angela.MigrantenbiographienIn Sao Paulo leben mehr „Nordestinos“ als in Nordost-Millionenstädten wie Recife, Salvador oder Fortaleza – alle zugewandert, aus Not, Hoffnung auf irgendeine Arbeit, ein besseres Leben. Die allermeisten kamen aus Favelas – hausen in Sao Paulo wieder dort. So wie Maria und ihre zwei Schwestern, ein Bruder – die sich in der Barraca einen einzigen Raum mit den beiden kleinen Kindern teilen. Väter? Nicht präsent. Alle machen Aushilfe – Handlanger, Putzfrau, Wäscherin, Straßenverkäufer; arbeiten wie über sechzig Prozent der Brasilianer ohne Vertrag, unregistriert, auch sonnabends, sonntags. Eine Schwester prostituiert sich zwei, dreimal im Monat, schläft mit verheirateten Japanern der Mittelschicht, für ein paar Real. „Da komme ich wenigstens mal raus hier, die nehmen mich mit in ein Stundenhotel, das ist wie Paradies, mit Abendessen. Wenn das immer so weiterginge, wäre ich mit dem Leben zufrieden. Mehr ist doch für unsereinen nicht drin. Und hier in der Favela gibts doch nur brutale Machos, jeder hört, wenn irgendwo einer vögelt, die eigenen Kinder kriegens mit, sehen oft sogar zu.“ Wegen ihrem „Nebenjob“ sind Maria und die anderen erleichtert, weil er die Haushaltskasse der „Barraca“ aufbessert. „Wenn ich jeden Tag das Essen für mich und die Kinder auftreibe, bin ich schon zufrieden, mehr will ich eigentlich gar nicht.“ Für sie ist das viel, jedesmal ein enormer Sieg; Träume, große Hoffnungen hat sie nicht. Aber so viel Fatalismus in der Stimme, daß es wehtut, wie bei anderen Favela-Gesprächen. Einmal im Jahr besucht Maria die Eltern, die anderen fünf Geschwister an der Peripherie von Recife – ist immer entsetzt:“Wie könnt ihr so leben, die Lehmhütte steht viel zu nahe am Kloakefluß, das ist gefährlich!“ Der Vater, die anderen kontern:“Wo sollen wir denn sonst hin?“ Im kraß archaischen Nordosten hofft erst gar keiner auf Politiker, Gouverneure, wählt den, der T-Shirts, Nahrungspakete verschenkt. „Se Deus quiser“ – so Gott will, ist die Standardphrase von Lula – „So Gott will, ändert sich was“, sagen die meisten Favelados, erscheinen tiefreligiös. „Nur Gott kann mir helfen – wir leben hier so, weil Gott es eben so wollte.“ Nicht die Linie der katholischen Kirche, befreiungstheologisch orientiert, beständig darauf aus, die Verelendeten zu mobilisieren, aus ihrer Apathie und Lethargie zu holen. Doch das gelingt nur punktuell, zumal in den Favelas Sekten dominieren. „Du wirst in so einer Hütte geboren, kaum was zu essen, du siehst, daß deine Eltern nicht vorankommen, nur Schläge einstecken, irgendwann aufgeben, müde werden. Und da wirst du auch pessimistisch, machst dir keine Hoffnungen mehr,“ meint Maria. Ihre Schwester, fünfzehn, inzwischen mit einem Baby, von wem, weiß sie nicht, winkt ab:“Da wurde ein Berufskurs gratis angeboten – doch ich hatte das Geld für den Bus nicht, mußte dorthin über eine Stunde laufen, bei Hitze. Mittendrin bin ich vor Erschöpfung ohnmächtig geworden, hatte ja nichts im Bauch. Ich habe so geheult deswegen, das wäre eine Chance gewesen – aber ich habe aufgegeben.“ So viele Barrieren für Favelados, die lethargisch, apathisch machen. „Wie soll ich denn mein Leben verbessern, hier rauskommen, wenn ich nicht mal den Bus bezahlen kann, um irgendwo dort, wo es vielleicht Arbeit, Kurse gibt, nachzufragen?“ Marias Eltern sind Analphabeten, ihre Geschwister der Recife-Favela Halbanalphabeten, kaum zu begrifflichem, abstraktem Denken fähig, überfordert mit simplen Gebrauchsanweisungen, Einnahmevorschriften auf Medikamenten, gar Verhütungsmitteln. Sie könnten mit anderen Favelados rebellieren, zu den Vierteln der Reichen, zum Gouverneurspalast ziehen, auf ihre Rechte pochen, damit sich was bessert, die perverse Einkommensverteilung aufhört – Brasilien ist schließlich ein reiches Land, unter den zehn, zwölf führenden Wirtschaftsnationen.“Wenn du Hunger hast, fehlt dir der Antrieb, aus der Hütte zu gehen – wegen Hunger, Elend protestiert hier in Brasilien keiner“, meint ein Jugendfreund Marias, der einst mit ihr einen kleinen Analphabetisierungskurs aufzog, als „Roter“ verschrien war, vom eigenen Vater deshalb immer wieder Dresche bekam. „Die im Slum hier denken nicht politisch – Wut oder Haß auf die Reichen, die schuld sind an der Misere – das kennen die Favelados nicht – die denken, das sei normal so, schon immer so gewesen.“ Die Politiker, die Reichen, das Fernsehen, so meint er, vermitteln den Verelendeten, daß sie es nicht schaffen, nie weiterkommen im Leben, nie aufsteigen. Zukunft – das sei was für die in den besseren Vierteln der Strandzone, wo viele Favelamädchen als Hausdienerinnen schuften.Elendsviertel wachsen immer rascherAlle acht Tage ein neuer Slum in Sao Paulo – landesweit explodieren die Favelas regelrecht. „Da sieht mans doch – wir kommen hier nie raus, hocken nur immer enger aufeinander. Das ändert sich nie.“ Viele hoffen, träumen, daß es vielleicht den Kindern besser geht – aber dafür aktiv werden, etwa eine bessere Schule für sie suchen – das beobachtet er nicht. Man wartet fatalistisch ab, daß die „oben“, die Kirche oder sonstwer was anbieten. Manche Kinder, Jugendliche, weiß er, legen irgendwo jemanden um, haben dann auf einmal neue Marken-T-Shirts und Jeans an, kaufen Nike-Turnschuhe, stopfen sich bei McDonalds voll. Oder machen ständig bei den Gangstermilizen mit, verdienen richtig gut Geld, haben Prestige, Macht in der Favela, gut fürs Ego. Wissen aber – ewig geht das nicht gut. Zwanzig Millionen illegaler Waffen sind in Brasilien im Umlauf. „Alt werden die nicht, spätestens mit fünfundzwanzig sind die hinüber, liegen irgendwo mit zersiebten Gehirn.“Eine Nachbarin hat schon drei Kinder, will sich endlich sterilisieren lassen, Verhütungsmittel sind zu teuer. Sie rennt monatelang von Hospital zu Hospital, auch zu kleinen Gesundheitsdiensten, Ambulanzen, aus Angst, erneut schwanger zu werden – aber alle machens nur gegen Geld. Jetzt kriegt sie das vierte – und weiß, daß damit Essen, Kleidung für alle noch knapper werden – das desillusioniert, frustriert noch mehr. Bohnen und Reis, Reis und Bohnen, Aber helfen sich wenigstens die Ärmsten gegenseitig, damit das Leben in der Favela erträglicher wird, nutzen sie die wenigen Zukunftschancen? „Alle schön gemeinsam, schön solidarisch – so ist das leider nicht – oder nur ganz, ganz selten“, sagen er, viele andere in den Favelas von Rio, Sao Paulo oder Belem an der Amazonasmündung. „Cada um por si“ – jeder für sich, lautet die immer wiederholte Verhaltensregel. „Jeder hat so wenig“, meint eine Frau an Fortalezas Peripherie“, „und soviel Angst, das bißchen auch noch an die zu verlieren, die garnichts haben. Da sind die Leute eben egoistisch. Von Solidarität wird nur immer viel geredet – aber die gibts kaum, jeder muß für sich alleine zurechtkommen.“ Auch sie verneint Zukunftshoffnungen, irgendeine Besserung. Egal wer grade an der Regierung ist, so ihre Erfahrung, „a coisa nao melhora“, nichts bessert sich.Doch, manches schon. Weil es in der Schule Essen gratis gibt, gehen mehr Kinder gerne dorthin, lernen wenigstens etwas. Manchmal wird hier und da ein Hilfsprogramm der Regierung gestartet, werden Lebensmittel verteilt, bekommen Familien eine kleine Hilfe von umgerechnet etwa fünfzehn Euro monatlich. Ein Almosen, das nichts ändert. Wer keinen Ausweis hat, oder keine Geburtsurkunde vorlegen kann – und das sind sehr, sehr viele, wird für diese Programme nicht registriert, geht leer aus. „Arm, aber glücklich“ – Europäer verstehen kaum, daß Favelados dennoch oft so fröhlich wirken, so viel lachen – viel mehr etwa als Deutsche. „Wir sind in der Lage, über unser eigenes Unglück zu lachen, darüber groteske Witze zu reißen; schwarzer Humor, schwärzer gehts nicht“, kommentiert ein Mann, „das ist eine Art Ventil, um damit fertigzuwerden. Wahrscheinlich ist das bei euch anders.“ Hofft er auf Besserungen? „Nur auf ganz lange Frist, ganz, ganz lange nach Lula.“

Klaus Hart: Gangster, Favelados, Bischöfe. Sozialreportagen aus Brasilien. Brasilienkunde-Verlag Mettingen, 307 Seiten.

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Bundespräsident Joachim Gauck 2017: ARD-Agitprop-Film “Gauck. Der Präsident” zeigt ihn bei Fußball-WM in Brasilien – doch unterschlägt Gaucks beredtes Schweigen zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen(systematische Folter, Todesschwadronen, Scheiterhaufen, Morde an Bürgerrechtlern und Umweltaktivisten, Sklavenarbeit etc.) im US-Hinterhof-Staat, strategischer Partner der Merkel-Gabriel-Regierung…Auch Roman Herzog schwieg in Brasilien wie Gauck. Gefangenenseelsorger Wolfgang Lauer in Brasilien – der ganz andere Pastor. **

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Ausriß, Gauck in der Scheiterhaufenstadt Rio de Janeiro.

“Moderne Scheiterhaufen aus Autoreifen”:

-http://www.deutschlandradiokultur.de/moderne-scheiterhaufen-aus-autoreifen.1013.de.html?dram:article_id=167263

Die Aufdringlichkeit der Sinne

Vom machtgeschützten Verlust der gesellschaftlichen Sehkraft – Oskar Negt(2000)

“Der Verlust jener in sinnlicher Erfahrung begründeten Urteilsfähigkeit der Menschen hat in unserem Jahrhundert für viele Menschen tödliche Folgen gehabt. Das Wegsehen, die machtgeschützte Sinnenblindheit, wenn Menschen verfolgt und getrieben, vergewaltigt und öffentlich gequält werden – das gehört nicht der Vergangenheit an.”

 

Joachim Gauck und die Menschenrechte in Brasilien:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/17/brasilien-historischer-besuch-des-deutschen-bundesprasidenten-joachim-gauck-im-tropenland-trotz-gravierender-menschenrechtslage-folter-todesschwadronen-gefangnis-horror-sklavenarbeit-etc-b/

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/15/brasilien-heftige-proteste-gegen-todesschwadronen-sao-paulos-wahrend-besuch-von-deutschem-bundesprasidenten-joachim-gauck-rund-500-menschenrechtsaktivisten-sturmen-sicherheitsbehorde-in-der-city-v/

Aus der Kirche Brasiliens, darunter der Gemeinde der deutschen evangelischen Kirche in Brasilien, hatte es differenzierte Kritik u.a. an der fehlenden Positionierung des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck zur gravierenden Menschenrechtslage Brasiliens gegeben. Gauck wisse über die gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Brasilien  genau Bescheid.  Wie verlautete, waren entsprechende Stellungnahmen Gaucks durchaus erwartet worden – indessen gingen manche Christen davon aus, daß sich der deutsche Bundespräsident nicht anders als deutsche Staatsgäste vor ihm verhalten würde:“Er vertritt ja nicht die Kirche“. Ein Pastor habe sich politischem Druck gebeugt, Gauck sei „eingebunden in verschiedenste politische Zusammenhänge“.  In Brasilien hätte er es sich indessen nicht so leicht machen dürfen.

 Erwartet wurde u.a. in Sao Paulo ein Treffen Gaucks mit kirchlichen Seelsorgern, etwa der katholischen Gefängnispastoral, sowie mit anderen kirchlichen Menschenrechtsaktivisten. Verwiesen wurde auf Gaucks Image u.a. in Bezug auf seine Rolle in Ostdeutschland vor 1989.

„Gauck ist als Bundespräsident doch eigentlich angetreten, sich nicht den Mund verbieten zu lassen, jedenfalls nicht total. Doch dies bringt er nicht zustande“, lautete eine Einschätzung in Brasilien.

Sein Auftreten in Brasilien sei ein „Armutszeugnis“ gewesen – Kritik an Gauck müßte jetzt aus der evangelischen Kirche Deutschlands kommen.” Diese müsse klar die für Brasilien wichtigen Themen benennen und sagen: Doch von Gauck sind sie nicht angesprochen worden. Stattdessen habe es einen „Eiertanz um Deutsche und Brasilianer“ gegeben. „Motto: Wir sind doch alle Freunde“. Wenn beispielsweise in der täglichen Erfahrung von  Sao Paulo systemimmanente Gewalt eine so wichtige Rolle spiele, die Politik aber nicht entsprechend aktiv werde – „wieso hat das Gauck nicht angesprochen?“

Der deutsche Bundespräsident hatte eine „Wertegemeinschaft“ zwischen Deutschland und Brasilien betont. Dazu wurde aus der deutschen evangelischen Kirchengemeinde teils spöttisch-ironisch angemerkt:“Wenn das hier unsere Werte sind, dann gnade uns Gott!“

Unter Bezug auf die von Bundespräsident Gauck während seiner Brasilienreise gehaltenen Reden hieß es:”Der braucht einen neuen Redenschreiber.” 

Merkel in Brasilien – die Vatikan-Kritik:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/08/20/merkel-in-brasilien-2015-wie-beim-besuch-von-2008-bisher-keinerlei-positionierung-zu-gravierenden-menschenrechtsverletzungen-beim-strategischen-partner-kein-wort-zu-systematischer-folter-gefae/

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Der ARD-Film, Gauck und Brasilien – war da nicht noch was? Ausriß

“Joachim Gauck – sprachlos am Zuckerhut”:

http://www.hart-brasilientexte.de/tag/bundprasident-joachim-gauck-rio-de-janeiro-2013/

In Sao Paulo kein Gauck-Besuch bei kirchlichen Menschenrechtsaktivisten, auch nicht beim deutschen evangelischen Pastor und Gefangenen-Seelsorger Wolfgang Lauer…

”In der Hölle hinter Gittern”:  http://www.welt-sichten.org/artikel/221/der-hoelle-hinter-gittern

“Da sein, wo gelitten wird”:  http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1624771/

 Pastor Wolfgang Lauer sieht den Grund für das mangelnde Engagement des deutschen Staats ganz klar bei den zuständigen Regierungsstellen in Berlin:

 

“Es sind einfach die ökonomischen Interessen, die politischen, das gehört zusammen. Da gefährdet man nicht seine Beziehung, indem man den Brasilianern sozusagen mal den Spiegel vorhält und sagt, ihr habt hier ne schöne Verfassung und schöne Gesetze, aber warum werden die nicht eingehalten?”

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/10/11/offizielle-deutsch-brasilianische-beziehungen-der-mutige-evangelische-gefangnispastor-wolfgang-lauer-gravierende-menschenrechtsverletzungen-in-brasilienes-sind-einfach-die-okonomischen-die-polit/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/10/03/brasiliens-carandiru-massaker-an-haftlingen-in-sao-paulo-okumenischer-gedenkgottesdienst-der-katholischen-gefangenenseelsorge-die-massaker-und-blutbader-gehen-weiter/#more-11085

“Der Mann, der keine Angst hatte”:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/12/16/der-mann-der-keine-angst-hatte-brasiliens-wichtigster-katholischer-befreiungstheologe-frei-betto-dez-2016-ueber-den-verstorbenen-kardinal-erzbischof-paulo-evaristo-arns/

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Ausriß. Brasiliens größte Qualitätszeitung “Folha de Sao Paulo” berichtet in großer Aufmachung über die massiven Proteste während des Gauck-Aufenthalts in Sao Paulo gegen Todesschwadronen, Blutbäder  – deutsche Medien berichten naturgemäß garnichts.

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Ausriß.

Gauck in Chile 2016:

http://www.hart-brasilientexte.de/2016/07/11/deutscher-bundespraesident-joachim-gauck-2016-nach-chile-und-uruguay-der-ex-buergerrechtler-2013-in-brasilien-und-die-gravierende-menschenrechtslage-die-rolle-von-helmut-schmidtspd-will/

http://www.hart-brasilientexte.de/2016/07/12/deutscher-bundespraesident-joachim-gauck-in-chile-juli-2016-in-erster-rede-keinerlei-hinweis-auf-den-mit-hilfe-des-nato-staates-usa-gefuehrten-militaerputsch-gegen-die-allende-regierung-auf-di/

http://www.hart-brasilientexte.de/2016/07/13/deutscher-bundespraesident-joachim-gauck-juli-2016-in-chile-auch-zweite-rede-auffaellig-inhaltsleer-der-sog-ostdeutsche-buergerrechtler-schweigt-zur-rolle-der-chilenisch-deutschen-unternehmen/

http://www.hart-brasilientexte.de/2016/07/13/chile-joachim-gauck-2016-der-fall-rudel-nach-dem-putsch-von-pinochet-im-jahre-1973-liess-sich-rudel-in-der-colonia-dignidad-in-chile-nieder/

 

Bundespräsident Roman Herzog(CDU) – 1995 wird in Brasilien ihm zu Ehren die DDR-Nationalhymne gespielt. Video anklicken. Keinerlei Kritik von Herzog an gravierender Menschenrechtslage in Brasilien(Todesschwadronen, systematische Folter, Gefängnis-Horror, Massenelend, Sklavenarbeit etc.), US-Hinterhof, keinerlei Kritik am politisch verantwortlichen Staatschef Cardoso…Nachfolgende Bundespräsidenten wie Köhler, Wulff, Gauck verfuhren in/mit Brasilien wie Herzog… **

https://www.youtube.com/watch?v=v0fy1D2nrXc

“Brasilien ist geradezu ein Muster der Toleranz und der Verbindung der Kulturen…Nach allem, was ich in diesen Tagen hier bereits gesehen und gehört habe, kann ich mit den Worten Stefan Zweigs, des deutschen Schriftstellers, der in Brasilien Zuflucht fand, sagen: `Brasilien, ein Land der Zukunft`.” Herzog-Rede in Brasilia 1995

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Empfang in der Residenz des deutschen Generalkonsuls in Rio.

Roman Herzog hielt sich in Rio de Janeiro zwar ganz in der Nähe von Slums auf, in denen regelmäßig Menschen geköpft, lebendig verbrannt wurden – positionierte sich aber nicht dazu…

“Mann deutlicher Worte”. Bayrischer Rundfunk/BR

„Er ist immer wieder auch mit unbequemen Positionen aufgefallen. Er hat Klartext gesprochen, wo andere vielleicht eher zu diplomatischen vorsichtigen Formulierungen geneigt hätten.“ CDU-Lammert

“Der jetzt gestorbene Altbundespräsident Roman Herzog war ein Leben lang ein unbequemer Mahner.” DER SPIEGEL

“Der frühere Bundespräsident Roman Herzog nahm kein Blatt vor den Mund.” Berliner Tagesspiegel

“Ein Mann der Freiheit und des Rechts”. FAZ

“Engagierter Christ”. BILD

“Roman Herzog:Einer, von dem man lernen kann”. DIE ZEIT

http://www.hart-brasilientexte.de/2017/01/03/brasilien-gefaengnisrebellion-mit-massakern-2017-das-ist-eine-folter-fabrik-die-gewalt-produziert-und-monster-schafft-valdir-joao-silveira-leiter-der-nationalen-katholischen-gefangenenseelsorg/

Steinmeier würdigt Herzogs „Geradlinigkeit“. BILD

Roman Herzog trifft sich 1995 mit Brasiliens  damaligem Staatschef Cardoso:http://www.hart-brasilientexte.de/2009/01/26/john-neschlings-entlassung-von-ex-staatschef-fernando-henrique-cardoso-unterzeichnet-fu-berlin-ehrendoktor-von-internationalem-tribunal-zu-den-politisch-hauptverantwortlichen-der-ungesuhnten-landlos/

“Lulas sozialdemokratischer Amtsvorgänger Fernando Henrique Cardoso ist Ehrendoktor der Freien Universität Berlin. Letztes Jahr hat ein Internationales Tribunal ihn, seinen Parteifreund Almir Gabriel, Gouverneur des Teilstaates Para, sowie die dortigen Grossgrundbesitzer zu den Hauptschuldigen des Massakers erklärt.”

…Der Vorgänger von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva, der heutige UNO-Berater und FU-Berlin-Ehrendoktor Fernando Henrique Cardoso, war gerne in den Condominios, mied die Slums, verdrängte die dortigen Zustände, den Banditenterror. Für Marcelo Rubens Paiva, Kolumnist der auflagenstärksten Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“, und Bestseller-Autor, ein besonders kurioser Sachverhalt: Der neoliberale Interessenvertreter der Oligarchien, Eliten war in den 50ern eingeschriebenes KP-Mitglied, ist gleichzeitig Großgrundbesitzer und Soziologe, der sich immer noch gelegentlich rühmt, einst als Dozent in Frankreich auch Daniel Cohn-Bendit unterrichtet zu haben…

http://www.livenet.ch/magazin/international/amerika/115827-von_lula_enttaeuscht_die_landlosen_in_brasilien_kaempfen_weiter.html

http://www.telegraph.ostbuero.de/102_103/markt_und_moral.html

Warum Cardoso Ehrendoktor der FU Berlin ist…

Cardoso und der Antisemitismus:https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/das-kappchen-kilometerweit-fliegen-sehen

http://www.amnesty.de/umleitung/1999/deu05/110

http://www.amnesty.de/umleitung/1996/deu05/062

http://servir.de/artikel/aij0497/aij0497.htm

http://www.berliner-zeitung.de/im-strandviertel-barra-da-tijuca-haben-sich-die-eliten-hinter-hohe-gitterzaeune-zurueckgezogen-jenseits-von-rio-16415990

http://www.suedwind-magazin.at/der-unappetitliche-wahlzirkus

http://www.focus.de/politik/ausland/brasilien-lebensziel-bandit_aid_165816.html

Walter Scheel und die nazistisch-antisemitisch orientierte Militärdiktatur Brasiliens:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/08/26/staatsakt-fuer-walter-scheel-am-7-september-in-berlin-was-alles-in-den-fast-gleichgeschalteten-nachrufen-von-politschauspielern-und-mainstream-fehlt/

http://www.hart-brasilientexte.de/2016/12/21/neun-monate-nach-genschers-tod-ist-noch-immer-keine-ehrung-in-sicht-mopo-dresden-dez-2016hat-sich-da-was-rumgesprochen/

Horst Köhler in Brasilien:http://www.hart-brasilientexte.de/2010/05/31/horst-kohler-sao-paulo-brasilien/

“Von Altbundespräsident Horst Köhler erhielt er in Freiburg den Ehrenpreis der dort ansässigen Hayek-Stiftung. Herzog habe sich stets für die Freiheit eingesetzt, sagte Bundespräsident Joachim Gauck in der Laudatio.” stern

Christian Wulff in Brasilien:http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/06/deutscher-bundesprasident-christian-wulff-in-sao-paulo-mai-2011-obdachlosengemeinde-der-erzdiozese-hedwig-knist-vikar-julio-lancelotti/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/05/deutscher-bundesprasident-christian-wulff-trifft-brasiliens-prasidentin-dilma-rousseff-in-brasilia/

Joachim Gauck und die Menschenrechte in Brasilien:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/17/brasilien-historischer-besuch-des-deutschen-bundesprasidenten-joachim-gauck-im-tropenland-trotz-gravierender-menschenrechtslage-folter-todesschwadronen-gefangnis-horror-sklavenarbeit-etc-b/

SPD-Steinmeier gar als Bundespräsident?

http://www.hart-brasilientexte.de/2016/11/22/frank-walter-steinmeier-2016-cdu-spd-kandidat-fuer-das-amt-des-bundespraesidenten-von-deutschland-merkel-wollte-ausgerechnet-marianne-birthler/

Brasilien – Daten, Statistiken:

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/

“Erst als Heitmann wegen Äußerungen zur Rolle der Frau in die Kritik gerät, tritt Herzog an – und wird, sichtlich gerührt, der erste Bundespräsident des wiedervereinigten Deutschlands.” Tagesschau, 10.1. 2017 – was alles in den Herzog-Nachrufen der deutschen Staatsmedien und des gesteuerten Mainstreams fehlt…

MARKT UND MORAL

Nett zum Massaker-Demokraten

Auch Rot-Grün hofiert – wie zuvor Kohl – Brasiliens Mitte-Rechts-Staatschef Cardoso. Ist er in Berlin bei Schröder, Fischer, Trittin & Co., unterbleibt Kritik an dessen Verantwortung für Todesschwadrone, Blutbäder an Landlosen, Massenfolterungen sowie Amazonasvernichtung komplett.

Sozialdemokrat Schröder wählte unter den Staatschefs dieser Erde den brasilianischen Präsidenten und „Social-Democrata“ Fernando Henrique Cardoso aus, um mit ihm in Hannover die EXPO zu eröffnen, ihn auf dem festlichen Bankett als einzigen ausländischen Ehrengast eine Rede halten zu lassen. Eine interessante Entscheidung – Cardoso, hieß es offiziell, repräsentiere durch seine Biographie, sein Land, seine Regierung die Hauptthemen der EXPO – Mensch, Natur und Technik. Er sei jene Persönlichkeit mit den besten Voraussetzungen, Lösungsvorschläge für die Probleme des nächsten Jahrhunderts zu machen. Tags darauf war Cardoso in Berlin einer von – laut Eigendarstellung der Teilnehmer – „fünfzehn fortschrittlichen“ Staatschefs, darunter auch Clinton und Blair, die im Kanzleramt auf der Konferenz „Modernes Regieren im 21.Jahrhundert“ ein gewichtiges Wort mitredeten. Präsident Cardoso kann den politischen Eliten der Ersten Welt in der Tat nützliche Ratschläge geben, wie man neoliberale Konzepte brutal durchsetzt und dennoch recht problemlos an der Macht bleibt. Kam der Großgrundbesitzer, Ex-Soziologe und FU-Berlin-Ehrendoktor zu Kanzler Kohl an den Rhein, schlugen ihm ebenfalls Freundlichkeiten und allergrößtes Lob für seine Wirtschaftspolitik entgegen. Brasilien ist schließlich Hauptempfänger deutschen Kapitals in der Dritten Welt, Deutschland zählt zu den vier wichtigsten Investoren in dem Tropenstaat, längst unter den zehn größten Wirtschaftsnationen der Erde. Sein Bruttosozialprodukt übertrifft das von Russland oder China – allein jenes von Rio de Janeiro das von ganz Chile, jenes von Sao Paulo das von ganz Argentinien.

Ebenso herzlich werden in Deutschland stets Cardosos Vize, der zwielichtige Diktaturaktivist Marco Maciel, und Kongresspräsident Antonio Carlos Magalhaes empfangen – niemand störte sich daran, dass beide die tonangebenden Leute in der Arena-Partei des Militärregimes waren und damals schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit deckten. Heute sind sie mit Cardoso politisch hauptverantwortlich für Massaker an Landlosen, die Verfolgung und Ermordung ihrer Führer. Todesschwadrone wüten schlimmer als zur Diktaturzeit. Vize Maciel ist bis heute Mitglied der archaischen Elite des von Massenarmut und mafiosen Strukturen gezeichneten, Rauschgift auch für Europa produzierenden, Nordost-Teilstaates Pernambuco. Maciel ließ sich in den Neunzigern mindestens einen Wahlkampf laut Experten nachweislich vom organisierten Verbrechen mitfinanzieren. Die deutschen Handelskammern in Rio und Sao Paulo, effiziente Polit-Instrukteure deutscher Auslandskorrespondenten, machen stets gute Vorarbeit – in den Medien erscheint keine Zeile über Maciels Vergangenheit, nur Lob und Hudel, Großfotos zeigen den Gast beim Händedruck mit Ex-Geheimdienstchef Klaus Kinkel.

Selbst im Menschenrechtsbericht des US-State Department für 1998 wird betont, dass Folter, außergerichtliche Exekutionen und Polizeigewalt unter Cardoso weiter zunahmen. Beamte der berüchtigten Militärpolizei betätigen sich laut Report, in der Freizeit als Berufskiller und Entführer.

Ungesühnte Massaker

Unvergessen ist, dass ein Internationales Tribunal, dem Persönlichkeiten der UNO und des Weltkirchenrates sowie Literaturnobelpreisträger Josè Saramago angehörten, Cardoso und dessen Mitte-Rechts-Regierung 1996 zu den Hauptverant-wortlichen zweier barbarischer Blutbäder an Landlosenfamilien erklärten: Im Amazonas-Teilstaat Parà befahl der Gouverneur Almir Gabriel, Intimus von Cardoso, mit dessen Wissen, den Militärpolizei-Einsatz von Eldorado de Carajas, bei dem laut offiziellen Angaben neunzehn, nach kirchlichen aber über dreißig Menschen getötet wurden. Ein anderes Massaker ereignete sich im Amazonas-Teilstaat Rondonia – beide Verbrechen sind weiterhin ungesühnt. Auch bei Massenvertreibungen ist Cardoso Spezialist: Seine neoliberale Politik, so der Landlosen-Führer Joao Pedro Stedile, zwang weit über 400 000 Kleinbauern und Landarbeiter, aus den Agrarregionen in die entsetzlichen Slums der Millionenstädte wie Sao Paulo und Rio de Janeiro zu migrieren. Das Drama der Indianerstämme ist hinreichend bekannt: Das offizielle Brasilien feierte im April mit viel Pomp in Bahia die „Entdeckung“ durch portugiesische Seefahrer und Eroberer vor fünfhundert Jahren – unweit der Tribüne Cardosos knüppelte die Militärpolizei demonstrierende Indianer und Menschenrechtsaktivisten äußerst brutal zusammen. Die nationale Bischofskonferenz schloss sich den Protesten an, verurteilte so heftig wie nie zuvor auch Cardosos Menschenrechtskurs.

Auch Grüne schweigen völlig

Wie zu Kohl-Zeiten bleibt der Berliner Ehrendoktor auch bei jüngsten Deutschland-Visiten völlig ungeschoren. Kurioserweise vermeiden die deutschen Journalisten jegliche kritische Anmerkung, während auf denselben Pressekonferenzen die mitgereisten brasilianischen Kollegen den hohen Staatsgast mit direkten Fragen zu Landlosen und Bischofskonferenz regelrecht in Rage bringen. Um so auffälliger das Schweigen der zuständigen deutschen Instanzen, darunter die menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen, Claudia Roth und der grüne Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Gerd Poppe, die bei Cardoso-Visiten stets passiv blieben. Poppe äußert sich gerne weitschweifig zur Lage in China, beklagte auch schwere Menschenrechtsverletzungen an Kosovo-Albanern durch die Serben. So seien, laut Berichten von Vertriebenen, wehrlosen Albanern die Kehle durchgeschnitten, die Augen ausgestochen, Nasen, Finger und Hände abgehackt worden. Frauen habe man die Brüste abgeschnitten, es gebe Massaker und systematische Vergewaltigungen. Poppe wurde aktiv, ging an die Öffentlichkeit, ohne Beweise in den Händen zu haben. Anders verfährt er im Falle Brasiliens. Da gibt es zahllose Beweise und Fotos von weit schlimmeren Greueltaten, ohne dass die Bundesregierung bis heute reagiert. Poppe selbst hat sich bereits 1996 mit einer Delegation des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages in Brasilien kundig gemacht. Auf telegraph-Anfrage drückt sich die Delegation vor klaren Positionen zu den immer krasseren Menschenrechtsverletzungen: “Wir kommen nicht, um uns einzumischen, um zu kritisieren, sondern um die helfende Hand zu reichen. “Cardosos Mitte-Rechts-Regierung werden guter Wille und Fortschritte bei den Menschenrechten bescheinigt. Mit der Delegation sitzt Poppe in der Luxusresidenz des Generalkonsuls von Rio de Janeiro an festlich gedeckter Abendtafel, verliert kein Wort über Greuel, die sich seinerzeit nur ein, zwei Kilometer entfernt ereigneten: Menschen im Slum „Morro de Coroa“ lebendig verbrannt, zerstückelt wurden. Die Delegation lobt Cardosos Politik, während danach an der Tafel ein in Rio tätiger, belgischer Menschenrechtler über die von den Regierenden täglich verantworteten, zugelassenen, tolerierten Menschenrechtsverletzungen berichtet, über Terror und Korruption. Man hört nur höflich zu, schweigt aber zu allem, wie auch der Generalkonsul. Bundespräsident Roman Herzog hält es an gleicher Stelle bei einem offiziellen Besuch Brasiliens genauso, vermeidet jegliche Position zur Menschenrechtssituation. „Ich weiß, dass sie hier gewisse Probleme mit der Kriminalität haben“, ist sein einziger Kommentar zu folgendem: In den Slums der brasilianischen Großstädte haben die Gewaltexzesse gegen schutzlose Bewohner die letzten Jahre für Europäer nahezu unvorstellbare Ausmaße angenommen – täglich werden ungezählte Opfer gefoltert, verstümmelt, geköpft, in Stücke gehackt, angezündet. Zeitungen zeigen die Verbrechen in Großaufnahme, telegraph hat zahlreiche Fotos vorliegen. Täter sind vor allem Banditengangs und Todesschwadrone, doch auch die Polizei agiert brutal. Die Herrschaft des organisierten Verbrechens über die Slums, so betonen auch kirchliche Menschenrechtler, verhindert auf perfide Weise, dass deren Bewohner politisch für ihre Rechte kämpfen. Denn immer wieder werden engagierte Bürgerrechtler, die Slumassoziationen leiten und sich dem Normendiktat des, mit der Politik verzahnten, organisierten Verbrechens nicht beugen wollen, zur Einschüchterung ermordet. Ein katholischer Pfarrer sagte zum telegraph: “Die fortgesetzten Gefechte, Morde und anderen nahezu unbeschreiblichen Greueltaten, halten Kinder wie Alte in extremer Spannung und Angst – wer an den Hängen der Tijuca-Slums von Rio lebt, kann sich weder frei bewegen, noch frei sprechen. Um am Leben zu bleiben, müssen die Slumbewohner ihre wahre Meinung verstecken, den neofeudalen Banditenmilizen nach dem Munde reden. Niemand vertraut in den Staat – weil er die Rechte und Interessen der Slumbewohner nicht verteidigt, glauben diese, dass die Autoritäten mit den Verbrechersyndikaten auf irgendeine Weise liiert sind.“

Slumbewohner ohne Basis-Menschenrechte

Amnesty International betonte dazu, de facto befinde man sich in einigen Teilen Brasiliens noch im Mittelalter, Slumregionen Rios gehörten dazu. Die rund zwei Millionen Armen in den Favelas des, nach Sao Paulo, zweitwichtigsten wirtschaftlichen Ballungszentrums seien im Grunde Geiseln des organisierten Verbrechens und sämtlicher Basis-Menschenrechte beraubt. Für AI ist besonders schwerwiegend, dass die skandalöse Untätigkeit der Cardoso-Regierung vor allem in den unteren Bevölkerungsschichten das Gefühl des Ausgeliefertseins noch verstärke. Der Präsident habe im Ausland versichert, sich für die Menschenrechte der Unterprivilegierten einzusetzen – der Widerspruch zur tatsächlichen Lage sei eklatant. Anwalt James Cavallaro, Leiter des brasilianischen Human-Rights-Watch-Büros, sprach gegenüber der Zeitschrift ila wiederholt von „niederschmetternder Indifferenz“ der Cardoso-Regierung. Die Freiwilligenorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ agiert nicht nur in Afrika oder auf dem Balkan, sondern auch in Brasilien – ihr zufolge handelt es sich in Rio de Janeiro um „Guerra urbana“, Stadtkrieg.

Brasiliens Kindersoldaten

Yvonne Bezerra de Mello, eine der angesehensten Bürgerrechtlerinnen Brasiliens, prangert seit Jahren an, wie das organisierte Verbrechen mit Duldung der Politiker Straßenkinder rekrutiert, sie zu Kindersoldaten macht, die auch deutsche G-3 oder schweizerische Sig-Sauer-Sturmgewehre benutzen. Wer nicht mehr mitzieht, wird kurzerhand eliminiert, die Leichen lässt man meist verschwinden. In den Slums, so die, auch in Europa durch Buchveröffentlichungen bekannte, Expertin, gebe es Ställe mit Schweinen, die Überreste von Kindern auffräßen. Oder: “Ein Junge, oft nur dreizehn Jahre oder jünger, muss dem an einen Baum gebundenen Opfer, mit einer Rasierklinge solange ins Fleisch schneiden, bis es stirbt – sogar das Herz wird herausgetrennt, alles zur Einschüchterung auch der Slumbewohner.“ Nicht nur im deutschen Außenministerium dürfte bekannt sein, wie Yvonne Bezerra de Mello auch die Waffenexportgesetze der Ersten Welt scharf kritisiert: “Wenn mir in Rio ein Schweizer etwas über Neutralität erzählt, lache ich laut auf – Sig-Sauer-Sturmgewehre werden von den Gangstern jetzt am meisten importiert.“ Der linke Abgeordnete Carlos Minc aus Rio de Janeiro, Träger des Umweltpreises der Vereinten Nationen, nimmt jenen den Wind aus den Segeln, die das Kriminalitätsproblem in Drittwelt-Metropolen wie Rio oder Sao Paulo immer vorschnell-oberflächlich auf Armut, Elend zurückführen. Minc argumentiert: “In Rio de Janeiro sind Straftäter und Autoritäten Komplizen, das organisierte Verbrechen, das Drogenkartell herrscht in den Slums, pflegt enge Beziehungen zur Geschäftswelt, zur Stadtregierung, zu Polizei und Justiz, die daher Straffreiheit walten lassen, die Gesetze nicht anwenden, die Menschrechte der Bewohner missachten. Es reicht nicht, nur gegen die Ermordung von Straßenkindern zu protestieren – es muss verhindert werden, dass diese Kinder und Jugendlichen weiterhin perverserweise vom organisierten Verbrechen ausgenutzt, gegen die wehrlosen Stadtbewohner eingesetzt werden.“ Minc erinnert an die Ermordung von achtundvierzig Bürgerrechtlern, die zum Terror des Drogenkartells nicht schwiegen: “Die physische Eliminierung, wie seinerzeit durch die faschistischen Brigaden Mussolinis, darf nicht hingenommen werden.“ In Rio de Janeiro – weit über zwölftausend Morde pro Jahr – wird nur in acht Prozent der Fälle überhaupt ermittelt. Auch der grausam gefolterte, frühere militante Diktaturgegner Reinaldo Guarany, der in Deutschland Exiljahre verbrachte, in Bochum Betriebswirtschaft studierte, spart nicht mit Kritik an Brasiliens „Zivildiktatur“. Gegenüber dem telegraph spricht er von einer „Komplizenschaft des Staates mit dem organisierten Verbrechen“. FU-Berlin-Ehrendoktor Cardoso hat die Existenz rechtsfreier, de facto staatlicher Oberhoheit entzogener Slumviertel Rio de Janeiros, offensichtlich akzeptiert – bezeichnenderweise sagt er einen angekündigten Besuch im Elendsviertel Vigario Geral, wo 1993 Militärpolizisten einundzwanzig völlig unschuldige Bewohner erschießen, kurzfristig ab. Der im Slum aufgewachsene Soziologe und Men-schenrechtsaktivist Caio Ferraz wird zu Cardosos Amtszeit von Polizei und organisiertem Verbrechen so massiv mit Ermordung bedroht, dass er in einer schwierigen Operation von Amnesty International außer Landes gebracht wird. Ferraz ist damit einer von jenen Menschenrechtlern, die ebenso wie verfolgte Homosexuelle, politisches Asyl in den USA, Kanada oder Australien erhielten – und das fünfzehn Jahre nach der Militärdiktatur.

Pinochet-Hofierer Cardoso

Wenn die rot-grüne Bundesregierung wegen solcher Zustände keinen Grund sah, Cardoso weniger freundlich zu behandeln, hätte natürlich dessen Position zum Fall Pinochet Anlässe geboten. Der chilenische Diktator beging Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht alleine, sondern hatte Kumpane und Helfershelfer auch in Ländern wie Argentinien und Brasilien, von der intensiven CIA-Kooperation ganz zu schweigen. Präsident Carlos Menem wetterte von Anfang an gegen die Verhaftung Pinochets, Schröders Staatsgast Cardoso verlangte ebenfalls die Freilassung. Der brasilianische Präsident ist gleichzeitig Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Er könnte die Öffnung der geheimen Militärarchive anweisen, in denen die Zusammenarbeit mit Pinochet und auch das Schicksal der Verschwundenen Brasiliens dokumentiert ist. Wie in Argentinien kollaborierten deutsche Multis – alleine in Sao Paulo gibt es über tausend deutsche Niederlassungen – eng mit dem Repressionsapparat der Diktatur, bespitzelten Arbeiter; in den Archiven dürften darüber Dokumente liegen. Doch Cardoso lässt die Finger davon, nimmt Rücksicht auf die Generalität, die nach wie vor den Militärputsch von 1964 würdigt und regelmäßig den hochverehrten Kollegen Pinochet einlud. Als Juso-Vorsitzender protestierte Gerhard Schröder 1978 vehement gegen den Deutschlandbesuch des berüchtigten brasilianischen Diktators Ernesto Geisel, der damals von Kanzler Helmut Schmidt, Willy Brandt und Leuten wie Filbinger empfangen wurde. In jenem Jahre wurden vom brasilianischen Militärregime Verbrechen wie im Chile Pinochets begangen, auf Protestdemonstrationen nannten die Jusos General Geisel einen skrupellosen Folterknecht und Mörder. Jetzt traf Gerhard Schröder als Bundeskanzler mit Cardoso jenen Mann, der Geisel zum Freund hatte, stets dessen „Leistungen für die Redemokratisierung“ lobte und auch noch eine achttägige Staatstrauer anwies, als er 1996 verstarb. Präsident Cardoso fördert geradezu Folterknechte von einst, in seiner „Sozialdemokratischen Partei“/PSDB wimmelt es von schwerbelasteten Diktaturaktivisten ebenso wie in der rechtsgerichteten Regierungspartei PPB. Dessen Flügelmann Jair Bolsonaro, ein Offizier der Militärpolizei, rechtfertigt ungestraft Massaker an Landlosen und Gefangenen: “Ich hätte ebenfalls geschossen“, betont Bolsonaro zum Blutbad an Landlosen von Eldorado de Carajas. Noch schockierender äußert sich der PPB-Politiker zum nach wie vor ungesühntem Massaker von Carandirù, bei dem Sao Paulos „Policia Militar“ 1992 mindestens 111 Gefangene ermordete. Über 5000 Schuss werden aus Mpis auf die Häftlinge abgefeuert, viele lässt man durch Bluthunde zerreißen. “Man hätte noch einige hundert töten müssen“, argumentierte Bol-sonaro allen Ernstes, “um Platz für andere Gefangene zu schaffen.“ Folter befürwortet er ebenfalls öffentlich. Cardoso & Co sahen nie einen Grund, auf solche Erklärungen zu reagieren. Der befehlshabende Massaker-Oberst wird Abgeordneter, gehört zum Parteienbündnis Cardosos, trommelte für dessen Wiederwahl.

Brasilien ist laut UNO ein Folterstaat

Als die UNO-Menschenrechtskommission Brasilien als Folterstaat einstufte, wies die Mitte-Rechts-Regierung dies auf der Stelle als ungerecht zurück. Josè Gregori, Cardosos PR-Agent für Menschen-rechtsfragen, lamentierte in Genf, der Norden richte über den Süden, Regierungen der reichen Länder sowie mächtige Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch urteilten parteiisch über Brasilien. Davon kann keine Rede sein – die Genfer Konferenz stützt sich auf verlässliche Studien, die auch Claudia Roth, Gerd Poppe und Joseph Fischer vorliegen. Eine hat der österreichische Pfarrer und Gefangenenseelsorger Günther Zgubic miterarbeitet: “Sogar Kranke werden gefoltert, Wärter schlagen solange mit Eisenknüppeln auf Häftlinge ein, bis der Schädel aufsplittert und Gehirnmasse heraustritt“, beklagt Zgubic. “Für mich sind solche Gefängnisse Konzentrationslager.“

Trittin und Brasiliens Siemens-AKWs

Natürlich erkundigte sich telegraph auch im Umweltministerium nach Reaktionen auf Cardoso-Visiten. Als Juso-Chef hatte Gerhard Schröder seinerzeit heftig gegen den von Bundeskanzler Helmut Schmidt 1975 mit den brasilianischen Diktatoren geschlossenen Atomvertrag protestiert – damals wurden immerhin unweit geplanter AKW-Standorte politische Gefangene gefoltert und lebendig Haien zum Fraß vorgeworfen. Mit deutschen Krediten, Hermes-Bürgschaften, realisiert Siemens-KWU den brasilianischen Atomeinstieg – 2000 ging südlich von Rio de Janeiro in einer erdrutsch- und erdbebengefährdeten Bucht der Atommeiler „Angra II“ des Biblis-Typs ans Netz. Mit Rekord-Baukosten von rund zehn Milliarden Dollar ist es der teuerste der Welt, bei 25-jähriger Bauzeit. Gleich daneben errichtet Siemens-KWU das AKW „Angra III“, Greenpeace, die brasilianischen Grünen und die Umweltverbände protestieren wiederum vehement – doch Präsident Cardoso will den Meiler unbedingt. Bundesumweltminister Jürgen Trittin nennt das Anfahren des tschechischen Atomkraftwerks Temelin ganz offiziell sicherheitstechnisch bedenklich und energiepolitisch verfehlt – im Oktober, als Cardoso wieder einmal bei Schröder und Fischer weilt, sein Umweltminister Sarney Filho ebenfalls nach Berlin kommt, erklärt er dagegen zu Angra II und III auf telegraph-Anfrage lediglich knapp: “Die Entscheidung, wie Dinge in anderen Ländern gestaltet werden, müssen Sie anderen Ländern überlassen – wir würden uns von anderen auch nicht reinreden lassen, wie wirs machen“. Anlässlich der Cardoso-Besuche wäre eine Distanzierung möglich gewesen. Sie unterblieb ebenso, wie sonstige Kritik an Brasilias Umweltpolitik. Dass die Cardoso-Regierung als absoluter Rekordhalter bei der Amazonasvernichtung in die Geschichte eingeht, steht laut Greenpeace Brasilien bereits fest. Nicht einmal während des Militärregimes wurden solche Zerstörungsraten erreicht. Die Bundesregierung ist Hauptgeldgeber des Pilotprojekts der G-7-Staaten zum Schutz der brasilianischen Regenwälder, über Zweihundertfünfzig Millionen Dollar gingen bereits an Brasilia – doch Cardoso gibt jährlich viel mehr Mittel allein für Personenkult und Propaganda aus. Einst warb SPD-Kanzler Schmidt kräftig für deutsche AKW in dem Tropenland – jetzt tut Minister Trittin selbiges für Windkraftwerke deutscher Unternehmen an der brasilianischen Atlantikküste. Ein sehr starker Partner ist dabei erneut Siemens-KWU, der die Innenausstattung, darunter das Herzstück, die Generatoren, für anderen Firmen liefert, aber auch komplette Windparks errichtet. Und da spätestens wird verständlich, warum sich der grüne Minister ebenso wie führende SPD-Umweltpolitiker mit Kritik an den Konzernprojekten Angra II und III so zurückhalten.

Stimmenkauf und abgewürgte Untersuchungsausschüsse

Bundeskanzler Schröder betont, dass Präsident Cardoso Vertrauen verdiene. Und weiß natürlich, wie clever sein stockneoliberaler sozialdemokratischer Kollege vom Zuckerhut beispielsweise kreuzgefährliche Untersuchungsausschüsse des Parlaments abwürgt, verhindert: Die wichtigsten Bestecher der Nation, darunter Multis, werden nicht ermittelt, Cardosos Verwicklung in einen Bankskandal bleibt im Dunkeln. 1997 erhalten Kongressabgeordnete umgerechnet jeweils um die die 300 000 Mark, damit eine die Wiederwahl Cardosos ermöglichende Verfassungsänderung durchkommt – jegliche Aufklärung wird unterdrückt. Stimmenkaufenthüller Fernando Rodrigues von der Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“, für seine Recherche sogar mit dem „Premio Esso“, sozusagen Brasiliens Pulitzerpreis, geehrt, sagt frustriert zum telegraph: “Das ist hier eben wie in Afrika, wir sind ein unterentwickeltes Land.“ Sao Paulos Erzbischofsblatt wird noch drastischer: “Wir kommen zu dem Punkt, an dem man fast nicht mehr unterscheiden kann, wer Mensch und wer Schwein ist.“ Auch unter Cardoso werden Wahlen durch Stimmenkauf und andere Tricks massiv manipuliert, was selbst von der katholischen Kirche sehr heftig verurteilt wird – internationale Beobachterkommissionen ließen sich jedoch noch nie am Zuckerhut blicken. Brasiliens Neonazis ermorden Schwule

„Hitler“ als registrierter Vorname

Bundeskanzler Schröder sondert zumindest Lippenbekenntnisse gegen den Rechtsradikalismus ab, Cardoso verzichtet selbst darauf – obwohl Brasiliens gutorganisierte Neonazis inzwischen sogar Anschläge auf Aktivisten und Büros von Amnesty International verüben, immer wieder Schwule erschlagen. In jenem Brasilien, das so vielen NS-Kriegsverbrechern Unterschlupf und Aufstiegschancen bot, werden auch andere Minoritäten ihr Stigma nicht los. Besonders die vor Hitlers Gaskammern geflohenen Juden schmerzt, dass die brasilianische Gesellschaft überhaupt nichts gegen den Vornamen Hitler hat, der einen sogar in Zeitungsüberschriften anspringt. Selbst in den besten brasilianischen Wörterbüchern steht unter „Juden“ immer noch: “Schlechter Mensch, habgieriger Geizhals“. Der jüdische Abgeordnete und Therapeut Gerson Bergher, Mitglied von Cardosos Sozialdemokratischer Partei/PSDB, forderte diesen brieflich auf, etwas gegen die widerliche nazistische Charakterisierung zu unternehmen, sie austilgen zu lassen. In seinem Abgeordnetenkabinett in Rios City sagt mir Bergher: “Ich habe nicht mal eine Antwort bekommen.“ Ganz offensichtlich befand sich Schröder somit bei der EXPO-Eröffnung in „allerbester“ Gesellschaft – dennoch lehnten es Amnesty International und die Gesellschaft für bedrohte Völker ab, Cardosos Ausladung zu fordern, beließen es bei kaum wahrgenommener Kritik. Die deutschen Medien übersahen geflissentlich die Korruptionsaffäre um den brasilianischen Pavillon, den kein geringerer als der Präsidentensohn koordinierte. Als Staatschef Cardoso im Oktober erneut während eines viertägigen Staatsbesuches in Berlin bei Schröder aufkreuzte, alle Ehren erhielt, schwiegen Poppe, Roth & Co. wiederum im Kollektiv, ebenso natürlich die angepasste PDS, während einzig die Grüne Liga, Ostdeutschlands größter Umweltverband, mit dem Appell “Kein Staatsempfang für Regenwaldzerstörer!“ deutlich Flagge zeigte. Cardoso wurde – bisher einmalig in Deutschland – als „Regenwaldzerstörer und Menschenrechtsverletzer“ definiert. „Wir fordern als Umweltverband die Bundesregierung auf, alle diplomatischen Beziehungen zur brasilianischen Regierung einzufrieren, solange die Menschen-rechtslage nicht verbessert und die Regenwaldabholzung toleriert wird.“ Deutschland, so Cardoso im Oktober in Berlin, gehöre zu den Ländern, mit denen Brasilien die besten Beziehungen überhaupt unterhalte. Jetzt wolle man die Präsenz in Europa weiter verstärken. Da ist es ganz offensichtlich sehr nützlich, verständnisvolle rot-grüne Partner zu haben.

Falsche Mutter Courage/2001

Mit Claudia Roth, tönen Deutschlands Medien, kam eine Parteilinke guter alter Öko-Werte an die Grünen-Spitze. Ein schlechter Witz – die Populistin ist eine knallharte Neoliberale. Ihre verheerende Rolle als Chefin des Menschenrechtsausschusses im Bundestag sagt genug. 

Die Zustände in Brasiliens total überfüllten Haftanstalten werden selbst von kirchlichen Gefangenenseelsorgern mit denen in Nazi-KZs verglichen, Todesschwadronen wüten schlimmer als zur Diktaturzeit, die grausigsten Massaker an Landlosen sprachen sich auch bis nach Deutschland herum. Den politisch Hauptverantwortlichen für die Blutbäder benennt bereits 1996 ein Internationales Tribunal, dem Persönlichkeiten der UNO und des Weltkirchenrates angehören. Es ist Fernando Henrique Cardoso, Präsident des Tropenstaates, selber Großgrundbesitzer, natürlich Ehrendoktor der Freien Universität Berlin – noch nicht einmal der ASTA findet das irgendwie anstößig. Claudia Roth, menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen, erst recht nicht. Die ist immer nett zum Massaker-Demokraten, so wie Joseph Fischer, Jürgen Trittin oder gar Gerhard Schröder. Deutsche, brasilianische Menschenrechtsaktivisten hatten erwartet, daß mit Rot-Grün Cardoso bei seinen Deutschland-Visiten ein eisiger Wind entgegenschlagen, die Hofiererei wie unter Helmut Kohl jäh enden würde. Zu dessen Zeiten wurden auch Präsidenten-Vize Marco Maciel und Kongreßchef Antonio Carlos Magalhaes besonders herzlich empfangen – niemand störte sich daran, daß beide tonangebend in der Arena-Partei des Militärregimes waren und damals schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit deckten. Doch – nur für manche überraschend – setzt Rot-Grün die Kohl- Linie fort: Ist Staatschef Cardoso in Berlin bei Schröder & Co., unterbleibt jede Kritik an dessen Verantwortung für Killerkommandos, Massenfolterungen sowie an der Amazonasvernichtung – laut Greenpeace steht immerhin bereits fest, daß die Cardoso-Regierung als absoluter Rekordhalter bei der Regenwaldzerstörung in die Geschichte eingehen wird. Wer noch Zweifel über Claudia Roths politische Philosophie hat, verliert die ausgerechnet zur EXPO-Eröffnung: Denn

Sozialdemokrat Schröder wählt unter den Staatschefs dieser Erde zielsicher den “Social-Democrata” Cardoso, um mit ihm in Hannover die Weltausstellung zu eröffnen, ihn auf dem festlichen Bankett als einzigen ausländischen Ehrengast eine Rede halten zu lassen. Da spätestens hätte die “Menschenrechtsexpertin” Roth dem Kanzler in den Arm fallen, ihn vor einem historischen Fehlgriff bewahren müssen. Doch sie tut es nicht – selbst in Kenntnis neuester Anklagen von Amnesty International und des US-State Department. Es stellt bereits 1998 fest, daß unter Cardoso Folter, außergerichtliche Exekutionen und Polizeigewalt weiter zunehmen. Beamte der aus Diktaturzeiten berüchtigten Militärpolizei betätigen sich in der Freizeit als Berufskiller und Entführer. Folterungen regelmäßig selbst in den Streitkräften.

In Hannover kommt es noch schlimmer. Cardoso, heißt es offiziell, repräsentiere durch seine Biographie, sein Land, seine Regierung die Hauptthemen der EXPO – Mensch, Natur und Technik. Er sei jene Persönlichkeit mit den besten Voraussetzungen, Lösungsvorschläge für die Probleme des nächsten Jahrhunderts zu machen. Tags darauf ist Cardoso in Berlin einer von – laut Eigendarstellung der Teilnehmer – “fünfzehn fortschrittlichen” Staatschefs, darunter auch Clinton und Blair, die im Kanzleramt auf der Konferenz “Modernes Regieren im 21.Jahrhundert” ein gewichtiges Wort mitreden Und in der Tat – Präsident Cardoso kann den politischen Eliten der Ersten Welt nützliche Ratschläge geben, wie man neoliberale Konzepte brutal durchsetzt und dennoch recht problemlos an der Macht bleibt. 

Markt und Moral

Claudia Roth kennt wie Fischer auch die entscheidenden ökonomischen Basisfakten nur zu genau: Brasilien ist Hauptempfänger deutschen Kapitals in der Dritten Welt, Deutschland zählt zu den vier wichtigsten Investoren in dem Tropenstaat, längst unter den zehn größten Wirtschaftsnationen der Erde. Sein Bruttosozialprodukt übertrifft das von Rußland oder China – allein jenes von Rio de Janeiro das von ganz Chile, jenes der 17-Millionen-Metropole Sao Paulo das von ganz Argentinien. In einer Bucht bei Rio hat Siemens gerade einen Atommeiler ans Netz geschaltet, will genau daneben einen zweiten des Biblis-Typs fertigbauen. Gewinnspannen wie in Brasilien sind weltweit fast einmalig, werden vor allem in Lateinamerikas Wirtschaftslokomotive Sao Paulo erzielt. Nicht zufällig nennt man die auch “größte deutsche Industriestadt” – wegen der über eintausend Niederlassungen von Konzernen wie VW, Daimler-Chrysler oder Bayer. Daß dort Lateinamerikas gräßlichster, größter Gefängniskomplex Carandiru steht, in dem es wegen der entsetzlichen Zustände auch dieses Jahr zu Häftlingsrevolten kam, hätte Claudia Roth eigentlich interessieren müssen. Schließlich ist das Massaker von 1992, bei dem eine Spezialeinheit der Militärpolizei laut offiziellen Angaben 111, laut kirchlichen weit über zweihundert Insassen durch Mpi-Salven und Bluthunde umbrachte, weiterhin ungesühnt. Der befehligende Offizier ging in die Politik, unterstützt nach wie vor Cardoso, ein anderer Armeeoffizier und Kongreßabgeordneter aus des Staatschefs Mitte-Rechts-Regierungsbündnis plädiert öffentlich für Folter, rechtfertigt ungestraft Massaker an Landlosen und Gefangenen: “Ich hätte ebenfalls geschossen.” Zum Blutbad von Carandiru erklärt er:”Man hätte noch einige neunhundert töten müssen, um Platz für andere Gefangene zu schaffen.” Reaktion von Cardoso auf diese öffentlichen Äußerungen – keine, von Claudia Roth ebenfalls nicht. Nach den jüngsten Revolten beschuldigt Marcos Rolim, der im Parlament die gleiche Funktion wie die Grüne im Reichstag hat , den Justizminister Cardosos, für die Unruhen direkt verantwortlich zu sein, spricht von “Mord, Folter, Hunger und Dreck” – laut Angaben der katholischen Kirche bricht alle sechsunddreißig Stunden im Lande ein Häftlingsaufstand aus. Doch der Staatschef kontert, das brasilianische Strafsystem sei “exzellent”. 

Bundeskanzler Schröder betont, daß dieser brasilianische Präsident Vertrauen verdiene. Und weiß natürlich, wie clever sein stockneoliberaler sozialdemokratischer Kollege vom Zuckerhut beispielsweise kreuzgefährliche Untersuchungsausschüsse des Parlaments abwürgt, verhindert: Die wichtigsten Bestecher der Nation, darunter Multis, werden nicht ermittelt, Cardosos Verwicklung in einen Banken-und Stimmenkaufskandal bleibt im Dunkeln.

Wenn die grüne “Übermutter” solche Zustände nicht dazu bringen, Cardoso und seinen Anhang weniger freundlich zu behandeln, hätte natürlich des FU-Ehrendoktors Position zum Fall Pinochet Anlässe geboten. Der chilenische Diktator beging Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht alleine, sondern hat bis heute Kumpane, engste Freunde und Helfershelfer auch im brasilianischen und argentinischen Militär, von der intensiven CIA-Kooperaration ganz zu schweigen. Argentiniens Präsident Carlos Menem wettert von Anfang an gegen die Verhaftung Pinochets, Schröders Staatsgast und Armee-Oberbefehlshaber Cardoso verlangt ebenfalls die Freilassung – in dessen Amtszeit lädt seine Generalität den hochverehrten chilenischen Kollegen natürlich weiterhin etwa nach Rio de Janeiro ein.

Deutsche Waffen für die Slum-Warlords

In den rasch wachsenden Slums der brasilianischen Großstädte haben die Gewaltexzesse gegen schutzlose Bewohner die letzten Jahre für Europäer nahezu unvorstellbare Ausmaße angenommen – täglich werden ungezählte Opfer gefoltert, verstümmelt, geköpft, in Stücke gehackt, angezündet. Zeitungen zeigen die Verbrechen in Großaufnahme. Täter sind vor allem Banditengangs und Todesschwadronen, die auch deutsche Heereswaffen tragen, die Polizei agiert ebenfalls brutal. Die Herrschaft des organisierten Verbrechens über die Slums, betonen selbst kirchliche Menschenrechtler, verhindert auf perfide Weise, daß deren Bewohner politisch für ihre Rechte kämpfen. Denn immer wieder werden engagierte Bürgerrechtler, die Slumassoziationen leiten und sich dem Normendiktat des mit der Politik verzahnten organisierten Verbrechens nicht beugen wollen, zur Einschüchterung ermordet. Für AI ist besonders schwerwiegend, daß die skandalöse Untätigkeit der Cardoso-Regierung vor allem in den unteren Bevölkerungsschichten das Gefühl des Ausgeliefertseins noch verstärke. Der Präsident habe im Ausland versichert, sich für die Menschenrechte der Unterprivilegierten einzusetzen – der Widerspruch zur tatsächlichen Lage sei eklatant. Anwalt James Cavallaro, Leiter des brasilianischen Human-Rights-Watch-Büros, spricht wiederholt von “niederschmetternder Indifferenz” der Cardoso-Regierung. 

Yvonne Bezerra de Mello, eine der angesehensten Bürgerrechtlerinnen Brasiliens, prangert seit Jahren an, wie das organisierte Verbrechen mit Duldung der Politiker Straßenkinder rekrutiert, sie zu Kindersoldaten macht, die auch deutsche G-3 oder schweizerische Sig-Sauer-Sturmgewehre benutzen. Wer nicht mehr mitzieht, wird kurzerhand eliminiert, die Leichen läßt man meist verschwinden. In den Slums, so die auch in Europa durch Buchveröffentlichungen bekannte Expertin, gebe es Ställe mit Schweinen, die Überreste von Kindern auffräßen. Oder:”Ein Junge, oft nur dreizehn Jahre oder jünger, muß dem an einen Baum gebundenen Opfer mit einer Rasierklinge solange ins Fleisch schneiden, bis es stirbt – sogar das Herz wird herausgetrennt, alles zur Einschüchterung auch der Slumbewohner.” Nicht nur im deutschen Außenministerium dürfte bekannt sein, wie Yvonne Bezerra de Mello die Waffenexportgesetze der Ersten Welt scharf kritisiert. Daß sich unter Rot-Grün 1999 die Kriegswaffen-Ausfuhren im Vergleich zum Vorjahr der Kohl-Regierung mehr als verdoppelten, kam, man ahnt es schon, auch Brasilien zugute. Menschenrechtsaktivisten, die all dies kritisieren, deshalbverfolgt, mit Morddrohungen überhäuft werden, erhalten ebenso wie verfolgte Homosexuelle politisches Asyl in den USA, Kanada oder Australien – und das fünfzehn Jahre nach der Militärdiktatur. 

Der brasilianische Präsident ist gleichzeitig Oberbefehlshaber der Streitkräfte, könnte die Öffnung der geheimen Militärarchive anweisen, in denen die Zusammenarbeit mit Pinochet, auch das Schicksal der Verschwundenen Brasiliens dokumentiert ist. Wie in Argentinien kollaborierten deutsche Multis eng mit dem Repressionsapparat der Diktatur, bespitzelten Arbeiter; in den Archiven dürften darüber Dokumente liegen. Doch Cardoso läßt die Finger davon, nimmt Rücksicht auf die Generalität. Präsident Cardoso fördert geradezu Folterknechte von einst, in seiner “Sozialdemokratischen Partei”/PSDB wimmelt es von schwerbelasteten Diktaturaktivisten.

Brasiliens Neonazis ermorden Schwule – “Hitler” als registrierter Vorname

In jenem Brasilien, das so vielen NS-Kriegsverbrechern Unterschlupf und Aufstiegschancen bot, werden auch andere Minoritäten ihr Stigma nicht los. Besonders die vor Hitlers Gaskammern geflohenen Juden schmerzt, daß die brasilianische Gesellschaft überhaupt nichts gegen den Vornamen Hitler hat, der einen sogar in Zeitungsüberschriften anspringt. Selbst in den besten brasilianischen Wörterbüchern steht unter “Judeu” immer noch: “Schlechter Mensch, Habgieriger, Geizhals”. Der jüdische Abgeordnete und Therapeut Gerson Bergher, Mitglied von Cardosos Sozialdemokratischer Partei/PSDB, fordert diesen brieflich auf, etwas gegen die widerliche nazistische Charakterisierung zu unternehmen, sie austilgen zu lassen. In seinem Abgeordnetenkabinett in Rios City sagt Bergher:”Ich habe nicht mal eine Antwort bekommen.”Als Staatschef Cardoso letzten Oktober erneut in Berlin bei Schröder aufkreuzt, alle Ehren erhält, schweigen Roth & Co. wiederum im Kollektiv, ebenso natürlich die angepaßte PDS-Spitze, während einzig die Grüne Liga, Ostdeutschlands größter Umweltverband, mit dem Appell “Kein Staatsempfang für Regenwaldzerstörer!” deutlich Flagge zeigt. Cardoso wird – bisher einmalig in Deutschland – als “Regenwaldzerstörer und Menschenrechtsverletzer” definiert. “Wir fordern als Umweltverband die Bundesregierung auf, alle diplomatischen Beziehungen zur brasilianischen Regierung einzufrieren, solange die Menschenrechtslage nicht verbessert und die Regenwaldabholzung toleriert wird.” Doch Deutschland, so Cardoso hocherfreut an der Spree, gehöre zu den Ländern, mit denen Brasilien die besten Beziehungen überhaupt unterhalte. Jetzt wolle man die Präsenz in Europa weiter verstärken. Da ist es ganz offensichtlich sehr nützlich, verständnisvolle Grünen-Funktionäre wie Claudia Roth zu haben.

Hintergrundtext

Köpfen, vierteilen, lebendíg verbrennen.

Luxus und Elend von Rio.

Reinaldo Guarany, Stadtguerrilhero im Ruhestand, weiß, wie man mit Maschinenpistolen umgeht. 1970, wãhrend der Militärdiktatur, richtet er eine in Rio auf die Bewachertruppe des deutschen Botschafters Ehrenfried von Holleben.  Setzt sie mit einigen Feuerstõßen außerGefecht, reißt den verdatterten Dlplomaten aus seiner Luxuskarosse, packt ihn mit Hilfe eines Companheiro in eine nach Chloroform duftende Holzkiste. Die Entführung gelingt, von Holleben kommt frei, nachdem 40 Gegner der Foítergeneräle aus den Verließen geholt und nach Algerien ausgeflogen worden sind.  Deutsche, belgische oder nordamerikanische Maschinenpistolen, die Guarany seinerzeit vom chilenischen Exil aus für die Guerrilla in Argentinien, Uruguay und Brasiiien importierte, faßt der inzwischen úber 50-jährige heute nicht mehr an,sieht sie indessen alleTage, nurSchritte von seinem Hãuschen entfernt, auf sich gerichtet. Wir fahren eine enge steile Straße des malerisch wirkenden Bergstadtteils Santa Teresa hinunter – an der ersten Biegung blinkt bereits eine verchromte MPi. In fünfzehn langen Minuten, bis ein verkeilter LKW endlich weiterkommt, brauchte der nur mit Shorts bekleidete 12-jährige nur einmal durchzuziehen, und alle im Auto wären hinüber.  Guarany wird nicht ein bißchen mulmig: ,,Noch vor zwei Jahren habe ich hier viele Jungs Murmeln spielen sehen, die mir heute mit MPis begegnen – sie wurden Soldados des organisierten Verbrechens, prahlen damit herum, rühmen die Banditenchefs ais ihre Helden!”Die Zeiten haben sich geändert – seit 1985 ist Brasilien wieder eine Demokratie, und Entführungen von Geldleuten, nicht mehr Diplomaten und Politikern, wurden in Rio so hãufig, daß sich kaum noch jemand darüber aufregt und die Medien längst nicht mehr alle Fälle registrieren. Der illegale Besitz von eingeschmuggelten Mpi stieg enorm.  ,,Wáren wir damals nur fünfzehn Minuten bewaffnet in Santa Teresa auf der Straße geblieben”, so Guarany bitter-humorig, ,,hätten die sicher sogar ein Kriegsschiff hierher in die Berge geschickt.”Einen Steinwurf von Guaranys Häuschen entfernt,beginnt das pompöse Anwesen einer der reichsten Familien Brasiliens, die ein Bataillon von Hausbediensteten beschäftigt.  Schaut deralsRomanschreiber.Fachbuchautor, Ghostwriter, Úbersetzer, Rechtsexperte, Betriebswirt und auch noch erfolgreicher Bildermaler vielbeschàftigte Ex-Guerrilheiro dagegen von seinem Balkon die Santa-Teresa-Berge hinunter, sieht er nur Slums, Favelas, die wie sämtliche rund 800 Rios in Feudalmanier grausam wie im Mittelalter von Herren úber Leben und Tod regiert werden.  Manche lassen sich sogar die Füße küssen, haben mit Dutzenden von Geliebten Dutzende von Kindern, erhalten Heldenbegräbnisse. Banditenchefs mit Namen wie Rambo oder Robocop und Minireichen wie Ratolândia(Rattenland) oder Buraco Quente (Heißes Loch) dinieren in den besten Restaurants, kaufen in den teuersten Boutiquen der Mittel- und Oberschichtsviertel Ipanema, Leblon oder Barra, benutzen nicht selten sogar Computer, Laptop und Internet, haben indessen keine Hemmungen, Mißliebige, vom Normendiktat abweichende Slumbewohner zu kastrieren, zu köpfen, zu vierteilen, aufzuspießen oder sogar lebendig zu verbrennen.lm Slum Vidigal, der direkt an das Sheraton-Hotel grenzt, ließ Banditenboß Giovani zwei 14-jährige Màdchen von seinen meist minderjährigen Soldados aus ihren Baracken holen und auf die wichtigste Favela-Straße, die Avenida Presidente João Goulart bringen.  Dort wurden ihnen vor allen Leuten die Füße durchschossen.  Sie hatten gewagt, einem anderen, mit Giovani verwandten Mädchen eine Ohrfeige zu verpassen, weil es mit dem neuen Freund einer der beiden ausgegangen war.  Ein Bewohner kommentíerte: “Die beiden baten, bei der Liebe Gottes, nicht zu schießen, aber das half nichts. Hier ist es so. Wer sich nicht an die Regeln hält, hat die Strafe sicher.” Zu den Regeln gehört das “Lei do Silencio”, Gesetz des Schweigens: Zu niemandem ein Wort über Favela-Vorgänge!Zuvor verdächtigt Gringo, ein anderer Neofeudalist von Vidigal – den Bewohner Boca Mole, für die Polizei zu spionieren. Zeugen sehen, wie dem Mann mit einer Zange die Zunge herausgerissen und mit einem Messer die Ohren abgeschnitten werden. Zunge und Ohren werden auf öffentlichem Platz fúr jedermann sichtbar an einem Pfahl angenagelt.Nebenan in Ipanema, stimuliert derartiges keinen aus derreichlich vertretenen intellektuellen Elite mit den Sorbonne-und Harvard-Diplomen zu tieferem Nachdenken, Reflektieren oder gar zu einer Aktion. Staatschef FernandoHenrique Cardoso, Soziologe, und seine Frau Ruth, Anthropologin, úbergehen das Thema schließlich auch mit Schweigen. Die Boys und Girls from Ipanema, viele davon Uni-Studenten, mucksen sich gleich gar nicht. Sie haben Wichtigeres, Hehreres im Auge – für das Recht auf freien Marihuana-Konsum am vielbesungenen, weltbekannten Strand wurde mit allen politischen Mitteln, darunter Demos, Pfeifkonzerte, Flugblattaktionen und sogar Rund-Tisch-Gesprãche mit Politikern und Intellektuellen heftig gekämpft, die Presse war voll davon. Daß Marihuana (und die anderen ebenso rege verbrauchten Modedrogen wie Kokain und Crack) nur von moralisch-ethisch einwandfreien Lichtgestalten wie Giovani, Gringo und dessen Anhang zu haben ist, die freundschaftliche Beziehungen zu den immer unentbehrlicheren, sozial zusehends aufgewerteten Dienstleistern vom nahen Hügel als Kehrseite, Nebenprodukt das Terrorregime in den Slums haben, fällt dabei glatt unter den Tisch. Charles Fábio Vidal, 18, wollte in der an einem Steilhang úber Ipanema gelegenen Favela ‘Morro do Cantagalo’ kein Soldado an den von Studenten, Alternativen und Jungunternehmern frequentierten Drogendepots sein – zur Strafe durchschossen ihm die Banditen seines Slums die Hände mit einem Revolver. Wer die Rekrutierung ablehnt, kann sogar getòtet werden. In einem Slum der Nordzone wurden nicht weniger ais 21 Jugendlichen nach Folterungen die Hánde mit Schüssen perforiert Alba Zaluar, Brasiliens führende Gewaltexpertin, eine Art einsame Ruferin in der Wüste, sieht in den rasch wachsenden Slums eíneneue tyrannische Kultur feudalistisch-machistiscner Werte inzwischen fest installiert. Von den Autoritäten werde dies hingenommen.Ex-Guerrilheiro Guarany geht noch einen Schritt weiter – spricht von einer “Komplizenschaft des Staates” mit den Drogengangstern dês organísierten Verbrechens. Diese sind übrigens verrúckt nach importierten Brutalo-Filmen, holen sich aus ihnen womõglich Anregungen: Ein Geistlicher sieht, wie in einem Slum Rios mit einem abgehackten Kopf Fußball gespielt wird. Eine Rechtsanwältin kennt einen Zeugen, der ihr berichtete, wie inmitten von Freiluft-Discos Jugendliche lebendig  verbrannt wurden. Derartiges tat auch der 1995 von Rivalen erschossene Gangsterboß Nem Maluco: Ais die Eltern einer Jugendlichen nicht einverstanden waren, daß er ihre Tochter zur Geliebten machte, befahl er Kumpanen, ein großes Loch zu schaufeln.  Die Eltern wurden gezwungen, sích hineinzulegen.Nem Maluco úberschüttete sie mit Spiritus, ließ sie ver-brennen. Der Geruch verkohlten Fleisches zog úber dieFavela – doch jedermann blieb aus Angst passiv in seinerHútte. Ein Mädchen wollte sich nicht hingeben – derGangsterboß einer anderen Favela schlitzte sie daraufhinvon unten bis oben mit einem Messer auf. Leichen sollenoft zwecks Abschreckung ím Gassenlabyrinth liegenbleiben- jedermann jeden Alters muß mit ansehen, wieGeier und freilaufende Schweine diesen die Gedärme meterlang herauszerren, die Toten schlíeßlích ganz oder  teílweíse auffressen.Die Liste von nahezu unvorstellbaren Untaten läßt sich beliebig verlângern. Jurandir Freire Costa, Therapeut und Direktor des Instituts für Sozialmedizin an der Universitát von Rio, hat eine Erklärung fúr das Desinteresse der Bessergestellten Rios, Sao Paulos, Salvadors oder Fortalezas am Los der Slumbewohner: Die Mittel- und Oberschicht spricht diesen den Gleichheitsgrundsatz ab, definiert sie quasi ais Nicht-Menschen, reagiert daher mit extremer Indifferenz und Akzeptanz auf jede Art von Gewalt gegen diesen Bevölkerungsteil. Daß Slumbewohner kaum ein Minimum an Menschenrechten genießen, ist somit irrelevant.

Aus Brasilien nichts Neues. Das Lula-Rousseff-Erbe – nach dem Manaus-Gefängnis-Massaker nun das “Massacre” in ebenfalls total überfülltem Gefängnis des Amazonas-Teilstaates Roraima – offiziell mindestens 33 Geköpfte, Zerhackte etc.(6.1. 2017). Warum Brasilien strategischer Partner der Merkel(CDU)-Gabriel(SPD)-Regierung ist, viel offizielles Lob aus Berlin erhält…Gefängnismassaker vor Fußball-WM von deutschen Medien nicht gemeldet…Brasiliens Kindersoldaten. **

Brasiliens Regierungs-Staatssekretär für Jugendfragen, Bruno Julio der Partei PMDB des Staatschefs Michel Temer sagte in einem TV-Interview, es sollte pro Woche so ein Blutbad wie in Manaus und Boa Vista geben, es müßten mehr Häftlinge getötet werden – daraufhin mußte er offenbar wegen öffentlichen Drucks seinen Posten räumen. 

http://g1.globo.com/rr/roraima/noticia/2017/01/mais-de-30-presos-sao-mortos-na-penitenciaria-de-roraima-diz-sejuc.html

Laut lokalen Medienberichten waren  die meisten Gewaltopfer geköpft bzw. in Stücke gehackt worden,  vielen habe man das Herz herausgerissen. Auf einem  Medienfoto sind sieben abgetrennte Köpfe nebeneinander abgelegt vor einer Metalltür zu sehen. Brasilianer sprechen in diesem Kontext nicht selten von “biblischen Plagen”, von denen das Land heimgesucht sei.

Brasiliens Schriftsteller Milton Hatoum, Manaus, über das gesellschaftliche Klima: ”Wir verlieren fast komplett den Begriff von Zivilisation und Gerechtigkeit.” Da es sich bei Brasilien um  den strategischen Partner der Merkel-Gabriel-Regierung handelt, hat der deutsche gesteuerte Mainstream nur kurz und oberflächlich über die Gefängnisrebellionen und Massaker berichtet. Deutsche TV-Zuschauer werden gezielt mit immer mehr Brutal-und Kriminalfilmen berieselt, um an immer mehr Gewalt in der Gesellschaft gewöhnt zu werden.

In der Großstadt Campinas bei Sao Paulo tötete ein Mann auf einer Silvesterfeier 12 Menschen und beging danach Selbstmord. 

BoaVistaBlutbad17

Ausriß Lokalmedien Jan. 2017 – Geköpfte, abgehackte Körperteile…

Im Oktober 2016 waren nach offiziellen Angaben in dem betreffenden Gefängnis zwischen 10 und 25 Gefangene bei einer Rebellion  getötet worden, nicht wenige hatte man auf einem großen Scheiterhaufen lebendig verbrannt. Landesmedien veröffentlichten Fotos der Überreste.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle/FDP 2010 in Sao Paulo:

“Die brasilianische Regierung, mit der Autorität ihrer Erfolgsgeschichte im Hintergrund, sie macht ihr Wort in der Weltpolitik…Aber, meine Damen und Herren, was uns verbindet, das sind gemeinsame Werte. Und wenn man gemeinsame Werte hat, wenn man Ansichten zur Rechtsstaatlichkeit, zur Notwendigkeit internationaler Kooperation, zum Primat des Völkerrechts teilt, so ist das eine ganz besonders verlässliche Basis für eine strategische Partnerschaft. Wir haben ähnliche Vorstellungen über den Wert individueller Freiheit…”

Häftlinge hatten  zudem mit abgeschlagenen Köpfen Fußball gespielt, wie auf Medienfotos zu sehen war:

BoaVistaKopfFußball16

Ausriß, Landesmedien.

Menschenrechtssamba anklicken – “Der Irak ist hier”: http://www.youtube.com/watch?v=XkvjkxERac4

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/10/12/o-iraque-e-aqui-der-irak-ist-hier-hit-von-jorge-aragao/

http://www.hart-brasilientexte.de/2017/01/03/brasilien-gefaengnisrebellion-mit-massakern-2017-das-ist-eine-folter-fabrik-die-gewalt-produziert-und-monster-schafft-valdir-joao-silveira-leiter-der-nationalen-katholischen-gefangenenseelsorg/

:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/12/27/oesterreichs-katholischer-priester-guenther-zgubic-unter-den-besten-kennern-brasi

BahiaRebellionVerbrannter14

Ausriß, Landesmedien. Bahia-Gefangenenrebellion vor Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien, lebendig Verbrannter, Reste.

Brasiliens Kindersoldaten:http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/22/brasiliens-kindersoldaten-junge-kinder-mit-waffen-die-einfach-anderre-kinder-erschossen-haben-die-sie-gerade-mal-schief-angeschaut-habenlesermail/

bosshartmpikinder.JPGZeitungsausriß NZZ.

Waffen-Rap, vielgesungen in Rio de Janeiro, Besuchsort von Roman Herzog:https://www.youtube.com/watch?v=ZthNYozVwNM

“Der jetzt gestorbene Altbundespräsident Roman Herzog war ein Leben lang ein unbequemer Mahner.” DER SPIEGEL

“Ein Mann der Freiheit und des Rechts”. FAZ

“Engagierter Christ”. BILD

Brasilien-Gefängnisrebellion mit Massakern – Manaus 2017: “Das ist eine Folter-Fabrik, die Gewalt produziert und Monster schafft – ein Ambiente von Barbarei”. Valdir Joao Silveira, Leiter der nationalen katholischen Gefangenenseelsorge Brasiliens, Amtsnachfolger von Günther Zgubic, Gefangenenpriester aus Österreich. Warum Brasilien strategischer Partner der Merkel-Gabriel-Regierung ist…Brasilien – Testlabor des Neoliberalismus. Jurandir Freire Costa, Therapeut, Professor an der Staatsuniversität von Rio de Janeiro(UERJ). “In Brasilien herrscht ethisch-moralische Schizophrenie.” **

http://g1.globo.com/am/amazonas/noticia/e-uma-fabrica-de-tortura-que-produz-violencia-e-cria-monstros-diz-padre-que-visitou-presidio-em-manaus.ghtml

“Es ist dort wie im Konzentrationslager.” Leiter der katholischen bischöflichen Gefangenenseelsorge, Valdir Joao Silveira, zur Rebellion in Gefängnissen von Manaus.

Fotoserie über Rebellion und Opfer – Video mit vielen Geköpften, wie bei vorangegangenen Rebellionen dieser Art:http://portaldozacarias.com.br/site/noticia/sem-censura–videos-e-fotos-mostram-presos-decapitados-durante-rebeliao-em-presidio-de-manaus.-pelo-menos-70-detentos-teriam-sido-assassinados/

Offizielle Angaben über Zahl von Toten, Verletzten, Geköpften, Zerhackten üblicherweise ohne jegliche Glaubwürdigkeit – siehe das Carandiru-Massaker von Sao Paulo: Gefangenenseelsorger, Tatzeugen zählten weit mehr Getötete als offiziell angegeben. 

Offiziell rund 400 Gewalt-Tote 2016 in Brasiliens Gefängnissen – vermutlich hohe Dunkelziffer…

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Ausriß Landesmedien – Manaus-Rebellion, mindestens 30 Geköpfte laut offiziellen Angaben. Wie üblich, wurde im Gewaltrausch anderen Häftlingen auch das Herz und weitere innere Organe herausgerissen. Köpfungen etc. wurden per Smartphone gefilmt – das Material wurde sofort landesweit, Lateinamerika-weit verbreitet.

“In den brasilianischen Gefängnissen sind die Opfer des politisch-wirtschaftlichen Systems eingekerkert, in dem wir leben.” Anwalt Bruno Alves de Souza Toledo, 29, Präsident des Menschenrechtsrates im Teilstaat Espirito Santo, vor dem UNO-Menschenrechtsrat in Genf. Systemkritiker weisen auf Bruch internationaler Abkommen durch Brasilia, hoffen auf Ende der Informations-und Zensurbarrieren in den Medien.

Austragungsort Manaus – das Stadion der Fußball-Weltmeisterschaft. Ausgaben für unnützes Stadion – und für soziale Zwecke, darunter bessere Haftbedingungen…:http://www.hart-brasilientexte.de/2014/07/16/im-%E2%80%9Ecampo-bahia%E2%80%9C-in-brasilien-schliefen-sich-jogis-jungs-zum-titel-gewinnen-sie-eine-reise-ins-hotel-der-weltmeister-schlafen-wohnen-schwimmen-wie-schweini-poldi-co-de/

Deutsche Architekturunternehmen entwarfen WM-Stadien wie das am meisten umstrittene in Manaus, dessen Unterhaltung den Teilstaat Amazonas laut amtlichen Angaben nun  umgerechnet jährlich rund 4 Millionen Euro, und damit doppelt so viel wie geplant, kosten wird. Das Manaus-Stadion sei kompliziert,  sehr technisch-wissenschaftlich konzipiert worden. Der Teilstaat habe einen Kredit von umgerechnet über 130 Millionen Euro aufnehmen müssen, um das Stadion bauen zu können – hinzu kämen andere hohe Millionenkosten wegen der WM, hieß es. Angesichts der großen deutschen Wirtschaftsinteressen an der Geldfußball-WM  fiel die deutsche WM-Berichterstattung entsprechend aus. Wegen der strengen Zensurbestimmungen durfte über die gravierende Menschenrechtslage im WM-Austragungsort Manaus, darunter über die Situation in den Manaus-Kerkern, nicht berichtet werden. Welche deutschen Medien sowie Verlage dies betrifft, hat man per Google-Suche rasch heraus. 

http://www.hart-brasilientexte.de/2014/07/16/brasilien-nach-der-wm-2014freiheit-fur-die-politischen-gefangenen-protestaktion-in-rio-de-janeiro-wie-ublich-schweigen-von-zustandiger-seite-in-mitteleuropa-2/

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Ausriß, Gefängnishof mit Toten. Deutsche Mediensteuerer haben wegen der Gefängnisbarbarei von Bahia keinen “öffentlichen Aufschrei der Empörung” produziert, wie es im Falle Rußlands üblich wäre. Auch eine für für Rußland gewohnte Boykott-Debatte wird nicht angestoßen. Bemerkenswert ist, daß zudem Proteste von Merkel, Steinmeier, Gauck etc. ausblieben – immerhin handelte es sich um gravierende Menschenrechtsverletzungen just vor der WM. In Bahia werden  sieben Spiele ausgetragen. 

Außenminister Guido Westerwelle in Sao Paulo 2013:  ”Unsere Partnerschaft gründet sich auf ein solides Fundament: Auf gemeinsame Werte und eine enge kulturelle Verbundenheit. Wir teilen die gleichen Vorstellungen von der Freiheit und Würde des Einzelnen, von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Marktwirtschaft, von Multilateralismus und der Geltung des Völkerrechts.”

“In der Hölle hinter Gittern”:  http://www.welt-sichten.org/artikel/221/der-hoelle-hinter-gittern

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Ausriß , Bahia-Medien.

Deutscher Tourist Steffen Neubert in Bahia ermordet – deutsche Medien berichteten nicht: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/10/07/brasilien-wo-man-den-2012-in-bahia-ermordeten-deutschen-touristen-steffen-neubert-in-einem-nummerngrab-beerdigte-friedhof-neben-einem-gewaltgepragten-elendsviertel-von-ilheus-wo-neubert-liegt/

Deutsche Mannschaft und Lage in Brasilien:  http://www.hart-brasilientexte.de/2014/07/15/deutsche-nationalmannschaft-in-brasilien-2014-keinerlei-erkennbares-interesse-bzw-sensibilitat-fur-gravierende-menschenrechtslage-darunter-in-der-region-des-teamquartiers-im-teilstaat-bahia-deuts/

http://www.hart-brasilientexte.de/2014/07/15/wm-2014-und-repression-in-brasilien-menschenrechtsbewegung-katholische-kirche-fordern-weiter-die-freilassung-der-politischen-gefangenen-vorhersehbar-keinerlei-reaktionen-hochrangiger-mitteleuropais/

Die FIFA über Manaus:http://de.fifa.com/worldcup/destination/cities/city=2037/index.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Arena_da_Amaz%C3%B4nia

Die Aufdringlichkeit der Sinne

Vom machtgeschützten Verlust der gesellschaftlichen Sehkraft – Oskar Negt(2000)

“Der Verlust jener in sinnlicher Erfahrung begründeten Urteilsfähigkeit der Menschen hat in unserem Jahrhundert für viele Menschen tödliche Folgen gehabt. Das Wegsehen, die machtgeschützte Sinnenblindheit, wenn Menschen verfolgt und getrieben, vergewaltigt und öffentlich gequält werden – das gehört nicht der Vergangenheit an.”

“In der Hölle hinter Gittern”:  http://www.welt-sichten.org/artikel/221/der-hoelle-hinter-gittern

Es fällt auf, wie zuständige Regierungsstellen in Berlin und deutsche Politiker bei Besuchen in Brasilien die Menschenrechtslage übergehen. Für Pastor Lauer liegen die Gründe auf der Hand:„Die politischen und die wirtschaftlichen Interessen gehören zusammen. Man gefährdet nicht seine Beziehungen, indem man den Brasilianern den Spiegel vorhält und sagt: Ihr habt hier eine schöne Verfassung und schöne Gesetze, aber warum werden die nicht eingehalten?“

Manaus mit seinen extrem berüchtigten Gefängnissen war entgegen entsprechenden Menschenrechtler-Protesten allen Ernstes von FIFA und Brasiliens politisch Verantwortlichen zum Austragungsort von Spielen der Fußball-WM bestimmt worden – dank damals geltenden Zensurbestimmungen hatten Lateinamerika-Korrespondenten, die über die gravierende Menschenrechtslage von Manaus berichten wollten, keinerlei Chancen. Hinzu kam das Problem massiver wirtschaftlicher Interessen aus Deutschland an der Fußball-WM – und an einer Berichterstattung ganz im Interesse der hochlukrativen Fußball-Industrie. 

Jeder 262. Brasilianer in Haft, laut Statistik. Tendenz steigend, viele Gefängnisse im Bau, Privatisierungswelle. Investoren legen zunehmend Geld im Gefängnis-Business an.

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Foto: Gefangenenseelsorge.

Bischöfliche Gefangenenseelsorge besucht Gefängnisse in Amazonien: “Total überfüllte Zellen, meist mit Analphabeten ohne Personaldokument, die sogar ihr Geburtsdatum nicht kennen.” Padre Valdir Joao Silveira

 

Die psychischen Belastungen für Gefangenenseelsorger und ihre Mitarbeiter, die immer wieder Zeuge solcher Vorgänge werden, sind enorm. Nicht weniger belastend, dazu verbitternd,  ist für sie die Feststellung, daß es in Brasilien, aber auch in Ländern der Ersten Welt wie Deutschland kaum echtes Interesse an der tatsächlichen Menschenrechtslage Brasiliens gibt, Verdrängungsmechanismen stark wirken. Zumal in diesen Staaten die perversen Machteliten gezielt und planmäßig dafür sorgen, die Bevölkerung(u.a. über massive Dauerberieselung mit Kriminal und -Gewalt-Filmen selbst durch Staatsmedien) an einen zunehmend höheren Grad von Alltagsgewalt zu gewöhnen. 

Silveira: “Zustände dieser Art gibt es in allen brasilianischen Teilstaaten.”

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Ausriß, Landesmedien. Manaus-Rebellion und Geköpfte 2017.

Leonardo Boff :“Lula machte die größte Revolution der sozialen Ökologie des Planeten, eine Revolution für die Bildung, ethische Politik.“ 

“Brasilien ist eine Industriemacht, die achtgrößte Wirtschaftsnation der Welt, modern und fortschrittlich.”

“In den vergangenen Jahren hat Rio gemeinsam mit Brasilien ein Wirtschaftswunder hingelegt. Die Favelas sind saniert und weitgehend drogenfrei…” Der Spiegel, Juni 2013

Wie die Merkel-Gabriel-Regierung auf die jahrelangen Warnungen, Appelle von Zgubic und Silveira reagierte, etwa bei Staatsbesuchen, ist allgemein bekannt. 

“Ich glaube, ihr seid auf einem fabelhaft guten Wege.” Helmut Schmidt(SPD) zu Lula 2009 in Hamburg…

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Silveira-Amtsvorgänger Günther Zgubic – österreichischer Priester  und langjähriger Gefangenen-Seelsorger  – bester Kenner des Gefängnis-Horrors von Brasilien. Die Analysen von Zgubic kennt auch die deutsche Regierung sehr genau:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/12/27/oesterreichs-katholischer-priester-guenther-zgubic-unter-den-besten-kennern-brasi

 

Brasilianischer Massakeroberst aus Lulas Koalitionspartei weiter straffrei/Hintergrundtext

Prozeß um Blutbad von 1992 neu aufgerollt

–von Klaus Hart, Sao Paulo–

Der österreichische Priester und Gefangenenseelsorger Günther Zgubic rennt im Oktober 1992 in die Haftanstalt Carandiru von Sao Paulo und sieht Unbeschreibliches: Kurz zuvor hatte eine Polizei-Sondereinheit aus Maschinenpistolen über fünftausend Schuß auf rebellierende Gefangene abgefeuert, diese regelrecht zersiebt, bis sämtliche Munition aufgebraucht war. Viele Häftlinge wurden dann durch Polizeihunde zerrissen. In Zellen und Korridoren steht das Blut knöchelhoch. Priester Zgubic zählt über 160 Tote, doch laut amtlichen Angaben sind es “nur” 111. Er hatte sie alle betreut. Vierzehn Jahre später steht Zgubic jetzt im Gerichtssaal von Sao Paulo jenem Polizeioberst und Politiker Ubiratan Guimaraes direkt gegenüber, der das größte Häftlingsmassaker in der Geschichte des Tropenlandes befohlen und persönlich geleitet hatte. Weder der politisch verantwortliche Gouverneur noch die Todesschützen wurden belangt – und auch Oberst Guimaraes ist weiter auf freiem Fuß.

Erst neun Jahre nach dem Blutbad war er zwar zu 632 Jahren Gefängnis verurteilt worden, genießt indessen als Abgeordneter Immunität. Jetzt will Guimaraes erreichen, daß das Urteil annulliert wird.

–Straffreiheit für „Schwerstverbrecher aus der Politik“—

Für Zgubic, der heute die gesamte Gefangenenseelsorge des Riesenlandes leitet und bereits mehrere internationale Menschenrechtspreise erhielt, weist der Fall auf den Zustand des brasilianischen Rechtsstaats. „Es ist ein zynischer Witz, eine schwere Beleidigung für alle Bürgerrechtler der Erde – hier zeigt sich, wie tief Brasilien immer noch in Strukturen der Militärdiktatur verwurzelt ist. Vieles wird noch unter den Teppich gekehrt.“

Für „Schwerstverbrecher in der Politik“ gelte nach wie vor Straffreiheit. Der Polizeioberst habe auch weiterhin nichts zu befürchten und könne zudem immer wieder in Berufung gehen, falls er jetzt vor Gericht nicht durchkomme. „Das ist das alte Trauerspiel in den lateinamerikanischen Demokratien.“ Damit das Blutbad nicht straffrei bleibt, hatte die Gefangenenseelsorge auf internationalen Druck gehofft, die Weltöffentlichkeit informiert. Leider erfolglos, Brasilien ist schließlich nicht Kuba. Brasilien ist Lateinamerikas größte Demokratie, zu der auch Deutschland laut Auswärtigem Amt „ausgezeichnete Beziehungen“ auf allen Gebieten unterhält.

Wenn Oberst Guimaraes in den Wahlkampf zieht, stellt er seine Kandidatennummer 111 stets groß heraus – 111 – die amtliche Zahl der getöteten Häftlinge. Auch Brasiliens Gefangenenseelsorge hat dies als Verhöhnung der Opfer, als beispiellosen Zynismus verurteilt, der von den Autoritäten auch noch hingenommen werde.

–Lula und die Rechtspartei des Massakerobersten—

Doch Oberst Guimaraes versteht sich gut mit den Eliten, ist auch Sicherheitsberater für die Upperclass. “Der Mann nimmt sogar an großen Militärparaden teil, wird dort von allen Obrigkeiten, seinen Freunden begrüßt“, sagt Zgubic. Guimaraes gehört derzeit zur Rechtspartei PTB – Staatschef Luis Inacio Lula machte sie nach seinem Amtsantritt zum politischen Bündnispartner, vergab an PTB-Politiker viele hohe Posten. Zur PTB gehört auch der Kongreßabgeordnete und Ex-Offizier Jair Bolsonaro, der öffentlich regelmäßig die Anwendung der Folter befürwortet. Mehrfach betonte Bolsonaro laut brasilianischen Presseberichten, daß man in Carandiru noch viel mehr Häftlinge hätte töten müssen. „Ich bin weiterhin der Meinung, daß man die Möglichkeit ungenutzt ließ, dort drinnen tausend zu töten“, wird Bolsonaro zitiert. Unter Lula ist Bolsonaro Mitglied des Außenpolitischen Ausschusses sowie des Ausschusses für Nationale Verteidigung. All dies spricht Bände.

Priester Zgubic kritisiert Lula und dessen Regierung, weist auch auf das Fortbestehen der Folter:“Wir sind bei einer Remilitarisierung Brasiliens und stehen vor einem inneren Bürgerkrieg, solange die sozialen Fragen nicht gelöst werden. Mehr als die Hälfte der Brasilianer hat keine rechtlich abgesicherte Arbeit. Die Erwerbslosigkeit ist unglaublich hoch – die offiziellen Zahlen von acht bis zehn Prozent sind gefälscht.“

–„Die internationalen Medien sind total manipuliert“—

Wie erklärt sich jemand wie der unter Lebensgefahr wirkende Menschenrechtsaktivist Zgubic, daß es um Mißhandlungen in irakischen Gefängnissen auch in den europäischen Medien viel Aufsehen gab, über weit gravierendere Fälle in Brasilien, und auch über die Massaker indessen im Vergleich so gut wie nicht berichtet wird? „Die internationalen Medien sind total manipuliert – wenn eine Oberschicht einfach nicht will, daß international hinterfragt wird, dann wird darüber eben nicht berichtet. Wir brauchten den Druck von Europa auf jeden Fall. Allein in Sao Paulo kommen mehr Menschen um als in den Konflikten zwischen Israel und Palästina.“

Im Gerichtssaal von Sao Paulo sitzt Zgubic neben seinem Mitstreiter Padre Julio Lancelotti, einem der angesehensten brasilianischen Menschenrechtsaktivisten.

—–„Mehrheit des Volkes für das Massaker“—

Für Lancelotti ist keineswegs überraschend, daß jemand wie Massakeroberst Guimaraes immer wieder ganz demokratisch zum Abgeordneten gewählt wird.

“Die Mehrheit des brasilianischen Volkes ist für das Massaker, wäre bei einer Befragung auch für die Todesstrafe, für die Exekution von Häftlingen.“ Denn die meisten glaubten nicht an Resozialisierung. „Und die Massaker dauern ja an – die Zahl der Opfer von 1992 wurde bei den nachfolgenden Blutbädern weit übertroffen. Gerechtfertigt wird die Gewalt gegen Häftlinge – das ist Reflex einer Kultur der Gewalt, der Banalisierung des Lebens in Brasilien. Das alles zeigt, wie es heute zugeht. Man hat nicht eine Vision der Gerechtigkeit, sondern der Rache. Es geht nicht darum, für Gerechtigkeit zu sorgen, einen Rechtsstaat zu haben – sondern einen Staat der Unterdrückung, der Gewalt. Man verteidigt vor dem Volke, daß die hohe Gewaltrate in Brasilien nur verringert werden könne, wenn man die sogenannten Gewalttätigen töte.“ Wie steht die Lula-Regierung zu dem Blutbad? „Offiziell ist sie gegen das Massaker – aber diese Position ist nur für den internationalen Verbrauch gedacht, für NGOs, Institutionen. Denn die Massaker gehen ja weiter.“ Lancelotti, der in Sao Paulo zugleich das weltweit einzige bischöfliche Vikariat für das Heer der Obdachlosen leitet, hält sein Engagement für die Menschenrechte trotz der Rückschläge und Niederlagen nicht für vergebens:“Es ist ein Akt des Widerstands und der Hoffnung, daß die Gerechtigkeit eines Tages siegen wird. Ich glaube, es ist uns gelungen, wenigstens einigen Menschen unsere Position zu verdeutlichen. Wir wissen, daß unsere Arbeit weiterhin sehr schwierig und aufreibend sein wird. “ Auch Dissident Lancelotti wirkt unter Lebensgefahr, erhält Morddrohungen, war bereits Ziel von Anschlägen. Unter der Lula-Regierung wurden zahlreiche Dissidenten, darunter aus der Landlosen-und Indianerbewegung, aus politischen Motiven ermordet. Mit wirksamer Solidarität aus Europa, gar Deutschland, können Brasiliens Menschenrechtsaktivisten nicht rechnen. Jeder weiß warum.

 

http://www.hart-brasilientexte.de/2017/01/02/aus-brasilien-nichts-neues-gefaengnis-rebellion-zu-jahresbeginn-2017-mit-offiziell-60-toten-in-amazonas-millionenstadt-manaus-schauplatz-vieler-aehnlicher-gewaltausbrueche-warum-brasilien-strateg/

Angela Merkel im größten katholischen Land der Erde:

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Ausriß, Radio Vatikan. “Die Stimme des Papstes und der Weltkirche”. “Brasilien: Kirchliche Menschenrechtler enttäuscht über Merkel”. Österreichischer Priester Günther Zgubic, Plinio Sampaio…

Kardinal Marx würdigt Bundeskanzlerin Merkel

„POLITIK AUS DEM CHRISTLICHEN GLAUBEN HERAUS“/dbk 2017

“Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hat das Engagement von Bundeskanzlerin Angela Merkel gewürdigt, die Welt aus christlicher Perspektive mitzugestalten.”

http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2017/2017-016b-Eugen-Bolz-Preis-Laudatio-Kard.-Marx.pdf

“Die mit 5000 Euro dotierte Auszeichnung ist nach dem früheren württembergischen Staatspräsidenten benannt, der 1945 als Widerstandskämpfer 1945 von den Nazis hingerichtet wurde.” DER SPIEGEL

Merkel-Kandidatur 2017:

http://www.hart-brasilientexte.de/2016/11/21/angela-merkel-was-auftraggebenden-machteliten-westdeutschlands-sowie-der-nato-an-ihr-gefaellt/

 

 

“Ich habe Merkel gewählt…ein kluger, tapferer, ehrlicher Mensch ist wie z.B. Angela Merkel…”

Wolf Biermann und Merkel:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/10/25/wolf-biermann-und-die-voelkerrechtswidrige-nato-aggression-gegen-den-irak-rund-15-millionen-tote-meist-zivilisten-ich-bin-fuer-diesen-krieg-wie-angela-merkel/

“Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erhält den Eugen-Bolz-Preis 2017 für praktizierte christliche Verantwortung in der Politik. Merkel werde ausgezeichnet, weil sie auch unter Kritik und Anfeindungen zu ihrer Überzeugung stehe und Verantwortung übernehme, teilte die Eugen-Bolz-Stiftung am Montag in Rottenburg am Neckar mit. Der Preis wird am 1. Februar in Stuttgart überreicht. Die Lobrede hält der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx.

Der Vorsitzende des Stiftungsrates, der Rottenburger Oberbürgermeister Stephan Neher (CDU), hob Merkels Eintreten für die humanitären und christlichen Werte der Europäischen Union hervor. Sie habe viele Ehrenamtliche in der Willkommenskultur bestärkt und sich klar von rechtsradikalen Bewegungen und Parteien abgesetzt.” Kirche+Leben Netz

Was in deutschen Staatsmedien, dem straff gesteuerten Mainstream alles fehlt…

“Der Untergang des unabhängigen Journalismus. Am besten nichts Neues. Medien, Macht und Meinungsmache. Tom Schimmeck.” Yoani Sanchez in Deutschland 2013 – anschauliches Beispiel für Tom Schimmecks Analyse… “Meinungen und Stimmungen werden gegen Geld von Profis gemacht…Der Mut der Presse schwindet, Journalisten und Redakteure stehen immer mehr unter Druck. Konzerne sparen Verlage und Sender zu Tode, und PR-Profis steuern die Themen.

Brasilien – Daten, Statistiken:

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/

Gruppenvergewaltigung in Olympia-Stadt Rio de Janeiro 2016:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/05/27/olympia-stadt-rio-de-janeiro-erneut-sadistische-gruppenvergewaltigung-2016-33-maenner-vergingen-sich-an-16-jaehriger-slumbewohnerin-foto-des-opfers-per-internet-veroeffentlicht-rio-wegen-sehr-hoh/

Vergewaltigungskultur in Entwicklungsländern. Neues Gesetz über Indianerverbrechen: http://www.hart-brasilientexte.de/2015/10/09/brasilien-2015-spektakulaeres-politisch-unkorrektes-gesetz-gegen-indianer-verbrechen-von-abgeordnetenhaus-in-brasilia-erlassen-buerger-staatliche-institutionen-und-ngo-muessen-indio-verbrechen-anz/

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Angeli, größte brasilianische Qualitätszeitung “Folha de Sao Paulo” Ende Oktober 2012 politisch unkorrekt zur Gewaltkultur in Lateinamerikas größter Demokratie:”Ja, wir überfallen, vergewaltigen und morden. Das hat einen Superspaß gemacht.”

Was Yoani Sanchez für Kuba will. 

Yoani Sanchez – das Medienexperiment 2013:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/14/yoani-sanchez-das-medienexperiment-2013-ist-es-moglich-fakten-und-informationen-uber-die-spektakularen-engen-kontakte-der-kubanerin-zu-einflusreichen-politikern-des-rechten-und-rechtsextremen-spe/

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/10/bloggerin-yoani-sanchez-kubas-kampferin-fur-freiheit-der-spiegel/

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/10/brasilien-strasenproteste-wegen-der-liquidierung-des-systemkritischen-journalisten-rodrigo-neto-der-die-landesweit-operierenden-todesschwadronen-anprangerte-yoani-sanchez-in-berlin-2013/

 

Brasiliens bischöfliche Gefangenenseelsorge und der Horror in den Haftanstalten(2013)

Folter, Vergewaltigungen, Massaker, Herrschaft von Verbrecherkommandos,  Sklavenhaltermentalität

„Politik und organisiertes Verbrechen sind liiert “

Mehr als 50 Männer bei 45 Grad schwüler Tropenhitze eingepfercht in eine stockdunkle Zelle für höchstens 10 Häftlinge – nur eine  Kloschüssel,  barbarischer Fäkaliengestank, Hautkrankheiten, offene Wunden, Lepra, Tuberkulose.

In anderen Gefängnissen Nordbrasiliens sind die Frauen direkt neben den Männern untergebracht, wegen offener Zellentüren der Gewalt von machistischen Schwerverbrechern ausgeliefert. „Folter durch  Militärpolizisten oder Wärter ist üblich – Verbrennen der Haut, Kopf ins Wasser oder Plastiksack übergestülpt – Erstickungsanfälle bis zur Ohnmacht.“

Soll das alles wahr sein, was der katholische Padre Valdir Joao Silveira von jüngsten Seelsorgebesuchen berichtet? Das Bizarre – sogar hohe Regierungspolitiker geben ihm Recht. Wegen seines Kampfes gegen die Folter zeichnet ihn 2010 der damalige Staatschef Lula mit dem nationalen Menschenrechtspreis aus – doch heute sitzen  zahlreiche enge prominente Freunde Lulas wegen aktiver Korruption und Bandenbildung im Gefängnis. Sie genießen Vorzugsbehandlung, viele Privilegien – was Padre Silveira wie die allermeisten Brasilianer empört, die die Kerkerrealität kennen.

 „Ich würde lieber sterben, als in solchen mittelalterlichen Strafanstalten eingesperrt zu sein“, gesteht 2012 sogar Justizminister José Cardozo ein. „Unsere Gefängnisse sind wahre Schulen des Verbrechens, unmenschlich, ermöglichen keine Reintegration, stärken die Gangstersyndikate. Wer im Knast überleben will, muß sich ihnen anschließen.“

Der Justizminister bestätigt damit die jahrzehntelange detaillierte Kritik der bischöflichen katholischen Gefangenenseelsorge sowie zahlreicher brasilianischer Menschenrechtsexperten.  Nur – den Worten des Ministers folgen keine Taten –  jährlich  kommen Zehntausenden in diesen Kerkern um, durch Mord, Seuchen, Krankheiten.

 Unermüdlich sind daher Padre Silveira und seine Stellvertreterin, die Deutsche Petra Pfaller, fast das ganze Jahr in dem Riesenland unterwegs, besuchen mit den lokalen Pastoralgruppen eine Haftanstalt nach der anderen. „Wir ermitteln, sammeln Beweise – und gehen dann direkt zu den politisch Verantwortlichen, stellen Anzeige, fordern Sofortmaßnahmen – von lokalen Behörden bis hinauf zum Innen-und Justizministerium, dem  Palast von Staatspräsidentin Dilma Rousseff – natürlich schalten wir auch Amnesty International ein.“ Diese Zähigkeit führt zum Erfolg, leider nicht immer. „Im Teilstaat Amazonas mußten jetzt 20 Prozent aller Gefangenen entlassen werden – die waren alle illegal eingesperrt! Doch in anderen Teilstaaten sind 60 Prozent der Häftlinge garnicht abgeurteilt – warten viele bis zu vier Jahre auf einen Prozeß – wo man nur zu oft deren Unschuld feststellt. Unvorstellbare menschliche Dramen – Menschen vertieren und verfaulen da drinnen regelrecht!“

Gegessen wird mit der Hand, ohne Bestecke – Wäschewechsel etwa einmal im Monat.

 „Eine normale Person hält das nicht aus – also setzt man die Häftlinge unter harte Drogen.“ Ebenfalls kaum zu fassen: De facto dienen Brasiliens Gefängnisse heute dem Rauschgifthandel, werden vom organisierten Verbrechen administriert, das von Häftlingsangehörigen Gelder erpreßt –  alles geduldet vom Staat, „der sich den Gangsterorganisationen landesweit unterwirft.“ Haarsträubend, daß immer mehr Gefängnisse privatisiert werden. In „normalen“ Anstalten kostet ein Häftling den Steuerzahler monatlich umgerechnet rund 430 Euro, in privatisierten bekommen die Investoren dagegen über 1300 pro Kopf. „Ein phantastisches Geschäft“, so Padre Silveira. „Je voller die Gefängnisse, umso höher der Gewinn.“  Allein im Teilstaat Sao Paulo steigt die Gefangenenzahl monatlich(!) um mehr als 4000.

Nicht resozialisierte, animalisierte Häftlinge werden nach der Freilassung meist sofort rückfällig, viele sterben bei Schießereien mit der Polizei.  „Die jetzige Gefängnispolitik erhöht Gewalt und Kriminalität in Brasilien – viele Verbrechen werden in der Haft geplant!“

Wie erträgt der Seelsorger diese seelische Belastung? „Unmöglich, das alles zu verkraften – manchmal fühle ich mich selber psychisch gestört.“ Zumal sein Lebensrisiko wächst. „Ich erfahre tagtäglich, was ich nicht wissen soll – Angst habe ich daher vor der Polizei.“

In Brasilien beseitigt man Unbequeme auch durch vorgetäuschte Verkehrsunglücke, Raubüberfälle. „Daher gehe ich stets in Gruppen, übernachte im Haus des Bischofs.“

 Woher nehmen er, seine Pastoral-Mitstreiter die Energie? „Der christliche Glaube verändert, gibt Hoffnung – darauf bauen wir.“

Brasiliens ungesühntes Carandirú-Massaker an Häftlingen in Sao Paulo: Ökumenischer Gedenkgottesdienst der katholischen Gefangenenseelsorge. “Die Massaker und Blutbäder gehen weiter.” Menschenrechtspriester Valdir Joao Silveira, Leiter der nationalen Gefangenenseelsorge Brasiliens, vehementer Kritiker von Folter und anderen gravierenden Menschenrechtsverletzungen unter Lula-Rousseff. Ferrez – Notizen von der Stadtkriegsfront. **

O ATO DO DIA 02 DE OUTUBRO: “CARANDIRU 20 ANOS: NUNCA MAIS?”

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/02/carandiru-brasilien-erinnert-sich-an-grostes-massaker-der-weltgeschichte-an-haftlingen-ich-sah-den-holocaust-30-laut-umfragen-fur-polizeieinsatz-von-sao-paulo-80-der-getoteten-waren-nicht-v/

Lulas Menschenrechtsbilanz zweier Amtszeiten hat die politische Glaubwürdigkeit seiner Regierung in europäischen Ländern offenbar sehr stark erhöht. 

Leonardo Boff 2010 :“Lula machte die größte Revolution der sozialen Ökologie des Planeten, eine Revolution für die Bildung, ethische Politik.“ 

Lulas enge Freunde 2013 im Gefängnis:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/19/brasiliens-aktuelle-politik-die-inhaftierten-freunde-lulas-dirceu-genoino-und-delubio-bereits-im-halboffenen-vollzug-in-brasilia-laut-landesmedien-wie-sich-die-haftbedingungen-von-mitgliedern-de/

http://www.bundestag.de/dasparlament/2010/12/Beilage/006.html

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Überlebender von Carandirú.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/30/brasilien-katholische-gefangenenseelsorge-und-menschenrechtsorganisationen-gedenken-des-haftlingsmassakers-von-carandiru-vor-19-jahren-totung-von-mindestens-111-gefangenen-nach-wie-vor-ungesuhnt/

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Ausriß, Radio Vatikan. “Die Stimme des Papstes und der Weltkirche”. “Brasilien: Kirchliche Menschenrechtler enttäuscht über Merkel”. Österreichischer Priester Günther Zgubic, Plinio Sampaio…Angela Merkel – Parteifreundin von Roman Herzog…

“Der jetzt gestorbene Altbundespräsident Roman Herzog war ein Leben lang ein unbequemer Mahner.” DER SPIEGEL

“Ein Mann der Freiheit und des Rechts”. FAZ

“Engagierter Christ”. BILD

“Brasilien ist eine Industriemacht, die achtgrößte Wirtschaftsnation der Welt, modern und fortschrittlich.”

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Padre Valdir Joao Silveira erläutert gegenüber den nationalen TV-Sendern die weiterhin gravierende Situation in den brasilianischen Gefängnissen.

“O massacre não terminou e continua em nossas periferias com chacinas de população de rua e pessoas pobres. Com o ato de hoje, queremos dar início a uma grande discussão, durante todo o ano, até completar os 20 anos do massacre, sobre a segurança que temos e a segurança que queremos.”

“Die Anti-Folter-Konvention wird nicht eingehalten – was tut denn die UNO, damit die Konvention in der Dritten Welt respektiert wird?” Gefangenenpriester Günther Zgubic aus Österreich.

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/12/folter-ohne-ende-tortura-sem-fim-brasiliens-soziologiezeitschrift-sociologia-uber-folter-unter-der-lula-regierung/

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“Movimento Maes de Maio” – Mütter von Ermordeten erinnern an die Blutbäder des Mai 2006.

http://maesdemaio.blogspot.com/2011/10/repercussoes-do-ato-carandiru-19-anos.html

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/19/andrea-beltrao-neuer-film-salve-geral-fur-oscar-2010-nominiert-sorgen-um-gewaltimage-brasiliens-streifen-zeigt-gewaltausbruch-von-2006-in-sao-paulo-ferrez/

Trailer des Carandirú-Films nach dem Buch von Drauzio Varella – anklicken:

http://www.youtube.com/watch?v=ZlTPEmjyyvI

http://www.youtube.com/watch?v=ZlTPEmjyyvI

(gesamter Film bei YouTube abrufbar)

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Poet über Rassismus, die Lage in den Elendsvierteln Brasiliens.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/10/01/parabens-dom-paulo-evaristo-arns4-engste-mitstreiter-pflanzen-fur-ihn-vor-dem-franziskanerkloster-sao-paulos-einen-baum-viva-dom-paulo/

1985 pfeifen Brasiliens rechtsgerichtete Machteliten die Militärs nach 21 Diktaturjahren zurück in die Kasernen – Carandiru wird zur Hölle erst in der „Demokratie”. Sao Paulos regimekritischer Kardinal Evaristo Arns ist Augenzeuge:”Über fünfzig Aidskranke im Endstadium liegen auf dem Boden und spucken Blut – schier unbeschreibliche Zustände!”

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Sprecher zahlreicher Menschenrechtsgruppen vergleichen Diktaturgewalt mit heutigen Menschenrechtsverletzungen, darunter Folter und Blutbädern.

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/03/18/haftlinge-wurden-in-stucke-gehackt-anderen-wurde-das-herz-herausgerissen-zerstuckelte-gefangene-wurden-in-abfallkubeln-gefunden-padre-xavier-paolillo-leiter-der-gefangenenseelsorge-im-brasilia/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/10/10/evangelischer-pastor-wolfgang-lauer-gefangenenseelsorger-in-brasilien-ob-die-haftlinge-lutheraner-sind-christen-oder-nicht-ist-fur-mich-total-unwichtig/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/10/11/offizielle-deutsch-brasilianische-beziehungen-der-mutige-evangelische-gefangnispastor-wolfgang-lauer-gravierende-menschenrechtsverletzungen-in-brasilienes-sind-einfach-die-okonomischen-die-polit/

Deutscher evangelischer Pastor Wolfgang Lauer, Gefangenenseelsorger in Sao Paulo.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/02/08/erste-gefangenenrebellion-unter-dilma-rousseff-mindestens-funf-tote-aufstand-wieder-in-maranhao-herrschaftsgebiet-des-politischen-bundnispartners-jose-sarney-schweizer-jean-ziegler-in-maranhao/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/11/brasiliens-gefangnisse-unter-lula-in-manaus-haftanstalt-schauplatz-des-jungsten-aufstands-achtmal-mehr-gefangene-eingepfercht-als-erlaubt-betonen-landesmedien/

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Aus gebrochenen, undichten Rohren fließen Abwässer, Scheiße und Urin über den Zellenboden, bei Sommerhitze bis über fünfzig Grad werden Gefangene von dem Gestank ohnmächtig, oder schier verrückt, rebellieren, attackieren die eigenen Zellennachbarn. „Für mich sind solche Knäste Konzentrationslager”, sagte der in Sao Paulo lebende Menschenrechtsaktivist und Gefangenenseelsorger Günther Zgubic aus Österreich – er schreibt UNO-Dossiers, kaum einer kennt Carandiru besser. (Hintergrundtext)

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/12/die-folter-in-polizeiwachen-hat-in-ganz-brasilien-stark-zugenommen-gefangenenpriester-valdir-joao-silveira-die-anti-folter-konvention-wird-nicht-eingehalten-was-tut-denn-die-uno-damit-die-k/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/14/nach-wie-vor-hemmungslose-aktionen-der-todesschwadronen-institutionalisierte-barbarei-lulas-menschenrechtsminister-paulo-vannuchi-raumt-gegen-ende-der-zweiten-amtszeit-erneut-fortbestehen-der-b/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/21/brasiliens-menschenrechtspriester-julio-lancelotti-prasentiert-projekt-das-mutmaslich-straffalligen-jugendlichen-der-unterschicht-die-notige-juristische-verteidigung-garantieren-soll-um-willkurfalle/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/03/17/in-den-brasilianischen-gefangnissen-sind-die-opfer-des-politisch-wirtschaftlichen-systems-eingekerkert-anwalt-bruno-alves-de-souza-29-prasident-des-menschenrechtsrates-im-teilstaat-espirito-san/

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Hintergrund – Ferrez – Notizen von der Stadtkriegsfront:

2007 Gast des Berliner Literaturfestivals

Der Irak und der Libanon sind täglich wegen der vielen unschuldigen Gewaltopfer in den Schlagzeilen – Brasilien nicht. Obwohl gemäß brasilianischen Erhebungen in dem Tropenland jährlich weit mehr Menschen umkommen als im Irakkrieg und die Folter alltäglich ist.

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/10/10/taglich-ausergerichtliche-exekutionen-in-brasilien-menschenrechts-minister-paulo-vannuchi/

Ferrez, mit bürgerlichem Namen Reginaldo Ferreira da Silva, wurde unfreiwillig zum Frontberichterstatter im brasilianischen Stadtkrieg, weil er als einziger Romanautor an der von extremer Gewalt geprägten Slumperipherie der Megacity Sao Paulo lebt. Ferrez, dessen Bücher bei einem angesehenen brasilianischen Verlag erscheinen, bereits ins Französische, Spanische und Italienische übersetzt wurden, erhält wegen seines literarischen und politischen Engagements  Morddrohungen, ist in Lebensgefahr.In den Slums ist Bücherlesen Luxus, die meisten Bewohner sind zudem funktionelle Analphabeten. Ferrèz wurde deshalb auch zum Rapper, ist in den Ghettos dadurch bekannter als durch seine Bücher.

Vom Goetheinstitut Sao Paulos bis zum Slumviertel Capao Redondo sind es mit den entsetzlich lauten, überfüllten Vorstadtbussen etwa drei Stunden. Aber wer in Brasilien nicht Bus fährt, sagt ein bekannter Schriftsteller, weiß nichts vom wirklichen Leben. In Capao Redondo hausen eine Million Menschen, darunter Ferrèz. 2006 führt das größte brasilianische Verbrechersyndikat PCC, Erstes Kommando der Hauptstadt, eine nicht endende Serie von Terroranschlägen gegen den Staat, erschießt an der Peripherie täglich Polizisten, Gefängniswärter und deren Angehörige – Ferrèz liefert als einziger fundierte Berichte von der Front: In seinen Büchern, seiner Zeitschrift, seinem Blog analysiert er Gewalt und Gegengewalt, die Rachefeldzüge der Polizei. Weit über sechshundert Tote werden gezählt, die meisten in Capao Redondo.

–“Krieg in den Slums, Panik in den Nobelvierteln”

Wir reden am Kaffeestand, im Krach einer vollen Bäckerei miteinander, hier fühlt sich Ferrèz sicher. ”Für mich ist das hier schon immer wie im Krieg. Doch die Eliten haben es erst jetzt, in diesen Tagen, wegen der Attentatswelle gespürt. Da haben sie in ihren Nobelvierteln die Panik gekriegt, sich verbarrikadiert und versteckt. Nur –  so leben wir doch schon jahrelang. Durch Morde habe ich über zwanzig meiner Freunde verloren, das ist normal hier. Man tötet wahllos, wegen Banalitäten. Als ich mal in Spanien war, redeten die Leute, die Medien drei Wochen von einer ertrunkenen Frau. Ich dachte anfangs, ertrinkt hier jeden Tag eine? Bis ich mitbekam, es ist immer die selbe. Dort schockt die Leute noch der Tod. Hier redet man nicht mal mehr von den Toten, weil es zu viele sind. Wenn ich auf der Straße gehe, den Falschen treffe, killt der mich. Und wenn ich mal mit einem Verkäufer diskutieren würde, wäre möglich, daß der den Revolver zieht und mich erschießt, obwohl du neben mir stehst. Kürzlich rede ich mit vier Bekannten auf der Straße. Als ich gerade weg bin, kommt ein Killerkommando, erschießt die vier. Wäre ich noch da gewesen, hätten sie mich mit erschossen. Dazu kann man doch nicht schweigen. Capao Redondo –  das ist wie ein Extra-Land, es ist dieses Brasilien, das in Deutschland und anderswo gewöhnlich nicht wahrgenommen wird. Dort denkt man bei Brasilien meist nur an Exotismus, Mulattinnen, Tropenwälder. Das hier ist völlig anders.” Ferrèz erwähnt in seinen Büchern die in Brasilien übliche Lynchjustiz, die nur zu oft Unschuldige trifft. Und auch die in den Favelas übliche Abtreibung mittels Medikamenten. Frauen legen die toten Föten nicht selten gleich auf der Straße, auf dem Fußweg ab.

Als Ferrèz mit seinen Blog-Frontberichten beginnt, stellen Brasiliens Medien die Sache noch so dar, als ob die Polizei lediglich auf die PCC-Attacken reagiert, die gefährlichsten Verbrecher bekämpft. Doch Ferrèz beobachtet, daß es meistens Unschuldige trifft, damit Haß und Gewalt in der Gesellschaft weiter geschürt werden. ”Ich mache den Versuch, der herrschenden Elitemeinung etwas entgegenzustellen. Denn die Eliten stimulieren ja das Morden, die Vorurteile gegen Slumbewohner. Vierzig Prozent der Getöteten hier waren junge Pizza-Austräger, die nachts mit ihren Motorrädern zu den Kunden fahren. Die Polizei feuerte einfach auf Leute, die gerade auf der Straße waren. Niemand prangerte das an, niemand sprach darüber, das hat mich beeindruckt. Und ich sagte mir, dann muß ich es eben tun. Also habe ich den Mund aufgemacht, und das hatte Wirkung. Die Polizei wurde angewiesen, vorsichtiger, weniger brutal vorzugehen. Man sagte den Beamten, Vorsicht, da gibt es jetzt welche, die darüber berichten. Doch mich bedrohen sie mit Mord.”

Ferrez, der früher Besenverkäufer und Bauhilfsarbeiter war, hat sich deshalb eine Weile versteckt, geht jetzt nachts nicht mehr aus dem Haus. Er wirkt fatalistisch, ohne Angst vor dem Tod. ”Ich lebe mit Mord und Tod seit meiner Kindheit. Als ich acht war, sagte mein Vater, vor unserm Haus liegt ein Erschossener. Da bin ich hin und habe mir den genau angesehen. Unglücklicherweise haben wir uns hier an die Gewalt gewöhnt. Klar, ich hoffe, daß mir nichts passiert, aber ich mache mir um den Tod auch keine Sorgen. Denn ehrlich gesagt, ich habe doch alles erreicht, was ich wollte. Ich habe ein Buch geschrieben, das sich verkauft, ich habe meiner Mutter, meiner Frau ein besseres Leben schaffen können. Jetzt habe ich keine Träume mehr, ich bin hoffnungslos, weil sich diese Realität hier nicht bessert, nur alles schlechter wird im Viertel. Ich sehe keine Ehrlichkeit, keinen guten Willen bei den brasilianischen Politikern, den Eliten, nicht mal in unserm Volk. Schau den Leuten ins Gesicht, da siehst du Traurigkeit. Sie engagieren sich nicht, ergeben sich dem Zuckerrohrschnaps, sind mutlos. Hier laufen nur Körper rum, haufenweise, ohne Richtung, Orientierung. Da ist es schwierig, etwas zu erreichen. Gut, andererseits kämpfe ich ja jeden Tag. Tagsüber würde mir die Polizei nichts tun, da gäbe es zu viele Zeugen. Außerdem gibt es Polizisten, die sehen die Lage wie ich. Aber nachts gehe ich nicht raus, oder übernachte dort, wo ich grade bin.”

–Lula und die Slums”

In Deutschland denken viele, Staatschef Lula macht progressive Politik, auch für einen wie dich, für die Leute im Slum. Lula spricht doch jeden Tag von Riesenerfolgen?

„Die Lula-Regierung ist weniger schlecht als die vorangegangene, ist das kleinere Übel. Aber was hat sich denn seit Lulas Amtsantritt getan? Es gibt nicht mehr Arbeit. Daß sich für die Slumperipherie was verbesserte, ist einfach nicht wahr. Für die Unternehmer sieht die Sache natürlich ganz anders aus.”

Drei Viertel der 185 Millionen Brasilianer, so sagen neue Studien, sind nicht in der Lage, einen einfachen Zeitungs-oder Buchtext zu lesen und zu verstehen. Das vereinfacht die Manipulierung der Pflichtwähler kolossal, dient Neopopulisten wie dem Staatschef ungemein. (Wer nicht wählt, kriegt auch unter Lula keine Arbeit im öffentlichen Dienst, keinen Reisepaß etc.- wie wäre das in Deutschland?)

Aber wer sind dann die Leser von Ferrèz? Sein Buch „Capao Pecado” produzierte er selber, zog fünfzig Kopien, verteilte es unter Freunden und Bekannten des Viertels. Manche von denen arbeiten für die Mittel-und Oberschicht als Hausdiener, Wächter, zeigten es den Arbeitgebern. Manche bestellten „Capao Pecado” daraufhin bei Ferrèz, der die Bücher persönlich zu deren Villen brachte, sie dort den bewaffneten Wächtern übergab, die Besteller nicht zu Gesicht bekam.

”Ja, so lief es –  die Peripherie hat das Buch den Betuchten gezeigt, jetzt ist es bei einem Verlag in der fünften Auflage. Das System hatte für mich nichts vorgesehen, also habe ich mich auf meine Weise organisiert, mache meine Literatur. Als ich in einer Bäckerei arbeitete, habe ich nebenher was auf Zettel gekritzelt, daraus dann zuhause eine Geschichte montiert. Das lesen jetzt sogar Leute aus der Upperclass. Manche von denen sagen mir, Puta, du hast Recht, die Oberschicht ist idiotisch, die will sich nicht ändern. Dreihundert Familien besitzen achtzig Prozent allen Einkommens, allen Geldes “ wir kriegen nur den allerletzten Rest. Ja, unsere Eliten handeln selbstmörderisch, suchen sich in ihren Privilegiertenghettos abzuschotten, langfristig planen die ihren eigenen Tod. Das kann hier alles mal explodieren. Den Aufstand dieses Verbrechersyndikats, das sich immer besser in den Slums organisiert, konnten sie nicht verhindern “ auf einen Schlag hundert tote Polizisten, brennende Banken und Staatsgebäude. Morgen könnten sich viele das als Beispiel nehmen, es intelligenter anstellen, eine revolutionäre Organisation schaffen. Und wenn es dann losbricht, kann es keiner aufhalten. Dann werden die Eliten wieder mit Gewalt antworten. Die jungen Menschen hier haben doch keinerlei Perspektiven. Frag hier mal ein Kind, was willst du denn werden? Da lacht es dich aus, sagt, ich will nichts werden, wie sollte ich denn? Mein Bruder ist 18, kann nicht mal richtig lesen “ die öffentlichen Schulen formen doch nur funktionelle Analphabeten.”

–Rap, Chico Cesar, Arnaldo Antunes, Paulo Lins”

Daher ist Rap an der Peripherie wichtiger als das Buch, um die Bewohner zu erreichen. In Capao Redondo kennt man Ferrèz daher mehr wegen seiner Rap-Konzerte, der Rap-CD „Determinaçao”, auf der er mit Chico Cesar und Arnaldo Antunes zu hören ist . Beide suchten Kontakt zu Ferrèz, wollten von ihm Texte, wollten mit ihm auftreten.

Ferrèz ist inzwischen mit dem Schwarzen Paulo Lins aus Rio de Janeiro befreundet. Lins schrieb den Slum-Roman „Cidade de Deus”, Gottesstadt. Der wurde verfilmt “ war auch in Deutschland als „City of God” ein Erfolg, zeigte das andere Brasilien “ und auch die Lächerlichkeit so vieler Brasilienklischees von Traumstränden, Karneval und Lebenslust. Die Produzenten von „City of God” werden jetzt das neue Buch von Ferrèz verfilmen “ „Manual pratico do Odio”, praktische Anleitung zum Haß. „Das Leben ist hart an der Peripherie. Die Leute lieben und hassen in gleichem Maß.”

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2009 wird eine abschließende Universitätsstudie  über die PCC-Rebellion vom Mai 2006 veröffentlicht: Danach wurden zwischen dem 12. und 21. Mai 2006 im Teilstaat Sao Paulo 564 Menschen erschossen – 59 waren öffentliche Bedienstete, meist Polizisten, die restlichen 505 Zivilisten. 118 davon wurden bei Zusammenstößen mit der Polizei getötet, die weiteren bei summarischen Exekutionen, teils von Kapuzen-Männern verübt.

2 de outubro de 1992: uma pequena desavença entre presidiários do pavilhão 9 da Casa de Detenção do Carandiru se transforma em uma rebelião desprovida de viés reivindicativo ou de fuga. Apesar disso, o Governo estadual da época determinou a invasão da Casa de Detenção por centenas de policiais militares que exterminaram a sangue frio 111 pessoas desarmadas e desesperadas. Foi a maior chacina da história do sistema penitenciário brasileiro.

Passadas quase duas décadas dessa “página infeliz de nossa história”, os tijolos da Casa de Detenção foram deitados ao chão e, no seu lugar, foi erigido o sugestivo Parque da Juventude. Todavia, a construção de um parque para a juventude no lugar de uma unidade de aprisionamento da juventude não significou, infelizmente, qualquer mudança na política criminal do Estado: após todos esses anos, ninguém foi responsabilizado pelos 111 assassinatos!

Pior: ainda hoje, divisamos jovens, em regra pobres e negros, sendo perseguidos pelo aparato repressor estatal.      Quando conseguem driblar a morte, caem na vala imunda e cada vez mais superlotada do sistema carcerário (de 1992 para cá, a população prisional cresceu mais de 400% contra pouco mais de 27% de crescimento da população brasileira).

Diante desse quadro desafiador, movimentos e entidades da sociedade civil organizada e alguns órgãos públicos planejam uma grande articulação em torno do vintenário do massacre do Carandiru, com a pretensão de pautar diversas ações para promover a responsabilização do Poder Público e também para trazer ao debate público o tema da segurança pública e da cidadania.

Como pontapé inicial dessa articulação, promoveremos um ato em memória aos 19 anos do massacre. Será nesse domingo, dia 02.10.2011, A PARTIR DAS 15HS, NO PARQUE DA JUVENTUDE.

Assinam:

ACAT-BRASIL, AMPARAR, ASSOCIAÇÃO JUÍZES PARA A DEMOCRACIA (AJD), ASSOCIAÇÃO NACIONAL DE DEFENSORES PÚBLICOS FEDERAIS (ANADEF), ASSOCIAÇÃO PAULISTA DE DEFENSORES PÚBLICOS (APADEP), CENTRO ACADÊMICO XI DE AGOSTO, CENTRO PELA JUSTIÇA E DIREITO INTERNACIONAL (CEJIL), CÍRCULO PALMARINO, COLETIVO 2 DE OUTUBRO, COLETIVO CINE BIJOU – CINEMA E MEMÓRIA, COLETIVO PERIATIVIDADE, COLETIVO VÍDEO POPULAR, COMISSÃO DE JUSTIÇA E PAZ, COMISSÃO TEOTÔNIO VILELA, CONSELHO ESTADUAL DE DEFESA DOS DIREITOS DA PESSOA HUMANA (CONDEPE), COOPERIFA, DEFENSORIA PÚBLICA DA UNIÃO EM SÃO PAULO, ESPÍRITO DE ZUMBI, ESTUDO, COMIDA E CIDADANIA (ECC), FÓRUM DE HIP-HOP, GELEDÉS, GEPEX – SEGURANÇA PÚBLICA, JUSTIÇA CRIMINAL E DIREITOS HUMANOS DA UNIFESP/BS, GRUPO CULTURAL MARACATU BOIGY, GRUPO TORTURA NUNCA MAIS – SP, IDENTIDADE – GRUPO DE LUTA PELA DIVERSIDADE SEXUAL, INSTITUTO PRÁXIS DE DIREITOS HUMANOS (IPDH), INSTITUTO TERRA, TRABALHO E CIDADANIA (ITTC), INSTITUTO UMOJÁ, JUSTIÇA GLOBAL, LUTA POPULAR, MÃES DE MAIO, MARGINALIARIA, MOVIMENTO NACIONAL DA POPULAÇÃO DE RUA, MOVIMENTO NACIONAL DOS DIREITOS HUMANOS, MOVIMENTO NEGRO UNIFICADO, NSN, NÚCLEO DA SITUAÇÃO CARCERÁRIA DA DEFENSORIA PÚBLICA DO ESTADO DE SÃO PAULO, NÚCLEO DE PRESERVAÇÃO DA MEMÓRIA POLÍTICA, NÚCLEO ESPECIALIZADO DE CIDADANIA E DIREITOS HUMANOS DA DEFENSORIA PÚBLICA DO ESTADO DE SÃO PAULO, OS CRESPOS, PÂNICO BRUTAL, PASTORAL CARCERÁRIA, PASTORAL DA JUVENTUDE, QI ALFORRIA, QUILOMBAQUE PERUS, REDE EXTREMO SUL, SARAU DA ADEMAR, SARAU DA BRASA, SARAU ELO DA CORRENTE, SARAU DOS MESQUITEIROS, SARAU VILA FUNDÃO, SINDICATO DOS ADVOGADOS DO ESTADO DE SÃO PAULO, TRIBUNAL POPULAR, UNEAFRO-BRASIL, VERSÃO POPULAR

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http://www.pucsp.br/fecultura/textos/pessoa_sociedade/12_dentro_terror.html

http://www.controversia.com.br/index.php?act=textos&id=10034

Viel Lob in Europa für Lulas Politik:

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/27/lula-erhalt-ehrendoktor-in-paris-als-erste-personlichkeit-lateinamerikas-lulas-siebter-ehrendoktorhut/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/08/23/unesco-zeichnet-lula-in-paris-wegen-forderung-des-friedens-und-der-rechtsgleichheit-aus-preis-mit-150000-dollar-dotiert-jury-von-henry-kissinger-gefuhrt/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/12/01/rio-de-janeiro-richtervereinigung-fur-demokratieajd-verurteilt-militar-und-polizeieinsatz-in-slums-staat-verletzt-verfassung-summarische-exekutionen-ausrottung-unerwunschter-bevolkerung/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/07/rogerio-reis-microwaves-microondas-fotoinstallation-uber-scheiterhaufen-brasiliens-vom-maison-de-la-europeenne-de-la-photographie-in-paris-angekauft/

Rainer Stadler, NZZ:

“Die Stresssymptome sind bereits jetzt unübersehbar. Was man aus ökonomischer Sicht gelassen als Verdrängungswettbewerb bezeichnen kann, bedeutet in publizistischer Hinsicht: schmalbrüstige Redaktionen, schrumpfende Kompetenz bei der journalistischen Bewältigung der nahen und fernen Ereignisse, aggressivere Schlagzeilen als Folge wachsender Ahnungslosigkeit, Hysterien, Missachtungen der Unschuldsvermutung und mehr Übergriffe in die Privatsphäre, weil gerade dort attraktive Unterhaltungsstoffe zu holen sind.

Was sonst Wirtschaftsmanagern vorgeworfen wird – der bloss kurzfristige Blick auf die Quartalszahlen –, ist im Journalismus weiterhin das dominierende Richtmass: die Deadline, der Redaktionsschluss. Er gewährt in der Internet-Ära kaum noch Besinnungszeit. Das ist umso verheerender, wenn es an Ressourcen mangelt. Die Gefahr schrumpfender publizistischer Kompetenzen kontrastiert scharf mit den wachsenden Ansprüchen einer Gesellschaft, die auf die Vermittlung von komplexem Wissen angewiesen wäre. Sie begibt sich im «Easy-News-Jet» auf einen gefährlichen Blindflug.

Der Ausleseprozess wird schon bald den Blätterwald drastisch auslichten. Es entsteht eine andere (Medien-)Schweiz. Die Annahme, dass künftig gerade noch zwei bis drei Medienunternehmen den hiesigen Markt prägen werden, scheint nicht mehr abwegig. Die Spannung zwischen dem von Zürich aus gesteuerten Kommunikationsmarkt und der föderalistisch geprägten politischen Schweiz wird wachsen, die gesellschaftliche Verständigung wird unübersichtlicher und instabiler.”

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/22/luis-antonio-pereira-silva-leiter-der-slum-pastoral-in-der-erzdiozese-rio-de-janeiro-gesichter-brasiliens/

ai-Journal Dezember 1996

Die “Hölle auf Erden”

BRASILIEN

Die “Hölle auf Erden”

Revolten, Hungerstreiks und Aids bestimmen den Alltag in den völlig überfüllten brasilianischen Gefängnissen. Brasilien gilt zwar als die zehntgrößte Wirtschaftsnation, leistet sich aber Haftanstalten, die man eher in Ruanda oder Burundi vermuten würde. Eine im April verkündete Amnestie entspannte die Situation nicht.

Eine mittelalterlich anmutende Gefangenenzelle in Rios Stadtteil Realengo: Jeder der mehreren Dutzend Insassen hat laut Gesetz Anspruch auf mindestens acht Quadratmeter – hier ist es nicht mal ein einziger. Geschlafen wird deshalb in Schichten. Während ein Teil der Gefangenen auf feuchtem Boden liegt, schlafen die anderen in Hängematten, die an den Gitterstäben befestigt sind. In einer Zelle im Stadtteil Bangu ein ähnliches Bild: 35 fast nackte, schwitzende Männer auf nur sechzehn Quadratmetern bei beißendem Fäkaliengeruch und nächtlichem Besuch von Ratten. Die psychische Spannung ist fast mit Händen greifbar. Neun von zehn Gefangenen haben Furunkel, in der heißesten Jahreszeit herrschen bis zu 60 Grad. Dann fallen täglich etwa 20 Insassen ohnmächtig um, werden von den Wärtern herausgezerrt und durch andere ersetzt.

Um aus dieser Hölle herauszukommen und in eine weniger überfüllte Zelle verlegt zu werden, bestechen Häftlinge ihre Aufseher mit bis zu umgerechnet 5.000 Mark. Es gibt brasilianische Gefängnisse, in denen die Insassen das nötige Geld sammeln, um dann die Begünstigten auszulosen. In Bangu kommen die notwendigen “Real” von der Familie oder Verbrechersyndikaten – je unerträglicher die Hitze, desto höher die Preise auf diesem Schwarzmarkt. Einmal am Tag gibt es schlechtes Essen; die Lebensmittelpakete der Angehörigen werden gewöhnlich nicht ausgehändigt.

Folter ist üblich. Ein Anwalt beschreibt einen Fall von 1996: “Polizisten mit Kapuzen mißhandelten 116 Gefangene, unter anderem mit Elektroschocks. Alle wiesen Blutergüsse auf, wurden zudem zu sexuellen Handlungen gezwungen.” Fast täglich werden Fälle zu Tode gefolterter, erschlagener Häftlinge bekannt – die politisch Verantwortlichen bleiben meist passiv. Nur wenige Intellektuelle protestieren, die Gesellschaft scheint sich an die grauenvollen Zustände gewöhnt zu haben.

Pervertieren statt resozialisieren

Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international oder “Human Rights Watch” prangern die Zustände in den brasilianischen Haftanstalten an – und auch die Gefangenenseelsorge der Katholischen Kirche läßt nicht locker. Padre Geraldo Mauzeroll von der “Pastoral Carceraria” im Teilstaat Sao Paulo gegenüber dem ai-Journal: “Wer ins Gefängnis kommt, wird pervertiert, wird angesehen und behandelt wie ein Tier – niemand ist an einer Besserung oder Resozialisierung interessiert. Die Gesellschaft rächt sich an ihnen, läßt sie intellektuell, spirituell, moralisch und kulturell und nicht selten sogar physisch sterben.” Mauzeroll hört in Polizeiwachen und Gefängnissen sehr häufig den Ausspruch: “Nur ein toter Häftling ist ein guter Häftling!” Der Padre geht seit 1973 in die “Presidios” – was er täglich sieht, sind Bilder wie aus Horrorfilmen: Tuberkulose grassiert, über die Gesichter Todkranker laufen Ameisen. Häftlinge verfaulen buchstäblich in Zellen. Die Gefängnisärzte sind selbst kriminell, weil sie Kranke bewußt

nicht behandeln, sondern sterben lassen. Sie werden aber nie zur Rechenschaft gezogen. Kriminell handeln auch Richter und Staatsanwälte, die über Folter und alle anderen Menschenrechtsverletzungen detailliert informiert sind, jedoch nicht eingreifen.

Das Gefängnispersonal verkauft Lebensmittel, die für Häftlinge bestimmt sind und ermöglicht Rauschgifthandel und -konsum hinter Gitterstäben. Ein Gefängnisdirektor: “Drogen müssen dort drin sein, damit die Gefangenen ruhig bleiben.”

Erzwungenes Schweigen, Morddrohungen

Ein dunkles Kapitel ist auch die sexuelle Gewalt, von Aufsehern sogar gefördert. Mauzeroll zum ai-Journal: “Wird ein wegen Vergewaltigung Verurteilter eingeliefert, stecken die Wärter ihn in bestimmte Massenzellen, damit er dort von 15 oder 20 Häftlingen vergewaltigt wird. Dies ist Gesetz in den Kerkern, und so verbreitet sich Aids sehr schnell.” Nach amtlichen Angaben infizierten sich bereits mehr als 20 Prozent aller Inhaftierten mit dem HIV-Virus – ein Großteil der rund 150.000 brasilianischen Gefangenen hat homosexuellen Verkehr, gewöhnlich ungeschützt.

Vitor Carreiro teilte in Rio de Janeiro jahrelang eine Zelle mit 47 Gefangenen. Er ist von Aids gezeichnet und sagt: “Alle Welt weiß, daß die Frau des Gefangenen der andere Gefangene ist.” Promiskuität ist der Alltag: José Ferreira da Silva, HIV-positiv, berichtet von vier festen und acht gelegentlichen Partnern – keiner benutzt Präservative.

Padre Mauzeroll drückt sich im Gegensatz zu vielen “politisch korrekten” Landsleuten nicht um unbequeme und unangenehme Wahrheiten. Er hat keine Probleme, die von den Autoritäten gerne versteckten und verdrängten Probleme offen anzusprechen. “Wer über die Zustände redet und informiert, stirbt”, lautet eine andere Regel. Berufskiller erledigen das – Mauzeroll weiß, daß auch sein Leben in Gefahr ist. Dennoch klagt er offen die soziale Ordnung Brasiliens an: “Diese ist schuld an der Situation.”

Gemäß einer neuen Studie der Vereinten Nationen lebt heute fast die Hälfte der 150 Millionen Brasilianer in verhältnismäßig entwickelten Gebieten. “Wenn in Sao Paulo und Rio de Janeiro die Lage in den Gefängnissen bereits so schlimm ist”, gibt Padre Mauzeroll zu bedenken, “wie muß sie dann erst in den stark unterentwickelten Regionen des Nordens und Nordostens sein?”

Amnestie nur Kosmetik

Die Rechtsanwältin Zoraide Fernandez weist darauf hin, daß Häftlinge nach verbüßter Strafe oft noch jahrelang gefangengehalten werden. 1995 waren es allein in Rio mindestens 560.

Brasiliens Staatschef Fernando Henrique Cardoso verkündete im April die, wie es offiziell hieß, größte Amnestie in der Geschichte des Landes: Etwa zehn Prozent der Gefangenen sollten freikommen. Wie die Gefängnisbehörden inzwischen einräumten, werden beispielsweise im Teilstaat Rio de Janeiro nur wenig mehr als ein Prozent amnestiert. Die 511 Gefängnisse bieten Platz für höchstens 60.000 Personen, sind aber nach jüngsten offiziellen Angaben mit 148.760 Häftlingen belegt – das sind 15 Prozent mehr als 1994. Notwendig, so hieß es, sei der Bau von 145 zusätzlichen Haftanstalten. Die Lage in der Metropole Sao Paulo ist den Angaben zufolge am dramatischsten. Eine Besserung ist nicht in Sicht: Per Haftbefehl suchte man allein 1996 rund 275.000 Straftäter.

Rund 95 Prozent der Häftlinge sind Arme, 96 Prozent sind männlich und etwa drei Viertel Voll- und Halbanalphabeten. Der typische Gefangene, so eine Studie, ist dunkelhäutig und jünger als 25 Jahre. Jeden Monat kommt es laut Statistik zu mindestens drei großen Häftlingsrevolten, die meisten werden allerdings der Öffentlichkeit verschwiegen. Eine Ausnahme bildet lediglich der südliche, relativ hochentwickelte Teilstaat Rio Grande do Sul – nur dort soll es auch keine irregulär festgehaltenen Häftlinge geben.

Wärter und Spezialeinheiten gehen gewöhnlich äußerst brutal gegen meuternde Häftlinge vor: 1992 wurden im berüchtigten Gefängnis “Carandiru” von Sao Paulo mindestens 111 Insassen erschossen. Die politisch Verantwortlichen und die direkt Beteiligten blieben bisher straffrei. In “Carandiru” ereignete sich auch Ende Oktober wieder eine Revolte: 670 Gefangene nahmen 27 Wärter als Geiseln und forderten die Verlegung in eine andere Haftanstalt. Fünf Häftlinge versuchten währenddessen in einem Müllwagen zu fliehen, vier von ihnen wurden von Militärpolizisten erschossen.

Klaus Hart

Der Autor ist freier Korrespondent in Rio de Janeiro

Hintergrund von 2001:

 

„Unerklärter Bürgerkrieg“ in Brasilien

Über 40000 Morde jährlich/Zunahme von Attentaten

 

Im Kontext der jüngsten internationalen Konflikte weisen brasillianische Experten immer nachdrücklicher darauf hin, welche hohen Menschenopfer der sogenannte „unerklärte Bürgerkrieg“ in Brasilien kostet. Wie die Universitätsprofessor und Politik-Berater Gaudencio Torquato jetzt  in einer Analyse mit dem Titel „Wir und Afghanistan“ betonte, werden aus politischen und kriminellen Motiven selbst laut den geschönten offiziellen Angaben jährlich rund 40000 Menschen ermordet.

 

     Hätte  Deutschland, mit einer etwa halb so großen Bevölkerung, diese Rate, wären es pro Jahr etwa 20000 Getötete. Tatsächlich waren es im Jahr 2000 laut BKA-Angaben nur 1015.

 

Torquato zählte zu den Gründen der hohen Opferzahlen, daß die zehntgrößte Wirtschaftsnation anders als Afghanistan zwar sämtliche Hochtechnologie der letzten Generation nutze, die soziale Polarisierung zwischen den Privilegierten und den armen Schichten sich jedoch weiter verschärft habe. Die hohe Gewaltrate habe dazu geführt, daß nachbarschaftliches Zusammenleben immer weniger gepflegt werde, die brasilianische Gesellschaft sich von der menschlichen Solidarität verabschiede. Gängige Reaktion angesichts der täglichen Morde sei leider nur:“Gut, daß es mir nicht passiert ist.“

 

Derartige Verfallsprozesse resultieren laut Torquato aus einer „politisch-institutionellen Kultur“, die sich mit den alltäglichen Skandalen um hohe Volksvertreter und den Fällen von Regierungskorruption weiter degradiere. 

 

Brasilianischer Menschenrechtsaktivist

“Generation eiskalter Killer“ wächst heran

 

Brasilien züchtet nach den Worten des angesehenen Menschenrechtsaktivisten Eduardo Capobianco „eine Generation eiskalter Killer“heran.“Sie töten einen Menschen mit der selben Leichtigkeit, mit der sie eine Coca-Cola trinken“, sagte er im Dezember während der Auszeichnung mit einem Bürgerrechtler-Preis in Sao Paulo. Capobianco, Präsident von zwei regierungsunabhängigen Institutionen, die das organisierte Verbrechen sowie die tiefverwurzelte Korruption in Politik und Wirtschaft bekämpfen, hatte erst Anfang Dezember in der City der 17-Millionen-Stadt ein Attentat überlebt. „Brasilien hat gravierende soziale Ungleichheiten und eine kapitalistische Kultur, die auf dem Konsum basiert, Städte des Konsumismus wie Sao Paulo. Das stimuliert letztlich Gewalt – Armut allein ist dafür nicht verantwortlich zu machen.“ In entwickelten Ländern wie Japan entfalle statistisch pro Jahr ein Mord auf hunderttausend Einwohner – in einer Stadt wie Sao Paulo seien es dagegen gemäß offiziellen Zahlen immerhin fünfzig. Indessen gebe es bereits leichte Fortschritte bei der Verbrechensbekämpfung, die Arbeit seiner beiden Institutionen mißfalle der Gegenseite sehr und habe das Attentat bewirkt.

 

Capobianco überlebte den Anschlag nur, weil er eine Mappe mit Büchern vor die Herzgegend hielt, Kugeln darin steckenblieben bzw. nur seine Beine trafen. Weder die Polizei noch er selbst haben einen Hinweis auf die Täter und deren Hintermänner.

 

In den letzten drei Monaten kam es in Brasilien zu einer Attentatsserie, bei der mehrere Gewerkschaftsführer, ein progressiver Großstadtbürgermeister sowie Umweltaktivisten getötet wurden, Bombenanschläge forderten glücklicherweise keine Opfer. Eine bislang unbekannte rechtsextreme Organisation schickte Morddrohungen an 37 Bürgermeister der linkssozialdemokratischen Arbeiterpartei PT im Industrie- Teilstaat Sao Paulo, dessen Bruttosozialprodukt das von ganz  Argentinien übertrifft. 

 

Systematische Folterungen weiter alltäglich – trotz Anti-Folter-Gesetz

Menschenrechtler skeptisch über  offizielle PR-Kampagne

 

Der Dreißig-Sekunden-TV-Spot ist gut gemacht, drastisch-realistisch: Ein Mann, halbnackt, blutend, gefesselt, wird von einem Sadisten gequält, mit dem Kopf immer wieder in einen Wassertank getaucht, soll Informationen preisgeben, ein Geständnis ablegen. Ein Dritter sieht die Szene, rennt zum Telefon, wählt die neue Gratis-Nummer von „SOS Tortura“, erstattet anonym Anzeige. Jeder sollte ab sofort genauso handeln, lautet der Appell an die Fernsehzuschauer – „denn Folter ist ein Verbrechen!“ Daß Brasiliens Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso, Ehrendoktor der FU Berlin, jetzt auch in Rundfunk und Presse eine solche Medienkampagne starten ließ, einmalig in der Geschichte Brasilien, könnte die Menschenrechtler des In-und Auslands optimistisch stimmen. Doch Skepsis überwiegt. Befürchtet wird, daß Brasilia damit lediglich  auf Imageverbesserung bei den Vereinten Nationen zielt. Deren Experte für Folterfälle, Nigel Rodley, hatte letztes Jahr nach einer Reise durch mehrere Teilstaaten die Zustände als erschreckend und eigentlich unbeschreiblich angeprangert. Nicht anders sieht es Amnesty International, stellte deshalb  in der 17-Millionen-Stadt São Paulo, Lateinamerikas führendem Wirtschaftszentrum, im Oktober kurz vor Kampagnebeginn der brasilianischen Öffentlichkeit den neuesten Bericht über Folter und Mißhandlungen vor. Tatverdächtige, Festgenommene, Untersuchungshäftlinge und Strafgefangene systematisch Torturen zu unterwerfen, auch von völlig Unschuldigen Geständnisse unter Folter zu erpressen, gehört danach weiterhin zur  Alltagsroutine im Apparat der Militär-und Zivilpolizei. Laut Patrick Kopischke, Brasilien-Experte von Amnesty International, hat der starke politische Druck, die überbordende Kriminalität zu bekämpfen, dazu geführt, daß Folter andere Ermittlungsmethoden ersetzt. Allein in São Paulo, wo über eintausend deutsche Unternehmen, von VW bis Daimler-Benz, ansässig sind, werden laut offiziellen Angaben monatlich über 440 Menschen ermordet. Zum üblichen Nachrichtenangebot der  Radio-und TV-Stationen gehören die unaufhörlichen Gefangenenrevolten in den mit fast 100000 Insassen völlig überfüllten Polizeiwachen, Haftanstalten und provisorischen Gefängnissen der Metropole. Pro Monat werden rund eintausend weitere mutmaßliche oder tatsächliche Straftäter in teils fensterlose Zellen gepreßt, wo bereits bis zu 168 Männer auf einem Raum zusammenhocken müssen, der eigentlich nur für höchstens dreißig gedacht war. Wegen der schlechten Luft, der unhygienischen Zustände, des ständigen Fäkaliengeruchs und des damit verbundenen psychischen Drucks sind Aufstände die logische Folge – niedergeschlagen werden sie mit äußerster Brutalität, gibt es fast immer Tote. „Man greift auf Folter und Mißhandlungen zurück, um ein katastrophales Gefängnissystem unter Kontrolle zu halten“, betont deshalb Kopischke, grundlegende Reformen seien nötig, nicht nur kosmetische Verschönerungen. Aktivisten von Amnesty und anderen Menschenrechtsgruppen Brasiliens empört zudem  besonders, daß das auf ihren Druck hin erlassene Anti-Folter-Gesetz von 1997 an den Zuständen kaum etwas änderte, Täter gewöhnlich straffrei ausgehen, selbst aus der Diktaturzeit berüchtigte Folterer weiter im Dienst sind. Gemäß neuen UNO-Angaben verzeichnet der Teilstaat Minas Gerais die meisten bekanntgewordenen Folterfälle, ist die Polizeibrutalität traditionell besonders hoch. Dies gilt als Erbe des Militärregimes(1964-1985), als Fachleute der CIA gemäß Angaben von Zeitzeugen  den Militär-und Zivilpolizisten in Kursen auch Foltertechniken beibrachten. „Heute noch sind es die gleichen“, so der renommierte Menschenrechtsanwalt Antonio Aurelio, „vor allem Elektroschocks, Aufhängen kopfunter an einer Stange, Eintauchen in Wassertanks, Schläge auf beide Ohren, Erstickungsanfälle mittels über den Kopf gestülpten Plastiksäcken“. Im Juni letzten Jahres wurden in einer Polizeiwache São Paulos etwa zweihundert Gefangene, einer nach dem anderen, völlig unbekleidet,  mit Elektroschocks gepeinigt. Bei weiteren Mißhandlungen starb ein Insasse, dreißig weitere erlitten teils schwere Verletzungen. Die beteiligten Polizeikommissare sind weiterhin im Dienst.  Beim Interview  mit dem Polizeichef einer nordostbrasilianischen Stadt fand dieser nichts dabei, den an den landesüblichen Elektroschock-Apparaturen verwendeten Regler sichtbar  auf seinem Schreibtisch liegen zu lassen.

 

Über 40000 brasilianische Kinder arbeiten auf stinkenden Müllbergen

Unicef und NGO entwickeln Alternativprojekte

 

 Im Kriechgang, fast mit Vollgas, arbeitet sich der Müll-LKW in Serpentinen fast bis zur Haldenspitze vor, kippt dort, an der Peripherie der 17-Millionen-Stadt São Paulo, bei 35, 40  Grad Tropenhitze stinkende Abfälle aller Art ab. Auf diesen Moment haben Schwärme von Schmeißfliegen, aber auch Dutzende von Kindern und Jugendlichen nur gewartet. Mit Säcken über der Schulter stürzen sie sich auf  die Ladung, sinken bis zu den Knien ein, wühlen neben schwarzen Aasgeiern nach Essensresten, Glas-und Plastikflaschen, Papier und Getränkebüchsen aus Aluminium. Alles wird getrennt, sortiert, ein Stück entfernt bei  anderen Familienmitgliedern angehäuft, Alu-Büchsen tritt man mit dem Fuß platt. Metallfirmen oder Papier-und Textilfabriken nehmen alles für lächerlich geringe Preise ab – jedes dreckverschmierte, oft von Hautkrankheiten gezeichnete Müll-Kind kommt pro Tag höchstens auf umgerechnet vier, fünf Mark – überlebenswichtig für die Familien an der Slum-Peripherie von Lateinamerikas reichster Stadt und Wirtschaftslokomotive, aber auch von Rio de Janeiro, Salvador da Bahia oder Recife. In ganz Brasilien sind es über vierzigtausend „Crianças do Lixo“, Müll-Kinder – die nie zur Schule gehen, oder es aufgaben, weil man sie lächerlich machte, diskriminierte. Vor ein, zwei Jahren waren es indessen noch über dreizehntausend mehr – bevor das UN-Kinderhilfswerk Unicef  und die regierungsunabhängige Organisation „Agua e Vida“(Wasser und Leben) Projekte starteten, Druck auf den Staat, lokale Behörden ausübten, um diese schändliche Form der Kinderarbeit zu bekämpfen.

 

Hautkrankheiten, Cholera

 

Daß Minderjährige in einem Land, das zu den zehn größten Wirtschaftsnationen gehört, den ganzen Tag im Müll waten müssen, anstatt zu spielen und zu lernen, nennt Afonso Lima, Unicef-Mitarbeiter in São Paulo, einfach entsetzlich, unmenschlich. Die Regierung hat zudem internationale Konventionen, darunter gegen Kinderarbeit unterzeichnet, die derartiges eigentlich verbieten. „Weil die meisten Kliniken  ihre sämtlichen Abfälle unsortiert und unbehandelt ebenfalls auf die Halde kippen, können sich die Kinder sogar gefährliche Krankheiten holen, finden Spritzennadeln, Chemikalien aller Art.“ Für seine Kollegin Paula Claycomb aus den USA fehlt es auch an politischem Willen. „Die brasilianische Gesellschaft muß endlich verstehen, daß stinkende Abfallhalden nicht der richtige Ort für Kinder sind.“ Dabei wurde bereits eine Menge erreicht: Unicef und die NGO „Agua e Vida“ brachten in geduldiger Überzeugungsarbeit Gouverneure und viele Gemeinden dazu, Mittel für die Gründung von Müll-Recycling-Kooperativen freizugeben, sogar Gebäude bereitzustellen. Der Vorteil: Wiederverwertbares wird bereits an Wohngebäuden, Supermärkten, Bürohäusern aussortiert – und nicht erst,  mit organischen Abfällen verschmutzt, auf der Halde. Resultat: Das Familieneinkommen steigt, die Kinder brauchen nicht mehr mitzuarbeiten, gehen stattdessen zur Schule. Eine geringe staatliche Hilfe von  monatlich umgerechnet über zehn Mark pro Kind wird auch an viele andere verelendete Familien nur gezahlt, wenn sie ihre Kinder kontinuierlich in die Schule schicken. „Und das funktioniert“, bekräftigt die NGO-Koordinatorin Teia Magalhaes in São Paulo. „Nur ist es leider oft so: Wir holen eine Familie aus dem Müll, doch andere treten sofort an deren Stelle – Folge der Misere in Brasilien.“ Da die Cholera im Lande längst nicht ausgerottet ist, man sich gerade auf den riesigen Abfallbergen leicht anstecken kann, verbreitet Teia Magalhaes auch ein entsprechendes Aufklärungs-Video, organisiert zusammen mit Präfekturen Musik-und Tanzkurse, um frühere „Crianças do Lixo“ in der Schule zu halten, an Kultur heranzuführen.

 

Banker und Müllsammler

 

Auch über  Lateinamerikas Wallstreet, die Banken-Avenida Paulista, zerren täglich ungezählte schwitzende, zerlumpte Catadores do Lixo, Müllsammler, ihre hölzernen Karren, hochbeladen mit Verpackungen und anderem Material. Eigentlich sollten  die Catadores allen Respekt verdienen: Nur ihnen ist es zu verdanken, daß immerhin achtzig Prozent der Aluminium-Getränkebüchsen, siebzig Prozent der Pappe und  dreißig Prozent der Flaschen recycelt werden. Nur hier und da trifft man bereits auf jene Hausmüll-Container wie in Deutschland – ausgerechnet in einem Drittweltland wie Brasilien ist Ressourcenverschwendung weiterhin die Regel. Was vergeudet wird, ob Nahrungsmittel, Strom oder Wasser, hat laut neuesten Studien immerhin einen Wert von jährlich umgerechnet über einhundert Milliarden Mark. Besonders provozierend in einem Land mit ernsten Hungerproblemen: Was São Paulos Supermärkte an Lebensmitteln wegwerfen, reichte wertmäßig bequem aus, um monatlich 600000 Slum-Familien mit Grundnahrungsmitteln zu versorgen.

 

Padre Julio Lancelotti kämpft gegen Folter an Kindern und Jugendlichen

Hohes Lebensrisiko, Morddrohungen, tätliche Angriffe

Auch von Unicef wegen Engagements für Kinderrechte ausgezeichnet

 

„Erstmals konnten wir jetzt achtzehn Aufseher, sogar drei Direktoren, wegen Folter vor Gericht bringen“, sagt Padre Julio Lancelotti im Büro des von ihm geleiteten „Zentrums zur Verteidigung von Kindern und Jugendlichen“ der Millionenstadt São Paulo. Aber Freude, Zufriedenheit über diesen kleinen Sieg ist ihm nicht anzumerken. Denn auf einen Schlag hat er damit noch mehr erbitterte Feinde unter den Mitarbeitern der gefängnisähnlichen Anstalten für straffällig gewordene Minderjährige(Febem). Von den letzten Attacken hat er sich noch nicht erholt: Als in einer Febem-Einheit wiederum Jugendliche gegen Mißhandlungen, Überfüllung rebellierten, fuhr er sofort hin – eine Gruppe von Febem-Angestellten schlug ihm Zähne aus, trat auf ihn ein, zerbrach die Brille. Militärpolizisten schauten bewußt eine ganze Weile zu, griffen erst spät ein. „Sogar  das Kreuz, das ich um den Hals trug, ein Geschenk aus Osnabrück, wurde mir abgerissen – hier ist die Situation eben längst außer Kontrolle.“ Lancelotti, der auch ein Heim für Aids-infizierte Kinder führt,  erhält regelmäßig Morddrohungen – andere Pfarrer São Paulos haben ihr Engagement für Menschenrechte bereits mit dem Leben bezahlt – in Brasilien kommt es täglich zu politischen Morden, Attentaten.  Theoretisch können er und seine Anwälte sich auf das Anti-Folter-Gesetz, das Statut zum Schutze der Heranwachsenden berufen. „In Brasilien dominiert aber leider Straflosigkeit, Folterer bleiben gewöhnlich ungeschoren, werden nicht einmal entlassen, sind durch die Autoritäten geschützt.“

 

„Kultur der Folter“

 

Daß die Gesetze nicht funktionieren, erklärt Lancelotti mit für manchen Europäer sicher  überraschenden Gründen:“In diesem Land existiert die Sklavenhalterkultur, auch eine Kultur der Folter weiter – ein Großteil der Brasilianer befürwortet Torturen, die Todesstrafe, die Herabsenkung des Strafmündigkeitsalters auf sechzehn, teils sogar vierzehn Jahre.“ Im Teilstaate São Paulo, dem reichsten ganz Brasiliens, mit weit über eintausend deutschen Unternehmen, sind in den Febem-Anstalten derzeit mehr als viertausend Heranwachsende konzentriert, täglich kommen etwa dreißig hinzu. Wo eigentlich gemäß den Vorschriften nur Platz für sechzig Minderjährige ist, werden in Zellen bis zu vierhundert zusammengepfercht, sind gewöhnlich völlig sich selbst überlassen. „Als letztes Jahr der UNO-Sonderberichterstatter für Folter, Nigel Rodley, hier war, erklärte man ihm allen Ernstes, Jugendliche hätten sich Verletzungen selber beigebracht, im Streit miteinander.“ Der Padre, die eng mit ihm kooperierende Anwältin Francisca de Assis Soares, wissen von solchen Fällen, auch von sexueller Gewalt unter den Jugendlichen. Doch das sind Ausnahmen. Die Struktur dieser Anstalten ziele auf  Unterdrückung, Entwürdigung, Verrohung – „über viele besonders sadistische Folterungen“, so Lancelotti“,  reden wir öffentlich gar nicht mehr, weil es uns ja doch keiner glaubt.“ In einer Febem-Anstalt hatte man allen Ernstes Skinheads angestellt,  wegen ihrer Aggressivität von den Minderjährigen  nur „Pitbulls“ genannt.

 

Sadismus der Aufseher

 

 Bekommen Lancelotti und sein Team Wind von Mißhandlungen, fahren alle sofort los, um gerichtsverwertbare Beweise zu sammeln, Torturen zu unterbrechen. „In einer Anstalt trafen wir auf über vierzig gefolterte Jugendliche – mit schweren Verletzungen, gebrochenen Armen und Beinen!“ Rebellieren Insassen einer Febem-Einheit, toben sich bei der Niederschlagung Aufseher, herbeigerufene Polizisten sadistisch aus.“Jugendliche mußten tagelang nackt hintereinander aufgereiht und aneinandergepreßt auf dem Boden hocken, das Geschlechtsteil am Gesäß des Vordermanns, durften nur in Plastikflaschen urinieren, die man dann über ihnen ausschüttete. Scharfe Hunde wurden rudelweise zwischen die Insassen gehetzt – wer deshalb aufstand, erhielt sofort Schläge. Und selbst das – Wärter zwingen Jugendliche, auf andere Insassen zu urinieren. Alles Folterpraktiken, tief entwürdigend!“

 

Aber könnte die Mitte-Rechts-Regierung unter  Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso, Bewohner São Paulos, Ehrendoktor der Freien Universität Berlin, diese Zustände nicht ändern? „Brasilien ist nur eine formale Demokratie“, analysiert Lancelotti, „die Politiker in Brasilia leben wie auf einem anderen Planeten, fern der Realität, wollen von diesen Dingen nichts wissen – Zugang zu Präsident Cardoso haben wir nicht.“ Bestenfalls mit Galgenhumor registriert der Padre, welches Prestige Cardoso gerade in Europa, auch in  Deutschland genießt:“Der Präsident führt sich wie ein Prinz auf, erhält überall Doktortitel. Aber wenn man in europäischen Zeitungen oder in der Genfer UN-Menschenrechtskommission über diese Zustände hier spricht – das mag er, seine Regierung, garnicht.“

 

Lancelotti räumt ein, daß ihn die Menschenrechtsarbeit zugunsten der Minderjährigen Brasiliens streßt, psychisch ermüdet. „Der Haß auf uns ist groß, wir werden verfolgt, lächerlich gemacht, sind nur wenige – und die Folter nimmt zu!“ Mit seiner Wochenkolumne in einer Tageszeitung São Paulos erreicht er wenigstens einen Teil der Öffentlichkeit. Und ein bißchen Mut macht, daß ihn das UN-Kinderhilfswerk Unicef im neuesten Jahresbericht ausdrücklich als Anwalt der Heranwachsenden Brasiliens hervorhebt.

Brasilien – Kirche und Gesellschaft, Sammelband:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/05/brasilien-%E2%80%93-kirche-und-gesellschaft-sammelbandtexte/

Jurandir Freire Costa, Therapeut, Professor an der Staatsuniversität von Rio de Janeiro(UERJ). “In Brasilien herrscht ethisch-moralische Schizophrenie.” Claudio Guimaraes dos Santos. Scheiterhaufen-Rap. **

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Costa in Rio de Janeiro beim Website-Interview

 Komponist Chico Buarque nennt die tonangebende Oberschicht zunehmend kulturloser –  und für Jurandir Freire Costa, einen der führenden Intellektuellen Brasiliens, ist sie sogar sozial verantwortungsloser als je zuvor. ”Die alten Eliten fühlten sich wenigstens minimal der Tradition, der Geschichte, der Zukunft ihres Landes verpflichtet –  den Eliten von heute fehlt dazu jegliche Bindung, zudem jeglicher Sinn für Zivilisation. Sie sind erschreckend belanglos, oberflächlich, drücken das kulturelle Niveau. Und schauen auf den Rest des Landes, als gehe er sie nichts an, verlassen ihre privilegierten Zirkel nur, um in die USA, in reiche Länder Europas zu fliegen, dort genauso weiterzuleben.”

Steinigen im Iran und in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/14/steinigen-im-iran-unter-ahmadinedschad-und-in-brasilien-unter-lula-lula-konnte-sich-uber-die-tatsache-beunruhigen-das-brasilien-zu-den-landern-gehort-in-denen-am-meisten-gelyncht-wird-jose/

Für den Universitätsprofessor und Therapeuten Costa aus Rio ist verhängnisvoll, daß diese Eliten indessen beispielgebend wirken, kopiert werden, Verhaltensweisen formen, bis tief hinein in die Unterschicht. Ein enormer Kulturverlust, die Masse leichter manipulierbar. In seinem elitekritischen Buch „Die Spur und die Aura”, beschreibt er, wie das öffentliche Leben der Logik des Spektakels, der Show, der Unterhaltung unterworfen wird – Autoritäten wie Staatschef Lula inbegriffen. Die Eliten mit einer Idee vom Leben als ewig währendem Vergnügungspark. ”Diese Leute mit ihrem provozierenden Lebensstil, dem hohen Drogenkonsum, sind in ihrer sozio-kulturellen Wahrnehmungsfähigkeit so dressiert, daß sie die Misere, die Verelendeten überhaupt nicht mehr sehen, sogar negieren. Pure Verantwortungslosigkeit, die sich reproduziert, in der Gesellschaft Schule macht.”

 

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/05/brasiliens-zeitungen-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/

Ein Resultat der von den Eliten aufrechterhaltenen scharfen Sozialkontraste ist laut Costa die überbordende Gewalt, mit mehr Toten als im Irakkrieg. Entführungen von Geldleuten, Prominenten, Bandenüberfälle in Nobelvierteln –  das zumindest wird von der Upperclass als störend wahrgenommen. Sie könnte intervenieren, sei jedoch inkonsequent und provoziere damit noch mehr Misere, Banditentum. ”Denn ein Teil der Verelendeten wird gewalttätig, will an das Geld der Reichen, um dann den Lebensstil der Eliten zu kopieren – weiter nichts. Die verarmten Massen in den Metropolen Rio de Janeiro und Sao Paulo ohne ethisch-moralische Wurzeln, eine junge Generation, die keinerlei Respekt mehr hat für das tatsächlich Wertvolle in einer Gesellschaft. Zynismus, Individualismus, Verantwortungslosigkeit –  das haben sie von Geburt an überall beobachtet. Doch Leute wie ich dürfen deswegen nicht in Nihilismus verfallen, wir müssen Zivilcourage zeigen, anklagen, anprangern.” Costa stellt klar, daß nicht nur in Brasilien, sondern in aller Welt die Leute nicht mehr an die Politiker glauben. „Denn alle wissen, daß die Staatsmänner doch nur Verwalter im Dienste großer Unternehmen sind. Ob es sich nun um die Regierungen der USA, Deutschlands, Japans, Frankreichs, Großbritanniens handelt –  alles nur eingesetzte Administratoren. Wer regiert, sind nicht die Regierungen. In der Demokratie können die Leute auch falsch wählen.”

Costa hat eine Erklärung für das Desinteresse der Bessergestellten am Los der Slumbewohner:”Die Mittel-und Oberschicht spricht diesen den Gleichheitsgrundsatz ab, definiert sie quasi als Nicht-Menschen, reagiert daher mit extremer Indifferenz und Akzeptanz auf jede Art von Gewalt gegen diesen Bevölkerungsteil. Daß Slumbewohner kaum ein Minimum an Menschenrechten genießen, ist somit irrelevant.”

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/05/15/dr-claudio-guimaraes-dos-santos-mediziner-therapeut-schriftsteller-sprachwissenschaftler-publizist-unter-den-wichtigsten-denkern-brasilien/

Inacio de Loyola Brandao, einer von Brasiliens großen Schriftstellern, war einst Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, lebte für ein Jahr in Deutschland. Heute nennt er sich desiludido, exausto, desillusioniert und erschöpft. „Lula und seine Arbeiterpartei waren Hoffnungen  –  alles nur Lüge –  eine mehr in der politischen Geschichte Brasiliens. Ich bin es müde, an den Ampelkreuzungen weiter von verelendeten Kindern, Menschen in Rollstühlen angebettelt zu werden. Kinder zu sehen, die Crack rauchen, sich in den Schulen umbringen. Und ich bin es müde, mich an einen Tisch zum Essen zu setzen –  während durch die Scheiben hungrige Augen auf meinen Teller starren.”

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Scheiterhaufen “Microondas” in Rio de Janeiro – laut Lokalzeitung.

Rio de Janeiro “ Stadt der modernen Scheiterhaufen

Sozialwissenschaftlerin Alba Zaluar „Microondas sind alltäglich”

Bei einer Podiumsdiskussion über den neuen Spielfilm” Tropa de Elite” hat die brasilianische Sozialwissenschaftlerin Alba Zaluar in Sao Paulo erklärt, daß es zu den alltäglichen gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Rio de Janeiro gehöre, Menschen so wie in dem Streifen gezeigt, auf modernen Scheiterhaufen aus Autoreifen lebendig zu verbrennen. In der betreffenden Szene des Films, der in Deutschland erstmals auf der  Berlinale zu sehen ist, wird dargestellt, wie ein sadistisches Banditenkommando weithin sichtbar hoch über Rio de Janeiro über einen Mann Autoreifen gestapelt hat, das Opfer dann mit Benzin übergießt und anzündet. „Derartige Vorgänge”, so Alba Zaluar vor einem größtenteils aus Universitätsstudenten bestehenden Publikum, „sind alltäglich “ ich habe indessen Berichte von weit grauenhafteren Untaten.” Danach würden in dem Armenviertel „Cidade de Deus” von Banditenkommandos sogar Menschen den Alligatoren lebendig zum Fraß vorgeworfen. „Der dortige Verbrecherboß befiehlt, mit Personen, die er nicht mag, so zu verfahren.” In den Slums, so Brasiliens führende Gewaltexpertin, „ist eine neue tyrannische Kultur feudalistisch-machistischer Werte inzwischen fest installiert “ alles hingenommen von den Autoritäten.”

Der Regisseur von „Tropa de Elite”, Josè Padilha, bezeichnete Alba Zaluar als wichtigsten Ideengeber für den brasilianischen Film „City of God”, der auch in Europa erfolgreich lief.

Eine schwarze Menschenrechtsanwältin kennt einen Zeugen, dem zufolge inmitten von Bailes Funk Jugendliche lebendig verbrannt wurden. Baile-Funk-Fans haben nach der Massendisco wiederholt Bettler verbrannt.

Bereits ab 1990 hatte in Rio de Janeiro das vielgelesene Boulevardblatt „A Noticia” regelmäßig auch Fotos von modernen Scheiterhaufen, den sogenannten „Microondas”(Mikrowelle) gedruckt. Auch eine auf dem Uni-Campus von Rio vergewaltigte und danach lebendig verbrannte 20-jährige Frau wurde in „A Noticia” als „Presunto”(Schinken) bezeichnet. Das Opfer wurde sexistisch-appellativ fotografiert und kannibalistisch mit zubereitetem Grillfleisch verglichen, im Bildtext mit Toastbrot. Der Beitrag war humorig gehalten.

Der renommierte Therapeut und Direktor des Instituts für Sozialmedizin an der Bundesuniversität von Rio, Jurandir Freire Costa, erklärte dazu, in Brasilien herrsche „ethisch-moralische Schizophrenie”. Arnaldo Jabor, Filmemacher und Brasiliens meistgelesener Kolumnist:”Auffallend ist die Katastrophe unserer wachsenden Unsensibilität angesichts des Horrors. Die Fakten rufen nach mehr als Mitleid. Der Überdruß angesichts von Katastrophen nimmt zu, die Seele wird zur Rhinozeros-Haut.” Der damalige Primas von Brasilien, Kardinal Lucas Moreira Neves, sprach von „Anstiftung zur Gewalt, Verblödung ganzer Bevölkerungsschichten, Vermischung von Gewalt und Pornographie.”

Die Scheiterhaufen betreffenden Fakten und Hintergründe sind mindestens seit den 80er Jahren in allen Details den für solche Tatsachen Zuständigen auch in den deutschsprachigen Ländern genau bekannt.

bosshartmpikinder.JPGZeitungsausriß NZZ.

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/06/08/jose-murilo-de-carvalho-mitglied-der-brasilianischen-dichterakademie-fuhrender-historiker-brasiliens/

http://www.amnesty.de/journal/2009/juni/kolumne-kopf-unter-wasser

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/04/28/para-mim-o-que-caracteriza-realmente-o-povo-brasileiro-e-sua-imensa-passividade-brasilianische-mentalitat/

Goethe-Gesellschaft Brasilien, Präsident Dr. Marcus Mazzari: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/22/prof-dr-marcus-mazzari-prasident-der-goethe-gesellschaft-brasiliens-associacao-goethe-do-brasil-gesichter-brasiliens/

Mittelschicht und Slums: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/08/07/wie-tickt-eigentlich-brasiliens-mittelschicht-die-classe-media-ein-genialer-song-von-max-gonzaga-auf-youtube/

Scheiterhaufen-Rap: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/16/rio-de-janeiro-popularen-scheiterhaufen-rap-microondas-der-scheiterhaufen-stadt-anklicken-vacilou-bem-na-favela-microondas-te-torrou-a-tua-chance-acabou/

Wie starb der mehrfach preisgekrönte TV-Reporter Tim Lopes? Laut Polizeibericht entdeckten ihn Banditen in der Favela Vila Cruzeiro von Rio de Janeiro – Tim Lopes wurde zuerst gefoltert, dann rammten ihm die Gangster einen Spieß in den Brustkorb, hackten seine Füße ab und verbrannten ihn lebendig in Autoreifen – siehe Szene aus ”Tropa de Elite.Â

Glückszahl und Flugzeugunglück: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/06/02/flugzeugungluck-und-jogo-do-bicho-flugnummer447-und-airbustyp330-massiv-als-gluckszahl-ausgewahlt-a-vida-como-ela-e/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/28/brasiliens-abgebrochene-schul-aufklarungskampagne-uber-schwule-lesben-transvestiten-wir-machen-keine-propaganda-fur-sexuelle-optionen-laut-staatsprasidentin-dilma-rousseff-morde-an-homosexu/

Yoani Sanchez, Mitarbeiterin des deutschen Regierungssenders Deutsche Welle/DW, beim Treffen mit Barack Obama 2016 in der USA-Botschaft von Havanna. Sanchez über Brasilien: “Ich will diese Demokratie in meinem Land.” Brasilianische Bürgerrechtler lehnen in Brief an Deutsche Welle/DW ab, von Yoani Sanchez interviewt zu werden…Personalpolitik deutscher Medien häufig in der Kritik. **

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Ausriß.

Die Botschaft der USA in Havanna:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/12/30/die-botschaft-der-usa-in-havanna-und-die-politisch-kulturelle-kubanische-nachbarschaft-denkmaeler-historische-informationen-konzerte-festivals-direkt-der-botschaft/

Obama nach Kuba 2016:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/02/19/america-will-always-stand-for-human-rights-around-the-world-friedensnobelpreistraeger-barack-obama-mit-kuriosem-offenbar-nicht-ironisch-gemeintem-twitter-eintrag-zu-kuba/

Rd. 40 % der brasilianischen Strafgefangenen, etwa 250000 von insgesamt etwa 622200, sind nicht rechtskräftig endgültig verurteilt, laut offiziellen Angaben 2016. Die Strafgefangenenrate pro 100000 Einwohner ist doppelt so hoch wie im Weltdurchschnitt – indessen befindet sich eine sehr große Zahl von Schwerverbrechern, darunter Mördern, auf freiem Fuß. 

Der Teilstaat Rio de Janeiro liegt bei Zika-Fällen landesweit an der Spitze, laut offizieller Statistik im  April 2016.

Deutsche Reisewarnung für Brasilien – hohe Kriminalität: “Besonders betroffen sind Elendsviertel (Favelas). Von Favela-Besuchen wird dringend abgeraten.  Diese Gebiete werden teilweise von Kriminellen kontrolliert. Bewaffneten Auseinandersetzungen, auch mit der Polizei, fallen häufig auch Unbeteiligte zum Opfer.”

Deutsche und schweizerische Reisewarnungen für Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/03/09/das-menschenrecht-auf-personliche-sicherheit-unter-lula-die-deutsche-botschaft-in-brasilia-informiert/

Brasilianische Bürgerrechtler-NGO und Yoani Sanchez:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/04/27/yoani-sanchez-2016-buergerrechtler-brasiliens-lehnen-interview-mit-der-kubanischen-regierungsgegnerin-yoani-sanchez-ab-die-zur-tv-mitarbeiterin-des-deutschen-regierungssenders-deutsche-welle-avancie/

http://www.hart-brasilientexte.de/2016/04/27/steinmeier-gibt-colonia-dignidad-akten-frei-tagesschau-27-4-2016-waehrend-der-diktatur-von-augusto-pinochet-1973-1990-diente-die-siedlung-zudem-als-folterzentrum-des-geheimdienstes/

Olympia, IOC, Scheiterhaufenstadt:http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/11/der-brasilianische-musiker-und-poet-marcelo-yuka1/

Die kubanische Regierungsgegnerin Yoani Sanchez und die Menschenrechtslage in Brasilien.

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Ausriß. Scheiterhaufenopfer(Microondas), Januar 2013, Rio de Janeiro.  http://www.deutschlandradiokultur.de/moderne-scheiterhaufen-aus-autoreifen.1013.de.html?dram:article_id=167263

“Von allen linken Präsidenten hat Lula, der als am wenigsten links eingeschätzt wird, die größten Erfolge.” Gregor Gysi

Per Internetsuche findet man regelmäßig Medienberichte mit Fotos, Videos über die Scheiterhaufenpraxis in Brasilien – ob in der WM-und Olympia-Stadt Rio de Janeiro oder in Curitiba – viele Fälle bleiben unregistriert:

“HOMEM É QUEIMADO VIVO ENTRE PNEUS NO BOQUEIRÃO/Curitiba, 2015

Na manhã desta sexta-feira (03) a polícia foi acionada após uma denúncia de assassinato. De acordo com informações, um homem teria sido queimado vivo. A vítima foi envolta sobre pneus e não resistiu às queimaduras. Devido às circunstancias do crime, não foi possível identificar o corpo.”

 

“PMs choram em velório de policial queimado vivo em favela do RJ/2015

Thalita Aquino Policiais Militares se emocionaram e choraram durante o enterro do PM Neandro Santos de Oliveira, no Rio de Janeiro. Neandro, que estava desparecido desde a semana passada, foi queimado vivo por traficantes da favela Final Feliz, em Costa Barros.”

Wie Barack Obama den Tropenstaat Brasilien bewertet(Rede in Rio de Janeiro): “Brasilien ist eine beispielhafte Demokratie. Dieses Land ist nicht länger das Land der Zukunft – die Menschen in Brasilien sollten wissen, daß die Zukunft gekommen ist, sie ist hier, jetzt”.

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Ausriß:  “Yoani: Ich will diese Demokratie in meinem Land.” Kubanische Regierungsgegnerin Yoani Sanchez während ihres Brasilien-Besuchs. In neoliberalen Ländern wie Deutschland sehen es viele genauso wie Yoani Sanchez – Kuba hat viele falsche Freunde. 

Rousseff-Impeachment, Bolsonaro, Yoani Sanchez:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/04/21/brasilien-2016-die-impeachment-hintergruende-bundesstaatsanwaltschaft-in-brasilia-muss-sich-auf-oeffentlichen-druck-mit-bisher-ueber-17000-anzeigen-und-protesten-gegen-rechtsgerichteten-abgeordnete/

Erwartungsgemäß hat sich Yoani Sanchez u.a. auch nicht von der Verbrennung brasilianischer Bürgerrechtler auf Scheiterhaufen distanziert, nicht einmal beim Besuch der Scheiterhaufenstadt Rio de Janeiro. Wie stark Führungsfiguren der Arbeiterpartei PT Lulas mit dem rechten und rechtsextremen Lager Brasiliens verbunden sind, demonstrierte der PT-Kongreßsenator Eduardo Suplicy, der Yoani Sanchez auf einem großen Teil ihrer Brasilienreise begleitete, darunter bei ihren Auftritten im Nationalkongreß von Brasilia. Suplicy wies Kritik an Yoani Sanchez, darunter von NGO und kirchlichen Menschenrechtsaktivisten, scharf zurück. Politisch bemerkenswert waren seit Jahren die engen Beziehungen von Eduardo Suplicy und seiner Ehefrau Marta Suplicy zu Symbolfiguren der Rechten, darunter Oligarch José Sarney, Ex-Präsident der Diktatorenpartei ARENA, starker Mann der Rechtspartei PMDB, die derzeit mit Michel Temer den Vize-Staatschef stellt. Erwartungsgemäß ist Kongreßsenatorin Marta Suplicy, inzwischen von Eduardo Suplicy geschieden, erst unlängst von der Arbeiterpartei PT zur PMDB von Sarney/Temer gewechselt. Vor diesem Hintergrund wird u.a. verständlich, warum die Alibi-Pseudo-Linke in Ländern wie Deutschland just die PT als links einstuft.

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Ausriß 2016. “Yoani Sánchez’ neue Interviewserie im Kanal der Deutschen Welle Lateinamerika”. Viel Lob von Yoani Sanchez für das brasilianische Politikmodell – keine Distanzierung von Folter, Todesschwadronen, Sklavenarbeit, Massenelend der Slums, extrem schlechtem Bildungs-und Gesundheitswesen in Brasilien. 

Falls Kuba nach dem Willen von Yoani Sanchez und ihrer vielen Sympathisanten und Unterstützer (u.a. in deutschen Medien, NGO, Parteien) das brasilianische Demokratiemodell übernimmt, kommen auf den Inselstaat(und dessen Touristen) schwierige Zeiten zu.

Brasilien – strategischer Partner der Berliner Regierung – Fotoserie zum Gewalt-Gesellschaftsmodell:

 http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/05/brasiliens-zeitungen-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/

Westerwelle in Rio de Janeiros Scheiterhaufen-Favela Mangueira:http://www.hart-brasilientexte.de/2013/04/15/brasilien-scheiterhaufen-microondas-bis-2011-auch-rio-favela-mangueira-sitz-der-gleichnamigen-beruhmten-sambaschule-laut-qualitatszeitung-o-globo/

Das gefesselte Opfer in Autoreifen wird mit Benzin übergossen…Wie hochrangige deutsche Politiker zur Scheiterhaufenpraxis in Brasilien, strategischer Partner der Merkel-Gabriel-Regierung, schweigen:

http://www.deutschlandradiokultur.de/moderne-scheiterhaufen-aus-autoreifen.1013.de.html?dram:article_id=167263

Brasilien, Geldfußballweltmeisterschaft und Berichterstattungsvorschriften – Parallelen zu Olympischen Sommerspielen 2016:  http://www.hart-brasilientexte.de/2014/04/20/fusball-weltmeisterschaft-2014-in-brasilien-inzwischen-wird-deutlich-welche-berichterstattungsvorschriften-bereits-gelten-aspekte-folterstaat-paulo-coelho-position-rekord-bei-morden-an-homosexuel/

Katholischer Priester Günther Zgubic aus Österreich, langjähriger Leiter der Gefangenenseelsorge Brasiliens, zum beredten Schweigen ausländischer Medien angesichts gravierender Menschenrechtsverletzungen in dem Tropenland:   „Die internationalen Medien sind total manipuliert –  wenn eine Oberschicht einfach nicht will, daß international hinterfragt wird, dann wird darüber eben nicht berichtet.”

“Erfolgsmodell Brasilien”. taz Berlin 2014

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/04/29/brasiliens-scheiterhaufen-erstmals-in-einer-anklagenden-inszenierung-der-scheiterhaufenstadt-rio-de-janeiro-zu-sehen/

Bisher keine Distanzierung Berlins von Scheiterhaufenpraxis Brasiliens, die u.a. Protestpotential der Slums einschüchtern soll.

Banditendiktatur zwecks Einschüchterung, Paralysierung von Protestpotential – Methode findet offenbar auch Anklang bei Autoritäten in Deutschland – Schaffung von immer mehr No-Go-Areas:  http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/15/wem-nutzen-banditendiktatur-und-immer-mehr-no-go-areas/

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“Gegen den Staatsterrorismus”. Systemkritikerinnen in Sao Paulo.

Brasilien 2016 – die Impeachment-Hintergründe: Bundesstaatsanwaltschaft in Brasilia muß sich auf öffentlichen Druck mit bisher über 17000 Anzeigen und Protesten gegen rechtsgerichteten Abgeordneten Jair Bolsonaro befassen, der bei der Impeachment-Abstimmung die brasilianische Folterdiktatur und einen berüchtigten Folterer lobte. Bolsonaro machte wegen seiner Kontakte zur kubanischen Regierungsgegnerin Yoani Sanchez weltweit Furore. Yoani Sanchez ist inzwischen Mitarbeiterin des deutschen Regierungssenders Deutsche Welle. Die sehr engen Beziehungen von Willy Brandt(SPD), Helmut Schmidt(SPD) und Hans-Dietrich Genscher zur brasilianischen Folterdiktatur. **

http://g1.globo.com/sao-paulo/noticia/2016/04/pgr-vai-analisar-mais-de-17-mil-denuncias-contra-jair-bolsonaro.html

https://pt.wikipedia.org/wiki/Jair_Bolsonaro

 

Laut brasilianischen Medienberichten hatte sich Bolsonaro während der Abstimmung auch gegen den Einsatz von derzeit rund 14000 kubanischen Ärzten in Armen-und Elendsvierteln Brasiliens gewandt. Die “kubanische Diktatur”, so Bolsonaro, werde mit dem Geld des Brasilianers finanziert. 

“A ditadura cubana é financiada com dinheiro de brasileiro. R$ 1,3 bilhão por ano vai para Cuba em nome desse programa conhecido como Mais Médicos. Alguém acha que oPT está preocupado com pobre?”

Vor dem Hintergrund der engen Kontakte zu Rechtsextremisten, Diktatur-und Folterbefürwortern war Yoani Sanchez u.a. in Ländern wie Deutschland zum Medienstar avanciert, wurde u.a. von Grünen-Kretschmann und dem damaligen Außenminister Guido Westerwelle empfangen. Der Fall Sanchez zeigte zudem, wie gut das weltweite Netzwerk der Rechten und Rechtsextremisten auch in Redaktionen des straff gesteuerten deutschen Mainstreams funktioniert.

Weil die Lula-Rousseff-Regierung just Personen wie Bolsonaro, entsprechende Rechtsparteien mit ins Regierungsboot holte, wurde sie u.a. von der deutschen Alibi-Pseudo-Linken, aber auch von Alibi-Pseudo-NGO als “links”, “progressiv” eingestuft.

Die Foltergeneräle betonten in der Begründung des Putsches von 1964 immer wieder die “kubanische Gefahr”.

Regierungskrise und Manipulationstricks:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/04/13/brasiliens-regierungskrise-2016-und-die-manipulationstricks-im-mitteleuropaeischen-gesteuerten-mainstream-brasilianische-privatwirtschaft-als-hauptbestecher-wichtiger-politischer-akteur-auch-in-der/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/01/brasiliens-erfolgreiche-auslandspropaganda-2009-uber-40-millionen-euro-investiert-laut-brasil-economico-enge-zusammenarbeit-mit-medien-europas/

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Ausriß. Über die engen Kontakte zwischen Bolsonaro und Yoani Sanchez kursieren im Internet zahlreiche Karikaturen, Montagen, Wortspiele. Inzwischen ist Yoani Sanchez Mitarbeiterin des deutschen Regierungssenders Deutsche Welle, der vom Steuerzahler finanziert wird.

Yoani Assange USA

Bolsonaro und Yoani Sanchez – die aufschlußreichen Videos:https://www.youtube.com/watch?v=ejviJ_PKM5c

https://www.youtube.com/watch?v=15TJUfNUZ8E

https://www.youtube.com/watch?v=TXoaI9UacWw

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Ausriß 2016. “Yoani Sánchez’ neue Interviewserie im Kanal der Deutschen Welle Lateinamerika”. Viel Lob von Yoani Sanchez für das brasilianische Politikmodell – keine Distanzierung von Folter, Todesschwadronen, Sklavenarbeit, Massenelend der Slums, extrem schlechtem Bildungs-und Gesundheitswesen in Brasilien. 

Falls Kuba nach dem Willen von Yoani Sanchez und ihrer vielen Sympathisanten und Unterstützer (u.a. in deutschen Medien, NGO, Parteien) das brasilianische Demokratiemodell übernimmt, kommen auf den Inselstaat(und dessen Touristen) schwierige Zeiten zu.

Brasilien – strategischer Partner der Berliner Regierung – Fotoserie zum Gewalt-Gesellschaftsmodell:

 http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/05/brasiliens-zeitungen-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/

Scheiterhaufen in Brasilien heute:  http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/11/der-brasilianische-musiker-und-poet-marcelo-yuka1/

Fotoserie, Teil 2:http://www.hart-brasilientexte.de/2013/04/26/brasiliens-zeitungen-brasilianischer-fotojournalismus-teil-2-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/

Katholischer Priester Günther Zgubic aus Österreich, langjähriger Leiter der Gefangenenseelsorge Brasiliens, zum beredten Schweigen ausländischer Medien angesichts gravierender Menschenrechtsverletzungen in dem Tropenland:   „Die internationalen Medien sind total manipuliert –  wenn eine Oberschicht einfach nicht will, daß international hinterfragt wird, dann wird darüber eben nicht berichtet.”

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“Gegen den Staatsterrorismus”. Systemkritikerinnen in Sao Paulo.

Kriminalität und Verhaltensänderungen:http://www.hart-brasilientexte.de/2011/10/20/brasiliens-burgerfreiheiten-uber-8o-prozent-veranderten-wegen-zunehmender-gewalt-und-kriminalitat-die-lebensgewohnheiten-54-prozent-verlassen-nachts-nicht-mehr-das-haus-laut-neuer-studie/

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Ausriß:  “Yoani: Ich will diese Demokratie in meinem Land.”

Erwartungsgemäß hat sich Yoani Sanchez u.a. auch nicht von der Verbrennung brasilianischer Bürgerrechtler auf Scheiterhaufen distanziert.

Westerwelle in Rio de Janeiros Scheiterhaufen-Favela Mangueira:http://www.hart-brasilientexte.de/2013/04/15/brasilien-scheiterhaufen-microondas-bis-2011-auch-rio-favela-mangueira-sitz-der-gleichnamigen-beruhmten-sambaschule-laut-qualitatszeitung-o-globo/

Das gefesselte Opfer in Autoreifen wird mit Benzin übergossen…Wie hochrangige deutsche Politiker zur Scheiterhaufenpraxis in Brasilien, strategischer Partner der Merkel-Gabriel-Regierung, schweigen:

http://www.deutschlandradiokultur.de/moderne-scheiterhaufen-aus-autoreifen.1013.de.html?dram:article_id=167263

Katholischer Priester Günther Zgubic aus Österreich, langjähriger Leiter der Gefangenenseelsorge Brasiliens, zum beredten Schweigen ausländischer Medien angesichts gravierender Menschenrechtsverletzungen in dem Tropenland:   „Die internationalen Medien sind total manipuliert –  wenn eine Oberschicht einfach nicht will, daß international hinterfragt wird, dann wird darüber eben nicht berichtet.”

“Erfolgsmodell Brasilien”. taz Berlin 2014

Brasilien, Geldfußballweltmeisterschaft und Berichterstattungsvorschriften – Parallelen zu Olympischen Sommerspielen 2016:  http://www.hart-brasilientexte.de/2014/04/20/fusball-weltmeisterschaft-2014-in-brasilien-inzwischen-wird-deutlich-welche-berichterstattungsvorschriften-bereits-gelten-aspekte-folterstaat-paulo-coelho-position-rekord-bei-morden-an-homosexuel/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/04/29/brasiliens-scheiterhaufen-erstmals-in-einer-anklagenden-inszenierung-der-scheiterhaufenstadt-rio-de-janeiro-zu-sehen/

Mit einem brasilianischen Demokratiemodell käme auf deutsche Touristen in Cuba dann eine völlig veränderte Situation zu: 

Reisewarnungen des deutschen Außenministeriums für Brasilien, strategischer Partner der Merkel-Gabriel-Regierung:

Die Gefahr, Opfer eines Raubüberfalls oder eines anderen Gewaltverbrechens zu werden, ist in Brasilien erheblich höher als in Westeuropa. Besonders Großstädte wie Belém, Porto Alegre, Recife, Salvador, Fortaleza, São Luiz, Maceio, Rio de Janeiro und São Paulo weisen hohe Kriminalitätsraten auf. Grundsätzlich ist Vorsicht angebracht, auch in als sicher geltenden Landes- oder Stadtteilen. Besonders stark von Kriminalität und Gewalt betroffen sind Armensiedlungen (Favelas). Von Favela-Besuchen wird daher dringend abgeraten. Diese Gebiete werden teilweise von Kriminellen und Drogenbanden kontrolliert. Bewaffneten Auseinandersetzungen, auch mit der Polizei, fallen häufig auch Unbeteiligte zum Opfer.

Eine Häufung krimineller Zwischenfälle ist vor allem in weniger belebten Straßen der Innenstädte, an Stränden sowie auf Zubringerautobahnen zu den Flughäfen zu verzeichnen. In größeren Flughäfen können Taxis auch schon im Flughafengebäude gebucht und bezahlt werden, was mit höherer Sicherheit verbunden ist. Bei der Reise sollten Ausweispapiere nicht im Gepäck aufbewahrt sondern „am Mann“ getragen werden. Am Zielort ist es empfehlenswert, Originale der Ausweispapiere im Safe des Hotels zu lassen und nur Kopien und eine Broschüre/Visitenkarte des Hotels mit sich zu führen. Laptops sollten unauffällig, z.B. in einer verschließbaren Reisetasche, verstaut oder auch in den Safe gelegt werden.

Es wird empfohlen, beim Straßenbummel auf auffällige Kleidung, Uhren und (Mode-) Schmuck zu verzichten und Geld und Wertsachen (Kameras, Uhren, Smartphones etc.) nur im erforderlichen Umfang mitzunehmen und verdeckt zu tragen. Bei Überfällen sollte kein Widerstand geleistet werden. Die oft unter Drogeneinfluss stehenden Täter sind in aller Regel bewaffnet und schrecken vor Gewaltanwendung auch aus nichtigem Anlass nicht zurück. Es ist ratsam, stets einen geringeren Geldbetrag zur widerstandslosen Herausgabe mitzuführen.

Auf Straftaten im Umfeld der Prostitution (Diebstähle, Raub, Überfälle etc.) wird besonders hingewiesen. Berüchtigt ist die Verabreichung von Getränken mit Schlaf- bzw. willensverändernden Mitteln. Es wird dringend empfohlen, vor allem in Bars und anderen Lokalitäten Getränke nie unbeaufsichtigt zu lassen. Von der Mitnahme von Prostituierten oder flüchtigen Bekannten in das eigene Hotelzimmer wird ausdrücklich abgeraten. 

Scheiterhaufen-Praxis:

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/02/07/brasilien-papua-neuguinea-lebendiges-verbrennen-von-menschen-mit-benzin-und-autoreifen-toten-von-frauen-wegen-angeblicher-hexerei-in-beiden-staaten-berichte-der-landesmedien/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/17/lynchland-brasilien-meiste-opfer-lebendig-verbrannt/

 

Bolsonaro sagte im Februar 2000 dem brasilianischen Nachrichtenmagazin “Isto é” auf die Frage, ob die Polizei beim Vorgehen gegen Gefangene im Carandiru-Gefängnis korrekt gehandelt habe:”Ich denke weiterhin, daß die Möglichkeit verpaßt wurde, da drinnen 1000 zu töten.” 

 Möglicherweise ist auch dieses Bolsonaro-Zitat ein Hinweis darauf, aus welchen Motiven der Mainstream bisher zu dem Treffen Sanchez-Bolsonaro schweigt. Auch Blätter, die Sanchez-Kolumnen drucken, haben bisher auf eine Information der Leserschaft über die Sanchez-Treffen mit Rechten und Rechtsextremen verzichtet. 

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Zeitungsausriß – mit MG zusammengeschossene Carandiru-Häftlinge in ihrem Blut.   http://www.hart-brasilientexte.de/2013/04/25/brasilien-der-massaker-oberst-von-carandiru-und-der-katholische-menschenrechtspriester-gefangenenseelsorger/

Bolsonaro befürwortete in dem Interview auch den Einsatz der Folter für heutige Straftäter, darunter Drogenhändler und Entführer. “O cara tem que ser arrebentado para abrir a boca.”

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 Proteste gegen die Kuba-Bloggerin Yoani Sanchez in Sao Paulo, vor dem Buchkaufhaus “Livraria Cultura” an der Avenida Paulista. “Yoani Sanchez – antikubanische Cyber-Söldnerin. Es lebe die kubanische Revolution”.

 Dem Großaufgebot an Sicherheitskräften, darunter Militärpolizei und Wachpersonal, ist eine gewisse Unlust anzumerken, Anti-Sanchez-Proteste so einzuschränken, daß die Sanchez-Auftritte nicht abgesagt werden müssen. Auch der Auftritt im Veranstaltungssaal eines Buchkaufhauses wurde nach kurzer Zeit abgeblasen, auf eine Autogrammstunde mit Sanchez wurde von den Veranstaltern verzichtet.

Die brasilianischen Rechten und Rechtsextremisten hatte nicht zufällig besonders verärgert, daß unter der Lula-Dilma-Regierung die kommerziellen Beziehungen zu Kuba ausgeweitet, u.a. rund 14000 kubanische Ärzte nach Brasilien geholt wurden, um die katastrophale bzw. nichtexistiente medizinische Betreuung in den Armen-und Elendsvierteln zu verbessern. Denn dort weigern sich die fast durchweg der hellhäutigen Mittelschicht entstammenden brasilianische Ärzte, Dienst zu tun, Arztpraxen zu übernehmen. Zudem ist nicht zu übersehen, daß der Einsatz kubanischer Ärzte gewisse soziokulturelle Sprengkraft mit sich bringt. Denn zum ersten Mal erleben brasilianische Angehörige der Unterschicht, von Medizinern zivilisiert, professionell, menschlich, nichtrassistisch behandelt zu werden – die kubanischen Ärzte sind in Brasilien bei ihrer Klientel ausgesprochen populär, angesehen.

“Ekel vor schwarzer Haut”:http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/16/wie-hindere-ich-clever-und-hinterhaltig-dunkelhautige-am-beruflichen-aufstieg-oder-bewirke-sogar-ihre-entlassung-methoden-aus-brasilien/

 

Das rechtsgerichtete Neves-PSDB-Lager hatte mit großem Aufwand versucht, den Einsatz kubanischer Ärzte zu hintertreiben – nach einer Amtsenthebung von Dilma Rousseff ist damit zu rechnen, daß das entsprechende Abkommen mit Kuba gekündigt wird, die Ärzte zurückgeschickt werden. Indessen besorgen sich selbst US-Regierungen per gezielter Abwerbung seit Jahrzehnten bevorzugt kubanische Ärzte – die Einstufung der Qualität des US-Gesundheitswesens in internationalen Rankings spricht Bände…

Obama nach Kuba 2016:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/02/19/america-will-always-stand-for-human-rights-around-the-world-friedensnobelpreistraeger-barack-obama-mit-kuriosem-offenbar-nicht-ironisch-gemeintem-twitter-eintrag-zu-kuba/

Auf den  Anti-Rousseff-Kundgebungen fällt das ausgesprochen primitive Denken vieler Regierungsgegner ins Auge, die u.a. auf Plakaten, Spruchbändern just ausgerechnet Lula und Rousseff als Kommunisten kubanischer Prägung einstufen. Kubas wichtigster Wirtschaftszweig ist der Export von Fachkräften in zahlreiche unterentwickelte kapitalistische Staaten sowie in Programme der UNO, darunter in Afrika. Daß die Lula-Rousseff-Regierung ihre Kontakte zu Kuba populistisch auch etwas ideologisch verbrämte, ist verständlich, entbehrt jedoch  jeder Grundlage, wie u.a. ein Blick auf die Zusammenarbeit des erklärten Nicht-Linken Lula mit der Militärdiktatur, und danach mit berüchtigten Diktaturaktivisten zeigt. Gleiches gilt für Dilma Rousseff – die gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Brasilien betreffen fast durchweg die Unterprivilegierten, Armen, Verelendeten.http://www.hart-brasilientexte.de/2012/04/12/brasilianische-menschenrechtsorganisationen-fordern-von-staatschefin-rousseff-definitive-erklarung-das-sie-folter-nicht-tolerieren-und-mit-allen-kraften-bekampfen-werde/

Politiker und Mythenbildung – Scheel, Genscher, Westerwelle, Schmidt, Brandt:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/04/01/genscher-und-brasilien/

http://www.hart-brasilientexte.de/2016/04/06/willy-brandt-airport-helmut-schmidt-airport-gar-hans-dietrich-genscher-airport-kuriose-mythenbildung-verschweigen-von-biographie-fakten/

http://www.hart-brasilientexte.de/2016/04/20/spd-faellt-auf-historischen-tiefstwert-in-umfragen-faz-2016-kenntnisse-der-waehler-ueber-tatsaechliche-spd-werte-nehmen-offenbar-zu/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/06/lula-erhalt-in-paris-am-27-september-ehrendoktor-der-sorbonne-melden-landesmedien-interessante-sorbonne-auswahlkriterien/

Bildungsqualität unter Rousseff(“Frauenpower”):http://www.hart-brasilientexte.de/2013/10/02/brasiliens-bildungsqualitat-nur-platz-88-in-ranking-des-weltwirtschaftsforums-2013-qualitat-des-bildungssystems-platz-105-grundschulen-qualitat-platz-109-qualitat-des-mathematik-und-wissenscha/

“Brasilien exzellent in Wirtschaft und Wissenschaft”:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/04/22/brasilien-exzellent-in-wirtschaft-und-wissenschaft-deutsche-bundesregierung-berichtigt-nach-wie-vor-groteske-offizielle-fehlbewertung-des-strategischen-partners-brasilien-nicht-damaliger-aussen/

Gesichter Brasiliens – Megacity Sao Paulo:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/10/31/gesichter-brasiliens-megacity-sao-paulo-2015/

Der brasilianische Kongreßabgeordnete Jair Bolsonaro widmete sein Votum für eine Amtsenthebung just jenem hochrangigen Geheimdienstoffizier Carlos Alberto Brilhante Ustra der Militärdiktatur, der seinerzeit die jetzige Staatspräsidentin Dilma Rousseff gefoltert hatte, stellen u.a. brasilianische Landesmedien heraus. Dilma Roussef hatte indessen die bisherige  Partei von Bolsonaro zum Koalitionspartner erwählt. Dieser Partei gehört auch der Diktaturaktivist Paulo Maluf an, der Brasilien nicht verlassen kann, weil er auf einer Interpol-Fahndungsliste steht. Maluf votierte ebenfalls für eine Amtsenthebung von Rousseff. Ein besonders auffälliges freundschaftliches Verhältnis zu Maluf pflegte Lula. 

 

“Bolsonaro defende torturador”(Bolsonaro verteidigt Folterer). Brasiliens größtes Nachrichtenmagazin Veja

Bolsonaro bei Abgabe des Votums: “Perderam em 64, perderam agora em 2016. Pela família, pela inocência das crianças em sala de aula, que o PT nunca teve, contra o comunismo, pela nossa liberdade, contra o Foro de São Paulo, pela memória do Coronel Carlos Alberto Brilhante Ustra, o pavor de Dilma Rousseff, pelo exército de Caxias, pelas Forças Armadas, pelo Brasil acima de tudo e por Deus acima de tudo, o meu voto é sim”.

Brasilianische Sozialwissenschaftler wie Eugenio Bucci handelte es sich dabei um ein Lob auf die Folter und einen berüchtigten Folterer – und damit um eine klare Verletzung der Würde des Parlaments.

Der Diktatur-und Folter-Befürworter Bolsonaro machte weltweit Furore wegen seiner intensiven Kontakte zur kubanischen Regierungsgegnerin Yoani Sanchez. Die intensiven Kontakte  zu berüchtigten Rechtsextremisten, Diktatur-und Folter-Befürwortern  hatten Yoani Sanchez zu einer außergewöhnlich positiven Bewertung durch den gesteuerten mitteleuropäischen Mainstream verholfen – Sanchez war daher nicht zufällig u.a. vom damaligen deutschen Außenminister Guido Westerwelle sowie von Grünen-Kretschmann empfangen worden. Viele deutsche Medien betrieben vor dem Hintergrund der Sanchez-Kontakte zu Rechtsextremisten  folgerichtig einen regelrechten Starkult um die Kubanerin – Hinweis auf die weitverzweigten Seilschaften der Rechten heute.  

Deutsche Politiker wie Willy Brandt, Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher pflegten sehr enge Beziehungen zur brasilianischen Folterdiktatur:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/04/17/staatsakt-fuer-genscher-2016er-war-ein-glueck-fuer-unser-landgauck/

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Ausriß,  das historische Foto – Bolsonaro und Yoani Sanchez in Brasilia  – bei Rechten und Rechtsextremisten, darunter in deutschen Medien, kam dieses Treffen sehr gut an. Inzwischen ist Yoani Sanchez Mitarbeiterin des deutschen Regierungssenders Deutsche Welle.:

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/02/23/brasilien-das-historische-foto-kuba-bloggerin-yoani-sanchez-und-der-als-rechtsextrem-eingestufte-politiker-jair-bolsonaro-im-nationalkongres-von-brasilia-bolsonaro-verteidigt-in-anwesenheit-von-s/

“Pinochet hätte mehr Leute töten müssen.” Jair Bolsonaro

  • “Pinochet devia ter matado mais gente.”
-Sobre Augusto Pinochet. [5]

Grünen-Kretschmann und Yoani Sanchez – die rechten Seilschaften von heute:http://www.hart-brasilientexte.de/tag/spd-steinmeier-kuba-yoani-sanchez/

Yoani Sanchez – das Medienexperiment:

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/14/yoani-sanchez-das-medienexperiment-2013-ist-es-moglich-fakten-und-informationen-uber-die-spektakularen-engen-kontakte-der-kubanerin-zu-einflusreichen-politikern-des-rechten-und-rechtsextremen-spe/

Bolsonaro und die nazistisch-antisemitisch orientierte Militärdiktatur Brasiliens:http://www.hart-brasilientexte.de/2014/03/26/brasilien-rechtsextremer-kongresabgeordneter-jair-bolsonaro-beruhmt-wegen-engen-kontakts-zu-yoani-sanchez-beantragt-parlaments-sondersitzung-zur-wurdigung-des-blutigen-militarputschs-vor-50-jah/

A ÍNTEGRA DA NOTA DO CONSELHO FEDERAL DA OAB/Estadao

O Conselho Federal da OAB repudia de forma veemente as declarações do deputado Jair Bolsonaro (PSC-RJ), em clara apologia a um crime ao enaltecer a figura de um notório torturador, quando da votação da admissibilidade do processo de impeachment da presidente República Dilma Rousseff.

Não é aceitável que figuras públicas, no exercício de um poder delegado pelo povo, se utilizem da imunidade parlamentar para fazer esse tipo de manifestação num claro desrespeito aos Direitos Humanos e ao Estado Democrático de Direito.

O Conselho Federal da OAB irá avaliar o caso em sua próxima sessão plenária.

Claudio Lamachia

Presidente Nacional da OAB

Everaldo Bezerra Patriota

Presidente da Comissão Nacional de Direitos Humanos

 

 

“Wir haben keine Elite – wir haben eine Oberschicht, fast immer dumm und grobschlächtig.” Daniel Piza, renommierter Kulturkolumnist der Qualitätszeitung “O Estado de Sao Paulo”

http://www.hart-brasilientexte.de/2016/04/17/brasilien-2016-tag-der-abstimmung-ueber-rousseff-amtsenthebungsverfahren-im-us-hinterhof/

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17.4. 2016, US-Hinterhof – Pro-Impeachment-Kundgebung auf der Avenida Paulista in Sao Paulo.Daß Eduardo Cunha die Abstimmung im Abgeordnetenhaus leitet, degradiert nach Ansicht vieler Brasilianer das Land zur Bananenrepublik. Unter Lula-Rousseff wurde Brasilien weiter spürbar u.a. soziokulturell amerikanisiert – Brasilien und die USA haben u.a. ein Gewalt-Gesellschaftsmodell als auffällige Gemeinsamkeit. 

“Morden mit Effizienz” – Bestsellerautor Joao Ubaldo Ribeiro:http://www.hart-brasilientexte.de/2012/08/26/brasilien-morden-mit-effizienz-bestsellerautor-joao-ubaldo-ribeiro-in-rio-de-janeiro-analysiert-gewaltkultur-des-tropenlandes-unter-lula-rousseff-morden-in-brasilien-ist-viel-banaler-als-jed/

-http://www.hart-brasilientexte.de/2016/04/17/brasiliens-regierungskrise-2016-impeachment-abstimmung-und-strassenproteste-in-sao-paulo/

TchauQueridaAbstimmung16

 

Abgeordnetenhaus im Moment der erreichten Mehrheit für ein Amtsenthebungsverfahren.

http://www.hart-brasilientexte.de/2016/04/15/brasilien-2016-amtsenthebungsverfahren-gegen-dilma-rousseff-geist-instinkte-des-mittelalters-im-scheiterhaufenland-siehe-angeli-karikatur-in-groesster-nationaler-qualitaetszeitung-folha-de-sao/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/

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Verelendeter in Sao Paulo vor Opernhaus – am Tag vor der Abstimmung im brasilianischen Abgeordnetenhaus über das Amtsenthebungsverfahren gegen Staatspräsidentin Dilma Rousseff. Der Gouverneur des wirtschaftlich führenden brasilianischen Teilstaats Sao Paulo gehört zur Partei PSDB, unter den erbittertsten Gegnern der Regierung und ihrer Viel-Parteien-Koalition von Rousseff. Die sozialen Kontraste, die soziale Indifferenz in Sao Paulo, reichste Stadt Lateinamerikas, sind bemerkenswert kraß – die Megacity hat über 2500 Slums. 

Brasilien, Befreiungstheologe Frei Betto, Ex-Berater Lulas: Wie biegt man einen “Linken” zurecht **

HOW TO RIGHTEN A LEFTIST

 

Ever since the phrase ”to be on the left” was used in reference to the French Revolution it has meant to opt for the poor, to feel indignation regarding social exclusion, to believe that any kind of injustice is unacceptable and according to Bobbio , to consider social inequality as an aberration.

To be on the right is to tolerate injustice, to consider the imperatives of the market above human rights, to see poverty as an incurable blemish, to judge that there are peoples and nations who are intrinsically superior to others.

To be a leftist “ a pathology diagnosed by Lenin as a ”childish disease of communism “ is to be against all bourgeois power until one enters into it. The leftist is a fundamentalist for his own sake. He incarnates all the religious models proper to religious fundamentalists¦  If the leader sneezes, he claps his hands, if he cries he becomes sad, if he changes his opinion he quickly analyses the conjuncture and tries to prove that today™s power relations are¦

The leftist loves academic categories from the left but he is like General Figueiredo on one point: he cannot stand the smell of the people.  For him ”people” is an abstract noun which only becomes concrete when it comes to obtaining votes. Then, the leftist gets closer to the poor not because he is concerned about their lot but for one simple reason: to get votes for himself and/or for his gang. After the elections, goodbye suckers, until the next election!

Since the leftist only has interests and not principles, nothing is easier than to straighten him out. Give him a good job. It cannot be the sort of work which obliges common mortals to earn their bread and butter with blood, sweat and tears.  It has to be one of those jobs which pay good wages and where there are more rights than obligations, particularly one in the civil service. It could even be in a private company. The important thing is that the leftist must feel he has received his share with a significant increase to his personal income.

 This occurs when he is elected or named for public office or is given a management position in a private company. He will then undeniably lower his guard. He doesn™t even question himself. The mere smell of money, together with the position of power will produce the unbeatable alchemy capable of turning the head of the most rhetorical revolutionary.

 Good pay, a position of power and plenty of perks, these are the ingredients which will intoxicate the leftist on his journey towards the shameful right “ which acts as such but won™t admit it. Right away the leftist will change his friendships and his luxuries. Instead of cachaça he drinks imported wine, Scotch whiskey instead of beer; he exchanges his flat for a condo and his evenings in the pub for elegant parties.

 If a colleague from the past contacts him he beats around the bush, changes the subject, asks his secretary to deal with him and in a low voice grumbles about the ”pain in the neck”. Now all his steps move with surgical precision towards his rise to power. He loves to mix with businessmen, the rich and ranchers. He delights in his pleasures and gifts. The worst thing that could happen to him would be to return to what he once was, when he received no strokes or salaams, a common citizen struggling for survival.

 

 Goodbye ideals, utopias, dreams! Long live pragmatism, the politics of results, co-optation, the expert practise of fraud (although there will be mistakes. In this case, the leftist depends on rapid help from his equals: accommodating silence, the pretending that nothing happened, today it was you, tomorrow it could be me¦)

 I thought of this description because a few days ago at a ”do I met an old friend from the popular movements who had been a partner in the struggle against the dictatorship. He asked me if I was still involved with ”those people from the periphery[5] <#_ftn5>  as he pontificated ”How silly of you to give up your job in the government. You could have done much more for those people if you had remained in it.

 I felt like laughing in his face, he was someone who in the past would have made Che Guevara feel like a small bourgeois, this was how big his revolutionary fervor had been. I contained myself so as not to be rude to that ridiculous figure, with his hair smarmed down with gel, his expensive suit and his shoes fit for angels. I simply responded ”I have become a reactionary, faithful to my old principles. I prefer to run the risk of making a mistake next to the poor than to be pretentious enough to think that I can win without them.

 *Frei Betto is a writer, author of ”Calendário do Poder (A Calendar of Power) (Rocco).

About the Author

He is a Brazilian Dominican with an international reputation as a liberation theologian.

Within Brazil he is equally famous as a writer, with over 52 books to his name.  In 1985 he won Brazil™s most important literary prize, the Jabuti, and was elected Intellectual of the Year by the members of the Brazilian Writers™ Union.

Frei Betto has always been active in Brazilian social movements, and has been an adviser to the Church™s ministry to workers in Sáo Paulo™s industrial belt, to the Church base communities, and to the Landless Rural Workers™ Movement (MST).

In 2003-2004, he was Special Adviser to President Lula and Coordinator of Social Mobilisation for the Brazilian Government™s Zero Hunger programme.

Brasiliens konfuse Präsidentschaftswahlen/2010

Mit Pomp und Getöse zogen Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva und Nachfolge-Wunschkandidatin Dilma Rousseff mitten in der City von Sao Paulo Tage vorm ersten Pflichtwahlgang kühn eine „Siegeskundgebung“ durch – der Nation wurde per TV-Propaganda eingehämmert, dass „Dilminha“ überlegen gewinnen würde und es zwecklos sei, hinter der Pappwand der Wahlkabine gar Gegenkandidaten in den Votiercomputer einzutippen. Zugleich wurde man auf der „Siegeskundgebung“ Zeuge bizarrer Polit-Schauspielerei von Lula & Co., absurdem Victoria-Gekrähe. Denn der Stimmungswandel im Wahlvolk ist selbst hier deutlich zu spüren: Im Großraum der Megacity leben bzw. hausen rund 24 Millionen Menschen teils in grausigen Elendsvierteln, doch ins Samba-Stadion mussten von weither Anhänger mit Bussen herangekarrt werden, da sich offensichtlich in Sao Paulo freiwillig kaum jemand auf den Weg machen wollte. Lula, Dilma Rousseff und Gouverneurskandidat Aloisio Mercadante gestikulierten vor höchstens 3.000 Leuten, statt vor Zehntausenden. Der Staatschef selbst feierte bei jeder Gelegenheit angebliche Popularitätsraten von über 80 Prozent als Zustimmung zu seiner Politik, zu den Resultaten achtjähriger Amtszeit. Dilma Rousseff ist jahrelang seine Chefministerin des Zivilkabinetts – beide schmissen den Wahlkampf landauf, landab zu zweit. Da galt auch vielen im fernen Europa der Wahlsieg als todsicher. Zumal sogar brasilianische Unterschichtenfrauen nicht Dilma Rousseff als Präsidentschaftskandidaten der Arbeiterpartei nannten, sondern Lula. „Eu voto de novo pra Lula!“ Er führe doch in Wahrheit den Laden weiter, „Dilminha“ sei nur seine Marionette. Der Ex-Gewerkschaftschef selbst hatte eingeräumt, in einer Rousseff-Regierung eine aktive Rolle spielen zu wollen.

Doch die „Siegesfeier“ in Sao Paulo war verfrüht, denn bekanntlich erhielt Dilma Rousseff im ersten Wahlgang nicht einmal 47 Prozent der Pflichtwählerstimmen und muss am 31. Oktober gegen Herausforderer José Serra von der stockkonservativen bis rechten, nur dem Namen nach „sozialdemokratischen Partei“ Brasiliens in die Stichwahl. Brasiliens Politikexperten schlussfolgern daher: Wenn die Wunschkandidatin sich überraschend einer Stichwahl unterziehen muss, zeigt dies, was die Mehrheit der Brasilianer tatsächlich über die Leistungen der Lula-Regierung denkt. Und das sogar in der wichtigsten lateinamerikanischen Industrieregion, dem Proletarier-Teilstaat Sao Paulo – Wiege der Arbeiterpartei PT und ihres Führers Lula. Nicht einmal hier kam Dilma Rousseff auf eine Stimmenmehrheit – und der neue Gouverneur ist aus der Partei von José Serra.

Brasilien, 24-mal größer als Deutschland, hat 26 Teilstaaten und den Hauptstadtdistrikt Brasilia. Serras Partei PSDB stellt künftig die Gouverneure in wirtschaftlich führenden Teilstaaten wie Sao Paulo, Minas Gerais sowie Paraná, außerdem im nördlichen Tocantins und hat zudem in der Stichwahl gute Chancen auf weitere Teilstaaten. Lulas Arbeiterpartei errang im ersten Wahlgang lediglich vier Gouverneursposten, mit Ausnahme des an Argentinien und Uruguay grenzenden Rio Grande do Sul allesamt wirtschaftlich weniger wichtig.

Die Abgeordnetenkammer des brasilianischen Nationalkongresses hat 513 Sitze, doch Lulas PT kommt künftig nur auf 86 – auch auf die Kongresskandidaten färbte Lulas „Popularität“ also nicht gerade ab. Was war geschehen? Nur Wochen vor den Wahlen leistete sich die Regierung einen weiteren heftigen Korruptionsskandal. Die Hauptbelastete, Erenice Guerra, enge Vertraute von Lula und Dilma Rousseff, verteidigte der Staatschef zunächst, bescheinigte ihr unschätzbare Verdienste für Brasilien. Die Enthüllungsberichte der Medien zeigten lediglich „Intoleranz, Hass und Lüge“. Doch dann blieb Lula nichts weiter übrig, als jene Erenice Guerra zu feuern, die von Dilma Rousseff zur Nachfolgerin im Regierungskabinett gemacht worden war. Vor diesem Hintergrund änderten viele Brasilianer kurzfristig ihre Wahlabsichten, weil sie das denn doch zu fatal an den Mega-Skandal um Parteien-und Stimmenkauf in Lulas erster Amtszeit erinnerte, als der damalige Chefminister flog – und Dilma Rousseff den Posten bekam.

Die einstige Diktaturgegnerin Rousseff will in Brasilien die Abtreibung legalisieren – doch kurz vorm Urnengang Anfang Oktober bemerkten ihre Wahlmanager, dass es deshalb bei Katholiken und evangelikalen Sektenkirchen gefährlich rumorte. Überraschend erklärte sie sich deshalb zur Abtreibungsgegnerin – und machte damit alles nur noch schlimmer. Der Positionswechsel wurde von den Kirchen als plumper Anbiederungsversuch verstanden und spielte prompt Herausforderer José Serra Stimmen zu, der eine Abtreibungsfreigabe ablehnt. Doch Hauptnutznießerin wurde Marina Silva, Predigerin einer evangelikalen Wunderheilerkirche und Präsidentschaftskandidatin der Grünen Partei Brasiliens (PV), eine frühere Umweltministerin Lulas. Dessen Wahlkampfteam entdeckte zu spät, dass PV-Leute massiv religiöse Botschaften gegen Dilma Rousseff verbreiteten. Videos von Sektenpastoren wurden zu regelrechten Hits und im Internet Millionen Mal angeklickt. Abtreibung halten immerhin 56,4 Prozent der 16- bis 18-Jährigen öffentlicher Schulen Rio de Janeiros laut einer neuen Umfrage für ein „Verbrechen“ – und für rund die Hälfte wäre die Homo-Ehe entweder „Sünde“ oder eine „Verirrung“. Rund 71 Prozent der Brasilianer wollen keine legalisierte Abtreibung. Der tief konservative Grünen-Star Marina Silva liegt da sozusagen voll im Trend – und erreichte als Drittplatzierter im ersten Wahlgang rund 20 Prozent. Brasiliens Grüne erklärten sich vor der Stichwahl offiziell als neutral – doch gemäß Umfragen schwenken die allermeisten Marina-Silva-Wähler jetzt zu José Serra um. Kein Wunder – in den Teilstaaten sind sie meist dessen Parteigänger, und in der Präfektur von Sao Paulo stellen die Grünen sogar den Umweltsekretär. Dass es in der Megacity trotz oder vielleicht besser: dank grüner Macht-Teilhabe um den Umweltschutz eher katastrophal steht, ist bekannt – Flüsse sind eklige Kloaken, die Gift-Luft verursacht Kopfschmerzen, Allergien, Krebs, Infarkte, Schlaganfälle, und selbst ein Radwegnetz sucht man in der Stadt vergeblich.

Marina Silva hätte als Umweltministerin in sechs Amtsjahren durchaus mancherlei Verbesserungen bewirken können. Der renommierte Naturschutzexperte Mario Moscatelli aus Rio de Janeiro erlebte sie indessen „bürokratisch und beinahe apathisch“, Greenpeace-Experte Sergio Dialetachi empfahl ihr bereits im ersten Jahr den Rücktritt. Unter Marina Silva machte die Urwald-und Savannenvernichtung kräftige Fortschritte, kam der Gensoja-Anbau richtig in Fahrt, wurde Brasilien Weltmeister beim Agrargifteinsatz, wurden Persilscheine für den Bau großer Wasserkraftwerke in Amazonien und für die Umleitung des Nordost-Stroms Sao Francisco ausgestellt, fiel die Entscheidung für fünf Atomkraftwerke – alles Projekte, gegen die Umweltschützer Sturm laufen. Marina Silva hat in Europa eine gute Presse, bekommt sogar hochdotierte Umweltpreise. Anderen ist die Grüne womöglich sympathisch, weil sie als Ministerin zu Korruptionsskandalen, zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen, darunter alltäglicher Folter, oder Todesschwadronen den Mund hielt und auch im Präsidentschaftswahlkampf diese Themen nicht ansprach. Amnesty International hat systematische Folter, Scheiterhaufen und Killerkommandos, außergerichtliche Exekutionen, Sklavenarbeit sowie die Rechtlosigkeit der Slumbewohner unter der Diktatur neofeudaler, hochgerüsteter Banditenkommandos und paramilitärischer Milizen immer wieder angeprangert, Lulas acht Regierungsjahre als Enttäuschung bezeichnet. „Die Praxis der Folter ist als Form institutioneller Gewalt im Alltag des Sicherheitsapparats weiter präsent und richtet sich besonders gegen die Armen“, analysiert die nationale Soziologiezeitschrift.

Dies erleichtert die politische Einordnung des Staatschefs und seiner Regierung kolossal, zumal er seit Amtsbeginn von der nationalen und internationalen Geldelite mit Sympathiebekundungen überschüttet wird, die Zahl brasilianischer Millionäre und Milliardäre sprunghaft anstieg. Aber lobt nicht alle Welt, dass unter Lula die Armut deutlich sank, an die 36 Millionen Brasilianer sogar in die Mittelschicht aufstiegen? Stutzig könnte machen, dass die achtgrößte Wirtschaftsnation auf dem UNO-Index für menschliche Entwicklung auf den 75. Platz zurückfiel, weltweit nur in Haiti und Bolivien die gesellschaftliche Ungleichheit krasser ist. Zudem liegt Brasiliens Armutsgrenze kurios niedrig. Das Land zählt inzwischen zu den teuren Ländern – doch wer monatlich umgerechnet mehr als etwa 65 Euro verdient, ist statistisch nicht mehr arm. Und mit einem Familien-Haushaltseinkommen von umgerechnet rund 500 Euro (!) gehört man schon zur Mittelschicht. Viele, doch keineswegs alle armen oder verelendeten Familien, die anspruchsberechtigt sind, bekommen Anti-Hunger-Hilfe der Regierung, die sogenannte Bolsa Familia. Im Schnitt sind es monatlich umgerechnet an die 43 Euro. Das macht dann bei einem Slum-Ehepaar mit vier, fünf, sieben Kindern wie viel pro Kopf? Nicht zufällig spricht sogar die UNO von „offiziellen Almosen“, ungeeignet den Hunger zu beseitigen. Bolsa Familia wird überdies praktisch von der Zielgruppe selbst finanziert, nämlich über absurd hohe indirekte Steuern.

Lula hatte versprochen, das Hungerproblem auszutilgen, muss sich indessen von den Landesmedien vorrechnen lassen, dass sein U-Boot-Rüstungsgeschäft mit der Sarkozy-Regierung so teuer ist wie zwei Jahre Anti-Hunger-Programm. Gehe ich durch Sao Paulo, Lateinamerikas reichste Stadt mit über 2.000 Slums, sehe ich täglich zerlumpte, abgehungerte Gestalten, die abgestellte Müllsäcke aufreißen und dann bei Tropenhitze vergorene, grauenhaft stinkende Abfälle in sich hineinschlingen.

Präsidentschaftskandidatin Dilma Rousseff hat unterdessen eine religiöse Offensive gestartet, bezirzt Katholiken und Sekten. Abtreibung solle nicht legalisiert werden, und Beschränkungen für religiöse Predigten werde sie als Staatschefin nicht zulassen. Denn ein geplantes Gesetz sollte verbieten, dass evangelikale Pastoren Homosexuelle weiterhin als krank bezeichnen und deren medizinische Behandlung empfehlen.

Fazit: Es könnte also doch noch klappen mit Rousseffs Wahlsieg.

Dilma Rousseffs schlechter Start/2011

Brasiliens neue Staatspräsidentin, zuvor Lulas Chefministerin, verschont die Nation bisher mit dem vom Ziehvater gewohnten Schwall aus Propagandareden – dafür haben es die politischen Ereignisse in sich.

Der angesehene kirchliche Menschenrechtsanwalt Sebastiao Bezerra da Silva wurde sadistisch gefoltert und ermordet – auch in den acht Regierungsjahren zuvor war das Verfolgen von Menschenrechtsaktivisten normal. Silva ermittelte gegen die landesweit aktiven, von Staatsangestellten geleiteten Todesschwadronen, gegen folternde Militärpolizisten und bekam deshalb Morddrohungen. Im archaischen nordöstlichen Teilstaat Maranhao, der laut Kirchenangaben bei Gefängnis-Folter an der Spitze steht, kam es zur ersten Häftlingsrevolte unter Rousseff – sechs Männer wurden getötet, Fotos der abgeschlagenen Köpfe waren in den Regionalzeitungen zu sehen. Maranhao wird von Gouverneurin Roseane Sarney regiert, die mit Dilma Rousseff befreundet ist, und bei nettem privaten Beisammensein mit ihr zur Laute allerlei populäre Liebeslieder sang. Eine unabhängige Untersuchungskommission zum Häftlingsaufstand gibt es nicht, Brasilia reichen die Angaben der Militärpolizei – ein Relikt der Militärdiktatur. Der Teilstaat ist zudem Herrschaftsgebiet des Oligarchen José Sarney, der einst die Folterdiktatorenpartei ARENA führte – und heute als Senatspräsident den brasilianischen Nationalkongress. Mit ihm, dem hochwichtigen politischen Bündnispartner, feierte Dilma Rousseff ihren Wahlsieg – auch das spricht Bände.

Auch die neue Menschenrechtsministerin Maria do Rosario beschreibt – wie ihr Vorgänger – die größte lateinamerikanische Demokratie als Folterstaat, nennt Torturen in total überfüllten Gefängnissen und selbst in psychiatrischen Anstalten ein „gravierendes nationales Problem“. Als Dilma Rousseff noch zuständige Chefministerin war, hatten derartige Eingeständnisse allerdings keinerlei praktische Bedeutung. Gleiches gilt für den jetzt auf der Berlinale gezeigten sozialkritischen Streifen „Tropa de Elite 2“, der Brasiliens bedrückende Menschenrechtslage eindrücklich abbildet. Wie im Vorgängerfilm, der 2008 den Goldenen Bären gewann, gibt es wieder eine der für Rio de Janeiro typischen Scheiterhaufenszenen – weder Lula noch Rousseff haben sich jemals zu dieser in den Slums unweit des neuen ThyssenKrupp-Stahlwerks gängigen Hinrichtungs-und Einschüchterungspraxis geäußert.

Wie es sich gehört, hat Brasilien als vielgelobte Demokratie und strategischer Partner auch der Berliner Regierung natürlich die UNO-Menschenrechtsabkommen unterzeichnet. Von möglichen Sofortmaßnahmen der Rousseff-Regierung zwecks Umsetzung ist aber nichts bekannt. Dafür erfährt man aus einer jetzt veröffentlichten Studie, was sich unter dem Gespann Lula-Rousseff noch so entwickelte. Bei Tötungen durch Schusswaffen liegt Brasilien weltweit an der Spitze – und von drei Ermordeten sind zwei schwarz. Der Soziologe Julio Waiselfisz, dessen Team die Studie erarbeitete, spricht von „Merkmalen der Ausrottung, Vernichtung“ und von fehlender öffentlicher Sicherheit für die arme, mehrheitlich schwarze Bevölkerung. Mit der öffentlichen Sicherheit passiere dasselbe wie bei Bildung, Gesundheit, Sozialversicherung – es werde privatisiert. „Wer kann, zahlt für privaten Sicherheitsdienst. Die Schwarzen gehören zu den Ärmsten, leben in Risikozonen und können nicht zahlen.“

Laut unvollständigen Statistiken werden in Brasilien jährlich immerhin etwa 55.000 Menschen ermordet. Die UNICEF ergänzt: Bei Morden an 15-bis 19-Jährigen liegt Brasilien weltweit an der Spitze, 38 Prozent der brasilianischen Jugendlichen leben in Armut und Misere. Die Rousseff-Regierung sollte daher in Programme für Gesundheit, Bildung und Sicherheit investieren, die sich gezielt an die 33 Millionen Heranwachsenden zwischen 10 und 19 Jahren richten. Aber irgendwie scheint Brasilia gar nicht so gut bei Kasse zu sein, wie Lula unter Hinweis auf angeblich fette Devisenreserven stets verkündete. Als die hausgemachte Erdrutsch-Umweltkatastrophe im Januar bei Rio de Janeiro rund tausend Todesopfer forderte – etwa 500 Menschen werden noch vermisst – fehlte es den Rettungsmannschaften arg an Mitteln und Ausrüstung, weil zuvor beim Katastrophenschutz extrem gespart worden war. Als Präsidentin Rousseff die Region besuchte, wurde sie mit ihren eigenen Fehlleistungen aus der Zeit als Chefministerin direkt konfrontiert. Das großflächige Abholzen und Bebauen von Steilhang-Risikozonen war erlaubt und wurde sogar gefördert– doch nun bettelt Rousseff gar die Weltbank um einen Milliardenkredit an, damit Slumbewohner  aus entsprechenden Zonen umgesiedelt werden können. Bereits 2008 wurde die Region von einer solchen Umweltkatastrophe heimgesucht – und der Lula-Regierung vorgerechnet, für Präventivmaßnahmen nur 12 Prozent (!) der vorgesehenen Haushaltsmittel investiert zu haben. Sogar die UNO wirft Lula vor, bereits 2005 ein Katastrophenwarnsystem versprochen zu haben, das aber immer noch nicht funktioniere.

Um 2010 Rousseffs Wahlsieg zu garantieren, wurden die Regierungsausgaben, darunter für Propaganda, stark erhöht. Derzeit werden sie, notgedrungen, drastisch zurückgefahren, denn die Sozialbewegungen protestieren heftig, weil Präsidentin Rousseff die Anhebung des Mindestlohns deutlich unter der kräftigen Teuerungsrate hielt. Die umgerechnet etwa 248 Euro brutto monatlich passen schwerlich zu den erneuten Versprechen, nun aber wirklich Hunger und Misere auszutilgen. Das Mindestsalär bekommen laut offiziellen Angaben 29,1 Millionen registriert oder unregistriert Beschäftigte sowie 18,6 Millionen Sozialversicherte, darunter zwei von drei Rentnern. Doch ein Großteil der unregistriert, ohne Arbeitsvertrag und rechtliche Absicherung Beschäftigten hat deutlich geringere Einkünfte – in einem Land mit inzwischen oft deutlich höheren Preisen als in Deutschland, gerade bei Grundnahrungsmitteln als in Deutschland – und in einer Phase schmerzhafter Preisanstiege.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch das Phänomen, dass Gewerkschaften inzwischen sogar Rechtsparteien applaudieren, weil die einen höheren Mindestlohn vorschlugen. Zugleich wird an die enormen Diätenerhöhungen der Kongresspolitiker sowie an das Einkommen von „Working Class Hero“ Lula erinnert. Seit Januar bekommt er monatlich allein als Ehrenpräsident der Arbeiterpartei umgerechnet rund 6.000 Euro, dazu die satten Bezüge als Ex-Staatschef. Zudem erhält er seit seinem 51. Lebensjahr eine Entschädigung von 1.900 Euro monatlich, weil er 31 Tage in Diktatur-Haft saß. Als ihm jetzt ein Unternehmen für einen Vortrag 100.000 Dollar Honorar anbot, lehnte Lula laut Landesmedien ab – entweder 200.000 Dollar oder kein Vortrag. Da bietet sich ein Vergleich mit den Hilfen des Anti-Hunger-Programms „Bolsa Familia“ an – denn 42 Prozent der Empfänger, also 5,3 Millionen Menschen, leben gemäß neuen Studien nach wie vor im Elend. Zwischen 14 und maximal 105 Euro werden monatlich ausbezahlt – pro Familie wohlgemerkt, meist sind sie kinderreich. Die Möglichkeit, Elend und Hunger unter den Bezugsempfängern rasch durch eine angemessene Hilfe zu beseitigen, werde nicht einmal erwogen, empören sich Kommentatoren. Die Regierung kürzt jetzt stattdessen sogar die Gelder eines Hausbauprogramms für die Unterschicht fast um die Hälfte.

Im Zuge des Rousseff-Starts erfuhr man auch, wie Brasilien heute kulturell tickt. Nach der Umweltkatastrophe erklärte die Präsidentin für mehrere Tage Staatstrauer, der Teilstaat Rio de Janeiro sogar für eine ganze Woche – doch selbst am Zuckerhut gingen die Vorkarnevalsfeste der Sambaschulen und andere karnevalistische Aktivitäten auf vollen Touren weiter. Renommierte Therapeuten und Sozialwissenschaftler haben auf diesen befremdlichen Umgang mit Tragödien aufmerksam gemacht. Andererseits – beim Kulturexport kommt das Riesenland laut UNO-Daten nur auf 0,2 Prozent des Weltvolumens, liegt auf Platz 26, gleichauf mit Rumänien.

Elitekandidat Lula/2006

Angesichts Lulas Wiederwahl als Staatschef hat der bekannte Befreiungstheologe Frei Betto die Befürchtung geäußert, die Regierung könne in der zweiten Amtsperiode zur »Geisel konservativer Kräfte« werden und damit die Möglichkeit verlieren, Wirtschaftswachstum zu fördern und die enormen sozialen Kontraste zu verringern. Auch führende Sozialwissenschaftler und die katholische Kirche sagen Lula ein weit schwieriges Regieren voraus.

Denn als Resultat der Gouverneurs- und Kongreßwahlen, die im Oktober parallel stattfanden, hat sich die politische Landkarte des größten und wirtschaftlich stärksten lateinamerikanischen Staates erheblich verändert. Die Brasilianische Bischofskonferenz (CNBB) forderte nach den zahlreichen Regierungsskandalen von Lula in einer Botschaft eine ethische Amtsführung.

CNBB-Generalsekretär Odilo Scherer betonte, in den vergangenen Jahren sei die tiefe moralische Krise der Politik für alle Brasilianer offenbar geworden, habe es immer wieder Enthüllungen über Korruption und Machtmißbrauch durch Exekutive und Legislative gegeben. Die Politik müsse ihre ethische Dimension zurückgewinnen und nicht länger nur eine auf raschen Vorteil gerichtete Aktivität bleiben. Laut Scherer warnt die Bischofskonferenz Brasilia zudem vor einer »Merkantilisierung des Lebens in einem vorrangig auf Profit und unmittelbaren Nutzen gerichteten Wirtschaftsmodell«.

In Millionenstädten wie Rio, São Paulo, Fortaleza, Recife, Belo Horizonte, Belem und Salvador, so eine neue Studie, ist die Zahl der Armen und Verelendeten heute höher als 1995. In der neuesten Unesco-Statistik über die Qualität des öffentlichen Bildungswesens liegt die zehntgrößte Wirtschaftsnation Brasilien nur auf Platz 72, sogar noch hinter Paraguay. Kuba rangiert dagegen noch vor Chile auf dem 27. Platz, China auf dem 43., Mexiko auf dem 48., Argentinien auf dem 50. Rang. Die Bischofskonferenz ist zudem sehr besorgt über die politische Zusammensetzung des neu gewählten Nationalkongresses. Staatschef Lulas Arbeiterpartei (PT) hat dort keine Mehrheit, mindestens ein Drittel der neuen Abgeordneten sind Millionäre. Auch 53 Abgeordnete, gegen die Gerichtsprozesse laufen oder gegen die wegen Verbrechen ermittelt wird, wurden wiedergewählt.

Der wirtschaftlich starke, durch Deutschstämmige geprägte südbrasilianische Teilstaat Rio Grande do Sul, in dem mehrmals das Weltsozialforum stattfand, war bisher eine Hochburg von Lulas PT, künftig wird er von der PSDB-Gouverneurin Yeda Crusius regiert.

Die Sozialdemokraten haben künftig in sechs brasilianischen Teilstaaten die Macht, in denen exakt 51 Prozent des nationalen Bruttosozialprodukts erzeugt werden und der größte Teil der Arbeiterschaft lebt. Die von Lulas Partei administrierten fünf Teilstaaten kommen dagegen nur auf acht Prozent des Bruttosozialprodukts.

Renommierte Sozialwissenschaftler wie Claudio Abramo aus São Paulo meinen, wegen der Struktur des neuen Nationalkongresses werde in Lulas zweiter Amtszeit nicht nur das Regieren, sondern auch der Kampf gegen die Korruption viel schwieriger werden. »Denn man muß ja die Ursachen bekämpfen, von denen ein beträchtlicher Teil der Abgeordneten Nutzen hat. Die Chancen sind hoch, daß Brasilien mit dem neuen Kongreß noch viel schlimmere Erfahrungen macht als mit dem bisherigen.« Unter den Abgeordneten befänden sich viele Abenteurer und egozentrische Opportunisten, denen es nur um persönliche Interessen gehe.

Abramo äußerte sich auch zu der Tatsache, daß mindestens sechs der Kongreß-Millionäre Mitglied in Lulas Arbeiterpartei sind: »Das ist keineswegs überraschend, da die Arbeiterpartei nie eine linke Partei war.« Die Universitätsprofessorin Anita Prestes aus Rio, Tochter der in Bernburg von den Nazis vergasten Olga Benario, vertritt die Position, daß es in Brasilien gar keine linken Parteien und Organisationen gibt, lediglich linke Einzelpersönlichkeiten. Claudio Abramo von Transparencia Brasil gibt ihr Recht. »Solche Parteien und Organisationen existieren tatsächlich nicht, das ist die Wahrheit, derartiges ist hier nicht verwurzelt. Wir haben hier keinen Teil der Gesellschaft, der eine linke Partei tragen könnte. Wir sind ein deutlich unterentwickeltes Land – die intellektuelle Produktion Brasiliens ist von niedrigstem Niveau.«

Zur wachsenden Zahl von Millionären im Kongreß meinte Abramo: »Das ist ein Reflex der sozialen Ungleichheit in Brasilien und zeigt den Einfluß des Geldes im Wahlprozeß. Geld ist der große Stimmenbeschaffer. Hier sieht man einen Fehler unseres Wahlsystems. Die Oberschicht wird begünstigt, Leute mit viel Geld gehen in die Politik, um ihre Interessen zu verfechten. Angehörige der Bevölkerungsmehrheit sind dagegen durch unser Wahlsystem benachteiligt.«

Der Sänger und Komponist Caetano Veloso meinte vor den Stichwahlen, Brasiliens Eliten hätten Lula bisher unterstützt – und würden dies weiter tun. Olavo Setubal, Chef und Gründer der großen Privatbank Itaù, stellte klar, keinen Unterschied zwischen Lula und den sozialdemokratischen Herausforderer Alckmin zu sehen. Brasiliens Privatbanken machten unter Lula dank dessen Hochzinspolitik die größten Gewinne ihrer Geschichte, nur in der Schweiz ist die Banken-Rentabilität höher. Statt »Vater der Armen«,Pai dos Pobres,höhnen manche Brasilianer, sollte man Lula den »Paten der Bankiers« nennen.

Für den Sozialwissenschaftler Ricardo Antunes von der Universität Campinas ist es keineswegs zufällig, daß Führer des Gewerkschaftsdachverbandes CUT in sämtliche Regierungsskandale um Stimmen- und Parteienkauf verwickelt sind. Denn laut Antunes wurde der CUT zum »Gefangenen des Staates, des Arbeitsministeriums und öffentlicher Gelder«. In den vier Lula-Amtsjahren erlebten Streikende den CUT erstmals als Streikbrecher, als Marionette der Regierung. Brasiliens Generalstaatsanwalt charakterisiert zahlreiche enge Mitarbeiter und Freunde Lulas gar als »kriminelle Organisation«, als »Bande«.

Francisco Whitaker aus São Paulo, dem jetzt der Alternative Nobelpreis zugesprochen wurde, ein Mitbegründer des Weltsozialforums, kennt die Tricks der Spitzenfunktionäre noch aus seiner Zeit als Abgeordneter der PT, Anfang 2006 trat er aus der Partei aus. Das Ethik-Image habe die Arbeiterpartei-Führung lediglich gepflegt, um Wahlen zu gewinnen, sagt er. Lula hat politische Abkommen mit berüchtigten Oligarchen und Diktaturaktivisten wie Sarney und Antonio Carlos Magalhaes geschlossen: »Das ist schon schlimmer als Verrat – die archaischen Oligarchien bleiben fortbestehen, können ganz beruhigt sein.«

Whitaker war entsetzt, wie »pragmatisch« nur zu viele aus Lulas Anhang die Regierungsübernahme sahen: »Das Motto war: Jetzt sind wir dran und fassen ab, wo es nur geht, hieven unsere Leute auf möglichst viele Posten. Das hörte ich oft in der PT – einfach furchtbar, daß sie nichts anderes wollen als die Vorgänger.«

Ausgeträumt/2006

Der Mitgründer des Weltsozialforums, Francisco Whitaker, 74, hat die brasilianische Arbeiterpartei (PT) unter Protest verlassen. In der Partei von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva hatte Whitaker zu den letzten hochgeachteten »Aufrechten« gehört, nachdem bereits zahlreiche seiner Mitstreiter von der zentralistischen Führungsspitze ausgeschlossen worden waren oder aus Unzufriedenheit mit dem Regierungskurs das Parteibuch zurückgegeben hatten.

Der Austritt Whitakers erregte in der brasilianischen Öffentlichkeit enormes Aufsehen. Der einstige »Hoffnungsträger« Lula und die Spitze seiner Arbeiterpartei stecken tief im Korruptionssumpf: Abgeordnetenbestechung, Parteien- und Stimmenkauf, Mittelabzweigung und Machtmißbrauch. Es sei eingetroffen, so Whitaker, was die katholischen Kirche bereits vor den Wahlen von 2002 prophezeit habe. »Die jetzige politische Krise war vorhersehbar. Um die Wahlen zu gewinnen, wurde sogar der berüchtigte PR-Manager Duda Mendonca, der zuvor für rechte Politiker arbeitete, eingekauft, es wurde mit Tricks und Täuschung, mit Lügen gearbeitet. Um an die Macht zu kommen, so die neue Logik, muß man Wahlen gewinnen, dafür ist viel Geld nötig – unwichtig, woher es kommt. Der Traum ist aus, überall spürt man Bestürzung und Enttäuschung. Doch es gab Leute wie mich, die dachten, man könnte noch manches reparieren. Das war ein Fehlschluß. Besonders gravierend, daß man im Ausland sogar auf illegalen Schwarzkonten Geld hortete. Übelste politische Machenschaften, die die Arbeiterpartei stets bekämpft hatte, gelten unter Staatschef Lula auf einmal als normal.«

Aber Lula, wende ich ein, spricht immer wieder von enormen Fortschritten. »Die brasilianischen Eliten profitieren heute von Lula, sie finden ihn optimal. Paradoxerweise sind deshalb die Privilegierten heute am meisten daran interessiert, daß er möglichst lange weiterregiert, um das neoliberale Wirtschaftsmodell zu garantieren. Nie zuvor haben die Banken solche Profite gemacht. Im Falle Lulas und derArbeiterparteiagierten unsere Machteliten wieder einmal sehr intelligent. Zudem kontrolliert Lula die Sozialbewegungen, hält das Volk mit Almosen von Unruhen ab. Seine Sozialprogramme sollen dazu dienen, die Masse unterwürfig und abhängig zu halten. Selbst die oft so kämpferisch auftretende Landlosenbewegung MST wurde gezähmt, überschreitet nie bestimmte Grenzen der Kritik an der Lula-Regierung. Statt einer für Brasilien so dringend nötigen Agrarreform, die eine enorme Nachfrage bislang vom Binnenmarkt ausgeschlossener Bevölkerungsgruppen geschaffen hätte, wurde das exportorientierte Agrobusiness gefördert.«

Francisco Whitaker, der im Rahmen der brasilianischen Bischofskonferenz die Arbeit der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden koordiniert und jahrelang enger Mitarbeiter des befreiungstheologischen Kardinals Evaristo Arns in São Paulo war, ist mit seiner Meinung kein Außenseiter. »In der Bischofskonferenz denkt man größtenteils wie ich, viele Bischöfe sehen die Dinge genauso. Allerdings gibt es in der Kirche keine Enttäuschung über die Lula-Regierung – weil man die Probleme ja ganz realistisch vorausgesehen hatte. Überrascht hat lediglich das Ausmaß der Machenschaften – mancher dachte, so weit würde es wohl doch nicht kommen.«

Francisco Whitakers neuestes Buch: »O desafio do Forum Social Mundial – um modo de ver« (Vorwort von Oded Grajew, brasilianischer Unternehmer, der die Idee des Weltsozialforums hatte), Editora Fundacao Perseu Abramo, São Paulo

Staatschef Lulas „fortschrittliche“ Regierungspolitik/2010

Der brasilianische Präsident Luis Inacio Lula da Silva erhält am Ende der zweiten Amtszeit wegen seiner Politik geradezu überschwängliches Lob aus Europa, darunter Ländern wie Deutschland, sowie internationale Ehrenpreise. Spaniens Ministerpräsident und amtierender EU-Ratspräsident José Zapatero nennt Lula „ehrlich, integer und bewundernswert, ein Beispiel für alle Politiker“. Auch gemäß den Wertekriterien des jüngsten Weltwirtschaftsforums von Davos macht Lula offenbar alles richtig – und wird mit dem „Global Statesmanship Award“ geehrt. Hintergrund der Auszeichnung sei die hervorragende Art, in welcher der Präsident das Land seit acht Jahren führe. Europäische Parteien, darunter die deutschen Grünen, betonen ausdrücklich die „fortschrittliche Regierungspolitik“ Brasilias, die zudem nicht selten als „links“ klassifiziert wird.

Indes: Derartige Einschätzungen stehen in interessantem Kontrast zu den Analysen brasilianischer, aber auch ausländischer Menschenrechtsexperten. So konstatiert der deutsche Lateinamerikawissenschaftler Rüdiger Zoller in einer Studie der Bundeszentrale für politische Bildung, daß Brasilien auch unter Lula kein Rechtsstaat sei – und nie ein Rechtsstaat war …

Theoretisch existieren für die öffentliche Sicherheit, die Verbrechensbekämpfung zahlreiche gutformulierte Gesetze, und Polizei und Justiz erscheinen ähnlich strukturiert wie in Europa. Doch zum Beispiel von den jährlich rund 50 000 Morden in Brasilien werden nur wenige Prozent aufgeklärt, deren Täter gefaßt und abgeurteilt. Das liege, so der Wissenschaftler Bicudo, nicht zuletzt am Zeugenschutz. „Der ist eigentlich per Gesetz garantiert, funktioniert aber nicht. Zeugen sind in Brasilien überhaupt nicht geschützt. Nur zu oft ist es doch so: Kennt der Täter einen Zeugen, bringt er ihn um. Deshalb leben wir doch hier in Brasilien unter dem sogenannten Gesetz des Schweigens, will niemand aussagen. Das Schlimme ist zudem, daß unser Sicherheitsapparat aus der Militärdiktatur übernommen wurde. Wir haben in Brasilien Militärpolizisten auf den Straßen, die nicht wie Polizisten, sondern wie Militärs agieren. Und jedes Jahr tödlicher, wie die Statistiken zeigen. Doch ein Militärpolizist, der grundlos tötet, weiß, daß ihn die zuständige Militärjustiz nicht bestraft. Und an der Slumperipherie unserer Städte agieren auch noch Polizei und Verbrecherkommandos gemeinschaftlich, um diesen Schein-Frieden aufrechtzuerhalten.“

Der Kampf der demokratischen Öffentlichkeit um eine angemessene Vergangenheitsbewältigung hat in jüngster Zeit erneut einen Rückschlag erlitten. Staatspräsident Lula hatte sich bis zum Ende seiner zweiten Amtsperiode Zeit gelassen, um ein Dekret zu unterzeichnen, das die Schaffung einer Wahrheitskommission zur Aufklärung von Diktaturverbrechen vorsieht. Außerdem sollte ein Amnestiegesetz aufgehoben werden, dessen völkerrechtswidrige Auslegung es bisher unmöglich macht, berüchtigte Folteroffiziere oder Mörder von Diktaturgegnern zu bestrafen. Nicht zum ersten Mal kam es wegen dieser Problematik prompt zu einer Regierungskrise. Verteidigungsminister Nelson Jobim und die Kommandanten der Teilstreitkräfte reichten ihren Rücktritt ein – und waren mit dieser Taktik sehr erfolgreich. Staatschef Lula hätte als militärischer Oberbefehlshaber als Zeichen von Festigkeit die entsprechenden Posten sofort neu besetzen können, zog es indessen vor, die Rücktrittsgesuche abzulehnen und eine Neuformulierung des Dekrets ganz im Sinne der Militärs vorzunehmen, Schlüsselbegriffe wie „politische Repression“ zu streichen.

Überraschend gab ebenso wie Lula auch dessen Menschenrechtsminister Vannuchi nach, der zusagte, daß das Amnestiegesetz nicht angetastet werde und eine künftige Wahrheitskommission nicht gegen die Militärs gerichtet sei. Daß diese den Putsch von 1964 stets an dessen Jahrestag öffentlich gar als „Revolution“ verteidigen, die Generalspräsidenten und deren Repressionsmethoden ausdrücklich würdigen, weist auf die besondere politische Situation in Brasilien auch unter der Lula-Regierung hin. Zudem zeichnet sich ab, daß das Präsidentendekret in seiner ursprünglichen Form nicht die nötige Zustimmung des Nationalkongresses erhalten würde, in dem konservative und rechte Kräfte überwiegen. Lulas politischer Bündnispartner José Sarney, der während der Diktaturjahrzehnte als Chef der Regimepartei ARENA fungierte, wurde 1985 erster demokratischer Staatspräsident, führt heute den brasilianischen Kongreßsenat und damit de facto das gesamte Parlament. Lula, dessen Vize José Alencar ein Diktaturaktivist war, schloß Regierungsbündnisse mit dem konservativen und rechten Lager. Sein Nachfolger im Präsidentenpalast dürfte genauso vorgehen.

Der deutschstämmige Bundes-Staatsanwalt Marlon Weichert in Sao  Paulo hält die Bestrafung von Diktaturverbrechern für unverzichtbar und hat deshalb 2008 sein eigenes Land sogar vor der Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten in Washington angeprangert: “Der brasilianische Staat erfüllt auch seine internationalen Verpflichtungen nicht. Er kann Verbrechen gegen die Menschlichkeit gar nicht amnestieren – wie es in Brasilien aber geschehen ist. Wenn man jene davonkommen läßt, die gestern Verbrechen gegen die Menschenrechte begingen, und wenn man solche Taten sogar vertuscht, stärkt man jenen den Rücken, die heute im Staatsapparat Menschenrechte verletzen wollen. Man beschützt Mörder, Folterer, Vergewaltiger und Entführer aus der Zeit des Militärregimes. Leider gibt es in Brasilien die Überzeugung, daß man die Wahrheit verbergen müsse und daß es vorteilhafter sei, über alle diese Probleme nicht zu reden. Das ist eine Frage der Werte und der Kultur. Käme die Wahrheit heraus, müßten Biographien völlig umgeschrieben werden.“ Die brasilianische Soziologie-Zeitschrift „Sociologia“ konstatiert Ende 2009 in einer ausführlichen Studie: „Die Praxis der Folter ist als Form institutioneller Gewalt im Alltag des Sicherheitsapparats weiter präsent und richtet sich besonders gegen die Armen.“ Auch diese Einschätzung spricht Bände über die Bewunderer heutiger Regierungspolitik Brasilias.

Als Zugpferd der Lula-Regierung wird gelegentlich das Anti-Hunger-Programm betrachtet, das indessen laut Kirchenangaben den Hunger in der achtgrößten Wirtschaftsnation Brasilien, einem der führenden Nahrungsmittelexporteure, längst nicht beseitigen konnte. Wie Brasiliens Medien unter Berufung auf den UNO-Sonderberichterstatter für Hungerfragen, Olivier de Schutter, betonen, zielen Lulas Sozialprogramme nur auf die Symptome von Armut und Elend, nicht auf deren Ursachen. Was die Regierung den Betroffenen mit der einen Hand gebe, entziehe sie ihnen mit der anderen, da ein wichtiger Teil der Programme just durch ein Steuersystem finanziert werde, das den ärmsten Schichten 46 Prozent ihres Einkommens nehme, während die reichste Schicht lediglich mit 16 Prozent belastet werde.

Obama in Brasilien/2011

Auf Gesten und Symbolik, sorgsam abgestimmt zwischen beiden Seiten, sei besonders zu achten, hatte Brasilia vor der Ankunft des US-Präsidenten verlauten lassen. Und als Barack Obama dann in den Amtssitz von Präsidentin Dilma Rousseff schritt, ging es Schlag auf Schlag. Mitten in der persönlichen Unterredung befahl Obama über einen Mitarbeiter die Attacke auf Libyen mit zunächst 110 Tomahawk-Raketen. Und etwas später, mitten im Bankett für Obama im brasilianischen Außenministerium, ging es richtig los mit den Bombardements. „Ein historischer Tag“, titelten die Zeitungen – und „historisch“ verhielt sich Brasiliens neue Staatschefin, die einst als Guerilleira gegen die Militärdiktatur kämpfte, eingesperrt und gefoltert wurde. Erst nach der Abreise Obamas äußerte sie Missfallen über die Kriegserklärung ausgerechnet in Brasilien – vermied indessen, wie viele Brasilianer erwartet hatten, dies Obama sofort und direkt zu sagen, womöglich die offiziellen Gespräche abzubrechen. Mit einer Note, die einen Waffenstillstand in Libyen erbat, wurde ebenfalls solange gewartet, bis Obama abgereist war. Brasiliens wichtigster Befreiungstheologe, Frei Betto, nannte es gegenüber dem Blättchen „zumindest takt- und geschmacklos, den Krieg gegen Libyen just in Brasilien zu erklären, das gegen eine solche kriegerische Aggression ist.“ Der Diskurs des Westens sei Demokratie, das Interesse indessen Öl und nicht etwa die Verteidigung der Menschenrechte in Libyen. Brasilia hatte sich im UN-Sicherheitsrat, abgestimmt mit Russland, Indien und China, wenigstens der Stimme enthalten, eine friedliche Lösung befürwortet.

Absolut symbolträchtig ging es beim Bankett zu – denn wie zu hören war, hatte Rousseff offenbar mit Ziehvater Lula da Silva abgemacht, dass am Tische direkt neben den beiden Obamas just der hochwichtige Regierungspartner José Sarney sitzen sollte. Die USA hatten 1964 zur Unterstützung des Militärputschs sogar eine Kriegsflotte vor die Küste Brasiliens entsandt. Und nun prosteten sich just der Präsident dieses Landes und der damalige Chef der brasilianischen Folterdiktatorenpartei ARENA freundlichst zu, unterhielten sich auch Michelle Obama und Sarney sichtlich nett miteinander. Er gilt in Brasilien nach wie vor als der archaischste, reaktionärste und politisch mächtigste Oligarch, ist Präsident des Kongresssenats und wurde trotz seiner Verwicklung in zahllose Skandale von Lula stets hochgeschätzt und umworben. „I love this guy“, sagte Obama einmal über Lula – und wollte ihn gerne mit am Tisch. Doch der mit scharfem politischen Instinkt gesegnete Ex-Gewerkschaftsführer lehnte die Einladung ab. Als hochbezahlter Ehrenpräsident seiner Arbeiterpartei PT hatte er womöglich Rücksicht zu nehmen auf jenen Parteiflügel, der sich scharf gegen einen Libyenkrieg wandte, an die Kriege im Irak und in Afghanistan erinnerte, die Obama-Regierung als „Feind des Weltfriedens“ einstufte. Vor Obamas Ankunft brodelte es in diesem Teil der PT, der sich den Sozialbewegungen eng verbunden fühlt, die Obama zur „persona non grata“ erklärt hatten. Zorn erregte daher, dass Brasiliens Regierung, eingeschlossen Dilma Rousseff, und die Führungsspitze der Arbeiterpartei die von PT-Mitgliedern angekündigten Proteste gegen den Besuch Obamas verurteilten. Wie durchsickerte, sollten solche Aktivitäten erstickt, unzufriedene Kader auf Linie gebracht werden. Zu den Abweichlern gehörte sogar Rousseffs Frauenministerin Iriny Lopes. Zu Kriegsbeginn nicht am Tische mit Obama sitzen zu wollen, könnte Lula eines Tages Lorbeeren einbringen – wer erinnert sich dann noch an die Hintergrund-Details? Sehr aufschlussreich, was dann in Chile ganz anders lief als in Brasilia. Eine weit politisiertere Öffentlichkeit erreichte, dass beim Obama-Besuch die Diktaturproblematik nicht ausgeklammert wurde. Anders als unter Dilma Rousseff wurde im chilenischen Regierungssitz natürlich eine Pressekonferenz anberaumt, konnte ein chilenischer Journalist offen fragen, ob Obama und dessen Regierung bereit seien, sich für die Beteiligung am Militärputsch vom 11. September 1973 zu entschuldigen – und bei den gerichtlichen Ermittlungen über Diktaturverbrechen zu kooperieren. Der Journalist erinnerte an bezeichnende Fälle, darunter die Ermordung von Orlando Letelier, Außenminister von Salvador Allende, 1976 in Washington. Dem überraschten Obama blieb nichts weiter übrig, als zuzustimmen – er vermied indessen, um Entschuldigung zu bitten.

Obama plante vor Rio de Janeiros Opernhaus eine Rede ans Volk, zog sich dann aber wegen der drohenden Proteste ins Innere des imposanten Gebäudes zurück, wollte handverlesenes Publikum. Draußen PT-Fahnen und „Obama-go-home“-Plakate – drinnen fragwürdigste Symbolik. Die nationale Schwarzenbewegung forderte, dass sich der erste dunkelhäutige US-Präsident zum grauenhaften Rassismus klar positionieren muss. Schwarzen-Aktivist Mauricio Pestana: ”Es gibt keinerlei Zweifel, dass im ‚demokratischen’ Brasilien von heute schwarze Bürger mehr Opfer von Folter, Mord und Verschwindenlassen sind als in irgendeiner autoritären Epoche unserer Geschichte.“ Die Schwarzenbewegung hatte versucht, über die neue Ministerin für Rassengleichheit, Luiza Bairros, das Rassismusthema auf die Besuchs-Agenda zu setzen, wurde jedoch abgeblockt. Der Studentenverband UNEAFRO nannte Obama „den Verräter der Schwarzen in aller Welt“ – und wird sich jetzt vermutlich bestätigt fühlen. Obama hatte nicht vor, den Rassismus, andere gravierende Menschenrechtsverletzungen in Brasilien zu kritisieren. Seine Besuchsvorbereiter griffen daher tief in die Symbol-Kiste, ließen vor der Rede eine Afro-Band aufspielen und platzierten viele Schwarzen-Aktivisten gut sichtbar vor dem US-Präsidenten. Die Ansprache wurde von Brasiliens wichtigsten Kommentatoren arg verrissen: Denn Obama lobte ausgerechnet die brasilianische Demokratie als beispielhaft, stellte damit klar, welche Menschenrechtskriterien er nach eigenem Werteverständnis an Brasilien anlegt. Systematische Folter durch Staatsangestellte, Todesschwadronen, Scheiterhaufen, neofeudale Banditen-Diktatur in den Armenvierteln, Morde an Menschenrechtsaktivisten, Sklavenarbeit – „no problem“ fürs Weiße Haus. Brasilien werde zum Modell für die Welt, so Obama. In Rio wurde ganz in der Nähe seines Copacabana-Hotels kurz nach der Abreise der Systemkritiker und Anwalt Ricardo Gama, der hohe Politiker auf seiner Website aufs Korn nahm, bei einem Attentat von zwei Kopfschüssen getroffen. Er wird hoffentlich überleben. Zuvor war ein kirchlicher Menschenrechtsanwalt in Nordostbrasilien ermordet worden. In Sao Paulo liquidierten zwei Militärpolizei-Todesschwadronen seit 2006 mindestens 150 Menschen, steht in einem neuen Untersuchungsbericht. Als ausgesprochenen Folterstaat beschrieb sogar Brasiliens neue Menschenrechtsministerin Maria do Rosario ihr eigenes Land – kein einziges Massenmedium brachte die Äußerung. Nicht zufällig ist Brasilien jetzt auf dem britischen Welt-Demokratie-Index vom 41. auf den 47. Platz zurückgefallen – liegt auf dem neuesten UNO-Ranking für menschliche Entwicklung nur auf Platz 73. – Libyen immerhin auf dem 53., Chile auf dem 45., Argentinien auf dem 46 und der Iran auf dem 70. Platz.

Aber heißt es nicht immer, seit Lula zeige Brasilia gegenüber den USA zunehmend Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit? Brasiliens Qualitätsmedien analysierten ironisch Wikileaks- Enthüllungen. Öffentlich habe es nur zu oft leere antiamerikanische Rhetorik gegeben – „ im vertraulich-privaten Umgang indessen Liebkosungen für die Brüder im Norden, Anerkennung der Hegemonie des Partners.“ US-Diplomateneinschätzungen lauteten, das Tropenland sei noch gar nicht reif, um ein Global Player zu sein. Für US-Sozialwissenschaftler sind die brasilianischen Regierenden unfähig zu längst überfälligen strukturellen Reformen, gibt es „gravierende interne Probleme“. Menschenrechtsaktivist Fabio Konder Comparato, Rechtsprofessor an Brasiliens führender Bundesuniversität in Sao Paulo: “Wir hatten bis heute nie Demokratie, leben immer unter einem oligarchischen Regime. Unsere Politik hat stets zwei Gesichter. Eines für außen, zivilisiert – und eines für innen, grausam. Wir halten diese Doppelzüngigkeit des Charakters im gesamten politischen Leben aufrecht. Die Wahlen sind Theater. Lula bewies, dass er für die Oligarchie nicht gefährlich ist. Ich widerspreche dem Begriff Redemokratisierung.“

 

Brasiliens Lula: Wer als Älterer noch links ist, ist nicht ganz bei Troste/Hintergrund von 2006

Brasiliens „Alt-Linke“ reagieren kritisch-ironisch

Zu den Kuriositäten im deutschen Medienzirkus aller politischen Couleur gehört, ausgerechnet den brasilianischen Staatschef Luis Inacio Lula da Silva zum linken, gar progressiven Lager zu rechnen. Obwohl dieser regelmäßig klarstellt, daß er sein ganzes Leben lang nicht als Linker, Linksgerichteter klassifiziert werden wollte. Im Dezember 2006 hat Lula  in Sao Paulo vor Bankiers und anderen Unternehmern erneut für entsprechende Klarstellungen gesorgt. Wer sich mit über sechzig Jahren immer noch zur Linken rechne, sei nicht ganz bei Troste. „Wenn sie jemanden kennen, der alt ist und zur Linken zählt, heißt das eben, daß er  Probleme hat“. Im Kontext der Rede waren mentale Probleme gemeint. Die Geldleute reagierten zufrieden und mit großer Heiterkeit, oder wie manche Zeitungen vermeldeten, lachten sich kaputt. „Wenn man die Sechzig erreicht, kommt man ins Alter des Gleichgewichts, ist man weder das eine noch das andere. Wer mehr rechts war, ist dann mehr in der Mitte – und wer mehr links war, wird sozialdemokratisch, also weniger links.“ Bankiersliebling Lula illustrierte das am persönlichen Beispiel, bezog sich auf den Kongreßpolitiker Delfim Netto, der zur Zeit des grausamen 21-jährigen Diktaturregimes der auch mit Pinochet eng kooperierenden Foltergeneräle wichtige Ministerposten, darunter das Amt des Finanzministers, bekleidete.  „Heute bin ich ein Freund von Delfim Netto. Zwanzig Jahre lang habe ich Delfim kritisiert – doch jetzt ist er mein Freund und ich bin seiner.“ Das Publikum aus der Geldelite quittierte dies erneut mit Heiterkeitsausbrüchen.

Daß Lula tatsächlich nie der Linken angehörte, haben Politikwissenschaftler, aber auch Menschenrechtsaktivisten, die ihn aus seiner Zeit als Gewerkschaftschef gut kannten, immer wieder bekräftigt.

Die neuesten Lula-Äußerungen wurden von linken Persönlichkeiten Brasiliens zumeist mit Spott kommentiert. Soziologieprofessor Chico de Oliveira, 73, aus Sao Paulo nannte Lula ein Chamäleon – intellektuell, politisch und ideologisch schwach. Er passe sich jedem Ambiente an, um zu überleben.

Helio Bicudo, aus Lulas Arbeiterpartei ausgetretener katholischer Menschenrechtsaktivist:“Mit 84 stehe ich heute mehr links als mit 60.“

 Poet Ferreira Gullar:“Lula geht es nur um die Macht – je nach Publikum redet er jedwedes Zeug.“

Senator Cristovam Buarque, von Lula gefeuerter Bildungsminister :“Die Klarstellung Lulas festigt meine Position, daß diese Regierung rechts steht.“

Architekt Oscar Niemeyer, der sich stets als Kommunist bezeichnet, und heftig für Lulas Wiederwahl geworben hatte, gab sich just an seinem 99. Geburtstag heftig überrascht. So etwas, sagte er gegenüber Freunden, habe man von einer Persönlichkeit mit dieser politischen Biographie nicht erwartet.

 Waldemar Rossi aus Sao Paulo, Führer der katholischen Arbeiterseelsorge aus Sao Paulo, hatte einst mit Lula Streiks organisiert und stets betont:“Lula war nie ein Linker. All dies erklärt seine teilweise Bewunderung für Adolf Hitler.“ Bereits als Gewerkschaftsführer hatte Lula zur Diktaturzeit in einem Interview wörtlich gesagt, nie dementiert oder berichtigt:“Hitler irrte zwar, hatte aber etwas, das ich an einem Manne bewundere – dieses Feuer, sich einzubringen, um etwas zu erreichen…Was ich bewundere, ist die Veranlagung, Bereitschaft, die Kraft, die Hingabe.“

 Auch angesichts dieses berühmten Lula-Satzes lassen sich klare Rückschlüsse auf die politischen Positionen jener ziehen, die ihn als links, progressiv definieren.

Bizarrer Wahlkampf und Lulas Korruptionsskandal(2006)

Anti-Korruptions-NGO „Transparencia Brasil“ mobilisiert gegen Wiederwahl von belasteten Politikern

Man stelle sich folgendes in Deutschland vor: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat keine stabile Mehrheit im Bundestag, muß die Parlamentsunterstützung Tag für Tag neu aushandeln. Ihre rechte Hand im Kanzleramt sowie andere ihr nahestehende Politiker organisieren deshalb Stimmenkauf, illegale Geldtransaktionen im Millionenhöhe an Parteien und Parlamentarier. Um Mehrheiten zu garantieren, werden Bundestagsabgeordnete mit Geld gefügig gemacht. Die Sache fliegt indessen auf, parlamentarische Untersuchungsausschüsse erbringen die nötigen Beweise. Die Bundeskanzlerin erklärt im Fernsehen, von den finsteren Machenschaften engster Mitarbeiter nichts gewußt zu haben, lehnt jegliche politische Verantwortung für Stimmen-und Parteienkauf ab, bleibt im Amt. Genau so schildert Claudio Weber Abramo, Exekutivdirektor von „Transparencia Brasil“ die Lage, allerdings auf Brasilien, die Regierung von Staatschef Lula und auf die regierende Arbeiterpartei PT bezogen. Lula hat allergrößte Chancen, am ersten Oktober bereits im ersten Durchgang wiedergewählt zu werden. Wie wäre in solcher politischen Situation das Wählerverhalten in Deutschland?

–Flucht in die parlamentarische Immunität—

In Brasilien sollen nun über einhundert verwickelte Politiker, aber auch Unternehmer, vor Gericht gestellt werden. Zahlreiche hochbelastete Kongreßabgeordnete wollen sich indessen durch eine Wiederwahl im Oktober in die parlamentarische Immunität flüchten, einem Prozeß entkommen. Weil Brasiliens populärste NGO „Transparencia Brasil“, die dem weltweiten Anti-Korruptions-Dachverband „Transparency International“ angeschlossen ist, dagegen eine öffentliche Kampagne gestartet hat, die betreffenden Politiker beim Namen nennt, hat sie jetzt gerichtlichen Ärger mit Staatschef Lulas Arbeiterpartei.

Noch im letzten Jahr hatte Staatschef Lula die Bestrafung aller Schuldigen vesprochen: “Das brasilianische Volk hat dies alles wirklich nicht verdient, was da geschehen ist. Doch jetzt tut die Regierung alles erdenkliche, um den Fall aufzuklären. Nach den Ermittlungen werden die entsprechenden Gerichtsprozesse stattfinden – und die Justiz wird ihre Pflicht erfüllen. Wir alle sind auf die Welt gekommen, um ehrlich, ethisch und würdig zu handeln – und wer dies nicht tut, muß eben dafür bezahlen.“ Dies ist indessen keineswegs sicher. Denn über 150 Politiker , die in die verschiedensten Korruptionsskandale der jüngsten Zeit verwickelt sind oder wegen anderer Delikte ebenfalls als schwerbelastet gelten, stehen derzeit in der Kampagne für die Wiederwahl und verschweigen den rund 120 Millionen Pflichtwählern natürlich ihre Probleme mit der Justiz. „Transparencia Brasil“ hat deshalb alle Kandidaten in einem umfänglichen Internet-Register namens „Excelencias“ charakterisiert und eine Aufklärungskampagne unter das Motto gestellt: Votiert nicht für Politiker, die Dreck am Stecken haben. Gemeint waren Männer und Frauen fast aller Parteien, doch nur die Arbeiterpartei Lulas reagierte ärgerlich. Claudio Weber Abramo: “Hier in Sao Paulo ging die Führung der Arbeiterpartei mit einer Unterlassungsklage gegen uns vor Gericht – und hatte damit auch Erfolg. Wir haben natürlich Berufung eingelegt, die allerdings abgelehnt wurde. Jetzt sind wir vors Oberste Wahlgericht in Brasilia gezogen und hoffen, daß wir dort Recht bekommen. Die Unterlassungsklage ist für die Arbeiterpartei wie ein Schuß in den eigenen Fuß, denn jetzt ist die Öffentlichkeit auf unsere Kampagne erst richtig aufmerksam geworden. Gestandene Politiker der Arbeiterpartei haben sich enormen politischen Schaden eingehandelt. Alle Welt sagt hier, sind die denn  verrückt geworden?“ Abramo erschreckt die PT-Klage umso mehr, da die Partei im wirtschaftlich führenden Teilstaat Sao Paulo gegründet wurde, hier ihre Wurzeln, die meisten Sympathisanten hat. Abramo, womöglich Brasiliens führender Korruptionsexperte, hat den Regierungsskandal bis in die Detail begleitet:“Ja, es geht dabei um Stimmenkauf, um illegale Geldtransaktionen zwischen der regierenden Arbeiterpartei sowie Parteien und Parlamentariern, die der sogenannten Regierungsbasis im Nationalkongreß angehören. Die Angeklagten erfanden eine Story, wonach es sich lediglich um unsaubere Wahlkampffinanzierung, schwarze Wahlkampfkassen gehandelt habe. Doch man muß immer wieder hervorheben – diese Story ist eine reine Erfindung. Es geht um Korruption zwischen der dominierenden Partei der Lula-Regierung und Kräften im Parlament, die man eben bearbeiten, gefügig machen muß, um die nötigen Mehrheiten zu garantieren.“ Abramo bringt auf, daß Lula öffentlich erklärte, von all dem nichts gewußt zu haben. „Das ist eine weitverbreitete Haltung in Ländern, wo man stets vor der eigenen Verantwortung flieht. In Staaten wie Deutschland ist politische Verantwortung klar definiert – doch in Brasilien eben nicht. Hier haben wir so etwas im öffentlichen und im privaten Sektor –  eine schlechte Sache, aber leider für Brasilien charakteristisch. Der oberste Verantwortliche erklärt sich nicht verantwortlich für das, was in seinen Strukturen, in seinem Laden passiert.“  

–niedriges Bildungsniveau der Pflichtwähler—

Claudio Weber Abramo von Transparencia Brasil macht sich indessen keine Illusionen über den Erfolg der Aufklärungskampagne. Drei Viertel der erwachsenen Brasilianer sind aufgrund des Bildungsniveaus gemäß neuen Studien nicht in der Lage, einen simplen Zeitungs-oder Buchtext zu lesen und zu verstehen. Und wie Umfragen ergaben, haben die allermeisten daher auch gar nicht begriffen, um was es bei dem Regierungsskandal eigentlich ging.

Laut Abramo gibt es in Brasilien  etwa 750000 NGO – doch „Transparencia Brasil“ mit nur sieben festen Mitarbeitern habe die beste Verbreitung, werde am meisten angeklickt. „Wir finanzieren uns schlecht und recht über Mitgliedsbeiträge von dreißig Real monatlich, machen Projekte gemeinsam mit dem Staat, auch mit der Lula-Regierung, mit Gouverneuren und Präfekten der oppositionellen Sozialdemokratischen Partei PSDB. Kurios, wenn uns daher die einen als PT-ler, die anderen als PSDB-ler beschimpfen. Wenn wir von beiden Seiten attackiert werden, machen wir offenbar irgendetwas richtig.

–Chico-Buarque-Hit als Kampagne-Leitmotiv—

Abramo hat sich zum musikalischen Leitmotiv seiner Kampagne einen alten Hit des großen brasilianischen Liedermachers Chico Buarque ausgewählt – „Meu Caro Amigo“ aus der Diktaturzeit, wegen  der Textzeile „A coisa aqui ta preta“ – es steht schlecht um die Sache hier.

–Neue Kriterien für „links“ und „progressiv“–

Auch in Deutschland haben sich die Kriterien vielerorts dafür verschoben, was „links“ und „progressiv“ ist. Zwar wird Staatschef Lula nicht müde, immer wieder öffentlich zu betonen, niemals der Linken angehört zu haben und dies durch seine Politik, etwa bei den Menschenrechten, bei Bildung und Sozialem, der Umwelt, auch deutlich zu unterstreichen. Doch kurioserweise hat offenbar gerade der Stimmen-und Parteienkauf-Skandal nicht wenige europäische Beobachter dazu veranlaßt, in Lula einen aufrechten Linken zu sehen. Denn just seit der Korruptionsskandal kocht, just vor dem Hintergrund der Enthüllungen und Ermittlungen häufen sich in Deutschland bizarre Analysen, daß es sich bei Lula um einen Linken, bei seiner Regierung um eine Linksregierung handelt. Stimmen-und Parteienkauf sowie alltägliche Folter, gewöhnlich an den Ärmsten der Armen praktiziert, gelten damit offenbar als Kriterien für Progressivität.

–hohes Bußgeld für Lula—

Unterdessen hat Brasiliens Oberstes Wahlgericht Staatschef Lula dazu verurteilt, wegen illegaler vorgezogener Wahlpropaganda umgerechnet über 300000 Euro Bußgeld aus der eigenen Tasche zu zahlen. Gemäß einer Erhebung der größten Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“ haben Brasiliens Pflichtwähler weiterhin ein starkes konservatives Profil. Danach definieren sich 47 Prozent als rechts, während sich 23 Prozent zur politischen Mitte und 30 Prozent zur Linken rechnen. Vor dem Hintergrund der oft politischer Fiktion entsprungen scheinenden Regierungsskandale bemerkte jetzt der Wirtschaftswissenschaftler und Kolumnist Gustavo Ioschpe in der „Folha de Sao Paulo“:“Wäre Brasilien ein ernstzunehmendes Land, dürfte Lula nicht mehr im Amt sein. Und wäre er noch im Amt, dürfte er nicht erneut kandidieren. Und falls er für eine Wiederwahl kandidierte, dürfte er nicht an der Spitze der Wählerumfragen stehen.“

Auch die Wahlpropaganda ist in Brasilien ganz anders organisiert als in Deutschland. So müssen die Radiohörer vor den Oktoberwahlen derzeit morgens von sieben bis acht Uhr durchgehend auf sämtlichen Sendern Kandidatenwerbung ertragen, die nur zu oft an Infantilität nicht zu überbieten ist. Im Fernsehen wird täglich zur besten Sendezeit von 20.30 bis 21.20 Uhr auf sämtlichen TV-Kanälen Wahlpropaganda durchgeschaltet, für die das gleiche gilt. 

–Multis und Korruption—

Die vierzehnte Wirtschaftsnation Brasilien zählt zu den korruptesten Ländern der Erde – Claudio Weber Abramo untersucht natürlich auch, wie hier die über zehntausend ansässigen Unternehmen Deutschlands im allgemeinen Korruptionsklima zurechtkommen:“Sie agieren gemäß den in Brasilien geltenden Spielregeln – andernfalls könnten sie hier gar nicht funktionieren.“

Das Flugzeugunglück(2007)

Die Piste des Airports Congonhas mitten in der Megacity Sao Paulo ist nicht mal halb so lang wie die in Tegel oder Frankfurt. Anders als in Europa üblich, hat Congonhas keine Auslaufzone, können Maschinen also nicht bequem ausrollen. Jeder Laie, der die vorbeiführende Stadtautobahn benutzt, begreift den Irrsinn auf den ersten Blick. Starts und Landungen ähneln denen auf Flugzeugträgern. Die Männer im Cockpit agieren notgedrungen wie erfahrene Militärpiloten. Sie reißen die Maschinen extrem steil hoch oder bringen sie so abrupt zum Stehen, daß man als durchgerüttelter Passagier den Eindruck hat, gleich bricht der Jet auseinander. Leute beten beim Anflug das Vaterunser, Erleichterung auf allen Gesichtern, wenn die Maschine doch nicht ins angrenzende Häusermeer gekracht ist. So geht das schon seit Jahrzehnten. Der kleine, enge Airport Congonhas, sagen die Piloten, ist der komplizierteste und gefährlichste Brasiliens. Trotzdem der meistfrequentierte – 44 Starts und Landungen pro Stunde. 1963 stürzt erstmals eine Maschine in die nahen Häuser – 34 Tote. 1996, als es eine Fokker 100 erwischt, sogar 99. Beinahe-Tragödien alle paar Tage. Ich habe deshalb möglichst vermieden, in Congonhas mein Leben zu riskieren – selbst brasilianische Flugsicherheitsexperten verfahren genauso. Und Marc Baumgartner, Präsident der internationalen Fluglotsenvereinigung, sagte vor dem neuesten Unglück, das über 200 Menschenleben forderte, er selbst würde derzeit überhaupt nicht nach Brasilien fliegen, dies auch seinen Freunden nicht empfehlen – wegen der unhaltbaren Zustände.

Bewußte Fahrlässigkeit, nicht nur im Flug-und Straßenverkehr, sowie eine schockierende Abwertung menschlichen Lebens gehören zu den für Europäer beinahe unbegreiflichen soziokulturellen Besonderheiten des Tropenlandes. Seit vor zehn Monaten die viel zu wenigen, schlecht ausgebildeten und total überlasteten brasilianischen Fluglotsen eine Boeing und eine kleinere Maschine über Urwald auf Kollisionskurs bringen, 154 Menschen umkommen, wurde tagtäglich in sämtlichen Medien heiß über die haarsträubende Flugsicherheit und das Chaos auf den Airports diskutiert, vor neuen Katastrophen gewarnt, besonders in Congonhas. Doch die Regierung von Staatschef Lula, der die Zivilluftfahrt direkt untersteht, nennt die Flugsicherheit so hoch wie in der Ersten Welt, streicht dafür vorgesehene Haushaltsmittel stark zusammen, gibt nur einen Bruchteil frei. In den Kontrolltürmen der zivilen Airports sitzen fast nur blutjunge Unteroffiziere, bekommen für die anstrengende, stressige Arbeit umgerechnet gerade einmal 620 Euro monatlich – brutto. Radaranlagen, andere Überwachungstechnik stammen teils noch aus den sechziger Jahren. Gemäß internationalen Vorschriften darf sich ein Fluglotse maximal um 14 Maschinen gleichzeitig kümmern – in  Brasilien sind über zwanzig üblich.

 Bedrückend, wie man mit der neuesten Katastrophe von Congonhas umgeht: Am Abend des Unglücks wird die TV-Live-Berichterstattung der Sender immer wieder von fröhlicher, frivoler Bierwerbung unterbrochen. Als noch Menschen in dem Airbus verglühen, ändert Brasiliens größte und quotenstärkste Fernsehanstalt TV-Globo keineswegs das Programm, sondern bringt die beliebteste, frech-laszivste Humorsendung des Landes. Gleich hinterher die Spätnachrichten mit dem aktuellsten Horror aus Congonhas. Der Flugverkehr wird wegen der Katastrophe von den Regierungsbehörden keineswegs unterbrochen und umgeleitet, sondern gegen den Protest der Piloten weitergeführt, als wäre nichts geschehen – die Maschinen preschen beim Start direkt in Richtung der hoch lodernden Flammen von der Unglücksstelle, überfliegen das Inferno in niedriger Höhe. Brasilia manifestiert Zynismus und Kaltschnäuzigkeit ohnegleichen – klagen hinterher viele Piloten.

All dies wäre in Deutschland wohl undenkbar. Zwar verkündet Brasilia eine dreitägige Staatstrauer, doch die gilt traditionell nur pro forma – selbst in Sao Paulo wird keine einzige Lustbarkeit, kein Fest, keine Comedy etwa aus Rücksicht auf die Hinterbliebenen abgeblasen. Als jetzt polnische Pilger in Frankreich verunglücken, eilen Nicolas Sarkozy und Lech Kaczynski sofort an die Unglücksstelle, zu den Überlebenden. Auch Brasilien Medien kreiden Staatschef Lula an, daß ihm derartiges nicht im Traume einfiel, die Regierung extreme Taktlosigkeit manifestiert. Erst nach öffentlicher Empörung bequemt sich Lula vier Tage nach der Flugzeugkatastrophe zu einer kurzen TV-Ansprache. Zuvor werden hohe Funktionäre der staatlichen Flugaufsichtsbehörde Infraero dabei fotografiert, wie sie am Unglücksabend mit lachenden Gesichtern aus nächster Nähe die grauenhaften Vorgänge beobachten. Und im Präsidentenpalast feiert man die Nachricht, daß möglicherweise ein technischer Fehler ausschlaggebend für die Tragödie von Congonhas ist. Lulas Kumpel und außenpolitischer Berater Marco Aurelio Garcia sowie dessen Assistent werden dabei gefilmt, wie sie die TV-Nachricht frohgelaunt, überglücklich mit abstoßend obszönen Gesten kommentieren. Jetzt sind all jene total gefickt, die der Regierung die Schuld an dem Unglück geben, bedeuten die Gesten im Klartext. Mitgefühl in Brasilia gleich Null, stattdessen Hohn und Spott für eine kleinlichen Machtinteressen ausgelieferte Gesellschaft, kommentieren Angehörige der Opfer und die Medien. Die obszönen Gesten symbolisierten die „Ethik“ der Lula-Regierung, die dominierende Scheinheiligkeit. Und die Besessenheit Brasilias, aus allem, wirklich allem, und sei es eine Flugzeugkatastrophe, politischen Nutzen zu ziehen. Kumpel Marco Aurelio Garcia kennt man auch in Deutschland gut – er ist es, der stets erklärt, daß Lulas „Partido dos Trabalhadores“ zu keiner anderen Partei so enge Beziehungen unterhält wie zur SPD.  

Entsetzliche, unglaubliche, empörende Taktlosigkeiten folgen: Noch bevor Lula vor die Mikrophone tritt, werden nur drei Tage nach dem Unglück bei einem großen Festakt in Brasilia die Führungsleute der staatlichen Luftfahrtbehörden für „hervorragende Leistungen“ geehrt.

Was ist mit unserem Land los, fragen sich Sozialwissenschaftler und Kulturschaffende, war dieses Unglück nicht eigentlich Mord? Viele sprechen von einem Verbrechen, für das die Lula-Regierung verantwortlich sei. Ja, wir sind ein Land der Fahrlässigkeit, Verantwortungslosigkeit und Scheinheiligkeit, sagen viele auf den Straßen. Das Schlimmste an diesem Brasilien mit seinen zahllosen Anomalien sei, daß jedermann sich daran gewöhne. Gesellschaftliche Apathie und Lethargie seien typische soziale Phänomene in einem Land mit so verkümmerter Protestkultur. Brasilien stehe heute für „Chaos, Korruption, Straflosigkeit, Barbarei“. Daß im Parallelstaat der Slums beinahe täglich von den regierenden Banditenmilizen auf modernen Scheiterhaufen aus Autoreifen Mißliebige lebendig zwecks Einschüchterung der Armen öffentlich verbrannt werden – wen kümmerts, ob in Brasilien oder Deutschland?

Die Tragödie von Congonhas war vorhersehbar, betont auch der renommierte Psychologe und Therapeut Jorge Forbes: „Wir alle haben es gewußt – und wir alle haben es zugelassen.“

Deutschland zählt jährlich um die 5000 Verkehrstote, die zehntgrößte Wirtschaftsnation Brasilien mit nur etwa doppelt so hoher Bevölkerungszahl und weit geringerem Autobestand immerhin über 35500. Gemordet wird meist aus nichtigem Anlaß, jährlich über fünfzigtausendmal. Auch das sagt genug.

Moderne Scheiterhaufen/2007

Stellen wir uns vor, in Havanna oder Moskau würden Oppositionelle, Bürgerrechtler lebendig verbrannt. Wie dann sofort westliche Medien, Regierungen, Institutionen, Parteien reagieren würden, weiß jeder. Aber halten wir uns an die Fakten.

In Lateinamerikas größter bürgerlicher Demokratie ist das lebendige Verbrennen von Mißliebigen jahrzehntelange Praxis, jenen Medien, Regierungen, Institutionen, Parteien von Anfang an bestens bekannt. Selbst Fotos, Augenzeugenberichte gehen schließlich regelmäßig durch brasilianische Zeitungen. Doch erwartete Reaktionen bleiben aus, brasilianische Menschenrechtsaktivisten sind tief enttäuscht. Jetzt hat der mehrfach preisgekrönte brasilianische Fotograf Rogerio Reis aus Rio de Janeiro seine neueste Arbeit den modernen Scheiterhaufen im Parallelstaat der Slums seines Landes gewidmet.  Reis wird die Fotoinstallation in Paris zeigen, will die Weltöffentlichkeit über diese „Akte der Barbarei“ informieren, darüber eine Debatte in Gang bringen. Die Installation aus 24 Fotos heißt „Microondas“, Mikrowelle. So nennen die Slumdiktatoren des organisierten Verbrechens – und inzwischen auch der Volksmund –  jene Scheiterhaufen aus Autoreifen, auf denen regelmäßig Menschen lebendig verbrannt werden. Auch, um damit Millionen von Bewohnern der Elendsviertel einzuschüchtern. Man stellt sich in die Installation von Rogerio Reis, ist dann umzingelt von großen Farbfotos, die sinnbildlich Autoreifen in Flammen abbilden. Auf journalistischen Schwarzweißfotos ist der Horror ganz konkret zu sehen. Die Reifen werden gewöhnlich über das gefesselte Opfer gestapelt und dann angezündet.  „Aus Empörung über diese Akte der Barbarei, diesen unglaublichen Terror habe ich die Fotoinstallation geschaffen – eine Art von engagierter Kunst“, sagt Reis.  „Daß da willkürlich Menschen  gefoltert, außergerichtlich zum Tode verurteilt und schließlich verbrannt werden – das darf man doch nicht hinnehmen. Ein enger Freund von mir, der brasilianische Fernsehjournalist Tim Lopes, erlitt dieses Schicksal, ist eines der vielen Opfer. Ich will mithelfen, diese Zustände zu beseitigen –  man muß endlich damit anfangen. Ich will die Mittel der Kunst nutzen, um anzuklagen.“

Reis stellte seine Installation jetzt sogar im Kulturzentrum der brasilianischen Bundesjustiz in Rio de Janeiro aus. Die Qualitätszeitung „O Globo“ schilderte zeitgleich – und zum wiederholten Male – in einer Artikelserie die Zustände in der Slumdiktatur. Die Zahl der Verschwundenen sei heute 54-mal höher als während des 21-jährigen Militärregimes. O Globo berichtete auch über die Sondergerichte der Slumdiktatoren, die drakonischen Strafen, die Scheiterhaufen. Sie sind kein neues Phänomen in der brasilianischen Demokratie, und wie Reis betont, wissen verantwortliche Politiker, internationale Menschenrechtsorganisationen und auch  Intellektuelle Brasiliens seit langem detailliert darüber Bescheid. Auffällig indessen das Schweigen, die Indifferenz. “Diese Akte der Barbarei sind ein solcher Rückschritt im zivilisatorischen Prozeß, daß viele Leute den Tatsachen nicht ins Auge sehen, dies alles nicht wahrhaben wollen. Ich sehe da auch viel Scheinheiligkeit. Über diese grausamen Menschenrechtsverletzungen muß man diskutieren – doch just dies ist nicht erwünscht. Der Staat hat sämtliche Machtmittel, um diese Barbarei sofort zu beenden, doch dazu fehlt politischer Wille.“ Vertreter der Kirche, doch auch der renommierte Historiker Josè Murilo de Carvalho von der Bundesuniversität Rios, Mitglied der nationalen Dichterakademie, sind der Auffassung, daß durch die Slumdiktatur, das neofeudale Normendiktat der hochgerüsteten Banditenmilizen Protestpotential paralysiert, Rebellionen der Slumbewohner verhindert werden sollen. Eine Politisierung der Verarmten und Verelendeten werde ebenfalls blockiert. Die Gangsterkommandos dienten damit der Aufrechterhaltung politischer Stabilität – ganz im Sinne der Eliten. „Ich sehe das genau so“, sagt Fotograf Reis, „hier sind starke wirtschaftliche, politische Interessen im Spiel. Hochgestellte Figuren der Gesellschaft sind verwickelt, sind Nutznießer des organisierten Verbrechens. Auch darüber muß man debattieren. Zu meiner Ausstellung in Paris haben alle dortigen Vertreter der brasilianischen Regierung, angefangen vom Botschafter, offizielle Einladungen erhalten – das war mir wichtig.“

Der dunkelhäutige Schriftsteller Paulo Lins schrieb den sozialkritischen Bestseller „Cidade de Deus“, Gottesstadt, über einen Rio-Slum,  war Co-Regisseur der Buchverfilmung. Die kam als „City of God“ in die europäischen Kinos, kippte bei vielen sozialromantische Brasilienklischees. „In City of God spiele ich den Pressefotografen – mit Paulo Lins arbeite ich ebenso eng zusammen wie mit dem Musiker und Poeten Marcelo Yuka, der auf seiner neuesten CD einen Titel diesen modernen Scheiterhaufen gewidmet hat. Da beschreibt er die Gefühle der Slumbewohner, wenn ihnen der Geruch brennender Autoreifen in die Nase steigt – und alle genau wissen, was ganz in ihrer Nähe geschieht. Marcelo Yuka wurde von neun Banditenschüssen getroffen, sitzt gelähmt im Rollstuhl.“

Auch in Deutschland macht man derzeit Gangsta-Rap und HipHop aus brasilianischen Slums hoffähig, tut wider besseres Wissen so, als handele sich um genuine, eigenständige, ganz wundervolle Kulturprodukte. Marcelo Yuka analysiert indessen, daß in der Slumdiktatur auch die Musikzensur heute oft schlimmer sei als in den 21 Jahren der Militärdiktatur Brasiliens. „Betrete ich einen Slum und benutze verbotene Begriffe, verbotene Kleidung, kann ich ermordet werden“, sagt Yuka zum Blättchen. „Zudem verhängen die Banditenkommandos Besuchsverbote für gegnerische Armenviertel. Musiker ihres Herrschaftsbereichs dürfen dort nicht auftreten. Das Verbrennen von Menschen mittels Autoreifen, das Zerstückeln von Opfern, die Folter sind heute in den Slums alltäglich. In einem Jahr werden mehr Menschen umgebracht als in der gesamten Diktaturepoche. Ich bin eingeladen worden, über diese Realität im Oktober in der UNO zu sprechen.“

Carla Rocha zählt zu den wichtigsten investigativen Journalistinnen Brasiliens, hat Yuka in ihrer O-Globo-Artikelserie auch zur Kulturzensur zitiert:“HipHop und Funk sind heute die typische Musik der Slums von Rio, es gibt viele Gruppen, Bands. Doch die gesamte kulturelle Produktion wird heute von den Gangstersyndikaten kontrolliert, zensiert. Natürlich darf in den Musiktiteln nur die Polizei kritisiert werden, nie das organisierte Verbrechen. Andernfalls würden die Musiker mit dem Tode bestraft. Die NGOs dort müssen sich ebenfalls dem Normendiktat unterwerfen. Um die Kontrolle über den Informationsfluß des Slums zu halten, hören Banditenkommandos die Telefongespräche der Bewohner ab, überwachen selbst den Austausch von E-Mails. Gangstermilizen befehlen, daß Kleidung bestimmter Marken, Geschäfte, Farben nicht getragen werden darf.“

Auf seiner neuesten CD „Sangueaudiencia“, erschienen bei Sony-BMG, beschreibt Marcelo Yuka all diese Zustände – zu hören sind auch Mano Chao, Marisa Monte und selbst der Landlosenführer Joao Pedro Stedile. Kuba hat annähernd so viele Einwohner wie Rio de Janeiro.

An Fakten orientierte Berichterstattung über soziokulturelle Tatbestände bestimmter Länder wird heute in Deutschland zunehmend durch Zensur behindert, verhindert. Wo, wie, in welchen Medien und Institutionen kräftig zensiert wird, kriegt man heute auch dank Google-Suche rasch heraus. Machen Sie einfach mal den Test, etwa mit einigen Stichwörtern aus diesem Beitrag.

Einkommen, Armutsgrenze in Brasilien:

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/19/social-inequality-in-brazil-brasiliens-wichtigster-befreiungstheologe-frei-betto-lula-regierungsresultat/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/17/mit-rund-500-euro-familieneinkommen-in-brasilien-schon-mittelschicht-was-in-europa-gut-ankommt/

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/09/20/brasiliens-kuriose-sozialstatistiken-mit-umgerechnet-rund-112-euro-monatseinkommen-laut-regierung-schon-mittelschicht/

Die hausgemachten Ursachen der gravierenden brasilianischen Wirtschaftskrise sind überall spürbar – nahezu ein ganzes Land in der Mentalitätsfalle. So dauern viele Arbeitsvorgänge in Brasilien zehnmal länger als in Nachbarländern wie Uruguay oder Argentinien, gar in Ländern der Ersten Welt – und mehr.  Zumeist liegt es an der Lustlosigkeit der Beschäftigten sowie fehlender Qualifikation – ein Bewußtsein für Effizienz scheint bei einem Großteil schlichtweg nicht zu existieren. Daher bringt man beispielsweise derzeit in Sao Paulo durchaus bis zu einer Stunde in der Schlange der Supermarkt-Schnellkasse zu – auch weil etwa eine Halbanalphabetin darauf besteht, mit der Kreditkarte zu bezahlen – und x-mal den falschen Zahlencode eingibt, die Kassiererin dies zum Schaden der immer längeren Käuferschlange x-mal zuläßt. Man packt also seine Waren wieder in den Korb, wechselt in eine andere Schlange – und erlebt dort irgendeine andere Version brasilianischer Unterentwicklung. 

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/09/27/boomland-brasilien-die-angeblich-aufstrebende-wirtschaftsmacht-warum-sind-wir-so-unproduktiv-fuhrende-wirtschaftszeitschrift-exame-beschreibt-brasiliens-enormen-wirtschaftlichen-ruckst/

Republik KubaWir dokumentieren nachstehend eine Erklärung des Außenministeriums der Republik Kuba zum laufenden institutionellen Staatsstreich in Brasilien:

Sektoren der rechten Vertretung der Oligarchie im Zusammenspiel mit der reaktionären Presse Brasiliens, mit offener Unterstützung der Transnationalen der Kommunikation und dem Imperialismus, haben im Abgeordnetenhaus dieses Landes den ersten Schritt hin zu einem parlamentarischen Staatsstreich gegen die legitime Regierung der Arbeiterpartei (PT) und der Präsidentin Dilma Rousseff vollzogen, den sie seit Monaten planen.

Es handelt sich um einen Angriff gegen die brasilianische Demokratie und die Rechtmäßigkeit einer von der Mehrheit des Volkes an den Urnen gewählten Regierung, der auf Beschuldigungen basiert, für die es weder Beweise noch rechtliche Grundlagen gibt, wie dies von der Präsidentin selbst, vom ehemaligen Präsidenten und Führer der PT Luiz Inacio Lula Da Silva und zahlreichen Führern linker politischer Parteien und sozialer Bewegungen Brasiliens angeprangert wurde.

Seit dem Jahr 2003, als zum ersten Mal, angeführt von Lula, die Arbeiterpartei die Regierung übernommen hatte, wurden in Brasilien wichtige soziale Programme mit großen Auswirkungen für die weniger besgünstigten Teile der Bevölkerung durchgeführt. Laut Aussage der Weltbank konnten 25 Millionen der Brasilianer dank Programmen wie „Bolsa Familia“ „Mi Casa, Mi Vida“ und „Hambre Cero“ der Armut entkommen. Brasilien wurde international zu einem einflussreichen Akteur in Verteidigung der gerechten Sache und zu einem Förderer der lateinamerikanischen und karibischen Integration.

Die putschende Opposition sucht den Zyklus der volksnahen Regierungen der Arbeiterpartei zu schließen und so dem ein Ende zu setzen, was an sozialen Leistungen für das brasilianische Volk erreicht wurde, um eine neoliberale Regierung einzusetzen, die die Plünderung der natürlichen Reichtümer dieses lateinamerikanischen Bruderlandes durch große transnationale Unternehmen ermöglicht, insbesondere die seiner immensen Reserven an Erdöl, Mineralien, Wasser und Artenvielfalt und die ihre Außenpolitik den hegemonischen imperialen Interessen unterordnet.

Dieser Putsch gegen die brasilianische Demokratie ist Teil einer reaktionären Gegenoffensive der Oligarchie und des Imperialismus gegen die lateinamerikanische Integration und die progressiven Prozesse in der Region. Zudem ist sie auch gegen die Länder der sogenannten BRICS – Gruppe gerichtet, die eine wichtige Einheit von mächtigen Ökonomien bildet, die die Hegemonie des US- Dollar herausgefordert hat.

Das Außenministerium der Republik Kuba verurteilt energisch den parlamentarischen Staatsstreich, der in Brasilien stattfindet und unterstützt entschlossen das Volk und die legitime Regierung dieses Bruderlandes, sowie die Präsidentin Dilma Rousseff, in Verteidigung der politischen und ökonomischen Fortschritte und des während der Regierungen der Arbeiterpartei auf sozialem Gebiet Erreichten.

Havanna, 17. April 2016

Quelle: Granma / RedGlobe

Mensch und Müll 2016 – die verelendete Sklavennachfahrin von Sao Paulo/Brasilien. Mülltüten, Müllsäcke als einzige Kleidung – vergebliches Betteln um ein paar Münzen, keinerlei Zeichen von Solidarität mit dem Opfer von Rassismus, Neoliberalismus, vertiefter Wirtschaftskrise. ” „Man setzt sie mit Müll gleich. Und das Schlimme ist: Die Obdachlosen sagen selber schon, ich bin kein Mensch, ich bin Müll.” Sandra Stalinski, Missionarin auf Zeit aus Deutschland. **

FrauMüll1Müllsäcke an Sao Paulos “Avenida Paulista” der Großbanken und Shopping Center – oder ein verelendeter Mensch?

Rund zwei Monate vorher:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/12/28/brasilien-2015-die-krise-und-die-alltagsdramen-halbnackte-obdachlose-sklavennachfahrin-nur-mit-plastetuetenresten-notduerftig-bekleidet-bettelt-auf-stadt-avenida-von-sao-paulo-reichste-stadt-lat/

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Brasilien – US-Hinterhof, strategischer Partner der Merkel-Gabriel-Regierung…

Nicht ungewöhnlich, wenn einem in Amazonasstädten wie Manaus nachts in der Hafenregion eine völlig nackte, verelendete Frau auf der Straße begegnet. 

http://www.hart-brasilientexte.de/2016/02/12/brasiliens-aktuelle-epidemien-2016-starke-zunahme-bei-denguefieber-faellen-laut-offiziellen-angaben/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/05/brasilien-%E2%80%93-kirche-und-gesellschaft-sammelbandtexte/

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/11/22/brasilien-die-barbarischen-regeln-des-organisierten-verbrechens-von-sao-paulo-hat-ein-drogensuchtiger-der-slums-drogen-schulden-bei-den-dealern-werden-ihm-sofort-die-schulden-erlassen-wenn-er-e/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/05/brasilien-%E2%80%93-kirche-und-gesellschaft-sammelbandtexte/

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/11/22/brasilien-die-barbarischen-regeln-des-organisierten-verbrechens-von-sao-paulo-hat-ein-drogensuchtiger-der-slums-drogen-schulden-bei-den-dealern-werden-ihm-sofort-die-schulden-erlassen-wenn-er-e/

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Gelegentlich ein paar Münzen ergattern durch Sammeln von Alubüchsen, Flaschen…

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Weiterziehen im Tropengewitter.

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Hintergrund von 2008:

Sao Paulo – Reichtum, Elend, Obdachlose. Hedwig Knist, Sandra Stalinski. **

Bei Brasilien denken die meisten Europäer immer zuerst an Rio de Janeiros kleine Schokoladenseite, den Zuckerhut, den Copacabanastrand, Samba und Karneval. Dabei ist das 430 Kilometer entfernte subtropische Sao Paulo zwar keineswegs schöner, aber viel interessanter und nicht nur Brasiliens, sondern ganz Lateinamerikas Kultur-und Gastronomiehauptstadt. Hier dirigierte John Neschling das beste Sinfonieorchester Lateinamerikas, hier leben die populärsten Musiker des Tropenlandes “ das Sertaneja-Duo Zeze di Camargo und Luciano. Hier werden jährlich an die tausend Theaterstücke inszeniert.

Nicht zufällig bildet das kosmopolitische Sao Paulo vor Rio den wichtigsten touristischen Anziehungspunkt des Tropenlandes. Viel mehr Deutsche steuern Sao Paulo an, nicht Rio. Die nach Tokio und Mexico-City drittgrößte Stadt der Welt ist zudem Lateinamerikas Industriemetropole, zählt an die tausend deutsche Unternehmen und erwirtschaftet ein höheres Bruttosozialprodukt als ganz Argentinien. Extreme Sozialkontrasten fallen indessen beinahe überall ins Auge –  auch die über zweitausend Slums sind nicht zu übersehen. Sao Paulo zählte einmal zu den schönsten Städten des Erdballs –  hemmungslose Geldgier, kollektive Unvernunft und provozierender Individualismus haben sie in eine der häßlichsten verwandelt. Sao Paulo ist heute auch Symbol lateinamerikanischen Sozialdarwinismus. Manche verdrängen lieber, schauen nicht hin –  doch die Situation der marginalisierten Paulistanos, darunter der Obdachlosen, schockiert.

„Unser Land ist besudelt von Korruption, Gewalt und Lügen”, ruft Padre Julio Lancelotti vor der Kathedrale von Sao Paulo aus und ärgert damit manche Vorübergehenden. Übertreibt der Kirchenmann nicht unverschämt? Aus dem Präsidentenpalast in Brasilia kommen schließlich permanent positive Nachrichten über Wirtschaftswachstum, Rekordausfuhren und sozialen Fortschritt, was auch in Europa Beifall findet.  Doch Lancelotti zählt zu Brasiliens führenden Menschenrechtsaktivisten, kordiniert in Sao Paulo das weltweit einzige Vikariat für Obdachlose und sieht die riesigen, entsetzlichen Slums an den Peripherien der Millionenstädte auch unter der Lula-Regierung immer rascher wachsen. Vor der Kathedrale prangert er mit Gleichgesinnten an, daß ein im August 2004 an Obdachlosen verübtes Massaker immer noch nicht aufgeklärt ist, tatverdächtige Militärpolizisten unbehelligt bleiben. Acht Männer und Frauen wurden damals mit Eisenstangen totgeschlagen, weiteren sechs wurde der Schädel zertrümmert –  doch sie überlebten. „Das Blutbad gehört zur Schande Brasiliens”, so Lancelotti, „selbst Sklavenhalterkultur und Folter existieren weiter.” Der Padre erhält Morddrohungen, wurde mehrfach von Unbekannten attackiert, man setzte sogar einen bezahlten Killer auf ihn an. „Jetzt fürchten wir mehr denn je um sein Leben”, sagt die Deutsche Hedwig Knist, die seit acht Jahren in Sao Paulo die katholische Obdachlosengemeinde nahe dem Luz-Bahnhof leitet. Wegen der zunehmenden Arbeitslosigkeit verlieren immer mehr Familien ihre Bleibe, kampieren direkt an der Gemeindekirche, unter den vielen Hochstraßen Sao Paulos –  Szenen wie in Haiti, Kalkutta oder Lagos. Den Bessergestellten sind die Verelendeten vor allem in der City ein Dorn im Auge. An Lateinamerikas Leitbörse, protzigen Bankenpalästen, Oper und Pinakothek, Shopping Centers und Nobelrestaurants ärgern sich High Society und Schickeria über die zerlumpten, verzweifelten, teils übelriechenden und psychisch gestörten Gestalten, wollen von denen nicht angebettelt werden. Die Stadtverwaltung will deshalb das Zentrum  von ihnen säubern. „Die sollen alle weg, an die überfüllte Peripherie, werden teilweise rausgeprügelt”, so Hedwig Knist, „immer mehr Obdachlose und Straßenkinder werden mißhandelt.” Natürlich wenden sich die Erzdiözese und ihre Obdachlosenseelsorge gegen eine solche Vertreibungspolitik, pochen auf die Menschenrechte der „Moradores da Rua”(Straßenbewohner). „Deshalb werden wir von den Autoritäten gehaßt.” Die Gemeindereferentin aus der Diözese Mainz macht interessante Rechnungen auf: Allein in der City stehen vierzigtausend Wohnungen leer –  mehr, als es Obdachlose in Sao Paulo gibt. Würde jede Firma der lateinamerikanischen Wirtschaftslokomotive einem einzigen Obdachlosen Arbeit geben, wäre das Problem aus der Welt. Was auch Hedwig Knist besonders provoziert: Sao Paulo ist Lateinamerikas reichste Stadt, Brasilien immerhin die zehnte Wirtschaftsnation – genügend Geld für Soziales ist de facto vorhanden. Spenden aus Deutschland wären gar nicht nötig. Doch im neoliberal regierten Brasilien wollen die Betuchten nicht abgeben, ist eine gerechtere Einkommensverteilung nicht in Sicht. Ohne Spenden kirchlicher deutscher Hilfswerke wie Adveniat wäre auch wirkungsvolle Obdachlosenbetreuung nicht möglich. „Hedwig hat mir Auswege gezeigt, mich in Momenten der Schwäche und Unsicherheit bestärkt, bis ich es geschafft habe”, sagt Eliana de Santana. „Mit meiner kleinen Tochter lebte ich im Dreck –  doch dank Hedwig und ihren Gemeindeprojekten konnte ich öffentliche Gesundheitsbetreuerin werden, habe jetzt eine winzige Wohnung.” Sie kümmert sich in der City um kranke Obdachlose, erzwingt notfalls deren Behandlung in Kliniken. „Straßenbewohner werden diskriminiert – eine Frau hat man vor der Hospitalpforte sterben lassen!” Hedwig Knist umarmt vorm Gottesdienst die über dreißigjährige Berenice. ”Zehn Jahre hauste sie wie ein Tier zwischen Müll” –  jetzt macht sie Abendschule, arbeitet in der Gemeindewerkstatt, lebt in einem Wohnprojekt.

Obdachlose in Deutschland –  Obdachlose im riesigen Brasilien –  überhaupt kein Vergleich. Jene wenigen, die in deutschen Fußgängerzonen, auf Straßen und Plätzen betteln, schlafen, herumhängen, sind gegenüber ihren brasilianischen Schicksalsgenossen geradezu in einer luxuriösen Situation. Niemand käme auf die Idee, an denen von Berlin, Frankfurt oder München Massaker zu verüben, sie lebendig zu verbrennen, gar beim Vorbeifahren aus dem Auto heraus zu erschießen. In Brasilien ist das alltäglich, Sandra Stalinski aus Aschaffenburg erlebt es als „Missionarin auf Zeit” mit. „Von den Opfern in Sao Paulo habe ich einige gut gekannt, alles hilflose Menschen, die Schwächsten der Schwachen, gezielt ausgesucht. Ich bin deshalb psychisch richtig zusammengebrochen, habe stundenlang geweint. Die Tatorte sind ja immerhin mein Arbeitsbereich. Das Massaker, denke ich, wurde aus politischen Gründen kurz vor Kommunalwahlen inszeniert, um es politisch auszuschlachten.” Denn Sandra Stalinski macht der ganze Medienrummel um den Fall stutzig, die gegenseitigen Anschuldigungen der Politiker. Soviel öffentliche Resonanz sei nicht normal, man hätte alles auch unter den Tisch kehren können.

–„Ich bin kein Mensch, ich bin Müll”

Wie üblich, wenn es „Sem-Teto”, Obdachlose, trifft, die häufig von der autoritären, egozentrischen Gesellschaft Brasiliens wie Nicht-Menschen betrachtet werden. „Man setzt sie mit Müll gleich. Und das Schlimme ist: Die Obdachlosen sagen selber schon, ich bin kein Mensch, ich bin Müll.” Um so nötiger ist soziale Betreuung, die „Missionaria” Stalinski nicht etwa weit entfernt an der Slumperipherie, sondern sogar mitten in der modernen City, neben dem pompösen Gebäude der lateinamerikanischen Leitbörse und den Großbanken, unweit feiner Manager-Restaurants, leistete. Oder selbst auf den Stufen der Kathedrale, oft gleich unter Gruppen tief verzweifelter, teils stark betrunkener Obdachloser. Unter all den Menschenmassen quält diese, einsam, ausgestoßen, ausgeschlossen zu sein –  um so dankbarer für Hilfe, ein tröstendes Wort, ein Gespräch.

„Auf dem Platz davor sieht man alles –  Überfälle, Streit und Tod.” Denn die skandalösen Sozialkontraste Brasiliens liegen noch so offen wie zur Sklavenzeit: Manager in feinem Tuch, aufgeputzte Chefsekretärinnen kreuzen in Sao Paulos Innenstadt tagsüber alle paar Schritte Obdachlose, Bettler, Verkrüppelte, gar alte, zerlumpte schwarze Frauen, die sich ächzend vor hochbeladene Lastkarren spannen. Das Massaker geschah just in der trubeligen City –  nur zu viele der Privilegierten haben sich an den Anblick jener etwa 16000 Straßenbewohner Sao Paulos, „Moradores da Rua”, schlichtweg gewöhnt, nehmen sie kaum noch wahr, unglaubliche Indifferenz dominiert. In Deutschland gäbe es nach solchen Untaten einen öffentlichen Aufschrei –  hier stößt Sandra Stalinkski sogar während eines kleinen Protestmarsches auf offene Abweisung –  ihre Flugblätter werden von nicht wenigen Schlipsträger aus Banken, Geschäftshäusern abgelehnt:”Nee, kannste behalten, interessiert mich nicht. Da ist mir die Galle hochgekommen –  soviel Ignoranz!” Obdachlosen, so sagen viele, „verschmutzen” das Stadtbild, verrichten ihre Notdurft überall –  auch wegen ihnen stinkt es in den brasilianischen Großstädten vielerorts barbarisch nach Urin und Menschenkot.

Sandra Stalinski arbeitete vorwiegend in einem Nachtasyl für 120 Männer, wird zwangsläufig Expertin in hausgemachter brasilianischer Sozialproblematik, auch brasilianischer Religiosität. Denn überall stößt sie auf einen ihr völlig neuen Bezug zu Gott:”Die Brasilianer sind viel religiöser als wir Deutschen, leben den Glauben wesentlich emotionaler, feiern Gottesdienste viel gefühlvoller, mit Liedern und Gesten. Man tanzt dort sogar, was ich gleich gar nicht kannte. Auch die Obdachlosen sind religiös und sagen, daß es letztendlich in Gottes Hand liege, ob sie sich aus dieser Situation befreien können. Sie sind fatalistisch, passiv, finden sich mit ihrem Schicksal ab, meinen, daran nichts ändern zu können. Ihre Lage sei scheinbar Gottes Wille. Und so eine Haltung kritisiere, hinterfrage ich natürlich.” Doch kaum Resonanz, wie die Missionarin verkraften muß. „Mit denen darüber zu reden, ist ganz schwierig, da habe ich eigentlich keine Chance.” Sie beobachtet zudem, wie sogar direkt vor der Kathedrale tagtäglich zahlreiche Sektenprediger agieren, mit der Bibel in der Hand allen Ernstes wie wild herumspringen. Das einerseits so moderne Sao Paulo ist auch Zentrum archaischster Wunderheiler-und Exorzisten-Sekten, die man bestenfalls weit im Hinterland vermutet hätte. „Ich empfinde das schockierend, laufe in den Straßen an Hallen vorbei, wo gerade ein Sektenpriester schreit, über den Satan spricht. Manche Obdachlose erzählen von Sekten, haben einen sehr fundamentalistischen Glauben, nehmen die Bibel wortwörtlich. Bei ihnen hat jedes zweite Wort mit Gott zu tun. Auf der Straße, unter den Obdachlosen gibts alle möglichen Religionen, wahnsinnig viele Freikirchen. Wir sind daher in den Projekten von „Rede Rua” ökumenisch, nicht nach einer bestimmten Religion ausgerichtet, halten keinen rein katholischen Gottesdienst, aber Gebetsstunden ab, feiern natürlich religiöse Feste wie Ostern und Weihnachten. Ganz besonders wichtig für die Bewohner der Straße.”

Die ganze zwiespältige, komplexe, widersprüchliche Obdachlosenproblematik wird von der Missionarin sachlich, illusionlos gesehen, ohne sozialromantische Scheuklappen. Da in Brasilien ein soziales Netz wie in mitteleuropäischen Ländern fehlt, geht der Absturz in die Obdachlosigkeit ganz rasch, oft von heute auf morgen. ”Man verliert die Arbeit, dann ganz schnell auch die Wohnung “ und wohin dann? Auf die Straße.” Andere sind aus tausende Kilometer entfernten Regionen Brasiliens quasi nach Sao Paulo eingewandert, hofften in der Industriestadt auf einen Job, hörten wohl nichts von grassierender Rekordarbeitslosigkeit.

–Machismus, Alkoholismus und harte Drogen”

„Wenn Ehen auseinanderbrechen, gehen die Männer oft aus Wut und Trotz einfach weg, landen auf der Straße – fast nie die Frauen. Das hat viel mit dem lateinamerikanischen Machismus zu tun. Die Männer sind unheimlich stolz, sehr machistisch, sehen es nicht ein, etwa ihren Teller abzuwaschen, ihre Sachen zu säubern. Und bei Entlassung halten sie es einfach nicht aus, daß die Frau für den Lebensunterhalt der Familie sorgt –  und flüchten einfach, greifen zur Flasche.” Absurderweise ist simpler Zuckerrohrschnaps, Cachaca, in Brasilien billiger als Milch –  was würde sich in Deutschland abspielen, wenn der Liter Wodka oder Korn weit weniger als einen Euro kostete? „Für die brasilianischen Männer ist es fast normal, Cachaça zu trinken und in einer schwierigen Situation in den Alkoholismus abzurutschen.” Kokain, Crack kosten im Vergleich zu Deutschland ebenfalls nur Spottpreise, sind daher selbst für Slumbewohner erschwinglich. Schnaps, Rauschgift dienten zum Ruhigstellen von Problemgruppen, etwa Strafgefangenen, würden deshalb in die Knäste bewußt hineingelassen –  sagen selbst katholische Pfarrer. „In unserem Nachtasyl sind 98 Prozent alkohol-oder drogenabhängig”, so Sandra Stalinski, „ein Problem, mit dem wir ganz viel zu kämpfen haben, das sie aber nicht thematisieren.” Abends deshalb immer dasselbe Ritual: „Wenn die Leute unheimlich betrunken ankommen, würden sie in der Herberge Streit anfangen, gäbe es Konflikte. Also lassen wir sie erst vor der Tür warten, etwas nüchterner werden.” Bei den Männern stößt sie teils auf tiefste Verwahrlosung, gar Verrohung –  auf einen Teufelskreis, nur ganz schwer zu durchbrechen. Denn das Leben auf der Straße ist unbeschreiblich hart, auch grausam:”Da kann man nicht zartbesaitet sein, da muß man auch zum Messer greifen und töten, um sein eigenes Leben zu schützen –  diese Leute leben in einer ganz anderen Welt.” Viele lehnen es ab, nachts eine Herberge aufzusuchen, weil sie sich dort bestimmten Gemeinschaftsregeln unterwerfen müßten:”Da wird man nur gedemütigt, ich bin doch kein Hund, der an der Kette laufen muß!” Sie schlafen lieber in der „Freiheit” der Straße, trotz aller Gefahren. Doch jenen „Sem-Teto”, die in Sandra Stalinskis Asyl kommen, soll ihre Autonomie, Selbständigkeit wiedergeben werden –  dafür dienen die Seelsorge, die unzähligen stundenlangen nächtlichen Einzelgespräche, all die Kurse. „Wir wollen nicht, daß sich die Leute an das Straßenleben gewöhnen, nur jeden Abend im Asyl essen, duschen, schlafen, ohne etwas dafür tun zu müssen. Das kann zu einer Form von Bequemlichkeit werden. Es gibt Leute, die das Asyl als angenehme Möglichkeit empfinden, Geld einzusparen –  weil sie weniger verdienen oder auch weniger arbeiten.” Sandra Stalinski macht mit allen Kunstworkshops, malt, zeichnet mit ihnen, entdeckt die unglaublichsten Talente. Was denken sie über Deutschland? „Das Paradies, das gelobte Land, wo jeder reich ist, das Geld schier vom Himmel fällt.” Doch was weiß der deutsche Normalbürger über Brasilien? „Fußball, Samba, Caipirinha, Rio de Janeiro und die Strände als weltweit verkauftes Markenzeichen –  das Elend hier ist in Deutschland niemandem bewußt.”

An der Peripherie Sao Paulos wachsen die Slums um über zehn Prozent jährlich, das Obdachlosenproblem verschärft sich zunehmend. „Weitere Massaker können geschehen”, schreibt die kleine Zeitung des „Rede-Rua”-Hilfswerks, bei der Sandra Stalinski ebenfalls mitarbeitet. „Präfektur, Staat und die Obdachlosen selber müssen endlich aktiv werden!”

In Rio de Janeiro ist die Lage keineswegs anders –  die nach dem Diktator, Judenhasser und Hitlerverehrer Getulio Vargas benannte City-Avenida wird nachts zum Schlafsaal. Auf einem Kilometer nächtigen stets rund zweihundert Obdachlose. In Sao Paulo sprießen überall „Mini-Favelas” gar an Straßenecken, Fabrikmauern. Diözese-Soziologin Eva Turin analysiert, daß die Gesellschaft heute abgrundtief individualistisch, immer weniger solidarisch sei. Daß die Gutbetuchten der besseren Viertel ihren Konsumismus, den zunehmend stärker konzentrierten Reichtum nicht etwa verstecken, sondern sogar immer offener zur Schau tragen, sei „eine Aggression, eine Provokation, ein direkt obszöner Akt gegenüber den Armen.” So wie an der Avenida Paulista –  „der eine liegt krank vor Hunger auf der Straße, der andere fährt mit dem Importauto für hunderttausend Dollar vorbei.” Eva Turin meint, daß die Mittel-und Oberschicht diese Sozialkontraste bewußt verdrängt.

Marcio Pochmann, renommierter Wirtschaftsexperte, sieht einen Zusammenhang zwischen Bereicherung und Dekadenz. Die Reichen von heute entstammten immer weniger den legalen produktiven Sektoren der Gesellschaft, Geldgier mache sie zunehmend entfremdeter. Der Prozeß unproduktiver Bereicherung gehe unverändert weiter, damit auch die sozioökonomische Dekadenz im Lande.

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Obdachloser, stark abgemagert und geschwächt, bei Apriltemperatur 2016 von 15 Grad, ohne Hemd, in Lateinamerikas reichster Stadt Sao Paulo. Die Erfahrung zeigt, daß Menschen dieses Elendsstadiums rasch Opfer einer Unterkühlung oder irrationaler Gewalt werden, diese gar ein Auto überrollt. Mangels Ausweispapieren, fehlender staatlicher Bemühungen um eine Identifikation werden tote Verelendete dann gewöhnlich in Massengräber geworfen. Der Mann sieht täglich, wie Madames ihre wohlgenährten, exzellent gepflegten Hunde an ihm vorbeiführen – er kann als Mensch nicht erwarten, wenigstens annähernd so gut behandelt zu werden wie ein Hund. Sozialdarwinismus pur, neoliberale Herzenskälte allerorten.

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http://das-blaettchen.de/2010/08/brasiliens-massengraeber-2172.html

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/11/22/brasilien-die-barbarischen-regeln-des-organisierten-verbrechens-von-sao-paulo-hat-ein-drogensuchtiger-der-slums-drogen-schulden-bei-den-dealern-werden-ihm-sofort-die-schulden-erlassen-wenn-er-e/

Die Ära der Desinformation, “Era da Desinformacao” – Stephen KaDer Mann sieht täglich, wie Madames ihre wohlgenährten, exzellent gepflegten Hunde an ihm vorbeiführen – er kann als Mensch nicht erwarten, wenigstens annähernd so gut behandelt zu werden wie ein Hund. Sozialdarwinismus pur, neoliberale Herzenskälte allerorten.nitz. “Die Inszenierung der Politik in den Medien” – Ulrich Saxer, Publizistikwissenschaftler, Universität Zürich. Joachim Gauck und Guido Westerwelle in Brasilien. **

http://www.kanitz.com/veja/era_da_informacao.asp

Ulrich Saxer, Publizistikwissenschaftler: “Das Ereignismanagement zur Erreichung einer wunschgemäßen Medienpräsenz stellt ein strategisches Instrument der politischen Akteure dar.

Während Journalisten Gefahr laufen, quasi instrumentalisiert zu werden, ist bei der Nutzung der technologischen Innovation zur Erreichung der unterschiedlichen Ziele gleichzeitig ein symbiotisches Verhältnis zwischen Medienwirtschaft und Politik zu beobachten…Unter den Nachrichtenwerten hat sich im Gefolge szenischer Medien derjenige der Personalisierung, der Anbindung des politischen Geschehens an bestimmte Persönlichkeiten und deren Eigenschaften, weiter an Gewicht gewonnen, gewissermaßen umgekehrt proportional zur wachsenden Abstraktheit durchorganisierter moderner Politik…Daß all dies der Erhöhung der Rationalität von demokratischer Politik dienlich sei, darf füglich bezweifelt werden. Und wie sehr diese unter dem Einfluß von Multimedia gar noch zum virtuellen Theater verkommt, wird die Zukunft weisen.”

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/26/pressefreiheit-in-brasilien-von-58-auf-99-platz-zuruckgefallen-auf-welt-ranking-von-reporter-ohne-grenzen/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/26/brasiliens-autor-und-filmemacher-paulo-linscity-of-god-zur-pressefreiheitwurde-ich-die-realitat-so-schildern-wie-sie-ist-konnte-man-das-garnicht-publizieren/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/05/brasiliens-zeitungen-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/

Brasiliens sichtlich erfolgreiche Auslandspropaganda: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/01/brasiliens-erfolgreiche-auslandspropaganda-2009-uber-40-millionen-euro-investiert-laut-brasil-economico-enge-zusammenarbeit-mit-medien-europas/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/10/10/medienqualitat-heute-weitere-gezielte-niveauabsenkung-konstatiert-und-offenbar-wissen-wir-trifft-der-trend-allgemein-zu-der-in-der-schweiz-beobachtet-wurde-von-der-gesellschaft-und-der-welt-im/

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Joachim Gauck in Brasilien:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/17/brasilien-historischer-besuch-des-deutschen-bundesprasidenten-joachim-gauck-im-tropenland-trotz-gravierender-menschenrechtslage-folter-todesschwadronen-gefangnis-horror-sklavenarbeit-etc-b/

Guido Westerwelle in Brasilien:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/12/26/guido-westerwelle-war-gestern-der-spiegel-westerwelle-in-brasilien-keinerlei-kritik-an-gravierenden-menschenrechtsverletzungensystematische-folter-todesschwadronen-liquidierung-von-menschen/

Wer hatte Recht – der brasilianische Systemkritiker oder Lob-und-Hudel-Steinmeier(SPD) neben Lula? Systemkritiker Machado hatte Spruchbänder entrollt: “Brasilien ist das Land der Korruption – Brasilien verbreitet Lügen über seine wirtschaftliche Realität”.

Im Website-Interview des August 2015, kurz vor dem Eintreffen Merkels,  erinnert sich Marcelo Machado Pereira, der heute bei Sao Paulo als Informatiker tätig ist, noch einmal an die näheren Umstände seines Protestes – und wie ihn SPD-Funktionäre aus der Steinmeier-Lula-Veranstaltung wiesen, ihm die Protestplakate wegnahmen. Pereira sieht Parallelen zwischen der SPD-CDU-Koalition in Berlin und dem Regierungsbündnis zwischen Lulas Arbeiterpartei PT und PMDB in Brasilia. Er bekräftigt seine Kritik an in-und ausländischen Medien, die Brasiliens wirtschaftlich-politische  Realität falsch darstellen. Bemerkenswert, daß die gewöhnlich so auf Dissidenten versessene deutsche Journaille 2012, die Tagesschau, andere Staatsfunksendungen,  nicht die Gelegenheit ergriffen, um mit Pereira sofort Interviews zu führen…Während seines Deutschland-Aufenthalts hatte Pereira erstaunt, amüsiert, daß nicht wenige politisierte Deutsche Lula regelrecht für einen “Gott” hielten – “obwohl doch Deutschland gar kein spirituelles Land ist. Lula wurde von diesen Leuten ein Heiligenschein verpaßt”, seien absurde Mythen über Lula kultiviert worden. 

Wer sich die Mühe macht, einmal die Kritik von Marcelo Machado Pereira von 2012 mit dem damaligen Lob-und Hudel-Brasilien-Agitprop des straff gesteuerten deutschen Mainstreams zu vergleichen, kommt ins Staunen…Berufslügner von damals sind weiter in Amt und Würden.

“Südamerikas Vorzeigestaat”. Illustrierte DER SPIEGEL 2012, im Jahre des Protests von Marcelo Machado Pereira.

Lula in Berlin 2012 – brasilianischer Systemkritiker “rasch entfernt” aus Steinmeier-Veranstaltung:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/12/07/brasiliens-ex-prasident-lula-in-berlin-diskussion-mit-frank-walter-steinmeier/

Lula 2016 – die Bundespolizei führt ihn zum Verhör ab, durchsucht sein Haus – eine Positionierung von SPD-Steinmeier?

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SPD-Politiker Steinmeier und Lula 2012 in Berlin – heikle Menschenrechtsfragen, darunter die fortdauernde Folter, Todesschwadronen, Scheiterhaufen, Sklavenarbeit. gravierender Rassismus etc.  offenbar bewußt ausgeklammert. Das offizielle Thema der Steinmeier-Lula-Veranstaltung: “Auf dem Weg zur Weltmacht: Brasiliens Rolle in der globalen Ordnung”. Bekanntlich kann von einem Weg Brasiliens auf dem Weg zur Weltmacht keine Rede sein, wie bereits 2012 die Basisdaten und Basisfakten des Landes zeigten.

Aus der Veranstaltungsanzeige:In wenigen Jahren wird Brasilien zu den fünf wichtigsten Volkswirtschaften der Welt zählen. Auf der internationalen Bühne hat sich Brasilien als global player etabliert, der seine Interessen selbstbewusst vertritt.”

Ausriß.http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/

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Offizielles Regierungsfoto – Steinmeier und Dilma Rousseff 2015 in Brasilia.

Meinungsführer, Machteliten, gesteuerte Medien:

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“Ich glaube, ihr seid auf einem fabelhaft gutem Wege.” Schmidt zu Lula 2009 in der Merkel-Stadt Hamburg…Ausriß. 2016 wird Lula von der Bundespolizei zum Verhör abgeführt, wird sein Haus durchsucht. Warum Lula unter hohen deutschen Politikern, in deutschen Islamisierungsparteien soviele Freunde, Unterstützer hat…

http://www.hart-brasilientexte.de/2014/12/05/bodo-ramelow-und-die-wertvorstellungen-seiner-spd-partner/

 

Schmidt:”Ich kenne Oskar Niemeyer – und ich habe einen großen Respekt vor ihm…Ich war einer, der dafür gesorgt hat, daß er den japanischen kaiserlichen Kunstpreis für Architektur bekommen hat. So habe ich Oskar Niemeyer in Tokio kennengelernt.”(Extrem stark beschnittenes Gespräch Schmidt-Lula auf youtube)

“Ist Brasilia unmenschlich?” DIE ZEIT 1967, Helmut Schmidt/SPD ist noch nicht Mitherausgeber, steuert noch nicht die Inhalte:http://www.zeit.de/1967/50/ist-brasilia-unmenschlich/komplettansicht?print=true

Oscar Niemeyer und das Massaker an Bauarbeitern während der Errichtung von Brasilia:

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/11/11/brasilia-50-und-das-massaker-an-bauarbeitern/

 Lula bei Schmidt in Hamburg. http://www.hart-brasilientexte.de/2015/11/11/helmut-schmidt-2015-gestorben-mainstream-verbreitet-falschmeldungen-kuriose-mythen-schmidt-hatte-angeblich-den-damaligen-gewerkschaftsfuehrer-lula-begehrt-bei-unternehmern-als-verhandlungs-und-g/

Annette Schavan, Deutschlands Bildungs-und Forschungsministerin, mit Brasiliens Forschungsminister Sergio Rezende in Sao Paulo. “Mit Brasilien die Fragen der Zukunft beantworten.” Brasilien liegt auf dem UNO-Index für menschliche Entwicklung weit abgeschlagen nur auf Platz 84. **

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/04/14/annette-schavan-deutschlands-bildungs-und-forschungsministerin-in-sao-paulo/

In der UNESCO-Bildungsstatistik liegt Deutschland auf Platz 13, Brasilien nur auf Platz 88. Entsprechend gering ist in Brasilien u.a. das Verständnis für deutsche Kultur – erheblich größer in Ländern Lateinamerikas, die bessere Plätze belegen.  http://www.unesco.org/new/fileadmin/MULTIMEDIA/HQ/ED/pdf/gmr2011-efa-development-index.pdf

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Hausen  an stinkender Kloake 2011 – in Lateinamerikas reichster Stadt Sao Paulo. “Ich lebe hier schon 14 Jahre so in dieser Kate.”(Mutter von vier Kindern)

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/07/brasiliens-boom-und-die-slumhutten/

 Rezende zur Atomenergie: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/29/%e2%80%9eatomenergie-erweist-sich-als-alternative-%e2%80%93-fahig-dazu-den-bedarf-selbst-in-grosen-dimensionen-zu-decken-in-sauberer-und-sicherer-weise-die-regierung-von-prasident-lula-unterstutzt/

Willy Brandt und sein Diktatur-Amtskollege José Magalhaes Pinto:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/19/brasiliens-folter-diktatur1964-1985-mit-wem-bundesausenminister-willy-brandt-damals-bilaterale-vertrage-unterzeichnet-das-massaker-an-stahlarbeitern-unter-gouverneur-jose-magalhaes-pinto/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/14/steinigen-im-iran-unter-ahmadinedschad-und-in-brasilien-unter-lula-lula-konnte-sich-uber-die-tatsache-beunruhigen-das-brasilien-zu-den-landern-gehort-in-denen-am-meisten-gelyncht-wird-jose/

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Bundespräsident Horst Köhler in Sao Paulo.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/01/09/todesschwadronen-in-brasilien-menschenrechtspolitik-unter-lula-rousseff-polizisten-kommandieren-ausrottungskommandos-im-ganzen-land-viel-lob-aus-europa-fur-brasilias-kurs/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/07/05/scheiterhaufen-in-sao-paulo-mindestens-15-menschen-in-der-megacity-seit-jahresbeginn-lebendig-verbrannt-laut-landesmedien-fogo-para-matar-rivais/

http://www.deutsch-brasilianisches-jahr.de/de/184.php

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/05/brasiliens-zeitungen-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/

Katholischer Bischof Angelico Sandalo Bernardino in Sao Paulo 2011: “Brasiliens durchlebt derzeit eine enorme politische Krise. Brasilien ist zwar theoretisch eine Republik, doch die republikanischen Prinzipien werden mißachtet. In der Verfassung von 1988 heißt es, alle Brasilianer hätten die gleichen Rechte. Doch in Wahrheit ist dies eine Lüge. Es reicht aus, in die Slums zu gehen. Wir müssen uns von der Diktatur der wirtschaftlichen Macht befreien – und von einer politischen Macht, die sich der wirtschaftlichen Macht unterwirft.”

Der Unterschied zwischen der katholischen Kirche Brasiliens und den Staats-und Regierungskirchen Deutschlands ist sehr groß.

“Steinmeier gibt “Colonia Dignidad”-Akten frei”. Tagesschau, 27.4. 2016. “Während der Diktatur von Augusto Pinochet (1973-1990) diente die Siedlung zudem als Folterzentrum des Geheimdienstes.” Wann werden die wichtigsten Geheimakten zum Thema freigegeben, die zu den Folterdiktaturen in Brasilien und Argentinien, zur engen Zusammenarbeit von Willy Brandt, Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher mit diesen Regimes? Bemerkenswert, daß Grünen-Außenminister Joseph Fischer nichts zur Öffnung von hochbrisanten Geheimakten unternahm… **

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-04/colonia-dignidad-frank-walter-steinmeier-rede-auswaertiges-amt

http://www.hart-brasilientexte.de/2014/03/31/foltertechnologie-der-bundesrepublik-deutschland-fur-die-militardiktatur-brasiliens-regimegegner-ivan-seixas-direktor-der-gedenkstatte-memorial-des-widerstands-in-sao-paulo-bekraftigt-im-websit/

http://www.hart-brasilientexte.de/2016/04/06/willy-brandt-airport-helmut-schmidt-airport-gar-hans-dietrich-genscher-airport-kuriose-mythenbildung-verschweigen-von-biographie-fakten/

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Diktaturopfer – getötete Regimegegnerin, Foto von kirchlichen Menschenrechtsaktivisten Brasiliens.

Wie die Militärdiktatur Frauen folterte:    http://www.hart-brasilientexte.de/2013/03/26/brasiliens-komplizierte-vergangenheitsbewaltigung-maria-amelia-de-almeida-teles-grauenhaft-gefolterte-regimegnerin-heute-mitglied-der-wahrheitskommission-

 http://www.hart-brasilientexte.de/2012/04/15/brasiliens-militardiktatur-uberlebende-von-verfolgung-und-folter-clarice-herzog-witwe-des-ermordeten-judischen-journalisten-vladimir-herzog-und-regimegegner-waldemar-rossi-heute-fuhrer-der-bisch/

Dimas Lins – Brasilien, Landesmentalität

Em Porto Alegre, desde o dia anterior, um homem velho está jogado numa maca no corredor de um hospital público e agoniza. Sem assistência médica, apesar da insistência dos parentes, ele morrerá em alguns minutos. Faltam leitos, médicos, medicamentos e solidariedade, embora sobrem justificativas injustificáveis por todos os lados.

No Rio de Janeiro, um jovem de classe média sobe o morro para conseguir mais drogas. Com seu dinheiro, traficantes compraráo novas armas e, entre elas, estará um fuzil AK-47 com capacidade para despejar 650 tiros por minuto. Dali a cinco dias, uma bala perdida disparada deste fuzil matará acidentalmente um jovem estudante morador do morro. Ele chegará em casa no momento em que policiais e bandidos trocaráo tiros na favela.

Numa esquina de Recife, uma professora, em poucos instantes, receberá uma bala na cabeça durante um assalto. Ela estará aguardando a luz verde do semáforo e tentará arrancar a toda velocidade ao perceber que uma arma está sendo apontada para a janela do seu carro. O ladráo fugirá, em seguida, carregando consigo uns poucos trocados e um celular.

Em Brasília, políticos rasgam diariamente a constituiçáo federal, e legislam em causa própria. Numa inversáo de papéis, estes servidores públicos servem-se daqueles a quem juraram servir, para aumentar suas riquezas, prestígio e poder.

Em poucas horas, numa favela em Salvador, um homem espancará seu filho de menos de um ano de idade até a morte. O pai alcoólatra alegará, em sua defesa, a irritabilidade causada pelo choro do bebê. O choro da criança virá da fome.

Em Belo Horizonte, na volta de um feriado, um motorista em alguns minutos atropelará um pedestre que caminha no acostamento. Preso em flagrante, ele alegará que apenas tentava fugir do engarrafamento e ganhar alguns minutos na viagem. O homem morto, um simples camponês, deixará mulher e filhos.

Em Sáo Paulo, uma empregada doméstica baterá contra a parede a cabeça de uma velha dona da casa, uma mulher sozinha presa a uma cadeira de rodas, e causará traumatismo craniano. Os filhos ficaráo horrorizados e esqueceráo que foram responsáveis por deixar a própria máe aos cuidados de ninguém.

Em Maceió, amanhá neste mesmo horário, um adolescente será assassinado por um cidadáo comum por haver molhado suas calças, enquanto passeava de bicicleta numa rua alagada da cidade.

Somos um país infecto, bacterializado e apodrecido. Corre em nossas veias um sangue contaminado de coisas vis. Valorizamos a individualidade, a covardia, o egoísmo, a corrupçáo e a violência. Em contraponto, desprezamos a boa vontade, o respeito à vida, a compaixáo e o amor ao próximo.

Somos um país de acomodados, de homens e mulheres voltados com os olhos para o próprio umbigo. Assistimos indiferentes à fome estender a máo nas janelas dos nossos carros, à miséria se deitar embaixo das marquises nas noites frias e à desesperança invadir os corações dos desprovidos do necessário.

Escondemos o sol dos desassistidos, semeamos a pobreza, cultivamos o desespero e colhemos bestialidades. Fingimos compaixáo, imaginamo-nos solidários, mas pregamos o abandono. Somos homens e mulheres vítimas e algozes da nossa própria brutalidade.

Faltam-nos a generosidade de desejar bom dia e o interesse sincero pelo outro, pois nos acostumamos ao ”cada um por si. Faltam-nos o desejo da felicidade alheia e o querer bem do outro, sem a expectativa da contrapartida.

Faltam-nos a sensatez, a civilidade, a caridade, o perdáo e o sacrifício. Faltam-nos Justiça, Estado e Governo. Faltam-nos coragem, vontade e indignaçáo. Faltam-nos compreensáo, amizade, razoabilidade e açáo. Faltam-nos ser homens e mulheres de verdade. Falta-nos vergonha. Falta-nos sensibilidade. Falta-nos desapego. Falta-nos serenidade. Falta-nos poesia. Falta-nos razáo. Falta-nos educaçáo. Falta-nos querer.

Faltam um gesto, um abraço, um aperto de máo e um sorriso. Faltam gratidáo aos pais e respeito aos desiguais. Falta-nos tolerância. Falta-nos esperança. Falta-nos carinho e atençáo. Falta-nos amar.

Há um desencanto em mim. Há também afliçáo e temor. Quero ter um filho e vê-lo acordar disposto. Quero levá-lo para brincar nas praças e nos parques da minha cidade, como eu fiz um dia. Quero vê-lo sorrindo, maravilhado com o mundo e encantado com as pessoas. Quero muito um filho, mas tenho medo de despertá-lo no país da delicadeza perdida.

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/03/24/der-mythos-von-der-herzlichkeit-des-brasilianers-ist-vorbei-wir-sind-eine-grausame-gesellschaft-joao-ricardo-moderno-prasident-der-brasilianischen-akademie-fur-philosophie/

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Ausriß. Scheiterhaufen in Rio de Janeiro, Zuschauer.

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Südddeutsche Zeitung, Klaus Hart 1999, “Brasilien”.

Silvester 2016 in Bolivien, das wie Brasilien ein Gewalt-Gesellschaftsmodell realisiert: 52-jährige Bolivianerin erleidet unter der Beschuldigung des Autoraubs “Lynchjustiz”, wird von Menschenmenge geschlagen, an einen Baum gefesselt, stirbt laut Landesmedien wegen giftigen Stichen von Baum-Ameisen.

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Ausriß. “Gerhard Wisnewski. ungeklärt – unheimlich – unfassbar. Die spektakulärsten Kriminalfälle 2013. KNAUR

“Moderne Scheiterhaufen aus Autoreifen”:

-http://www.deutschlandradiokultur.de/moderne-scheiterhaufen-aus-autoreifen.1013.de.html?dram:article_id=167263

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…auch die “Stadt der Scheiterhaufen”….

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Ausriß.

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TV-Ausriß, deutsche und brasilianische Politiker.

“Ich glaube, ihr seid auf einem fabelhaft guten Wege.” Helmut Schmidt(SPD) zu Lula 2009 in Hamburg…

“Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erhält den Eugen-Bolz-Preis 2017 für praktizierte christliche Verantwortung in der Politik. Merkel werde ausgezeichnet, weil sie auch unter Kritik und Anfeindungen zu ihrer Überzeugung stehe und Verantwortung übernehme, teilte die Eugen-Bolz-Stiftung am Montag in Rottenburg am Neckar mit. Der Preis wird am 1. Februar in Stuttgart überreicht. Die Lobrede hält der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx.” Kirche+Leben Netz

Militäreinsatz in den Slums/2006

In der Zuckerhutstadt São Paulo preschten Panzerwagen durch die Straßen und Kampfhubschrauber starteten: Die größten der rund achthundert Slums wurden besetzt. Kurz zuvor hatte ein Banditenkommando eine Kaserne überfallen und dabei zehn Maschinengewehre und eine Pistole erbeutet. Bei ähnlichen Attacken wurden Dutzende deutsche Sturmgewehre der Marke Heckler & Koch sowie Granaten, Landminen und Munition geraubt.
Doch die eingesetzten Soldaten waren den meist jugendlichen Banditen in ihren Hochburgen mit einem unüberschaubaren Gassenlabyrinth nicht gewachsen. Die Jungbanditen feuerten stets aus sicherem Versteck auf die eher schwerfälligen Soldaten – Schußwechsel hörte man sogar in der City. Ein Banditenchef sagte im abgehörten Sprechfunkverkehr seiner Miliz: »Da kommen sie – wir sind bereit zum Gefecht!« Es war eine mulmige Situation für das Militär, das sich teilweise hinter gigantischen Allegorienwagen des Karnevals verschanzte. Immer wenn die Soldaten wieder einmal erfolglos ein Armenviertel verließen, wurden sie von Bewohnern beschimpft und von Jugendlichen mit obszönen Gesten verhöhnt. Doch nach zwölf Tagen – oh Wunder – waren die geraubten Waffen auf einmal wieder da, die Aktion wurde abgebrochen. Der Militärsprecher erklärte, ein Informant habe die Soldaten zu dem Waffenversteck nahe der Traumstrände Rios geführt: »Das war ein Sieg der militärischen Aufklärung. Wir wenden nur dann Gewalt an, um Gefechte zu verhindern oder die Zivilbevölkerung vor größerem Unheil zu bewahren.«
Doch wie Brasiliens große Zeitung Folha de São Paulo meldete, ist die Sache völlig anders gelaufen. In Wahrheit hätten die Streitkräfte insgeheim mit dem Verbrechersyndikat Comando Vermelho verhandelt und vorgeschlagen: Ihr rückt die Waffen wieder heraus – und wir stoppen die Militäraktion und lassen euch in Ruhe. Das war durchaus im Sinne der Banditen, denn durch die Slumbesetzung war der Drogenhandel gestört worden. Seit dieser Enthüllung ist die Militärführung in Erklärungsnot. General Helio Macedo dementierte, daß es Verhandlungen oder gar ein Abkommen mit den Verbrechern gegeben habe. Die Folha de São Paulo hielt dagegen, daß beispielsweise im Slumkonglomerat Complexo do Alemao (Komplex des Deutschen) Offiziere mit Sprechfunkgeräten den Banditenkommandos Verhandlungsangebote gemacht hatten: »Unsere Mission ist, die geraubten Waffen wiederzuerlangen – wenn wir die haben, ziehen wir uns zurück.«
Nach dem Truppenabzug feierten sich die Banditenmilizen als Sieger. Zehntausende Mitglieder rivalisierender Verbrechersyndikate setzen ihre grausame neofeudale Diktatur über die Slumbewohner fort und lassen sich mit ihren brasilianischen, deutschen, schweizerischen, russischen und nordamerikanischen Maschinengewehren für die Titelseiten der Zeitungen ablichten. Der renommierte Historiker Josè Murilo de Carvalho, Mitglied der Dichterakademie Brasiliens, geht davon aus, daß »die Existenz des organisierten Verbrechens in den Slums die Politisierung der Bewohner blockiert, sie ruhig hält und eine Rebellion oder andere Protestaktionen verhindert. Die Gangsterkommandos dienen damit der Aufrechterhaltung von politischer Stabilität im Lande – und das ist den Autoritäten sehr recht, es ist gut für sie. Denn wegen der so hilfreichen Gangsterkommandos wird es keine soziale Explosion geben.«
Die Folha de São Paulo konstatierte, daß während des zwölftägigen Militäreinsatzes kein einziger Milizenboß oder Drogenhändler getötet oder verhaftet wurde. In anderen großen Zeitungen wird darauf verwiesen, daß das in den Slums konzentrierte Waffenarsenal nahöstliche Organisationen wie Al-Quaida vor Neid erblassen lasse. Um die Sicherheit beim jüngsten Konzert der Rolling Stones an der Copacabana zu garantieren, habe man ein riesiges Polizeiaufgebot in Marsch gesetzt. Doch in den Slums werde zugelassen, daß Unschuldige getötet würden.
Vor dem Karneval wurden im Slum Vigario Geral acht junge Männer von Banditen entführt, danach gefoltert, in Stücke gehackt und Schweinen als Futter gegeben. Fotos, die zeigen, wie freilaufende Schweine in Slums Ermordete auffressen, sind von Rios Presse bereits veröffentlicht worden, Menschenrechtsaktivisten Rios haben derartiges im Interview beschrieben. Im Februar hatten kurz vorm Karneval Banditenkommandos »zur Abschreckung« in einer belebten Straße von Rios Stadtviertel Engenho de Dentro zwei zerstückelte Leichen offen auf einem Wagen ausgelegt, einen abgeschlagenen Kopf auf die Kühlerhaube gestellt. Die Szenerie löste bei den Passanten keineswegs Entsetzen und Erschütterung aus, sondern Spott, Spaß, Scherze, Witzeleien, Spielereien und großes Hallo. Viele zückten spontan die Handys und ließen sich in »komischen, lustigen« Posen zusammen mit dem Kopf, den anderen Leichenteilen fotografieren, übermittelten die Bilder sofort an Hinz und Kunz. Kolumnisten der Qualitätszeitungen, aber auch Anthropologen und Soziologen sehen darin ein Zeichen für die Banalisierung des Lebens, für die Verrohung und die Brutalisierung in Brasilien unter Staatschef Lula. »Würde ich die Realität so schildern, wie sie ist, könnte man das gar nicht publizieren«, betont der schwarze Schriftsteller Paulo Lins, von dem die Buchvorlage für den Film City of God stammt, der auch in Deutschland mit Erfolg lief.

Panzer und Crack/2011

Der Militär-und Medien-Zirkus um die „Erstürmung“ und „Eroberung“ der Rio-Slumregion „Complexo do Alemão“ wäre schon jetzt ein heißes Thema auch für Deutschlands Kommunikationswissenschaftler – aber wie es aussieht, trauen sie sich nicht. Als „Farce“ hatten brasilianische Rechtsexperten und Menschenrechtspriester die Slumbesetzung vom letzten November verurteilt – und schneller als erwartet ausgerechnet von der Gegenseite die Beweise geliefert bekommen. Die schwerbewaffneten Banditenkommandos des organisierten Verbrechens sind rasch zurückgekehrt, zitieren Brasiliens Landesmedien aus vertraulichen Militärberichten. Die Gangster haben, wie es heißt, wieder Verkaufspunkte für harte Drogen installiert, der hochprofitable Rauschgifthandel geht perfekt neoliberal weiter. Der Terror gegen Bewohner des Parallelstaats der Slums ebenfalls – trotz Militärpräsenz sind mindestens vier Menschen ermordet worden. Eine Frau wird zur Abschreckung totgeschlagen, weil sie an der Plünderung eines Banditenhauses teilnahm – TV-Teams auch des Auslands hatten solche Volkszorn-Szenen am Start der Militäroperation gern gefilmt. Doch nun beklagen sich die Bewohner ausgerechnet über eine unzureichende Präsenz von brauchbaren Polizisten – von den Militärs würden die herumstreunenden Banditen gar nicht bemerkt. Viele Soldaten stammen ja just aus diesen Slums. Zudem seien 42 Militärpolizisten zwar wegen Raub, Erpressung und Übergriffen gegen die Bewohner angezeigt, doch bisher nicht bestraft worden.
Die militärische Besetzung ist Modell und Beispiel für das ganze Land, sagt der neue Justizminister Cardozo – hat er es gar böse-ironisch gemeint? Panzer, martialisch wirkende Militärpatrouillen, deren Fotos gern auch in die Erste Welt durchgeschaltet werden, sind den Angaben zufolge jedenfalls keinerlei Hindernis für die Banditenkommandos des organisierten Verbrechens. Das mag für Mitteleuropäer bizarr, grotesk, unglaublich erscheinen, für unsereinen hier ist es banale Normalität.
Immer wieder wird in der Ersten Welt behauptet, in den lateinamerikanischen Ländern zeige sich deutlich, dass die bisher praktizierte Drogenbekämpfung per Polizei und Militär nichts bringe, man sich andere Konzepte überlegen müsse. Was denn für eine Drogenbekämpfung, möchte man gegenfragen. In der Banken-City von Sao Paulo beispielsweise, der führenden Wirtschaftsmetropole Lateinamerikas, wird Crack, die zerstörerischste harte Droge, direkt neben Polizeipräsidien, Polizeiwachen massenhaft und offen verkauft und ebenso offen gleich von Hunderten konsumiert. Die Beamten im Hauptsitz der Stadtgendarmerie schauen direkt auf eine kilometerlange Straße, in der sich ganze Horden grauenhaft verwahrloster und abgemagerter Gestalten mit Crack zügig ins Jenseits befördern. Manche Brasilianer fragen daher, ob es nicht eher so ist, dass die Sicherheitskräfte, von Ausnahmen abgesehen, der unter Staatschef Lula aufgeblühten Crack-Branche eine ordentlich-angenehme Abwicklung der Geschäfte garantieren. 1,2 Millionen Brasilianer sind laut Expertenschätzungen bereits Crack-süchtig. Kenarik Felippe von der angesehenen nationalen Richtervereinigung für Demokratie (AJD): „Der Staat ist ins organisierte Verbrechen verwickelt. Besonders die Slumbewohner leiden stark unter der Gewalt durch Polizei, paramilitärische Milizen und die Banditenkommandos. Im ganzen Land, und nicht nur in Rio de Janeiro, foltern Staatsangestellte, gibt es Todesschwadronen, zu denen Staatsbeamte gehören. Man redet nur von den kleinen Fischen im Rauschgiftgeschäft, nicht von den Drogenbaronen.“ Der Richter und AJD-Präsident Luis Barros Vidal fordert, die „Farce von Rio“ auf keinen Fall zu unterstützen. „Die Geheimdokumente der Militärs zeigen, dass die Drogenmafia, der Drogenhandel in diesen Slums fortbestehen. Die regierenden Autoritäten, die von einem groß angelegten Krieg gegen die organisierte Kriminalität sprachen, machten also leere, falsche Versprechen, handeln unredlich. Wir sehen die Resultate – Tote und nochmals Tote. Selbst UNO-Friedenstruppen wären erfolglos, weil vordringlich soziale und wirtschaftliche Probleme gelöst werden müssen, die Slumbewohner vor allem feste Arbeitsplätze brauchen.“ Niemand wisse das besser als die brasilianische Regierung, früher unter Lula, jetzt unter Dilma Rousseff. „Todesschwadronen sind derzeit in Rio aktiv – doch auch in Sao Paulo, landesweit, straflos“, fügt Richter Vidal gegenüber dem Blättchen hinzu, in Brasilien fehle eine Kultur der Menschenrechte. Zu erkennen seien „starke Merkmale eines totalitären Staates, der das Gesetz nicht respektiert“; mit Blick auf Fußball-WM und Olympische Spiele am Zuckerhut werde ein Medienspektakel veranstaltet.
Und das hatte es von Anfang an in sich. In brasilianischen Qualitätsmedien, die nur einen winzigen Bruchteil der Bevölkerung erreichen, hieß es immerhin, die jüngsten Polizei-und Militäroperationen seien nur für das Ausland gedacht – de facto ändere sich nichts. Rio habe wegen der geplanten Sportereignisse international Kompetenz demonstrieren müssen, um Milliardeninvestitionen zu erhalten. Es werde wieder Wahlen geben – und die Politiker würden erneut Gelder des organisierten Verbrechens brauchen.
In mitteleuropäischen Medien weiß man’s offenbar viel besser. Rio de Janeiro wolle mit dem Drogenhandel Schluss machen, wird freundlicherweise unterstellt, obwohl sogar Rios Sicherheitschef Beltrame öffentlich erklärt, dies keineswegs vorzuhaben.
Aber richtig klasse ist der Mediengag über die „heldenhafte“ Einnahme jenes „Complexo do Alemão“: Unentwegt ballern Polizei und Militär fotogen auf nicht vorhandene Gegner, was das Zeug hält. Alles wird von zahlreichen TV-Teams direkt an der Seite der Einheiten begeistert abgefilmt und teuer weltweit verbreitet. Sozusagen „sturmreif geschossen“ fehlt nur noch die „Eroberung“ des Slumkomplexes. Dies geht so vonstatten, dass Soldaten und Elitepolizisten mit handverlesenen Journalisten einfach die Gassen zur Slumspitze hochgehen und dort die Landesfahne hissen. Schließlich hatte man den Banditenkommandos tage-und nächtelang reichlich Zeit und Möglichkeiten zum Rückzug in üblicher Guerilla-Taktik gegeben und auf eine Einkesselung verzichtet – die Gangster verteilten sich auf andere der weit über 1.000 Rio-Slums.
Wohl einmalig in der Fernsehgeschichte, wie der TV-Globo-Nachrichtenkanal vom Hubschrauber aus den problemlosen Rückzug der schwerbewaffneten Banditenkommandos aus dem Slum Vila Cruzeiro direkt übertrug. Die Konditionen, um die Banditen zu schnappen, waren bestens.Warum, so ist zu fragen, ließen Polizei und Armee die Gangster entkommen? Man saß vor dem Fernseher und traute seinen Augen nicht. Stundenlang sah man von nahem, wie sich die Verbrecherkommandos davonmachten, und bekam es von Polizeiexperten auch noch kommentiert: „Kampfhubschrauber wie die im Vietnamkrieg greifen jetzt nun mal leider nicht ein.“
Jahrzehntelang, so wird in Europa verbreitet, wagten sich die Sicherheitskräfte angesichts übermächtiger Banditenpräsenz nicht in den „Complexo do Alemão“ – umso mehr sei daher die Rückeroberung zu würdigen. Sind Lula und seine Nachfolgerin Dilma Rousseff also wahrhaft todesmutig, weil sie den Slumkomplex noch vor der „Erstürmung“ besuchten? Spaß beiseite – Lula war 2008, 2009 und sogar im Oktober 2010, kurz vor dem Militäreinsatz, im „Complexo do Alemão“, hatte teils sogar Ehefrau Marisa dabei. Rios Polizei und Militär kennen die Favela-Gegend bestens, 2002 wurden zur Besetzung gar 50.000 Mann aufgeboten. Mehr Sicherheit gibt’s deshalb nicht – seit 2007 wurden in Rio über 25.000 Gewalt-Tote gezählt.
Jetzt, nach vertraulichen Militärberichten, weist die Leiterin eines angesehenen kirchlichen Rio-Sozialprojekts auf ein „großes Massaker im „Complexo do Alemão“, wobei vor allem Jugendliche getötet, doch keinerlei Informationen darüber freigegeben wurden. Laut Uni-Anthropologen Luiz Mott, angesehenster Schwulenaktivist des Tropenlandes, hält Brasilien bei Morden an Homosexuellen weltweit eine „grauenhafte Führungsrolle“, verschlechterte sich unter Lula die Situation der Gays. Bei Tötungen durch Schusswaffen liegt Brasilien gemäß NGO-Daten an der Spitze, 92 Prozent der Rio-Morde bleiben straffrei.
Gregor Gysi von der deutschen Partei DIE LINKE gilt als Rechtsexperte, war 2010 in Brasilien, kennt daher sicherlich die Positionen der dortigen Richtervereinigung für Demokratie gut – und schlussfolgert: „Von allen linken Präsidenten hat Lula, der als am wenigsten links eingeschätzt wird, die größten Erfolge.“

Banditen/2005

Wenn die Massen aus den Hügelslums eines Tages zuhauf in unsere besseren Viertel hinabsteigen, um sich zu nehmen, was ihnen am nötigsten fehlt, sind wir geliefert«, lautet eine Standardreflexion von Mittel-und Oberschichtlern der Zehn-Millionen-Stadt am Zuckerhut. Und auch mancher ausländischer Tourist, der sich an den Stränden der schicken Viertel Ipanema und Leblon tummelt, in feinen Hotels wohnt, nimmt extreme Sozialkontraste wahr, beobachtet vom Zimmerbalkon aus, daß die Verelendeten da oben in ihren Steilhang-Katen dichtgedrängt wie die Ameisen hausen. Und fragt sich, wieso die nicht rebellieren und nur einige hundert Meter weiter unten, vor Shoppings, Boutiquen und Restaurants keine Randale machen.
Die Passivität der Slumbewohner erscheint um so unverständlicher, als die Landlosenbewegung MST, auch von deutschen Kirchen und regierungsunabhängigen Organisationen stark unterstützt, der Regierung von Staatschef Lula regelmäßig Ärger macht. Beinahe täglich berichten Medien über Protestdemos, Landbesetzungen, Straßenblockaden – doch in den Städten, wo die große Masse der verelendeten Brasilianer in Slums haust, bleibt alles ruhig.
Befreiungstheologisch orientierte Kardinäle, Bischöfe und Padres der katholischen Kirche begründen dies seit Jahren mit der Diktatur des organisierten Verbrechens über die Slums: Der absichtlich zugelassene Banditenterror verhindere perfiderweise politische Aktivitäten, er mache apathisch. Jetzt hat erstmals ein renommierter Historiker diese These aufgenommen. Der 65jährige Josè Murilo de Carvalho zählt zu den Koryphäen des brasilianischen Geisteslebens, er ist Lehrstuhlinhaber an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro (Kollege von Anita Prestes, der Tochter von Olga Benario) und zudem Mitglied der ehrwürdigen Dichterakademie des Tropenlandes. »Die Landlosenbewegung«, so Carvalho, »ist gut organisiert, sehr effizient und hat enormen Erfolg, da sie die Regierung zwingt, endlich die Agrarfrage zu lösen. Doch unsere Landbevölkerung wird immer kleiner, sie ist nur eine Minderheit. Die Masse der sozial Ausgeschlossenen konzentriert sich in den großen Städten – alleine Rio de Janeiro hat über sechshundert Slums mit anderthalb Millionen Bewohnern – dort steckt schon von der Zahl her ein explosives Potential, anders als in den Agrarregionen.
»A noite do poder paralelo«, die Nacht der Parallelmacht, titelte 2004 Rios größte Zeitung O Globo und zeigte das hellerleuchtete Sheraton-Hotel Rios und als Kontrast den angrenzenden Hang mit dem Slum Vidigal, der wegen der Gefahr von Banditengefechten in völlige Dunkelheit gehüllt ist. Und das Fernsehen zeigt mit MPs feuernde Vidigal-Gangster – Bilder wie aus dem Irak, aus Afghanistan oder aus Palästina.
Die Banditenkommandos verhängen nicht nur in Rio, sondern auch in São Paulo, drittgrößte Stadt der Welt, regelmäßig Ausgangssperren, schüchtern die Slumbewohner mit drakonischen Strafen ein, darunter Foltern, Handabhacken, Köpfen, Zerstückeln, lebendig Verbrennen. Der pure, alltägliche Terror. Deshalb lautet Carvalhos Schlußfolgerung: »Die Existenz des organisierten Verbrechens in den Slums blockiert die Politisierung der Bewohner, hält sie ruhig, verhindert eine Rebellion sowie Protestaktionen jeder Art. Die Gangsterkommandos dienen damit der Aufrechterhaltung von politischer Stabilität im Lande – und das ist den Autoritäten sehr recht; es ist gut für sie. Natürlich würden sie das nie eingestehen. Ohne Zweifel gehört zum strategischen Kalkül auch der jetzigen Regierung, daß es wegen der so hilfreichen Gangsterkommandos keine soziale Explosion geben werde. Das ist natürlich reiner Zynismus. Wir haben so viele Gewalttote wie in Bürgerkriegen. Und die Assoziationen der Slumbewohner werden total vom organisierten Verbrechen dominiert. Das Drama der ›Slum-NGO‹ besteht darin, ohne Zustimmung der Banditenmilizen nicht agieren zu können, sie müssen mit ihnen verhandeln. Und indem man mit Gangsterkommandos verhandelt, legitimiert man sie.«
Für Verbindungen der Machteliten aus Politik und Wirtschaft mit dem organisierten Verbrechen sprechen zahlreiche Indizien. So wohnen nach Angaben der Künstlerin und Menschenrechtsaktivistin Yvonne Bezerra de Mello die Bosse der Verbrechersyndikate natürlich nicht in den Slums. »Die wohnen in den Nobelvierteln.« Bereits 1992 hatte der progressive Abgeordnete Carlos Minc konstatiert: »In Rio de Janeiro sind Straftäter und Autoritäten Komplizen – das organisierte Verbrechen, das Drogenkartell herrscht in den Favelas, pflegt enge Beziehungen zur Geschäftswelt, zur Stadtregierung, zu Polizei und Justiz, die daher Straffreiheit walten lassen, die Gesetze nicht anwenden, die Menschenrechte der Bewohner Rios mißachten.« Und die progressive brasilianische Monatszeitschrift Caros Amigos konstatiert in einer Analyse über die »Schmutzigen Hände« der Landeselite: »Das Verbrechen hat sich im Herz des Staatsapparates installiert«.
Im Dezember 2004 begaben sich Kulturminister Gilberto Gil und Arbeitsminister Ricardo Berzoini zu einer offiziellen Visite in Rios Slumregion Complexo da Marè, um Qualifikationsprogramme für Jugendliche vorzustellen. Beide hatte für die Visite die Erlaubnis der lokalen Gangsterkommandos, sie verzichteten auf jeglichen Polizeischutz und sogar auf die üblichen Bodyguards. Damit sei, wie der Soziologe Jailson Silva folgerte, erschreckenderweise vom Staat anerkannt worden, daß er die Parallelmacht darstelle und nicht etwa das organisierte Verbrechen.
Paulo Sergio Pinheiro, Experte für Gewaltfragen an der Universität von São Paulo, kam zu dem Schluß: Mit der Ministervisite sei »bestätigt – der brasilianische Staat kontrolliert große Teile seines Territoriums nicht mehr«. Tage zuvor weilte Minister Gil in der berühmten, vom Staatskonzern Petrobras gesponserten Sambaschule Mangueira, die gerade einen herben Verlust erlitten hatte: Nach den bisherigen Ermittlungen hatten Mitglieder des im Mangueira-Slum herrschenden Verbrecherkommandos den Vizepräsidenten der Sambaschule, gleichzeitig Chef der Perkussionsgruppe (Bateria), ermordet, weil nicht die von ihnen ausgewählte Tänzerin zur Königin der Bateria bestimmt worden war. Aus Angst vor Racheakten lehnten Mitglieder der Sambaschule, darunter sogar der landesweit berühmte Sänger Jamelao, jegliche Stellungnahme zu dem Fall ab. Um so mehr war erwartet worden, daß Minister Gil als Repräsentant der Regierung klar Position bezieht, den zunehmenden Druck der Banditenmilizen des organisierten Verbrechens auf die Sambaschulen scharf zurückweist. Doch Gil zog es vor, gegenüber den zahlreichen Journalisten von Presse, Funk und Fernsehen dazu kein einziges Wort zu verlieren. Statt dessen: geheuchelte Fröhlichkeit, Sambagetrommel und defilierende Kinder – und ein Minister, der Optimismus und Karnevalsvorfreude ausstrahlte.

Bauhaus am Zuckerhut/2004

Eine bizarre Situation: Drinnen im vierstöckigen »Nucleus« spricht Bauhaus-Direktor Omar Akbar zu hunderten Slumkids, die euphorisch kreischen und jubeln – direkt davor auf dem Platz vor der großen Glasfront stehen jugendliche Banditen, die MPi lässig umgehängt, und verkaufen harte Drogen. Daß auch Jacarezinho von Banditenmilizen beherrscht wird – toleriert, hingenommen von den Autoritäten, unter anderem offizielle Menschenrechtsbeauftragte der Lula-Regierung –, erschreckt nur intellektuelle Schöngeister aus Europa mit sozialromantischen Ideen über Brasilien. Für Kinder wie Erwachsene in Jacarezinho ist das alles völlig normal. »Wir verstehen uns gut mit den Banditen«, sagt ein Bewohnervertreter, »die wollen ja auch, daß es mit der Favela vorangeht – die haben ja auch Kinder und wollen daher soziale Projekte.«
Omar Akbar wundern solche Äußerungen nicht. »An solchen Orten finden wir grenzenlose Widersprüchlichkeit, eine gefährliche Dramatik, mit der sich niemand beschäftigt«, so der in Afghanistan geborene, in Deutschland aufgewachsene Bauhaus-Direktor zum Blättchen, »ein allgemeines Phänomen.« Die Banditen sind Herren über Leben und Tod, halten ein neofeudales Schreckensregime aufrecht, verhängen Ausgangssperren, Staat und Eliten schauen zu. Die Favela-Bewohner sind Geiseln der Banditen des global vernetzten organisierten Verbrechens – die brasilianischen Bauhaus-Mitarbeiter müssen ebenso wie die Stadtverwaltung mit den Gangsterbossen verhandeln, brauchen deren Okay für sämtliche Projekte. Ein ethisch-moralisch sehr heikles Problem, auch für ausländische Nichtregierungsorganisationen (NGO), die sich auf sozialem Feld engagieren wie Akbars Stiftung – immerhin getragen vom Bund, dem Land Sachsen-Anhalt und der Stadt Dessau. »Das Bauhaus hatte mit der Drogenmafia direkt nichts zu tun – sämtliche lokalen Kontakte wurden von den Kollegen in Rio, der Stadtverwaltung aufgenommen.«
Für Jacarezinho in der Zehn-Millionen-Stadt Rio hat Bauhaus auf Einladung der Präfektur das Modellprojekt Celula Urbana, »städtische Zelle«, entworfen. Die Grundidee auch der folgenden Bauhaus-Projekte: Slumbewohner aus ihrer Isolation befreien, sie in das städtische Leben integrieren, Armuts- und Elendszonen Rios aufwerten.
Denn Jacarezinho mit rund hunderttausend Bewohnern liegt fern der berühmten Strandstadtteile Copacabana und Ipanema in der sogenannten Faixa de Gaza, Rios Gazastreifen, einer großen Favela-Region: Gestank, Enge, Ratten, Matsch und Müll – buntes, exotisches Menschengewimmel in Gassenlabyrinthen aus Bretterbuden, Backsteinkaten, sogar zweistöckigen Häusern, ähnlich Kalkutta oder Nairobi. Alles provisorisch und illegal, gegen jegliche Bauvorschriften errichtet. Täglich Schießereien, Feuergefechte zwischen rivalisierenden Banditenmilizen, zudem Schußwechsel mit der Polizei. In Brasilien werden jährlich über 45000 Menschen getötet – laut UNO mehr als im Irak-Krieg.
Der kastenförmige Nucleus – mitten in einem nach Bauhaus-Entwürfen bereits teilweise entkernten, sanierten Modellbereich von Jacarezinho – soll dessen kultureller Treffpunkt werden. Gedacht ist an Kurse für Medientechniker und Fotografen, an Konzerte und sogar an Ballett. Gleich neben ihm sollen nach Bauhaus-Ideen ein neuer Favelaeingang mit Fußgängerbrücke und ein Internationales Zentrum für Projekte in Armutsgebieten entstehen, außerdem Werkstätten für Mode und Design. Laut Bauhausdirektor Akbar fehlen dafür aber noch das Okay der Stadtverwaltung und die nötigen Gelder.
Akbar sieht sehr wohl das Risiko, mit dem Bauhaus-Projekt ungewollt an Sozialkosmetik, »Schönheitsreparaturen« teilzunehmen. Überall auf der Welt sei die Ignoranz der Politik in bezug auf städtische Problemgebiete massiv, gebe es für derartige Slumprojekte lediglich sehr schwache, kleine Lobbygruppen – belächelt von den Eliten, den Wohlhabenden. Brasilienweit wachsen die Slums rascher denn je, in Städten wie Rio und São Paulo um mehr als zehn Prozent jährlich. Die arme, verelendete Bevölkerung wächst pro Jahr um über vier Prozent.
Mit dem Jacarezinho-Projekt begann Bauhaus im Frühjahr 2000: »Wenn Millionen von Menschen in diesen Quartieren wohnen, ist es höchste Zeit, daß sich die Architekten etwas von ihrem Starallüren-Ambiente verabschieden, sich sozialen Fragen widmen«, sagt Akbar. »Bei den Architekturstudenten in Kairo, Teheran oder Rio findet man
beste Entwürfe – alles Kopien der Stararchitekten dieser Welt. Doch mit der eigenen Stadt hat man sich kaum auseinandergesetzt!« Kurz zuvor war der UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Wohnung, der indische Architekt Miloon Kothari, in Brasilien, hatte der stramm neoliberalen Lula-Regierung die Leviten gelesen. Das Menschenrecht auf eine angemessene Wohnung werde deutlich verletzt, das Wohnungsproblem müsse nationale Notstandsaufgabe werden – internationale Finanzhilfe brauche Brasilien dafür nicht. Die Lage in den Slums sei erschütternd.
Bauhaus-Direktor Akbar sieht es ähnlich: »Man kann Favelas mit relativ geringen Investitionen instandsetzen, Selbsthilfe mobilisieren – muß das aber politisch wollen. Und man muß die Partnerländer auffordern: Ihr selber müßt Ideen entwickeln, euch um eure eigenen Leute kümmern – und nicht die ganze Zeit sagen: Geberländer, Geld her! Es wird ja ständig nur nach Geld gefragt, das ist das Interessante. Doch mit Geld löst man diese Probleme nicht, es geht um mehr.«
Der Bauhaus-Chef, selbst aus der Dritten Welt, wagt sich damit an ein auch von den sogenannten Progressiven in Deutschland streng gehütetes Tabu: die fast durchweg hausgemachten Probleme in Ländern wie Brasilien. Und er schmeißt nicht, wie allgemein üblich, arme Länder und ihre stinkreichen, geldgierigen Machteliten in einen Topf, die sich gewöhnlich »Entwicklungshilfe« skrupellos aneignen. »Ein Teil der Infrastruktur jener Elitenherrschaft«, so beobachtet Akbar, »wird durch die Armen getragen – die machen denen oben den Dreck weg, als Dienstmädchen, Müllsammler, werden entsprechend übel behandelt.«
Und Dienstmädchen, Hausdienerinnen sind die größte Berufsgruppe des Tropenlandes – nicht zufällig kommt sie gerade jetzt in Deutschland bei Betuchten wieder in Mode. In den Favelas haust die spottbillige Arbeitskraftreserve der Eliten, sagt Rios Wirtschaftsexperte Marcelo Neri. Wer in Jacarezinho einen Job ergattern konnte, verdient nach neuesten Studien pro Stunde umgerechnet fünfzig Cents. Und nur, weil Brasiliens Unternehmer ihren Beschäftigten sehr oft bestenfalls Hungerlöhne zahlen, in Europa völlig unakzeptable, ungesunde, hochgefährliche Produktionsbedingungen beibehalten, brutalstes Sozialdumping betreiben, sind Kosten möglich, die erfolgreiches Konkurrieren auf Märkten wie auf dem in Deutschland ermöglichen. Doch Sozialdumping – siehe die Verlagerung deutscher Fertigung in Billigstlohnländer – wird inzwischen auch in Deutschland als völlig normal angesehen. Die sozialen Kosten sieht man in Slums wie Jacarezinho.

 

Terror-Hymnen/2006

Brasiliens mächtigste Verbrecherorganisation Primeiro Comando da Capital (PCC – Erstes Kommando der Hauptstadt), die im Mai eine Welle von Attentaten und Häftlingsrevolten auslöste, hat ihre Hauskomponisten und Musiker. Sie verherrlichen zumeist in harten Raps die Anschläge auf den Staat und seine Polizei, auf öffentliche Gebäude, Busse und Metro. Sie bejubeln die Gangsterbosse und berufen sich auf Osama Bin Laden und die Taliban. Detailliert schildert das Stakkato ihrer Sprechgesänge die bewaffneten Überfälle auf Autofahrer, die auf Straßen und Autobahnen der Städte gestoppt und beim Versuch der Gegenwehr oder der Flucht gewöhnlich erschossen werden. Diese Raps reflektieren das soziokulturelle Klima in den Stadtvierteln der Unterschicht.
Überall in Brasiliens Großstädten werden CD mit Gewalthymnen an den Ständen der Straßenhändler für umgerechnet nicht einmal einen Euro verkauft. Renatinho und Alemao (der Deutsche) aus São Paulo gelten als die Hitmacher und wichtigsten Musikproduzenten des PCC. »Ich bin Terrorist, ich bin ein Taliban«, rappen sie auf einer ihrer populärsten Scheiben, auf der beinahe in jedem Titel Bomben und Granaten explodieren, MG-Salven zu hören sind. »Unsere Terrororganisation ist der Staatsfeind Nummer Eins.« In der Liveversion singt ihr Publikum lauthals mit. In Raps wie Alta Voltagem, oder Bonde dos Guerreiros wird das Vorgehen der PCC-Kommandos ausführlich beschrieben: »Im Morgengrauen rücken wir aus, dann singt das MG/Messer an die Kehle, Schuß ins Genick, Terror und Aktion, mancher Gegner wird geköpft/Der Unterdrückte gegen die Unterdrückung/Wir glauben an Gott und Christus/ Krieger und Kriegerinnen sind furchtlos/Wir hacken Köpfe ab, stecken Gegner in die Mikrowelle …« Damit ist eine der grauenhaftesten Hinrichtungsmethoden des organisierten Verbrechens gemeint: über das gefesselte Opfer werden Autoreifen gestapelt, diese werden mit Benzin übergossen und angezündet. Auf einer PCC-Rap-CD wird dieses Verbrennen von Gegnern als Grillfest am Flußufer angekündigt: »Doch dieses Fleisch will niemand essen, weil es drittklassig ist, von üblen Figuren stammt – von diesem Fleisch würde einem schlecht …«
Im Straßenhandel São Paulos sind Tonträger mit Gangsta-Rap zwischen den Samba- und Sertaneja-CDs nicht zu übersehen. Auf den Hüllen prangen schwerbewaffnete Gangster, Totenköpfe, Leichen, das World Trade Center von New York in Flammen, MG, Granaten, Osama Bin Laden und die Initialen der nationalen Verbrechersyndikate. Auf einer neuen CD steht schwarz auf weißem Grund: PCC – nur Terroristisches – live in Santos. Gemeint ist Brasiliens wichtigste Hafenstadt bei São Paulo, wo der in Brasilien produzierte VW Fox, dazu Kaffee, Zuckerrohrschnaps und Obst nach Europa verschifft werden. In den Slums von Santos veranstaltet der PCC jene berüchtigten Rap-Massenfeten, auf denen nicht selten Tausende von tanzenden jungen Leuten die viehisch rohen Raps mitgrölen und sich offen mit dem PCC identifizieren. Auf diesen Bailes Funk werden die jüngsten Attentate gefeiert, die Rapper stellen unverblümt das Waffenarsenal des Terrors, das Material belico vor: »Wir sind Soldaten, wir haben das deutsche G3-Maschinengewehr, aber auch Kalaschnikows, Granatwerfer, die israelische Uzi-Mpi, das schweizerische Sig-Sauer-Sturmgewehr, nordamerikanische M-16-MG und österreichische Glock-Pistolen, Handgranaten aus Argentinien/ Ja, wir sind finstere Typen, richtige Banditen/Wir machen Terror wie in Bagdad, ganz im Stile Bin Ladens, halten auf die Würmer feste drauf/ Wir sind Falken, immer wach/Her mit einem deutschen G-3 und einem vollen Magazin …«
Eine schwarze Menschenrechtsanwältin Rio de Janeiros kennt einen Zeugen, dem zufolge inmitten von Bailes Funk Jugendliche der Zuckerhutstadt den Feuertod starben. Fotos verkohlter Opfer werden von Zeitungen Rios beinahe täglich veröffentlicht. Wiederholt haben Gruppen junger Männer nach Bailes Funks Bettler verbrannt.
Brasiliens Gangstersyndikate beherrschen die Slums neofeudal wie einen Parallelstaat und terrorisieren die Bewohner. In zahlreichen Gewalthymnen werden die Armenviertel von Rio und São Paulo aufgezählt, die jeweiligen Banditenbosse ausdrücklich gewürdigt. Slumradios spielen auf Wunsch von inhaftierten PCC-Mitgliedern besonders oft einen Rap über die grauenhafte Lage in den Gefängnissen …
Warum identifizieren sich so viele junge Brasilianer per Gangsta-Rap mit dem organisierten Verbrechen? »Da das Gesellschaftssystem kalt und berechnend ist, grausam mit den Verlierern, dazu hierarchisch, machistisch und autoritär«, so der Anthropologe Luiz Eduardo Soares, »reproduzieren jene Jungen, die beim Verbrechen mitmachen, dieses System exakt so wie in der Gründerzeit des wilden, kolonialen Kapitalismus.« Ihre Gewalthymnen dokumentierten das »Inferno unseres alltäglichen Krieges«, die Spaltung der Gesellschaft, ihre perversen Sozialkontraste.

 

Stadtkriegsfront/2006

Der Irak und der Libanon sind täglich wegen der vielen unschuldigen Opfer in den Schlagzeilen – Brasilien nicht. Obwohl in dem Tropenland jährlich weit mehr Menschen umkommen als im Irakkrieg, und in Brasilien Folter alltäglich ist. Ein bekannter brasilianischer Samba heißt O Iraque è aqui – Der Irak ist hier.
Ferrèz, dreißig, mit bürgerlichem Namen Reginaldo Ferreira da Silva, wurde im brasilianischen Stadtkrieg unfreiwillig zum Frontberichterstatter, weil er über die von extremer Gewalt geprägte Slumperipherie der Megacity São Paulo schreibt. Ferrez, dessen Bücher bei einem angesehenen brasilianischen Verlag erscheinen und bereits ins Französische, Spanische und Italienische übersetzt wurden, erhält derzeit wegen seines literarischen und politischen Engagements Morddrohungen. Noch nie war er so in Lebensgefahr. In den Slums ist Bücherlesen Luxus, die meisten Bewohner sind funktionelle Analphabeten. Deshalb wurde Ferrèz auch zum Rapper, ist in den Ghettos dadurch unterdessen weit bekannter als durch seine Bücher.

Vom Goethe-Institut São Paulos bis zum Slumviertel Capao Redondo sind es mit den entsetzlich lauten, überfüllten Vorstadtbussen etwa drei Stunden. In Capao Redondo hausen eine Million Menschen, darunter Ferrèz. Seit Mai verübt das größte brasilianische Verbrechersyndikat PCC, Erstes Kommando der Hauptstadt, eine nicht endende Serie von Terroranschlägen gegen den Staat, erschießt an der Peripherie täglich Polizisten, Gefängniswärter und deren Angehörige. Bisher wurden weit über sechshundert Tote gezählt, die meisten in Capao Redondo. Ferrèz liefert als einziger fundierte Berichte von der Front: In seinen Büchern, seiner Zeitschrift, seinem Blog analysiert er Gewalt und Gegengewalt, die Rachefeldzüge der Polizei.
Wir reden am Kaffeestand, im Krach einer vollen Bäckerei miteinander, hier fühlt sich Ferrèz sicher. »Für mich ist das hier schon immer wie im Krieg. Doch die Eliten haben es erst jetzt, in diesen Tagen, wegen der Attentatswelle gespürt. Da haben sie in ihren Nobelvierteln die Panik gekriegt, sich verbarrikadiert und versteckt. Nur – so leben wir doch schon jahrelang. Durch Morde habe ich über zwanzig meiner Freunde verloren, das ist normal hier. Man tötet wahllos, wegen Banalitäten. Dazu kann man doch nicht schweigen. Capao Redondo – das ist wie ein Extra-Land, es ist dieses Brasilien, das in Deutschland und anderswo gewöhnlich nicht wahrgenommen wird. Dort denkt man bei Brasilien meist nur an Exotismus, Mulattinnen, Tropenwälder. Das hier ist völlig anders.«
Als Ferrèz mit seinen Blog-Frontberichten begann, stellten Brasiliens Medien die Sache noch so dar, als ob die Polizei lediglich auf die PCC-Attacken reagiere und so die gefährlichsten Verbrecher bekämpfe. Doch Ferrèz beobachtete, daß es meistens Unschuldige trifft und damit Haß und Gewalt in der Gesellschaft weiter geschürt werden. »Ich mache den Versuch, der herrschenden Elite-Meinung etwas entgegenzustellen. Denn die Eliten stimulieren ja das Morden, die Vorurteile gegen Slumbewohner. Vierzig Prozent der Getöteten hier waren junge Pizza-Austräger, die nachts mit ihren Motorrädern zu den Kunden fahren. Die Polizei feuerte einfach auf Leute, die gerade auf der Straße waren. Niemand prangert das an, niemand spricht darüber, das hat mich aufgeregt. Und ich sagte mir: Dann muß ich es eben tun. Also habe ich den Mund aufgemacht, und das hatte Wirkung. Die Polizei wurde angewiesen, vorsichtiger, weniger brutal vorzugehen. Man sagte den Beamten, Vorsicht, da gibt es jetzt welche, die darüber berichten. Nun bedrohen sie mich mit Mord.«
»Klar, sagt Ferrèz, »ich hoffe, daß mir nichts passiert, aber ich mache mir um den Tod auch keine Sorgen. Denn ehrlich gesagt, ich habe doch alles erreicht, was ich wollte. Ich habe ein Buch geschrieben, das sich verkauft, ich habe meiner Mutter, meiner Frau ein besseres Leben schaffen können. Jetzt habe ich keine Träume mehr, ich bin hoffnungslos, weil sich diese Realität hier nicht bessert, alles nur schlechter wird im Viertel. Ich sehe beim besten Willen keine Ehrlichkeit, weder bei den brasilianischen Politikern noch bei den Eliten, nicht mal in unserm Volk. Schau den Leuten ins Gesicht, da siehst du Traurigkeit. Sie engagieren sich nicht, ergeben sich dem Zuckerrohrschnaps, sind mutlos. Hier laufen nur Körper rum, haufenweise, ohne Richtung, Orientierung.«
»In Deutschland denken viele, Staatschef Lula mache progressive Politik, auch für einen wie dich, für die Leute im Slum. Lula spricht doch jeden Tag von Riesenerfolgen … Es stimmt: Die Lula-Regierung ist weniger schlecht als die vorangegangene, sie ist das kleinere Übel. Aber was hat sich denn seit Lulas Amtsantritt getan? Es gibt nicht mehr Arbeit. An der Slumperipherie hat sich nichts gebessert. Für die Unternehmer sieht die Sache natürlich ganz anders aus.«
Drei Viertel der 185 Millionen Brasilianer, so sagen neue Studien, sind nicht in der Lage, einen einfachen Zeitungs- oder einen Buchtext zu lesen und zu verstehen. Das vereinfacht die Manipulierung der Pflichtwähler kolossal, dient Neopopulisten wie dem Staatschef ungemein.
Wer sind die Leser von Ferrèz? Sein Buch Capao Pecado produzierte er selber, zog fünfzig Kopien, verteilte es unter Freunden und Bekannten des Viertels. Manche von ihnen arbeiten für die Mittel- und Oberschicht als Hausdiener, Wächter, zeigten es den Arbeitgebern. Einige von ihnen bestellten daraufhin bei Ferrèz Capao Pecado, der die Bücher persönlich zu deren Villen brachte, sie dort den bewaffneten Wächtern übergab und die Besteller natürlich nicht zu Gesicht bekam.
»Ja, so lief es – die Peripherie hat das Buch den Betuchten gezeigt, jetzt ist es bei einem Verlag in der fünften Auflage. Das System hatte für mich nichts vorgesehen, also habe ich mich auf meine Weise organisiert, mache meine Literatur. Als ich in einer Bäckerei arbeitete, habe ich nebenher etwas auf Zettel gekritzelt, daraus dann zu Hause eine Geschichte montiert. Das lesen jetzt sogar Leute aus der Upperclass. Manche von denen sagen mir, Puta, du hast recht, die Oberschicht ist idiotisch, die will sich nicht ändern. Dreihundert Familien besitzen achtzig Prozent allen Einkommens, allen Geldes – wir kriegen nur den allerletzten Rest. Ja, unsere Eliten handeln selbstmörderisch, suchen sich in ihren Privilegierten-Ghettos abzuschotten. Langfristig planen die ihren eigenen Tod. Das kann hier alles einmal explodieren. Die jungen Menschen hier haben doch keinerlei Perspektiven. Frag hier mal ein Kind. Was willst du denn werden? Da lacht es dich aus, sagt, ich will nichts werden, wie sollte ich denn?«

Menschenrechte in Brasilien? Weiterhin Fehlanzeige

menschenrechte 1Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva erhält am Ende der zweiten Amtszeit wegen seiner Politik geradezu überschwängliches Lob aus Europa, darunter Ländern wie Deutschland, sowie internationale Ehrenpreise. Spaniens Ministerpräsident und amtierender EU-Ratspräsident José Zapatero, nennt Lula „ehrlich, integer und bewundernswert, ein Beispiel für alle Politiker.“Auch gemäß den Wertekriterien des jüngsten Weltwirtschaftsforums von Davos macht Lula offenbar alles richtig – und wird mit dem „Global Statesmanship Award“ geehrt. Hintergrund der Auszeichnung sei die hervorragende Art, in welcher der Präsident das Land seit acht Jahren führe. Europäische Parteien, darunter die deutschen Grünen, betonen ausdrücklich die „fortschrittliche Regierungspolitik“ Brasílias, die zudem nicht selten als „links“ klassifiziert wird.
Derartige Einschätzungen stehen in interessantem Kontrast zu den Analysen brasilianischer, aber auch ausländischer Menschenrechtsexperten. So konstatiert der deutsche Lateinamerikawissenschaftler Rüdiger Zoller in einer Studie der Bundeszentrale für politische Bildung, dass Brasilien auch unter Lula kein Rechtsstaat sei – und nie ein Rechtsstaat war. Unter Hinweis auf den Abgeordneten- und Parteienkauf-Skandal „Mensalão“ argumentiert Zoller, dass politische Korruption Teil des Systems sei, und nicht die Ausnahme. „Weiterhin prägen klientelistische Netzwerke und persönliche Beziehungen die Politik, nicht Gesetze und Transparenz. Der notwendige Interessenausgleich erfolgt nicht gemäß der Verfassung sondern ‚informell‘, bei einem Cafézinho. Der hohe Grad an sozialer Ungleichheit in Brasilien ist die Folge dieser Machtstrukturen. Da die Oberschicht nie gewaltsam von der Macht und ihren Einflussmöglichkeiten getrennt wurde, kann sie sich bis heute einen erheblichen Teil des Sozialprodukts sichern.“{mospagebreak}
Der Menschenrechtsaktivist Helio Bicudo, der lange Jahre Staatsanwalt war und sogar die Interamerikanische Menschenrechtskommission in Washington leitete, weist unter anderem auf die auch unter Lula fortbestehende Folter und die Todesschwadronen hin. „In Brasilien haben die Slumbewohner Angst, Polizisten wegen Gewalttaten anzuzeigen – weil die Leute wissen, dass eine solche Anzeige ihnen das Leben kosten kann. Denn es gibt Killerkommandos, Todesschwadronen, zu denen Polizisten gehören. Die Leute haben sogar Angst vor der Justiz, weil sie die Polizei nicht kontrolliert, ´sondern eher für Straffreiheit sorgt.“ Theoretisch existieren für die öffentliche Sicherheit, die Verbrechensbekämpfung zahlreiche gut formulierte Gesetze, erscheinen Polizei und Justiz ähnlich strukturiert wie in Europa. Doch stutzig macht bereits, dass von den jährlich rund 50.000 in Brasilien verübten Morden nur wenige Prozent aufgeklärt werden. Nur wenige Täter werden auch tatsächlich gefasst und abgeurteilt. Das liegt laut Bicudo nicht zuletzt am Zeugenschutz. „Der ist eigentlich per Gesetz garantiert, funktioniert aber nicht. Zeugen sind in Brasilien überhaupt nicht geschützt. Nur zu oft ist es doch so: Kennt der Täter einen Zeugen, bringt er ihn um. Deshalb leben wir doch hier in Brasilien unter dem sogenannten Gesetz des Schweigens, denn niemand will aussagen. Das Schlimme ist zudem, dass unser Sicherheitsapparat aus der Militärdiktatur übernommen wurde. Wir haben in Brasilien Militärpolizisten auf den Straßen, die nicht wie Polizisten, sondern wie Militärs agieren, und das jedes Jahr tödlicher, wie die Statistiken zeigen. Doch ein Militärpolizist, der grundlos tötet, weiß, dass ihn die zuständige Militärjustiz nicht bestraft. Und an der Slumperipherie unserer Städte operieren auch noch Polizei und Verbrecherkommandos gemeinschaftlich, um diesen Schein-Frieden aufrechtzuerhalten.“ „Der Mehrheit der Brasilianer werden deren Rechte verweigert“, betont Paulo Sergio Pinheiro, langjähriger UNO-Berater. {mospagebreak}
Lateinamerikas reichste Megacity São Paulo zählt über 2.000 Slums  – doch die Favela Paraisópolis von Gemeindepfarrer Luciano Borges Basilio zeigt die schmerzhaftesten Kontraste. Denn Paraisópolis (Paradiesstadt) grenzt direkt an ein Viertel der Wohlhabenden – nicht wenige davon blicken von ihren luxuriösen Penthouse-Appartements direkt auf das unüberschaubare Gassenlabyrinth, wo auf engstem Raum in Holz- und Backsteinkaten 100.000 Menschen in Moder, Abwässer- und Müllgestank hausen. Zwar regiert São Paulos Gouverneur José Serra von seinem nahen Palast aus die führende lateinamerikanische Wirtschaftsregion mit ihren mehr als 1.000 deutschen Firmen – doch in Paraisópolis herrscht unangefochten Brasiliens mächtigstes Gangstersyndikat PCC (Primeiro Comando da Capital – Erstes Kommando der Hauptstadt). „Das organisierte Verbrechen ist oft viel besser organisiert als die Polizei, während die Polizei desorganisiert ist“, analysiert Priester Basilio. „Das Verbrechen, der massive Handel mit harten Drogen sind ein ernstes Problem in Paraisópolis – doch wie überall in Brasilien schützt der Staat die Slumbewohner nicht, sondern lässt sie in der Hand der Banditen.“
Für den Padre ist es an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten, dass just der wichtigste Banditen-Geschäftszweig, nämlich der Drogenhandel, nur dank der reichen Großkunden von nebenan funktioniert. „Nachts kommen sie sogar in den Slum oder lassen sich das Rauschgift von hier bringen.“ Das symbolisiert die widersprüchliche Situation – auch in Rio de Janeiro ist es nicht anders. Anstatt dort – oder in Paraisópolis – jener kleinen Minderheit der Gangster das Handwerk zu legen und das hochlukrative Drogengeschäft zu stoppen, verletzt die Polizei bei Razzien permanent Grundrechte der völlig unschuldigen Bewohnermehrheit.  Padre Basilio nennt jüngste Fälle: Bei der Verfolgung von Gangstern, die in das Gassengewirr und Menschengewimmel des Slums flüchten, feuern die Beamten gewöhnlich blind drauflos. Ein Baby von 9 Monaten bekommt eine Kugel in den Arm, eine Sechzehnjährige in die Brüste. „Es wäre doch besser, die Banditen nicht zu kriegen, aber das Leben der Slumbewohner zu garantieren, anstatt wild herumzuballern!“{mospagebreak}
Der Priester macht es sich nicht so einfach wie manche politisch korrekten Menschenrechtsaktivisten, die nur Polizeiübergriffe anprangern, den Terror der hochbewaffneten Banditen aber verschweigen. „Ein Polizeioffizier erhielt 2009 hier in Paraisópolis einen Bauchschuss – die Beamten haben ja auch Familie und sind natürlich unter Stress und Hochspannung, wenn sie in einen Slum hineinmüssen.“ Täglich werden in Brasilien mehrere Polizeibeamte ermordet. „Aber Willkür rechtfertigt das nicht. Es gibt viel Elend und Hunger in Paraisópolis – trotz einer aufopferungsvollen Arbeit von Caritas. Die Arbeitslosigkeit ist hoch – und jene 15%, die weder lesen noch schreiben können, finden schwerlich einen Job. Slumbewohner kriegen meist nur Gelegenheitsarbeit. Für diese Menschen gebe ich mein Leben – denn mit Ermordung muss ich rechnen.“
Der Priester erhält seit Jahren immer wieder Morddrohungen, sogar per Internet, lässt sich aber nicht einschüchtern. Inzwischen hat er Amnesty International auf seiner Seite. Der Brite Tim Cahill,  Brasilienexperte von Amnesty, hat sich jetzt vor Ort über die Zustände informiert, mit zahlreichen Augenzeugen gesprochen. Dass die Polizei weiterhin nicht auf Folterungen verzichtet, hält Cahill für schwerwiegend. „Die brasilianische Regierung hat zwar die Anti-Folter-Konvention unterzeichnet, doch wie wir hier in Paraisópolis sehen, fehlt jeglicher politischer Wille, Folterer zu bestrafen. Die Polizei ist landesweit zunehmend in kriminelle Aktivitäten verwickelt, bildet Todesschwadronen und paramilitärische Milizen. Ein beträchtlicher Teil der Brasilianer, vor allem jene in den Slums, wird wie eine Wegwerf-Bevölkerung behandelt.“
Cahill erinnert daran, dass die Lula-Regierung zu Beginn der Amtszeit 2003 sowohl den Vereinten Nationen als auch den Menschenrechtsorganisationen versprach, die eigenen Gesetze wie auch internationalen Abkommen strikt einzuhalten. Jetzt vermisst er indessen ebenso wie die Kirche echte Fortschritte: „Die Lula-Regierung war eine Enttäuschung. Die Probleme sind tief verwurzelt geblieben. Es wird weiter gefoltert und exekutiert, die Lage in den Gefängnissen ist nach wie vor grauenhaft, und es gibt sogar weiterhin Todesschwadronen und viel Sklavenarbeit. Echte Reformen werden durch wirtschaftliche und politische Interessen verhindert.“{mospagebreak}
Laut Gilmar Mendes, Präsident des Obersten Gerichts, ähnelt Brasiliens Gefängnissystem nazistischen Konzentrationslagern. Und Paulo Vannuchi, Brasiliens Menschenrechtsminister, räumt ein, dass tagtäglich außergerichtliche Exekutionen  und Blutbäder von Polizisten wie auch von Todesschwadronen verübt würden. Letztere agierten hemmungslos, es gebe „institutionalisierte Barbarei“.  Bei den Todeskommandos bestehe eine promiskuitive Allianz zwischen Vertretern des Staates („agentes publicos“) und Personen außerhalb des Staatsapparates.
Für Tim Cahill von Amnesty International ein unglaubliches Eingeständnis: „Dies zählt zu den absurden Dingen in Brasilien – Teile der Autoritäten erkennen diese Tatsachen an – aber tun so, als seien sie dafür nicht verantwortlich. Das große Problem Brasiliens ist heute, dass der offizielle Diskurs nichts mit der politischen Praxis zu tun hat.“
Der Kampf der demokratischen Öffentlichkeit um eine angemessene Vergangenheitsbewältigung hat in jüngster Zeit erneut einen Rückschlag erlitten.
Staatspräsident Lula hatte sich bis zum Ende seiner zweiten Amtsperiode Zeit gelassen, um ein Dekret zu unterzeichnen, das die Schaffung einer Wahrheitskommission zur Aufklärung von Diktaturverbrechen vorsieht. Außerdem sollte ein Amnestiegesetz aufgehoben werden, dessen völkerrechtswidrige Auslegung es bisher unmöglich macht, berüchtigte Folteroffiziere oder Mörder von Diktaturgegnern zu bestrafen. Das Militär jedoch (Verteidigungsminister Nelson Jobim und die Kommandanten der Teilstreitkräfte reichten ihren Rücktritt ein) stellte  sich dagegen und Lula nahm eine Neuformulierung des Dekrets ganz im Sinne der Militärs vor, Schlüsselbegriffe wie „politische Repression“ sind nun gestrichen.  
Überraschend gab Lulas Menschenrechtsminister Vannuchi nach, der zusagte, dass das Amnestiegesetz nicht angetastet werde und eine künftige Wahrheitskommission nicht gegen die Militärs gerichtet sei. Dass diese den Putsch von 1964 stets an dessen Jahrestag öffentlich gar als „Revolution“ verteidigen, die Generalspräsidenten und deren Repressionsmethoden ausdrücklich würdigen, weist auf die besondere politische Situation in Brasilien auch unter der Lula-Regierung hin. {mospagebreak}
Der deutschstämmige Bundesstaatsanwalt Marlon Weichert aus São Paulo hält die Bestrafung von während der Diktatur begangenen politischen Verbrechen für unverzichtbar und hat deshalb 2008 sein  Land vor der Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten OAS in Washington angeprangert: „Der brasilianische Staat erfüllt auch seine internationalen Verpflichtungen nicht. Er kann Verbrechen gegen die Menschlichkeit gar nicht amnestieren – wie es in Brasilien aber geschehen ist. Wenn man jene davonkommen lässt, die gestern Verbrechen gegen die Menschenrechte begingen, und wenn man solche Taten sogar vertuscht, stärkt man jenen den Rücken, die heute im Staatsapparat Menschenrechte verletzen wollen. Man beschützt Mörder, Folterer, Vergewaltiger und Entführer aus der Zeit des Militärregimes. Leider gibt es in Brasilien die Auffassung, dass man die Wahrheit verbergen müsse und dass es vorteilhafter sei, über alle diese Probleme nicht zu reden. Das ist eine Frage der Werte und der Kultur. Käme die Wahrheit heraus, müssten Biographien völlig umgeschrieben werden.“
Als Zugpferd der Lula-Regierung wird gelegentlich das Anti-Hunger-Programm „Zero Fome“ betrachtet, welches laut Kirchenangaben den Hunger in der achtgrößten Wirtschaftsnation Brasilien, einem der führenden Nahrungsmittelexporteure,  längst nicht beseitigen konnte. Wie Brasiliens Medien unter Berufung auf den UNO-Sonderberichterstatter für Hungerfragen, Olivier de Schutter, betonen, zielen Lulas Sozialprogramme nur auf die Symptome von Armut und Elend, nicht auf deren Ursachen. Was die Regierung den Betroffenen mit der einen Hand gebe, nehme sie ihnen mit der anderen, da ein wichtiger Teil der Programme just durch ein Steuersystem finanziert werde, das den ärmsten Schichten 46 Prozent ihres Einkommens nehme, während die reichste Schicht lediglich mit 16 Prozent belastet werde.HipHop und Rap zum Draufschlagen
Brasiliens Massendiscos „Baile Funk“ Millionen von dunkelhäutigen Kids strömen jedes Wochenende an den Slum-Peripherien der brasilianischen Großstädte zu ihren gewalttätig-machistischen HipHop-und Rap-Feten, Verletzte und Tote sind normal. Die nie auf kommerzielle CD gepreßten Texte der populären Gangsta-Raps sind weit brutaler, sadistischer als die Vorbilder aus den USA. Einen oberflächlichen Eindruck vermittelt die jetzt in Deutschland veröffentlichte CD „Baile Funk – Favela Booty Beats“(Essay Recordings/Universal) In der Escola Estadual „Julio Ribeiro“ von Sao Paulo heizen die Rapper oben von der Bühne ein, unten im Publikum beginnt irgendwann die übliche Massenschlägerei, Revolver werden gezogen, der 24-jährige Funkeiro Carlos Roberto Marino fällt nach einem Kopfschuß tot um – in Rio de Janeiro werden am selben Tag gleich drei Funkeiros erschossen, dort ist die Todesrate stets höher. Schauplatz Nordzone, weitab von Copacabana und Ipanema. Mehrere tausend Dunkelhäutige drängen in den Clube Chaparral des Viertels Bonsuccesso nahe Rios internationalem Flughafen, schwülheiße Luft um dreißig, vierzig Grad, Adrenalin. Rechts von der Bühne mit den Lautsprechertürmen konzentrieren sich Kids jener Elendsviertel, die vom Verbrechersyndikat“ Comando Vermelho“, Rotes Kommando, dominiert werden, links bauen sich feindselig Heranwachsende aus dem Herrschaftsbereich des rivalisierenden „Terceiro Comando“, Drittes Kommando, auf. Die DJs starten mit HipHop, Techno, neuesten Gangsta-Raps, die Lautstärke übertrifft Hardrock-Konzerte. Auch sinistre Töne werden angeschlagen: „Jetzt wirst Du sterben, sterben, sterben – wenn Du weißt, was ein Neunziger-Patronengurt ist.“ Die Spannung steigt, der freie meterbreite „Corredor da Morte“ zwischen den Tänzermassen von rechts und links wird enger, erste Fausthiebe, Tritte, Schlägereien zwischen Gruppen, den Galeras. Sicherheitspersonal geht nach einer Weile dazwischen, trennt die Gegner – bis zum nächsten Gewaltausbruch, im Slang „Saddam Hussein“ genannt. . Die Kids springen ähnlich Boxern beim Kampf, doch stets im Rap-oder Techno-Rhythmus, versuchen auch, dem Feind, der im Rio-Slang stets „Alemao“, Deutscher, heißt, irgendetwas zu entreißen. Vor Mitternacht hat die Baile-Funk-Ambulanz schon Arbeit, blutende Kopfwunden, ein Knochenbruch. Bis zum Baile-Schluß wird hier Bruno Lopes Escobar, 16, erschlagen, Braulio Vieira dos Santos, 12, und Bruno de Souza Machado, 15, werden erschossen. Die DJs stimulieren auch auf den anderen über 150 Massendiscos der Sieben-Millionen-Stadt zur selben Zeit Gewalt meist direkt, fordern, falls der Baile Funk „mole“, lahm zu werden droht, per Mikro zu Attacken auf, widmen Titel nur den Galeras einer Hallenseite, was die andere in Rage bringt. Als das Ganze auf ein „Massacre“ zudriftet, wie man im Baile-Funk-Slang sagt, verstummen die Wummerbässe abrupt, leiten die DJs zu sexistischen Einlagen über, folgt Sacanagem, Sauerei. Der MC in den gleichen Rapperklamotten wie an der US-Westküste schreit ins Mikro “Eta, eta, eta“ – aus tausenden Kehlen kommt „Pau na Buceta“ zurück. Auf der Bühne beginnen minderjährige Mädchen Striptease, manchmal ist es auch nur eine Professionelle, mit deren Auftritt ein Erektionswettbewerb gekoppelt wird. Hit der Bailes Funk sind auch superfeminine Gays, die auf der Bühne mit Partnerinnen einen Coito simulieren. Elf-Zwölfjährige schauen reichlich zu, eigentlich dürften auch im Clube Chaparral nur fast Erwachsene sein. Koitus-ähnliche Bewegungen der Jugendlichen, zu zweit, zu dritt sind normal. Mädchen in knappen Tops, mit superkurzen Röcken provozieren die Jungs vor ihnen, indem sie sich immer wieder raffiniert so in die Hocke fallen lassen, daß für einen Moment ihr winziges Tangahöschen sichtbar ist. Obszönitäten beinahe jeder Art am laufenden Band. Claro, daß selbst Zwölfjährige auf Bailes Funk schon zur Prostitution oder für Pornofilme angeworben werden.In den Hallenecken dealen sie Kokain und Crack, der DJ jagt das Rap-Stakkato „Vai dancar“, x-mal viederholt, mit finsterem Höllenecho in die Menge. Klingt mechanisch übersetzt harmlos, dieses vai dancar, du wirst tanzen – doch alle Welt in Rio nutzts im Slang-Sinne: Du wirst sterben, gekillt werden, Blei fressen. Tudo mundo vai dancar – alle sind dran. Brasiliens Bailes Funk, Bailes do Corredor enden meist gegen fünf – davor liegen noch einmal Stunden mit Tumult, Risiko, Enthemmung, mit ritualisierter Macho-Gewalt und der sogenannten „Viertelstunde der Fröhlichkeit“. Das häufig sogar mit Revolvern bewaffnete Hallenpersonal zieht sich zurück – zu den härtesten, aggressivsten Hits schlagen die Funkeiros ungehindert aufeinander, auch Mädchen sind darunter. Funkeiros sagen es offen:“Die Disco ist gut, weil es Schlägereien gibt, die gehören einfach dazu. Wir imitieren hier das Videospiel „Mortal Kombat“. Wer zu einer Galera gehört, muß zum Schlagen und sogar Töten bereit sein.“ Und wenn es am berühmten Ipanema-Strand von Rio ist, wo sich häufig verfeindete Funkeiro-Haufen bekämpfen. Schüsse fallen, Omnibusse gehen zu Bruch oder in Flammen auf – die romantischen Girl-from-Ipanema-Zeiten sind lange vorbei Schwer zu übersehen, daß blutende Baile-Wunden Eindruck bei vielen Mädchen schinden, die dann nicht selten „Siegertrophäen“ werden. “Mir gefällt das, mit dem Gewinner zu bleiben“, meint eine Vierzehnjährige. Eine Freundin widerspricht:“Die Typen sind unheimlich machistisch – es gibt welche, die dich schlagen, wenn du nicht einwilligst. Dann muß man einen vom Sicherheitspersonal rufen. Mist, wenn mein Klo ausgerechnet neben der gegnerischen Galera liegt.“ Baile Funk ist Rivalenkampf, auch um den schärfsten Typen. „Ich ziehe immer ganz enge Sachen an, das macht mich sinnlich“, erklärt Ana Paula, „anders gehts garnicht, würde ich mir niemanden angeln, keinen abkriegen.“ Sie blinkert einen Jungen an, damit der weiß, daß sie will. Denn noch schmust er mit der Freundin. Kein Hinderungsgrund, in der Erwachsenenwelt außerhalb der Bailes Funk ja auch nicht: Für viele brasilianische Frauen ist es geradezu ein Sport, die „Treue“ verheirateter Männer zu testen, mit ihnen zu schlafen – wegen der Genugtuung, es „geschafft“ zu haben. Oder der anderen den Partner wegzuschnappen. Ein Ehering gilt gewöhnlich als Beleg dafür, daß dieser Mann bereit ist, feste Beziehungen einzugehen, es ernst meint. Einer in Sao Paulo kommentiert:“ Einen Ehering anzustecken, zieht Frauen magisch an, da kommen sie in Scharen und greifen an.“ Wie Soziologen herausfanden, hat die Mehrheit der weiblichen Funkeiros von elf, zwölf Jahren an Geschlechtsverkehr, verzichtet meist auf Verhütung – Frühschwangerschaften sind entsprechend häufig. Es gibt Bailes Funk, bei denen draußen in heißer Tropenluft Matratzen ausgelegt werden. Mädchen betreiben sogar Gruppen-Mobbing gegen mißliebige Funkeiras, haben dafür drastische, unerhört sexistische Songs, die man nur übelsten Machos zutrauen würde. Die Rhythmen der Bailes Funk wurden in Los Angeles und der Bronx erfunden, von der Musikindustrie auch nach Brasilien durchgeschaltet. Die Texte der US-Gangsta-Rapper sind verglichen mit denen Rios eher fürs Poesiealbum. Unterlegt mit Geräuschen von Mpi-Salven und Granatenexplosionen, singen Rios Rapper übers Töten, lebendig Verbrennen, Stapeln von Leichen, den Spaß am Kidnappen , Foltern. Im „Rap da Bandida“ ist vom Vergnügen die Rede, Leute mit der Mpi zu durchsieben, sie aufzuhängen. Zitat:“Ich bin Rauschgifthändler und Straßenräuber, mache massenhaft Entführungen – ich will dich an meiner Seite, Banditin von guter Rasse.“ Solche Songs sind auch in Kolumbien und Mexiko populär, gehören inzwischen zur Alltagskultur. Rapper Jefferson Sapao in Rio, derzeit superbeliebt bei den Kids, gehört selber zu einer Banditenmiliz, mag besonders das deutsche Bundeswehr-Sturmgewehr „G 3“ – wie das wohl in so großer Zahl in die Hände der Gangster gerät? Rappend preist er natürlich die brutalsten Banditenchefs über alle Maßen:“Wenn die Polizei sich in einem Slum wagt, muß sie mit Mpi-Salven empfangen werden.“ Was ja auch stets passiert. Schauplatz Antares, ebenfalls Rio-Peripherie. Das lokale „Radio radical“verbreitet auf UKW und übers Lautsprechernetz den neuesten Gangsta-Rap, nachts läuft er auf den Bailes – eine Botschaft des Banditenbosses Magno vom Comando Vermelho an einen Rivalen:“Es gibt ein Blutbad, wenn er nicht Antares in Ruhe läßt – die Leute von Magno werden töten, köpfen, vom Friedhof bis zur Gerdau-Fabrik Leichen stapeln.“ Die Drohungen sind kaum übertrieben – in der Woche vor der ersten Rap-Ausstrahlung fallen sechsundzwanzig Gangster bei Schießereien, für die Slumbewohner Tage und Nächte des Terrors. Flüchtet ein bekannter Gangster aus den Hochsicherheitstrakten Rios, meist durch Wärterbestechung, feiern die Slums seines Comando tagelang, machen frischkomponierte Gangsta-Raps die Runde, werden von den Heranwachsenden gleich in Gruppen, auch in Bussen und Vorortzügen gesungen, rühmt man die „Heldentaten“ des Entwichenen. Kein Rio-Wochenende ohne tote Funkeiros. Im Slum Formiga gegenüber Borel werden auf einer einzigen Massendisco elf Minderjährige, Mädchen und Jungen, darunter eine Elfjährige, mit großkalibrigen Waffen erschossen. Der Polizeichef reagiert vor den Journalisten grob:“Soll ich eine Atombombe auf Rio werfen, damit sowas aufhört?“ Auf einem anderen Baile sterben sechs. Einmal wirft eine Funkeiro-Gruppe drei selbstgebastelte Bomben am „Todeskorridor“ in tanzende Gegner – zwei vierzehnjährige Mädchen sterben, eines verliert das Augenlicht, ein weiteres den rechten Arm. Schon in den Zubringerbussen, oft von Gangstersyndikaten gesponsert, ist die Stimmung aufgeheizt. Die in einen überfüllten Funkeiro-Bus geschleuderte Spezialgranate der Armee hätte gemäß einem Offizier alle getötet, explodiert gottseidank nicht. Molotov-Cocktails auf Rivalen-Busse zu werfen, ist nichts Besonders mehr Auch das gibts: Funkeiros wollen den von einem rivalisierenden Verbrechersyndikat beherrschten Slum Antares provozieren, hängen beim Vorüberfahren aus dem Busfenster die nackten Hintern heraus. Auf diese schießen Banditen sofort mit Mpis – neun Funkeiros landen schwerverletzt im Hospital. Eine schwarze Menschenrechtsanwältin kennt einen Zeugen, demzufolge inmitten von Bailes Funk Jugendliche lebendig verbrannt wurden. Fotos verkohlter Opfer veröffentlichen die Horror-und Crime-Boulevardblätter Rios allen Ernstes fast jeden Tag. Funkeiro-Galeras haben nach der Disco wiederholt Bettler verbrannt. Die Reste des vierzigjährigen Joel da Silva aus dem Rio-Slumgürtel Baixada Fluminense werden in Großaufnahme abgebildet. Kirchliche Sozialarbeiter sagen, auch andere Obdachlose endeten genauso. Seit Jahren lassen die Baile-Veranstalter Tote, Schwerverletzte, Jugendliche im Koma, clever „verschwinden“: Ein Spezialteam, genannt „Servica de Desova“, schafft sie in öffentliche Hospitäler, gibt dort stets zu Protokoll, alle irgendwo in dunklen Straßen aufgefunden zu haben , weit entfernt vom nächsten Baile Funk. Gleice, 16, ließ man liegen. Auf dem berüchtigten Baile des Country Club von Jacarepaguà wird sie von einer gegnerischen Galera zuerst zusammengeschlagen, dann ins Klo geworfen. Das reichte nicht – auf Gleice wird uriniert, man beschmiert sie mit Kot. Julio, 15, wird beim „Mortal Kombat“ im Country Club erschlagen, Mauricio, 16, erschossen – in wenigen Jahren sterben allein auf diesem Wochenend-Baile über zwanzig Jugendliche. Das organisierte Verbrechen finanziert, veranstaltet viele Bailes Funk, läßt sogar populäre Sambistas gegen Höchstgage auftreten, wirbt dort Bandenmitglieder an. Kokain, Crack oder Heroin werden selbst an Kinder häufig kostenlos verteilt, bis es zum verführerischen Angebot kommt:“Wenn du mitmachst, kriegst du die Drogen immer gratis, hast viel Geld und eine Waffe, kannst dich schick anziehen, nimmst dir die Frauen, die du willst.“Comando-Leute sind in der Menge leicht zu erkennen – sie tragen Goldkettchen und teure Ringe, sind am besten gekleidet, werden als Idole, Aufsteiger angesehen und behandelt, „erobern“ die meisten Mädchen. Üblich ist, der Logik des Bosses der jeweiligen Favela auch in puncto Machismo zu folgen: Man hat drei bis vier Geliebte, die voneinander wissen, und eine Namorada de Fè, Geliebte des Vertrauens, zum Heiraten, mit der man Kinder haben will. Die Baile-Funk-Realität erscheint absurd bis irrsinnig, zumal sie von den Autoritäten hingenommen wird. Marcia ist Soziologin, forscht in der Baile-Funk-Szene, dachte anfangs, mit progressiven Baile-Projekten ein Gegengewicht, Alternativen schaffen zu können. An einer Straßenbar von Lapa schüttet sie mir ihren Frust vor die Füße, ist nur noch pessimistisch. „Das alles ist die Antwort unseres neoliberalen Staates auf die Verhältnisse – es gibt keine Politik, um die Jugendlichen für die Gesellschaft zurückzugewinnen. Fast dreißig Prozent der Heranwachsenden Rios sind ins organisierte Verbrechen verwickelt, hier geschieht ein Genozid an den jungen Leuten!“ Die Kugel sei die erste Todesursache in dieser Altersgruppe. Nach jahrelangem Zögern haben auch andere brasilianische Sozialwissenschaftler das Kulturphänomen Baile Funk schließlich intensiv untersucht. Selbst Therapeuten und Musikexperten nennen die Massendiscos Feste einer „Jugend ohne Perspektive“, die zynisch-nihilistische Antwort der jungen Generation auf eine Gesellschaft ohne Projekte – eine Ablehnung sozialer Werte und eine Form der Entfremdung. Inzwischen frequentieren auch zunehmend weiße Jugendliche der Mittelschicht die Bailes Funk, damit, so heißt es, wollten sie eine tiefe innere Leere und Einsamkeit überdecken..“Die gefährliche Seite dieser Annäherung“, so der renommierte Jugendpsychiater Christian Gauderer, „ist die Anziehungskraft, die der Kriminelle auf die Mittelschichtskids ausübt – diese versuchen, Freunde der Drogengangster zu werden, um Waffen und Status zu bekommen.“ Claro, die Bailes Funk machen an der Peripherie dem Samba den Garaus. Wieder dröhnt mir auf einem Baile Sinistres um die Ohren – die „Montagem do Aviso“. Monoton die zigmal geflüsterte, geschriene Botschaft „Paß sehr gut auf“, gewöhnlich die Ankündigung, daß man der nächste ist, der umgelegt werden soll. Aviso – das kennen die im Slum sehr gut. Dann heißt es nur, alles stehen und liegen lassen, sofort abhauen, nie mehr in der Gegend auftauchen. Österreicher, Schweizer, Deutsche, die Leme, Laranjeiras oder im Bergstadtteil Santa Teresa wohnen, hassen die Bailes Funk der umliegenden Favelas, besonders jene vom Morro da Coroa. In einer Novembernacht werden dort vier Funkeiros angeschossen, in Bauch und Rücken, eine Zwölfjährige und ein etwas älterer Junge fallen tot auf den Baile-Beton. „Guilherme Augusto Salvador hat einen Schuß in die Eier gekriegt“, amüsiert einen von der gegnerischen Galera. Eigentlich sind die Lärmschutzgesetze streng, ist Rios Umweltchef immerhin ein sogenannter Grüner, dennoch dröhnen HipHop und Rap von Freitagnacht bis Montagmorgen in Hardrock-Lautstärke über die Hügel. Ausländerinnen fliehen deshalb regelmäßig mit ihren brasilianischen Geliebten in die Bungalows außerhalb der Stadt, andere schlafen bei Freunden. Und alle fragen sich, wie eigentlich die Slumbewohner mit dem Krach klarkommen, all die Kranken, Alten, am Schlafen gehinderten Babies. In einem Hangslum des Mittelschichtsviertels Tijuca ist der Chef der Bewohnerassoziation, mit schwerkranker Frau in der Kate, mehr als genervt, hat wegen der letzten Baile-Funk-Nacht Ringe unter den Augen, erklärt mir die Lage: “Was soll ich machen? Die Leute kommen zu mir, wollen, dass ich mich bei den Veranstaltern beschwere. Mache ichs, werde ich erschossen. Denn der Veranstalter hier ist das Comando Vermelho.“ In einer Uni-Fakultät Tijucas unterrichtet ein auswärtiger Dozent den ersten Tag, fährt sechs Uhr abends wegen einer nur zweihundert Meter entfernt abgefeuerten Mpi-Salve erschreckt zusammen. Seine Studenten im Hörsaal klären ihn lachend auf. Gerade hat in der nahen Favela der Baile Funk begonnen, die Gangster schießen deshalb immer am Anfang in die Luft, tuns auch zwischendurch, mitten in der tanzenden, wogenden Menge. In Sichtweite ist das weltgrößte Fußballstadion Maracanà. Als drinnen beim Baile Funk mit sieben DJ-Teams unter den über 6500 Jugendlichen die ersten Massenschlägereien losbrechen, mache ich mich lieber aus dem Staub, komme aber nicht weit. Denn rund ums Maracanà bekämpfen sich bereits über zweitausend Funkeiros, sogar Schüsse fallen. „Bleib lieber drin, Gringo, bist du verrückt!“, sagt der Stadionwächter, öffnet aber das dicke Vorhängeschloß, damit ich rauskann. Wenige Sekunden später flehe ich ihn an, mich wieder reinzulassen, denn eine Galera rennt auf mich zu, sichtlich nicht in friedlicher Absicht. Das geht über eine Stunde so, bis das Abtauchen in dunkler Nacht gelingt. Hinter mir werden noch Autos umgeworfen, Busse und Telefonzellen ruiniert, angeblich gibt es nur Angeschossene, keine Toten. Mir gellen die Galera-Schlachtrufe noch in den Ohren – auf Comando Vermelho oder Terceiro Comando gemünzt. Besonders aktiv ist mal wieder die über hundertzwanzig Köpfe starke Galera des Borel-Slums, in Tijuca besonders gefürchtet. „Wir schlagen zu, weils uns gefällt“, sagt Pedro, siebzehn. „Unsere Galera hat die öffentlichen Busse im Griff – steigt ein Alemao zu, hauen wir ihn zusammen.“ Borels berühmteste Rapper waren das Duo Willian und Duda, die zum Karrierestart vom Comando Vermelho bezahlt wurden, auf deren Bailes auftraten, deren Taten verherrlichten. Reich geworden, zogen beide in bessere Viertel. Als sich erster öffentlicher Protest gegen die Bailes Funk regt, auf Verwicklungen zwischen Politik, Gangstern und Disco-Betreibern verwiesen wird, wollen Funkeiro-Galeras spätnachmittags vor Oper und Parlamentspalast im Stadtzentrum aller Welt zeigen, was für grundfriedliche, harmoniebedürftige Jungs sie sind. Der Evento mit Rappershow geht nach hinten los, ich sehs mir aus der Nähe an, renne vor fliegenden Pflastersteinen davon. Wie auf den Bailes kriegen sich die Galeras sofort in die Haare; wer nicht mitprügelt, reißt solange schwangeren Frauen, alten Leutchen die Taschen weg, macht teils bewaffnet Straßenüberfälle. Ein Greis wird direkt vorm Parlament nicht nur beraubt, sondern auch noch zu Boden gestoßen und getreten, Hunderte, auch Zufallspassanten, schauen zu. Natürlich sind die Bailes Funk auch ein Riesengeschäft, eine Industrie, an der wenige verdienen. Monatsumsatz in Rio – umgerechnet weit über dreißig Millionen Mark. Soziologin Marcia erklärt mir die Strukturen:“Romulo Costa, Pastor einer Sektenkirche, ist Marktführer, hat sogar eine mehrstündige TV-Sendung. Das ist dermaßen absurd – fast schon komisch bis grotesk, wenn nicht alles so tragisch wäre.“ Auf einem Video ist zu sehen, wie Prediger Romula Costa ungerührt einer Massenschlägerei auf einem seiner Bailes zuschaut, der im Maracanà war auch sein Werk. Anfang Zweitausend findet man seine Firma erstmals schriftlich in der Buchhaltung einer Gangstermiliz festgehalten, die zu selber Zeit dem Militärpolizisten Marco de Oliveira den Kopf abschlägt. In den Zeitungen steht, für Romulo Costas längst fast jedermann bekannte Verwicklungen gebe es damit erstmals einen „technischen Beweis“. Folgenlos. Seine DJs schreien in die Massen:“Tötet die Deutschen, schnappt euch die dort, bildet Gruppen!“ Romula Costa konkurriert mit Josè Claudio Braga, der sich ironisch-zynisch selber einen „Empresario des Teufels“ nennt. Über seinen Bailes schwebt eine fünf Meter lange Riesenpuppe, die den berüchtigten Gangster Bagulhao verherrlicht. Bragas tägliche Seite im Sex-, Crime-und Horror-Blatt „O Povo de Rio“, Volk von Rio, ist aufschlußreich. Ein mit Bild vorgestelltes Galera-Mitglied erklärt:“Unser Wahlspruch ist Terror“. Und ein Kommentar von Veranstalter Braga beginnt so:“Die schönste Waffe, die es gibt, ist die nordamerikanische Heeres-Mpi AR – 15. Schön in Größe und Form, auch der Art, wie sie zerstört, nämlich auf der Stelle. Vapt-vupt – und die getroffene Person leidet nicht einmal, fühlt keinerlei Schmerz.“ Wenn ihm Konkurrent Romulo Costa öffentlich vorwirft, Gewalt-Bailes zu veranstalten, haut Braga in seiner Kommentarspalte zurück, beschreibt Panik und Schießereien auf dessen Discos. Funkeiros tragen massenhaft Gewalt in die Stadien, was selbst Multimillionär und Ex-Fußballstar Pelè hart reagieren läßt: „An den Schlachtrufen ist zu erkennen, daß viele Gewalttäter zu den Fans der Bailes Funk zählen, sich kaum für Fußball interessieren, dafür um so mehr für Brutalitäten.“ Schuld an den Zuständen sind die führenden egoistischen und korrupten Politiker, donnert Pelè, denen die Zukunft des Landes schlichtweg egal ist. Was sich bei europäischen Fußballmatchs abspielt, sind Peanuts gegen die brasilianischen Verhältnisse: In Rio oder Sao Paulo gehen Hunderte, oft sogar Tausende mit Revolvern, Molotovcocktails, selbstgebastelten Bomben und Messern aufeinander los – Busse von Fanclubs werden sogar mit Maschinenpistolen beschossen. Üblich sind inzwischen sogenannte Arrastoes, Fischzüge, in den Stadien: Einer Menschenwalze gleich fallen Ungezählte über zumeist ältere, friedfertige Fußballanhänger her und rauben diese unter Schlägen restlos aus. Ein Glück, daß wenigstens in Sao Paulo die Rap-und Funk-Szene teilweise politisiert ist, radikalen Protest äußert. Keine Rappertruppe agiert radikaler, erfolgreicher als die „Racionais MC`s“, aus den gefährlichsten, elendesten Favelas der reichsten lateinamerikanischen Metropole, unweit von VW, Mercedes-Benz und Ford. Grünenpolitiker wollen nicht anders als ihre Klientel der weißen Mittelschichtsviertel die Freigabe und Entkriminalisierung von Drogen – die „Racionais MC`s“ sind radikal dagegen, sehen in Rauschgifthandel und – konsum das Hauptübel der armen Vorstädte Brasiliens. Bereits Kinder unter zehn Jahren rauchen Crack, nehmen Kokain, Heroin, LSD, ganz zu schweigen von den Älteren – und überhaupt kein Vergleich mit Europa. Im Drogenrausch wird Entsetzlichstes begangen – kaum ein Tag ohne Zerstückelte, lebendig Verbrannte. Die Besserbetuchten, auch jene der Ersten Welt, verdrängen diese Realität, die Rapper von Racionais MC`s haben sie kontinuierlich vor Augen, sehen in Aufklärung, Politisierung ihre Mission. Sänger Mano Brown, der früher mit einem Revolver am Gurt herumlief, schreit von der Bühne, daß Drogen betäuben, debil und stupide machen. „Das System hat kein Interesse an Armen, die intelligent sind!“ Die Schwarzen müßten endlich erkennen, in welch tiefer Dekadenz sie stecken – und die Dinge ändern. Lernen, zum Buch greifen, anstatt in die Kriminalität abzurutschen. Zwar rasch mehr Geld zu haben, dafür aber früh, mit zwanzig, fünfundzwanzig Jahren bereits ins Gras zu beißen. Die Racionais MC`s wollen ein Beispiel geben, rauchen nicht, trinken nicht, manche wurden Vegetarier. Drogen sind sowieso out. Die CDs der Gruppe verurteilen nicht nur Drogen, deren Nutzer und Profiteure, sondern vor allem die Eliten, die sozial unsensible Mittelschicht. Biblische Salme über göttliche Gerechtigkeit fehlen nicht – Slumbewohnern, meint Mano Brown, bleibt heute im Grunde nur die Alternative, kriminell zu werden, mit dem Crime organizado zu kollaborieren – oder sich entschieden der Kirche zuzuwenden. Im „Tagebuch eines Gefangenen“ rappt Mano über den ersten Oktober 1992, als eine Spezialeinheit der berüchtigten Militärpolizei im Carandirù-Gefängnis von Sao Paulo mindestens 111 Insassen erschießt, in weniger als dreißig Minuten auf die Unbewaffneten über dreitausend Schuß abfeuert, viele durch Bluthunde zerreißen läßt: “Du weißt nicht, wie das ist, ein deutsches oder israelisches Maschinengewehr auf deinen Kopf gerichtet, das einen Dieb in Stücke fetzt wie Papier… Der Mensch ist Wegwerfware in Brasilien, wie Slipeinlage, das System verheimlicht, was die TV-Serien nicht zeigen. Blut rinnt wie Wasser aus Ohren, Mund und Nase, der Herr ist mein Hirte, Kadaver im Brunnen, im ganzen Gefängnishof, Adolf Hitler lacht in der Hölle, Gouverneur Fleury und seine Gang werden in einem Becken voller Blut schwimmen, aber wer wird meinen Worten glauben?“ Das Massaker blieb bisher ungesühnt, der befehligende Offizier wurde Politiker, Abgeordneter. Interessant, bezeichnend – die so hochpopulären Racionais MC`s schaffen es nicht, an der Rio-Peripherie aufzutreten. Denn die soziale Kontrolle der Gangstersyndikate ist so effizient, daß Rapper-Kritik an Banditen und Drogen nirgendwo zugelassen wird, wirklich sozialkritische Bands keine Auftrittschancen haben. Wenige Jahre zuvor gibts dort ein großes Rapper-Festival, die Banditenmilizen machen den Ordnungsdienst. Also wagt niemand, etwa die massenhaft Anwerbung von Straßenkindern für Verbrechen zu kritisieren. Um so heftiger wird der Polizeiterror angeprangert, das gefällt den Comandos. Daß Banditen Rios minderjährige Mädchen vergewaltigen, zum Mitmachen bei Pornofilmen zwingen, die man später in ihrer eigenen Favela öffentlich zeigt, ist ebenfalls kein Thema. Wenigstens rappt „Justica Negra“, Schwarze sollten sich nicht gegenseitig, wegen ein paar Tennisschuhen, einer Uhr, einer schicken Rappermütze umlegen, zuviele seien deshalb schon im Knast. Auf den Bailes Funk in Sao Paulo manifestiert sich in Ansätzen wachsendes Selbstbewußtsein der dunkelhäutigen Unterschicht, kaum aber in Rio. Sänger Ice Blue von den Racionais MC`s ist lieber vorsichtig, spricht nur von einer gewissen „Bequemlichkeit“der Slumjugend am Zuckerhut. Arnaldo Jabor, Starkolumnist von Brasiliens auflagenstärkster Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“ nimmt dagegen kein Blatt vor den Mund, reflektiert den Abstand der Reichen, der Mittelschichtler, der Intellektuellen wie er selber, von der Peripherie-Realität: “Auf den Bailes Funk pulsiert ein brutaler Strom des Wollens, der Lust – die Gewalt als Hunger nach Ausdruck, das Töten als Erleichterung, Trost, Erholung nach Erniedrigungen. Eine Normalität des Mordens entsteht, bar jeder Schuld und Sünde. Die Masse der Unglücklichen wächst jeden Tag, wir können sie nicht mehr ignorieren. Erinnert sich jemand an den Videoclip der Racionais MC`s im MTV, die Faszination der privilegierten Mittel-und Oberschichtskids für die rohe, viehische, brutale Ethik der Slumkids? Die Peripherie wird zur Avantgarde der Verhaltensnormen. Unser hübschen kleinen Sozialprojekte -–wie sind die doch lächerlich. Aber die Regierung steht nun einmal zur Avenida Paulista(Sao Paulos Straße der Großbanken, Konzerne und Multis, der Verf.). Wahrscheinlicher ist, daß dort in ein paar Jahren eine Wissenschaft der Ausrottung hochsprießt, entwickelt wird – anstatt eines radikalen Projektes zur Rettung dieser Unglücklichen. Die Idee einer Lösung ist immer weiter weggerückt. Eine Lösung? Zu spät, vorbei…“ 

 

Brasilien – das Gewalt-Gesellschaftsmodell und die wichtige Rolle der Slums/Favelas. Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2017/01/01/brasilien-das-gewalt-gesellschaftsmodell-und-die-wichtige-rolle-der-slumsfavelas-hintergrundtexte-warum-brasilien-strategischer-partner-der-merkel-gabriel-regierung-ist-von-der-deutschen-regieru/

Wirtschaft in Brasilien – Hintergrundtexte:

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/11/deutsche-firmen-und-wirtschaftskriminalitat-in-brasilien1/


Lula – Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/07/30/brasilien-2016-lula-von-westlichen-regierungen-eu-westlichem-mainstreamlula-superstar-jahrelang-bejubelt-wird-vor-gericht-gestelltpetrobras-affaere-die-ur/

Brasilien und Drogen – Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2017/01/18/aus-brasilien-nichts-neues-2017-drogensuechtige-die-in-grosser-zahl-crack-konsumieren-blockieren-in-der-city-von-sao-paulo-immer-wieder-sogar-strassenkreuzungen-vertreibt-die-polizei-diese-crack-h/

Kirche in Brasilien – Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/05/brasilien-%E2%80%93-kirche-und-gesellschaft-sammelbandtexte/

Juden in Brasilien, Lateinamerika – Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2008/11/05/juden-in-brasilien-hintergrundtexte-der-letzten-jahre-mit-dem-arsch-zum-publikum/

Österreichs katholischer Priester Günther Zgubic – unter den besten Kennern Brasiliens. Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/12/27/oesterreichs-katholischer-priester-guenther-zgubic-unter-den-besten-kennern-brasiliens/

Gefängnisse in Brasilien – Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2017/01/02/aus-brasilien-nichts-neues-gefaengnis-rebellion-zu-jahresbeginn-2017-mit-offiziell-60-toten-in-amazonas-millionenstadt-manaus-schauplatz-vieler-aehnlicher-gewaltausbrueche-warum-brasilien-strateg/#more-86916

Brasilien – Kultur, Mentalität, soziokulturelle Faktoren. Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/08/brasilien-kultur-und-gesellschaft-sammelbandtexte/

Brasilien und Karneval – Hintergrundtexte, Fotoserien:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/02/11/rio-de-janeiro-karneval-2016-die-siegerparade-der-sambaschulen-die-unausrottbaren-klischees-des-deutschsprachigen-mainstreams-dominiert-im-rio-karneval-tatsaechlich-samba/

Indianer in Brasilien – Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/11/25/indianer-lateinamerikas-moegen-politisch-unkorrekt-coca-cola-diabetes-rate-etc-entsprechend-hoch/

Obdachlose, Straßenbewohner in Brasilien – Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/02/12/mensch-und-muell-2016-die-verelendete-sklavennachfahrin-von-sao-paulo-muelltueten-muellsaecke-als-einzige-kleidung-vergebliches-betteln-um-ein-paar-muenzen-keinerlei-zeichen-von-solidaritaet-mi/

Kommentar/2001

Falsche Mutter Courage

Mit Claudia Roth, tönen Deutschlands Medien, kam eine Parteilinke guter alter Öko-Werte an die Grünen-Spitze. Ein schlechter Witz – die Populistin ist eine knallharte Neoliberale. Ihre verheerende Rolle als Chefin des Menschenrechtsausschusses im Bundestag sagt genug. Die Zustände in Brasiliens total überfüllten Haftanstalten werden selbst von kirchlichen Gefangenenseelsorgern mit denen in Nazi-KZs verglichen, Todesschwadronen wüten schlimmer als zur Diktaturzeit, die grausigsten Massaker an Landlosen sprachen sich auch bis nach Deutschland herum. Den politisch Hauptverantwortlichen für die Blutbäder benennt bereits 1996 ein Internationales Tribunal, dem Persönlichkeiten der UNO und des Weltkirchenrates angehören. Es ist Fernando Henrique Cardoso, Präsident des Tropenstaates, selber Großgrundbesitzer, natürlich Ehrendoktor der Freien Universität Berlin – noch nicht einmal der ASTA findet das irgendwie anstößig. Claudia Roth, menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen, erst recht nicht. Die ist immer nett zum Massaker-Demokraten, so wie Joseph Fischer, Jürgen Trittin oder gar Gerhard Schröder. Deutsche, brasilianische Menschenrechtsaktivisten hatten erwartet, daß mit Rot-Grün Cardoso bei seinen Deutschland-Visiten ein eisiger Wind entgegenschlagen, die Hofiererei wie unter Helmut Kohl jäh enden würde. Zu dessen Zeiten wurden auch Präsidenten-Vize Marco Maciel und Kongreßchef Antonio Carlos Magalhaes besonders herzlich empfangen – niemand störte sich daran, daß beide tonangebend in der Arena-Partei des Militärregimes waren und damals schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit deckten. Doch – nur für manche überraschend – setzt Rot-Grün die Kohl- Linie fort: Ist Staatschef Cardoso in Berlin bei Schröder & Co., unterbleibt jede Kritik an dessen Verantwortung für Killerkommandos, Massenfolterungen sowie an der Amazonasvernichtung – laut Greenpeace steht immerhin bereits fest, daß die Cardoso-Regierung als absoluter Rekordhalter bei der Regenwaldzerstörung in die Geschichte eingehen wird. Wer noch Zweifel über Claudia Roths politische Philosophie hat, verliert die ausgerechnet zur EXPO-Eröffnung: Denn
Sozialdemokrat Schröder wählt unter den Staatschefs dieser Erde zielsicher den “Social-Democrata” Cardoso, um mit ihm in Hannover die Weltausstellung zu eröffnen, ihn auf dem festlichen Bankett als einzigen ausländischen Ehrengast eine Rede halten zu lassen. Da spätestens hätte die “Menschenrechtsexpertin” Roth dem Kanzler in den Arm fallen, ihn vor einem historischen Fehlgriff bewahren müssen. Doch sie tut es nicht – selbst in Kenntnis neuester Anklagen von Amnesty International und des US-State Department. Es stellt bereits 1998 fest, daß unter Cardoso Folter, außergerichtliche Exekutionen und Polizeigewalt weiter zunehmen. Beamte der aus Diktaturzeiten berüchtigten Militärpolizei betätigen sich in der Freizeit als Berufskiller und Entführer. Folterungen regelmäßig selbst in den Streitkräften. 
In Hannover kommt es noch schlimmer. Cardoso, heißt es offiziell, repräsentiere durch seine Biographie, sein Land, seine Regierung die Hauptthemen der EXPO – Mensch, Natur und Technik. Er sei jene Persönlichkeit mit den besten Voraussetzungen, Lösungsvorschläge für die Probleme des nächsten Jahrhunderts zu machen. Tags darauf ist Cardoso in Berlin einer von – laut Eigendarstellung der Teilnehmer – “fünfzehn fortschrittlichen” Staatschefs, darunter auch Clinton und Blair, die im Kanzleramt auf der Konferenz “Modernes Regieren im 21.Jahrhundert” ein gewichtiges Wort mitreden Und in der Tat – Präsident Cardoso kann den politischen Eliten der Ersten Welt nützliche Ratschläge geben, wie man neoliberale Konzepte brutal durchsetzt und dennoch recht problemlos an der Macht bleibt. Markt und MoralClaudia Roth kennt wie Fischer auch die entscheidenden ökonomischen Basisfakten nur zu genau: Brasilien ist Hauptempfänger deutschen Kapitals in der Dritten Welt, Deutschland zählt zu den vier wichtigsten Investoren in dem Tropenstaat, längst unter den zehn größten Wirtschaftsnationen der Erde. Sein Bruttosozialprodukt übertrifft das von Rußland oder China – allein jenes von Rio de Janeiro das von ganz Chile, jenes der 17-Millionen-Metropole Sao Paulo das von ganz Argentinien. In einer Bucht bei Rio hat Siemens gerade einen Atommeiler ans Netz geschaltet, will genau daneben einen zweiten des Biblis-Typs fertigbauen. Gewinnspannen wie in Brasilien sind weltweit fast einmalig, werden vor allem in Lateinamerikas Wirtschaftslokomotive Sao Paulo erzielt. Nicht zufällig nennt man die auch “größte deutsche Industriestadt” – wegen der über eintausend Niederlassungen von Konzernen wie VW, Daimler-Chrysler oder Bayer. Daß dort Lateinamerikas gräßlichster, größter Gefängniskomplex Carandiru steht, in dem es wegen der entsetzlichen Zustände auch dieses Jahr zu Häftlingsrevolten kam, hätte Claudia Roth eigentlich interessieren müssen. Schließlich ist das Massaker von 1992, bei dem eine Spezialeinheit der Militärpolizei laut offiziellen Angaben 111, laut kirchlichen weit über zweihundert Insassen durch Mpi-Salven und Bluthunde umbrachte, weiterhin ungesühnt. Der befehligende Offizier ging in die Politik, unterstützt nach wie vor Cardoso, ein anderer Armeeoffizier und Kongreßabgeordneter aus des Staatschefs Mitte-Rechts-Regierungsbündnis plädiert öffentlich für Folter, rechtfertigt ungestraft Massaker an Landlosen und Gefangenen: “Ich hätte ebenfalls geschossen.” Zum Blutbad von Carandiru erklärt er:”Man hätte noch einige neunhundert töten müssen, um Platz für andere Gefangene zu schaffen.” Reaktion von Cardoso auf diese öffentlichen Äußerungen – keine, von Claudia Roth ebenfalls nicht. Nach den jüngsten Revolten beschuldigt Marcos Rolim, der im Parlament die gleiche Funktion wie die Grüne im Reichstag hat , den Justizminister Cardosos, für die Unruhen direkt verantwortlich zu sein, spricht von “Mord, Folter, Hunger und Dreck” – laut Angaben der katholischen Kirche bricht alle sechsunddreißig Stunden im Lande ein Häftlingsaufstand aus. Doch der Staatschef kontert, das brasilianische Strafsystem sei “exzellent”. Bundeskanzler Schröder betont, daß dieser brasilianische Präsident Vertrauen verdiene. Und weiß natürlich, wie clever sein stockneoliberaler sozialdemokratischer Kollege vom Zuckerhut beispielsweise kreuzgefährliche Untersuchungsausschüsse des Parlaments abwürgt, verhindert: Die wichtigsten Bestecher der Nation, darunter Multis, werden nicht ermittelt, Cardosos Verwicklung in einen Banken-und Stimmenkaufskandal bleibt im Dunkeln.
Wenn die grüne “Übermutter” solche Zustände nicht dazu bringen, Cardoso und seinen Anhang weniger freundlich zu behandeln, hätte natürlich des FU-Ehrendoktors Position zum Fall Pinochet Anlässe geboten. Der chilenische Diktator beging Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht alleine, sondern hat bis heute Kumpane, engste Freunde und Helfershelfer auch im brasilianischen und argentinischen Militär, von der intensiven CIA-Kooperaration ganz zu schweigen. Argentiniens Präsident Carlos Menem wettert von Anfang an gegen die Verhaftung Pinochets, Schröders Staatsgast und Armee-Oberbefehlshaber Cardoso verlangt ebenfalls die Freilassung – in dessen Amtszeit lädt seine Generalität den hochverehrten chilenischen Kollegen natürlich weiterhin etwa nach Rio de Janeiro ein. 
Deutsche Waffen für die Slum-WarlordsIn den rasch wachsenden Slums der brasilianischen Großstädte haben die Gewaltexzesse gegen schutzlose Bewohner die letzten Jahre für Europäer nahezu unvorstellbare Ausmaße angenommen – täglich werden ungezählte Opfer gefoltert, verstümmelt, geköpft, in Stücke gehackt, angezündet. Zeitungen zeigen die Verbrechen in Großaufnahme. Täter sind vor allem Banditengangs und Todesschwadronen, die auch deutsche Heereswaffen tragen, die Polizei agiert ebenfalls brutal. Die Herrschaft des organisierten Verbrechens über die Slums, betonen selbst kirchliche Menschenrechtler, verhindert auf perfide Weise, daß deren Bewohner politisch für ihre Rechte kämpfen. Denn immer wieder werden engagierte Bürgerrechtler, die Slumassoziationen leiten und sich dem Normendiktat des mit der Politik verzahnten organisierten Verbrechens nicht beugen wollen, zur Einschüchterung ermordet. Für AI ist besonders schwerwiegend, daß die skandalöse Untätigkeit der Cardoso-Regierung vor allem in den unteren Bevölkerungsschichten das Gefühl des Ausgeliefertseins noch verstärke. Der Präsident habe im Ausland versichert, sich für die Menschenrechte der Unterprivilegierten einzusetzen – der Widerspruch zur tatsächlichen Lage sei eklatant. Anwalt James Cavallaro, Leiter des brasilianischen Human-Rights-Watch-Büros, spricht wiederholt von “niederschmetternder Indifferenz” der Cardoso-Regierung. Yvonne Bezerra de Mello, eine der angesehensten Bürgerrechtlerinnen Brasiliens, prangert seit Jahren an, wie das organisierte Verbrechen mit Duldung der Politiker Straßenkinder rekrutiert, sie zu Kindersoldaten macht, die auch deutsche G-3 oder schweizerische Sig-Sauer-Sturmgewehre benutzen. Wer nicht mehr mitzieht, wird kurzerhand eliminiert, die Leichen läßt man meist verschwinden. In den Slums, so die auch in Europa durch Buchveröffentlichungen bekannte Expertin, gebe es Ställe mit Schweinen, die Überreste von Kindern auffräßen. Oder:”Ein Junge, oft nur dreizehn Jahre oder jünger, muß dem an einen Baum gebundenen Opfer mit einer Rasierklinge solange ins Fleisch schneiden, bis es stirbt – sogar das Herz wird herausgetrennt, alles zur Einschüchterung auch der Slumbewohner.” Nicht nur im deutschen Außenministerium dürfte bekannt sein, wie Yvonne Bezerra de Mello die Waffenexportgesetze der Ersten Welt scharf kritisiert. Daß sich unter Rot-Grün 1999 die Kriegswaffen-Ausfuhren im Vergleich zum Vorjahr der Kohl-Regierung mehr als verdoppelten, kam, man ahnt es schon, auch Brasilien zugute. Menschenrechtsaktivisten, die all dies kritisieren, deshalbverfolgt, mit Morddrohungen überhäuft werden, erhalten ebenso wie verfolgte Homosexuelle politisches Asyl in den USA, Kanada oder Australien – und das fünfzehn Jahre nach der Militärdiktatur. Der brasilianische Präsident ist gleichzeitig Oberbefehlshaber der Streitkräfte, könnte die Öffnung der geheimen Militärarchive anweisen, in denen die Zusammenarbeit mit Pinochet, auch das Schicksal der Verschwundenen Brasiliens dokumentiert ist. Wie in Argentinien kollaborierten deutsche Multis eng mit dem Repressionsapparat der Diktatur, bespitzelten Arbeiter; in den Archiven dürften darüber Dokumente liegen. Doch Cardoso läßt die Finger davon, nimmt Rücksicht auf die Generalität. Präsident Cardoso fördert geradezu Folterknechte von einst, in seiner “Sozialdemokratischen Partei”/PSDB wimmelt es von schwerbelasteten Diktaturaktivisten.Brasiliens Neonazis ermorden Schwule – “Hitler” als registrierter VornameIn jenem Brasilien, das so vielen NS-Kriegsverbrechern Unterschlupf und Aufstiegschancen bot, werden auch andere Minoritäten ihr Stigma nicht los. Besonders die vor Hitlers Gaskammern geflohenen Juden schmerzt, daß die brasilianische Gesellschaft überhaupt nichts gegen den Vornamen Hitler hat, der einen sogar in Zeitungsüberschriften anspringt. Selbst in den besten brasilianischen Wörterbüchern steht unter “Judeu” immer noch: “Schlechter Mensch, Habgieriger, Geizhals”. Der jüdische Abgeordnete und Therapeut Gerson Bergher, Mitglied von Cardosos Sozialdemokratischer Partei/PSDB, fordert diesen brieflich auf, etwas gegen die widerliche nazistische Charakterisierung zu unternehmen, sie austilgen zu lassen. In seinem Abgeordnetenkabinett in Rios City sagt Bergher:”Ich habe nicht mal eine Antwort bekommen.”Als Staatschef Cardoso letzten Oktober erneut in Berlin bei Schröder aufkreuzt, alle Ehren erhält, schweigen Roth & Co. wiederum im Kollektiv, ebenso natürlich die angepaßte PDS-Spitze, während einzig die Grüne Liga, Ostdeutschlands größter Umweltverband, mit dem Appell “Kein Staatsempfang für Regenwaldzerstörer!” deutlich Flagge zeigt. Cardoso wird – bisher einmalig in Deutschland – als “Regenwaldzerstörer und Menschenrechtsverletzer” definiert. “Wir fordern als Umweltverband die Bundesregierung auf, alle diplomatischen Beziehungen zur brasilianischen Regierung einzufrieren, solange die Menschenrechtslage nicht verbessert und die Regenwaldabholzung toleriert wird.” Doch Deutschland, so Cardoso hocherfreut an der Spree, gehöre zu den Ländern, mit denen Brasilien die besten Beziehungen überhaupt unterhalte. Jetzt wolle man die Präsenz in Europa weiter verstärken. Da ist es ganz offensichtlich sehr nützlich, verständnisvolle Grünen-Funktionäre wie Claudia Roth zu haben.Keine Reaktion auf Todesstrafe für Schwule in TschetschenienÜber sie können auch die von den afganischen Taliban kräftig unterstützten radikal-islamischen Rebellen Tschetscheniens nicht klagen: Als 1996 das neue tschetschenische Parlament den Islam zur Staatsreligion erklärt, erwartungsgemäß die Sharia, den islamischen Strafkodex, bindend einführt, fordert Holger Beck, rechtspolitischer Grünen-Sprecher, in einer von Joseph Fischer mitunterschriebenen Kleinen Anfrage die Kohl- Regierung auf, “alle diplomatischen Mittel einzusetzen, um die Einführung der Todesstrafe für Homosexuelle in Tschetschenien zu verhindern.” In Afghanistan gibt es diese Rechtsnorm, seit die vom Westen aufgerüsteten Gotteskrieger die Macht übernahmen, in Saudi-Arabien, Deutschlands wichtigem Waffenkunden, ebenfalls. Doch Bonn denkt nicht daran, Becks und Fischers Appell zu folgen – also mußte erwartet werden, daß sich nach dem Regierungswechsel Rot-Grün, insbesondere aber ihre oberste Menschenrechtlerin Claudia Roth vehement nicht nur für die tschetschenischen Schwulen, sondern für alle von Sharia-Strafen wie Steinigen oder Handabhacken Betroffenen einsetzen würde. Doch die Grüne bleibt untätig – bis heute. In den Medien wird für die Schwulenehe in Deutschland gestritten, gegen den Homosexuellen-Artikel 148 der Sharia-Rechtsnormen Präsident Aslan Maschadows jedoch nicht. Wenigstens regt sie sich öffentlich furchtbar auf, als BND-Chef August Hanning im März letzten Jahres mit einer kleinen Pullacher Delegation das tschetschenische Konfliktgebiet besucht, vor Ort mit dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB Informationen über Terrorismusbekämpfung austauscht. Zeitpunkt und Zielort dieser BND-Reise seien “unanständig” – für das Abschlachten von Schwulen, das Abtrennen von Gliedmaßen, öffentliche Hinrichtungen, im Fernsehen übertragen, findet Claudia Roth solche oder ähnliche Begriffe nicht. Die fundamentalistischen Milizen passen halt ins neoliberale geopolitische Konzept, wie zuvor deren afghanische Brüder im Geiste. 

Marianne Birthler, Kandidatin von Angela Merkel für Bundespräsidentenamt:http://www.hart-brasilientexte.de/2009/08/29/foltertechnologie-der-bundesrepublik-deutschland-an-brasilianische-folter-diktatur-in-den-siebziger-jahren-erlautert-menschenrechtsaktivist-ivan-seixas-auf-expertenseminar-des-goethe-instituts-sao-pa/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/08/27/marianne-birthler-verelendete-brasilianische-obdachlose-an-der-rechtsfakultat-sao-paulos-neben-franziskanerkloster-wahrend-des-expertenseminars-goethe-institut/

“Kämpferin”(DER SPIEGEL 2018) Marianne Birthler/GRÜNE:

BirthlerKämpferin18

Ausriß DER SPIEGEL, 14.4. 2018: “…denn sie wurde in den Jahren der DDR, in der Zeit der Wende zu einer Kämpferin, natürlich ist sie für viele auch die Frau, die lange die Stasiakten verwaltet hat und beinahe Bundespräsidentin geworden wäre.”

Birthler – Deutsche Welle:

http://www.dw.com/de/brasilien-h%C3%A4lt-archive-verschlossen/a-4607671

birthler2.JPG

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/08/27/marianne-birthler-bundesbeauftragte-fur-die-stasi-unterlagen-expertenseminar-des-goethe-instituts-sao-paulo-uber-vergangenheitsbewaltigung/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/08/26/internationaler-druck-wichtig-andrea-genest-zentrum-fur-zeithistorische-forschung-potsdam-angesichts-von-folter-ausergerichtlichen-exekutionen-in-brasilien-expertenseminar-des-goethe-institu/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/08/24/marlon-weichert-deutschstammiger-bundesstaatsanwalt-teilnehmer-des-expertenseminars-uber-vergangenheitsbewaltigung-goethe-institut-sao-paulo/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/08/20/goethe-institut-sao-paulo-seminar-mit-marianne-birthler-uber-vergangenheitsbewaltigung-in-brasilien/

Unter dem Zuckerhut

Rio de JaneiroZwölf Jahre lebte Klaus Hart in Rio de Janeiro als freier Korrespondent für diverse Magazine und Tageszeitungen und studierte dabei ausgiebig den Alltag seiner heißblütigen Mitmenschen. Er mischte sich unter entfesselte Karnevalstruppen, hatte es mit charismatischen Tanzlehrern und lebte die Erotik des Alltags aus, ebenso wie er die Anatomie eines Slums charakterisiert. Natürlich nimmt er auch das Thema Nazis unterm Zuckerhut ins Visier, gleichzeitig mit seinen Betrachtungen, die Juden unterm Zuckerhut betreffend. Und auch die Umweltsheriffs von Santarém, die auf verlorenem Posten gegen Wilderer, Dynamitfischer und Urwaldvernichter kämpfen. Aber dann wieder die Erotik im Alltag – intensiv wie eine Tropengewitter, wie Hart das nennt und seine Betrachtungen in diesem sehr langen Kapitel von allen Seiten schildert.

Dieses Buch als Einstieg zu der ersten Brasilienreise zu lesen, wäre zwar nicht fatal, aber auch nicht angenehm. Denn die Folgen wären unerreichbare Erwartungen. Klingt doch in jedem Kapitel, in jedem Thema die enorme Erfahrung des Brasilienkorrespondenten an. Das gereicht zu einem phantastischen Einstieg in die Seele des Landes, die uns so fremd ist, denen unsere Kultur aber noch fremder erscheint. Das lernt man bei Hart, auf stellenweise recht direkte, andererseits wundervoll einfühlsame Weise.

usch@saw

 

Dieser Beitrag wurde am Sonntag, 01. Januar 2017 um 14:35 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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