Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

ZDF, Adveniat-Gottesdienst in Favela Cachoeirinha von Sao Paulo 2011. Brasiliens Kontraste. Fotoserie. Über 2600 Slums in der reichsten Stadt Lateinamerikas. Leben in der siebtgrößten Wirtschaftsnation, als „Gestaltungsmacht“, „Global Player“, modern, fortschrittlich, boomend gerühmt. Effiziente Auslandspropaganda, neoliberale Herzenskälte und Realität. Busfahrer gelyncht in Sao Paulo am Tag des Adveniat-Gottesdiensts.

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http://www.dradio.de/dlf/sendungen/tagfuertag/1698492/

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/tagfuertag/1814946/

“Schönheit und Fäulnis”. Neue Zürcher Zeitung/NZZ – Klaus Hart:https://www.nzz.ch/schoenheit_und_faeulnis-1.700750

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/26/zdf-uber-adveniat-gottesdienst-in-favela-von-sao-paulo/

Aufschrei der Ausgeschlossenen 2012 – Fotoserie:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/09/07/brasilien-aufschrei-der-ausgeschlossenen-grito-dos-excluidos-2012-landesweite-protestaktion-am-nationalfeiertag7september-von-der-katholischen-kirche-organisiert-scharfe-kritik-an-de/

Lateinamerikas teure Lebensmittel – Preissteigerungen um 40 Prozent in den letzten vier Jahren – Gefahr für Hungerbekämpfung: http://exame.abril.com.br/economia/mundo/noticias/precos-dos-alimentos-na-america-latina-sobem-40-em-4-anos–2

Bischof Bernardino sagte in Sao Paulo den Kirchenmedien vor dem Adveniat-Gottesdienst, Brasiliens durchlebe derzeit eine enorme politische Krise. Brasilien sei zwar theoretisch eine Republik, doch die republikanischen Prinzipien würden mißachtet. In der Verfassung von 1988 heiße es, alle Brasilianer hätten die gleichen Rechte. “Doch in Wahrheit ist dies eine Lüge.” Es reiche aus, in die Slums zu gehen. “Wir müssen uns von der Diktatur der wirtschaftlichen Macht befreien – und von einer politischen Macht, die sich der wirtschaftlichen Macht unterwirft.”

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/17/adveniat-in-brasilien-wie-lebt-es-sich-in-der-reichsten-stadt-lateinamerikas-der-siebtgrosten-wirtschaftsnation-nach-acht-jahren-lula-regierung-adveniat-gottesdienst-in-der-favela-cachoeirinha-von/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/26/zdf-und-adveniat-in-favela-cachoeirinha-von-sao-paulo-verschiedene-sichtweisen-der-gravierenden-menschenrechtslage-brasiliens-je-nach-wertvorstellungen-und-vorschriftenkatalog/

„Meinungsführer“ Leonardo Boff 2011:“Ratzinger wird als Feind der Armen in die Geschichte eingehen.“

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„Hätte jedes Land einen Präsidenten wie Lula, dann wäre unsere Welt ein besserer Ort. Er ist kein Politiker, er ist ein Staatsmann.“ Deutscher Leserbrief an die „Zeit“. 

“Brasilien verabschiedet sich von der Armut”:  http://www.welt.de/wirtschaft/article112414503/Brasilien-verabschiedet-sich-von-der-Armut.html

Armutsgrenze in Brasilien:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/03/28/deutschlands-armutsgrenze-940-euro-monatseinkommen-in-brasilien-umgerechnet-rund-50-euro/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/04/21/lulas-crack-kinder-nach-sao-paulo-auch-in-rio-immer-mehr-cracolandias-eine-dosis-crack-umgerechnet-etwa-35-cents-crack-geschaft-stimuliert-kinderprostitution/

“Brasilien ist eine stabile Demokratie und respektiert die Menschenrechte.” Staatspräsidentin Dilma Rousseff bei der Stimmabgabe 2012 in Porto Alegre, laut Landesmedien.

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„Die Wirtschaftskrise hat Brasilien kaum gespürt“(WAZ) Kloakegraben – nur einige Schritte vom Platz des Adveniat-Gottesdienstes entfernt.  http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/15/staatschef-lula-erklart-rezession-und-krise-in-brasilien-fur-beendet-offizielle-daten-als-begrundung-grund-zum-feiern/

„…das Land die globale Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 vergleichsweise unbeschadet überstanden hat.“  BDI 2011

Kaum zu fassen – selbst der deutsche Kirchen-Mainstream verbreitete diese Bewertung: „Die Weltwirtschaftskrise hatte in Brasilien kaum Auswirkungen.“

„BILD.DE ERKLÄRT DAS WIRTSCHAFTS-WUNDERLAND.“

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/10/23/kein-anderes-aufstrebendes-land-balanciert-demokratie-und-breit-gestreuten-wohlstand-so-gut-aus-wie-brasilien-financial-times-deutschland/

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/03/28/deutschlands-armutsgrenze-940-euro-monatseinkommen-in-brasilien-umgerechnet-rund-50-euro/

Laut der Getulio-Vargas-Stiftung vom Oktober 2009 hatte die Krise indessen von den sechs wichtigsten Wirtschaftszentren Brasiliens die Megacity Sao Paulo am stärksten getroffen – das Elend habe deutlich zugenommen, hieß es gemäß Landesmedien.

Deutsche Unternehmer erklärten im Website-Interview, daß 2009 als Krisenwirkung, „der Außenhandel Brasiliens total eingebrochen ist, sowohl Export als auch Import“.

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/02/15/deutscher-bundesausenminister-guido-westerwellefdp-2012-in-sao-paulo/

Auffällig, daß es nicht wenige ausländische und brasilianische Journalisten bewußt vermeiden, die sozialen Brennpunkte in den Slums aus der Nähe kennenzulernen. Selbst große Meinungsmacher Brasiliens äußern sich entsetzt, schockiert, wenn sie zum erstenmal im Leben die Realität einer Favela aus der Nähe sahen – gewöhnlich mit Body-Guards und TV-Gefolge an der Seite, nicht einmal in den gravierendsten Slums des Landes. Heute im marktgängigen Journalismus erbrachte Verdrängungsleistungen sind rundum beachtlich. Entsprechend gering sind die Chancen erfahrener Fotoreporter wie Barnabas Bosshart aus der Schweiz.

“Wenn es ein Land gibt, in dem das Volk die Krise nicht erlebte, dann war es dieses hier!”(Lula)

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/29/brasilien-leben-im-slum-favela-do-moinho-in-sao-paulos-innenstadt/

Ungezählte Behinderte hausen in den Slums: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/05/brasiliens-hohe-rate-von-behinderten-2391-prozent-der-bevolkerung-gegenuber-rund-1-prozent-in-hochentwickelten-landern-laut-studien/

Der soziale Aufstieg von Lula: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/04/lula-bekommt-500000-dollar-von-lg-fur-vortrag-in-sudkorea-laut-brasilianischen-landesmedien-uber-eine-million-dollar-damit-vier-monate-nach-ende-der-amtszeit-kassiert-laut-kalkulation-von-parte/

Wie in deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften die  Situation interpretiert wird:

”Das Leben in Brasilien ist leicht und unbeschwert. Probieren Sie es selbst.” Deutschsprachige Tourismuspropaganda.

Deutliches Wachstum bei Slums:
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/07/brasiliens-boom-und-die-slumhutten/

Obdachlosenverbrennung:  http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/25/obdachlose-in-sao-paulo-protestieren-gegen-lebendiges-verbrennen-von-strasenbewohnern-und-andere-gewalttaten-in-brasilien-viele-greueltaten-garnicht-amtlich-registriert-obdachlosenvertreibung-bea/

„Die Milliardärsstatistik zeigt, daß sich unter der Regierung von Präsident Lula an der grauenhaft ungerechten Einkommensverteilung, dem Begünstigen der ohnehin Privilegierten nichts geändert hat“, sagt Frei José Francisco, Leiter des Franziskaner-Sozialwerks von Sao Paulo im Website-Interview. „Die neue Präsidentin Dilma Rousseff fährt diesen Kurs weiter, tut nichts gegen Einkommenskonzentration in den Händen weniger – trotz soviel Hunger und Massenelend. Nur bei sozialer Ungleichheit ist Brasilien Weltspitze.“  

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/03/24/in-brasilien-existiert-weiter-hunger-das-problem-wurde-langst-nicht-beseitigt-jose-francisco-leiter-der-franziskaner-sozialprojekte-in-sao-paulo/

http://www.adveniat.de/blog/?p=960

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/12/15/lulas-anti-hunger-programm-uber-40-prozent-der-empfanger-bleiben-weiter-im-elend-laut-regierungsstudie/

„Krise – was denn für eine Krise?“  Brasilien hat Wirtschafts-und Finanzkrise gut überstanden, lauten europäische Bewertungen zu Hunger und Elend im Tropenland.

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/14/steinigen-im-iran-unter-ahmadinedschad-und-in-brasilien-unter-lula-lula-konnte-sich-uber-die-tatsache-beunruhigen-das-brasilien-zu-den-landern-gehort-in-denen-am-meisten-gelyncht-wird-jose/

Lynchen eines Busfahrers am Tag des Adveniat-Gottesdienstes in Sao Paulo: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/28/brasiliens-lynchpraktiken-neuester-fall-in-sao-pauloeine-feige-tat-digeane-alves-ehefrau-des-gelynchten-busfahrers/

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http://gottesdienste.zdf.de/ZDFde/inhalt/11/0,1872,8383083,00.html

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/05/brasiliens-hohe-rate-von-behinderten-2391-prozent-der-bevolkerung-gegenuber-rund-1-prozent-in-hochentwickelten-landern-laut-studien/

Nach der ZDF-Übertragung äußerten vor Ort katholische Menschenrechtsaktivisten sowie Priester Sao Paulos auch Kritik an dem Adveniat-Gottesdienst. Vermißt wurden u.a. klare, kritische Worte zur konkreten Lage in der Favela Cachoeirinha, zum derzeitigen Regierungskurs Brasiliens sowie zu den gravierenden Menschenrechtsverletzungen im heutigen Brasilien, darunter systematischer Folter, Todesschwadronen, Sklavenarbeit und andere Formen struktureller Gewalt, von denen die brasilianischen Slums betroffen seien.

Viele Schlüsselbegriffe zur brasilianischen Realität hätten gefehlt, zudem Fakten zur krassen sozialen Ungleichheit in Brasilien, den politisch Verantwortlichen. „Der Ausbau einer Stadtautobahn wird die Favela Cachoeirinha schwer treffen, das Leben der Bewohner weiter verschlechtern. Das hätte man ebenso ansprechen können wie die Rolle von überbordender Gewalt und der sich epidemisch ausbreitenden harten Drogen, darunter Crack.“ Erwartet wurde zudem, daß die deutsche Delegation sich gemeinsam mit Kardinal Scherer  beispielsweise nach dem Gottesdienst in die engen Gassen des Slums just zu den erbärmlichsten Hütten und Katen begibt, um den direkten, hautnahen Kontakt zu den von Elend Betroffenen zu suchen. Dazu sei es indessen nicht gekommen – auch ein vorgesehener gemeinsamer Morgenkaffee mit den Slumbewohnern, direkt nach dem Gottesdienst, sei wenige Tage zuvor überraschend abgeblasen worden. All dies weise auf Berührungsprobleme mit der Slumrealität.

KNA-Fotos über die Favela Cachoeirinha und den Adveniat-Gottesdienst – als Suchbegriff „Cachoeirinha“ eingeben: http://bilddb.kna-bild.de/marsAdveniat/main.jsp

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„Jeden Tag wird in Brasilien gefoltert.“ Ausriß 2011

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/08/23/unesco-zeichnet-lula-in-paris-wegen-forderung-des-friedens-und-der-rechtsgleichheit-aus-preis-mit-150000-dollar-dotiert-jury-von-henry-kissinger-gefuhrt/

Geistliche Sao Paulos erklärten ferner im Website-Interview, zwar sei eine schöne Messe zelebriert worden – doch habe Kardinal Scherer vermieden, die deutschen Bischöfe zu den Orten krassen Favela-Elends zu führen, um weder den Gouverneur noch den Präfekt von Sao Paulo damit zu provozieren, das gute Verhältnis zu diesen Politikern zu gefährden. Zu den Zeiten von Kardinal Paulo Evaristo Arns wäre ein solcher Gottesdienst völlig anders abgelaufen, hieß es. 

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/14/parabens-dom-paulo-evaristo-arns-der-deutschstammige-kardinal-sao-paulos-ist-90-hochengagiert-im-kampf-gegen-das-militarregime-der-foltergenerale1964-1985-wer-mit-den-diktatoren-eng-kooperierte/

Auch der kirchliche Mainstream Deutschlands hatte entsprechend ausgespart, auf das klare, unmißverständliche Benennen politisch Verantwortlicher ebenso verzichtet wie auf die Frage, ob Demokratie mit Slum-Elend, dem Vorenthalten zahlreicher, theoretisch garantierter Bürgerrechte vereinbar ist. Im Falle Brasiliens drängt sich der Vergleich mit anderen lateinamerikanischen Staaten auf, die im UNO-Ranking 2011 für menschliche Entwicklung weit besser abschneiden als die siebte Wirtschaftsnation, welche lediglich Platz 84 belegt. (Chile 44., Argentinien 45., Kuba 51. Platz)

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/01/23/brasilien-wenig-generos-kritik-an-geringem-spendenaufkommen-in-der-achtgrosten-wirtschaftsnation/

 http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/08/hungernde-brasilianer-reisen-mullsacke-auf-wuhlen-nach-nahrung-schlingen-vergorene-teils-verdorbene-essensreste-in-sich-hinein-verstreuen-mull-auf-gehwegen-strasen-gewohnter-anblick-in-sao-paulo/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/21/katholisches-hilfswerk-adveniat-in-brasilien-land-der-vielen-milliardare-und-millionare-wie-es-kommt-das-in-deutschland-muhselig-spenden-fur-bedurftige-und-sozialprojekte-gesammelt-werden-obwohl-d/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/06/patria-amada-mae-gentil-miguel-srougi-zum-brasilianischen-unabhangigkeitstag-como-ser-feliz-se-estamos-no-70-lugar-no-indice-de-desenvolvimento-humano/

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“Terror-Rap statt Samba”:

http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/terror-rap-statt-samba/763272.html

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/22/luis-antonio-pereira-silva-leiter-der-slum-pastoral-in-der-erzdiozese-rio-de-janeiro-gesichter-brasiliens/

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„Leute aus unserer Elite lassen sich hier in den Favelas nicht blicken, die wollen von all der Misere nichts wissen – erzählen aber überall in der Welt, daß es soetwas in Brasilien nicht gibt – besonders vor Fußball-WM und Olympischen Sommerspielen.“

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/01/brasiliens-erfolgreiche-auslandspropaganda-2009-uber-40-millionen-euro-investiert-laut-brasil-economico-enge-zusammenarbeit-mit-medien-europas/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/12/folter-ohne-ende-tortura-sem-fim-brasiliens-soziologiezeitschrift-sociologia-uber-folter-unter-der-lula-regierung/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/02/die-lula-regierung-war-bei-den-menschenrechten-eine-enttauschung-tim-cahill-brasilienexperte-von-amnesty-international-in-london-weiter-alltagliche-folter-todesschwadronen-sklavenarbeit-sc/

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Das Blutbad in den Tagen vor dem Adveniat-Gottesdienst: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/22/brasiliens-alltagliche-blutbader-sechs-jugendliche-in-belem-mit-genickschus-polizeimunition-ermordet-todesschwadronen-in-der-grosten-demokratie-lateinamerikas/

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Öffentliche Diskussion in Brasilien kurz vor der Adveniat-Messe: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/25/brasilien-das-ungesuhnte-carandiru-massaker-von-sao-paulo-medienkritik-an-neuem-elitepolizei-chef-polizeipraktiken-erinnern-an-nazistisches-deutschland-laut-landesmedien/

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http://www.bpb.de/publikationen/JU16H0,0,Vom_Umgang_mit_der_Diktaturvergangenheit.html

Brasiliens interessanter Qualitätsjournalismus:

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/18/matices-medien-staat-und-gesellschaft-in-lateinamerika-anklicken/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/07/07/tom-schimmeck-das-hat-in-deutschland-mit-dem-mauerfall-zu-tun/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/25/brasiliens-bischof-angelico-sandalo-bernardino-zur-politischen-krise-des-landes-zu-rechtsungleichheit-und-slums/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/06/28/brasiliens-kuriose-armutsgrenze-wer-umgerechnet-etwa-65-euro-verdient-gilt-nicht-mehr-als-arm/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/11/brasiliens-filmhit-tropa-de-elite-2-startet-in-den-us-kinos-konkurriert-um-oscar-unbequeme-realitat-dokumentarisch-umgesetzt-heutige-politiker-im-film-erkennbar/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/17/brasiliens-korruptionskrise-wegen-dilma-rousseffs-bemerkenswerter-mitarbeiterauswahl-befreiungstheologe-frei-betto-zur-korruption/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/11/ihr-konnt-nicht-gott-und-dem-geld-dienen-bischofliche-bruderlichkeitskampagne-2010-kritisiert-lulas-wirtschaftspolitik-radiospot-anklicken/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/23/bischof-luiz-flavio-cappio-in-deutschland-vor-weihnachten/

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Sao Paulos Slumpriester Aecio Cordeiro da Silva.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/24/brasilien-wurde-unter-lula-rousseff-zum-auswanderungsland-bye-bye-brasil-sergio-costa-soziologie-professor-an-der-fu-berlin-bestatigt-die-entwicklung/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/07/odilo-scherer-deutschstammiger-kardinal-von-sao-paulo/

Petra Pfaller zu Folter unter Lula-Rousseff: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/12/brasilienes-wird-immer-noch-sehr-viel-gefoltertdeutsche-petra-pfaller-aus-der-katholischen-gefangenenseelsorge-brasiliens-2011-uber-die-menschenrechtslage-unter-lula-rousseff/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/24/brasiliens-fortdauernde-wirtschaftsflaute-boom-aus-mitteleuropaischer-sicht-industrie-rezessionsmonat-oktober-produktionsverlangsamung-seit-marz/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/16/helmut-schmidt-und-lula-lulas-sonderbeziehungen-zu-deutschland/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/12/buchkirchner-schuler-helfen-kindern-in-brasilien-spenden-fur-die-achtgroste-wirtschaftsnation-osterreichischer-gefangenenpriester-gunther-zgubic/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2009/08/15/brasilias-u-boot-geschaft-mit-paris-so-teuer-wie-zwei-jahre-anti-hunger-programmbolsa-familia-meldet-o-globo/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2009/05/10/lepra-kranke-in-leprakolonie-bei-sao-paulo/

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Brasiliens Kindersoldaten: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/22/brasiliens-kindersoldaten-junge-kinder-mit-waffen-die-einfach-anderre-kinder-erschossen-haben-die-sie-gerade-mal-schief-angeschaut-habenlesermail/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/25/padre-carlo-bianchi-aus-italien-und-maria-rodrigues-leiterin-der-kinderpastoral-im-armenviertel-vila-embratel-von-sao-luis-maranhao-gesichter-brasiliens/

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„…das Land die globale Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 vergleichsweise unbeschadet überstanden hat.“  BDI 2011

Leonardo Boff 2010 :“Lula machte die größte Revolution der sozialen Ökologie des Planeten, eine Revolution für die Bildung, ethische Politik.“  

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/03/01/spenden-fur-die-achtgroste-wirtschaftsnation-benefizkonzert-mit-dem-konig-der-bachtrompete-fur-strasenkinder-bei-sao-paulo/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/28/lulas-anti-hunger-programm-wird-just-zielgruppe-der-armen-und-verelendeten-finanziert-uber-absurd-hohe-indirekte-steuern-kritisiert-uno-programas-sao-financiados-pelas-mesmas-pessoas-que-pedem-o/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/05/peter-scholl-latour-uber-brasilien-vielfaltige-harmonie-der-rassen-mauricio-pestana-uber-das-rassistischste-land-der-erde-jurandir-freire-costa-uber-ethisch-moralische-schizophrenie-m/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/22/prof-dr-marcus-mazzari-prasident-der-goethe-gesellschaft-brasiliens-associacao-goethe-do-brasil-gesichter-brasiliens/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/29/brasiliens-neue-prasidentin-dilma-rousseff-raumt-erstmals-moglichen-bruch-des-wahlversprechens-ein-das-elend-im-lande-auszutilgen/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/24/sos-kinderdorfer-in-brasilien-unter-rousseff-lula-zahlreiche-hilfsprojekte-deutschlands-der-schweiz-und-osterreichs-in-boomland-global-player-rassismus-in-brasilien-mauricio-pestana-analysier/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/10/22/fabio-konder-comparato-wir-hatten-bis-heute-nie-demokratie-wir-leben-immer-unter-einem-oligarchischen-regime-menschenrechtsaktivist-rechtsprofessor-an-brasiliens-fuhrender-bundesuniversitat-us/

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Aktivisten der katholischen Basisgemeinde von Cachoeirinha. „Das ist gegen die Menschenwürde, so viele Leute in diesem Schlamm, diesem Moder hausen zu lassen. So viele Familien, mit vielen Kindern, leben hier nur in einem einzigen Hüttenraum, vor der Türöffnung hängt ein Lappen – so ist das. Die Mafia der Drogengangster ist hier sehr stark, die beobachten alles und jeden hier, das ist furchtbar. Wer jemanden aus dem Drogenmilieu, aus der Sucht rausholen will – also jemanden, der für deren Profit sorgt, da werden die böse, da wird man gnadenlos verfolgt. Die Polizei kommt und geht wieder – aber die Banditenkommandos bleiben, terrorisieren, zwingen den Bewohnern das Gesetz des Schweigens auf. Wer sich nicht unterwirft, weiß, was ihn erwartet. 2014 ist die Fußball-WM, da will man Brasilien als Land der Ersten Welt erscheinen lassen – aber hier an der Peripherie ist es nach wie vor triste. Die meist kinderreichen Familien haben monatlich nur so um die 200, 220 Real maximal. Doch im Ausland wird verbreitet, alles toll, alles gut in Brasilien. Wir merken, es ist schwierig, Menschen von außerhalb für diese Situation zu sensibilisieren, die das hier nicht kennen, es sich nicht vorstellen können. Wir haben unsere christlichen Kriterien, und wir haben Ausdauer – das macht den Unterschied. Denn entweder ist man Christ – oder ist mans nicht, halbe-halbe geht nicht.“

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/04/14/brasiliens-milliardare-die-x-formel-fur-reichtum-der-spiegel-hunger-misere-die-sicht-der-kirche-weil-brasiliens-superreiche-so-geizig-und-unsozial-sind-mussen-engagierte-spender-aus-mittele/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/24/kolpingfamilie-friedewald-hilft-brasilien-hersfelder-zeitung-kleiderspenden-fur-boomland-global-player-achtgroste-wirtschaftsnation/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/24/wo-wir-helfen-sos-kinderdorfer-in-brasilien-anklicken-die-kinder-in-brasilien-brauchen-ihre-hilfe-auslandspropaganda-und-realitat/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/05/10/keine-verringerung-der-sozialen-ungleichheit-unter-lula-regierung-laut-soziologe-chico-de-oliveira-mitgrunder-von-arbeiterparteipt-und-gewerkschaftsdachverband-cut/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/25/franziskaner-sao-paulos-verteilen-weihnachten-nahrungsmittel-an-tausende-von-armen-und-verelendeten/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/19/thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-neues-stahlwerk-wird-immer-teurer-laut-handelsblatt-lokale-militardiktatur-im-umfeld-laut-grunen-politiker-alfredo-sirkis-todesschwadronen-folter-scheiterhauf/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/11/brasilien-land-der-milliardare-wie-haust-eine-funfkopfige-obdachlosenfamilie-in-der-city-von-sao-paulo-familienpolitik-unter-der-regierung-von-prasidentin-dilma-rousseff-zuvor-chefministerin-unte/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/23/1400-euro-im-spendenkorberl-der-brasilienhilfe-kampf-des-vereins-das-elend-in-brasilien-zu-linderntraunsteiner-tagblatt-immer-mehr-milliardare-in-brasilien/

Elendsbeseitigung, Karikatur von Angeli: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/04/12/elendsbeseitigung-in-brasilien-karikatur-von-angeli-in-der-grosten-qualitatszeitung-des-landes-folha-de-sao-paulo-von-2011/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/10/20/brasiliens-burgerfreiheiten-uber-8o-prozent-veranderten-wegen-zunehmender-gewalt-und-kriminalitat-die-lebensgewohnheiten-54-prozent-verlassen-nachts-nicht-mehr-das-haus-laut-neuer-studie/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/01/campanha-lula-no-sus-youtube-anklicken-gabe-es-sus-in-den-usa-ware-das-gut-fur-die-armenlula/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/04/24/sebastiano-nicomedes-tiao-ex-obdachloser-stuckeschreiber-buchautor-einer-der-fuhrer-der-nationalen-obdachlosenbewegung-gesichter-brasiliens-obdachlosenvertreibung-und-fusball-wm-2014-olympisc/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/09/die-anti-hunger-hilfe-bolsa-familia-der-lula-regierung-die-aktuellen-daten-erlautert-von-pt-kongressenator-eduardo-suplicy-vor-obdachlosen-im-franziskanerkloster-sao-paulos/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/10/06/brasiliens-millionarsparlament-kongresabgeordnete-haben-ein-durchschnittsvermogen-von-umgerechnet-uber-einer-million-euro-viele-davon-aus-lulas-arbeiterpartei-pt/#more-6737

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http://www.hart-brasilientexte.de/2009/08/23/unesco-zeichnet-lula-in-paris-wegen-forderung-des-friedens-und-der-rechtsgleichheit-aus-preis-mit-150000-dollar-dotiert-jury-von-henry-kissinger-gefuhrt/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2009/05/07/bolsa-familia-fur-arme-geht-an-312000-tote-reiche-und-politiker-titelt-o-dia-was-ist-das-fur-ein-land-vergonha-no-bolsa-familia-bischof-luiz-cappio-bolsa-familia-ist-programm/

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Benedita Maria dos Anjos, die Gründerin der wild gewachsenen Favela Cachoeirinha. „In der reichsten Stadt Brasiliens solche Zustände – das schreit zum Himmel! Wir müssen weiterkämpfen.“

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/06/25/nine-most-horrible-places-in-the-world-favela-slums-von-rio-de-janeiro-aus-sicht-des-bric-staats-china-subkultur-von-umweltzerstorung-armut-und-gangstern-cubatao-bei-sao-paulo-an-sieb/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/20/crack-jugendpolitik-unter-lula-und-jose-serra-dunkelhautige-kinder-und-jugendliche-sind-crack-hauptkonsumenten/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/28/brasilien-nach-acht-jahren-lula-regierungwarum-hat-sao-paulo-noch-2627-slums-fragt-die-wichtigste-qualitatszeitung-o-estado-de-sao-paulo/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/10/11/offizielle-deutsch-brasilianische-beziehungen-der-mutige-evangelische-gefangnispastor-wolfgang-lauer-gravierende-menschenrechtsverletzungen-in-brasilienes-sind-einfach-die-okonomischen-die-polit/

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Slogan der Regierungspropaganda.

”Es sind einfach die ökonomischen, die politischen Interessen, die zusammengehören – da gefährdet man nicht seine Beziehungen, indem man sozusagen den Brasilianern mal den Spiegel vorhält und sagt, ihr habt hier eine schöne Verfassung und schöne Gesetze – aber warum werden die nicht eingehalten?”

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/04/07/unsagliche-folterpraxis-in-brasilien-gunter-nooke-menschenrechtsbeauftragter-der-deutschen-bundesregierung-kritisiert-in-brasilien-folter-und-andere-menschenrechtsverletzungen-druck-ist-noti/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/21/brasilien-bau-des-milliardenteuren-atomkraftwerks-angra-3-bei-rio-de-janeiro-kommt-sehr-gut-voran-melden-landesmedien-deutsches-hilfswerk-adveniat-sammelt-spenden-fur-brasiliens-verelendete/

Favelakinder Sao Paulos – Fotoserie: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/28/favelakinder-in-sao-paulo-gesichter-brasiliens/

http://www.adveniat.de/blog/?p=969

ZDF, Adveniat in Sao Paulo: Welcher Slum aus Sicherheitsgründen für den Gottesdienst nicht infragekam. Favela do Moinho. Wo bitte gehts hier zum Boom? Was auf dem staatlich gesponserten Weltsozialforum in Porto Alegre 2012 alles fehlt…“Wenn es ein Land gibt, in dem das Volk die Krise nicht erlebte, dann war es dieses hier!”(Lula) **

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In den aus Pappe und Holzresten sowie anderen leicht brennbaren Materialien errichteten Elendsvierteln Sao Paulos brechen immer wieder Großfeuer aus, kommen zahlreiche Verelendete in den Flammen um. Dies gilt auch für die Innenstadt-Favela do Moinho, an deren Hütten und Baracken unglaublich dicht Züge vorbeifahren. Nach dem letzten Großbrand kampieren zahlreiche überlebende Slumbewohner auf dem Fußweg einer nahen Straße. Was diese Menschen zusätzlich auszustehen haben, wenn starke Tropengewitter toben, kann man sich leicht vorstellen.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/04/lula-bekommt-500000-dollar-von-lg-fur-vortrag-in-sudkorea-laut-brasilianischen-landesmedien-uber-eine-million-dollar-damit-vier-monate-nach-ende-der-amtszeit-kassiert-laut-kalkulation-von-parte/

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Ausriß. Letztes Großfeuer in der Favela do Moinho.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/28/brasilien-nach-acht-jahren-lula-regierungwarum-hat-sao-paulo-noch-2627-slums-fragt-die-wichtigste-qualitatszeitung-o-estado-de-sao-paulo/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/28/brasiliens-ausenminister-patriota-zu-kuba-keine-dringlichkeitssituation-bei-menschenrechten-guantanamo-jedoch-besorgniserregend-prasidentin-rousseff-reist-nach-kuba-lage-in-libyen/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/05/brasiliens-zeitungen-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/

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Fotos von Ende Januar 2012.  Lateinamerikas reichste Stadt Sao Paulo und die Überlebenden des Moinho-Großbrands.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/30/brasiliens-heranwachsende-in-extremer-armut-zahl-zunehmend-laut-neuer-unicef-studie-acht-jahre-lula-rousseff-regierung-und-resultate/

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/28/brasilias-blamierter-bildungs-agitprop-statt-13-millionen-jugendlichen-und-erwachsenen-nur-23-millionen-alphabetisiert-laut-landesmedien/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/27/brasiliens-bergbaukonzern-vale-das-video-anklicken-brasiliens-regierung-hat-de-facto-die-kontrolle-uber-den-grosten-eisenerzproduzenten-der-welt-laut-handelsblatt/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/26/brasiliens-medien-berichten-in-groser-aufmachung-uber-den-absturz-auf-dem-pressefreiheit-ranking-von-reporter-ohne-grenzen-warum-brasilien-aus-mitteleuropa-soviel-lob-erhalt/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/27/weltsozialforum-2012-in-porto-alegre-offenbar-weitgehend-brav-biederer-empfang-fur-politisch-verantwortliche-der-nationalen-umweltdesaster-keine-kritischen-fragen-an-sektenpredigerin-marina-silva-e/

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Brasiliens katholische Kirche, Adveniat unterstützen die Slumbewohner.

Brasiliens Wachstumsbranche Crack – Havanna reagiert weiter zurückhaltend, anti-marktwirtschaftlich: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/16/brasiliens-crack-kinder-unter-lula-rousseff-trotz-offiziellem-kinderstatut-zahlreiche-kinder-landesweit-als-kunden-der-crack-wachstumsbrance/

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Viele Slumbewohner überleben als Abfallsammler.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/26/boom-land-brasilienslum-wachstum-ist-ruckschritto-globo-mehr-slumbewohner-selbst-laut-offiziellen-angaben-erstes-rousseff-amtsjahr/

Ansprache von Erzbischof Zollitsch zum Empfang vor Vertretern von Kirche, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft

Ansprache von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch zum Empfang des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz vor Vertretern von Kirche, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft am 27. November 2011 in São Paulo:

Eminenzen, sehr verehrter Herr Kardinal Scherer, sehr verehrter Herr Kardinal Hummes,
sehr verehrte Exzellenzen, liebe Mitbrüder,
sehr geehrter Herr Gouverneur Dr. Alckmin, sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Kassab,
sehr geehrte Stellvertretende Bürgermeisterin, Frau Dr. Marco Antônio,
sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

es ist mir eine große Freude und Ehre, Sie zu diesem Empfang willkommen zu heißen.

Das Bischöfliche Hilfswerk Adveniat begeht in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Aus diesem Anlass haben wir heute Morgen mit Kardinal Scherer die diesjährige Aktion in einem Armenviertel von São Paulo eröffnet. In der Favela Cachoeirinha leben zurzeit rund 70.000 Menschen. Es gibt bisher keine Kirche in diesem ständig weiter wachsenden Viertel. Deshalb fand der Eröffnungsgottesdienst auf einem provisorischen Fußballplatz statt. Mit der Wahl dieses Ortes wollten wir im Jubiläumsjahr von Adveniat ganz bewusst ein Zeichen setzen: Wir wollten diesen Gottesdienst dort feiern, wo Adveniat hilft, nämlich bei den Armen.
In den Tagen zuvor haben wir in Aparecida mit Bischöfen, Theologen und Kirchenvertretern aus ganz Lateinamerika und der Karibik über die aktuellen pastoralen Herausforderungen auf diesem so wunderschönen Subkontinent beraten. Dabei stand immer wieder das Abschlussdokument der Generalversammlung des Lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM im Jahr 2007 in Aparecida im Vordergrund. Mit Blick auf die gesellschaftlichen Zustände in vielen Ländern Lateinamerikas beklagen die Bischöfe in diesem Dokument, dass die Ärmsten der Armen oft als „Müll der Gesellschaft“ angesehen werden – o lixo de sociedade. Drastischer kann man die reale soziale Ausgrenzung nicht beschreiben. Auch hier in São Paulo sind Arm und Reich dicht beieinander: Während es in den Favelas oft am Notwendigen fehlt, findet nur wenige Kilometer entfernt der „Große Preis von Brasilien“ statt. Das Abschlussrennen der Formel-1-Weltmeisterschaft 2011 wird sicher auch in Deutschland von vielen Fans am Fernsehschirm verfolgt. Doch die so unverbunden nebeneinander existierenden Lebenswelten der Reichen und der Armen gehören in der Perspektive des Glaubens unbedingt zusammen. Gott lässt eine solche extreme soziale Trennung in seiner Menschheitsfamilie nicht zu. Vielmehr hat er sich in Jesus Christus solidarisch mit den Armen und Entrechteten gezeigt. Sie sind es, die uns zur Umkehr aufrufen.

Die große Stadt São Paulo bildet in unserer Welt keine Ausnahme. Unter den Ländern, denen die Vereinten Nationen einen insgesamt hohen Entwicklungsstand attestieren, nimmt Brasilien neben Kolumbien einen traurigen Spitzenplatz ein: Die Ungleichheit bei den Einkommen ist weltweit nirgendwo höher als hierzulande. Diese konkret erfahrbare Ungerechtigkeit ist auch global gesehen eher die Regel als die Ausnahme. Wir leben in einer Welt, die durch die Gleichzeitigkeit von Geld und Macht auf der einen und von Not und Ohnmacht auf der anderen Seite geprägt ist.

Diese globale Ungerechtigkeit ist keinesfalls ein Schicksal, dem die Menschheit wie einer dunklen Macht ausgeliefert wäre. Vielmehr sind alle wirtschaftlichen Prozesse auch im Kontext der Globalisierung Menschenwerk. Sie sind zu analysieren, gegebenenfalls zu kritisieren und immer zu gestalten.

Schauen wir uns die Bilanz der globalen wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte an: Auf der Weltebene haben die Globalisierungsprozesse das wirtschaftliche Wachstum beschleunigt und den Wohlstand vermehrt, dabei aber enorme ökologische Probleme produziert. Es gibt in diesen Prozessen Gewinner und Verlierer, wobei sich das klassische Schema des Nord-Süd-Konflikts zunehmend auflöst. Einige Länder – vor allem in Asien und hier in Lateinamerika – konnten die neuen Bedingungen nutzen und gesamtgesellschaftliche Wohlstandsgewinne erzielen. In vielen Ländern Afrikas hat sich dagegen der Trend zur Abkoppelung vom Weltmarkt eher noch verstärkt und die Armut verfestigt. Gleichzeitig hat sich in vielen Ländern das nationale Sozialgefüge verändert, oft nimmt die soziale Kluft zwischen den gesellschaftlichen Schichten zu. Und auch in den traditionellen Industrieländern des Nordens wie in Deutschland geht die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Gewinnern und Verlierern der Globalisierung zunehmend auseinander.

Welche Orientierung kann die Kirche in dieser Lage anbieten? Welche Leitgedanken bringt sie in die internationale Debatte ein, wenn es um das Zusammenleben einer immer enger zusammenrückenden Menschheit, um die Gestaltung der Wirtschaft und um die Suche nach gerechteren Verhältnissen für die Vielen geht, denen das tägliche Brot verweigert ist? Die katholische Soziallehre weist hier auf den Begriff „ganzheitliche Entwicklung“ hin. Dieses Leitbild für die Entwicklung der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse ist tief im christlichen Menschenbild verankert, aber prinzipiell auch jenen zugänglich, die einer anderen Religion oder Weltanschauung anhängen. Wir Christen glauben, dass jeder Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist. Wir sind als Geschöpf und Mit-Geschöpf auf die Beziehung zu Gott und zu den Mitmenschen hin ausgerichtet. Unser Leben entfaltet sich in diesem Beziehungsreichtum. Entwicklung wird in dieser Perspektive daher als die Entwicklung des ganzen Menschen in all seinen beziehungsrelevanten leiblichen und geistigen Dimensionen begriffen. Eine Entwicklung, die den Menschen auf seine ökonomische Bedeutung reduziert, wird dem christlichen Menschenbild ebenso wenig gerecht wie ein Entwicklungsmodell, welches den Besitz von Gütern über die Beziehungsfähigkeit des Menschen stellt. „Wahre Entwicklung“, so hat es Papst Johannes Paul II. ausgedrückt, „darf nicht in der bloßen Anhäufung von Reichtum und einem wachsenden Angebot von Gütern und Dienstleistungen bestehen, wenn dies nur auf Kosten der Unterentwicklung der Massen und ohne die geschuldete Rücksicht auf die soziale, kulturelle und geistige Dimension des Menschen erreicht wird“ (Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 9).

Die ganzheitliche Entwicklung des einzelnen Menschen ist nicht zu trennen von der Entwicklung aller Menschen. Was die unmittelbare Lebenswelt der Menschen betrifft, ist dies leicht einsichtig: Wir leben in Familien, Gruppen, Völkern und Nationen zusammen. Die Entwicklung der Einzelnen und der Gemeinschaften bzw. Gesellschaften bedingen sich wechselseitig. Diese Einsicht bezieht die Kirche ausdrücklich aber auch auf die Weltgesellschaft. Denn die ganzheitliche Entwicklung aller Menschen kann unter den heutigen Bedingungen nur gelingen, wenn sich die Völker als eine globale Gemeinschaft und nicht als Konkurrenten um die „Pole-Position“ verstehen.

Hier sind zwei Gesichtspunkte zu unterscheiden. Zum Einen gebietet es das wohlverstandene Eigeninteresse der wohlhabenden wie der ärmeren Nationen, neue Formen der Zusammenarbeit zu finden, die dem globalen Charakter heutiger Probleme Rechnung tragen. Das gemeinsame Interesse von Nord und Süd, Ost und West ist insofern zweifellos eine gute Grundlage und Antriebskraft für die Errichtung einer neuen internationalen Ordnung, die den Bedürfnissen aller Länder und aller Menschen besser gerecht wird als der heutige Zustand der Welt, dessen Krisenanfälligkeit und Zerbrechlichkeit die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich vor Augen geführt hat.

Zum Anderen kommen wir mit Blick auf das Weltgemeinwohl ohne wache Solidarität, die auch ein Moment von Selbstlosigkeit einschließt, nicht aus. Denn viele Menschen, die am Rande stehen, sind ökonomisch und gesellschaftlich für den besser gestellten Teil der Menschheit nicht von Bedeutung. Ihr Schicksal kommt im Interessenkalkül der Anderen nicht vor. Deshalb hält das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 14 fest: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Dieser Grundsatz ist in Deutschland die verfassungsmäßige Basis für die Soziale Marktwirtschaft. Er entspringt einem Gesellschaftsverständnis, welches das Gemeinwohl nicht gegen die Individualinteressen ausspielt, sondern beide positiv zueinander in Beziehung setzt.

Wir Christen glauben, dass die Armen, ja dass gerade die Armen uns interessieren müssen. Denn wir sind überzeugt: Auch sie sind nach dem Bild Gottes geschaffen. Auch sie sind unsere Brüder und Schwestern in der einen Menschheitsfamilie. Und wir wissen: Jesus Christus hat sich den Armen in besonderer Weise zugewandt und uns darauf hingewiesen, dass wir ihm, unserem Herrn, in den Leidenden, Ausgestoßenen und Zu-kurz-Gekommenen begegnen. Die Kirche spricht hier von der vorrangigen Option für die Armen, die in ihrem Glauben grundgelegt ist. Es braucht, so scheint mir, solcher Art von Motivation, um den Kampf gegen die Armut und die Marginalisierung in unseren Ländern und in der Weltgesellschaft immer neu aufzunehmen und nicht der Resignation zu verfallen.

Was ist zu tun, um die Armut in der Welt wirksam zu bekämpfen? Vor allem bedarf es struktureller Veränderungen, die auf verschiedenen Ebenen ansetzen und, indem sie ineinander greifen, ihre volle Wirksamkeit entfalten:

Was in Ihrem Land erforderlich ist, können Sie, werte Damen und Herren, weit besser beurteilen als ich. Generell wird man sicher sagen dürfen, dass die Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit für alle, die Überwindung von Korruption und die Verbesserung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten, wesentliche Voraussetzungen für die Überwindung von Armut darstellen. Dazu gehört auch, dass gesellschaftlicher Reichtum so verteilt werden muss, dass alle – und gerade auch die Ärmsten – davon profitieren.

Auf der internationalen Ebene müssen Handel und Finanzen in eine tragfähige Ordnung eingebettet werden. Aus der Erfahrung Europas wissen wir: Marktwirtschaft ist kein naturwüchsiger Zustand. Sie bedarf eines politisch verantworteten Ordnungsrahmens, der verhindert, dass die im Markt wirkenden Kräfte über Kurz oder Lang die Existenzgrundlagen der Marktwirtschaft untergraben. Wie auf nationaler, so muss auch auf internationaler Ebene dieser Ordnungsrahmen so ausgestaltet sein, dass die wirtschaftlichen und sozialen Belange der Armen wirkungsvoll berücksichtigt werden und ihnen faire Chancen der Beteiligung eröffnet werden.

Erforderlich ist darüber hinaus aber auch eine Strukturbildung von unten, die die Armen in die Lage versetzt, das Leben in die eigene Hand zu nehmen und ihre Interessen eigenständig selbst zu vertreten. Die Förderung von Basisgesundheitsdiensten, von Bildung und Ausbildung, Kleinkreditprogramme und Gewerbeförderung, aber auch der Aufbau von wirtschaftlichen und politischen Selbstorganisationen der Armen tragen dazu bei, dass Marginalisierung überwunden und gesellschaftliche Integration ermöglicht wird. Auch als Kirche – im Norden wie im Süden – fühlen wir uns herausgefordert, auf vielfältige Weise solche Prozesse zu unterstützen und so einen Beitrag zum Gemeinwohl, national wie international, zu leisten.

Schließlich zeigt sich auch in dramatischer Weise, dass eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung nicht gelingen kann, wenn die Menschheit weiterhin Entwicklungspfade wählt, die den Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen als unvermeidliches Nebenprodukt achselzuckend in Kauf nehmen. Vor allem die klassischen Industrienationen, neuerdings und in zunehmendem Maße aber auch die Schwellenländer, verbrauchen die nicht nachwachsenden Rohstoffe in einem menschheitsgeschichtlich atemberaubenden Tempo – vielfach ohne zu wissen, was in absehbarer Zeit an die Stelle dieser Ressourcen treten könnte. Das Artensterben, die Zerstörung ökologisch wichtiger Landschaften und steigende Emissionen sind Zeichen einer auf Dauer nicht tragfähigen Entwicklung. Dazu tritt der Klimawandel, der vor allem jene Weltgegenden bedroht, deren Bewohner am wenigsten zum übermäßigen Ausstoß von CO2 und anderen Klimagasen beigetragen haben. Wenn die Menschheit eine gute Zukunft haben will, muss sie sich in anderer Weise als bisher dieser ökologischen Herausforderungen stellen. Man kann hier von einer dreifachen Verantwortung sprechen: 1.) der Verantwortung für die natürliche Umwelt, die der Mensch zwar nutzen, aber nicht verbrauchen darf; 2.) der Verantwortung für die Nachwelt, deren Lebensbedingungen vom ökologischen Erbe vorangegangener Generationen entscheidend mitbestimmt werden; und schließlich 3.) der Verantwortung für die globale menschliche Mitwelt, die zunehmend die ökologischen Konsequenzen einer nicht nachhaltigen Wirtschaftsweise zu spüren bekommt.

Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass allen voran die wohlhabenden Länder einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung der ökologischen Krise leisten. Die Sorge um die Umwelt und die Sorge um die Armen dürfen dabei nicht auseinanderfallen. Der Schutz der Armen und der Schutz unseres Planeten dürfen nicht als Gegensatz, sondern müssen als eine doppelte moralische Priorität der internationalen Politik begriffen werden. Die Bekämpfung der Armut muss einhergehen mit den Anstrengungen, den globalen Klimawandel abzuschwächen und darüber hinaus armen Ländern zu helfen, sich an die negativen Folgen klimatischer Veränderungen anzupassen.

Die katholische Kirche, Sie wissen es, ist Weltkirche. Als Kirche stellen wir uns deshalb auch überall auf der Welt einer gemeinsamen Verantwortung. Seien Sie gewiss: Wir mühen uns und werden uns weiter mühen, die Weisheit, die Erfahrungen und die moralische Kraft, die uns im Glauben zuwächst und über Kontinente hinweg verbindet, in den Dienst einer Entwicklung zu stellen, die jedem Menschen und allen Menschen zugute kommt. Wir wollen dabei helfen, Not und Ausbeutung zu überwinden und eine Weltgesellschaft aufzubauen, in der die Würde aller Menschen geachtet wird.

In der Favela von São Paulo

Eine Schnellstraße durchpflügt die Favelas von São Paulo. Hochhausbauten am Horizont, so weit das Auge reicht, zwischendurch ein wenig Grün, sonst Straßen, Brücken und Beton. Bevor wir am Sonntag die Eucharistie in einer der Favelas feiern, bin ich dort schon einmal zu Besuch. Der Erzbischof von São Paulo, Kardinal Odilo Scherer, nimmt mich herzlich in Empfang, um uns herum spielen die Kinder. Kardinal Scherer kennt einige von ihnen, segnet sie – ein kurzes Strahlen in den Kinderaugen, weil sie spüren, dass ihnen hier für einen Moment Aufmerksamkeit zuteil wird.

Die 16 Millionen-Einwohner-Metropole São Paulo kennt viel Glanz und viel Elend. Am Sonntag wird hier die Formel-1 gefahren, Tausende leben in parallelen Welten in bitterster Armut. Als wir von der Schnellstraße abbiegen, führt der Weg über holprige Straßen, die zu einer gefährlichen Piste werden, als es heftig zu regnen beginnt. Wild hat sich hier ein ganzer Stadtteil den Hügel hochgebaut. Müll liegt an den Straßenrändern und in dem kleinen Bach, der durch die Favela fließt. Wenig Elektrizität gibt es hier, aber viel Aussichtslosigkeit. Die zahlreichen Favelas unterscheiden sich fast nicht. Einige sind sicherer als die anderen. Dort herrschen Drogenkartelle, an anderer Stelle mafiöse Strukturen. Hier seien wir sicher – versichert man uns.

Wenn wir nicht zu den Ärmsten gehen, bleibt unsere Botschaft vom Evangelium leer – das verstehe ich heute Abend noch besser. Grau sind die Häuserfronten, unsicher die Blicke, die uns begegnen. Ein beklommenes Gefühl breitet sich in mir aus. Es ist weniger Angst als vielmehr die tiefe Betroffenheit über das Elend, das mir hier begegnet.

Während unser Wagen die Hügelkuppe erreicht hat, breitet sich unter uns das Lichtermeer von São Paulo aus, im Dunst des Abendhimmels. Manchmal gibt es Situationen, in denen mir die Worte fehlen. Eine solche Situation spüre ich, während wir wieder einmal im Rückwärtsgang fahren und den Verkehr vor uns vorbeilassen. Mein Blick fällt auf eine Mutter mit ihren vier Kindern, die am Straßenrand steht. Das Gebet aber hilft. Ich bin mir sicher: Diese Menschen schließe ich heute ganz bewusst mit in mein Gebet ein.

Erzbischof Dr. Robert Zollitsch

Hintergrund – das Elendsviertel neben dem Gottesdienst-Platz:

Weihnachten im Slum – Christus in Brasilien

 

Kobras, Ratten, Gewalt und viel Überlebensmut

 

„Bei diesem Leben hier brauchen wir Hoffnung auf Gottes Beistand“, sagt die tiefreligiöse Cleide de Souza Nascimento in ihrer Elendskate – und wünscht sich nur eins:“Weihnachten darf es nicht schütten – sonst sind wir geliefert.“ Direkt vor der Bretterhütte schwillt bei starken Tropengewittern der barbarisch stinkende Kloakebach an – ebenso übelriechendes Abwasser dringt dann von hinten in die Kate herein und fließt wasserfallartig von der Eingangsluke, da, wo die Dreißigjährige steht, den Grabenhang hinunter, trifft sich mit der Kloake. „Abwasser läuft sogar aufs Bett – mein kleinster Sohn hat chronische Asthma, für den ist das hier besonders schlecht.“

Modrig-feucht ist es auch bei Sonne in der fensterlosen Kate –  vier alte, zerschlissene Matratzen für die sechs Bewohner, ein Herd mit blauem Kochgasbehälter, das bißchen Kleidung baumelt an Wandhaken. „Weihnachten gibts keine Geschenke, nichts, dafür reicht das Geld nicht, ein bißchen Weihnachtsschmuck ist auch nicht drin. Heiligabend wärs für uns alle zu eng in der Kate – wir machens wie die Nachbarn, treffen uns oben auf der Gasse, da ist mehr Platz.“

 

Als noch unter Staatschef Lula die Regierung 2003 das Anti-Hunger-Programm startet, kämpft und streitet Cleide solange mit der Staatsbürokratie, bis sie die sogenannte „Bolsa Familia“ endlich für ihre vier Kinder kriegt – 198 Real monatlich, macht umgerechnet rund 21 Euro pro Kind. Der Liter pasteurisierte Frischmilch kostet in Sao Paulo umgerechnet einen Euro dreißig, auch andere Grundnahrungsmittel sind in Brasilien, dem Niedrigstlohnland, auffällig teurer als im Hochlohnland Deutschland.

 

Was geben Sie so vor Weihnachten aus?

 

Brasilien zählt längst nicht mehr zu den Billigpreisländern, merken selbst deutsche Touristen verärgert an der Copacabana.

 

Cleide macht Gelegenheitsarbeit, Tagelöhnerei, wäscht bei Mittelschichtsfamilien, putzt denen die Wohnung:“Mein Mann ist behindert, taub – der macht manchmal den Einweiser auf Parkplätzen.“ So werden es dann wenigstens 31 Euro pro Kopf, für  jeden der sechs monatlich – der Fahrschein für den Bus raus aus der Favela kostet über einen Euro.  42 Prozent aller Empfänger von Bolsa Familia seien nach wie vor verelendet, melden die Landesmedien. Der Slum von Cleide zeigt es anschaulich.

 

Wird es in der Weihnachtszeit ein bißchen besser, gibts da spendenfreudige Leute? „Gottseidank kriegen wir von der  Kirche stets Pakete mit Grundnahrungsmitteln – da sind Reis, Bohnen, Zucker, Speiseöl dabei – Kleidung wird auch verteilt!“

 

Brasilien ist die siebtgrößte Wirtschaftsnation, Sao Paulo die reichste Stadt ganz Lateinamerikas – läßt sich wenigstens mal ein Sozialarbeiter in dieser Favela Cachoeirinha blicken, aus der am ersten Advent vom ZDF der Adveniat-Gottesdienst übertragen wurde? Cleide verneint:“Hier kommt nie mal einer von der Präfektur, vom Staat vorbei – man muß unheimlich bei den Behörden hinterher sein, um Bolsa Familia zu kriegen. Wer von den vielen Halb-und Voll-Analphabeten hier das nicht weiß, geht leer aus. Sechs Monate haben sie mir die Bolsa Familia unter einem Vorwand gesperrt – das war für uns grauenhaft. So viele haben eigentlich ein Anrecht, kriegen aber keinen Centavo.“ Übertreibt sie da nicht ein bißchen?    

 

 Zahlreiche Katen kleben wie die von Cleide in dem Kloakegraben, die Eingänge wirken wie dunkle Löcher – auch wegen der Sicherheit, um nicht beklaut zu werden, gibts keine anderen Öffnungen, in die Tageslicht fallen könnte. Starken Hautausschlag, viel Grind und Bläschen am Mund bemerkt man bei vielen Slumbewohnern – Tuberkulose und sogar Lepra finden beste Ausbreitungsbedingungen. Hier holt man sich rasch Elendskrankheiten, sagen Slumpriester, weil das Immunsystem der Bewohner  stark geschwächt ist.

 

Cleide haust seit 14 Jahren in dieser Hütte – nur einen Steinwurf entfernt hat Cleyton dos Santos, 22,  für seine Frau Erica und die zwei kleinen Kinder eine Holzkate direkt an einen breiten Abwasserbach gebaut. „Die Kinder bitten uns, Lichter, ein bißchen Weihnachtsschmuck an die Wand zu hängen – aber das ist unmöglich, wir haben tagtäglich so viel Dringenderes im Kopf! Jetzt, im Hochsommer, regnets alle paar Tage heftig, tritt der Bach über die Ufer, trägt stinkenden Schlamm in die Gasse, waten wir notgedrungen drin herum. Hier gibt es massenweise Ratten, die Krankheiten übertragen, müssen wir besonders wegen der Kinder aufpassen.“ Cleyton, entsetzlich mager, ist arbeitslos – Erica kriegt als Reinemachfrau  maximal 550 Real im Monat – das macht für alle vier umgerechnet höchstens 57 Euro pro Kopf – Weihnachtsgeschenke, Weihnachtsschmaus am Heiligabend? Fehlanzeige. „Wir setzen uns zu den Hüttennachbarn auf die Gasse – jeder gibt was für einen Teller mit Essen. Ich habe gehört, die Regierung erzählt draußen in der Welt, daß es den Brasilianern jetzt viel besser geht und allen geholfen wird. Das ist gelogen – man läßt uns hier im Slum total im Stich!“

 

Rosilene, 33, Cleytons Nachbarin, wird just um Weihnachten herum niederkommen – es ist das siebte Kind. „Weihnachten“, lacht sie bitter-ironisch, „Gott im Himmel, was soll ich da schon machen? Ich hocke in der Kate wie immer, hoffe auf die Hilfe der Nachbarn. Ich kriege ja vom Staat garnichts, nur ein bißchen Geld von den Vätern meiner Kinder. Wenns mal 200 Real im Monat werden, bin ich direkt zufrieden…“

 

200 Real – umgerechnet  rund 12 Euro monatlich für jedes der sechs Kinder, für Rosilene – wie soll das gehen, bei den Preisen? „Mein ältester Sohn kann schon ein bißchen arbeiten, der organisiert uns immer mal was zu essen, sorgt für ein bißchen Reis und Milch, das Kochgas – meine Nachbarn sind zwar wunderbar, aber die haben ja selber nichts. Ich schlage mich irgendwie durch – ja – ich lebe noch!“

 

Pedro, der Gelegenheitsarbeiter, kam mit seiner Frau, den fünf Kindern zu spät – weil nirgendwo noch eine Hütte hingepaßt hätte, baut er sie mitten in den Abwässerbach – ausgerechnet am Eingang mündet ein Kloakegraben hinein, vergrößert den Gestank noch mehr. „Letzte Weihnachten haben wir die Kate eingeweiht – feiern jetzt einjähriges Überleben. Das Abwasser steigt bei Gewitterregen nicht zu uns hoch – aber Ratten, sogar weiße, und Kobras klettern nachts hinein – wir müssen unheimlich auf der Hut sein. Denn das Dumme ist – Hauskatzen helfen nicht, die hauen vor den Rattenhorden ab. Egal, wir haben uns dran gewöhnt. Ich beklage mich nicht – grade vor Weihnachten gibts für mich mehr Jobs, schaufle ich mal Erde weg, repariere, streiche, schleppe was. Aber Heiligabend sind wir alle in der Kate, feiern Christi Geburt. Die Leute im Slum beten sehr viel – bitten Gott um spirituelle Kraft, um Hilfe in dieser Misere. Der Mann da neben Dir – den kenne ich – das ist doch der Padre, der jetzt vor Weihnachten die Lebensmittelpakete und das Spielzeug verteilt!“

 

Pedro meint Slumpfarrer Bernardo Daly, einen Iren, der mit seiner Schar hochengagierter kirchlicher Menschenrechtsaktivisten trotz bescheidenster Mittel weit schlimmeres Elend und krassesten Hunger verhindert – und die Räumung des Slums, die Vertreibung der Favelados durch die Polizei. Todesschwadronen, Drogenbanditen-und Polizeigewalt, dazu immer wieder Hüttenbrände, bei denen Kleinkinder verkohlen  – Daly muß als Seelsorger tagtäglich mit Situationen fertigwerden, Dinge verkraften, die das Vorstellungsvermögen der meisten Deutschen übersteigt.

 

Der Padre wirkt erstaunlich ruhig und besonnen – doch manchmal macht er seiner Empörung Luft. Wie an der Kate von Elise, die direkt am Kloakegraben haust. „Ich kriege 134 Real Bolsa Familia, weil die ältere meiner beiden Töchter geistig behindert ist, ständig meine Betreuung braucht – mehr Geld haben wir nicht im Monat.“ 134 Real – also umgerechnet rund 18 Euro für jede der drei. Padre Daly ist geschockt:“Das ist doch unmöglich. Wer so lebt, muß manchmal das eigentlich Unmögliche tun, weil es keinen anderen Ausweg gibt…“ Der Geistliche läßt offen, was er konkret meint – nicht nötig.

 

„Jetzt, vor Weihnachten, kämpfe ich dafür, daß mehr Nahrungsmittelspenden in den Slum gelangen – auch zu denen, die garnicht wissen können, wo es Ausgabestellen gibt, also Alte, Behinderte, Kranke“, sagt  Eliane Takeko, 46, engste Mitstreiterin von Padre Doty, zudem Präsidentin der Bewohnerassoziation. “Ein bißchen  mehr Spielzeug für die Kinder – das müßte doch drin sein, auch dafür streite ich mich mit der Präfektur herum. Die Lage im Slum macht mich traurig und wütend  – Brasilien ist doch soooo reich – die Mittel sind da! Wir von der katholischen Kirche akzeptieren nicht diese grauenhafte Logik, daß es Arme, Verelendete nun mal gibt und immer geben wird. In den über 2600 Slums von São Paulo gibts viele sogenannte Kirchen, die nichts fürs Soziale tun. Wir legen uns mit denen `oben` an.“

 

Dieses Jahr ist der Slum noch voller, noch dichter bewohnt als letzte Weihnachten, meint Eliane Takeko. „Manche Slums werden  von der Polizei geräumt und zerstört, vor der Fußball-WM werden Obdachlose aus der City vertrieben – die kommen notgedrungen zu uns an die Peripherie. Deswegen wird es immer enger in den Hütten.“ Aber warum gibt es dann keine Massenproteste der Slumbewohner? „Die Menschen haben Angst“, sagt Padre Doty. „Nicht wenige hatten sich engagiert, haben resigniert aufgegeben. Zudem ist das Bildungsniveau in Brasilien entsetzlich niedrig – Leute ohne Bildung, Analphabeten wissen garnicht, wie man das macht – sich organisieren, auf die Straße gehen, Bürgerrechte durchsetzen. Die kennen ihre Rechte já garnicht.“

 

Eliane Takeko stimmt zu: „Es liegt auch am Hunger – wer sich nur schlecht ernährt, in solchen Katen haust, kann nicht richtig denken, ist schnell kaputt, noch dazu bei Tropenhitze. Und wer zu oft den Mund aufmacht, fliegt raus, kriegt nicht mal eine Tagelöhnerarbeit.  Auch ich muß aufpassen.“

 

Selbst in ihrer engen Kate gibts keinen Weihnachtsschmuck – denn auch sie schlägt sich mit Gelegenheitsarbeit durch, wie die Tochter. „Wir beide kommen auf höchstens 500 Real im Monat – das muß für alle sechs in der Kate reichen. Mein Mann ist behindert, hatte einen Unfall. Da heißt es, irrsinnig sparen.“  Maximal umgerechnet 200 Euro monatlich, für sechs Leute – wie macht sie das?

 

Körperlich und geistig Behinderte – auffällig, wie viele in den Slums hausen. Laut Studien sind es 23, 91 Prozent der brasilianischen Bevölkerung, gegenüber rund einem Prozent in hochentwickelten Staaten wie Deutschland. Immer wieder geschieht, daß geistig behinderte Mädchen und Frauen der Favelas vergewaltigt werden.

 

Über 30 Millionen Brasilianer leben laut Kirchenangaben noch in extremer Armut. Nimmt man jedoch die offizielle Regierungseinstufung, zählen Eliane Takeko und ihre Familie nicht mehr dazu, liegen oberhalb der amtlich allen Ernstes auf umgerechnet etwa 29 Euro angesetzten Pro-Kopf-Grenze, sind nur noch „arm“ –  Rosilene mit den sechs Kindern und Elise aber liegen darunter…

 

Haben alle in gewisser Weise sogar „Glück“, Weihnachten im Slum einer reichen Wirtschaftsmetropole wie Sao Paulo zu feiern? Denn Brasiliens grauenhafteste Elendsviertel liegen nicht hier, sondern in den kraß unterentwickelten Regionen des Nordens und Nordostens.

http://www.katholische-sonntagszeitung.de/index.php/sz/Nachrichten/die_kirche_als_su_ndenbock

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“Krise bestens überstanden”: Eingang von Slumkate in Lateinamerikas reichster Stadt Sao Paulo. http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/01/bewohnerin-eines-der-uber-2000-slums-in-lateinamerikas-reichster-stadt-sao-paulo-gesichter-brasiliens/

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Zwei Crack-Süchtige, laut brasilianischen Augenzeugen, vor Bahnhofseingang, Dezember 2011, nahe der Kulturbehörde des Teilstaats Sao Paulo.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/29/brasiliens-musik-und-tanzphanomen-baile-funk-in-europa-vom-kulturbetrieb-gelobt-gefordert-baile-funk-bringt-terror-und-tod-an-die-peripherie-zeitung-sao-paulos-zu-lynch-verbrechen-am-tag-d/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/30/brasiliens-probleme-beim-bekampfen-der-aids-epidemie-aus-expertensicht/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/01/brasilien-flog-aus-landergruppe-die-aids-infizierte-am-besten-betreut-laut-landesmedien-nur-zwischen-60-und-79-der-hiv-patienten-werden-behandelt/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/30/brasiliens-heranwachsende-in-extremer-armut-zahl-zunehmend-laut-neuer-unicef-studie-acht-jahre-lula-rousseff-regierung-und-resultate/

Katholik Schlingensief: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/23/den-leuten-zu-sagen-in-was-fur-einer-verlogenen-scheise-wir-alle-leben-schlingensief-in-sao-paulo/

http://de.wikipedia.org/wiki/Das_deutsche_Kettens%C3%A4genmassaker

Schlingensief:  http://www.youtube.com/watch?v=OM8ZevwUf2A

Brasiliens Wirtschaftslage 2011: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/06/boomland-brasilien-stagnierende-wirtschaft-im-dritten-quartal-industrieproduktion-schrumpfte-um-09-prozent-gegenuber-zweitem-quartal/

Brasiliens “Boom” und die Slumhütten. “Ratten, Unmassen von Fiebermücken, Kloake bei jedem Gewitterregen in der Kate.” “Warum hat Sao Paulo noch 2627 Slums?”

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Hausen  an stinkender Kloake, nahe dem Platz des Adveniat-Gottesdienstes – in Lateinamerikas reichster Stadt Sao Paulo. “Ich lebe hier schon 14 Jahre so in dieser Kate.”(Mutter von vier Kindern) 

Das Elend und der spanische Preis für Lula 2012: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/04/09/brasiliens-ex-staatschef-lula-erhalt-spanischen-preis-wegen-politik-im-dienste-eines-gerechten-wirtschaftswachstums-sowie-kampf-gegen-hunger/

Der Teilstaat Sao Paulo ist die führende Wirtschaftsregion Lateinamerikas mit der entsprechenden Konzentration von Ober-und Mittelschicht – man kann sich daher vorstellen, wie die Slums in den stark unterentwickelten Regionen des Nordens und Nordostens der siebtgrößten Wirtschaftsnation aussehen.

http://www.adveniat.de/blog/?p=960

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/05/brasiliens-obdachlose-drei-ermordet-in-campinas-bei-sao-paulo-regelmasig-gewalttaten-sogar-verbrennung-von-strasenbewohnern/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/21/katholisches-hilfswerk-adveniat-in-brasilien-land-der-vielen-milliardare-und-millionare-wie-es-kommt-das-in-deutschland-muhselig-spenden-fur-bedurftige-und-sozialprojekte-gesammelt-werden-obwohl-d/

“Die Wirtschaftskrise hat Brasilien kaum gespürt”(WAZ)

Der soziale Aufstieg von Lula: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/04/lula-bekommt-500000-dollar-von-lg-fur-vortrag-in-sudkorea-laut-brasilianischen-landesmedien-uber-eine-million-dollar-damit-vier-monate-nach-ende-der-amtszeit-kassiert-laut-kalkulation-von-parte/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/07/brasiliens-boomwirtschaft-wachst-nicht-mehr-und-erholung-wird-dauern-folha-de-sao-paulo/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/04/brasiliens-korruptionskrise-dilma-rousseffs-arbeitsminister-carlos-lupi-kippt-staatschefin-wartete-mit-entlassung-trotz-der-gravierenden-verfehlungen-des-ministers-ubermasig-lange-kritisieren-land/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/06/brasiliens-industriellenverband-fiesp-zu-wirtschaftsstagnation-warnungen-seit-jahresbeginn-bestatigt-schadliche-wirkung-der-hohen-zinsen-uberbewertete-landeswahrung-real/

“Wirtschaftsmacht der Zukunft”:

http://www.welt.de/dieweltbewegen/article13665169/Brasilien-ist-die-Wirtschaftsmacht-der-Zukunft.html

Spürbare Preissprünge bei  brasilianischen Lebensmitteln in den letzten Monaten.
Lateinamerikas teure Lebensmittel – Preissteigerungen um 40 Prozent in den letzten vier Jahren – Gefahr für Hungerbekämpfung: http://exame.abril.com.br/economia/mundo/noticias/precos-dos-alimentos-na-america-latina-sobem-40-em-4-anos–2

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/30/brasiliens-heranwachsende-in-extremer-armut-zahl-zunehmend-laut-neuer-unicef-studie-acht-jahre-lula-rousseff-regierung-und-resultate/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/17/adveniat-in-brasilien-wie-lebt-es-sich-in-der-reichsten-stadt-lateinamerikas-der-siebtgrosten-wirtschaftsnation-nach-acht-jahren-lula-regierung-adveniat-gottesdienst-in-der-favela-cachoeirinha-von/

Wie in deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften die  Situation interpretiert wird:

”Das Leben in Brasilien ist leicht und unbeschwert. Probieren Sie es selbst.” Deutschsprachige Tourismuspropaganda.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/28/brasilien-nach-acht-jahren-lula-regierungwarum-hat-sao-paulo-noch-2627-slums-fragt-die-wichtigste-qualitatszeitung-o-estado-de-sao-paulo/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/12/06/der-alltag-brasilianischer-jugendlicher-unterscheidet-sich-gar-nicht-so-stark-von-dem-der-deutschen-schwabische-post-entspannt-und-fleisig-in-brasilien/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/05/brasiliens-hohe-rate-von-behinderten-2391-prozent-der-bevolkerung-gegenuber-rund-1-prozent-in-hochentwickelten-landern-laut-studien/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/24/brasilien-wurde-unter-lula-rousseff-zum-auswanderungsland-bye-bye-brasil-sergio-costa-soziologie-professor-an-der-fu-berlin-bestatigt-die-entwicklung/

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„…das Land die globale Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 vergleichsweise unbeschadet überstanden hat.“  BDI 2011

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/27/zdf-adveniat-gottesdienst-in-favela-cachoeirinha-von-sao-paulo-2011-brasiliens-kontraste-fotoserie/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/24/sos-kinderdorfer-in-brasilien-unter-rousseff-lula-zahlreiche-hilfsprojekte-deutschlands-der-schweiz-und-osterreichs-in-boomland-global-player-rassismus-in-brasilien-mauricio-pestana-analysier/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/08/brasiliens-favela-menschenrechtsaktivisten-eliana-takeko-kanashiro-de-araujo-prasidentin-der-associacao-futuro-melhor-sao-paulo/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/26/zdf-und-adveniat-in-favela-cachoeirinha-von-sao-paulo-verschiedene-sichtweisen-der-gravierenden-menschenrechtslage-brasiliens-je-nach-wertvorstellungen-und-vorschriftenkatalog/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/06/25/nine-most-horrible-places-in-the-world-favela-slums-von-rio-de-janeiro-aus-sicht-des-bric-staats-china-subkultur-von-umweltzerstorung-armut-und-gangstern-cubatao-bei-sao-paulo-an-sieb/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/12/folter-ohne-ende-tortura-sem-fim-brasiliens-soziologiezeitschrift-sociologia-uber-folter-unter-der-lula-regierung/

Favelakinder Sao Paulos – Fotoserie: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/28/favelakinder-in-sao-paulo-gesichter-brasiliens/
Crack-Epidemie unter der Lula-Rousseff-Regierung: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/03/brasiliens-crack-epidemie-unter-der-rousseff-regierung-wie-crack-wirktverkehrsumleitung-wegen-offener-crack-szene-die-strasen-total-verstopft-in-sao-paulo/

Brasiliens Gefangenenseelsorge – der deutsche Pastor Wolfgang Lauer.

Samstag, 10. Dezember 2011 von Klaus Hart   **

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1624771/

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http://brueckenbauer.blogspot.com/2011_05_01_archive.html

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/03/bundesprasident-christian-wulff-dilma-rousseff-und-der-zugige-bau-des-neuen-atomkraftwerks-angra-3-bei-rio-de-janeiro-mit-deutscher-bundesburgschaft/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/30/brasilien-weiter-land-mit-weltweit-hochster-mord-zahl-stellen-landesmedien-zum-jahresende-heraus-regierungsprojekt-fur-mord-reduzierung-gestoppt-hies-es/

Rio+20. Brasilien: “Nach wie vor hemmungslose Aktionen der Todesschwadronen, institutionalisierte Barbarei.” Lulas Menschenrechtsminister Paulo Vannuchi räumt gegen Ende der zweiten Amtszeit erneut Fortbestehen der brasilianischen Todesschwadronen ein. “Folter ohne Ende”(Soziologiezeitschrift “Sociologia”) Lulas Menschenrechtsbilanz. Strategischer Partner der Berliner Regierung. Peter Scholl-Latour. Folter und Todesschwadronen als Fortschrittskriterium: “fortschrittliche Schwellenländer wie Brasilien”. José Zapatero, EU-Ratspräsident, Gregor Gysi. **

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Vannuchi wies gegenüber der Presse speziell auf Todesschwadronen im brasilianischen Nordosten, aus dem Staatschef Lula stammt. Die Organisation Amerikanischer Staaten prüfe derzeit 98 Anklagen gegen Brasilien wegen Menschenrechtsverletzungen gravierender Art. Bei Brasiliens Todesschwadronen bestehe eine promiskuitive Allianz zwischen Vertretern des Staates(agentes publicos) und Vertretern außerhalb des Staatsapparats.

In meinungsbildenden deutschen Analysen wird die brasilianische Regierung ausdrücklich als “progressiv” eingestuft.

“Brasilien ist eine Industriemacht, die achtgrößte Wirtschaftsnation der Welt, modern und fortschrittlich.”

http://www.bpb.de/publikationen/JU16H0,0,Vom_Umgang_mit_der_Diktaturvergangenheit.html

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/03/todesschwadronen-in-rio-de-janeiro-polizeioffizier-bei-attentat-erschossen-der-an-ermittlungen-teilnahm-militarpolizisten-anzeigte/

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Todesschwadronen 2011: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/01/09/todesschwadronen-in-brasilien-menschenrechtspolitik-unter-lula-rousseff-polizisten-kommandieren-ausrottungskommandos-im-ganzen-land-viel-lob-aus-europa-fur-brasilias-kurs/

Auch aus europäischen Ländern erhält die sehr spezielle Demokratie-Politik der Lula-Regierung sehr viel Lob. Beifall kommt auch von alten und neuen Rechten. Im Gegensatz zu Amnesty International London sind angesichts rasch zunehmender neoliberaler Herzenskälte für die meisten europäischen Medien  gravierende Menschenrechtsverletzungen in Brasilien, wie Scheiterhaufen sowie von Staatsangestellten praktizierte Folter und Todesschwadronen, nicht der Rede und damit auch nicht der Erwähnung wert.  Lulas Menschenrechtsbilanz zweier Amtszeiten hat die politische Glaubwürdigkeit seiner Regierung in europäischen Ländern offenbar sehr stark erhöht.

Menschenrechtsanwalt Bruno Alves de Souza Toledo: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/12/08/brasiliens-menschenrechtsanwalt-bruno-alves-de-souza-toledo-sein-energisches-auftreten-vor-dem-uno-menschenrechtsrat-in-genf-bewirkte-dort-proteste-gegen-einen-standigen-uno-sicherheitsratssitz-bras/

Helio Bicudo: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/05/20/todesschwadronen-in-brasilien-unter-lula-katholischer-menschenrechtsaktivist-helio-bicudo-todesschwadronen-wuten-weiter/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/12/14/brasiliens-gefangenenpriester-valdir-silveira-erhalt-von-lula-regierungs-menschenrechtspreis-wegen-kampf-gegen-folter-in-brasilien/

Lula links oder rechts? http://www.hart-brasilientexte.de/2010/10/21/lula-links-oder-rechts-selbst-einige-pt-mitglieder-beurteilen-seine-politik-als-eindeutig-rechts-als-fortsetzung-der-wirtschaftspolitik-von-fernando-henrique-cardoso-zugunsten-des-finanzkapitals/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/05/18/ermittlungen-gegen-weitere-todesschwadron-in-sao-paulo-bisher-offenbar-mindestens-elf-menschen-liquidiert/

Fotodokumentation und Slum-Dikatur: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/05/brasiliens-zeitungen-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/

Gregor Gysi, Linkspartei, Deutschland: “Von allen linken Präsidenten hat Lula, der als am wenigsten links eingeschätzt wird, die größten Erfolge.”

“Lula Superstar”: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-70569506.html

Peter Scholl-Latour: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/05/peter-scholl-latour-uber-brasilien-vielfaltige-harmonie-der-rassen-mauricio-pestana-uber-das-rassistischste-land-der-erde-jurandir-freire-costa-uber-ethisch-moralische-schizophrenie-m/

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”Das Leben in Brasilien ist leicht und unbeschwert. Probieren Sie es selbst.” Deutschsprachige Tourismuspropaganda. Was in Kommerz-Reiseführern fehlt…

Scheiterhaufen und Slum-Diktatur: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/16/scheiterhaufenstadt-rio-de-janeiro-der-grausame-tod-einer-48-jahrigen-frau-in-der-microondas-laut-lokalzeitung/

Die Aufdringlichkeit der Sinne

Vom machtgeschützten Verlust der gesellschaftlichen Sehkraft – Oskar Negt(2000)

“Der Verlust jener in sinnlicher Erfahrung begründeten Urteilsfähigkeit der Menschen hat in unserem Jahrhundert für viele Menschen tödliche Folgen gehabt. Das Wegsehen, die machtgeschützte Sinnenblindheit, wenn Menschen verfolgt und getrieben, vergewaltigt und öffentlich gequält werden – das gehört nicht der Vergangenheit an.”

José Zapatero, amtierender EU-Ratspräsident: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/11/jose-zapatero-spaniens-premierminister-lobt-lula-uber-alle-masen-der-mann-der-die-welt-uberrascht-esse-homem-honesto-integro-e-admiravel-von-amnesty-international-angeprangerte-folter/

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Gefängnishorror unter Lula – UNO-Menschenrechtskommission in Genf befaßt sich mit den Zuständen. Foto von brasilianischen Menschenrechtsaktivisten.

Umgang mit Geschichte: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/11/11/brasilia-50-und-das-massaker-an-bauarbeitern/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/13/deutschland-und-japan-wurden-nach-dem-zweiten-weltkrieg-jahrelang-dafur-bestraft-das-sie-der-angelsachsischen-welt-fuhrung-getrotzt-diese-herausgefordert-hatten-die-sicht-der-lula-regierung-zu/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/23/laut-lula-zog-die-regierung-aus-der-diktatur-folterpraxis-dem-martyrium-der-verfolgten-die-richtigen-lehren-folha-de-sao-paulo-nennt-die-skandalos-folterer-wurden-nicht-bestraft-folter-ohne/

Menschenrechtsminister Paulo Vannuchi zur Sklavenarbeit: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/22/a-censura-nunca-desiste-kampagne-gegen-zensur-von-pubaddict/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/11/23/die-zeit-interviewt-lula-der-pr-witz-aus-hamburg-was-alles-fehlt/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/08/06/offizielle-statistiken-brasiliens-und-ihre-kritiker-beispiel-mordrate/

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Zeitungsfoto – Rio-Bewohner betrachten Ermordete. Das Desinteresse an den tatsächlichen Lebensbedingungen der Slumbewohner ist enorm.

”Die Praxis der Folter ist als Form institutioneller Gewalt im Alltag des Sicherheitsapparats weiter präsent und richtet sich besonders gegen die Armen.(brasilianische Soziologie-Zeitschrift “Sociologia” in ihrer neuesten Ausgabe)

“Folter ohne Ende”: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/12/folter-ohne-ende-tortura-sem-fim-brasiliens-soziologiezeitschrift-sociologia-uber-folter-unter-der-lula-regierung/

Folter von Kindern: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/11/26/anzeigen-wegen-folter-von-heimkindern-unter-lula-die-organisation-amerikanischer-staaten-interveniert-morde-und-folterungen-verhindern-brasiliens-gefangnissystem-ahnelt-nazistischen-kzs/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/04/07/unsagliche-folterpraxis-in-brasilien-gunter-nooke-menschenrechtsbeauftragter-der-deutschen-bundesregierung-kritisiert-in-brasilien-folter-und-andere-menschenrechtsverletzungen-druck-ist-noti/

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Zeitungsfoto.

Menschenrechtsminister Paulo Vannuchi zu außergerichtlichen Exekutionen und Blutbädern während der Lula-Regierung: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/10/10/taglich-ausergerichtliche-exekutionen-in-brasilien-menschenrechts-minister-paulo-vannuchi/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/05/20/todesschwadronen-in-brasilien-unter-lula-katholischer-menschenrechtsaktivist-helio-bicudo-todesschwadronen-wuten-weiter/

Vannuchi zu täglichen Menschenrechtsverletzungen: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/11/lulas-menschenrechtsminister-paulo-vannuchi-raumt-gravierende-menschenrechtsverletzungen-eindie-menschenrechtsverletzungen-sind-routine-alltaglich-und-allgemein-verbreitet-das-gefangnissystem-ist/

Lula-Pressekonferenz vom Dezember 2009 in Berlin: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/03/pressekonferenz-mit-lula-in-berlin-keine-einzige-frage-zu-gravierenden-von-amnesty-international-kritisierten-menschenrechtsverletzungen-wie-folter-scheiterhaufen-todesschwadronen-sklavenarbeit/

Kopf unter Wasser: http://www.amnesty.de/journal/2009/juni/kolumne-kopf-unter-wasser

“Krieg auf dem Morro dos Macacos”: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/17/krieg-auf-dem-morro-dos-macacos-von-rio-de-janeiro-youtube-anklicken-bope-im-einsatz/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/01/07/lula-steht-rechts-ich-habe-ihn-immer-fur-einen-rechten-gehalten-ele-e-da-direitafrancisco-de-oliveira-renommierter-brasilianischer-soziologe-in-caros-amigos/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/05/leider-sind-es-nicht-mehr-so-viele-die-die-ganze-wahrheit-wissen-wollen-man-biegt-sehr-schnell-ab-um-bei-seiner-meinung-bleiben-zu-konnen-und-bei-den-als-angenehm-empfundenen-losungen-ich-hab/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/30/die-top100-website-beitrage-des-2halbjahrs-2009-regelmasige-website-nutzer-in-uber-90-landern-das-meist-genutzte-google-foto-der-website-gefangenenpriester-gunther-zgubic-aus-osterreich-koordinat/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/11/11/brasilia-50-und-das-massaker-an-bauarbeitern/

Menschenrechts-Samba – anklicken: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/10/12/o-iraque-e-aqui-der-irak-ist-hier-hit-von-jorge-aragao/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/29/lula-macht-laut-wertekriterien-des-weltwirtschaftsforums-in-davos-alles-richtig-hohe-ehrung-mit-preis-global-statesmanship-wirtschaftsethik-und-menschenrechtslage-weltsozialforum-2010/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/01/brasiliens-erfolgreiche-auslandspropaganda-2009-uber-40-millionen-euro-investiert-laut-brasil-economico-enge-zusammenarbeit-mit-medien-europas/

”Das Leben in Brasilien ist leicht und unbeschwert. Probieren Sie es selbst. Deutschsprachige Tourismuspropaganda.

Brasiliens Massengräber

 „Wenn die Toten da reingeschmissen werden, sind das Szenen wie in diesen Holocaustfilmen“, beklagen sich Anwohner von Massengräber-Friedhöfen der größten lateinamerikanischen Demokratie. In der Tat wird seit der Diktaturzeit vom Staat die Praxis beibehalten, nicht identifizierte, zu „Unbekannten“ erklärte Tote in Massengräbern zu verscharren.  Die Kirche protestiert seit Jahrzehnten dagegen und sieht darin ein gravierendes ethisch-moralisches Problem, weil es in einem Land der Todesschwadronen damit auch sehr leicht sei, unerwünschte Personen verschwinden zu lassen. In der Megacity Sao Paulo mit ihren mehr als 23 Millionen Einwohnern empört sich der weltweit angesehene Menschenrechtspriester Julio Lancelotti: „In Brasilien wird monatlich eine erschreckend hohe Zahl von Toten anonym in Massengräbern verscharrt, verschwinden damit Menschen auf offiziellem Wege, werden als Existenz für immer ausgelöscht. Wir von der Kirche nehmen das nicht hin, versuchen möglichst viele Tote zu identifizieren, um sie  dann auf würdige Weise christlich zu bestatten. Wir brauchten einen großen Apparat, ein großes Büro, um alle Fälle aufklären zu können – dabei ist dies eigentlich Aufgabe des Staates!“Padre Lancelotti erinnert daran, daß während der 21-jährigen Diktaturzeit in Sao Paulo von den Machthabern 1971 eigens der Friedhof Dom Bosco geschaffen wurde, um dort zahlreiche ermordete Regimegegner heimlich gemeinsam mit jenen unbekannten Toten, den sogenannten „Indigentes“, in Massengräber zu werfen. Wie die Menschenrechtskommission des Stadtparlaments jetzt erfuhr, wurden seit damals allen Ernstes 231000 Tote als Namenlose verscharrt – allein auf d i e s e m Friedhof. Heute  kommen Monat für Monat dort zwischen 130 und 140 weitere Indigentes hinzu. Nach einem Massaker an Obdachlosen Sao Paulos kann Priester Lancelotti zufällig auf dem  Friedhof Dom Bosco beobachten, wie sich der Staat der Namenlosen entledigt: “Als der Lastwagen kommt und geöffnet wird, sehe ich mit Erschrecken, daß er bis obenhin voller Leichen ist. Alle sind nackt und werden direkt ins Massengrab geworfen. Das wird zugeschüttet – und fertig. Sollten wir später noch Angehörige ermitteln, wäre es unmöglich, die Verstorbenen in der Masse der Leichen wiederzufinden. Was sage ich als Geistlicher dann einer Mutter?“ Lancelotti hält einen Moment inne, reflektiert: „Heute hat das Konzentrationslager keinen Zaun mehr, das KZ ist sozusagen weit verteilt – die Menschen sind nach wie vor klar markiert, allerdings nicht auf der Kleidung, sondern auf dem Gesicht, dem Körper. Und sie werden verbrannt, verscharrt, wie die Gefangenen damals, und es gibt weiter Massengräber.“ Was in Sao Paulo geschieht, ist keineswegs ein Einzelfall. In der nordostbrasilianischen Millionenstadt Fortaleza leiden die Anwohner des Friedhofs „Bom Jardim“ seit Jahren bei den hohen Tropentemperaturen unter grauenhaftem Leichengeruch. „Die Toten werden oft schon verwest hergebracht, wie Tiere verscharrt, wir müssen zwangsläufig zusehen, es ist grauenhaft“, klagt eine Frau. „Fast jeden Tag kommt der Leichen-LKW – doch bei den heftigen Gewitterregen wird die dünne Erdschicht über den Toten weggeschwemmt, sehen wir die Massengräber offen, wird der Geruch im Stadtviertel so unerträglich, daß viele Kopfschmerzen kriegen, niemand hier eine Mahlzeit zu sich nimmt.“ Der Nachbar schildert, wie das vergiftete Regenwasser vom Friedhof durch die Straßen und Gassen des Viertels läuft: „Das Wasser ist grünlich und stinkt, manchmal werden sogar Leichenteile mitgeschwemmt – und weggeworfene Schutzhandschuhe der Leichenverscharrer. Die Kinder spielen damit – haben sich an die schrecklichen Vorgänge des Friedhofs gewöhnt.  Wir alle haben Angst, daß hier Krankheiten, Seuchen ausbrechen.“Selbst in Rio de Janeiro sind die Zustände ähnlich, werden zahllose Menschen von Banditenkommandos der über 1000 Slums liquidiert und gewöhnlich bei Hitze um die 35 bis 40 Grad erst nach Tagen in fortgeschrittenem Verwesungszustand zum gerichtsmedizinischen Institut abtransportiert. Wie aus den Statistiken hervorgeht, werden in den Großstädten monatlich stets ähnlich viele Tote als „Namenlose“ in Massengräber geworfen wie in Sao Paulo, der reichsten Stadt ganz Lateinamerikas. Priester Julio Lancelotti und seine Mitarbeiter stellen immer wieder Merkwürdigkeiten und verdächtige Tatbestände fest. „Werden Obdachlose krank und gehen in bestimmte öffentliche Hospitäler, bringt man an ihrem Körper eine Markierung an, die bedeutet, daß der Person nach dem Tode zu Studienzwecken Organe entnommen werden. Die Männer registriert man durchweg auf den Namen Joao, alle Frauen als Maria. Wir streiten heftig mit diesen Hospitälern und wollen, daß die Obdachlosen auch nach dem Tode mit den echten Namen geführt werden. Schließlich kennen wir diese Menschen, haben über sie Dokumente. Man meint eben, solche Leute sind von der Straße, besitzen also weder eine Würde noch Bürgerrechte. Wir haben in der Kirche eine Gruppe, die den illegalen, kriminellen Organhandel aufklären will, aber rundum nur auf Hindernisse stößt. Denn wir fragen uns natürlich auch, ob jenen namenlos Verscharrten vorher illegal Organe entnommen werden.“Fast in ganz Brasilien  und auch in Sao Paulo sind Todesschwadronen aktiv, zu denen Polizeibeamte gehören, wie sogar das Menschenrechtsministerium in Brasilia einräumt. Tagtäglich würden mißliebige Personen außergerichtlich exekutiert, heißt es. Darunter sind auch Obdachlose, von denen allein in Sao Paulos Zentrum weit über zehntausend auf der Straße hausen. Wie Priester Julio Lancelotti betont, ist zudem die Zahl der Verschwundenen auffällig hoch. „Auf den Straßen Sao Paulos werden viele Leichen gefunden. Denn es ist sehr einfach, so einen Namenlosen zu fabrizieren. Man nimmt ihm die Personaldokumente weg, tötet ihn und wirft ihn irgendwo hin. Wir gehen deshalb jeden Monat ins gerichtsmedizinische Institut, um möglichst viele Opfer zu identifizieren. Die Polizei ist immer überrascht und fragt, warum uns das interessiert. Das Identifizieren ist für uns eine furchtbare, psychisch sehr belastende Sache, denn wir müssen monatlich stets Hunderte von Getöteten anschauen, die in großen Leichenkühlschränken liegen – alle schon obduziert und wieder zugenäht. Und man weiß eben nicht, ob da Organe entnommen wurden.“Solchen Verdacht hegen nicht wenige Angehörige von Toten, die seltsamerweise als „Namenlose“ im Massengrab endeten. In der nordostbrasilianischen Küstenstadt Maceio geht letztes Jahr der 69-jährige Sebastiao Pereira sogar mit einem Protestplakat voller Fotos seines ermordeten Sohnes auf die Straße. Dem Vater hatte man im gerichtsmedizinischen Institut die Identifizierung der Leiche verweigert – diese dann mysteriöserweise auf einen Indigentes-Friedhof gebracht. Kaum zu fassen – ein Friedhofsverwalter bringt es fertig, Sebastiao Ferreira später  mehrere Leichenteile, darunter einen Kopf zu zeigen. „Mein Sohn wurde allein am Kopf von vier MG-Schüssen getroffen – und dieser Kopf war doch intakt! Ich setzte eine DNA-Analyse durch – der Kopf war von einem Mann, das Bein von einem anderen, der Arm wiederum von einem anderen – doch nichts stammte von meinem Sohn“, sagt er der Presse. In Sao Paulo hat Priester Lancelotti durchgesetzt, daß ein Mahnmal auf dem Friedhof Dom Bosco an die ermordeten Regimegegner, aber auch an die mehr als 200000 „Namenlosen“ erinnern wird. Neuerdings macht der Friedhof in Brasilien immer wieder Schlagzeilen, allerdings nicht wegen der Massengräber von heute. Progressive Staatsanwälte versuchen das Oberste Gericht in Brasilia zu überzeugen, den zur Diktaturzeit für den Friedhof verantwortlichen Bürgermeister Paulo Maluf und den damaligen Chef der Politischen Polizei, Romeu Tuma, wegen des Verschwindenlassens von Oppositionellen vor Gericht zu stellen. Erschwert wird dies jedoch durch den Politikerstatus der Beschuldigten: Paulo Maluf ist Kongreßabgeordneter und Romeu Tuma sogar Kongreßsenator – beide gehören zum Regierungsbündnis von Staatspräsident Lula.

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/12/06/der-alltag-brasilianischer-jugendlicher-unterscheidet-sich-gar-nicht-so-stark-von-dem-der-deutschen-schwabische-post-entspannt-und-fleisig-in-brasilien/

Kindstötung bei Indianerstämmen: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/10/18/brasilien-kindsmord-am-amazonas-ard-weltspiegel-berichtet-erstmals-uber-infantizid-bei-brasilianischen-indianerstammen/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/12/09/wikileaks-lula-und-die-leere-antiamerikanische-rhetorik-engste-freundschaftliche-beziehungen-zum-weisen-haus-doch-bitte-um-verstandnis-fur-spruche-gegen-die-usa-in-wahlkampfzeiten/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/19/httpwwwrechtsanwalt-brasiliende-anwalte-infur-brasilien/

Brasilianische Protestsongs:

Paralamas do Sucesso:  http://www.youtube.com/watch?v=sI4ZF2qEzpE

Jorge Aragao:  http://www.youtube.com/watch?v=XkvjkxERac4

Bezerra da Silva:  http://www.youtube.com/watch?v=8i69t5BI3KI

Legiao Urbana:  http://www.youtube.com/watch?v=zy2-b8Ze90A&feature=fvwrel

Rita Lee:  http://www.youtube.com/watch?v=XTPV8cJoqSU

Cazuza:  http://www.youtube.com/watch?v=NkNv2BflaSU

Capital Inicial:  http://www.youtube.com/watch?v=5xShbngQdaI

Titas:  http://www.youtube.com/watch?v=0LXil87V6jQ

Biquini Cavadao:  http://www.youtube.com/watch?v=lR4GeUpk-LE

Raul Seixas:  https://www.youtube.com/watch?v=S2cWf8lrQAQ

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/29/herzlich-willkommen-zum-letzten-fokus-amerika-ich-bin-sven-toniges-2532011/

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“Folter noch jeden Tag.”(2011)

Amnesty Journal 2009:

“KOPF UNTER WASSER

Gravierende Menschenrechtsverletzungen offiziell abzustreiten oder zu vertuschen, kommt heutzutage bei der internationalen Gemeinschaft schlecht an. Das weiß auch die brasilianische Regierung und geht deshalb seit langem einen anderen Weg: Mit erstaunlicher, entwaffnender Offenheit wird in- wie ausländischen Kritikern bestätigt, dass sie völlig im Recht seien. Man sehe die Dinge ganz genau so und habe bereits wirksame Schritte, etwa zur Abschaffung der Folter, eingeleitet. Doch auf die Worte folgen meist keine Taten.

Menschenrechtsaktivisten wie der österreichische Pfarrer Günther Zgubic, der die bischöfliche Gefangenenseelsorge in Brasilien leitet, vermissen seit Jahren deutliche Worte von deutscher Seite. Schließlich ist Lateinamerikas größte Demokratie ein wichtiger strategischer Partner von Deutschland, und die Regierung in Berlin spricht gerne von den “gemeinsamen Werten”, die beide Staaten verbinden würden. Mit dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Günter Nooke, hat jetzt zum ersten Mal endlich ein hochrangiger deutscher Politiker in der Hauptstadt Brasilia die Probleme offen angesprochen.

Zgubic erinnert immer wieder an die wohlklingenden Versprechungen, die Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bei seinem Amtsantritt 2003 verkündet hat: “Er hat öffentlich erklärt, dass er Folter und andere grausame, unmenschliche Praktiken nicht mehr duldet.” Leere Worte aus Brasilia, denn nach Informationen von Zgubic existiert die Folter in allen Varianten, um Geständnisse zu erzwingen: “Es werden Elektroschocks eingesetzt, man presst den Kopf unter Wasser. Auf allen Polizeiwachen Brasiliens werden Häftlinge gefoltert”, meint Zgubic.

Nun sieht er sich überraschend durch Nooke bestätigt. “Stehen Menschenrechtsprobleme wie die unsägliche Folterpraxis beim Staatspräsidenten ganz oben auf der Prioritätenliste? Wieso wird nicht stärker kritisiert, dass die Regierung alle internationalen Verpflichtungen eingeht, ohne sie dann auch konsequent umzusetzen? Wir merken, dass sich Brasilien beim Thema Menschenrechte von Europa entfernt”, erklärte Nooke kürzlich. Brasilien dürfe im Menschenrechtsbereich nicht abdriften.

Doch vielleicht ist dies längst passiert. Paulo Vannuchi, Leiter des Staatssekretariats für Menschenrechte in Brasilia, hatte in der Zeitung “Folha de São Paulo” betont, dass das brasilianische Strafgesetz die ­Todesstrafe zwar nicht vorsehe, dennoch aber täglich außergerichtliche Exekutionen stattfinden würden. Gemeinsame Werte? Pedro Ferreira, Anwalt bei der bischöflichen Gefangenenseelsorge, findet es bedrohlich, dass selbst nach offiziellen Angaben derzeit über 126.000 Häftlinge trotz verbüßter Strafe illegal weiter festgehalten werden.

Ehemalige Gegner der Diktatur (1964 bis 1985) weisen zudem auf die fatalen Folgen der nicht bewältigten Gewaltherrschaft hin. Nicht einmal die Öffnung der Geheimarchive aus der Zeit der Diktatur sei unter Lula veranlasst worden, kritisiert Bundesstaatsanwalt Marlon Weichert aus São Paulo. Die Straflosigkeit inspiriert seiner Meinung nach jene Staatsfunktionäre, die heute im Polizeiapparat und im Gefängnissystem “Folter und Ausrottung” betrieben. Mit leeren Worte kann man an diesen ­Zuständen wohl kaum etwas ändern.

Von Klaus Hart.
Der Autor ist Journalist und lebt in São Paulo.

ai-Journal Dezember 1996

Die “Hölle auf Erden”

BRASILIEN

Die “Hölle auf Erden”

Revolten, Hungerstreiks und Aids bestimmen den Alltag in den völlig überfüllten brasilianischen Gefängnissen. Brasilien gilt zwar als die zehntgrößte Wirtschaftsnation, leistet sich aber Haftanstalten, die man eher in Ruanda oder Burundi vermuten würde. Eine im April verkündete Amnestie entspannte die Situation nicht.

Eine mittelalterlich anmutende Gefangenenzelle in Rios Stadtteil Realengo: Jeder der mehreren Dutzend Insassen hat laut Gesetz Anspruch auf mindestens acht Quadratmeter – hier ist es nicht mal ein einziger. Geschlafen wird deshalb in Schichten. Während ein Teil der Gefangenen auf feuchtem Boden liegt, schlafen die anderen in Hängematten, die an den Gitterstäben befestigt sind. In einer Zelle im Stadtteil Bangu ein ähnliches Bild: 35 fast nackte, schwitzende Männer auf nur sechzehn Quadratmetern bei beißendem Fäkaliengeruch und nächtlichem Besuch von Ratten. Die psychische Spannung ist fast mit Händen greifbar. Neun von zehn Gefangenen haben Furunkel, in der heißesten Jahreszeit herrschen bis zu 60 Grad. Dann fallen täglich etwa 20 Insassen ohnmächtig um, werden von den Wärtern herausgezerrt und durch andere ersetzt.

Um aus dieser Hölle herauszukommen und in eine weniger überfüllte Zelle verlegt zu werden, bestechen Häftlinge ihre Aufseher mit bis zu umgerechnet 5.000 Mark. Es gibt brasilianische Gefängnisse, in denen die Insassen das nötige Geld sammeln, um dann die Begünstigten auszulosen. In Bangu kommen die notwendigen “Real” von der Familie oder Verbrechersyndikaten – je unerträglicher die Hitze, desto höher die Preise auf diesem Schwarzmarkt. Einmal am Tag gibt es schlechtes Essen; die Lebensmittelpakete der Angehörigen werden gewöhnlich nicht ausgehändigt.

Folter ist üblich. Ein Anwalt beschreibt einen Fall von 1996: “Polizisten mit Kapuzen mißhandelten 116 Gefangene, unter anderem mit Elektroschocks. Alle wiesen Blutergüsse auf, wurden zudem zu sexuellen Handlungen gezwungen.” Fast täglich werden Fälle zu Tode gefolterter, erschlagener Häftlinge bekannt – die politisch Verantwortlichen bleiben meist passiv. Nur wenige Intellektuelle protestieren, die Gesellschaft scheint sich an die grauenvollen Zustände gewöhnt zu haben.

Pervertieren statt resozialisieren

Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international oder “Human Rights Watch” prangern die Zustände in den brasilianischen Haftanstalten an – und auch die Gefangenenseelsorge der Katholischen Kirche läßt nicht locker. Padre Geraldo Mauzeroll von der “Pastoral Carceraria” im Teilstaat Sao Paulo gegenüber dem ai-Journal: “Wer ins Gefängnis kommt, wird pervertiert, wird angesehen und behandelt wie ein Tier – niemand ist an einer Besserung oder Resozialisierung interessiert. Die Gesellschaft rächt sich an ihnen, läßt sie intellektuell, spirituell, moralisch und kulturell und nicht selten sogar physisch sterben.” Mauzeroll hört in Polizeiwachen und Gefängnissen sehr häufig den Ausspruch: “Nur ein toter Häftling ist ein guter Häftling!” Der Padre geht seit 1973 in die “Presidios” – was er täglich sieht, sind Bilder wie aus Horrorfilmen: Tuberkulose grassiert, über die Gesichter Todkranker laufen Ameisen. Häftlinge verfaulen buchstäblich in Zellen. Die Gefängnisärzte sind selbst kriminell, weil sie Kranke bewußt

nicht behandeln, sondern sterben lassen. Sie werden aber nie zur Rechenschaft gezogen. Kriminell handeln auch Richter und Staatsanwälte, die über Folter und alle anderen Menschenrechtsverletzungen detailliert informiert sind, jedoch nicht eingreifen.

Das Gefängnispersonal verkauft Lebensmittel, die für Häftlinge bestimmt sind und ermöglicht Rauschgifthandel und -konsum hinter Gitterstäben. Ein Gefängnisdirektor: “Drogen müssen dort drin sein, damit die Gefangenen ruhig bleiben.”

Erzwungenes Schweigen, Morddrohungen

Ein dunkles Kapitel ist auch die sexuelle Gewalt, von Aufsehern sogar gefördert. Mauzeroll zum ai-Journal: “Wird ein wegen Vergewaltigung Verurteilter eingeliefert, stecken die Wärter ihn in bestimmte Massenzellen, damit er dort von 15 oder 20 Häftlingen vergewaltigt wird. Dies ist Gesetz in den Kerkern, und so verbreitet sich Aids sehr schnell.” Nach amtlichen Angaben infizierten sich bereits mehr als 20 Prozent aller Inhaftierten mit dem HIV-Virus – ein Großteil der rund 150.000 brasilianischen Gefangenen hat homosexuellen Verkehr, gewöhnlich ungeschützt.

Vitor Carreiro teilte in Rio de Janeiro jahrelang eine Zelle mit 47 Gefangenen. Er ist von Aids gezeichnet und sagt: “Alle Welt weiß, daß die Frau des Gefangenen der andere Gefangene ist.” Promiskuität ist der Alltag: José Ferreira da Silva, HIV-positiv, berichtet von vier festen und acht gelegentlichen Partnern – keiner benutzt Präservative.

Padre Mauzeroll drückt sich im Gegensatz zu vielen “politisch korrekten” Landsleuten nicht um unbequeme und unangenehme Wahrheiten. Er hat keine Probleme, die von den Autoritäten gerne versteckten und verdrängten Probleme offen anzusprechen. “Wer über die Zustände redet und informiert, stirbt”, lautet eine andere Regel. Berufskiller erledigen das – Mauzeroll weiß, daß auch sein Leben in Gefahr ist. Dennoch klagt er offen die soziale Ordnung Brasiliens an: “Diese ist schuld an der Situation.”

Gemäß einer neuen Studie der Vereinten Nationen lebt heute fast die Hälfte der 150 Millionen Brasilianer in verhältnismäßig entwickelten Gebieten. “Wenn in Sao Paulo und Rio de Janeiro die Lage in den Gefängnissen bereits so schlimm ist”, gibt Padre Mauzeroll zu bedenken, “wie muß sie dann erst in den stark unterentwickelten Regionen des Nordens und Nordostens sein?”

Amnestie nur Kosmetik

Die Rechtsanwältin Zoraide Fernandez weist darauf hin, daß Häftlinge nach verbüßter Strafe oft noch jahrelang gefangengehalten werden. 1995 waren es allein in Rio mindestens 560.

Brasiliens Staatschef Fernando Henrique Cardoso verkündete im April die, wie es offiziell hieß, größte Amnestie in der Geschichte des Landes: Etwa zehn Prozent der Gefangenen sollten freikommen. Wie die Gefängnisbehörden inzwischen einräumten, werden beispielsweise im Teilstaat Rio de Janeiro nur wenig mehr als ein Prozent amnestiert. Die 511 Gefängnisse bieten Platz für höchstens 60.000 Personen, sind aber nach jüngsten offiziellen Angaben mit 148.760 Häftlingen belegt – das sind 15 Prozent mehr als 1994. Notwendig, so hieß es, sei der Bau von 145 zusätzlichen Haftanstalten. Die Lage in der Metropole Sao Paulo ist den Angaben zufolge am dramatischsten. Eine Besserung ist nicht in Sicht: Per Haftbefehl suchte man allein 1996 rund 275.000 Straftäter.

Rund 95 Prozent der Häftlinge sind Arme, 96 Prozent sind männlich und etwa drei Viertel Voll- und Halbanalphabeten. Der typische Gefangene, so eine Studie, ist dunkelhäutig und jünger als 25 Jahre. Jeden Monat kommt es laut Statistik zu mindestens drei großen Häftlingsrevolten, die meisten werden allerdings der Öffentlichkeit verschwiegen. Eine Ausnahme bildet lediglich der südliche, relativ hochentwickelte Teilstaat Rio Grande do Sul – nur dort soll es auch keine irregulär festgehaltenen Häftlinge geben.

Wärter und Spezialeinheiten gehen gewöhnlich äußerst brutal gegen meuternde Häftlinge vor: 1992 wurden im berüchtigten Gefängnis “Carandiru” von Sao Paulo mindestens 111 Insassen erschossen. Die politisch Verantwortlichen und die direkt Beteiligten blieben bisher straffrei. In “Carandiru” ereignete sich auch Ende Oktober wieder eine Revolte: 670 Gefangene nahmen 27 Wärter als Geiseln und forderten die Verlegung in eine andere Haftanstalt. Fünf Häftlinge versuchten währenddessen in einem Müllwagen zu fliehen, vier von ihnen wurden von Militärpolizisten erschossen.
Klaus Hart
Der Autor ist freier Korrespondent in Rio de Janeiro

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„Die Lula-Regierung war bei den Menschenrechten eine Enttäuschung“(2009)

 

Tim Cahill, Brasilienexperte von Amnesty International, über fortdauernde Folter, Todesschwadronen, paramilitärische Milizen und Sklavenarbeit in Lateinamerikas größter Demokratie.

 

Paraisopolis heißt Paradies-Stadt – doch paradiesisch ist hier garnichts. Der Slum zählt zu den über 2000 in der reichsten südamerikanischen Megacity und grenzt an ein Viertel der Wohlhabenden – nicht wenige davon blicken von ihren luxuriösen Penthouse-Appartements direkt auf das unüberschaubare Gassenlabyrinth, wo auf engstem Raum in Holz-und Backsteinkaten rund 100000 Menschen in Moder, Abwässer-und Müllgestank hausen. Dabei gibt es an der fernen Peripherie weit grauenhaftere Slums. Auch für die Kirche ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten, daß der von bewaffneten Gangstern gemanagte Drogenhandel in Paraisopolis nur dank der reichen Großkunden von nebenan so lukrativ funktioniert. Der junge schwarze Slumpriester Luciano Borges Basilio nimmt kein Blatt vor den Mund:“Das organisierte Verbrechen ist besser organisiert als die Polizei – oft sogar viel besser, während die Polizei desorganisiert ist.“ In Brasilien werden täglich mehrere Beamte ermordet. „Ein Polizeioffizier erhielt 2009 hier in Paraisopolis einen Bauchschuß – die Beamten haben ja auch Familie und sind unter Streß und Hochspannung, wenn sie in einen Slum hineinmüssen. Aber Willkür rechtfertigt das nicht.“  Anstatt jener kleinen Minderheit von Kriminellen das Handwerk zu legen, verletzt die Polizei bei Razzien permanent Grundrechte der völlig unschuldigen Bewohnermehrheit, was weder die Kirche noch Amnesty International hinnimmt. Tim Cahill ist wiederholt vor Ort, spricht mit Zeugen. Sie berichten von Folterungen, ungerechtfertigtem Schußwaffengebrauch: Bei der Verfolgung von Gangstern, die in das Gassengewirr und Menschengewimmel des Slums flüchten, wird ein neunmonatiges Baby in den Arm geschossen, eine Sechzehnjährige an den Brüsten verwundet.

 

Journal: Bewohner berichten, daß Elektroschocks zu den gängigsten polizeilichen Foltermethoden in Paraisopolis gehören. Die Beamten behandeln uns wie Tiere, lautet ein Vorwurf.

 

 Cahill: Die brasilianische Regierung hat zwar die Anti-Folter-Konvention unterzeichnet, doch wie wir hier vor Ort sehen, fehlt jeglicher politischer Wille, Folterer zu bestrafen. Bei Folter-Anzeigen wird gewöhnlich garnicht ermittelt. Die Polizei ist landesweit zunehmend in kriminelle Aktivitäten verwickelt, bildet Todesschwadronen und paramilitärische Milizen. Und ein beträchtlicher Teil der Brasilianer, vor allem jene in den Slums, wird wie Wegwerf-Bevölkerung behandelt. Paraisopolis ist dafür ein Beispiel. Es fehlt die Verantwortung des Staates für diese Menschen. Öffentliche Sicherheit muß für alle Brasilianer garantiert werden – die armen Schichten darf man nicht einfach davon ausschließen.“

 

Journal: „Öffentliche Sicherheit“ ist in Brasilien vor allem Aufgabe der Militärpolizei – Relikt der Militärdiktatur. Weil Diktaturverbrecher, Folterer von einst nicht bestraft werden, fördert dies heutige Polizeigewalt und ermuntert die Folterer zum Weitermachen, argumentieren selbst frühere politische Gefangene.

 

Cahill: Das ist in der Tat ein zentraler Punkt – Straffreiheit in Bezug auf Vergangenes stärkt die heutige Politik der Straflosigkeit. Das wird weithin akzeptiert. Ich war in vielen Polizeiwachen und Gefängnissen Brasiliens, habe hohe Amtsträger des Sicherheitsapparats getroffen. Da fand ich immer Leute mit ganz direkter Beziehung zu den Diktaturverbrechen. Das Ausmaß der Gewalt, die alltäglichen Menschenrechtsverletzungen im heutigen Brasilien sind Erbe der Diktaturvergangenheit. Amnesty macht Druck auf Brasilia, auf Staatschef Lula, die Diktaturverbrechen zu bestrafen und die Geheimarchive des Militärregimes endlich zu öffnen. Brasilien ist bei der Vergangenheitsbewältigung deutlich hinter den anderen lateinamerikanischen Staaten zurück. Das ist gravierend.

 

Journal: Die Lula-Regierung hatte der UNO, den Menschenrechtsorganisationen 2003, zu Beginn der ersten Amtszeit versprochen, die eigenen Gesetze und internationalen Abkommen einzuhalten. Doch nach wie vor werden in Brasilien sogar Menschen auf Scheiterhaufen lebendig verbrannt.  Hielt Brasilia denn Wort?

 

Cahill: Die Lula-Regierung war eine Enttäuschung. Es gab große Versprechen, Pläne und Projekte, sogar einen konstruktiven Diskurs – doch die Probleme sind tief verwurzelt geblieben. Es wird weiter gefoltert und exekutiert, die Lage in den Gefängnissen ist nach wie vor grauenhaft, und es gibt sogar weiterhin Todesschwadronen und Sklavenarbeit. Es fehlt der Regierung ganz klar politischer Wille. Echte Reformen werden durch wirtschaftliche und politische Interessen verhindert. Die paramilitärischen Milizen haben Macht, üben wirtschaftliche Kontrolle aus – daraus wird politische Macht, eine reale Bedrohung im heutigen Brasilien.“

 

Journal: In der Olympia-Stadt Rio de Janeiro hat der Staat mehrere Hangslums besetzt, gemäß überschwenglichen europäischen Presseberichten die Verbrecherkommandos vertrieben und die Lage der Bewohner deutlich verbessert. Sind das nicht gute Beispiele, die auf positive Änderungen hindeuten?

 

Cahill: Es handelt sich bei diesen Slums lediglich um Inseln, während im großen Rest der Stadt sich an der staatlichen Politik, an Diskriminierung und Polizeigewalt kein Deut ändert.  Für uns heißt dies, vor Ort noch intensiver zu recherchieren und Menschenrechtsverletzungen permanent anzuprangern. Die Situation Brasiliens ist sehr komplex.

 

Journal: Hochrangige Staatsvertreter geißeln die Lage gelegentlich drastisch, was auf manchen entwaffnend wirkt.  Laut Gilmar Mendes, Präsident des Obersten Gerichts, ähnelt Brasiliens Gefängnissystem nazistischen Konzentrationslagern. Und Paulo Vannuchi, Brasiliens Menschenrechtsminister, räumt ein, daß tagtäglich außergerichtliche Exekutionen  und Blutbäder von Polizisten sowie Todesschwadronen verübt würden. Gravierende Menschenrechtsverletzungen seien Routine, alltäglich und allgemein verbreitet.

 

Tim Cahill: Dies zählt zu den unglaublichen Dingen in Brasilien – Teile der Autoritäten erkennen diese Tatsachen offen und klar an – aber tun so, als seien sie dafür nicht verantwortlich. Denn das Gefängnissystem wird eben einfach nicht reformiert, trotz der häufigen Versprechen. Das große Problem Brasiliens ist heute, daß der offizielle Diskurs nichts mit der politischen Praxis zu tun hat. Wenn die Regierung in Brasilia weltweit mehr Anerkennung und Respekt will,  muß sie sich für die Menschenrechte der eigenen Bevölkerung einsetzen, besonders der Unterprivilegierten. Was falsch läuft, haben wir bei unseren Recherchen in der Sao-Paulo-Favela Paraisopolis, bei den Gesprächen mit Tatzeugen deutlich ermittelt: Der Staat marginalisiert diese Menschen – und das seit Jahrzehnten. Innerhalb des Staatsapparats herrscht Einverständnis, die Polizeistrukturen nicht zu kontrollieren. Angesichts extremer Kriminalität läßt man den Sicherheitskräften die Freiheit, Menschenrechte einfach zu verletzen. Wichtig ist, beide Seiten zu sehen.

“Cities of Terror” – WOXX:
 http://archiv.woxx.lu/0700-0799/700-709/703/703p5.pdf

http://www.ila-web.de/brasilientexte/inhalt.htm

EU-Lateinamerika-Karibik-Stiftung startet in Hamburg. “Wir teilen die Werte der individuellen Freiheit, der Herrschaft des Rechts und der Menschenrechte.” Bundesaußenminister Westerwelle. **

 

http://www.welt.de/regionales/hamburg/article13703820/EU-Lateinamerika-Karibik-Stiftung-nimmt-Arbeit-auf.html

http://www.brasil.diplo.de/Vertretung/brasilien/pt/01__Willkommen/Noticias_202010/Rede_20Westerwelle_20EULAK_20Stiftung.

Hintergrund von 1997 – veröffentlichte Texte in Lateinamerika-Nachrichten – hat sich seitdem an der Lage viel verändert?

Im Dienst des organisierten Verbrechens

Rios Straßenkinder – neue Dimension eines alten Problems

Immer mehr Straßenkinder Brasiliens werden von der organisierten Kriminalität rekrutiert und landen damit in den Kreisläufen der täglichen Barbarei und Gewalt. Das „Missionsobjekt“ Straßenkind hat hierdurch neue Dimensionen erfahren, die bislang allerdings von den Straßenkinderprojekten im Ausland kaum zur Kenntnis genommen wurden. Unser Autor Klaus Hart aus Rio de Janeiro schildert die wenig erfreuliche Entwicklug des Problems.

Bis zum entsetzlichen Candelaria-Massaker von 1993 (vgl. LN Nr. 231/232) gehörten die Meninos de Rua zum normalen Erscheinungsbild der Sieben-Millionen-Stadt Rio de Janeiro. Ob in Copacabana, Ipanema oder in der City – immer zogen sie in Gruppen herum, bettelten, stahlen. Und schlimmer noch: Eine sichtbare Minderheit unter den Straßenkindern überfiel, terrorisierte regelrecht bevorzugt schwangere Frauen und alte Leute.
Im Stadtzentrum bin auch ich mehrfach von Straßenkindern verfolgt worden, flüchtete mich in Restaurants oder in von bewaffneten Pförtnern bewachte Hauseingänge. Wenn die Gruppen mich dennoch erwischten, waren eben Geld und teures Arbeitsgerät wie Sony-Recorder oder Kamera weg. Eine Bande ritzte mir vorm Wegrennen in Richtung Polizeikabine einmal Arm und Hand blutig. Aber das ist alles harmlos im Vergleich zu den Erlebnissen vieler Einheimischer. Eine brasilianische Bekannte fuhr mit dem Wagen die famose Avenida Atlantica entlang, ihr Kleinkind auf dem Rücksitz. An der Ampel wird das Auto von Straßenkindern umringt, eines schneidet ihrer Tochter die Kehle durch, sie verblutet. Einem Nordamerikaner, zum Arbeiten in Rio, schlägt eine Gruppe eine abgeschlagene Flasche ins Gesicht, einfach so, ohne Raubabsicht.
Derzeit muß man in Rios Kernbereichen Meninos de Rua allerdings fast mit der Lupe suchen. Statt der Tausenden von Anfang der 90er Jahre verlieren sich im Straßengewühl bestenfalls einige hundert. Will ich zur nächsten Metrostation, kommen mir gelegentlich ausgeraubte traumatisierte Frauen entgegen: „Gehen Sie nicht weiter, an der Ecke lauern drei Meninos mit Messern!“ Also laufe ich zurück, nehme am Stand ein Taxi, fahre an den Kids vorbei, höre vom Motorista: „Die da werden nicht alt, hinter denen sind schon die Kollegen her.“ Diskutieren sinnlos. Grundtenor an den Stehbars: Sofort umlegen, bevor die Blödsinn machen.
Straßenkinder-Experten wie Roberto Santos, Leiter der angesehenen Stiftung Sâo Martinho, bestätigen, daß die Gesellschaft, besonders die Mittel- und Oberschicht, auf Repression setzt und Gewalt gegen die Minderjährigen wie nie zuvor befürwortet. Gemäß einer neuen seriösen Umfrage sind rund 52 Prozent der BewohnerInnen von Rio generell für Lynchjustiz. Den Intellektuellen, ebenso wie den in-und ausländischen NGOs, gelang es nicht, einen Meinungsumschwung herbeizuführen – die brasilianische Gesellschaft ist neoliberaler, individualistischer und deutlich egoistischer geworden. Das früher bestehende Mitgefühl etwa der Mittelschicht mit den Armen hat spürbar abgenommem. Weiter gilt, was der inzwischen verstorbene Betinho konstatierte: Das Beseitigen von als störend empfundenen Minderjährigen wird von einem Großteil der BrasilianerInnen hingenommen, toleriert, und im Sinne einer geistigen Komplizenschaft mit den Mördern sogar befürwortet.

Anti-NGO-Kampagne

Inzwischen hat sich das Problemfeld verändert. Heute über gute oder schlechte Straßenkinderprojekte, über die Unterschlagung von Spendengeldern und über Kinderelend als Bereicherungsquelle für unehrliche NGOs zu debattieren, wäre müßig. Regierungsunabhängige Organisationen, die sich direkt den Straßenkindern widmen, gibt es kaum noch. Die meisten sind schlichtweg eingegangen, seit das Ausland weit weniger Spenden überweist und die Regierung nach einer geschickt betriebenen Anti-NGO-Kampagne Gelder stoppte. Cristina Leonardo, die couragierte Leiterin des Centro Brasileiro de Defesa dos Direitos da Crianca e do Adolescente (Brasilianisches Zentrum für die Verteidigung der Rechte von Kindern und Jugendlichen) und Verteidigerin von Opfern und Überlebenden des Candelaria-Massakers, wie auch Roberto Santos bestreiten vehement, daß die Regierung etwa durch gute Präventivprojekte die Zahl der Straßenkinder gesenkt habe. Unter Präsident Fernando Henrique Cardoso sei die Situation gerade im Sozialbereich, ob Bildung oder Gesundheit, so schlecht wie noch nie. Ausländische Unterstützergruppen, so ist immer wieder zu hören, hätten eine völlig falsche, oft sozialromantische Sicht der Dinge. Größtenteils werde übersehen, was sich bereits vor dem Candelaria-Massaker 1993 deutlich abzeichnete: Das organisierte Verbrechen offeriert den Kindern und Jugendlichen vergleichsweise gutbezahlte Jobs, bei keineswegs geringerem, sondern weit höherem Lebensrisiko, doch für umgerechnet bis zu tausend Mark die Woche. In sämtlichen Slums von Rio de Janeiro, auch dies ist inzwischen ein Gemeinplatz, funktionieren selbst die vom Ausland finanzierten Hilfsprojekte nur, wenn das organisierte Verbrechen seine Zustimmung gibt. In Europa denken immer noch viele, Kinder und Jugendliche der Unterschicht würden mehrheitlich von der Militärpolizei erschossen. Seriöse Untersuchungen stellten jedoch bereits 1993 richtig, daß der große „Exterminador“ eben das organisierte Verbrechen ist. Keiner weiß das besser als die mit Cristina Leonardo kooperierende Künstlerin Yvonne Bezerra de Mello. Kinder, die nicht richtig mitziehen, etwa drogensüchtig werden und statt Profiten Verluste bringen, werden kurzerhand eliminiert. Die Leichen, so Yvonne Bezerra de Mello, verschwinden meistens. Die großen Bosse, sagt sie, wohnen natürlich nicht im Slum, sondern in den Nobelvierteln Rios. In diesen Vierteln der Geld- und Politikerelite werden derzeit Drogen verbraucht wie nie zuvor – daher die enorme Nachfrage, die den Straßenkindern Jobs verschafft.
Das beste Beispiel für die jüngeren Entwicklungen sind die Candelaria-Überlebenden: Der Trafico, wie die auf Drogen-und Waffenhandel, Entführungen und Rauberüberfälle spezialisierten Gangsterkommandos genannt werden, hat sie adoptiert. Die Leute vom organisierten Verbrechen, so Roberto Santos, zeigten sich in der Tat weitaus besser organisiert und professioneller als der Staat und die NGOs. Kinder und Jugendliche brauchen die rund 800 Slums von Rio nicht mehr zu verlassen. Die Kleinsten verdienen als Fogueteiro (Leuchtrakete) über fünfzig Mark pro Tag. Sie warnen die schwerbewaffneten Gangster mittels Feuerwerksraketen vor herannahenden gegnerischen Verbrechermilizen oder der Polizei. Fünfjährige transportieren als sogenannte Aviôes, Flugzeuge, Drogen in der Stadt, und bringen sie auch zu den privaten Bestellern der Mittel-und Oberschicht. Sieben- oder Achtjährige haben für gewöhnlich schon Pistole oder Revolver im Hosenbund. Als Soldados schließlich gehören sie zum martialischsten Teil der nach militärischem Vorbild streng hierarchisch gegliederten wichtigsten Syndikate Comando Vermelho (Rotes Kommando) und Terceiro Comando (Drittes Komando). Soldados kontrollieren die Ein- und Ausgänge der Steilhangslums. Sie schießen auf Verdächtige, nehmen an Gefechten und Massakern teil, führen Mordbefehle aus und sind bei Entführungen und Banküberfällen dabei.

Kultur feudalistisch-machistischer Werte

Mit Reinaldo Guarany, militanter Diktaturgegner und einer der Entführer des deutschen Botschafters Ehrenfried von Holleben im Jahre 1970, fahre ich eine enge steile Straße des malerisch wirkenden Bergstadtteils Santa Teresa hinunter. An der ersten Biegung richtet am Favela-Eingang ein nur mit Shorts und Sandalen bekleideter Zwölfjähriger seine verchromte MP auf uns. Er bräuchte nur einmal durchzuziehen, und alle im Wagen wären tot. Das passiert auch gelegentlich – im Drogenrausch sehen die Soldados in jedem einen Gegner, erschießen sogar die eigene Freundin oder Frau. Guaranys Kommentar: „Noch vor zwei Jahren habe ich hier viele von den Jungs, die mir heute mit MPs begegnen, Murmeln spielen sehen – sie wurden zu Soldaten des organisierten Verbrechens, prahlen damit herum und rühmen die Banditen als ihre Helden.“
Guarany sieht es nicht anders als Anwältin Cristina Leonardo: „Daß heute die große Mehrheit der Meninos de Rua beim Trafico ist, bedeutet, daß Staat und Regierung sie im Stich ließen und die Sozialprogramme einschränkten. Wenn ein Junge mit acht Jahren schon mit einer nordamerikanischen Heeres-MP umzugehen weiß, wird es kompliziert. Darüber spricht niemand, aber genau das müßte das Hauptthema sein!“ Die Drogenprobleme und das Ausmaß des organisierten Verbrechens herunterzuspielen, ist für sie „scheinheilig“.
Alba Zaluar, Brasiliens führende Gewaltexpertin, sieht inzwischen in den Slums eine neue tyrannische Kultur feudalistisch-machistischer Werte fest installiert – hingenommen von den Autoritäten des Staates. Denn die Herrschaft des organisierten Verbrechens über Rios Slums verhindert auf perfide Weise, daß deren BewohnerInnen politisch für ihre Rechte kämpfen. Immer wieder werden engagierte BürgerrechtlerInnen, die Selbsthilfegruppen in den Slums leiten und sich dem Normendiktat der Gangster nicht beugen wollen, zur Einschüchterung aller ermordet. Auch von ehemaligen, vom Trafico rekrutierten Straßenkinder.
So wollte im September eine 83-jährige Frau nicht mehr akzeptieren, daß Gangsterkommandos bei Gefahr stets ihr winziges Slum-Grundstück passierten. Sie diskutierte mit den Banditen. Eines Nachts wurde sie deshalb von einer Gruppe grausam ermordet. Ein brasilianischer Bekannter wohnt unglücklicherweise nur wenige Schritte von einem Kommando-Treffpunkt entfernt. Er muß mitansehen, wie dort Kinder, Jugendliche und Erwachsene gefoltert, gekreuzigt, mit Schüssen durchsiebt werden. Mehrfach feuerten Jugendliche unter Drogeneinfluß in seine Haustür, und hätten die zwei kleinen Söhne treffen können. Die Kids tragen übrigens bevorzugt deutsche G-3 – und schweizerische Sig-Sauer-Sturmgewehre. Weil diese eine besonders große Reichweite haben, werden immer mehr Stadtbewohner durch verirrte Kugeln getötet oder verwundet.
In Rio ist die Gewöhnung an diese tägliche Barbarei die Regel – in Deutschland dagegen, so scheint es, haben nur wenige die Entwicklungen der letzten Jahre und deren politische Dimension zur Kenntnis genommen. Andere wollen sie nicht wahrnehmen. Sie müßten sich sonst von ihren liebgewordenen Brasilien-Klischees trennen.

Vier zu drei gegen José Rainha

26 Jahre wegen “Beihilfe zum Doppelmord” – Brasiliens Justiz in Hochform

In einem 17stündigen Prozeß wurde der Führer der brasilianischen Landlosenbewe­gung MST José Rainha zu 26 Jahren und sechs Mona­ten Haft wegen angeblicher Beteiligung an einem Doppelmord ver­urteilt. Mit vier zu drei Stimmen befand die Jury den 36jährigen für schuldig, obwohl der zur Tatzeit 1000 Kilometer vom Tatort entfernt war.

Lange vor dem Prozeß gegen den populärsten, cha­ris­­ma­tischsten Land­lo­senführer kün­digte amnesty inter­national an, daß es im Ver­fahren nicht mit rechten Dingen zuge­hen wird. Aber die bösen Erwartun­gen wurden noch übertroffen. Der 36jährige José Rainha er­hielt im Juni 26 Jahre und sechs Mo­nate Haft wegen angeblicher Be­tei­li­gung an einem Doppel­mord, der 1989 im Bundesstaat Es­pírito Santo began­gen wurde. Amnesty in­ternational prote­stierte um­ge­hend und erklärte Rainha für un­schul­dig: Das Ur­teil erinnere an Dik­taturzeiten. Bleibe es auch beim zweiten Verfahren im Sep­tem­ber bei die­sem Strafmaß, wer­de er zum po­litischen Ge­fan­ge­nen erklärt und ai rund um den Erd­ball für seine Freilassung mo­bilisie­ren. Nicht einmal die juristi­schen Mindest­regeln seien im Prozeß einge­halten worden, kri­tisierte ai: Weder durch Be­wei­se noch durch Zeu­gen­aus­sa­gen konnte bestätigt werden, daß Rainha am Tat­ort war. Im Ge­gen­teil gibt es Nach­weise, daß er sich tausend Kilometer entfernt auf­gehalten hat. Mit dem Ge­richts­verfahren sollte viel mehr die Land­lo­senbewe­gung MST ein­ge­schüchtert werden, die zur zweit­wichtigsten Stimme der Op­posi­tion geworden ist.
Auch die katholi­sche Kirche Bra­sili­ens, in der Rainha seine po­litische Laufbahn begann, steht weiterhin zu ihm und unter­strich, daß den 922 Morden an Bau­erngewerkschaftlerInnen, kirch­li­chen Mit­arbeiterInnen, Landlo­sen, Kleinbau­ern und Klein­bäue­rinnen von 1990 bis 1995 nur 47 Ge­richtsverfahren und nur fünf verurteilte Täter ge­gen­über­stehen, von denen zwei aus dem Ge­fängnis flohen.

Im Visier: Das MST

Daß Rainha noch lebt, grenzt fast an ein Wunder: Seit 1987 verfolgt ihn die berüchtigte To­des­schwadron Escuderie Le Cocq seines Heimatstaa­tes Espí­rito Santo, in dem er als Land­arbei­tersohn aufwuchs. Rainha ent­ging Hinterhal­ten, überlebte Mord­anschläge und konnte nur ein­mal durch Schüsse verwun­det wer­den. Zwei seiner engen Freun­de, Pfarrer Gabriel Maire und Gewerk­schaftsführer Edson Ra­mos, dage­gen star­ben 1988 im Ku­gelha­gel der Pistole­ros.
Ein Jahr später kam es zu ei­nem Schußwechsel zwi­schen ei­nem Groß­grundbesitzer, sei­nem ihn begleitenden Militärpolizi­sten und einer Gruppe von Land­lo­sen. “In Wahrheit vertei­digten sich die Sem Terra, die Landlo­sen, gegen jenen Fa­zendero, der ein Blutbad anrich­ten wollte.” meint Anwalt Os­mar Barcellos. Zeu­gen wollen Rainha bei der Schießerei gese­hen ha­ben, be­schreiben ihn als ziemlich dick, mit rundem Ge­sicht und ka­sta­ni­en­farbigen Haa­ren. Rainha ist je­doch geradezu dürre, hat ein längli­ches Gesicht und schwarze Haare. Und vor allem wurde er zur Tatzeit nicht nur von zwei Lo­kalparlamentariern, sondern auch einem Obersten der Mi­li­tär­po­li­zei des nordöstlichen Bun­des­staates Ceará gesehen. Beim Prozeß wurden aber weder Zeu­gen der Anklage noch der Ver­tei­digung angehört. Die laut Nach­rich­tenmagazin Veja gra­vierendste Verur­teilung einer brasi­lianischen Führungspersön­lich­keit seit der Rückkehr zur Demo­kratie wird deshalb von zahl­reichen Ju­risten und Krimi­nalisten des Landes als schlech­ter Witz bezeichnet, die Strafe als “absurd”. Auch das Pastoral­büro für Landange­legenheiten der Bi­schofskonferenz kritisierte, daß mit dem Schauprozeß nicht Rainha, son­dern die ge­samte Landlosenbewegung ge­troffen wer­den sollte. In vielen Medien da­gegen wurde das Urteil einsei­tig darge­stellt und sogar begrüßt: das MST also doch die Bande von Mör­dern, ge­walttätigen Ge­sellen und Gesetzesbre­chern, wie die mäch­ti­gen Großgrundbe­sitzer im­mer be­haupten?
Kä­me Rainha tatsächlich hin­ter Gitter, wäre das für das MST ein herber Verlust. Niemand sonst hat in Brasi­lien so viele Be­setzungen brachliegender La­ti­fundien mit durchgeführt, hat so große Erfahrungen und kennt Bra­silien und die Landlosen­basis so gut. An die zwanzig Prozesse wurden gegen Rainha geführt, etwa 50 Untersuchungsverfahren ge­gen ihn ein­geleitet – ohne Er­folg. Hinter Gittern saß er bereits mehrfach, interna­tionale Proteste führ­ten jedoch stets zu seiner Frei­lassung.
Ist Rainha nur eine Art MST-Pro­fi-Funktionär? Er be­sitzt vier Hektar im Hinterland des Bun­des­staates Sâo Paulo, pflanzt Pap­rika, Mais, Tomaten und Me­lo­nen, und gehört zu einer Asso­cia­çao comuni­taria mit 16 Fa­mi­li­en. Von der bra­silianischen Zeit­schrift Imprensa nach seiner Schul­bildung gefragt, antwortete er: “Ich war nie in der Schule. Le­sen und Schreiben habe ich mir mit fünfzehn zuhause beige­bracht. Wir waren eben ver­dammt arm, meine Brü­der ar­bei­te­ten auf dem Feld, um zu Über­le­ben. … Ich lese gerne. Von Frei Betto kenne ich fast alle Bücher – der ist mein Freund.”

PC Farias: Tangotänzer und Mafioso

Brasiliens Justiz muß Mord an “Grauer Eminenz” wieder aufrollen

Unter dem Druck von Gerichtsmedizinern, Kriminalisten und der Öffentlichkeit sieht sich Brasiliens Justiz gezwungen, den Mord an Paulo Cesar Farias, Symbolfigur für Korruption in Politik und Wirtschaft, erneut zu untersuchen. Die bislang verbreitete offi­zielle Tatversion ist nicht mehr haltbar.

Mit der finanziel­len Unter­stützung des Multimillionärs Paulo Cesar Farias­, im Volks­mund PC, gewann Collor de Mello 1989 die Präsident­schaftswahlen. Aber auch nach der Wahl ver­sorgte PC seinen Präsidenten, der 1992 wegen Korrup­tion und Machtmiß­brauch seines Am­tes enthoben wurde, mit reich­lich Geld (siehe LN 222). “Wegen Mangels an Be­weisen” 1994 in ei­nem offen­sicht­lich politisch motivier­ten Kor­ruptionspro­zeß frei­ge­spro­chen, lebt Collor heute in Miami. PC be­kam sieben Jah­re, die er größtenteils höchst kom­fortabel im of­fe­nen Straf­vollzug von Ma­ceio / Alagoas absaß. Damit könnte die Geschichte ein Ende haben.

PCs Comeback

Als ihn 1996 in seiner Wo­chenendvilla im Nord­oststaat Ala­goas der tödli­che Schuß traf, hatte PC Farias gerade sein poli­tisches Co­meback, die Gründung einer Tageszeitung angekündigt. Der zu­ständige Po­lizeichef gab noch am selben Tag bekannt, der fünfzigjährige kahl­köpfig-char­man­te Tangotän­zer sei wegen Be­ziehungspro­ble­men von seiner Freundin Suzana Mar­colino er­schossen wor­den, die anschlie­ßend an seiner Seite Selbst­mord be­gangen habe. – Spott und Iro­nie war der Tenor von Brasiliens Leitar­tikeln. Als Tat­motiv wurde allgemein Quei­ma de Archivo, die Vernichtung von Archiven angenom­men, da PC exzellenter Kenner der brasi­lianischen Kor­ruptionsme­chanismen war und streng­gehütete Geheim­nisse der jünge­ren Politik mit ins Grab nahm. Zur allgemei­nen Ver­blüf­fung be­stätigte zwei Mo­nate später der bis dahin landes­weit hoch­ange­sehene Gerichts­me­di­zi­ner Badan Palhares nach vor Ort an­gestell­ten Untersu­chungen die Ver­sion des Polizei­chefs. Für die Re­gie­rung schien der Fall damit er­le­digt.
Von Anfang an hatte der ala­goanische Gerichtsmedi­ziner und Militärpolizei­oberst George San­guinette mit einem hohen Maß an Zivil­courage öffentlich auf Un­gereimtheiten bei dem Mord hin­ge­wiesen. Seine ermit­telnden Kol­legen würden von “oben” ge­wal­tig unter Druck ge­setzt, bei dem Verbrechen han­dele es sich um einen Doppel­mord. Sangui­nette erhielt da­raufhin Mord­droh­ungen und wurde we­gen seiner Aufmüpfig­eit zeit­weise unter Haus­arrest gestellt. Der Oberst ließ sich nicht ein­schüch­tern, wies über­zeugend grobe Er­mitt­lungs­fehler nach, und ver­öf­fent­lichte darüber sogar ein Buch. Die Untersu­chungen wur­den schließlich wiederaufge­nom­men. Die jüng­ste defini­tive Ex­per­tise vom Mai macht die bis­he­rige offizielle Version zu Ma­ku­la­tur. Suzana Marco­lino konn­te nicht auf PC geschossen und sich danach in der beschrie­be­nen Weise umge­bracht haben — ge­mäß der zu­ständigen Staats­an­wäl­tin weisen die Indi­zien nun­mehr auf Dop­pelmord hin. Als PC und dessen Freundin be­reits tot waren, wur­den nach­weis­lich Te­lefongesprä­che mit der Wo­chen­endvilla ge­führt. Die Lei­chen “entdeckte” man aber erst rund vier Stunden später.

Zivilcourage eines Gerichtsmediziners

Laut Sanguinetti steht die Ma­fia von Alagoas hinter der Tat. Mitt­lerweile wurden auch Ver­bin­dungen PCs zur italienischen Mafia nachgewiesen. Ein Partner soll in Geldwäsche, Drogen und Waf­fenhandel verwickelt sein. Zwei Kinder von PC stu­dierten auf einem Privatgymnasium der Schweiz, wo die ita­lienische Po­li­zei vier Konten des Er­mordeten aus­machen konnte. Auf diesen und sechs weiteren Konten in den USA, den Niederlanden und Uruguay hatte PC über sechs Millionen Dollar de­poniert: Ein Bruch­teil seines Vermögens.
PC Farias eigener Einschät­zung nach säßen bei strenge­ren Ge­setzen gegen Korruption im Wahl­prozeß – wie zum Beispiel in Italien – die Politiker, die Bau­un­ternehmer und Bankiers des Landes allesamt hinter Git­tern. Und er muß es wohl am be­sten wis­sen.

KASTEN

Würden Sie Ihr Kind “Hitler” nennen?

Antonio Callade, der auch in Deutschland und Österreich viel­verlegte brasi­lianische Roman­cier, stau­nte nicht schlecht, als er bei der Pre­miere eines seiner Stücke im Teatro Ziembinski von Rio de Janeiro auf den Mosaik­fußboden schaute: auf über zehn Metern Länge ein Ha­kenkreuz nach dem an­deren kunstvoll aufge­reiht, saubere Handwerksarbeit aus den 30er und 40er Jahren. Seit das alte Haus 1985 von ei­nem Schauspieler er­worben und in ein Theater umgewan­delt worden war, hatte nie­mand An­stoß an der auch vom angrenzenden öffentli­chen Platz deutlich erkennba­ren Haken­kreuz­or­na­men­tik genommen.
Obwohl in den brasiliani­schen Zeitungen häufig über Hakenkreuz­schmierereien in Deutschland und anderen eu­ropäischen Län­dern sowie über die entsprechen­den Proteste jü­discher Organisa­tionen be­richtet wird, verkau­fen Straßenhändler in Rio oder Sâo Paulo sogar nach­produzierte Me­tall-Erinne­rungsplaketten an den “Gautag der Bayrischen Ost­mark, Pfingsten 1933 in Regens­burg”, darauf das Ha­kenkreuz unter’m Reichsad­ler. Bis heute tragen nicht wenige Brasilianer den Vor­namen Hitler – die Eltern wa­ren eben Bewunderer des Naziführers. Richter Hitler Canta­lice läßt einen Parlaments­abgeordneten we­gen Autoraubs verhaften – und als die Insassen einer total überfüllten Haftanstalt re­voltieren, behält Polizei­chef Hitler Mussolini Pacheco kühlen Kopf, führt persönlich die Verhand­lungen über Geiselfreilassun­gen. Weiße Hitler sitzen in Universitätshörsälen, schwarze Hitler hausen in Slums der Sklavennachfah­ren. “Hitler” steht auch auf Straßenschildern: In der Stadt Barra do Bugres befindet sich das Hospital in der “Avenida Hitler Sansâo”. Auch der Vor­nahme “Rommel” ist sehr häufig.
Viele Juden flüchteten vor der drohenden Verfolgung und Ermordung auch nach Brasilien – die den Deutschen aus der Nazizeit bekannte üble Verunglimpfung der jü­dischen Minderheit ist jedoch bis heute selbst in Wörterbü­chern und Lexika beibehalten worden – trotz entsprechen­der Proteste. Ver­gangenes Jahr hat erstmals auch die jü­dische Weltorganisation B’NAT B’RITH scharf ver­urteilt, daß sogar im wichtig­sten brasilianischen Nach­schlagwerk Aureliano der Jude als “schlechter Mensch, Geizhals, Habgieriger, Wu­cherer” definiert bzw. charakteri­siert wird.

Megaescândalo

Gesprächsmitschnitte weisen auf massiven Stimmenkauf im Kongreß hin, Nutznießer: Staatschef Cardoso

Der Präsident will wiedergewählt werden. Die entsprechende Verfassungsänderung kam Ende Januar nur mittels Stimmenkauf und andere Machenschaften durchs Par­lament – sagten damals Kirche, Opposition und Medien. Doch niemand konnte es be­weisen. Jetzt liegen Gesprächsmitschnitte vor, denen zufolge Cardosos rechte Hand, Kommuni­kationsminister Sergio Motta, den Stimmenkauf veranlaßte. Eine un­bekannte Zahl von Abgeordneten erhielt demnach jeweils umgerechnet an die 300.000 DM in bar. Cardoso war noch nie so in der Bredouille.

Was Brasiliens größte Quali­tätszeitung, die Folha de Sâo Paulo, Mitte Mai abdruckte, schlug ein wie eine Bombe: Zwei zur Rechtspartei PFL der Re­gierungsallianz zählende Kon­greß­abgeordnete er­läutern klar und unzwei­deutig eine groß­an­ge­leg­te Stimmenkaufopera­tion. Car­dosos In­tim­freund Sergio Motta von der So­zi­aldemokrati­schen Partei (PSDB) habe veranlaßt, daß über die PFL-Gou­ver­neu­re der Teil­staaten Acre und Ama­zonas um­gerechnet rund 300.000 DM in bar – oder sogar noch viel mehr – an Parlamentarier aus­gezahlt wurde, damit sie Ende Januar für die Wie­derwahl-Novelle vo­tie­rten. Der Abstimmung war von der Mitte-Rechts-Regierung al­ler­größte Be­deutung bei­ge­mes­sen wor­den.
Überraschend hatte eine große Zahl von Abgeord­neten, die die Ver­fas­sungsänderung stets öf­fent­lich ablehnten, dann doch der No­velle zuge­stimmt. In den ab­ge­druckten Gesprächsmitschnit­ten wer­den fünf bestochene De­pu­tados aus Acre nament­lich genannt, doch weit mehr sollen Sum­men zwischen 200.000 und 300.000 Reais er­hal­ten haben. Diese bezeichen die Darstel­lungen als falsch und absurd. Die PFL, stärkster Partner Cardosos, schloß indessen sofort jene zwei Acre-Abgeordneten aus der Par­tei aus, die den Stimmenkauf erläuterten und selber Geld er­hielten. Mit anderen Worten: Beide werden als geständig ange­sehen, die Mitschnitte somit als authentisch be­trachtet. Wa­rum nur diese beiden und nicht die an­deren Deputados – die zwei Gouverneure und der Mi­nis­ter?, fragt sich alle Welt. Die in Folha-Kommentaren gege­be­ne Antwort: Entläßt Cardoso Mi­ni­ster Motta, wie sogar die PFL-Spit­ze empfiehlt, gesteht er auch seine eigene Schuld ein – und dann ist alles möglich. Erinnert sei hier an das Col­lor-Im­peach­ment von 1992.

Kurse der Stimmenbörse

Motta, der mit Cardoso eine Großfarm betreibt, ist in einer heiklen Situation. Vorwürfe, daß er als Hauptorganisator des Stimmenkaufs fungiert, er­hob sogar Paulo Maluf, Führer der nicht zur Re­gierung gehörenden Rechtspartei PPD. Deren Kon­greßabgeordneter Jair Bolsonari beschrieb, wie es am Tage der Abstimmung im Januar in den Kon­greßkorridoren zuging: Wie bei Geschäftsverhandlungen auf ei­ner Stimmenbörse. Am Mor­gen wurde ein Votum noch für 200.000 Reais ge­handelt, weil die Regierung nicht sicher war, ob die Verfassungsänderung pas­sieren würde. Einige Parla­men­ta­rier verlangten sogar 300.000 Re­ais. Kurz vor der Ab­stimmung glaub­te die Regierung an ihren Sieg und ging deshalb mit dem Kurs herunter, zahlte nur noch 50.000 Reais. “Ich weiß nicht, wer Stimmen an- bezie­hungs­wei­se ver­kaufte, doch den Kauf und Verkauf gab es tatsächlich.”
Die Cardoso-Regierung hat seit dem Amtsantritt eine Reihe von parlamenta­rischen Untersu­chungs­ausschüssen verhin­dert, die ihr hätten gefährlich wer­den kön­nen. Zwar bekam die Oppo­si­tion die nötigen Unter­schriften der Abgeordneten zusammen, oh­ne die ein Ausschuß nicht ge­bil­det werden kann. PFL und PSDB entsandten je­doch nicht die vor­geschriebenen Repräsen­tanten – und damit war die Untersuchung ganz “demokra­tisch” blockiert.
Nach dem Abdruck der Ge­sprächs­mitschnitte hatte die Op­po­si­tion die Unterschrif­tenliste rasch komplett – auf Anwei­sung Cardosos mußten indessen PFL- und PSDB-Abgeordnete ihre Unterschriften zurückziehen. Es wurde öffentlich spekuliert, wieviel Reais sich die Regierung die Rückzieher wohl habe kosten las­sen – wieder 200.000 pro Kopf?
Brasiliens Bischofskon­ferenz CNBB hat den Me­ga­es­cândalo nicht kommentiert, sie verwies nur auf ein jüngst veröffent­lich­tes CNBB-Dokument, in dem die Re­gie­rung der ak­tiven Kor­rup­tion beschul­digt wird. Im Bezug auf die Wiederwahlno­velle heißt es, die Regierung be­sorge sich bei für sie interessan­ten Vor­lagen die nötigen Stim­men ohne Skrupel. Cardosos Allianzpartner PFL, der den Vizepräsidenten stellt, ist gemäß Un­ter­suchungen und Zeugenaus­sa­gen bereits seit langem in Wahlstimmenkauf ver­wickelt. Im archai­schen Nord­osten, so Anwälte ge­gen­über den La­tein­a­me­rika Nach­richten, sei all­ge­mein be­kannt, daß der deutsch­stäm­mige PFL-Chef Jor­ge Born­hau­sen mit prall­ge­füll­tem Geld­koffer he­rum­rei­se, Politiker besteche und den Stim­menkauf organi­sie­re. Born­hau­sen ist Mitgründer der einstigen Militärdiktatur-Par­tei Arena. Cardosos Vize Marco Ma­ciel gehörte ebenfalls zur Are­na und zählte zu den ak­tiv­sten Unter­stüt­zern der Folter­ge­ne­räle.

Alte Kameraden

Die PFL stand an der Seite Präsident Fernando Collor de Mellos, der 1992 wegen Korrup­tion und Machtmißbrauch abge­setzt wurde.
Jener Senhor X, von dem die Fol­ha de Sâo Paulo die Mit­schnitte erhielt, hat in­zwischen be­tont, weitere Tonbänder zu be­sitzen, auf denen noch mehr Per­so­nen belastet werden.
Zwei Mitglieder der PSDB-Spitze erklärten interessanter­weise vor der Veröf­fentlichung der Mitschnitte gegen­über dem Nachrich­tenmagazin Veja, sie sei­en überzeugt davon, daß der PFL-Gou­verneur von Amazo­nas mit der Ab­sicht des Stimmen­kaufs nach Brasi­lia gekommen sei. Mit Kof­fern voll Geld sei der Gou­ver­neur in den Wiederwahl-Pro­zeß hi­neingegangen. Warum stell­te die Cardoso-Regierung ihn nicht zur Rede, fragt die Veja.
Gemäß einer neuen Mei­nungs­umfrage führt die Popula­ri­täts­kurve des Staatschefs nach lan­ger Stabilität erstmals deut­lich nach unten. Brasiliens Bör­sen reagierten auf die Ver­öff­ent­li­chung der ersten, brisanten Mit­schnit­te in der Folha am 13. Mai so­fort mit Kursabfall. Die Echt­heit der Mitschnitte wurde am 20. Mai bestätigt. Je­ne zwei Ab­ge­ordnete, die den Wortlaut des Ab­drucks bestritten, ste­hen bös’ da. Ganz zu schwei­gen von den an­deren Ver­wickelten.

Lebendige Fackeln

Immer häufiger werden Wohnungslose im Schlaf angezündet

Sie hatten angenommen es sei nur ein Bettler, verteidigten sich die fünf jungen Tä­ter, die in Brasilia das schlafende Oberhaupt der Pataxó-Indianer Galdino Jesus dos Santos an­zün­deten. Der Fall erregte gerade deshalb Aufmerksamkeit, weil es sich um einen In­digena handelte, reiht sich jedoch ein in die zunehmende Gewalt gegen Woh­nungs­lo­se. Die Täter kommen meist aus der Mittel- und Oberschicht.

Die Avenida Rio Branco, ein­stige Prachtstraße Rio de Janei­ros, bietet nachts ein deprimie­rendes Bild. Weil seit 1995 in­folge von neoliberalen Regie­rungsprogrammen die Arbeitslo­sigkeit steil an­stieg und Sozialein­richtungen schlossen, lie­gen so viele Obdachlose, Bettler, psy­chisch Kranke und Stra­ßenkinder wie selten zuvor aufgereiht ne­beneinander auf dem Bürger­steig; nicht wenige nutzen als Unterlage oder zum Zudecken ledig­lich Zeitungs­pa­pier oder Pappe. Neuerdings hat ein Großteil von ihnen Angst, Op­fer jener Brandattacken zu werden, die sich auch in Sâo Pau­lo und selbst in der Haupt­stadt Brasilia häu­fen: Nur Schrit­te von der Ave­nida Rio Branco ent­fernt, über­goß vormittags eine gut­geklei­dete Frau einen sit­zen­den Bettler mit reich­lich Al­ko­hol, warf zy­nisch lachend ein bren­nendes Streichholz auf ihn. Und ver­schwand im Men­schen­ge­wühl, während der Mann die Flammen zu er­sticken suchte. Dreißig Pro­zent der Haut ver­brann­ten, derzeit liegt er in ei­nem öffentlichen Hospital der Sie­ben-Millionen-Stadt, das pro Mo­nat mindestens zwei woh­nungs­lose Brandopfer behandelt. Oft kommt in­dessen jede Hilfe zu spät, wie die fast täglich veröf­fentlichten Fotos von ver­kohlten Leichen bewei­sen.
Ivan Bertanha, Leiter einer Hospi­talabteilung für Verbren­nungen in Sâo Paulo, betont, daß die Eingelieferten fast nie ge­richtsverwertbare Angaben lie­fern können: “Sie sagen, daß sie in Flammen stehend aufge­wacht sind und keine Verdächtigen ge­sehen haben.” Pataxó-Häupt­ling Jesus dos Santos verbrannte in Brasilia lebendig, nachdem nicht weniger als zwei Liter Alkohol über ihn ausge­gossen worden waren. Die in­zwischen gefaßten fünf Täter aus Elitefamilien ver­teidigten mit dem Argu­ment, sie hätten ihn “nur” für einen Bettler gehalten. Für regierungskriti­sche Men­schenrechtler und So­ziolo­gen spricht dieser Satz Bände. Her­bert de Souza Betinho, Füh­rer der natio­nalen Kampagne ge­gen Hunger und für Bürger­rechte, nennt das Handeln der jungen Männer einen Hinweis “auf den Grad der Degenerierung in be­stimmten höheren Schich­ten der brasilianischen Gesellschaft.” Helio Bi­cudo, enger Mitarbeiter des Kardinals von Sâo Paulo und Kongreßabgeordneter der Ar­bei­ter­partei PT, konstatiert, die bra­si­lianische Gesellschaft ent­wür­dige die Armen und bana­li­sie­re das Leben. Der angesehene So­zi­al­wissenschaft­ler und The­ra­peut Ju­randir Freire Costa bringt so­gar die Globali­sierung mit ins Spiel: Junge Männer, wie jene fünf von Bra­silia, kennen die rei­che “Erste Welt” sehr gut und glau­ben, eher per Zufall in Bra­si­li­en zu le­ben. Widerwillig sind sie dort mit einer Mehrheit von “Häß­lichen, Armen, Zahn­losen und Nicht-Weißen” konfrontiert, ana­ly­siert Co­sta weiter. Eine Art von Umgang mit dieser Realität sei, sie nicht wahrzuneh­men, eine andere, diese so­gar physisch zu eliminieren. “Wir reden viel über die Modernisierung Brasili­ens, doch wenig über die Befrie­dung der Gesell­schaft”, sagt Os­car Vieira, Generalsekretär des UN-Lateinamerika-Instituts und weist auf die Straffreiheit hin, von der besonders die High So­ciety profitiert. Gemäß neuesten UNO-An­gaben werden in Brasi­lien mehr Menschen durch Feu­er­waffen getötet als in jedem an­deren nicht durch Krieg gezeich­neten Land. In Sâo Paulo kann die Po­lizei bestenfalls in zwan­zig Prozent der Fälle die Täter iden­tifizieren, was nicht bedeu­tet, daß diese auch verhaftet werden.

Der neue Sport der Besserbetuchten

Inzwischen wurden sehr un­vollständige Angaben über die Anzahl wohnungsloser Brand­op­fer veröffentlicht. Allein in der Haupt­stadt Brasilia sind seit 1988 minde­stens 29 Bettler an­ge­zün­det wor­den. In Sâo Paulo und Rio sind mehrere Woh­nungs­lose pro Mo­nat betroffen. Brand­attacken sind jedoch nicht alles: So gehört es in den ge­nannten drei Städten zum ma­ka­bren Sport Besserbe­tuchter, etwa nach der Disco vom Wagen aus auf schlafende Woh­nungslose zu schießen. Auch ein Polizeiof­fi­zier Rios pflegte, gerichtlichen Zeu­gen­aus­sagen von 1994 zu­fol­ge, seine Waffen nachts an Bett­lern zu te­sten.
Schließlich wurden 1990 in der Stadt Matupá drei arbeitslose Landarbeiter, die ver­sucht hat­ten, eine Fazenda zu über­fallen, in Anwesenheit von Po­li­zisten und einem Politiker auf offener Straße lebendig ver­brannt: das von einem Amateur gedrehte Vi­deo der Untat über­gab die katho­lische Kirche inter­nationalen Men­schen­rechtsorga­ni­sa­tionen. 22 Personen wurden zwar ange­klagt – zu einer Bestra­fung ist es aber bis heute nicht gekommen.
Wegen des spektakulären Brand­an­schlags auf Galdino Je­sus dos Santos interessiert sich die brasilianische Öf­fentlichkeit auf einmal für das Leben der Pa­ta­xó. Nach Angaben der Kir­che wur­den in den letzten Jah­ren in Südbahia 24 Pataxó-Indios von Pis­toleros der Großgrundbe­sit­zer oder diesen selbst erschos­sen, 47 über­lebten Mordver­su­che, 48 In­dios starben wegen un­ter­lassener Hil­feleistung.
Ein Großteil Südbahias war ursprünglich Pataxó-Land. Doch vor und wäh­rend der Militärdik­tatur legten Latifundistas im Stam­mesgebiet Ka­kao­farmen an, von denen auch große interna­ti­o­na­le Schokola­denmarken ihren Roh­stoff bezie­hen. Vor Gericht streiten die Pa­taxó seit 15 Jahren um die Rück­gabe von etwa 36.000 Hektar – 788 Hektar waren ihnen zwar von der Justiz zugespro­chen, de facto aber nie übergeben worden. Der Stamm nutzt jetzt die Gunst der Stunde: Zur Beerdi­gung von Häuptling Je­sus dos Santos kamen TV-Teams, Presse und so­gar der Chef der staatli­chen Indianer­schutz­behörde FUNAI, Julio Gei­ger. Nach der Beisetzung durf­ten weder er noch die Jour­na­listen das Reservat verlassen, viel­mehr wurden sie gezwun­gen, die Pataxó beim Be­setzen von vier benach­bar­ten Kakaofarmen zu be­glei­ten. Umringt von Indios mit Fe­der-Kokarden, Wurfspies­sen, Pfeil und Bogen, mußte Gei­ger grimmigen Blickes als erster das aufge­brochene Farm­tor jenes Groß­grundbesitzers durch­schrei­ten, der die Pataxó am meisten ter­ro­risiert – während diese auf­paß­ten, daß die Szene für die TV-Abendnachrichten auch or­dent­lich gefilmt wurde. Erst nach­dem das Gebiet ohne Ge­walt und Zwi­schen­fälle be­setzt wor­den war, ließen sie den FU­NAI-Chef und den Me­dien­troß von dannen zie­hen.

Terror, Lügen und Videoaufnahmen

Kontroverse um Polizeiübergriffe in Sâo Paulo

Die Aufnahmen gehen um die Welt: Polizisten errichten eine Straßensperre und ter­rorisieren vorbeikommende PassantInnen. Niemand wehrt sich: aus Angst, er­schossen zu werden. Der Präsident ist international entrüstet und die heimischen Intellektuellen schweigen.

Zehn Militärpolizisten Sâo Paulos machen sich einen sadi­stischen Spaß daraus, in einem Slum alle paar Tage eine Stras­sensperre zu errichten und zu­fällig vorbeikommende Bewoh­nerInnen auf brutalste Art zu foltern, mit Hartholzstücken blu­tig zu schlagen und auszurauben. Ein völlig unschuldiger Mann wird vor aller Augen erschossen, ein anderer schwer verwundet.
Wer in brasilianischen Elendsvierteln lebt oder dort So­zial- und Menschen­rechts­arbeit betreibt, weiß, daß Derartiges seit Diktaturzeiten ab­solut nor­mal und alltäglich ist. Der jüng­ste Fall von Polizeiter­ror erregt indessen enormes Auf­sehen, weil jemand gut versteckt tagelang al­les filmt, das Video schließlich nicht nur im brasilia­nischen, son­dern auch im nord­ame­ri­ka­ni­schen, europäischen und asiati­schen Fernsehen ge­zeigt wird.
Sâo Paulos Kardinal Evaristo Arns und seine Bischöfe und Pa­dres protestieren vehement, stel­len nicht an­ders als amnesty in­ternational (ai) und Human Rights Watch klar, daß die Greu­eltaten nicht überra­schen. In ganz Brasilien würden die Men­schenrechte von der Mi­litär­po­li­zei gravierend verletzt, Opfer seien stets Angehörige der unter­privilegierten Schichten, An­zeigen fruchteten gewöhnlich nichts.
Der neue Fall zeigt dies ex­emplarisch. Zwei der zehn Militärpolizisten gelten als Mit­glieder einer Todesschwa­dron, die in jüngster Zeit minde­stens dreizehn Menschen ermor­det hat. Fünf Beamte standen be­reits we­gen acht Morden sowie Mord­ver­suchen und schwerer Körper­verletzung unter Anklage, die Verfahren wurden, wie fast durchweg üblich, eingestellt. Ganz offenkundig unter dem Druck der Medien und der Ent­rüstung im Ausland wurden in­zwischen alle zehn Tatbeteiligten verhaftet – die Mitte-Rechts-Re­gierung instruierte in Windeseile auch die Botschaften in Bonn, Bern und Wien, wie zu reagieren ist.

Scheinheiligkeit und fragwürdige Aufregung

Ricardo Ballestreri, Präsident der brasilianischen ai-Sektion, mag ebensowenig wie die Kirche in den jetzt von den Medien ge­schürten Chor der Entrüstung einstimmen, wirft der Gesell­schaft Scheinheiligkeit vor. Bei jenen, die sich über Polizeibru­talität aufregen, handelt es sich ihm zufolge um dieselben, die mehr Gewalt bei der Verbre­chensbekämpfung und auch die Todesstrafe verlangen. ai hatte wie die Erzdiözese Sâo Paulos bereits vielfach angeprangert, daß die “High Society” und auch die Mittelschicht in Lateinameri­kas erstem Wirtschaftsstandort Greueltaten gegen Slumbewoh­nerInnen schlichtweg ignorier­ten. In Brasilien, so ai auf An­frage, gebe es ein Kontingent von Personen, deren Folterung absurderweise als sozial gerecht­fertigt angesehen werde. Unter der Folter hatten erst kürzlich neun Männer der Unterschicht gestanden, ein Nobellokal über­fallen und dabei zwei Gäste er­schossen zu haben. Glücklicher­weise fand man eher durch Zu­fall die wahren Täter mit der Beute, die Neun bleiben dennoch für ihr Leben gezeichnet.

“Beifall” für Todesschwadrone

Cecilia Coimbra, couragierte Präsidentin der brasilianischen Menschenrechtsorganisation “Nie mehr Folter”, erinnert jetzt daran, daß die sich in Sâo Paulo häufenden chacinas, Blut­bäder, sowie andere Aktionen der To­desschwadronen von sehr vie­len BrasilianerInnen mit “Beifall” aufgenommen werden. Nach der Ausstrahlung des Amateurvideos sei zu hoffen, daß es nie mehr zu derartigem Applaus komme. Ju­randir Freire Cos­ta, Therapeut und Direktor des Instituts für So­zialmedizin an der Universität von Rio, teilt diesen Optimismus nicht. Die Mittel- und Ober­schicht, so Costa, spreche Slum­bewohne­rInnen den Gleich­heits­grundsatz ab, definiere sie quasi als “Nicht-Menschen” und rea­giere daher mit extremer Indiffe­renz und Akzeptanz auf jede Art von Ge­walt gegen diesen Teil der Bevölkerung.
Befreiungstheologe Frei Bet­to, enger Mitarbeiter von Kardi­nal Arns, teilt den Stand­punkt von Costa, zählt den Sozi­alwissenschaftler außerdem zu den ganz wenigen Mitgliedern der geistig-künstlerischen Elite Brasiliens, die auf Massaker an Landlosen, Polizeiterror gegen Arme und von Todesschwadro­nen begangene Morde nicht mit Schweigen reagieren. Im Ge­spräch sagt Frei Betto, Hunderte von führenden Intellektuellen Frankreichs oder Italiens prote­stierten in Manifesten an die Mitte-Rechts-Regierung von Prä­sident Fernando Henrique Car­doso gegen all diese Greuel­taten und verlangten energische Maß­nahmen. Deren brasiliani­sche KollegInnen duldeten in­dessen, von wenigen Ausnahmen abge­sehen, die gravierende Ver­letzung der Menschenrechte in der größten Demokratie Latein­amerikas, seien daher mitschul­dig.
Das Schweigen, so Frei Betto, sei Resultat der Unterstützung jener Intellektu­ellen für die Cardoso-Regierung und deren neoliberale Politik. Viele aus der geistigen Elite, die besonders hohes Prestige in der öffent­lichen Meinung genössen, wür­den von Brasilia mit Posten, Po­sitionen und Geldern begün­stigt. Oder klarer ausgedrückt: kor­rum­piert. Der Theologe erin­nerte auch daran, daß viele In­tel­lek­tuelle, aber auch in Deutschland sehr bekannte Schrift­steller wie Jorge Amado oder Sänger wie Gil­berto Gil, Caetano Veloso, Elba Ramalho und Joâo Bosco, Filme­macher wie Héctor Ba­ben­co sich 1994 in einem Manifest für die Wahl Cardosos aus­ge­spro­chen hatten. Positive Aus­nah­me: Chico Buar­que. “Daß all diese Perso­nen sich heute passiv ver­halten”, so Frei Betto weiter, “wird von den In­tel­lektuellen Eu­ropas na­türlich be­merkt. Wa­rum prote­stieren wir, fragt man dort, doch die Kollegen in Bra­si­lien nicht – wie steht es daher um deren Se­riosität?” Sie sei nicht vorhan­den, fügt der Theologe hinzu.
Der schwarze Intellektuelle Milton Santos: “Brasiliens Gei­steswissenschaftler kapitulieren vor der Situation ihres Landes, nähern sich dem Establishment an.”
Frei Betto wurde während der Diktatur im berüchtigten Caran­diru-Gefängnis Sâo Paulos ein­gekerkert und gefoltert. 1992 wurde er vom Gouverneur des Bundesstaats vor Gericht ge­stellt, weil er Gewalttaten der Militärpolizei öffentlich ange­prangert hatte. Im selben Jahr er­schossen Spezialeinheiten jener policia militar in Carandiru min­destens 111 Häft­linge.
Zum Lärm um das Amateur­video meint Frei Betto, das bra­silianische Medienecho werde wie in vorangegangenen Fällen rasch verhallen.
Für Präsident Cardoso kommt der Vorfall dop­pelt ungelegen. Denn Sâo Paulo mit seinen weit über eintausend deutschen Fir­menfilialen wird von einem Gou­ver­neur und en­gem Vertrauten aus des Staats­chefs Sozial­demo­kra­tischer Par­tei PSDB regiert. Glei­ches trifft auf den politisch Haupt­verant­wortlichen des Land­losenmassa­kers von 1996 im Amazonas­bundesstaat Pará zu – und auch auf den Gou­ver­neur Rio de Janeiros, wo ein Blut­bad an Minderjährigen dem an­deren folgt.

KASTEN

Männer des Gesetzes

Vorsicht, Leute aus Sâo Paulo, Osasco und ABC,
Die Polizei von Sâo Paulo ist zum Beschützen da.
Ist ein Polizist ein Verbrecher?
Es gilt das Gesetz des Hundes.
Die Polizei tötet das Volk,
Aber ins Gefängnis kommt sie nicht.

Immer mehr Leute, deren Wege sich verlieren
Aber sagen können wir nichts,
Denn wir sind nicht auf der Seite des Gesetzes.
Oh mein Gott, wann werden sie bemerken,
Daß Sicherheit zu geben nicht bedeutet
Angst einzujagen?

Song von Thaíde und DJ HUM

KASTEN

Männer des Gesetzes

Vorsicht, Leute aus Sâo Paulo, Osasco und ABC,
Die Polizei von Sâo Paulo ist zum Beschützen da.
Ist ein Polizist ein Verbrecher?
Es gilt das Gesetz des Hundes.
Die Polizei tötet das Volk,
Aber ins Gefängnis kommt sie nicht.

Immer mehr Leute, deren Wege sich verlieren
Aber sagen können wir nichts,
Denn wir sind nicht auf der Seite des Gesetzes.
Oh mein Gott, wann werden sie bemerken,
Daß Sicherheit zu geben nicht bedeutet
Angst einzujagen?

Song von Thaíde und DJ HUM

Die Abwertung des Lebens

Die Regierung stoppt die Inflation – die Spirale der Gewalt dreht sich weiter

In der größten Demokratie Lateinamerikas gehören die berüchtigten “Esquadrôes da Morte” auch über zehn Jahre nach Diktaturende zum Alltag. Sie ermorden Kin­der, Jugendliche, Menschenrechtsaktivisten und politische Gegner. Unter der Mitte-Rechts-Regierung von Staatschef Fernando Henrique Cardoso hat laut ai die Ge­walt stark zugenommen.

An einem Februarnachmittag geschieht in Rio de Janeiros Slumgürtel Baixada Fluminense erneut, was viele in der Ersten Welt für unvorstellbar, unmög­lich halten: Sechs aufgeweckte Jugendliche zwischen fünfzehn und siebzehn springen auf einen Linienbus auf und machen sich zweier “Vergehen” schuldig: Um nicht bezahlen zu müssen, pas­sieren sie nicht das Drehkreuz des Buskassierers sondern blei­ben, wie es täglich unzählige Schüler und Arbeitslose tun, auf den hintersten Bänken, lärmen, trom­meln Disco-Rhythmen. Dem Kassierer wird es zu bunt. Er fordert zwei bewaffnete Si­cherheitsleute der Busgesell­schaft auf, die Jungen zum Schweigen zu bringen. Der Fah­rer hält an, die sechs werden mit vor­gehaltener Pistole zum Aus­steigen gezwungen, müssen sich in einer Reihe auf die Erde knien. Dann werden sie kaltblü­tig mit Kopfschüssen außerge­richt­lich exekutiert, wie es ai und andere Menschenrechtsor­ga­ni­sa­tio­nen stets in Untersu­chungs­be­rich­ten nennen. Die Mörder un­ter­ziehen sich, wie üblich, nicht der Mühe, die To­ten zu verstecken oder zu ver­scharren. Ein Jugendlicher über­lebte die Schüsse noch eine halbe Stunde, hätte gerettet wer­den können. Doch niemand der vielen herbeigelaufenen Neugie­rigen rührte aus Angst vor Rache eine Hand: Die Killer hatten es verboten, keiner der Gruppe sollte davonkommen.

Schlag für Rios Olympia-Bewerbung

Bereits in den 80er Jahren war die Baixeda Fluminense von den Vereinten Nationen als gefähr­lichste Stadtzone der Welt einge­stuft worden – bis heute werden hier Morde selten aufgeklärt. Gemäß einer neuen Untersu­chung sahen über dreißig Prozent der minderjährigen Slumbewoh­ner schon einen Mord.
Auch diese Bluttat wäre ge­mäß jüngster Praxis von Öf­fent­lichkeit und Medien über­gangen worden, wenn nicht das Inter­na­tionale Olympische Ko­mitee gerade über die Kandidatur der Sieben-Millionen-Metropole am Zucker­hut für die Spiele 2004 entscheiden würde. In weltweit verbreiteten Imagekampagnen hatten Brasiliens Autoritäten für Rio getrommelt und stets ar­gu­men­tiert, daß sich Gewalttaten doch schließlich heute in allen großen Städten ereigneten. Die Ner­vo­sität der Politiker war nach dem Massaker groß. Anders als bei vorangegangenen Ver­bre­chen dieser Art mußten Rios beste Kriminalisten Tag und Nacht nach den Tätern fahnden. Zeu­gen hatten sie laut Presse­angaben zweifelsfrei erkannt. Einer ge­hört zu Rios Munizipal­garde und wird gemäß der en­gagier­ten Staatsanwältin und Killer­kommando-Expertin Tania Sal­les Moreira stets dann als Mittä­ter genannt, wenn es in Bussen zu “Exekutionen” ge­kommen sei. Der andere leitet eine der zahl­reichen regionalen Todesschwa­dronen.

Morddrohungen gegen holländischen Men­schenrechtsaktivisten

Immer mehr brasilianische Pfarrer, Bischöfe, Sozialarbeiter, Künstler und Menschenrechts­aktivisten, die gegen das Wüten der Killerkommandos protestie­ren, wer­den durch Mord­drohungen unter Druck ge­setzt, müssen aus Sicherheits­gründen ihren Aktionsradius stark einschränken. Dies gilt auch für das neueste Blutbad. Zwei der Ermordeten stammten aus Slums, in denen das auch mit Geldern der deutschen Bundes­regierung arbeitende Sozialin­stitut IBISS seit Jahren Projekte realisiert. Der holländische Di­rektor Nanko van Buuren hatte als Arzt im zuständigen ge­richtsmedizinischen Institut die beiden ihm bekannten Jugendli­chen identifiziert – an der Aus­gangspforte wurde er derweil von zwei Bewaffneten erwartet. Sie zeigten sich über alle Details der IBISS-Projekte gut infor­miert und drohten, den 48-jähri­gen umzubringen, falls er sich in die Ermittlungen einmische und juristisch gegen jene Busgesell­schaft vorgehe, zu deren Sicher­heitspersonal die Todesschützen nach bisherigen Ermittlungen ge­hören. Van Buuren hatte 1996 Bundespräsident Herzog wäh­rend dessen Rio-Aufenthalts mit den IBISS-Projekten vertraut ge­macht, hält zu ihm ständig Kon­takt. “In Europa”, so der Ex­perte, “schenkt man wahrheits­gemäßen Berichten über die Re­alitäten Rios gewöhnlich keine Be­ach­tung. Das Ausmaß der Greuel­taten gegen Arme und Ver­elendete wird für unwahr­schein­lich gehalten.”

Politiker verwickelt

Duque de Caxias, Satelliten­stadt Rios in der Baixada Flumi­nense, ist seit langem wegen der Todesschwadronen berüchtigt. Gegen Bürgermeister Zito dos Santos läuft ein Prozeß, weil er den Mord an einem seiner politi­schen Gegner befohlen haben soll. Mehrere seiner Kritiker, aber auch Menschenrechtler be­schul­digen ihn, in Killerkom­mando-Aktivitäten verwickelt zu sein. Zito dos Santos gehört zur Sozial­demokratischen Partei von Staats­chef Fernando Henrique Cardoso, dem Rios Pfarrer Caio Fabio vorwirft, zwar die mone­täre Inflation, nicht aber die Ab­wertung des Lebens gestoppt zu haben. Todesschwadronen sind in ganz Amazonien und in Millio­nenstädten wie Manaus, Sâo Paulo, Salvador de Bahia, Re­cife, Fortaleza und Natal aktiv. In letzterer Pro­vinz­haupt­stadt hatte der an­ge­sehene Men­schen­recht­ler und Anwalt Fran­cis­co Negueira gegen die größ­ten­teils aus Po­li­zi­sten be­ste­hen­den Kom­mandos er­mittelt: Ver­gan­genen Ok­tober wur­de er auf of­fener Straße durch MPi-Salven er­mor­det. Da­rauf­hin forderte die Men­schen­rechts­kommission der Or­ga­ni­sa­tion Amerikanischer Staa­ten (OAS) Brasilia auf, wei­te­ren zehn von Kommandos in Na­tal Ver­folgten Personenschutz zu ge­währen.

KASTEN

Was ist das für ein Land?

In den Favelas, im Senat
Überall Dreck.
Die Verfassung achtet niemand,
Aber alle glauben an die Zukunft der Nation.
Was ist das für ein Land?

In Amazonas, in Arraguaia, in der Baixada Fluminense,
Mato Grosso, den Geraes und im Nordosten alles ruhig.
Im Tod finde ich Frieden, aber das Blut fließt weiter,
Befleckt die Papiere, die wahren Dokumente,
Auf denen der Patron sich ausruht.
Was ist das für ein Land?

Song von Renato Russo (Legiâo Urbana)

Schweine in Uniform

Die Männer des Gesetzes sind alle Verbrecher
Sie töten unschuldige Leute und machen in Ruhe weiter.
Unausgebildet, inkompetent handeln sie wider die Vernunft,
Anstatt für Sicherheit zu sorgen
Verängstigen sie die Bevölkerung.

Sie sind darauf trainiert, eine reiche Minderheit zu beschützen
Vor der armen Mehrheit, die mit ihrem Leben bezahlt.
Und wenn Du ein Arbeiter bist,
Dann hast Du die idealen Voraussetzungen,
Um in das Netz zu stürzen
Der offiziellen Todesschwadronen,
Schweine in Uniform.

Sie halten sich für Männer
Aber in Wirklichkeit ehren sie
Nicht einmal ihren Namen.
Bulle, mit Verlaub,
Ich werde die Dinge beim Namen nennen:
“Mit der Pistole in der Hand bist Du ein grimmiges Tier, ohne sie schwänzelst Du rum und Deine Stimme kiekst wie im Stimmbruch.”

Song von Marcelo D2 und Rafael (Planet Hemp)

Brasilianische Rapper- und Hip-Hop-Gruppen verarbeiten die brutale Realität in ihren Songs.
Übersetzung: Alina González / Elisabeth Schumann

Die USA und die brasilianischen Folterer

Dokumente beweisen CIA-Beteiligung an alltäglicher Repression

Von 1964 bis 1985 unterdrückte Brasiliens Militärregime Andersdenkende und mi­li­tan­te Oppositionelle auf grausamste Weise: Todesschwadronen ermordeten unzäh­lige Gegner der Diktatur, politische Gefangene wurden Haien lebendig zum Fraß vor­geworfen oder aus Helikoptern gestoßen, in Stücke gehackt, verscharrt an Strän­den Rio de Janeiros – Brutalität war alltäglich. Daß der US-Geheimdienst CIA den Re­pressionsapparat der Generäle auf vielfältige Weise unterstützte, wußten Men­schen­rechtsgruppen aus dem In- und Ausland schon damals. Jetzt sorgen Doku­men­te über die damaligen CIA-Aktivitäten in Brasilien für Schlagzeilen.

Wie die angesehene Zeitung O Estado de Sâo Paulo berichtet, kon­nte die nordamerikanische So­ziologin Martha Huggins bis­lang geheimgehaltene Kongreß­do­kumente einsehen, die die Kom­plizenschaft des CIA mit dem Unterdrückungsapparat von da­mals bestätigen. Das Fazit der 53-jährigen Wissenschaftlerin: “Die Teilnahme der CIA am All­tag der politischen Repression ist be­wiesen – die Dokumente sprech­en sogar von gemeinsa­men Operationen – die ameri­ka­ni­sche Demokratie partizi­pierte an der Schaffung eines un­ter­drüc­kerischen Staates.”
Besonders gravierend ist für Mar­tha Huggins, daß die CIA Spe­zialkommandos für die bra­silianische Polizei ausbildete. In Rio de Janeiro wurde eine “E­li­te” von vierzig Beamten zum Grund­stock der berüchtigten To­des­schwadrone: “CIA-Agenten nah­men an Operationen in den Slums teil, aber auch an der po­li­ti­schen Unterdrückung – und be­rich­teten alles, was sie sahen, nach Washington.” Bis heute sei in den USA wenig bekannt, daß die CIA bei der Ausbildung von Po­li­zisten in anderen Ländern mit­macht: “Unsere Demokratie be­nutzte die Polizeibeamten, um in anderen Ländern eine ide­ologische Kontrolle aus­zuüben.”

CIA läßt Dokumente verschwinden

Ein anderes interessantes De­tail der Recherchen von Martha Hug­gins: Die CIA half beim Auf­bau des Diktaturgeheim­dien­stes SNI mit, “lieferte sogar eine Li­ste mit den Namen ge­eigneter, ver­trauenswürdiger Mitarbeiter.” Auf einer anderen Liste waren al­le Personen ver­zeichnet, die ge­mäß CIA-Ein­schätzung nach dem Militär­putsch von 1964 ver­haftet wer­den sollten.
Ärgerlich für die Soziologin, die bereits drei Bücher über Bra­si­lien veröffentlichte, ist, daß laut Gesetz zwar jeder US-Bür­ger offizielle Dokumente über Re­gierungsaktivitäten einsehen darf, wenn diese länger als 25 Jah­re zurückliegen – jene Seiten je­doch der Kongreßpapiere mit CIA-Berichten über Folterungen der politischen Polizei Brasiliens sind unleserlich gemacht; manch­mal fehlen sogar ganze Blätter.
In mühseliger Kleinstarbeit ge­lang es der Expertin, 26 Folte­rer von politischen Gefangenen aus­findig zu machen und unter Wah­rung der Anonymität zu in­ter­viewen. Einer davon, Militär­po­lizist, mochte nicht, wie seine Kol­legen, bei einem Einsatz ge­fan­gengenommene “Subversive” mit Schlägen traktieren und die Frau­en vergewaltigen. “Ich for­derte, daß es doch besser sei, alle zu töten, anstatt sie zu foltern”, sagte der Militärpolizist zu Mar­tha Huggins und berichtete auch über den Abschluß der Ope­ration: Alle Gefangenen wurden hoch über der Wildnis lebendig aus einem Helikopter gestoßen.

Folterer heute in führenden Positionen

Helio Bicudo, während der Dik­tatur Präsident einer kirchli­chen Kommission für Gerechtig­keit und Frieden, hat die Aussa­gen der Soziologin bestätigt. Bi­cudo untersuchte damals die CIA-Aktivitäten ebenso wie das Wü­ten der Todesschwadronen. Po­lizisten und Armeeoffiziere Bra­siliens seien in den USA aus­ge­bildet worden – manche, die da­mals zum Repressionsapparat ge­hörten, machten und machen Kar­riere. Romeu Tuma, nach der Dik­tatur Chef der Bundespolizei, ist heute Kongreßsenator der star­ken Rechtspartei PPB. Regi­meaktivist Marco Maciel wurde gar Vize des jetzigen Staatsprä­si­den­ten Fernando Henrique Car­do­so – für Bicude auch Beleg da­für, daß von echter Vergan­gen­heitsbewältigung keine Rede sein kann: “Hier in Brasilien ha­ben die Leute ein kurzes Ge­dächtnis.”
Wie die Jahresberichte von am­nesty international und Hu­man Rights Watch zeigen, gehö­ren Folter und Todesschwadro­nen auch zwölf Jahre nach dem of­fiziellen Ende der Diktatur wei­terhin zum Alltag Brasiliens, es “verschwinden” sogar mehr Men­schen als damals nach der po­lizeilichen Festnahme. Die ka­tholische Kirche beklagt, daß im­mer mehr nichtidentifizierte Ge­waltopfer beerdigt werden, ein Groß­teil auf den überall im Lan­de anzutreffenden “geheimen Fried­höfen”.

Die Kirche gegen den Strich

“Helfen statt verurteilen” beim Umgang mit Kinderprostitution in Nordostbrasilien

Durch die neoliberale Wirtschaftspolitik der jetzigen Mitte-Rechts-Regierung ist in ganz Brasilien die Arbeitslosigkeit deutlich angestiegen; im Hinterland von Maranhao wurde deshalb laut Experteneinschätzung die Prostitution von Kindern und Jugendlichen erschreckenderweise zur wichtigsten und manchmal einzigen Einkommensquelle armer Familien. Nicht zuletzt die Kirche hat sich dem Problem angenommen.

Zu Dutzenden stehen zwölf- und dreizehnjährige Mädchen bereits in der Nachmittagsschwüle an der Brücke über dem von Hütten gesäumten Rio Mearim und bieten sich den Passanten für nur fünf Realen an,- das sind nicht einmal acht Mark. Andere warten in den von madames oder früheren Amazonas-Goldgräbern geführten Billigbordellen der neuen Rua do Campo auf Kunden. Doch auch dort sind sie keineswegs geschützt vor der Brutalität, die das Milieu prägt: Messerstechereien, Schußwechsel mit tödlichem Ausgang sind keine Seltenheit, wobei häufig Drogenkonsum die Hemmschwelle herabsetzt. Ausländische Sextouristen spielen hier nur eine geringe Rolle, da das im Nordosten Brasiliens gelegene Pedreiras zu weit von Touristengebieten entfernt liegt. Geradezu gierig auf möglichst junge Mädchen sind sexbesessene Machos aller sozialen Schichten aus der Stadt selbst: Nachbarn, Familienväter der Rua do Campo, Polizisten, Politiker. “Viele Mädchen prostituieren sich, weil die eigenen Eltern sie dazu anregen oder zwingen”, sagt die 52jährige Franziskanerin Maria Oliveira von der lokalen Frauenpastorale gegenüber. Sie verweist auf die Gründe der Misere: Von den rund 50 000 BewohnerInnen hat nicht einmal ein Viertel Arbeit, von denen wiederum verdienen 40 Prozent höchstens den Mindestlohn von umgerechnet 160 Mark.

Versteigerung von Jungfrauen

Pedreiras hat auch deshalb traurige Berühmtheit erlangt, weil dort in Bordellen makabere Auktionen abgehalten werden, wo Großgrundbesitzer, Politiker und Unternehmer Jungfrauen zwischen neun und vierzehn Jahren ersteigern, für eine einzige Nacht in einem besseren Stundenhotel. Anschließend werden die Mädchen gewöhnlich gezwungen, als Prostituierte zu arbeiten; manche enden in den Goldgräbercamps Amazoniens.
Die Kirchengemeinde von Pedreiras fand sich mit der Situation nie ab. Pfarrer Luiz Mario Luís gründete bereits 1963 ein Rehabilitationszentrum, in dem Prostituierte lesen und schreiben sowie einen Beruf erlernen konnten.
Da die Zahl der Lernwilligen rasch zunahm, mußte das Zentrum vergrößert werden, und die Bezirksverwaltung stieg als finanzielle Trägerin mit ein. Schulunterricht erhalten inzwischen auch die Kinder der Frauen, derzeit sind es über 160 Mädchen und Jungen. Mehrere Dutzend jugendliche oder erwachsene Prostituierte sitzen auf den Bänken des Zentrums, das eher einer einfachen Lagerhalle ähnelt, und lernen Nähen sowie andere Handarbeiten. Inzwischen haben sie zum Teil Kolleginnen als Lehrkräfte. Die Direktorin und Mitbegründerin Benedita Leite versucht, sie davon abzubringen, weiter auf den Strich zu gehen, jedoch ohne Erfolg. Denn wie in tausenden anderen Städten und Gemeinden der zehntgrößten Wirtschaftsnation der Welt erhalten LehrerInnen und andere öffentliche Bedienstete auch in Pedreiras nicht einmal den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von umgerechnet etwa 160 Mark. Schlimmer noch: Die Bezirksverwaltung, der wichtigste lokale Arbeitgeber, zahlt das Hungersalär um bis zu elf Monate verspätet aus. “Ich gebe gerne Unterricht”, sagt eine Prostituierte, “doch das letzte Mal habe ich im August Geld gekriegt”. Viel ist es ohnehin nicht, nur an die neunzig Mark. Und Brasilien hat derzeit ein ähnliches Preisniveau wie Europa.

Erfolge – Rückschläge

Daß krasse Armut brutalisieren, verrohen und abstumpfen kann und die Betroffenen häufig dazu bringt, sich aufzugeben, beobachten Benedite Leite und die Franziskanerin Maria Oliveira täglich. In den Bretterhütten am Rio Mearim dominiert in den vielköpfigen Familien Promiskuität; Die Mädchen lernen nur die Gesetze ihres Milieus kennen und sehen die Prostitution als einzige – und attraktive – Möglichkeit, im Leben voranzukommen. Ihnen Unterricht zu geben, ist extrem schwierig, denn die Mädchen sind nicht daran gewöhnt, sich zu konzentrieren und lange Zeit zuzuhören. “Wir dürfen sie nicht verurteilen, sie uns zu Feinden machen” betont Maria Oliveira, “sondern müssen immer wieder auf sie zugehen, ihnen helfen, den Raum der Kirche als Alternative anbieten.” Erfolge beim Schwimmen gegen den Strom gibt es. In der Straße am Fluß treffen sich Kinder und Erwachsene im neuen Gemeindesaal zu kirchlichen Aktivitäten, eine Jugendgruppe stabilisiert sich. Maria Oliveira lehrt Katechismus, feiert Weihnachten und Ostern in den Familien, bringt diesen die Brüderlichkeitskampagne der Bischofskonferenz nahe, und hält Kontakt zu denjenigen Frauen, die mit ihrer Hilfe aus dem Bordell in einen Beruf wechselten.
Doch die madames besorgen sich immer wieder Mädchennachschub. Dabei rekrutieren sie jetzt schon im Hinterland, ködern mit der Aussicht auf “ehrliche Arbeit” und locken damit Jugendliche in den Schuldenkreislauf. Versucht Maria Oliveira, solche Minderjährigen zur Rückkehr zu bewegen, hört sie immer wieder ein Argument: “Ich kann nicht weg, weil ich von der madame neue, schicke Kleider angenommen habe, die ich erst abbezahlen muß!” Die Franziskanerin stellt deshalb eine Bordellbesitzerin zur Rede und bekommt wie stets eine drastisch-grobe Antwort: “Meine Schuld ist das nicht. Diese Hündinnen kommen doch angelaufen und bitten mich um Arbeit!” Weil die madames den Neuankömmlingen weder den Besuch des Zentrums noch der Kirche gewähren, geht die Franziskanerin selbst zu ihnen an den Brückenstrich und setzt sich notfalls an die Bordelltischchen: “Einmal spreche ich mit den Mädchen über Gott, ein anderes Mal über Geschlechtskrankheiten und Aids. An der Brücke kommen viele schon auf mich zugerannt und umarmen mich!”
Kinderprostitution ist typisch für Brasiliens Norden und Nordosten. UNICEF, Kirche und NGOs haben in Maranhao bereits eine Kampagne gegen die praktisch straffreie sexuelle Ausbeutung Minderjähriger gestartet, denn laut Menschenrechtsaktivistin Sandra Torres gehört es bereits zur Gesellschaftskultur, abnorme Situationen als normal zu betrachten und hinzunehmen.
Während in Pedreiras Kinder aus Hunger und Not ihren Körper verkaufen, zeichnet der Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso im nur 277 Kilometer entfernt Sao Luis, der Hauptstadt Maranhaos, vor Mikrophonen ein positives Bild der Lage im Lande. Der Soziologe weist auch die Kritik der Bischöfe an seiner neoliberalen Politik zurück, erwähnt weder Kindersklaverei noch Kinderprostitution oder Jungfrauenversteigerungen. Neben Cardoso steht der jetzige Kongreßpräsident und Ex-Staatschef José Sarney – seit Diktaturzeiten reichster und mächtigster Mann in Maranhao. Daß hier alles beim alten bleibt, liegt nach Aussagen von Menschenrechtlern vor allem an ihm und seinen politischen Freunden.

“Ich könnte jederzeit fliehen”

Volmer do Nacimentos Alltag zwischen Gefängniszelle und Tropenlandschaft

Der 47-jährige Schwarze Volmer do Nacimento wagte als einer der ersten Brasilia­ner, auf Straßenkinder spezialisierte Todesschwa­dronen und deren Drahtzieher öf­fentlich anzuzeigen. 1993 wurde er wegen vorgetäuschter Entführung und “Ver­leumdung von Rich­tern” zu vier Jahren und neun Monaten Haft verurteilt, die er im halboffenen Strafvollzug verbringt (siehe LN 261). Die brasilia­nische Men­schen­rechtsorganisation Projeto Legal in Rio de Janeiro kämpft für seine Freilas­sung.

Am schlimmsten sind die Sonn- und Feiertage. Dann muß Volmer den ganzen Tag in einer engen Gefängniszelle verbrin­gen, im fünf Autostunden nörd­lich von Rio gelegenen Provinz­städtchen Natividada. Seine Frau und seine Kinder sitzen der­weil traurig nur rund 300 Meter von Nacimento entfernt. Der Bürger­rechtler liest dann stapel­weise Bücher und Zeitungen, schmie­det Pläne für die Zeit nach der Haft, und erinnert sich auch an die Gespräche mit dem Präsi­denten des Europaparla­ments. Wütend macht Nacimento, daß er die nach wie vor aus Straß­burg her­einflatternden Einladun­gen nicht annehmen darf. “Ich bin ein Gefangener, weil ich es selbst will, denn mit meinem Wagen könnte ich fast jederzeit fliehen – und nie­mand würde mich finden.” Der lang­jährige Koordinator der nationalen Stra­ßenkinderbewegung tut es nicht. Schließlich trägt Nacimento die Ver­antwortung für mehrere von ihm selbst gegründete Projekte, die er selbst leitet. Zu einem der wichtig­sten, einer auch mit deut­schen Geldern finanzierten Land­wirtschaftsschule für Ju­gend­li­che, eilt er an Arbeitsta­gen je­den Morgen. Der gelernte Buch­hal­ter, dessen sozialpoliti­sches Engagement in Basisge­meinden und Pastoralen der ka­tholischen Kirche begann, emp­fängt die bislang neunzig Schü­ler­Innen, berät sich mit Agro­nom­In­nen, Zootechniker­In­nen und Lehrer­Innen, verteilt Auf­trä­ge: “Die El­tern der mei­sten Ju­gend­lichen hier sind ver­elen­dete Wanderar­beiter der Re­gion, mit ihnen zie­hen sie herum, schuften auf Plan­tagen der Groß­grund­be­sit­zer, ge­hen so gut wie nie in die Schule, flüchten aus Perspektiv­losigkkeit in die Slums von Rio. Die Schule wurde gegründet, da­mit die Kin­der hier bleiben, die Landflucht gestoppt wird.”

Die Landflucht stoppen

Jeder Schüler be­kommt mo­natlich umgerechnet rund neun­zig Mark und damit weit mehr als für Plantagenarbeit. Das Geld stammt von zwei holländischen Un­ternehmern. Der deutsche Child­ren Mission Fund in Über­lingen zahlt die Löhne der Leh­rer­Innen und beteiligte sich am Bau des Schulhauses am Rande von Nativi­dade in tropischer Idyl­le. Es ist nur halbfertig, ein Pro­viso­rium – in Deutschland würde niemand darin lernen und lehren wollen. Und auch die vom deut­schen Konsulat in Rio fi­nan­zier­ten Ausrüstungen für ein La­bo­ratorium zur einfachen Heil­mit­telherstellung können nicht in­stalliert, rund 300 Kurs­an­wär­ter nicht aufgenommen werden. Die Schuld trägt laut Volmer do Na­cimento die Mitte-Rechts-Re­gierung von Staatsprä­sident Fer­nan­do Henrique Cardoso und des­sen Freund aus der Sozialde­mo­kratischen Partei PSDP, Rio-Gou­verneur Marcello Alencar. Wäh­rend eines Belgienbesu­ches 1995 traf Cardoso überraschen­der­weise auf eine Gruppe von Men­schen­rechtlerInnen, die ein Poster von Nacimento tru­gen und dessen Freilassung forder­ten. Wie stets in solchen eigent­lich brenzligen Fällen stimmte Car­doso taktisch geschickt mit den KritikerIn­nen überein: “Ihr habt recht – wir werden damit auf­hören.” Das Ver­sprechen blieb fol­genlos und auch die zum Jah­resbeginn 1996 vertraglich zu­gesicherten rund 90.000 DM von Co­munidade Solidaria, dem von der Präsi­dentengattin gelei­teten Wohl­fahrtsprogramm, tra­fen bisher nicht ein. Ebensowe­nig, trotz mehrfacher Mahnung, die etwa 100.000 DM des Rio-Gouver­neurs. “Wir werden im­mer nur mit Ausflüchten abge­speist”, kom­mentiert Nacimento, “aber viele andere NGOs be­kom­men ver­sprochene Mittel eben­falls nicht – wofür ist die Comu­nidade Solidaria dann ei­gentlich da? Wir können nicht im­mer nur mit Geld aus dem Ausland ar­beiten – wo bleibt da die eigene Ver­antwortung Brasi­liens?” Den briti­schen Konsul in Rio, der dem Schulprojekt einen Traktor spen­dierte, verblüfft ebenfalls, daß die Regierung nichts über­weist. Dagegen wird laut Pres­seangaben ein existie­render “Sozialer Dringlichkeits­fonds” fast täglich vom Mitte-Rechts-Kabi­nett angezapft, um Diplo­matenempfänge, Bankette oder üp­pige Geschenke für aus­ländische Gäste zu finanzieren.
Die achtzehnmona­tigen Kurse der Escola Fasenda laufen den­noch wei­ter. “Fast alle, die mit amtlichem Zerti­fikat abschließen werden, haben be­reits eine Ar­beitsstelle sicher,” freut sich Naci­mento, “nach der Präfektur sind wir hier der zweitgrößte Ar­beitgeber!” Abends muß der nicht nur in Europa bekannteste Häftling Brasiliens wieder in die Zelle. Der Polizeichef von Nati­vidade bekam bereits aus aller Welt über tausend Protest- und Soli­daritätsbriefe, mindestens ebenso­viele landeten beim Gou­verneur von Rio und im Justiz­ministerium.
Nacimento leidet indessen sichtlich unter der Situation, wollte 1996 durch einen Hunger­streik die Wiederaufnahme sei­nes Verfahrens und Ermittlungen ge­gen Todesschwadronen und de­ren Hinter­männer erreichen – was nicht gelang. Eine der wich­tigsten moralischen vor al­lem aber juristi­schen Stützen ist die Men­schenrechts­organisation Projeto Lagal in Rio de Janeiro. Sie er­reichte bisher, daß Naci­mento seine Haft nicht unter ständiger Lebens­gefahr in einer völ­lig überfüllten Zelle Rios, sondern im halboffenen Vollzug in Natividade ver­bringt. Für An­walt Carlos Nicodemos, Lei­ter des ebenfalls vom deutschen Child­ren Mission Fund unter­stütz­ten Projeto Legal, ist der Pro­zeß gegen Nacimento kaf­ka­esk: “In Untersuchungsbe­richten des Bun­desparlaments und selbst der Abgeordneten­kammer des Bun­desstaates Rio über die Er­mor­dung von Kindern und Ju­gend­lichen, ebenso in der Presse, wer­den die­selben Richter we­gen ihrer Verwick­lung in Ak­tivitäten von Todesschwadro­nen auf­ge­führt, die auch Volmer do Naci­men­to nannte.”
Anwalt Nicodemos eilt min­destens ein­mal im Monat mit dem Wagen nach Na­tividade, spricht seinem Mandanten Mut zu. Dessen Geburtstag im ver­gan­genen November fiel ausge­rechnet auf einen Sonntag. Daß er ihn dank Ni­codemos nicht durch­weg in der Zelle verbringen mußte, sondern mit seiner schwangeren Frau und den Kin­der zusammensein konnte, war wie­der ein kleiner Sieg.

Letzte Meldung: Seit Anfang Ja­nuar hat Volmer rund um die Uhr Freigang, d.h. er muß sich jetzt lediglich re­gelmäßig bei der Polizei mel­den. Und die schlech­te Nach­richt: Nach heftigen Re­gen­fällen ver­sank das Gelände der Land­wirt­schaftsschule unter ei­ner vier­zig Zentimeter dicken Schlamm­schicht. Die Gebäude ste­hen zwar noch, aber die Ernte ist völlig zerstört.

Fünf-Sterne-Rassismus

Schwarze fahren keine Importautos

Der Ehemann ist weiß, die Ehefrau ist schwarz. Am Hoteleingang verwehrt ein Wächter der Ehefrau den Zutritt: Prostituierte dür­fen nicht mit aufs Zimmer. Wer glaubt, dieser Vorfall wäre die Ausnahme, irrt. Unter der Oberfläche scheinbarer In­tegration zeigt sich das Bild einer verdeckten Apartheid.

Die Schwarzen müs­sen wis­sen wo ihr Platz ist, lautet eine uralte, immer noch hochaktuelle Redewendung in Bra­silien. Ge­meint ist damit: Sklavennachfah­ren haben nichts in der Mittel- und Ober­schicht, deren Krei­sen und Ambiente zu suchen. Sie werden entsprechend stigmati­siert und behandelt. Wie dies in der Praxis funk­tioniert, bekam jetzt der Züricher Fritz Müller, Fach­direktor der Cre­dite-Suisse-Bank, in Rio de Janeiro zu spü­ren. Als er mit seiner schwarzen, aus Rio stammenden Ehefrau Adriana nach einem Restaurant­be­such ins First-Class-Hotel In­tercontinental zu­rückkehrte, wur­de Adriana von einem mus­ku­lö­sen Wachmann grob ge­stoppt: Eine Garota de Programa, so hei­ßen Prostitu­ierte im Rio-Slang, dür­fe nicht mit aufs Zim­mer. Direktor Müller ließ sich von seiner Frau über­setzen worum es ging und schlug gehö­rigen Krach, stellte den Wach­mann zur Re­de, verlangte von der Ho­tel­lei­tung eine formelle Entschul­di­gung. Denn ohne ent­sprechende Vor­schrift hätte der Wächter kaum so gehandelt.

Rassismus – Machismus

Die Zeitung O Globo be­schrieb den Fall unter der tref­fenden Überschrift “Fünf-Sterne-Ras­sismus”. Kaum ein mit einer dunkel­häutigen Brasilia­nerin be­freundeter oder verheirateter Eu­ropäer, der in Rio, Sâo Paulo, Sal­vador de Bahia oder Fortaleza nicht ähnliche Erfahrungen ge­macht hat. Wer brasilianisches Portugiesisch nicht versteht, be­kommt kaum mit, daß der Gang über die Strandpromenade für sei­ne Partnerin ge­legentlich ei­nem Spießrutenlauf gleicht. Wei­ße Mit­telschichtsmachos der übel­sten Sorte, in Brasilien alles andere als dünn ge­sät, lassen eine Bösartigkeit oder Obszöni­tät nach der anderen fallen, ge­hen davon aus, daß der tumbe Gringo sicher nichts ver­steht und wohl im­mer noch glaubt, was die mei­sten Reiseführer kolportie­ren: Brasilien, ein wun­dervoller Schmelz­tiegel der Rassen, ein Beispiel gelun­gener Integration ver­schiedener Hautfarben, von Dis­kriminierung keine Spur.
Wer aber die Oberfläche, die schil­lernde Er­scheinungsebene ver­läßt, stößt auf Brasiliens hocheffi­ziente verdeckte Apart­heid. Die ist von den schwachen, wenig respektierten Schwarzen­or­ganisationen weit schwerer zu packen und zu attackieren als die aus Süd­afrika bekannte of­fene Ras­sentren­nung. Schwarze, Mu­latt­Innen gehören in die Slums, in die Unterschicht, in die drek­kig­sten, schlechtbezahltesten Be­ru­fe. Schwarze Frauen sind ge­mäß diesem Denk- und Ver­hal­tens­muster Hausdienerinnen, Rei­ne­machefrauen, bestenfalls Su­per­marktkassiererinnen. Oder aber: Schwarze Frauen sind bis zum Beweis des Gegen­teils Pro­sti­tuierte, Touristenhuren, die man entsprechend behandeln kann.
Untersuchungen belegen, daß in­for­melle Mechanismen ge­wöhn­lich den Auf­stieg Dunkel­häutiger in gutbezahlte qualifi­zierte Mittel­schichtsberufe ver­hin­dern. Privatban­ken bilden da keine Ausnahme. Bei meh­reren spricht das gängige System der zwei Kundenschlangen Bände. Wer besser verdient und umge­rech­net mindestens einige tau­send Mark auf seinem Konto hat, steht in der kürzeren Fila, wird bevorzugt behandelt und ist ge­wöhnlich weiß. Wer zu den Schlecht­bezahlten gehört, aber glück­lich ist, dennoch ein Konto besitzen zu dürfen, muß in der längeren Schlange gelegentlich Stunden warten, schaut nei­disch, frustriert oder mit Groll auf die Be­vorzugten mit dem dickeren Geld­beutel. Welche Hautfarbe in der langen Fila domi­niert, läßt sich in Rio gut beobachten.
Wer mit dunkler Haut den­noch den sozialen Aufstieg schafft, hat im Alltag fast pau­sen­los Ärger. In Sâo Paulo wird eine er­folgreiche schwarze Schau­spielerin von weißen Ma­dames im­mer wieder auf der Straße gefragt, ob sie nicht als Haus­dienerin anfangen wolle, sie sehe so gut und gesund aus. Der schwarze Sänger und Komponist Dicró wird in Rio de Janeiro von Si­cherheitsleuten zu seiner eige­nen Show nicht auf die Bühne ge­lassen. Ironisch erklärt er: “Mehr­mals haben sie mich auch schon ge­schnappt, als ich meinen eigenen Wa­gen klauen wollte.” Wie überführte Au­todiebe wer­den ebenfalls immer wieder gut­ver­dienende schwarze Fußball­spieler traktiert, die teure Im­portwagen fahren. Oleude Ri­beiro vom Verein Portuguesa von Sâo Paulo wurde mit Blau­licht in seinem Ford-Jeep ge­stoppt und mit dem Revolver am Kopf gründlich durchsucht: “Mein tiefentsetzter kleiner Sohn woll­te danach wissen, ob diese Männer Ban­diten waren. Schwie­rig, ihm zu erklären, daß alles nur geschah, weil wir Schwarze sind.”
Der auch in Eu­ropa bekannte schwarze brasiliani­sche Musiker Djavan erläutert: “Wenn du be­rühmt wirst, ver­lierst du sozusa­gen deine Hautfarbe. Das heißt nicht, daß dich die Leute auf einmal mögen. Sie beginnen nur, dich zuzulas­sen.”

Weniger als ein Quadratmeter

Brasiliens Gefängnisse offenbaren Bilder wie aus einem Gruselfilm

Unter der Regierung von Präsident Cardoso verschlechtert sich die Lage in den total überfüllten Gefängnissen weiter. “Niemand ist an einer Resozialisierung der Häft­linge interessiert,” so Padre Mauzeroll von der Gefangenenseelsorge der katholi­schen Kirche.

Eine mittelalter­lich anmu­ten­de Ge­fängniszelle in Rios Stadt­teil Realengo. Gesetzlich hat je­der der mehreren Dut­zend In­sas­sen Anspruch auf min­de­stens acht Quadrat­meter, hier da­gegen hat er nicht einmal ei­nen ein­zi­gen. Ge­schlafen wird des­halb in Schichten. Während ein Teil auf dem feuchten Beton liegt, hängt der andere in Stoff­schlau­fen da­rü­ber, die an den Git­ter­stäben be­fe­stigt sind. In ei­ner Zelle im Stadt­teil Bangu bie­tet sich ein ähn­liches Bild: 35 fast nackte, schwit­zende Männer auf nur sech­zehn Quadratmetern, bei­ßen­der Fäkalienge­ruch, nachts Rat­ten, die psychische Span­nung fast mit Händen greif­bar. Neun von zehn haben Krätze und Fu­run­kel. In der heißesten Jahres­zeit herr­schen bis zu sech­zig Grad in den Zellen, täglich fallen dann an die zwanzig In­sas­sen ohn­mächtig um, werden von den Wärtern herausge­zerrt und durch an­dere ersetzt. Um aus die­ser Höl­le herauszukommen, in eine we­niger über­füllte Zelle verlegt zu werden, beste­chen Häftlinge ih­re Aufseher mit um­gerechnet bis zu 5.000 DM. Es gibt auch Ge­fängnisse, in denen die In­sas­sen das nötige Geld zu­sam­men­le­gen und dann den Be­günstigten wie in einer Lotterie per Los be­stimmen. In Bangu kom­men die not­wendigen Reais von der Fa­mi­lie oder von Verbre­cher­syn­di­ka­ten. Je größer, je un­er­träg­li­cher die Hitze, umso hö­her stei­gen die Preise auf die­sem Schwarz­markt. Nur einmal am Tag gibt es Essen von haar­sträu­ben­der Qualität, Lebens­mittel­pa­ke­te der Angehörigen werden ge­wöhn­lich nicht ausge­händigt. Fol­terungen sind die Regel, nicht nur in Rios Gefäng­nissen. Ein An­walt be­schreibt einen Fall aus dem Jahr 1996: “Polizisten mit Ka­puzen miß­handelten 116 Ge­fan­gene mit Elektroschocks, alle wie­sen Blutergüsse auf und wur­den dar­überhinaus zu sexu­ellen Hand­lungen gezwungen.”
Fast täglich wer­den Fälle tot­ge­folterter, er­schlagener Häft­linge bekannt. Doch die politisch Ver­ant­wortlichen rühren sich kaum, nur we­nige Intellektuelle pro­testieren und die Gesellschaft scheint sich an die grauen­vollen Zustände ge­wöhnt zu haben.
Nach dem letzten offiziellen Zen­sus bieten die 511 Gefäng­nis­se Brasili­ens Platz für höch­stens 60.000 Per­sonen. Mit über 148.000 Gefangenen sind sie da­mit mehr als doppelt be­legt. Not­wen­dig, so heißt es, seien 145 neue Gefängnisse. Rund 95 Pro­zent der Häft­linge sind Arme, 96 Pro­zent Männer, etwa drei Vier­tel Voll- und Halbanal­phabeten. Der typi­sche Gefangene, so eine Stu­die, ist dunkelhäutig und jün­ger als 25 Jahre. Jeden Monat kommt es laut Statistik zu min­de­stens drei großen Häftlingsre­vol­ten; die meisten von ihnen wer­den aller­dings der Öf­fent­lich­keit ver­heimlicht.

Pervertieren statt resozialisieren

Amnesty international und Human Rights Watch/­Ame­ri­cas prangern die Zu­stände in den bra­silianischen Haftan­stalten als “pu­ren Horror” an. Aber auch die Gefange­nenseelsorge der katho­li­schen Kirche läßt nicht locker. Padre Geraldo Mau­zeroll von der Pa­storal Carçeraria im Bundes­staat Sâo Paulo: “Wer ins Ge­fängnis kommt, wird pervertiert, wird angesehen und be­handelt wie ein Tier. Niemand ist an ei­ner Besserung oder Resozialisie­rung der Insassen interessiert. Die Gesellschaft rächt sich an ihnen. Sie läßt sie intellektu­ell, seelisch, mora­lisch, kulturell und nicht selten sogar physisch ster­ben.” Padre Mauzeroll hört auf Polizeiwachen und in Gefängnis­sen sehr häufig den Spruch: “Nur ein toter Häftling ist ein guter Häftling!” Der Padre geht seit 1973 in die Gefäng­nisse und leitete die letzten sechs Jahren die Seel­sorge. Was er täg­lich zu sehen be­kommt, scheint kom­mer­ziellen Horror­filmen ent­lehnt: Häftlinge verfaulen buch­stäb­lich in ih­ren Zellen. Die Ge­fängnisärzte sind selbst Krimi­nelle, weil sie Kranke be­wußt nicht behan­deln, sie sterben las­sen, dafür aber nie zur Rechen­schaft gezogen werden. Tuber­ku­lo­se grassiert, über die Ge­sichter Tod­kran­ker laufen Amei­sen. Kri­mi­nell handeln auch Richter und Staats­anwälte, die sehr wohl über Folter und alle an­deren Men­schenrechtsverlet­zungen de­tail­liert informiert sind und den­noch nicht ein­greifen.
Gefängnisleitungen und Wär­ter ermögli­chen den Dro­gen­han­del und -kon­sum hinter den Git­ter­stäben. Ein Direktor zu Padre Mauzeroll: “Drogen müs­sen dort drin sein, damit die Ge­fangenen ruhig bleiben.”
Ein besonders fin­steres Kapi­tel ist darüber hinaus die sexuelle Ge­walt, die von perversen Auf­se­hern sogar ge­fördert wird. Padre Mauzeroll: “Wird ein we­gen Vergewalti­gung Verurteilter ein­geliefert, stecken ihn die Wär­ter extra in be­stimmte Mas­sen­zel­len, damit er dort von fünf­zehn, zwan­zig Häftlingen ver­ge­wal­tigt wird. Das ist Gesetz in den Kerkern, und so verbreitet sich Aids sehr schnell.” Selbst nach amtlichen An­gaben haben sich bereits über zwanzig Pro­zent der Insas­sen mit dem Aids-Vi­rus infiziert. Ein Großteil der rund 150.000 brasiliani­schen Ge­fan­genen hat homosexuellen Ver­kehr, gewöhnlich unge­schützt, Pro­miskuität ist normal.
Vitor Carreiro teilte in Rio eine Zelle jahrelang mit 47 ande­ren Häftlin­gen, hat jetzt sichtbar Aids und sagt es deutlich: “Alle Welt weiß, daß die Frau des Ge­fan­genen der andere Gefangene ist.” José Ferreira da Silva, eben­falls HIV-posi­tiv, berichtet von vier festen und acht gelegentli­chen Partnern. Keiner hatte Prä­servative benutzen wollen.
“Wenn die Lage in den Ge­fängnissen in Sâo Paulo und Rio de Janeiro bereits so schlimm ist”, gibt Padre Mauzeroll zu be­denken, “wie muß sie dann erst in den stark unterent­wickelten Gebieten des Nordens und Nord­ostens sein?” Padre Mauzeroll drückt sich im Ge­gensatz zu so vie­len Landsleuten um solche un­beque­men Wahrheiten nicht. Er hat keine Probleme damit, die von den Autoritäten gerne ver­steckten und verdrängten Pro­ble­me offen an­zusprechen. “Doch wer über die Zu­stände re­det und in­formiert, stirbt”, lautet eine an­dere Regel – Pistoleiros, Be­rufs­kil­ler, erle­digen dies. Padre Mau­zeroll weiß, daß auch sein Leben in Gefahr ist. Den­noch klagt er offen die soziale Ord­nung Brasi­liens an: “Sie ist schuld an der grauenhaften Si­tu­a­tion!”
Wärter und Spe­zialeinheiten ge­hen gewöhnlich äußerst brutal gegen meu­ternde Häftlinge vor. 1992 wurden im Gefängnis Ca­ran­diru von Sâo Paulo minde­stens 111 In­sassen von Militär­polizisten massa­kriert. Politisch Ver­antwortliche und di­rekt Be­tei­ligte blieben bisher straffrei. Die letzte Revolte in Carandiru er­eignete sich Ende Oktober. 670 Ge­fangene nahmen dort 27 Wär­ter als Gei­seln und forderten die Ver­legung in eine andere Haftan­stalt. Fünf Gefan­gene versuchten mit einem Müll­fahrzeug zu flie­hen, vier von ih­nen wurden von Mi­litärpolizisten er­schossen.
Die Rechtanwältin Zoraide Fer­nandez weist noch auf eine be­sondere Absurdi­tät hin. Tau­sende von Häftlingen wer­den nach verbüßter Strafe oft noch jahrelang festge­halten, allein in Rio waren es 1995 min­destens 560. Hinzu kommen jene, die unrechtmäßig in die Zellen von Po­lizei­wachen gepfercht und dort mitunter regelrecht verges­sen werden.

Menschenrechte ja – aber nicht für Schwule

Todesschwadronen jagen Homosexuelle – 1300 Morde seit 1980

Staatspräsident Cardoso präsentierte in Brasilia mit großem Pomp einen “Nationalen Plan für Menschenrechte” – doch die Show stahl ihm Luiz Mott, intel­lektueller Führer der brasilianischen Schwulenbewegung. Weil die Homosexuellen in dem Dokument nicht einmal erwähnt werden, entrollte Mott ein Transparent “Gays querem Justiça”- (Schwule wollen Gerechtigkeit) und nannte Fakten zur sy­stematischen Verfolgung der Homosexuellen in Brasilien.

Laercio, 22, und Mariquinhos, 30, wohnten in Rios armseliger Nordzone in einem simplen Häuschen, waren beliebt und gal­ten als hilfsbereit, fröhlich. In einer Novembernacht werden sie von einem der berüchtigten “Kom­mandos zur Jagd auf Gays” überwältigt – fünf Kapuzenmän­ner stoßen die beiden bis zur na­hen Bahnlinie, dann krachen Pi­stolenschüsse. Anwohner finden Laercio und Mariquinhos in ih­rem Blut, stellen erschüttert Ker­zen auf.
Luiz Mott erläutert: “In Bra­silien sind mindestens vierzehn Todesschwadronen hinter Ho­mosexuellen her. Seit 1980 wur­den über 1300 Schwule ermor­det, 1996 waren es bisher 85, aber unsere Statistik ist sehr un­vollständig.” Das stimmt, denn von den Serienmorden der letz­ten Wochen in Rio wußte Mott zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Hinzu kommt, daß Angehörige wegen der bestehenden Vorur­teile gegen die Schwulen oftmals die Natur des Verbrechens ver­schweigen.
Universitätsprofessor Mott, 50 Jahre alt, Präsident der Grupo Gay do Bahia (GGB) und Se­kretär für Menschenrechte der Bra­silianischen Vereinigung für Gays, Lesben und Transvestiten (ABGLT), lehrt in der nordost­brasilianischen Küstenmetropole Sal­vador da Bahia – auch dort werden Schwule diskriminiert, ver­folgt und ermordet. Mott spricht von “Opfern des Ma­chismus”, die Täter gingen ge­wöhnlich straffrei aus. So seien bei über vierzig Prozent der Schwulenmorde die Täter er­mittelt worden, nur zehn Prozent kamen jedoch letztlich vor Ge­richt und wurden dann fast im­mer freigesprochen.

Archiv über Homosexualität

Ein schönes Kolonialhaus in Salvador da Bahia beherbergt im ersten Stock den kleinen Sitz der Grupo Gay do Brasil mit dem immerhin größten lateinameri­kanischen Archiv über Homose­xualität. Die GGB ist die älteste und aktivste Homosexuellenver­einigung in Lateinamerika. Nach dem Klingeln schaut der Leiter zunächst prüfend auf den Besu­cher und wirft danach den Schlüssel hinunter. Oben kann man sich eine Ausstellung über homosexuelle Männer und Frauen ansehen, von Platon, Leonardo da Vinci, Shakespeare, Cleopatra und James Dean bis hin zu der berühmten Sängerin der Musica Popular Brasileiro, Maria Bethânia. Man wird höf­lich zu den zwei wöchentlichen Versammlungen eingeladen, an denen auch Bi- und Heterosexu­elle teilnehmen. Vor dem Ab­stieg über die steile Holztreppe teilt der GGB-Leiter Präserva­tive, “Camisinhas”, aus – schließlich ist die Gruppe beson­ders aktives Mitglied in der vom Gesundheitsministerium geführ­ten Nationalen Kommission zur AIDS-Bekämpfung.
In der Stadt selbst machen die Homosexuellen drastisch auf sich, ihre Freuden und Probleme aufmerksam. “Liebe mit Vor­sicht – suche Deine amantes bes­ser aus”, steht groß auf Schauta­feln, und “Laß Dich nicht von AIDS ins Jenseits befördern, aber laß Dich auch nicht ermor­den!” Die Warnung ist nicht un­begründet, druckte doch gar eine große lokale Zeitung regelmäßig folgende Anzeige: “Halte Salva­dor sauber – töte jeden Tag einen Homo!”

Erscheinungsebene – Wirklichkeit

Brasiliens Schwulenszene prä­sentiert sich anders als zum Beispiel jene in San Francisco oder gar in Deutschland. Gays fallen viel mehr auf, haben ihre Kneipen, Discos, Strände, Zeit­schriften. Der Terror gegen Schwule existiert indessen wei­ter, scheint sogar stark zuzuneh­men. Motts Grupo Gay do Bahia hat deshalb ein “Über­le­benshandbuch” publi­ziert, das zahl­reiche praktische Tips zur Selbstverteidigung gibt. Mott hat das Handbuch in Brasi­lia, Belo Horizonte, Curitiba und Recife vorgestellt. In jeder Stadt gab er die Namen der dort in den letzten Jahren ermordeten Schwulen be­kannt. Die meisten Verbrechen ereigneten sich aber in Rio de Janeiro, Sâo Paulo und Salvador da Bahia.

Umfragen und Machismus

Daß Schwule diskriminiert werden, zeigen neue repräsenta­tive Umfragen: So würden 36 Pro­zent der BrasilianerInnen ei­nem Homosexuellen selbst dann nicht eine Arbeit geben, wenn er der bestqualifizierte Bewerber wäre. JedeR Fünfte würde sich von einem homosexuellen Kol­legen bewußt fernhalten, 56 Pro­zent würden zumindest ihr Ver­halten ändern. 79 Prozent, im Nordosten sogar 87 Prozent, ak­zeptierten auf gar keinen Fall, daß ihr Sohn mit einem Ho­mosexuellen ausginge. Und 62 Prozent meinen, daß Eltern die Änderung der homosexuellen Orientierung ihrer Söhne er­zwingen müßten.

Politisches Asyl für Schwule

Gay-Menschenrechtsgruppen in San Francisco prangern seit Jahren die Zustände in Brasilen an. 1993 gewährten die USA erstmals einem brasilianischen Schwulen politisches Asyl. Der Begünstigte heißt Marcelo Teno­rio, Luiz Mott trat in dem Asyl­verfahren als Zeuge auf und wurde dafür zuhause in den Me­dien niedergemacht. Das Asyl, hieß es, basiere auf einer Lüge über Brasilien; Schwule würden nicht systematisch getötet. In den letzten Wochen erhielten zwei weitere Homosexuelle Asylsta­tus, wollen aber anonym blei­ben, aus Angst, daß Familienan­ge­hö­ri­ge in Brasilien Repressa­lien er­lei­den könnten. Eine un­bekannte Zahl brasilianischer Homo­sexu­el­ler lebt illegal in den USA. Mög­licherweise werden jetzt wei­tere einen Asylantrag stellen.

KASTEN

Staatstrauer für Ex-Diktator

Nach dem Tod des Ex-Generalpräsidenten Ernesto Geisel im Sep­tember 1996 ordnete Fernando Henrique Cardoso per Dekret acht Tage Staatstrauer an. Geisel war von 1974 bis 1979 der dritte Generalpräsident der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985). Geisel war bereits zur Amtseinführung von Cardoso gela­den worden. 1995 traf sich der Präsident mit dem EX-Diktator und wollte dies ausdrücklich als “Würdigung” verstanden wissen.
Die Homenagem weckte in der Tat Aufmerksamkeit. Denn bei Gei­sel und seinem ebenfalls im Regimeapparat dienenden Bruder Or­lando handelte es sich um Vertreter der “harten Linie”, die kei­nes­wegs nur militante Diktaturgegner rücksichtslos verfolgen, fol­tern und ermorden ließen. Dies hat gerade ein wichtiger Zeit­zeuge bestätigt: Reserveoberst Jarbas Passarinho, Mitautor der berüchtigten Ausnahmegesetze von 1968 und Minister unter drei Dik­taturgenerälen, sagte im brasilianischen Fersehen, daß ein Groß­teil der Greueltaten an Linken in Geisels Regierungszeit be­gangen worden seien. Die Medien pflegten dagegen stets dessen Amts­vorgänger Emilio Garrastazzu Medici die Verantwortung für die größten Schlechtigkeiten des Militärregimes aufzubürden.

Hintergrund von 2001:

 

„Unerklärter Bürgerkrieg“ in Brasilien
Über 40000 Morde jährlich/Zunahme von Attentaten

 

Im Kontext der jüngsten internationalen Konflikte weisen brasillianische Experten immer nachdrücklicher darauf hin, welche hohen Menschenopfer der sogenannte „unerklärte Bürgerkrieg“ in Brasilien kostet. Wie die Universitätsprofessor und Politik-Berater Gaudencio Torquato jetzt  in einer Analyse mit dem Titel „Wir und Afghanistan“ betonte, werden aus politischen und kriminellen Motiven selbst laut den geschönten offiziellen Angaben jährlich rund 40000 Menschen ermordet.

 

     Hätte  Deutschland, mit einer etwa halb so großen Bevölkerung, diese Rate, wären es pro Jahr etwa 20000 Getötete. Tatsächlich waren es im Jahr 2000 laut BKA-Angaben nur 1015.

 

Torquato zählte zu den Gründen der hohen Opferzahlen, daß die zehntgrößte Wirtschaftsnation anders als Afghanistan zwar sämtliche Hochtechnologie der letzten Generation nutze, die soziale Polarisierung zwischen den Privilegierten und den armen Schichten sich jedoch weiter verschärft habe. Die hohe Gewaltrate habe dazu geführt, daß nachbarschaftliches Zusammenleben immer weniger gepflegt werde, die brasilianische Gesellschaft sich von der menschlichen Solidarität verabschiede. Gängige Reaktion angesichts der täglichen Morde sei leider nur:“Gut, daß es mir nicht passiert ist.“

 

Derartige Verfallsprozesse resultieren laut Torquato aus einer „politisch-institutionellen Kultur“, die sich mit den alltäglichen Skandalen um hohe Volksvertreter und den Fällen von Regierungskorruption weiter degradiere. 

 

Brasilianischer Menschenrechtsaktivist
“Generation eiskalter Killer“ wächst heran

 

Brasilien züchtet nach den Worten des angesehenen Menschenrechtsaktivisten Eduardo Capobianco „eine Generation eiskalter Killer“heran.“Sie töten einen Menschen mit der selben Leichtigkeit, mit der sie eine Coca-Cola trinken“, sagte er im Dezember während der Auszeichnung mit einem Bürgerrechtler-Preis in Sao Paulo. Capobianco, Präsident von zwei regierungsunabhängigen Institutionen, die das organisierte Verbrechen sowie die tiefverwurzelte Korruption in Politik und Wirtschaft bekämpfen, hatte erst Anfang Dezember in der City der 17-Millionen-Stadt ein Attentat überlebt. „Brasilien hat gravierende soziale Ungleichheiten und eine kapitalistische Kultur, die auf dem Konsum basiert, Städte des Konsumismus wie Sao Paulo. Das stimuliert letztlich Gewalt – Armut allein ist dafür nicht verantwortlich zu machen.“ In entwickelten Ländern wie Japan entfalle statistisch pro Jahr ein Mord auf hunderttausend Einwohner – in einer Stadt wie Sao Paulo seien es dagegen gemäß offiziellen Zahlen immerhin fünfzig. Indessen gebe es bereits leichte Fortschritte bei der Verbrechensbekämpfung, die Arbeit seiner beiden Institutionen mißfalle der Gegenseite sehr und habe das Attentat bewirkt.

 

Capobianco überlebte den Anschlag nur, weil er eine Mappe mit Büchern vor die Herzgegend hielt, Kugeln darin steckenblieben bzw. nur seine Beine trafen. Weder die Polizei noch er selbst haben einen Hinweis auf die Täter und deren Hintermänner.

 

In den letzten drei Monaten kam es in Brasilien zu einer Attentatsserie, bei der mehrere Gewerkschaftsführer, ein progressiver Großstadtbürgermeister sowie Umweltaktivisten getötet wurden, Bombenanschläge forderten glücklicherweise keine Opfer. Eine bislang unbekannte rechtsextreme Organisation schickte Morddrohungen an 37 Bürgermeister der linkssozialdemokratischen Arbeiterpartei PT im Industrie- Teilstaat Sao Paulo, dessen Bruttosozialprodukt das von ganz  Argentinien übertrifft. 

 

Systematische Folterungen weiter alltäglich – trotz Anti-Folter-Gesetz
Menschenrechtler skeptisch über  offizielle PR-Kampagne

 

Der Dreißig-Sekunden-TV-Spot ist gut gemacht, drastisch-realistisch: Ein Mann, halbnackt, blutend, gefesselt, wird von einem Sadisten gequält, mit dem Kopf immer wieder in einen Wassertank getaucht, soll Informationen preisgeben, ein Geständnis ablegen. Ein Dritter sieht die Szene, rennt zum Telefon, wählt die neue Gratis-Nummer von „SOS Tortura“, erstattet anonym Anzeige. Jeder sollte ab sofort genauso handeln, lautet der Appell an die Fernsehzuschauer – „denn Folter ist ein Verbrechen!“ Daß Brasiliens Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso, Ehrendoktor der FU Berlin, jetzt auch in Rundfunk und Presse eine solche Medienkampagne starten ließ, einmalig in der Geschichte Brasilien, könnte die Menschenrechtler des In-und Auslands optimistisch stimmen. Doch Skepsis überwiegt. Befürchtet wird, daß Brasilia damit lediglich  auf Imageverbesserung bei den Vereinten Nationen zielt. Deren Experte für Folterfälle, Nigel Rodley, hatte letztes Jahr nach einer Reise durch mehrere Teilstaaten die Zustände als erschreckend und eigentlich unbeschreiblich angeprangert. Nicht anders sieht es Amnesty International, stellte deshalb  in der 17-Millionen-Stadt São Paulo, Lateinamerikas führendem Wirtschaftszentrum, im Oktober kurz vor Kampagnebeginn der brasilianischen Öffentlichkeit den neuesten Bericht über Folter und Mißhandlungen vor. Tatverdächtige, Festgenommene, Untersuchungshäftlinge und Strafgefangene systematisch Torturen zu unterwerfen, auch von völlig Unschuldigen Geständnisse unter Folter zu erpressen, gehört danach weiterhin zur  Alltagsroutine im Apparat der Militär-und Zivilpolizei. Laut Patrick Kopischke, Brasilien-Experte von Amnesty International, hat der starke politische Druck, die überbordende Kriminalität zu bekämpfen, dazu geführt, daß Folter andere Ermittlungsmethoden ersetzt. Allein in São Paulo, wo über eintausend deutsche Unternehmen, von VW bis Daimler-Benz, ansässig sind, werden laut offiziellen Angaben monatlich über 440 Menschen ermordet. Zum üblichen Nachrichtenangebot der  Radio-und TV-Stationen gehören die unaufhörlichen Gefangenenrevolten in den mit fast 100000 Insassen völlig überfüllten Polizeiwachen, Haftanstalten und provisorischen Gefängnissen der Metropole. Pro Monat werden rund eintausend weitere mutmaßliche oder tatsächliche Straftäter in teils fensterlose Zellen gepreßt, wo bereits bis zu 168 Männer auf einem Raum zusammenhocken müssen, der eigentlich nur für höchstens dreißig gedacht war. Wegen der schlechten Luft, der unhygienischen Zustände, des ständigen Fäkaliengeruchs und des damit verbundenen psychischen Drucks sind Aufstände die logische Folge – niedergeschlagen werden sie mit äußerster Brutalität, gibt es fast immer Tote. „Man greift auf Folter und Mißhandlungen zurück, um ein katastrophales Gefängnissystem unter Kontrolle zu halten“, betont deshalb Kopischke, grundlegende Reformen seien nötig, nicht nur kosmetische Verschönerungen. Aktivisten von Amnesty und anderen Menschenrechtsgruppen Brasiliens empört zudem  besonders, daß das auf ihren Druck hin erlassene Anti-Folter-Gesetz von 1997 an den Zuständen kaum etwas änderte, Täter gewöhnlich straffrei ausgehen, selbst aus der Diktaturzeit berüchtigte Folterer weiter im Dienst sind. Gemäß neuen UNO-Angaben verzeichnet der Teilstaat Minas Gerais die meisten bekanntgewordenen Folterfälle, ist die Polizeibrutalität traditionell besonders hoch. Dies gilt als Erbe des Militärregimes(1964-1985), als Fachleute der CIA gemäß Angaben von Zeitzeugen  den Militär-und Zivilpolizisten in Kursen auch Foltertechniken beibrachten. „Heute noch sind es die gleichen“, so der renommierte Menschenrechtsanwalt Antonio Aurelio, „vor allem Elektroschocks, Aufhängen kopfunter an einer Stange, Eintauchen in Wassertanks, Schläge auf beide Ohren, Erstickungsanfälle mittels über den Kopf gestülpten Plastiksäcken“. Im Juni letzten Jahres wurden in einer Polizeiwache São Paulos etwa zweihundert Gefangene, einer nach dem anderen, völlig unbekleidet,  mit Elektroschocks gepeinigt. Bei weiteren Mißhandlungen starb ein Insasse, dreißig weitere erlitten teils schwere Verletzungen. Die beteiligten Polizeikommissare sind weiterhin im Dienst.  Beim Interview  mit dem Polizeichef einer nordostbrasilianischen Stadt fand dieser nichts dabei, den an den landesüblichen Elektroschock-Apparaturen verwendeten Regler sichtbar  auf seinem Schreibtisch liegen zu lassen.

 

Über 40000 brasilianische Kinder arbeiten auf stinkenden Müllbergen
Unicef und NGO entwickeln Alternativprojekte

 

 Im Kriechgang, fast mit Vollgas, arbeitet sich der Müll-LKW in Serpentinen fast bis zur Haldenspitze vor, kippt dort, an der Peripherie der 17-Millionen-Stadt São Paulo, bei 35, 40  Grad Tropenhitze stinkende Abfälle aller Art ab. Auf diesen Moment haben Schwärme von Schmeißfliegen, aber auch Dutzende von Kindern und Jugendlichen nur gewartet. Mit Säcken über der Schulter stürzen sie sich auf  die Ladung, sinken bis zu den Knien ein, wühlen neben schwarzen Aasgeiern nach Essensresten, Glas-und Plastikflaschen, Papier und Getränkebüchsen aus Aluminium. Alles wird getrennt, sortiert, ein Stück entfernt bei  anderen Familienmitgliedern angehäuft, Alu-Büchsen tritt man mit dem Fuß platt. Metallfirmen oder Papier-und Textilfabriken nehmen alles für lächerlich geringe Preise ab – jedes dreckverschmierte, oft von Hautkrankheiten gezeichnete Müll-Kind kommt pro Tag höchstens auf umgerechnet vier, fünf Mark – überlebenswichtig für die Familien an der Slum-Peripherie von Lateinamerikas reichster Stadt und Wirtschaftslokomotive, aber auch von Rio de Janeiro, Salvador da Bahia oder Recife. In ganz Brasilien sind es über vierzigtausend „Crianças do Lixo“, Müll-Kinder – die nie zur Schule gehen, oder es aufgaben, weil man sie lächerlich machte, diskriminierte. Vor ein, zwei Jahren waren es indessen noch über dreizehntausend mehr – bevor das UN-Kinderhilfswerk Unicef  und die regierungsunabhängige Organisation „Agua e Vida“(Wasser und Leben) Projekte starteten, Druck auf den Staat, lokale Behörden ausübten, um diese schändliche Form der Kinderarbeit zu bekämpfen.

 

Hautkrankheiten, Cholera

 

Daß Minderjährige in einem Land, das zu den zehn größten Wirtschaftsnationen gehört, den ganzen Tag im Müll waten müssen, anstatt zu spielen und zu lernen, nennt Afonso Lima, Unicef-Mitarbeiter in São Paulo, einfach entsetzlich, unmenschlich. Die Regierung hat zudem internationale Konventionen, darunter gegen Kinderarbeit unterzeichnet, die derartiges eigentlich verbieten. „Weil die meisten Kliniken  ihre sämtlichen Abfälle unsortiert und unbehandelt ebenfalls auf die Halde kippen, können sich die Kinder sogar gefährliche Krankheiten holen, finden Spritzennadeln, Chemikalien aller Art.“ Für seine Kollegin Paula Claycomb aus den USA fehlt es auch an politischem Willen. „Die brasilianische Gesellschaft muß endlich verstehen, daß stinkende Abfallhalden nicht der richtige Ort für Kinder sind.“ Dabei wurde bereits eine Menge erreicht: Unicef und die NGO „Agua e Vida“ brachten in geduldiger Überzeugungsarbeit Gouverneure und viele Gemeinden dazu, Mittel für die Gründung von Müll-Recycling-Kooperativen freizugeben, sogar Gebäude bereitzustellen. Der Vorteil: Wiederverwertbares wird bereits an Wohngebäuden, Supermärkten, Bürohäusern aussortiert – und nicht erst,  mit organischen Abfällen verschmutzt, auf der Halde. Resultat: Das Familieneinkommen steigt, die Kinder brauchen nicht mehr mitzuarbeiten, gehen stattdessen zur Schule. Eine geringe staatliche Hilfe von  monatlich umgerechnet über zehn Mark pro Kind wird auch an viele andere verelendete Familien nur gezahlt, wenn sie ihre Kinder kontinuierlich in die Schule schicken. „Und das funktioniert“, bekräftigt die NGO-Koordinatorin Teia Magalhaes in São Paulo. „Nur ist es leider oft so: Wir holen eine Familie aus dem Müll, doch andere treten sofort an deren Stelle – Folge der Misere in Brasilien.“ Da die Cholera im Lande längst nicht ausgerottet ist, man sich gerade auf den riesigen Abfallbergen leicht anstecken kann, verbreitet Teia Magalhaes auch ein entsprechendes Aufklärungs-Video, organisiert zusammen mit Präfekturen Musik-und Tanzkurse, um frühere „Crianças do Lixo“ in der Schule zu halten, an Kultur heranzuführen.

 

Banker und Müllsammler

 

Auch über  Lateinamerikas Wallstreet, die Banken-Avenida Paulista, zerren täglich ungezählte schwitzende, zerlumpte Catadores do Lixo, Müllsammler, ihre hölzernen Karren, hochbeladen mit Verpackungen und anderem Material. Eigentlich sollten  die Catadores allen Respekt verdienen: Nur ihnen ist es zu verdanken, daß immerhin achtzig Prozent der Aluminium-Getränkebüchsen, siebzig Prozent der Pappe und  dreißig Prozent der Flaschen recycelt werden. Nur hier und da trifft man bereits auf jene Hausmüll-Container wie in Deutschland – ausgerechnet in einem Drittweltland wie Brasilien ist Ressourcenverschwendung weiterhin die Regel. Was vergeudet wird, ob Nahrungsmittel, Strom oder Wasser, hat laut neuesten Studien immerhin einen Wert von jährlich umgerechnet über einhundert Milliarden Mark. Besonders provozierend in einem Land mit ernsten Hungerproblemen: Was São Paulos Supermärkte an Lebensmitteln wegwerfen, reichte wertmäßig bequem aus, um monatlich 600000 Slum-Familien mit Grundnahrungsmitteln zu versorgen.

 

Padre Julio Lancelotti kämpft gegen Folter an Kindern und Jugendlichen
Hohes Lebensrisiko, Morddrohungen, tätliche Angriffe
Auch von Unicef wegen Engagements für Kinderrechte ausgezeichnet

 

„Erstmals konnten wir jetzt achtzehn Aufseher, sogar drei Direktoren, wegen Folter vor Gericht bringen“, sagt Padre Julio Lancelotti im Büro des von ihm geleiteten „Zentrums zur Verteidigung von Kindern und Jugendlichen“ der Millionenstadt São Paulo. Aber Freude, Zufriedenheit über diesen kleinen Sieg ist ihm nicht anzumerken. Denn auf einen Schlag hat er damit noch mehr erbitterte Feinde unter den Mitarbeitern der gefängnisähnlichen Anstalten für straffällig gewordene Minderjährige(Febem). Von den letzten Attacken hat er sich noch nicht erholt: Als in einer Febem-Einheit wiederum Jugendliche gegen Mißhandlungen, Überfüllung rebellierten, fuhr er sofort hin – eine Gruppe von Febem-Angestellten schlug ihm Zähne aus, trat auf ihn ein, zerbrach die Brille. Militärpolizisten schauten bewußt eine ganze Weile zu, griffen erst spät ein. „Sogar  das Kreuz, das ich um den Hals trug, ein Geschenk aus Osnabrück, wurde mir abgerissen – hier ist die Situation eben längst außer Kontrolle.“ Lancelotti, der auch ein Heim für Aids-infizierte Kinder führt,  erhält regelmäßig Morddrohungen – andere Pfarrer São Paulos haben ihr Engagement für Menschenrechte bereits mit dem Leben bezahlt – in Brasilien kommt es täglich zu politischen Morden, Attentaten.  Theoretisch können er und seine Anwälte sich auf das Anti-Folter-Gesetz, das Statut zum Schutze der Heranwachsenden berufen. „In Brasilien dominiert aber leider Straflosigkeit, Folterer bleiben gewöhnlich ungeschoren, werden nicht einmal entlassen, sind durch die Autoritäten geschützt.“

 

„Kultur der Folter“

 

Daß die Gesetze nicht funktionieren, erklärt Lancelotti mit für manchen Europäer sicher  überraschenden Gründen:“In diesem Land existiert die Sklavenhalterkultur, auch eine Kultur der Folter weiter – ein Großteil der Brasilianer befürwortet Torturen, die Todesstrafe, die Herabsenkung des Strafmündigkeitsalters auf sechzehn, teils sogar vierzehn Jahre.“ Im Teilstaate São Paulo, dem reichsten ganz Brasiliens, mit weit über eintausend deutschen Unternehmen, sind in den Febem-Anstalten derzeit mehr als viertausend Heranwachsende konzentriert, täglich kommen etwa dreißig hinzu. Wo eigentlich gemäß den Vorschriften nur Platz für sechzig Minderjährige ist, werden in Zellen bis zu vierhundert zusammengepfercht, sind gewöhnlich völlig sich selbst überlassen. „Als letztes Jahr der UNO-Sonderberichterstatter für Folter, Nigel Rodley, hier war, erklärte man ihm allen Ernstes, Jugendliche hätten sich Verletzungen selber beigebracht, im Streit miteinander.“ Der Padre, die eng mit ihm kooperierende Anwältin Francisca de Assis Soares, wissen von solchen Fällen, auch von sexueller Gewalt unter den Jugendlichen. Doch das sind Ausnahmen. Die Struktur dieser Anstalten ziele auf  Unterdrückung, Entwürdigung, Verrohung – „über viele besonders sadistische Folterungen“, so Lancelotti“,  reden wir öffentlich gar nicht mehr, weil es uns ja doch keiner glaubt.“ In einer Febem-Anstalt hatte man allen Ernstes Skinheads angestellt,  wegen ihrer Aggressivität von den Minderjährigen  nur „Pitbulls“ genannt.

 

Sadismus der Aufseher

 

 Bekommen Lancelotti und sein Team Wind von Mißhandlungen, fahren alle sofort los, um gerichtsverwertbare Beweise zu sammeln, Torturen zu unterbrechen. „In einer Anstalt trafen wir auf über vierzig gefolterte Jugendliche – mit schweren Verletzungen, gebrochenen Armen und Beinen!“ Rebellieren Insassen einer Febem-Einheit, toben sich bei der Niederschlagung Aufseher, herbeigerufene Polizisten sadistisch aus.“Jugendliche mußten tagelang nackt hintereinander aufgereiht und aneinandergepreßt auf dem Boden hocken, das Geschlechtsteil am Gesäß des Vordermanns, durften nur in Plastikflaschen urinieren, die man dann über ihnen ausschüttete. Scharfe Hunde wurden rudelweise zwischen die Insassen gehetzt – wer deshalb aufstand, erhielt sofort Schläge. Und selbst das – Wärter zwingen Jugendliche, auf andere Insassen zu urinieren. Alles Folterpraktiken, tief entwürdigend!“

 

Aber könnte die Mitte-Rechts-Regierung unter  Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso, Bewohner São Paulos, Ehrendoktor der Freien Universität Berlin, diese Zustände nicht ändern? „Brasilien ist nur eine formale Demokratie“, analysiert Lancelotti, „die Politiker in Brasilia leben wie auf einem anderen Planeten, fern der Realität, wollen von diesen Dingen nichts wissen – Zugang zu Präsident Cardoso haben wir nicht.“ Bestenfalls mit Galgenhumor registriert der Padre, welches Prestige Cardoso gerade in Europa, auch in  Deutschland genießt:“Der Präsident führt sich wie ein Prinz auf, erhält überall Doktortitel. Aber wenn man in europäischen Zeitungen oder in der Genfer UN-Menschenrechtskommission über diese Zustände hier spricht – das mag er, seine Regierung, garnicht.“

 

Lancelotti räumt ein, daß ihn die Menschenrechtsarbeit zugunsten der Minderjährigen Brasiliens streßt, psychisch ermüdet. „Der Haß auf uns ist groß, wir werden verfolgt, lächerlich gemacht, sind nur wenige – und die Folter nimmt zu!“ Mit seiner Wochenkolumne in einer Tageszeitung São Paulos erreicht er wenigstens einen Teil der Öffentlichkeit. Und ein bißchen Mut macht, daß ihn das UN-Kinderhilfswerk Unicef im neuesten Jahresbericht ausdrücklich als Anwalt der Heranwachsenden Brasiliens hervorhebt.

Manche Medien berichten über Brasiliens gravierende Menschenrechtslage – andere nicht.

“Die Zensur gibt nie auf.” “The censorship never gives up.” Zensur heute – auch dank Google relativ leicht zu entdecken. **

 

The best of non-profit advertising and marketing for social causes

The censorship never gives up

Posted by Marc | 12-05-2008 23:21 | Category: Human rights, Media

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Two ads from Associação Brasileira de imprensa, the Brazilian press organisation.
Copy: “A censura nunca desiste. Ela sempre volta disfarçada. 3 de Maio Dia Mundial da Liberdade de Imprensa.”
“The censorship never gives up. It always return disguised. 3th of May, world day for the freedom of press.”

I have seen more censorship ads from Brazil in the past. What going on? Is censorship a big problem in Brazil?

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”Leider sind es nicht mehr so viele, die die ganze Wahrheit wissen wollen. Man biegt sehr schnell ab, um bei seiner Meinung bleiben zu können – und bei den als angenehm empfundenen Lösungen. Ich habe mir angewöhnt, Leute danach zu beurteilen: Wieviel Wahrheit erträgt jemand?” Deutscher Menschenrechtsbeauftragter Günter Nooke im Website-Interview 2009.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/18/matices-medien-staat-und-gesellschaft-in-lateinamerika-ankli

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/07/eu-lateinamerika-karibik-stiftung-startet-in-hamburg/

Brasiliens Gefangenenseelsorge – der deutsche Pastor Wolfgang Lauer.

Samstag, 10. Dezember 2011 von Klaus Hart   **

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1624771/

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http://brueckenbauer.blogspot.com/2011_05_01_archive.html

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/03/bundesprasident-christian-wulff-dilma-rousseff-und-der-zugige-bau-des-neuen-atomkraftwerks-angra-3-bei-rio-de-janeiro-mit-deutscher-bundesburgs

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/11/20/afro-missa-im-franziskanerkloster-von-sao-paulo/

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Sklavenarbeit in der Demokratie unter Lula-Rousseff: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/06/brasiliens-spezialdemokratiefirmen-behandeln-arbeiter-wie-sklaven-frankfurter-rundschau-deutsch-brasilianisches-jahr-20132014-gemeinsame-werte-politik-von-lula-rousseff/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/10/26/die-fakten-widerlegen-das-wir-eine-reprasentative-demokratie-sind-streng-genommen-sind-wir-nicht-einmal-eine-demokratie-joao-ubaldo-ribeiro-bestsellerautor-in-einer-politischen-analyse-am-ta/

“Stolz, ein Brasilianer zu sein”:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/25/stolz-ein-brasilianer-zu-sein-aufschrift-auf-der-arbeitskleidung-der-strasenkehrer-in-der-megacity-sao-paulo-anregung-fur-deutsche-stadtreinigungen/

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Ausriß.

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/26/pressefreiheit-in-brasilien-von-58-auf-99-platz-zuruckgefallen-auf-welt-ranking-von-reporter-ohne-grenzen/

Leonardo Boffs Ungereimtheiten

 

In Ländern wie Deutschland betreibt eine bestimmte Gutmenschen-Szene um den einst interessanten brasilianischen Befreiungstheologen einen regelrechten Kult. Sie bewahrt ihn vor öffentlicher Kritik, die als politisch unkorrekt gälte. Im Tropenland dagegen wird Boff seit den neunziger Jahren zunehmend heftig kritisiert. Selbst frühere Anhänger werfen ihm Fehleinschätzungen über die katholische Kirche, intellektuelle Unehrlichkeit und Opportunismus vor. Boff sei eitel auf Medienpräsenz aus – was mit Verbalattacken auf Papst und Vatikan natürlich am leichtesten gelinge.
In der Tat wirkt Boffs Eindreschen auf den Papst infantil und lächerlich. Nationale Religionsexperten bescheinigen ihm eine unbestreitbare Rolle in der Reflexionsgeschichte Brasiliens, nennen ihn sehr intelligent und intuitiv. Boff spüre sehr gut bestimmte gesellschaftliche Probleme und Tendenzen, sei ein brillanter Professor. Doch seine Äußerungen müssten kritisch analysiert werden – andernfalls akzeptiere man häufig Dinge, die nicht der Wahrheit entsprächen.
In Deutschland sind evangelikale Wunderheiler-Sekten unbeliebt – Boff begrüßte indessen bereits im Jahr 2000 öffentlich die Expansion der Evangelikalen vorbehaltlos als Bereicherung. In Brasilien fasste man sich an den Kopf. Denn die evangelikalen Sektenkirchen propagieren massiv die „Theologie der Prosperität“, wonach materieller Wohlstand eine Gabe Gottes sei und durch die Macht des Glaubens erreicht werden könne. An Misere, persönlichem Misserfolg sei der Teufel schuld, den man auf speziellen Tempelsitzungen austreibe – wobei natürlich jeder Gläubige soviel Geld wie möglich an die Kirche spenden müsse. Mit dieser Theologie, analysieren Sozialwissenschaftler, verbreiten die Evangelikalen Illusionen, beuten die Leute aus, schaffen Leiden. Und fördern sogar Rassismus und Diskriminierung, da die schwarze Bevölkerung nunmehr nur deshalb arm sei, weil sie sündige. Gemäß aus Afrika ererbten Schlechtigkeiten werde sie als eine verfluchte Rasse angesehen, die sich von allen Vorfahren und Wurzeln lösen müsse.
Wenn Boff diese wie Wirtschaftsunternehmen funktionierenden Kirchen als Bereicherung auffasse, müsse man seine Bewertungen relativieren, zeige sich zunehmende Oberflächlichkeit. Im akademischen Umfeld, bei den Studenten sei Boffs frühere Attraktivität weg.
Boff müsste wissen, dass evangelikale Kirchen im Christlich-Ethischen mancherlei Sonderwege fahren. So wurde ein Bischof der politisch einflussreichen „Universalkirche vom Reich Gottes“, der Brasiliens zweitgrößter TV-Sender gehört, wegen Mordes eingesperrt. In Salvador da Bahia hatte er laut Polizei im Tempel gemeinsam mit zwei Pastoren einen 14-jährigen Jungen sexuell missbraucht und danach lebendig verbrannt.
Manche mögen Boff zustimmen, wenn er die Evangelikalen-Ausbreitung begrüßt, weil ihm „jede Art von Vielfalt“ so gefällt. Denn nun ist in rappelvollen „Gotteshäusern“ endlich mal echt was los, ziehen Ex-Killer und Ex-Frauenaufreißer wie Pastor Salles vom Leder:„Ich war reich, hatte Villen und tausende Frauen – in Rio hörten tausende schwerbewaffnete Banditen auf mein Kommando. Ich war Bankräuber, Berufskiller, Monster, Psychopath – so viele Opfer flehten vergeblich um Barmherzigkeit! Wie von den Dämonen gefordert, habe ich mit meiner Frau unseren sechs Monate alten Sohn getötet, in der Pfanne gebraten, sein Fleisch gegessen – ich war schon in der Hölle!“
Frei Betto, wichtigster Befreiungstheologe Brasiliens, hochangesehen bei Kardinälen, Bischöfen und Padres der Kirche des Riesenlandes, analysiert solche evangelikalen Sekten tiefgründig, fühlt sich durch ihre nervende Präsenz im Alltag nicht eben bereichert. Leonardo Boff indessen wirft kurioserweise dieser Kirche „feudale Mentalität“, „totalitäre Ideologie“ und „mittelalterliche Strukturen“ vor, gar die Ablehnung von Kritik und Alternativen.  Damit hat er schlichtweg die Dynamik, Entwicklung und Komplexität der katholischen Kirche nicht begriffen. Als anschauliches Beispiel gilt, dass Rom zwar Kondome kritisiert, deren massive Verteilung in der pastoralen Aids-Prävention indessen zulässt – und fördert, gemäß katholischer Moraltheologie.
Der Soziologe Claudio Monteiro leitet in Sao Paulo die bischöfliche Aids-Pastoral – direkt neben seiner Bürotür kann sich jedermann aus einem stets gut gefüllten Plastikbehälter gratis und überreichlich  mit Kondomen eindecken. Monteiro lacht über Boffs Vorwurf, dass die katholische Kirche in der Kondomfrage lebensfeindlich, verantwortungslos und intolerant handele. „Leonardo Boff gehörte zum Franziskanerorden, der in Brasilien eines der ersten Aids-Präventionsprojekte startete und natürlich Kondome verteilt – seit über 16 Jahren. Unsere nationale Aids-Pastoral, von einem Bischof geführt, verfährt genauso. Völlig unmöglich, daß Boff davon nicht weiß. Wenn er die Ausbreitung der Evangelikalen, die Expansion des religiösen Fundamentalismus positiv bewertet, ist dies fragwürdig und anfechtbar.“
Boff greift immer wieder auch in die Politik ein. Im letzten Präsidentschaftswahlkampf unterstützte er zuerst die evangelikale Predigerin Marina Silva. Die Ex-Umweltministerin zählte zur Revolutionären Kommunistischen Partei Brasiliens, wuchs im befreiungstheologischen Spektrum der Katholiken auf und ging dann zur „Assembleia de Deus“. Richtig, die von Pastor Salles, dem Ex-Killer und Ex-Frauenaufreißer, die zudem laut Eigendarstellung Homos zu Heteros umdreht und Strich-Transvestiten zu Geistlichen macht.
Zuletzt wechselte Marina Silva von Lulas Arbeiterpartei zu den brasilianischen Grünen. Die verkaufen sie als lupenreine Umweltschützerin – obwohl zahlreiche verhinderbare Umweltverbrechen in ihre Amtszeit fallen. Amazonas- und Savannenwälder werden vernichtet, Brasilien avanciert zum weltgrößten Agrargiftverbraucher, das Geschäft mit Gen-Pflanzen boomt. Umweltschützer laufen Sturm gegen das gigantische Umleitungsprojekt am Rio Sao Francisco – Marina Silva verteidigt es als „ökologisch nachhaltig, wirtschaftlich machbar und sozial gerecht“. Was sie von massenhafter Folter durch Staatsangestellte oder von den landesweit operierenden Todesschwadronen hält, erfährt man bis heute nicht.
2002 nahm Leonardo Boff begeistert an der Wahlkampfkarawane von Lula teil, verglich ihn mit Mahatma Gandhi, lobte sogar dessen Vize, den Milliardär und Diktaturaktivisten José Alencar. Angesichts der Korruptionsskandale schwenkte er später um, verurteilte Lulas Politik als niederträchtig neoliberal.
2010 aber, als Marina Silva die Stichwahl nicht erreichte, wechselte Boff flugs zu Lulas Wunschkandidatin und bisheriger Chefministerin Dilma Roussef – und wieder zu Lob über den grünen Klee: „Lula machte die größte Revolution der sozialen Ökologie des Planeten, eine Revolution für die Bildung, ethische Politik.“ Die gravierenden Menschenrechtsverletzungen, den strikt antiökologischen Kurs von Lula-Rousseff kritisiert er nicht, die von ihm so heftig gescholtene, stark systemkritische katholische Kirche Brasiliens tut das umso kräftiger: Fehlende soziale Besorgnis bei Lula und Rousseff trotz Hunger, Misere und rasch wachsenden Slums, Zementierung der grauenhaft ungerechten Einkommensverteilung, Begünstigen der ohnehin Privilegierten. Boff faselt von sozialer Ökologie-Revolution, dabei ist längst klar, dass Dilma Rousseff das umweltvernichtende Mega-Wasserkraftwerk „Belo Monte“ in Amazonien unbedingt realisieren will. Nach ihrem Wahlsieg erneut ein Schwenk: Boff geißelt das Belo-Monte-Projekt.
Mancher hat vielleicht den desillusionierenden ARD-Weltspiegel-Beitrag „Brasilien: Kindsmord am Amazonas“ über das Töten von Kindern bei Indianerstämmen gesehen – rund 600 Babies werden danach jährlich allein in Amazonien umgebracht. Viele Indianer sitzen wegen Sex mit Kindern im Gefängnis, auch Indios sind als Naturzerstörer bekannt. Yanomami pflegen gar das Verprügeln der eigenen Ehefrau mit Freunden, bei Fremdgeh-Verdacht – von Schamanen als Hexen beschuldigte Indiofrauen wurden ermordet – das Blättchen hatte über diese Praktiken berichtet. Boff indessen ignoriert diese Fakten: „Und ich habe sie immer bewundert, sie sind unsere großen Meister im Hinblick auf die Haltung gegenüber der Natur. Die sind technologisch gesehen rückständig, aber zivilisatorisch, sie sind vorwärts, sie sind reicher als wir. Wenn wir lernen wollen, was wir für eine Beziehung mit der Natur eingehen sollen, die Beziehung zwischen dem Alter und den Kindern, den Erwachsenen und alten Leuten, die Beziehung zwischen Arbeit und Freizeit, die Beziehung zwischen Leben und Tod, dann müssen wir die Indianer hören. Die haben eine große Weisheit und vieles haben sie uns zu sagen.“ Kommentar überflüssig.

Deutsche Missionarin Marianne Diemer: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/02/03/elend-in-brasilien-unter-lula-rousseff-die-deutsche-missionarin-marianne-diener/

Brasiliens Wohnungsnot unter Lula-Rousseff.(Wo bitte gehts hier zum Boom?) Brutale Vertreibung von Hausbesetzern landesweit – auch in Sao Paulo. Kampieren auf der Straße in Abgasgestank und Autokrach bei Tropenhitze. FLM – Frente de Luta por Moradia”. **

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Die Existenz von weit über 2600 Slums, das Heer der Obdachlosen in Lateinamerikas reichster Stadt Sao Paulo weisen auf den bemerkenswerten Umgang der Regierung mit dem Problem der Wohnungsnot in der achtgrößten Wirtschaftsnation hin. Unweit jenes Elite-Hospitals, in dem Lula derzeit wegen Krebs behandelt wird, kampieren jetzt vertriebene Hausbesetzer auf offener Straße, bei Hitze über 35 Grad, ohne jegliche staatliche Unterstützung. Wie der Sprecher der  Vertriebenen im Website-Interview erläuterte, ließen sich bisher beispielsweise Vertreter von Lulas Arbeiterpartei PT oder anderer Parteien nicht blicken – Unterstützung komme lediglich von dem katholischen Menschenrechtspriester Julio Lancelotti. Militärpolizei sei nach der Räumung mit Tränengas gegen die kampierenden Hausbesetzer vorgegangen. Allein in der City von Sao Paulo gebe es zahlreiche seit Jahren leerstehende Gebäude mit Wohnungen für weit über 10000 Menschen. Der Sprecher erinnerte daran, daß seine Bewegung der Wohnungslosen vor Jahren auch von “Brot für die Welt” unterstützt worden sei.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/10/03/brasiliens-carandiru-massaker-an-haftlingen-in-sao-paulo-okumenischer-gedenkgottesdienst-der-katholischen-gefangenenseelsorge-die-massaker-und-blutbader-gehen-weiter/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/02/05/brasiliens-stadtpolitik-unter-lula-rousseff-wieder-hutten-elendsviertel-sao-paulos-durch-feuer-zerstort-mindestens-zwei-slumbewohner-verbrannt/

http://pt.wikipedia.org/wiki/Frente_de_Luta_por_Moradia

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Attacke auf die kampierenden Wohnungslosen:  http://www.portalflm.com.br/noticias/inspetor-queiros-da-gcm-prometeu-violencia-e-cumpriu-mas-a-ocupacao-continua-feridos-foram-levados-para-santa-casa/2035

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/02/03/elend-in-brasilien-unter-lula-rousseff-die-deutsche-missionarin-marianne-diener/

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http://www.portalflm.com.br/categoria/noticias

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/02/02/brasilien-der-kranke-sich-krummende-hustende-barfusige-schwarze-und-die-indifferenz-city-sao-paulos/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/02/04/brasiliens-hungerproblem-hungernde-essen-vergorenen-abfall-matsch-aus-mulltuten-an-der-strase/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/28/zdf-adveniat-in-sao-paulo-welcher-slum-aus-sicherheitsgrunden-fur-den-gottesdienst-nicht-infragekam-favela-do-moinho-wo-bitte-gehts-hier-zum-boom/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/16/brasiliens-crack-kinder-unter-lula-rousseff-trotz-offiziellem-kinderstatut-zahlreiche-kinder-landesweit-als-kunden-der-crack-wachstumsbrance/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/17/obdachlose-in-sao-paulo-wahrend-des-wulff-besuchs-lebendig-verbrannt-brasiliens-wichtigster-befreiungstheologe-im-website-interview-ein-land-der-kontraste/

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 http://www.hart-brasilientexte.de/2011/10/04/parabens-dom-paulo-evaristo-arns5-ehrung-im-stadtparlament-erinnerung-an-des-kardinals-leitspruchcoragem-viva-dom-paulo/

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Menschenrechtspriester Julio Lancelotti: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/26/julio-lancelotti-brasiliens-ausergewohnlicher-hochst-unbequemer-menschenrechtspriester-ziel-von-morddrohungen-prozessen-verleumdungen-psycho-terror-medienkampagnen/

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Eines der zahlreichen, seit Jahren leerstehenden City-Gebäude Sao Paulos – angesichts von gravierender Wohnungsnot.

Brasilien, Sklavennachfahrin 2012, vor in-und ausländischen Großbanken der Avenida Paulista in Sao Paulo. **

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/31/brasiliens-katholische-kirche-definiert-die-unter-lula-rousseff-fortdauernde-sklavenarbeit-als-barbarisches-verbrechen-sklavenarbeit-als-interessanter-kostenfaktor-im-internationalen-wettbewerb/

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/02/02/brasilien-der-kranke-sich-krummende-hustende-barfusige-schwarze-und-die-indifferenz-city-sao-paulos/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/02/24/morde-an-schwarzen-in-brasilien-starke-zunahme-unter-der-lula-regierung-von-drei-ermordeten-sind-zwei-schwarz-wikileaks-und-rassismus-in-brasilien/

Slum-Mädchen in Sao Paulo. Gesichter Brasiliens. **

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/02/29/empfang-in-sao-paulo-gesichter-brasiliens/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/27/zdf-adveniat-gottesdienst-in-favela-cachoeirinha-von-sao-paulo-2011-brasiliens-kontraste-fotoserie/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/21/katholisches-hilfswerk-adveniat-in-brasilien-land-der-vielen-milliardare-und-millionare-wie-es-kommt-das-in-deutschland-muhselig-spenden-fur-bedurftige-und-sozialprojekte-gesammelt-werden-obwohl-d/

Brasiliens wichtigster Befreiungstheologe Frei Betto über die Präsenz hochbewaffneter Banditen in Slums von Sao Paulo:

„Ao percorrer a favela, por becos e vielas, avistei a barreira humana formada pelo pessoal do narcotráfico, que em plena tarde de uma sexta-feira exibia armas.“ (2012)

rousseffmerkelcebit2012.JPGAusriß.

Hintergrund:

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Banditendiktatur über Brasiliens Slumbewohner nützt Regierung und Eliten, verhindert Kampf für Menschenrechte

Historiker bestätigt Kirchenposition

Unten, an den Stränden der schicken Viertel Ipanema und Copacabana, tummeln sich die ausländischen Touristen, wohnen in feinen Hotels – oben an den Steilhängen kleben die Elendsviertel, Favelas der Zuckerhutmetropole, hausen über anderthalb Millionen Menschen dichtgedrängt wie Ameisen. Viele Besucher fragen sich angesichts extremer Sozialkontraste, warum die Favelados eigentlich nicht von den Hügeln in die Mittel-und Oberschichtsviertel heruntersteigen, protestieren und rebellieren,  ihre Menschenrechte einfordern. Schließlich ist Brasilien die dreizehnte Wirtschaftsnation der Erde, dazu größte Demokratie Lateinamerikas. Etwa fünfzig Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze, die hohen Einkommen mehr als das dreißigfache über den niedrigen. „Warum gibt es einfach keine soziale Explosion?“, fragt auch der angesehene Historiker Josè Murilo de Carvalho, „warum organisieren sich die Massen der Slums nicht nach dem Vorbild der Landlosenbewegung?“  Er weist auf die Banditendiktatur über die Slumbewohner, hat eine brisante Erklärung parat:“Die Herrschaft des organisierten Verbrechens blockiert die Politisierung der Favelados, hält sie ruhig, verhindert eine Rebellion. Die hochbewaffneten Gangsterkommandos dienen somit der Aufrechterhaltung politischer Stabilität – und das ist den Autoritäten sehr recht, ist gut für sie. Natürlich würde man das nie eingestehen.“ Professor Carvalho, 65,  von der Bundesuniversität in Rio de Janeiro, wirft auch der Regierung von Staatschef Luis Inacio da Silva, dem ehemaligen Gewerkschaftsführer, vor, am grauenhaften Status Quo der Favelas nichts ändern zu wollen. „Zum strategischen Kalkül Brasilias gehört, daß es wegen der so hilfreichen Verbrechersyndikate keine sozialen Unruhen geben wird – und das ist natürlich reiner Zynismus. Wir haben so viele Gewalttote wie in Bürgerkriegen. Die Slumbewohner besitzen nicht einmal die elementarsten Bürgerrechte, können sich nicht frei bewegen, haben nicht einmal das Recht auf das eigene Leben, von den sozialen Rechten ganz zu schweigen.“ Historiker Carvalho erregte mit seiner Analyse jetzt auf einer  nationalen Wissenschaftlertagung großes Aufsehen.

Doch auch Rios deutschstämmiger Kardinal und Erzbischof Eusebio Scheid prangert seit Jahren den Banditenterror gegen die Favelados, die Ausgangssperren, das neofeudale Normendiktat an, die Verantwortung der Eliten. „Wenn in der Favela einer den Mund aufmacht“ so Scheid, „werden ihm von den Gangstern die Ohren abgeschnitten, wird er völlig verstümmelt. Die Verbrechersyndikate sind eine Parallelmacht, ein Staat im Staate, gestützt auf die Feuerkraft ihres großen Waffenarsenals.“  Zu den drakonischen Strafen gehört auch Handabhacken, lebendig Verbrennen. Viele Slumpfarrer und selbst der Dominikaner Frei Betto, heute Staatschef Lulas Sonderberater für Hungerfragen, argumentieren genauso. „Die Deutschen haben offenbar keine Vorstellung von der gravierenden Situation hier.“

Die von den deutschen Kirchen stark unterstützte Landlosenbewegung MST, so Historiker Carvalho, vertritt zwar nur die Minderheit der Brasilianer des Hinterlands, ist aber politisch sehr erfolgreich, hervorragend organisiert und effizient, zwingt die Regierung, den Boden gerechter zu verteilen. Doch über achtzig Prozent der mehr als 175 Millionen Brasilianer, das Gros der sozial Ausgeschlossenen, leben in großen Städten. Dort, so der Historiker, hätte eine Bewegung der Slumbewohner, der Arbeitslosen, die beispielsweise leerstehende Gebäude und Wohnungen besetzen, natürlich ganz andere Wirkungen. „Nicht zufällig sind in den Großstädten enorme Truppenkontingente konzentriert, falls die Lage doch einmal außer Kontrolle gerät. Jetzt organisiert der MST wieder viele Bodenbesetzungen – derartige Aktionen in den Städten, mit Millionen von Favelados, wären  ein Schlag gegen die Stabilität des Systems. Man müßte Truppen einsetzen, um die Ruhe wiederherzustellen.“  Für Kardinal Scheid und Historiker Carvalho ist keine Lösung der Favelaprobleme in Sicht. Mit ironischem Galgenhumor fragt der Wissenschaftler:“Warum wohl werden aber weder Brasiliens Grenzen noch die Drogenmafia in der Bucht von Rio streng überwacht, greifen die Streitkräfte nicht ein, um den Gangstersyndikaten das Rückgrat zu brechen?“

Im mitteleuropäischen Mainstream wird auffälligerweise beim Thema Brasilien die gravierende Menschenrechtslage – ob alltägliche Folter, Todesschwadronen, Scheiterhaufen, Slum-Diktatur, Verfolgung von Menschenrechtsaktivisten, Morde an Systemkritikern oder Sklavenarbeit, durchweg u.a. von der Kirche und Amnesty International mit Fakten belegt – fast ausnahmslos gezielt ausgeklammert –  was Bände spricht, zahlreiche interessante Rückschlüsse zuläßt.

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Banditen-Okay für Brasiliens Kulturminister Gilberto Gil

„In Deutschland würde deshalb die Regierung gestürzt“

Völlig ohne Begleitschutz, nicht einmal Body-Guards, fahren Kulturminister Gilberto Gil und Arbeitsminister Ricardo Berzoini scheinbar tollkühn und todesmutig mit der schwarzen Regierungslimousine in Rios riesigen Slum „Complexo da Marè“ ein. Denn der wird von berüchtigten, mit Mpis und Granaten bewaffneten Banditenmilizen beherrscht, die beide Minister rasch in ihre Gewalt bringen könnten.   Doch die Gangsterkommandos lassen den ganzen Troß völlig in Ruhe –  Gil und Berzoini belustigen sich bei Breakdance und Rap, stellen Qualifizierungsprogramme für Jugendliche vor. Laut Landespresse hatte man zuvor die lokalen Verbrecherbosse um eine Besuchserlaubnis gebeten und diese auch bekommen. Zum Banditen-Okay gehörte natürlich, auf Polizeischutz zu verzichten. „Ein Skandal erster Ordnung“, erregt sich Anfang Januar Paulo Sergio Pinheiro, Experte für Gewaltfragen an der Universität von Sao Paulo. „Geschähe derartiges in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien, würde das im Parlament heiß debattiert, würde die Regierung gestürzt!“ Doch in Brasilien passiere gar nichts, als wären Ministervisiten mit Banditenerlaubnis das Normalste von der Welt. Für Pinheiro und zahlreiche andere Sozialwissenschaftler wurde damit die neofeudale Diktatur der Banditenmilizen über ihren Parallelstaat der Armenviertel sozusagen offiziell anerkannt. „Die Gangsterkommandos verbreiten in ihrem Territorium des Terrors Angst, foltern und morden, beherrschen das gesamte Leben der Slumbewohner – alles toleriert vom Staat, von den Autoritäten.“ Durch Gil und Berzoini sei bestätigt worden, daß der brasilianische Staat große Teile seines Territoriums nicht mehr kontrolliere. Im „Complexo da Marè“, unweit des internationalen Flughafens, hausen immerhin mehr als 135000 Menschen. Vor der Ministervisite sagten Bewohner:“Wir sind Geiseln der Banditen, die im Gassenlabyrinth mit ihren chromblitzenden Maschinenpistolen patrouillieren, sich fast jede Nacht Gefechte mit rivalisierenden Kommandos liefern. Es ist die Hölle!“ Viele Hütten und Katen haben Einschüsse, immer wieder werden Unbeteiligte, sogar Kinder, durch verirrte Kugeln getötet.

Rio de Janeiros deutschstämmiger Kardinal und Erzbischof Eusebio Scheid, die gesamte Bischofskonferenz prangern ebenso wie die nationale Slum-Seelsorge seit Jahren die gravierenden Menschenrechtsverletzungen in den Elendsvierteln Brasiliens an, fordern energische Maßnahmen. Wenn Staatsminister mit Verbrechersyndikaten verhandeln, diese als Parallelmacht akzeptieren und legitimieren, gilt dies auch für  Menschenrechtler als bedrückendes Signal an die Slumbewohner, daß man sie im Stich läßt, der Banditenwillkür ausliefert. „Ein Eingeständnis der Schwäche, der Niederlage durch die Regierung, ein schwerwiegender politischer Fehler – doch kein Einzelfall“, betont Historiker Josè Murilo de Carvalho, Mitglied der nationalen Dichterakademie. „Die lokalen und regionalen Autoritäten schließen mit den Gangsterbossen häufig Abkommen – das zeigt die Probleme unserer Demokratie, ich bin tief pessimistisch, sehe keinerlei Lösung.“

Heiligabend und zum Jahreswechsel feuerten die Banditenmilizen der über sechshundert Rio-Slums wie üblich aus zehntausenden Maschinenpistolen stundenlang Salut zur Machtdemonstration. Kulturminister Gilberto Gil konnte es von seinem luxuriösen Strandappartement aus hören. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist er auch als Star der Weltmusik sehr bekannt – singt in einem seiner größten Hits:“In den Hütten der Stadt hat niemand mehr Illusionen über die Macht der Autoritäten, Maßnahmen zu ergreifen, sich den Haien entgegenzustellen – so viele stupide, scheinheilige Leute…“  Nach Minister Gils Slumvisite wirkt der Text auf manche wie böse Ironie.

Des Kulturministers Tochter, die bekannte Schauspielerin und Sängerin Preta Gil, spricht indessen anders als der Vater die Zustände offen an:“Die Polizei ist korrumpiert, die Regierung ist korrumpiert, nicht nur die Slums werden von der gutorganisierten Drogenmafia beherrscht. Alle sind doch verwickelt! Das ändert sich nie mehr, ist zu tief verwurzelt.“

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Brasiliens Medien stellen Rolle der Deutschen in der Landeskirche heraus

„Deutsche gewinnen an Kraft in der brasilianischen Kirche“(titelt größte nationale Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo)

Angesichts der Ernennung von Odilo Scherer zum Erzbischof der Diözese Sao Paulo im März haben Brasiliens Qualitätsmedien in ausführlichen Analysen auf die wachsende Bedeutung von Deutschstämmigen in der Kirche des größten katholischen Landes verwiesen. Danach wird mit Scherer, der zudem Generalsekretär der Bischofskonferenz(CNBB) ist, zum drittenmal hintereinander das Amt des Erzbischofs der Megametropole von einem Geistlichen bekleidet, der in einer deutschen Familie von Südbrasilien aufwuchs. Diese von Deutschstämmigen geprägte Region ist die mit großem Abstand am meisten entwickelte des Riesenlandes von der 24-fachen Größe Deutschlands. Vor Scherer, 57, wirkten dort Claudio Hummes und Evaristo Arns. Bei Lateinamerikas Wirtschaftslokomotive Sao Paulo, so heißt es, handele es sich immerhin um die größte und wichtigste Erzdiözese Brasiliens sowie die drittgrößte der Erde. Durch die Ernennung Scherers habe sich bestätigt, daß keine andere Einwanderergruppe so viele Vertreter in hohe Ämter der Kirche entsende wie die deutsche. Von den acht lebenden brasilianischen Kardinälen seien immerhin vier deutschstämmig: Evaristo Arns, Aloisio Lorscheiter, Claudio Hummes und Eusebio Scheid. Nur zwei Kardinäle Brasiliens seien italienischer Abstammung, obwohl weit mehr Italiener als Deutsche in das Tropenland auswanderten. Von den 41 Erzdiözesen werden sechs von Deutschstämmigen geleitet – mit Sao Paulo, Rio de Janeiro und Porto Alegre indessen die wichtigsten.

Die Qualitätsmedien sehen sehr viel Affinität zwischen dem deutschen Papst und dem deutschstämmigen Scherer. Benedikt XVI. wolle eine kämpferische, entscheidungsfreudige Kirche, die ihre Prinzipien klar und deutlich vertrete, in der Gesellschaft Einfluß habe. Diesem Profil entspreche Scherer viel mehr als sein Amtsvorgänger Hummes. Häufig zitiert wird daher der renommierte Theologieprofessor Fernando Altemeyer von der Katholischen Universität Sao Paulos, dem zufolge Hummes in seinem Auftreten eher schüchtern und scheu gewesen sei – Scherer dagegen den Ruf des konsequenten, durchsetzungsfreudigen Administrators habe. Nicht erst in seiner Funktion als CNBB-Generalsekretär war Scherer dagegen meist sofort zu Stellungnahmen und langen Interviews bereit. Während sich Hummes stets als Freund des jetzigen Staatschefs Luis Inacio Lula da Silva bezeichnete und dessen zahlreiche Skandale und Verfehlungen selten und dazu vorsichtig ansprach, äußerte der sehr dynamisch wirkende Scherer gegenüber den In-und Auslandsmedien stets deutliche, ausführliche und wohlfundierte, an den Fakten orientierte Regierungskritik. Wenn Benedikt XVI. , so die Analysen der Qualitätsmedien weiter, einen solchen Erzbischof für Sao Paulo ernenne, sei dies eine Form, auf das ganze Land Einfluß auszuüben. „Und auf den ganzen lateinamerikanischen Kontinent.“ Mit fast sechs Millionen Katholiken sei die Erzdiözese größer als manche Länder. Welche Probleme man in Sao Paulo aufgreife, welche Lösungen man dort durchsetze, beeinflusse in der Tat das ganze Land.  Wie der Papst, sei auch Scherer der Auffassung, daß die moderne Welt keineswegs Antworten auf drängende aktuelle Fragen biete. „Die Kirche darf nicht der Logik des Marktes folgen“, wird Scherer ebenso zitiert wie mit seiner permanenten Forderung an die brasilianischen Katholiken, sich politisch zu engagieren. Unter Berufung auf Vatikanexperten heißt es ferner, Scherer habe bei seiner Ernennung zum Erzbischof bezeichnenderweise Etappen überspringen können und werde in spätestens zwei Jahren, also mit 59, schon Kardinal sein.

“Boomland” Brasiliens Sozial-und Menschenrechtsprobleme unter der Rousseff-Regierung: Wo die alte Frau jetzt haust, nachdem im Dezember ihre Slumkate der “Favela do Moinho” in der City von Sao Paulo abbrannte. Brasiliens Hungerproblem. Prinz Harry in Sao Paulo. **

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Könnten Sie so hausen – bei jedem Wetter, in den Tropen? Verschlag mit Matratze an einer Mauer – bei heftigen Tropenregen läuft alles voll, auch bei den Nachbarn. Direkt hinter der Mauer donnern Güterzüge vorbei. Theoretisch existieren auch in dem als “Wirtschaftswunderland” gepriesenen Brasilien für solche Fälle die Sozialbehörden und andere Dienste…Sao Paulo ist Lateinamerikas reichste Stadt.

Angesichts der realen Situation des Tropenlandes nimmt die Kritik der Politikexperten an der Regierung von Dilma Rousseff auch unter Hinweis auf das im Vergleich mit Nachbarländern sowie anderen BRIC-Staaten schwache Bruttoinlandsprodukt 2011(offiziell 2,7 % Wachstum, Deutschland 3 %) deutlich zu.

 http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/06/wirtschaftliche-falschprognosen-fur-2011-alles-lacht-uber-die-analytiker-und-ihre-hochbezahlten-verstarker-in-den-wirtschaftsmedien/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/06/30/das-tropische-norwegen-von-lula-brasiliens-landesmedien-machen-sich-uber-lulas-groteske-einschatzungen-in-financial-times-lustig-lula-spricht-uber-brasilien-75-platz-auf-dem-uno-index-f/

“die tiefe Unkenntnis der Gringos über uns”: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/12/06/arnaldo-jabor-popularster-kommentator-brasiliens-analysiert-lula-die-tiefe-unkenntnis-der-gringos-uber-uns-warum-lula-die-auslandsmedien-lobt-uber-brasiliens-medien-verargert-ist/

Kein einziger Sektor der Regierung funktioniere gut – im Führungsstil dominierten Improvisation und fehlende Planung. Der Politiker der Arbeiterpartei Lulas, Luiz Sergio de Oliveira, sei innerhalb von nur acht Monaten von zwei verschiedenen, von ihm bekleideten Ministerposten, entfernt worden.

“Die Wirtschaftskrise hat Brasilien kaum gespürt.”(WAZ)  http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/15/staatschef-lula-erklart-rezession-und-krise-in-brasilien-fur-beendet-offizielle-daten-als-begrundung-grund-zum-feiern/

“…das Land die globale Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 vergleichsweise unbeschadet überstanden hat.”  BDI 2011

Laut der Getulio-Vargas-Stiftung vom Oktober 2009 hatte die Krise indessen von den sechs wichtigsten Wirtschaftszentren Brasiliens die Megacity Sao Paulo am stärksten getroffen – das Elend habe deutlich zugenommen, hieß es gemäß Landesmedien.

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/tagfuertag/1698492/

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1624771/

Propaganda und Realität:

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/25/obdachlose-in-sao-paulo-protestieren-gegen-lebendiges-verbrennen-von-strasenbewohnern-und-andere-gewalttaten-in-brasilien-viele-greueltaten-garnicht-amtlich-registriert-obdachlosenvertreibung-bea/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/30/brasiliens-heranwachsende-in-extremer-armut-zahl-zunehmend-laut-neuer-unicef-studie-acht-jahre-lula-rousseff-regierung-und-resultate/

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“Hilfe kriegen wir nur von der Kirche.”

Lage in den Slums: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/27/zdf-adveniat-gottesdienst-in-favela-cachoeirinha-von-sao-paulo-2011-brasiliens-kontraste-fotoserie/

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Die Frau und ihr Nachbar, vor dessen Verschlag. Prinz Harry ist am selben Tag in Sao Paulo: http://g1.globo.com/sp/campinas-regiao/noticia/2012/03/principe-harry-vence-jogo-de-polo-e-ganha-beijo-de-modelo-em-monte-mor.html

 http://www.hart-brasilientexte.de/2012/03/11/prinz-harry-in-rio-de-janeiro-kurioser-medien-und-propagandazirkus-vor-allem-wegen-besuch-in-slumregion-complexo-do-alemao-wegen-bewaffneten-banditenkommandos-wurden-sogar-panzer-zur-harry-visit/

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/03/11/brasiliens-heer-der-obdachlosen-und-die-angst-vor-ermordung-sozial-und-menschenrechtsprobleme-brasilien-nur-auf-platz-84-des-uno-index-fur-menschliche-entwicklung/

Hungerproblem:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/02/04/brasiliens-hungerproblem-hungernde-essen-vergorenen-abfall-matsch-aus-mulltuten-an-der-strase/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/03/bundesprasident-christian-wulff-dilma-rousseff-und-der-zugige-bau-des-neuen-atomkraftwerks-angra-3-bei-rio-de-janeiro-mit-deutscher-bundesburgschaft/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/

Morde an Journalisten Brasiliens: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/03/06/morde-an-journalisten-in-brasilien-unter-der-rousseff-regierung-brasilianische-menschenrechtsorganisation-conectas-vor-dem-uno-menschenrechtsrat-in-genf-2012/

Brasiliens Heer der Obdachlosen und die Angst vor Ermordung. Sozial-und Menschenrechtsprobleme – Brasilien nur auf Platz 84 des UNO-Index für menschliche Entwicklung. Über 2600 Slums in der reichsten lateinamerikanischen Stadt Sao Paulo…Brasiliens Hungerproblem. **

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Leben mit dem Einkaufswagen 2012 – einziger “Besitz”.  Wegen Minimalernährung, schlechtem Gesundheitszustand brechen viele Obdachlose in Städten – wie hier in Sao Paulo – regelrecht erschöpft zusammen, schlafen direkt an sehr lauten Straßen.

“Die Wirtschaftskrise hat Brasilien kaum gespürt.”(WAZ)  http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/15/staatschef-lula-erklart-rezession-und-krise-in-brasilien-fur-beendet-offizielle-daten-als-begrundung-grund-zum-feiern/

“…das Land die globale Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 vergleichsweise unbeschadet überstanden hat.”  BDI 2011

Laut der Getulio-Vargas-Stiftung vom Oktober 2009 hatte die Krise indessen von den sechs wichtigsten Wirtschaftszentren Brasiliens die Megacity Sao Paulo am stärksten getroffen – das Elend habe deutlich zugenommen, hieß es gemäß Landesmedien.

“die tiefe Unkenntnis der Gringos über uns”: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/12/06/arnaldo-jabor-popularster-kommentator-brasiliens-analysiert-lula-die-tiefe-unkenntnis-der-gringos-uber-uns-warum-lula-die-auslandsmedien-lobt-uber-brasiliens-medien-verargert-ist/

Was Prinz Harry in Sao Paulo und Rio nicht zu sehen bekommt: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/03/11/prinz-harry-in-rio-de-janeiro-kurioser-medien-und-propagandazirkus-vor-allem-wegen-besuch-in-slumregion-complexo-do-alemao-wegen-bewaffneten-banditenkommandos-wurden-sogar-panzer-zur-harry-visit/

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Obdachlose Frauen und Männer 2012  direkt unter einer Hochstraße der City Sao Paulos,  an einer Straßenkreuzung voller giftiger Abgase – solche Stellen werden oft als Schlafplätze bevorzugt, weil es im Falle von Mordanschlägen und anderen Gewalttaten mit großer Sicherheit Zeugen gäbe, die möglicherweise die Polizei benachrichtigen könnten.

Angesichts der realen Situation des Tropenlandes nimmt die Kritik der Politikexperten an der Regierung von Dilma Rousseff auch unter Hinweis auf das im Vergleich mit Nachbarländern sowie anderen BRIC-Staaten schwache Bruttoinlandsprodukt 2011(offiziell 2,7 % Wachstum, Deutschland 3 %) deutlich zu.

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/06/wirtschaftliche-falschprognosen-fur-2011-alles-lacht-uber-die-analytiker-und-ihre-hochbezahlten-verstarker-in-den-wirtschaftsmedien/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/06/30/das-tropische-norwegen-von-lula-brasiliens-landesmedien-machen-sich-uber-lulas-groteske-einschatzungen-in-financial-times-lustig-lula-spricht-uber-brasilien-75-platz-auf-dem-uno-index-f/

Kein einziger Sektor der Regierung funktioniere gut – im Führungsstil dominierten Improvisation und fehlende Planung. Der Politiker der Arbeiterpartei Lulas, Luiz Sergio de Oliveira, sei innerhalb von nur acht Monaten gar von zwei verschiedenen, von ihm bekleideten Ministerposten, entfernt worden.

Hungerproblem:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/02/04/brasiliens-hungerproblem-hungernde-essen-vergorenen-abfall-matsch-aus-mulltuten-an-der-strase/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/05/brasiliens-zeitungen-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/03/bundesprasident-christian-wulff-dilma-rousseff-und-der-zugige-bau-des-neuen-atomkraftwerks-angra-3-bei-rio-de-janeiro-mit-deutscher-bundesburgschaft/

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Foto von 2012. Durch das ständige Einatmen von Autoabgasen wird das Immunsystem der Frauen und Männer noch rascher geschwächt – die Folgen sind gerade den zuständigen Autoritäten bestens bekannt, entsprechende medizinische Studien liegen vor.

Morde an Journalisten Brasiliens: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/03/06/morde-an-journalisten-in-brasilien-unter-der-rousseff-regierung-brasilianische-menschenrechtsorganisation-conectas-vor-dem-uno-menschenrechtsrat-in-genf-2012/

Lage in den Slums: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/27/zdf-adveniat-gottesdienst-in-favela-cachoeirinha-von-sao-paulo-2011-brasiliens-kontraste-fotoserie/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/

Brasiliens Morde an Obdachlosen – wieder zwei im Schlaf erschossen in Brasilia. Gravierende Menschenrechtslage des Tropenlandes. **

http://g1.globo.com/distrito-federal/noticia/2012/03/moradores-de-rua-sao-mortos-tiros-no-distrito-federal.html

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/tagfuertag/1698492/

Brasiliens Obdachlose – erneut einer an Brandwunden gestorben – in Hauptstadt Brasilia. Zweites Opfer mit lebensgefährlichen Brandwunden, Täter offenbar Jugendliche. Wie Brasilien unter Lulas Chefministerin Dilma Rousseff funktioniert. **

http://g1.globo.com/distrito-federal/noticia/2012/02/morre-um-dos-moradores-de-rua-que-teve-corpo-queimado-em-brasilia.html

1997 war in Brasilia der Indianerhäuptling Galdino von fünf jungen Männern der Mittelschicht verbrannt worden.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/27/brasiliens-staatschefin-dilma-rousseff-und-ihr-erstes-amtsjahr-viel-kritik-an-regierungsstil-und-deren-resultaten-von-brasilianischen-politik-und-wirtschaftsexperten-viel-lob-aus-mitteleuropa/

Christian Wulff – und die während seines Brasilienbesuchs 2011 verbrannten Obdachlosen:

http://www.bundestag.de/dasparlament/2010/12/Beilage/006.html

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Wulff und Menschenrechtspriester Julio Lancelotti.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/26/brasiliens-systematische-morde-an-obdachlosen-prasidentin-rousseff-raumt-erstmals-sauberungsaktionen-limpeza-humana-gegen-strasenbewohner-ein/

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Deutscher Bundespräsident Christian Wulff und die Obdachlosen Brasiliens: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/05/erneut-obdachloser-sao-paulos-verbrannt-polizei-ermittelt-wegen-verbrechenshintergrund-deutscher-bundesprasident-wulff-besucht-obdachlosengemeinde-der-megacity/

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Überreste des Mannes und des Müllkarrens, Zeitungsausriß.

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/14/nach-wie-vor-hemmungslose-aktionen-der-todesschwadronen-institutionalisierte-barbarei-lulas-menschenrechtsminister-paulo-vannuchi-raumt-gegen-ende-der-zweiten-amtszeit-erneut-fortbestehen-der-b/

Obdachlosenverbrennung:  http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/25/obdachlose-in-sao-paulo-protestieren-gegen-lebendiges-verbrennen-von-strasenbewohnern-und-andere-gewalttaten-in-brasilien-viele-greueltaten-garnicht-amtlich-registriert-obdachlosenvertreibung-bea/

Hintergrund:

Brasilien: Die Milliardäre und die Hungernden(2011)

Kirche empört über starke Zunahme der Superreichen angesichts von Massenelend

Die Zahl der Milliardäre des Tropenlands ist laut neuester Forbes-Statistik  auf 30 angestiegen – 2010 waren es noch 18. Platz acht der Weltrangliste belegt Unternehmer Eike Batista aus Rio, mit 30 Milliarden US-Dollar. Der Reichtum der brasilianischen Milliardäre sei dreimal so groß wie das Bruttosozialprodukt des entwickelten Nachbarlands Uruguay. Bankiers und Börsianer feiern den Zuwachs bei Brasiliens Superreichen als Beweis wirtschaftlichen Aufwärtstrends – die Kirche des größten katholischen Landes äußert dagegen Empörung, weist auf Hunger, Misere und rasch wachsende Elendsviertel. „Die Milliardärsstatistik zeigt, daß sich unter der Regierung von Präsident Lula an der grauenhaft ungerechten Einkommensverteilung, dem Begünstigen der ohnehin Privilegierten nichts geändert hat“, sagt Frei José Francisco, Leiter des Franziskaner-Sozialwerks von Sao Paulo. „Die neue Präsidentin Dilma Rousseff fährt diesen Kurs weiter, tut nichts gegen Einkommenskonzentration in den Händen weniger – trotz soviel Hunger und Massenelend. Nur bei sozialer Ungleichheit ist Brasilien Weltspitze.“ Der Franziskaner hat Riesenprobleme, Spender und Förderer für die zahlreichen Sozialprojekte der Megacity zu finden, ob für Straßenkinder oder obdachlose Familien. „Mit einem Quentchen des Gelds der Milliardäre könnte ich einen Großteil meiner Finanzierungsnöte beheben, müßte nicht sogar deutsche Hilfswerke wie Misereor und Adveniat um Mittel bitten. Denn Brasiliens Reiche geben nur, wenn es ihnen Profit, Status und Steuererleichterungen bringt. Wer aber wie wir mit echter Sozialarbeit jene Strukturen in Frage stellt, die Elend und Hunger schaffen, kriegt keinen Centavo.“

Hedwig Knist aus der Diözese Mainz leitet in Lateinamerikas reichster Stadt Sao Paulo die Obdachlosengemeinde und ist über die Milliardärsstatistik ebenfalls aufgebracht, kennt die unpatriotische Knickrigkeit der brasilianischen Superreichen nur zu gut. „Gäben die was ab, müßte ich derzeit nicht das deutsche Generalkonsulat um Gelder für ein Projekt anbetteln, das ausschließlich Brasilianern zugute kommt,  könnte ich dem Heer der Straßenbewohner viel besser helfen. Das Anti-Hunger-Programm der Regierung holt die Menschen nicht aus dem Elend, Brasiliens Sozialkontraste werden nicht geringer – die Reichen indessen immer reicher. Die Milliardärsstatistik beweist es drastisch-provozierend.“

Priester Aecio Cordeiro da Silva betreut in Sao Paulo 13 der über 2000 Slums und erinnert daran, daß Brasiliens Parlamentsmitglieder ein Durchschnittsvermögen von umgerechnet einer Million Euro besitzen und sich erst kürzlich eine 60-prozentige Diätenerhöhung genehmigten. „Dennoch votierten sie jetzt für eine Mindestlohn-Anhebung auf rund 248 Euro brutto, deutlich unterhalb der Teuerungsrate – sowas ist doch skandalös, wie die Milliardärsstatistik! Es gibt weiter Hunger – das Gesundheitswesen ist so grauenhaft, daß Menschen in den Warteschlangen der Hospitäler sterben. Gerade ersuche ich einen Italiener um Geld für ein Projekt, das Jugendliche vor dem Abrutschen in die Drogenkriminalität bewahren soll – denn wir können nicht mal die Stromrechnung aufbringen.“

Hintergrundtext von 2003:
„Guerra urbana” in der Megametropole Sao Paulo(2003)   Lulas PT-Bürgermeisterin Marta Suplicy überläßt
Slumbewohner dem Terror der Banditenmilizen
Afghanin aus Deutschland: „Das ist hier wie Bürgerkrieg”

Maryam Alekozai, zwanzig, größtenteils in Aachen aufgewachsen, wollte ihr soziales Jahr eigentlich in der Heimat, in Afghanistan machen –  doch dann kam der Konflikt dazwischen, entschied sie sich für ein Slumprojekt in Sao Paulo, betreut voller Idealismus Slumkinder, gerät immer wieder in Lebensgefahr: „Es herrscht hier eine Art Bürgerkrieg –  gar nicht mal so anders wie damals in Afghanistan, als ich klein war. Tagsüber, nachts fallen Schüsse, immer wieder wird jemand umgebracht, Kinder verlieren ihre Väter. Von den Müttern, deren Kinder ich betreue, sind nicht wenige deshalb alleinstehend. Das ist hier einer der gewalttätigsten Gebiete ganz Sao Paulos.” Seit über zwei Jahren regiert  Präfektin Marta Suplicy aus Staatschef Lulas Arbeiterpartei PT die Megametropole, hätte die Machtmittel, um die neofeudalen Strukturen in den Slums, den Favelas, zu brechen. Könnte zumindest Druck auf den für die öffentliche Sicherheit des gesamten Teilstaates Sao Paulo zuständigen Gouverneur ausüben.  Doch es  ändert sich nichts, die extrem krassen Menschenrechtsverletzungen sind nicht einmal Hauptthema der PT-Führung –  wie während der Amtszeit von PT-Gouverneurin Benedita da Silva in Rio de Janeiro:  Neofeudale Banditenmilizen sind weiterhin unumschränkte Herrscher,  terrorisieren die Bewohner, verhängen Ausgangssperren –  manche minderjährigen Kindersoldaten, bekannt und  gefürchtet,  killten bereits bis zu vierzig Menschen. Angst dominiert, jedermann spricht nur von „Guerra”. Auch unter Präfektin Marta Suplicy werden Kinder, Jugendliche von den Drogenkartellen, ihren Milizen rekrutiert, erleben nur zu oft das Erwachsenenalter nicht, sterben bei Gefechten mit rivalisierenden Banden, Schießereien mit der Polizei. Wer nicht mitmachen will, kriegt die Kugel.  José  Grigorio de Jesus, 66, Präsident einer Bewohnerinitiative des Slums Capao Redondo, schildert, wie es seinem  Sohn erging:”Er wollte endlich aussteigen, hatte schon eine feste Arbeitsstelle –  doch am ersten Arbeitstag haben sie ihn erschossen.” Jedermann muß sich an das „Lei do Silencio”, das Gesetz des Schweigens, halten –  zu niemandem ein Wort über Vorgänge im Slum. „Wer als Informant der Polizei gilt, stirbt.”

„Genozid im Gange” –  Ausgangssperre an der „Copacabana”

Monatlich werden an der Slumperipherie Sao Paulos über achthundert Menschen umgebracht –  fast so viele wie in Deutschland im ganzen Jahr, weit mehr als in den aktuellen Konfliktgebieten der Erde. „Die Statistiken zeigen, daß hier ein Genozid im Gange ist”, betont Padre Jaime Crowe in Jardim Angela, einem der gewaltgeprägtesten  Favelas. Der dichtbevölkerte Slum „Copacabana”, unweit von Maryam Alekozais Arbeitsplatz, wirkt häufig sogar mitten am Tage wie eine Geisterstadt. Katen, Barracken verriegelt,  kein Mensch, nicht mal spielende Kinder  auf der Straße, im Gassenlabyrinth –  sämtliche Kramläden geschlossen, eigenartige Stille. „Toque de recolher”, Ausgangssperre, lautet die Erklärung, erneut verhängt von den Milizen des global vernetzten organisierten Verbrechens. Einige Jungen lassen aber Drachen steigen –  wie paßt das zusammen? Sie tuns im Auftrage der hiesigen Warlords –  mit den Drachen werden Signale gegeben, falls Gefahr im Verzuge ist, sich hochbewaffnete gegnerische Milizen nähern. Auch in „Copacabana” stellt man sich besser mit den „Soldados” gut, heuchelt Unterwürfigkeit und Sympathie, bietet ihnen Getränke, Selbstgebrutzeltes an. Wer will schon zerstückelt, gar lebendig verbrannt enden? Täglich liegen irgendwo Leichen, abgetrennte Körperteile. Mittel-und Oberschicht blenden diese Realität zynisch aus. Ein grotesker Kriminalfall vom Februar 2003 zeigt es exemplarisch: In Sao Paulo zerstückelt ein angesehener Chirurg seine Geliebte, Frau des Hausmeisters, fein säuberlich mit Seziermessern, wird indessen ertappt, der Fall macht Schlagzeilen, ist auch in den seriösen TV-Nachrichten. Just jene Fotografien aus der Gerichtsmedizin, die die aneinandergereihten Körperteile der Ermordeten in Großaufnahme  zeigen –  auch Brüste, Arme, Vagina, alles –  stellt jemand ins Internet, halb Brasilien schaut sie derzeit immer wieder an. Professorinnen, Anwältinnen, Schickeria-Damen sind entsetzt, sahen sowas noch nie, können deshalb nachts nicht schlafen, reden von nichts anderem. Daß die in den Slums tagtäglich weit Schlimmeres sehen müssen, sogar miterleben, wie Menschen lebendig verbrannt werden, aufgedunsene unbekleidete Leichen von Männern, Frauen, Mädchen, oft  mit abgeschlagenem  Kopf, bei vierzig Grad auf Geheiß der Banditen tagelang zur Abschreckung mitten im Gassengewirr liegen, macht in Brasilien nie Schlagzeilen, ist für die „oben” kein Thema.  Maryam Alekozai blieben solche grauenhaften Szenen erspart –  nicht aber die Schießereien. „Ich habe den Eindruck, das alles ist bereits Teil des Lebens der Kinder hier”, sagt Maryam Alekozai, „ganz normal für sie, daß jemand erschossen wird –  die wachsen damit auf. Der Unterschied zwischen einem fünfjährigen Mädchen hier und in Deutschland ist so unglaublich groß! In den Augen der brasilianischen Kinder sehe ich Haß, ganz tiefen Haß –  und Wut! Man blickt nicht in Kinderaugen, sondern eigentlich in Augen von Erwachsenen, die voller Aggressionen sind. Die Gewalt, die Ungerechtigkeit, die in diesem Land herrscht, spiegelt sich in den Augen der Kinder –  unübersehbar.” Doch gleichzeitig weist sie auf einen scheinbaren Widerspruch:”Ein Bewußtsein über soziale Ungleichheiten existiert hier nicht –  weder bei den Armen noch bei den Reichen. Aufklärung, kritisches Denken, das einem in Deutschland beigebracht wird, fehlt hier.” Doch auch in den Slums täuscht die Erscheinungsebene, der oberflächliche Eindruck nur zu oft. „Viele sagen –  ihr kommt aus Deutschland, seht uns fröhlich und gut drauf, könnt euch aber nicht vorstellen, wie es uns wirklich geht, wie es zuhause hinter unseren vier Wänden aussieht.”

Eine Frau kommentiert:”Brasilianer sind in der Lage, über ihr eigenes Unglück zu lachen, darüber  groteske Witze zu reißen; schwarzer Humor, schwärzer gehts nicht –  eine Art Ventil, um damit fertigzuwerden –  wahrscheinlich ist das in Europa anders.”

Sozialprojekte senken Gewaltrate nicht

Jahrzehntelang hielt sich bei Gutmenschen Brasiliens und Drittweltbewegten Europas die These, man müßte die Slums, nur mit einem Netz von Sozialprojekten überziehen, um die entsetzlich hohe Mordrate drastisch zu senken, die Herrschaft des hochgerüsteten organisierten Verbrechens, der brasilianischen Warlords zu schwächen. Kinder und Jugendliche würden sich dann nicht länger von den Milizen anwerben lassen, den Drogen entsagen, einer glücklicheren Zukunft entgegengehen. Auch europäische Hilfsorganisationen starteten deshalb solche Projekte, investierten hohe Spendersummen. Indessen –  selbst laut Unesco-Angaben wurden weder die Gewaltrate noch der Banditenterror gegen die Bewohner gebremst. Nur zuviele Sozialprojekte werden von den Banditenmilizen kontrolliert –  was Spender in Europa nicht erfahren sollen.Auch Staatschef Lula und dessen zuständige Minister sprechen  beschönigend von einem Sicherheitsproblem, um das sich die Polizei zu kümmern habe. Doch die erwarteten Sofortmaßnahmen bleiben aus.  Menschenrechtsexperten und selbst der schweizerische UNO-Sonderberichterstatter Jean Ziegler weisen auf unumstößliche Tatsachen:”Für die Vereinten Nationen sind 15000 Gewalt-Tote jährlich in einem Land ein Hinweis auf Krieg –  doch in Brasilien werden sogar gemäß offiziellen Statistiken rund vierzigtausend umgebracht!” Tatsächlich sind es weit mehr, getötet aus politischen oder kriminellen Motiven, oft vermischt –  doch auch in Deutschland verbinden viele mit dem Tropenstaat sozialromantische Vorstellungen, verdrängen gewöhnlich, daß gerade in Millionenstädten wie Rio de Janeiro nur unweit der Touristenstrände tagtäglich heftige Gefechte im Gange sind –  ausgetragen auch mit NATO-Waffen, darunter Granatwerfern.

In Deutschland werden jährlich laut BKA rund eintausend Menschen umgebracht, bei einer Gewaltrate wie in Brasilien wären es indessen weit über zwanzigtausend.

Zudem befänden sich dann mehr als zehn Millionen illegaler Waffen fast jeden Kalibers in Privat-bzw. Gangsterhand. Jeder kann erahnen, wie Deutschland dann aussähe. Die größte brasilianische Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo” macht 2003 folgende Rechnung auf:”In den letzten zwanzig Jahren wurden 1,9 Millionen Brasilianer getötet –  1,5 Millionen davon waren junge Menschen. Hätte Brasilien in diesen Jahren an einem Krieg teilgenommen, wären garantiert nicht so viele Opfer zu beklagen.”Bereits 1992 hatte der PT- Abgeordnete Carlos Minc betont:”In Rio de Janeiro sind Straftäter und Autoritäten Komplizen –  das organisierte Verbrechen, das Drogenkartell herrscht in den Slums, pflegt enge Beziehungen zur Geschäftswelt, zur Stadtregierung, zu Polizei und Justiz, die daher Straffreiheit walten lassen, die Gesetze nicht anwenden, die Menschenrechte der Rio-Bewohner mißachten.” Mincs Analyse wurde unlängst  von einer parlamentarischen Untersuchungskommission für große Teile Brasiliens, zahlreiche andere Millionenstädte  bestätigt. Heute sehen Soziologen und Menschenrechtler viele Parallelen zur Lage in Kolumbien, in Afrika. Fernando Olinto, der als Mitarbeiter von „Ärzte ohne Grenzen” bereits in Ruanda und Bosnien im Einsatz war, konstatiert, daß in Brasilien ebenso wie in Afrika bewaffnete Jugendliche, Kindersoldaten Terror ausüben, sich die Bilder gleichen. Rio de Janeiros Stadtautobahnen zum internationalen Flughafen müssen regelmäßig wegen Banditengefechten, bewaffneten Raubüberfällen auf LKW, Busse, PKW gesperrt werden. Es reicht, sich ein solches Szenario für touristische Städte Deutschlands vorzustellen –  und die entsprechenden Wirkungen auf die Fremdenverkehrsbranche. Um so erstaunlicher, daß von Brasiliens Autoritäten die enormen Einnahme- und Arbeitsplatzverluste etwa im Tourismus hingenommen werden –  während die global vernetzten neofeudalen Verbrechermilizen ihre Profite ständig steigern. Immerhin werden alleine in Rio de Janeiro laut Polizeiangaben von Comando Vermelho(Rotes Kommando) und Terceiro Comando(Drittes Kommando), den beiden wichtigsten Gangsterkartellen Brasiliens, monatlich sechs Tonnen Kokain verkauft –  in Lateinamerikas Wirtschaftsmetropole Sao Paulo, mit über tausend deutschen Firmen, etwa ebensoviel. Gleich nach den USA ist Brasilien zweitgrößter Kokainverbraucher. Die rivalisierenden Milizen sind zudem auf illegalen Waffenhandel, Serienentführungen, Frachtraub und Banküberfälle spezialisiert. Selbst zur Machtdemonstration feuern sie täglich Mpi-Salven ab –  erhöhen damit den psychischen Druck besonders auf die Slumbewohner.  Würde, wie viele erwarteten,  Staatschef Lula sofort nach seinem Amtsantritt die Armee einsetzen, um  den Stadtkrieg zu stoppen, Millionen von Slumbewohnern zu ihren Basis-Menschenrechten zu verhelfen? Immerhin hatte dies der neue Staatssekretär für öffentliche Sicherheit, Josias Quintal, gleich im Januar öffentlich vorgeschlagen. Doch die Lula-Regierung lehnte ab –  ein Einsatz der Streitkräfte komme nicht in Frage. Auch Sozialexperten ist deshalb ein Rätsel, wie Staatschef Lula sein groß angekündigtes Anti-Hunger-Programm und andere Maßnahmen zur Elendsbekämpfung durchsetzen will. Schließlich lassen die Verbrechersyndikate bislang staatliche Präsenz in den riesigen Slums kaum zu, verbieten häufig sogar kirchlichen Sozialwerken und Nicht-Regierungs-Organisationen den Zutritt. Nach wie vor ist  in Brasilien, ebenso wie in Argentinien, das  Schicksal der zur Diktaturzeit  „Verschwundenen” ein heißdiskutiertes Thema –  jene Ungezählten, die man im  „Guerra urbana” tötete, auf geheimen Friedhöfen verscharrte,  oder gar verbrannte, wird dagegen so gut wie völlig  ignoriert.

Brasiliens (Lateinamerikas?)genialster Karikaturist Angeli, von der größten Qualitätszeitung “Folha de Sao Paulo”, mit einer aktuellen Zeichnung zur “Vergangenheitsbewältigung” – aus der Serie “Bananenrepublik”. **

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Ausriß März 2012.

“Boaventura hat Sehnsucht nach der Diktatur. Felinto betont, daß die Folter nötig war. Olinto meint, daß Einkerkerungen und Tötungen gerechtfertigt waren. Frota sagte, daß man in dieser Zeit gut lebte.”

Übereinstimmungen mit Einschätzungen von damals und heute in Brasilien lebenden Mitteleuropäern sind sicher reiner Zufall.  http://www.hart-brasilientexte.de/2010/04/19/gestapo-folter-unter-brasiliens-diktator-getulio-vargas-trager-des-bundesverdienstkreuzes-der-fall-des-deutschen-harry-berger/

http://www.bundestag.de/dasparlament/2010/12/Beilage/006.html

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/12/folter-ohne-ende-tortura-sem-fim-brasiliens-soziologiezeitschrift-sociologia-uber-folter-unter-der-lula-regierung/

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Diktaturopfer – getötete Regimegegnerin, Foto von kirchlichen Menschenrechtsaktivisten.

Die 21 Jahre währende Diktatur begann mit dem Militärputsch von 1964 – 1969 schloß Bonn mit dem Militärregime laut Jahreschronik ein Kulturabkommen. 

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/tagfuertag/1698492/

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1624771/

Pressefreiheit in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/26/brasiliens-medien-berichten-in-groser-aufmachung-uber-den-absturz-auf-dem-pressefreiheit-ranking-von-reporter-ohne-grenzen-warum-brasilien-aus-mitteleuropa-soviel-lob-erhalt/

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/03/14/brasiliens-atomkraft-ausbau-mit-deutscher-hilfe-mit-der-ublichen-immer-groseren-verspatung-kommen-manche-uralt-fakten-irgendwann-doch-noch-sogar-in-der-deutschen-provinz-an-rio20-und-die-spesenrit/

Brasilien – Staats-Korruption in Lulas letztem Amtsjahr 2010 – 85 Milliarden Real abgezweigt, laut Nachrichtenmagazin “Veja”. “Zehn Gründe, um sich zu empören”.

Montag, 24. Oktober 2011 von Klaus Hart   **

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Laut “Veja” hätte das abgezweigte Geld u.a. ausgereicht, das Elend in Brasilien auszutilgen. Lula selbst ist laut Medienangaben unterdessen zum Dollar-Millionär aufgestiegen – hat wegen seiner Politik, vor dem Hintergrund der Korruptionsfakten, der sozialen Kosten, aus Mitteleuropa enormes Lob erhalten, dazu Doktorhüte und Preise.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/08/brasilien-aufschrei-der-ausgeschlossenen-2011-proteste-in-sao-paulo-grito-dos-excluidos/

Laut Befreiungstheologe Frei Betto, Ex-Lula-Berater beim Anti-Hungerprogramm,  liegt die Zahl der in extremer Armut, also in Hunger und Misere, lebenden Brasilianer, nicht wie offiziell angegeben, heute bei 16 Millionen, sondern ist doppelt so hoch. Nach derzeit geltendem mitteleuropäischen Werteverständnis hat damit die internationale Wirtschafts-und Finanzkrise, wie die Lula-Rousseff-Regierung verbreiten ließ, auf Brasilien nur geringe Auswirkungen gehabt.

Brasiliens investigative Journalisten wiesen indessen auf Rekordentlassungen, den Stopp vieler Industrieprojekte, auf Exportprobleme und Deindustrialisierung, geschönte offizielle Statistiken. 

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“Krise – was denn für eine Krise?” – Kloake-Slum in Sao Paulo.

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/03/15/brasiliens-slum-sondergerichte-der-banditenkommandos-existieren-weiter-todesurteile-folter-verstummelungen-laut-landesmedien/

Brasilien, Sao Paulo, Avenida Tiradentes: Geld “verdienen” bei Rot. Nur sehr wenige geben ihm was. Fotoserie Sao Paulo. **

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/01/18/sao-paulo-fotoserie-uber-brasiliens-megacity/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/03/15/brasiliens-obdachlose-wieder-ganze-schlafende-gruppe-nachts-von-unbekannten-angezundet-56-jahrige-in-lebensgefahr/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/29/brasiliens-neue-prasidentin-dilma-rousseff-raumt-erstmals-moglichen-bruch-des-wahlversprechens-ein-das-elend-im-lande-auszutilgen/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/27/zdf-adveniat-gottesdienst-in-favela-cachoeirinha-von-sao-paulo-2011-brasiliens-kontraste-fotoserie/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2009/08/15/brasilias-u-boot-geschaft-mit-paris-so-teuer-wie-zwei-jahre-anti-hunger-programmbolsa-familia-meldet-o-globo/

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Ausriß O Globo.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/30/brasiliens-heranwachsende-in-extremer-armut-zahl-zunehmend-laut-neuer-unicef-studie-acht-jahre-lula-rousseff-regierung-und-resultate/

Brasiliens Slum-Sondergerichte der Banditenkommandos existieren auch unter der Rousseff-Regierung weiter – Todesurteile, Folter, Verstümmelungen, laut Landesmedien. Brasiliens Wachstumsbranche Crack und das organisierte Verbrechen. **

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/03/15/brasiliens-slum-sondergerichte-der-banditen-diktatur-in-zeiten-neoliberaler-herzenskalte-video-anklicken/

In Rio de Janeiros Slum-Region “Complexo da Maré” ist die Polizei bei einem Einsatz den Angaben zufolge zufällig auf ein Sondergericht gestoßen, das bereits einen Mann gefoltert und erschossen hatte, während ein weiterer zur Exekution vorgesehen war und gerade sadistische Folterungen erlitt. Die Banditen des Sondergerichts hatten ihm bereits einen Teil des Fußes abgetrennt, er schwebt in Lebensgefahr. Sondergerichte dieser Art sorgen in den brasilianischen Slums unter Millionen von Menschen für ein Klima von Angst und Terror – in in neoliberalen Ländern Europas stoßen derartige Fakten seit Jahren fast durchweg lediglich auf Desinteresse und extreme Herzenskälte.

“As cenas de terror eram feitas próximo ao corpo de um outro homem com sinais de espancamentos. O homem torturado de 34 anos, foi levado para o Hospital Souza Aguiar, no Centro, com ferimentos feitos com machado, um tiro na barriga, outro na perna direita, e o braço quebrado.” (O Dia)

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Opfer der Banditen-Diktatur in Rio, Ausriß. In Lula-Amtszeit lebendig verbrannt – laut Presseberichte. “julgada, queimada e morta”. Den Angaben zufolge wurde die Frau von einem Banditen-Sondergericht vor der grausamen Hinrichtung auch sadistisch gefoltert, wie entsprechende Wunden am Körper zeigten. Die Frau befand sich mit ihren fünf kleinen Enkeln in der Kate, als sie von den Banditen herausgezerrt und zur “microondas”-Stelle gestoßen wurde. Der Fall erregte bei sogenannten Dritt-Welt-NGO keinerlei Aufmerksamkeit – die Fortexistenz der Slum-Sondergerichte war natürlich auch auf den Weltsozialforen in Brasilien nie ein Thema. Entsprechende brasilianische Presseberichte waren keineswegs selten, erschienen teilweise als Aufmacher mit Schlagzeilen in Qualitätsmedien – just während der Lula-Rousseff-Amtszeit:”O Tribunal do trafico em acao.” Auch der gefolterte und lebendig verbrannte TV-Reporter Tim Lopes wurde Opfer eines Slum-Sondergerichts. In Sao Paulo berichteten die Medien u.a. 2010 über derartige Sondergerichte in der Megacity, die Menschen lebendig verbrennen. Ein Foto zeigt Polizisten mit Überresten einer Leiche – die Bildunterschrift lautet:”Leiche des Opfers eines Tribunals des Verbrechens wird abtransportiert.”

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/668242/

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/ewelten/1651902/

Der katholische Favela-Priester Luis Antonio Pereira Silva in Rio de Janeiro im Website-Interview:“Die Polizei kommt in die Favelas und ist morgen wieder weg – doch die Banditenkommandos bleiben.“

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/03/21/brasiliens-diktatur-verbrechen-wie-unter-lula-und-seiner-chefministerin-dilma-rousseff-die-aufklarung-behindert-wurde-diktaturverbrecher-einen-wichtigen-aufschub-erhielten/

Brasiliens Privilegiertenghettos als Gesellschaftsmodell – jetzt auch in Deutschland. **

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„Die Flucht der Elite. Sie schicken ihre Kinder in Privatschulen, ziehen in bewachte Viertel und verlassen das Sozialsystem.Die deutschen Eliten fangen an, sich aus der Solidargemeinschaft zu verabschieden.“ Der Spiegel über ”Brazilianization, vor der in den USA längst gewarnt wird.

“Koloniales Denken und Handeln”

Schriftsteller Ulrich Peltzer kritisiert in Sao Paulo  Gated Comunities: “Das ist ein Umbau, der zur Zeit in Europa auch stattfindet.”

Übermannshohe Mauern, obendrauf zusätzlich Hochspannungs-Drahtverhaue, Überwachungskameras, mißtrauisch dreinblickende Privatpolizei mit Walky-Talkies am pompösen Tor – dahinter Villen oder luxuriöse Penthouse-Blocks, viel Grün, Swimmingpools, Tennisplätze: Brasiliens Betuchte schotten sich immer perfekter gegen Misere und ausufernde Kriminalität in einem Land mit jährlich über 50000 Morden  ab – angesichts forcierter neoliberaler Spaltung der Gesellschaft, deutlicher Förderung von Gewaltkriminalität selbst in früher nahezu kriminalitätsfreien Regionen sowie der Einführung von stark machistisch geprägten Gewaltformen  macht  das Beispiel inzwischen auch in Deutschland Schule. Der Spiegel 2008:”Die Elite ist dabei, sich vom Rest der Gesellschaft abzukoppeln. Es sind Symptome einer Zweiklassengesellschaft zu beobachten, die bis vor wenigen Jahren eher in Schwellenländern vorkamen.” Der “Tagesspiegel”, Berlin: “Zu bestimmten Tageszeiten und in bestimmten Gegenden Berlins ist die Gefahr, als Einzelner Opfer einer Gewalttat zu werden, ein nicht mehr zu vernachlässigendes Risiko.”

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/17/lynchland-brasilien-meiste-opfer-lebendig-verbrannt/

Fährt der Befreiungstheologe und Dominikaner Frei Betto durch die besseren Viertel der Megacity  Sao Paulo, kommt er immer wieder an solchen “Condominios fechados”, geschlossenen Wohnanlagen, vorbei, nennt sie ironisch “Luxusgefängnisse”. Über dreihundert gibt es bereits im größten deutschen Wirtschaftsstandort außerhalb Deutschlands, die Nachfrage ist enorm, auf den Wartelisten stehen auch deutsche Manager. Kein Tag ohne ganzseitige Farbanzeigen in den großen Blättern:”Komm und lebe in Freiheit, Sicherheit, Grün!” – ob im neuen “Swiss Park”, im “Liberty Village”, der “Ville Versailles”.

Familienfreundlichkeit ist ein wichtiges Werbeargument:”Hier werden Deine Kinder wie VIPs behandelt!”. Zehn Megaprojekte, jedes mit durchschnittlich 1300 Villen-Geländen, sind brasilienweit im Bau. Vor sechs Jahren lebte nur rund eine halbe Million in solchen Privilegiertenghettos, heute etwa dreimal soviel. Nimmt man die abgesperrten Villen-Privatstraßen der besseren Viertel hinzu kommt man brasilienweit sogar auf über sechs Millionen. Pionier-„Ghetto” Sao Paulos war Alphaville, gegründet vor fast dreißig Jahren “ heute eine Stadt in der Stadt mit rund vierzigtausend Bewohnern, einziges Condominio Brasiliens in dieser Größenordnung. Zwischen Lateinamerikas Wallstreet, der Avenida Paulista in Sao Paulos City, und Alphaville pendeln ständig komfortable Sonderbusse.
Alles nicht nur für den in Deutschland durch Bücher, soziologische Vorträge bekannten Frei Betto ein Absurdum:”Die Stadt sollte Ort des Zusammentreffens, Austauschs, der Solidarität sein “ wurde stattdessen zur Geisel der Banditengewalt “ mit Condominios provozierender Opulenz, eingekesselt von Misere. Wir sind Fußball-Weltmeister “ aber unglücklichweise auch Weltmeister in sozialer Ungleichheit.” Vierundsechzig Prozent des Volkseinkommens, so der frühere enge Berater von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva, seien in der Hand von nur zehn Prozent der Brasilianer, also von nur siebzehn Millionen. Ein Bauarbeiter, der solche”Luxusgefängnisse” miterrichtet, verdient nur umgerechnet zwischen siebzig Cents und zwei Euro die Stunde, wohnt deshalb an der ausgedehnten Slumperipherie. „Anstatt die Ursachen von Misere, Armut und Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen, flieht Lateinamerikas Elite vor den Folgen eigener Politik, zieht es vor, den eigenen Reichtum herauszustellen, baut deshalb diese Condominios fechados, Inseln der Phantasie “ voller Angst vor denen auf der Straße, vor dem öffentlichen Raum.” Denn dort schlägt dieser Elite nur zu oft blanker Haß der in Jahrhunderten durch Elend Brutalisierten entgegen, wie Brasiliens größte Qualitätszeitung, die „Folha de Sao Paulo, kommentiert.
Die Gewaltbereitschaft vor allem der perspektivlosen Unterschichtsjugend ist so groß, daß etwa in Sao Paulo selbst Großdiskotheken und Samba-Ballhäuser nachts vorsorglich von schwerbewaffneter Militärpolizei und Munizipalgarde umstellt werden. Bis auf weiteres in Deutschland noch unvorstellbar –  Brasilien gilt weiterhin nur zu vielen Deutschen als Traumland, Kenntnisse über andere Länder werden auch dank “politisch korrekter” Informationssteuerung immer geringer.

“Das sind wahre Inseln des Reichtums in einer Metropole voller Armuts-und Gewaltprobleme”, sagt die Stadtsoziologin Eva Turin über die Condominios fechados. “Auf diesen Inseln wohnt die Elite des Landes, die ja hier in Sao Paulo konzentriert ist. Diesen Leute geht es nicht nur um mehr Sicherheit, für sie ist es eine Frage des Status, in einer geschlossenen Wohnanlage zu leben, die von einer brutalen Privatpolizei bewacht wird. Ja, es ist nicht zu übersehen – Sao Paulo ist auch eine geteilte Stadt. Zwischen den Slums, mitten in der Misere wirken diese Wohnanlagen wie Festungen. Hier wird augenfällig, wie sich der Staat aus der sozialen Problematik zurückzieht und wie er eine Stadtpolitik betreibt, die die gesellschaftlichen Spannungen weiter verschärft. Gleichzeitig erkennen wir, welche Visionen unsere Eliten pflegen.  Sie suchen extrem individualistische Lösungen nur für sich – und lassen den Rest des Landes völlig  außer Acht, also 98 Prozent der brasilianischen Bevölkerung. Kein Zweifel, das ist koloniales Denken und Handeln.”

Sollten in Deutschland Kriminalität und Gewalt weiter gefördert werden, dürften nach dem Vorbild der USA – und Brasiliens –  bald ebensolche Condominios sowie immer mehr No-Go-Areas entstehen. Mit einer strengen Einlaßkontrolle an den Privilegiertenghettos, die der an deutschen Militärobjekten ähnelt: Bewaffnete Wächter, die von der Straße aus hinter ihren schwarzen Spezialfenstern nicht zu erkennen sind, mustern die Ankommenden. Dann wird für die jeweiligen Personen bzw. für deren Wagen der erste Metallgitterzaun geöffnet, der sich sofort wieder hinter ihnen schließt. Daraufhin muß man sich bei den mißtrauischen Wächtern ausweisen, die sofort bei dem jeweiligen Appartement, der jeweiligen Villa telefonisch anfragen, ob man tatsächlich erwartet wird. Erst dann öffnet sich der zweite Metallgitterzaun, darf man passieren.
Man muß sich nur einige Basisfakten vor Augen führen: In Südamerikas reichster Stadt genießen gemäß einer neueren Präfekturstudie gerade 3,46 Prozent der Bevölkerung einen europäischen Sozialstandard und nur zehn Prozent den durchschnittlich asiatischen “ doch über die Hälfte lebt wie in Afrika, fast ein Drittel wie in Indien. Etwa alle acht Tage entsteht ein neuer Slum, obwohl allein in der City ganze Wohnblocks, mit über vierzigtausend meist gutausgestatteten Appartements, teils seit sieben Jahren leerstehen. Besetzer werden gnadenlos von der Polizei herausgeprügelt.
Die größtenteils in Aachen aufgewachsene Afghanin Maryam Alekozai machte in einem Slum Sao Paulos, der jährlich über fünfhundert Mordtote zählt, ihr soziales Jahr, zeigte sich über die Sozialkontraste schockiert:”Tagsüber, nachts fallen Schüsse, immer wieder verlieren Kinder ihre Väter. Das ist hier gar nicht so anders wie damals in Afghanistan, als ich klein war. Der Unterschied zwischen einem fünfjährigen Mädchen hier und in Deutschland ist so groß! In den Augen der brasilianischen Kinder sehe ich Haß, ganz tiefen Haß “ und Wut. Man blickt nicht in Kinderaugen, sondern eigentlich in Augen von Erwachsenen, die voller Aggressionen sind. Gewalt und Ungerechtigkeit, die in diesem Land herrschen, spiegeln sich in deren Augen “ unübersehbar!” In Sichtweite glitzernder Hightech-Geschäftshäuser und Condominios sind neofeudale Banditenmilizen, die Maschinenpistolen der NATO-Armeen tragen, unumschränkte Herrscher, terrorisieren Bewohner, verhängen Ausgangssperren “ manche minderjährige Kindersoldaten Sao Paulos killten bereits bis zu vierzig Menschen. Immer wieder werden auch in Rio de Janeiro Slumbewohner, die sich dem Normendiktat widersetzen, zur Abschreckung lebendig verbrannt. Hätte Deutschland eine Gewaltrate wie Brasilien, würden dort jährlich nicht über tausend, sondern weit über zwanzigtausend Menschen umgebracht, befänden sich mehr als zehn Millionen illegaler Waffen fast jeden Kalibers in Privat-bzw. Gangsterhand.
–granatensichere Bunker im Penthouse “
Der neueste Hit “ Spezialbunker in der Villa, im Luxusappartement, sogar granatensicher. Falls doch einmal hochspezialisierte Einbrecherbanden, Geiselnehmer die „erste Verteidigungslinie” des Condominio fechado durchbrechen sollten, was immer wieder passiert, hätte man hier noch eine Rückzugsmöglichkeit. Kostenpunkt “ ab umgerechnet 150000 Euro aufwärts. Damit es möglichst nicht soweit kommt, haben manche Condominios mehr als 180 Überwachungskameras in Korridoren, Treppenhäusern, Liften, Garagen, Sportanlagen, am Schwimmbad “ Big Brother is watching you. Das Verrückteste – neuerdings haben vielerorts auch die Bewohner per Internet Zugang zum Monitor der Sicherheitsleute, können damit beobachten, was Nachbarn, Gäste gerade im Aufzug oder anderswo tun und treiben.
Lateinamerikas Betuchten geht es materiell prächtig “ wie das Handelsblatt Anfang 2008 meldet, wächst die Zahl der Millionäre in Brasilien täglich um 164 Personen.  Auch die meisten Milliardäre des Tropenlandes leben in Sao Paulo, haben allerdings wie die anderen Begüterten an den traditionellen Elitedistrikten nicht mehr viel Freude. Entführungen gleich in Serie schlagen aufs Gemüt; auch fast alle ausländischen Manager, darunter die deutschen, fahren nur in gepanzerten Limousinen. Und nur in Indien gibt es mehr Arbeitslose als in Brasilien, Misere und Kriminalität nehmen unaufhörlich zu; pro Jahr werden selbst nach den geschönten offiziellen Daten in der immerhin zehntrößten Wirtschaftsnation über 50000  Menschen ermordet. Daher dauert die Flucht in die Condominios  an, freuen sich Baufirmen und Architektenbüros über ein regelrechtes „Boom-Fieber”.
Aber nehmen wir den Jugendlichen Alvaro, aus guter Anwaltsfamilie, der in Rio de Janeiros Strandviertel Barra da Tijuca realitätsfremd fast ständig hinter Gittern lebt “ in einem weitläufigen Bilderbuch-Kondominium der Mittel-und Oberschicht mit allem Drum und Dran. Swimmingpools, Spiel-und Tennisplätze, Golfwiesen und etwas Park, ferner eine Bäckerei, eine Apotheke, ein Fitneß-Center und vor allem Sicherheit im Übermaß. Denn der ganze Condomínio ist von hohen Gitterstäben umgeben und wird von einer bewaffneten Spezialgarde überwacht “ ein Berufsstand, dreimal so kopfstark wie die brasilianischen Streitkräfte. Auch Alvaros Familie hat natürlich mehrere Hausangestellte “ am stabilen Portal mit den TV-Kameras werden sie wie andere Ortsfremde gefilzt, die Gutbetuchten der immerhin achtgrößten Wirtschaftsnation lassen sich ihre Sicherheit jährlich nicht weniger als 28 Milliarden Dollar kosten.
Ein Fahrer bringt den jungen Alvaro morgens zur Privatschule, nachmittags zurück. Für ihn besteht kaum noch die Notwendigkeit, den Condomínio, gelegentlich „goldener Käfig” genannt, zu verlassen, andere Viertel oder gar den nahen Atlantikstrand zu frequentieren. In Barra da Tijuca, einer Miami-Kopie für Neureiche und Aufsteiger, zählt Alvaro zu jenen Kids, die von Rest-Rio weit weniger kennen als der oberflächlichste Copacabana-Tourist. Das berühmte Opernhaus, Klöster und Kirchen der Altstadt haben sie bestenfalls auf Prospektfotos gesehen. Besorgte bildungsbeflissene Eltern organisieren deshalb regelmäßig Bustouren, die den Sightseeing-Trips für Ausländer aufs Haar gleichen “ auch Alvaro mußte einmal mit. Sein bester Freund Patrick wohnt im selben Condominio, der Vater, ein Unternehmer, bedauert: ”Mit meinen Geschwistern habe ich früher noch vor dem Elternhaus auf der Straße Fußball gespielt, sind wir mit dem Rad einfach so rumgefahren “ für meine Kinder wäre das alles heute dort völlig unmöglich, wegen der Kidnapper und Straßenräuber viel zu gefährlich. Nur hier, im Condominio, brauche ich mir um sie keinerlei Sorgen zu machen.”
Schon absurd “ in Barra da Tijuca werden die neuesten Wohnanlagen mit immer größeren Freizeitparks, Pools, Spaßbädern bestückt “ als läge einer der schönsten, saubersten Strände der Welt nicht wenige Fußminuten entfernt. „Das ist der neueste Trend beim Condominio-Bau”, erläutert ein Chefarchitekt, „keineswegs zusätzlicher Luxus, sondern eine Notwendigkeit.” Denn die Zehn-Millionen-Stadt Rio sei nun einmal nicht sicher. Für Sao Paulo und die anderen Millionenstädte gilt das gleiche “ und solange die Prominentenghettos noch nicht über Privatschulen verfügen, wird für Alvaros Altersgenossen an den College-Toren täglich ein Sicherheits-Zirkus veranstaltet, der Mitteleuropäern den Mund offenstehen läßt: Damit nach Schulschluß alle Privilegiertenkids wohlbehütet wieder zu ihren Condominios und Villen gelangen, sperrt die Verkehrspolizei Rios und Sao Paulos sogar Straßen ab, damit die Panzerlimousinen zügig davonbrausen können.

Auffällig “flexible”Eliten-Ethik
Hat diese sogenannte Condominio-Generation ein bestimmtes Profil? Soziologen, Anthropologen haben sich der Frage bereits ausführlich gewidmet, Fallstudien angefertigt. Denn so nobel, kultiviert, geordnet, zvilisiert, wie manche denken, geht es in den Elite-Enklaven keineswegs zu “ vieles erinnert vielmehr an Gepflogenheiten aus der Kolonialzeit. In einem Luxus-Condominio bei Sao Paulo bespielsweise wurden sogar schon Elf-und Zwölfjährige beim Haschischrauchen angetroffen, den Eltern offenbar egal. Gar nicht wenige erlauben zudem ihren Kindern, im Condominio mit dem schweren Wagen der Familie heraumzubrausen, dort sogar Rennen zu veranstalten. Natürlich versuchten die Wachleute einzugreifen, das Treiben unter Hinweis auf die Condominio-Ordnung zu beenden. Doch da griffen sofort die betuchten Eltern ein, verteidigten ihre Kids, verbaten sich solche Verbote. Und die schlechtbezahlten Wachleute ignorierten künftig alles, aus Angst, die Stelle zu verlieren. Gewöhnlich haben weder Militär-noch Zivilpolizei Zutritt zu den Condominios. Als ein besorgter Vater den ausufernden Konsum auch harter Drogen beenden wollte, deshalb eine Gruppe von Polizeibeamten hineinließ, wurde er von einer Elternkommission beinahe gelyncht: „Im Condominio bestimmen nur wir.” Sogar Diebstähle werden in Brasiliens Reichenghettos vertuscht. Auch andere Straftaten, die außerhalb der Condominio-Mauern natürlich ein Fall für Justiz und Polizei wären, werden vergeben.

In Rio de Janeiro stieß die Polizei 2008 zufällig auf ein großes Wasserrohr, das gleich zwei Nobel-Condominios illegal seit 1992 mit Trinkwasser versorgte. Das Rohr war heimlich an eine Hauptleitung der städtischen Wasserbetriebe angeschlossen worden. Über all die Jahre hatten die weit über eintausend betuchten Bewohner der Condominios keinen Centavo Wassergeld bezahlt – und den Wasserraub gedeckt. Andere Condominios in Brasilien verfuhren genauso, üblich ist auch Stromraub.

Deshalb betont die angesehene Psychoanalytikerin Maria Rita Kehl, daß die schlimmsten Beispiele von Verantwortungslosigkeit und fehlender Bildung stets die nationale Elite liefere, seit jeher daran gewöhnt, mit einer Serie illegaler Praktiken verschiedenster Schwere zu leben. „Väter bieten dem Verkehrspolizisten ein Bestechungsgeld an, damit er von einer Bestrafung läßt, fordern in der Privatschule die Entlassung jenes Lehrers, der aus objektiven Gründen den Sohn nicht versetzte.” Den Kindern werde von klein an gezeigt, daß sich mit Geld aber wirklich alles kaufen, erkaufen lasse. Und daß selbst aus Luxuskarossen immer wieder Flaschen, Büchsen, anderer Müll auf die Straße geworfen werden, beobachtet jeder einmal in Brasilien “ dieser Teil der Stadt, so Maria Rita Kehl, sei schließlich nicht ihrer, sondern jener „der anderen”. Zynismus und illegale Praktiken der Elite korrumpierten, bildeten für das Verbrechen sehr effizient einen beträchtlichen Teil der jungen Generation heran, schlußfolgert die Therapeutin. Elitekids, jene zukünftigen neoliberalen Entscheidungsträger der Mittel-und Oberschicht, werden in repräsentativen Studien als antisozial, superindividualistisch, apolitisch sowie zu Autoritarismus und Gewalt neigend beschrieben. Fast 98 Prozent nennen als allerersten Lebensinhalt einen guten Posten und ein hohes Gehalt, um absolut desinteressiert am Zustand und der Zukunft des Landes ein sorgenfreies Leben führen zu können. Ein Gefühl von Verantwortlichkeit für die soziale Misere, die kraß ungerechte Einkommensverteilung existiere nicht. Auffällig zudem, daß unter diesem Jugend-Segment der Einfluß der nordamerikanischen Kultur am stärksten sei.
Aber ist es wirklich nur das immer wieder herausgestellte Sicherheitsargument, das Betuchte in die Condominio-Ghettos zieht? Die Soziologin Ana Roberts verneint dies nach ausgedehnten Untersuchungen. Am meisten habe sie überrascht, daß es den Bewohnern sehr wesentlich um Status gehe. Wer im Condominio lebe, betone damit vor aller Welt, „ich bin anders”, gehöre zu den Privilegierten. Ebenso werde immer die „bessere Bildung und Erziehung der Kinder” als Wohnargument betont. Auch da sind laut Ana Roberts große Zweifel angebracht, weil innerhalb des Condominios nur zu oft den Heranwachsenden kaum Grenzen gesetzt würden. Sie nannte den Fall einer Mutter, die ihr Kind zwar seit sage und schreibe drei Tagen überhaupt nicht gesehen habe, dennoch völlig unbesorgt sei “ in der Gewißheit, daß es irgendwo im Condominio stecke.
–USA fürchten „Brazilianization”–
Michel Lind, Buchautor, neokonservativer Herausgeber der US-Zeitschrift „The New Republic”, hat diese seit Jahrzehnten existierenden Sozialstrukturen nicht nur in Rio, sondern auch in Sáo Paulo ausgiebig studiert, im Buch „The Next American Nation” eine ernste Warnung an seine Landsleute gerichtet:” Wir befinden uns in einem besorgniserregenden Prozeß der Brasilianisierung, hin zu einem tyrannischen System immer ungleicherer sozialer Klassen.” Für Lind bedeutet Brazilianization, ”daß sich die dominierende weiße amerikanische Klasse innerhalb der eigenen Nation noch weiter in eine Art Barrikadennation zurückzieht “ in eine Welt abgeschirmter Viertel mit Privatschulen, Privatpolizei, privater Gesundheitsbetreuung und selbst Privatstraßen.” Nicht anders als eine lateinamerikanische Oligarchie könnten die reichen und mit wohlfeilen Kontakten ausgestatteten Mitglieder der herrschenden Oberschicht prosperieren – draußen das dekadente Amerika mit Ungleichheit und Kriminalitätsraten ähnlich Brasilien, all die Miserablen, Bettler, Straßenkinder. Und ebenso wie in Brasilien sei dann die Mehrheit der Schwarzen und Mischlinge in der Unterschicht anzutreffen “ und zwar für immer.

Längst werden in europäischen Ländern ähnliche gesellschaftliche Konzepte verfolgt. “Der Spiegel” im Text “Flucht der Elite” von 2008:”Die wachsende Spaltung zwischen Arm und Reich zeigt sich vor allem in der Verteilung der Vermögen. Die wohlhabendsten 10 Prozent der Haushalte besitzen fast 60 Prozent des gesamten Reichtums…Georg Glasze ist ein weitgereister Mann, seinem Forschungsgebiet sei Dank. Der Wissenschaftler des Geografischen Instituts der Universität Mainz untersucht gated Comunities, bewachte Wohnanlagen. Es handelt sich um ein Thema mit großer Zukunft, wie er heute weiß. Glasze kennt Alphaville, ein Luxusghetto nahe Sao Paulo für mehr als 50000 Menschen, das über eigenen Schulen und eine eigene Wacharmee verfügt…Beispielsweise im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Das beliebte Altbauviertel ist seit neuestem um eine Attraktion reicher. 18 Jahre nach dem Mauerfall gibt es wieder eine mit Schlagbaum abgeriegelte Straße. Hinein darf nur, wer hier wohnt oder als Besucher angemeldet ist. Ein Wachmann registriert, wer draußen am Eisenzaun vorbeikommt…Gated Comunities sind noch ein Nischenmarkt in Deutschland, sagt Glasze, aber ein wachsender. In fast allen Großstädten  entstehen solche Wohneinheiten für Gutsituierte.” Nach dem Sieg im Kalten Krieg, dem Wegfall der Systemkonkurrenz, sind die einst aus taktischen Gründen gepflegten sozialen Rücksichten nicht mehr nötig. Der Spiegel:”Früher, sagt Birger Priddat, Präsident der privaten Universität Witten/Herdecke, hat sich die Elite für die Gesellschaft verantwortlich gefühlt. Doch damit sei es weitgehend vorbei. Nun konzentriere man sich auf das eigene Wohl.”
Victor Bulmer-Thomas, Direktor des Zentrums für lateinamerikanische Studien an der Londoner Universität, urteilt: ”Ebenso wie die alte französische Aristokratie, fühlen sich die Eliten Lateinamerikas nur dann erst richtig reich, wenn sie von Armen umgeben sind.” Senator Cristovam Buarque geht sogar soweit, die Eliteangehörigen nicht zu den Staatsbürgern zu zählen:”Die Ungleichheit zwischen Reichen und Armen, ob in Einkommen, Bildung, Wohnniveau, Transport, Freizeitverhalten, Ernährung und Umgangsformen, ist so gewaltig, daß die Elite im Grunde nicht mit am gleichen Tisch sitzt, nicht über die gleichen Themen spricht, nicht jenes Gefühl hat, zum selben Volk zu gehören…Im Brasilien des 21. Jahrhunderts sieht sich die Elite so entfernt vom Volke wie im 19.Jahrhundert.”
Kirchliche Soziologen wie Eva Turin aus Sao Paulo machen bei vielen betuchten Deutschen der Megametropole ähnliche Haltungen aus:”Sie benehmen sich wie die Elite der Elite, noch über den reichsten Brasilianern, mischen sich nicht mit uns, solidarisieren sich nicht.” Teile von Deutschlands Eliten pflegen eine große Vorliebe für Brasilien. Man ist dem Tropenlande tief dankbar, daß es nach dem Ende des Regimes von Adolf Hitler so vielen seiner schwerbelasteten Getreuen, darunter Kriegsverbrechern wie Josef Mengele, Unterschlupf, gar neue Aufstiegschancen, politische Mitwirkung während der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 ermöglichte.
–„Sklavenhaltermentalität””
Brasiliens katholische Kirche hat die Abschottungs-und Ausgrenzungspolitik der Geld-und Politikerelite stets hart kritisiert “ deutliche Worte kamen vor allem von dem deutschstämmigen Kardinal Aloisio Lorscheider und natürlich Kardinal Evaristo Arns in Sao Paulo, der die „Sklavenhaltermentalität” immer noch tief verwurzelt sieht. Schwarze, Mulatten sind in Brasilien die typischen Slumbewohner und werden mittels eines verdeckten Systems der Apartheid am sozialen Aufstieg gehindert. Der zu PR-Zwecken noch von jeder brasilianischen Regierung um die Welt geschickte Multimillionär, Ex-Fußballspieler und Ex-Sportminister Pelè ist jene Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Die Brasilianisierungsdebatte wurde auch durch Roberto da Matta, einen der bekanntesten, derzeit in den USA lehrenden brasilianischen Anthropologen bereichert. Michel Lind habe die Dinge korrekt charakterisiert, die hierarchische Gesellschaftsstruktur genau beschrieben:”Die Elite hat immer Paris, London und New York viel mehr geliebt; im Grunde genommen heißt, zur Brasiliens Elite zu gehören, Ausländer im eigenen Land zu sein.” Als schwerwiegendes Problem sieht Da Matta, daß die Oberschicht Brasilien nicht mag, „und was man nicht gern hat, kann man nicht kultivieren, pflegen.”
Seine Kollegin Teresa Caldeira hat über Condominios fechados sogar ein vielbeachtetetes Buch, „Stadt der Mauern”, geschrieben. Sie nennt es verhängnisvoll, daß sich die Elite einmauere, aus dem öffentlichen Raum der Städte zurückziehe, anstatt diesen zu verbessern.”Die Begüterten bewegen sich in gepanzerten Limousinen oder Helikoptern, mit Leibwächtern fort, kaufen in gutbewachten Shopping Centers ein, arbeiten in abgeschirmten Bürokomplexen, wohnen in den Condominios fechados.”
Der Vorgänger von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva, der heutige UNO-Berater und FU-Berlin-Ehrendoktor Fernando Henrique Cardoso, war gerne in den Condominios, mied die Slums, verdrängte die dortigen Zustände, den Banditenterror. Für Marcelo Rubens Paiva, Kolumnist der auflagenstärksten Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo”, und Bestseller-Autor, ein besonders kurioser Sachverhalt: Der neoliberale Interessenvertreter der Oligarchien, Eliten war in den 50ern eingeschriebenes KP-Mitglied, ist gleichzeitig Großgrundbesitzer und Soziologe, der sich immer noch gelegentlich rühmt, einst als Dozent in Frankreich auch Daniel Cohn-Bendit unterrichtet zu haben. Für Paiva führte Cardoso eine Mitte-Rechts-Regierung aus Intellektuellen und Akademikern “ auf dem Throne sitzend, schauten sie auf Brasilien aus der Distanz, seien der Ersten Welt indessen nahe. Vanilda Paiva, Schriftstellerin und Soziologie-Doktorin der Uni Frankfurt, schlußfolgert nicht zufällig, daß sich in der neoliberalen brasilianischen Gesellschaft heute „Ultraarchaisches mit Ultramodernem mischt.”
Unterdessen haben Sozialforscher und Demographen nachgezählt “ über vier Millionen Nordamerikaner wohnen bereits in Condominios fechados a la Rio de Janeiro und Sao Paulo. In den USA werden die größten Fortschritte aus Kalifornien gemeldet “ Brasilianization-Experte Dale Maharidge zeichnet es im Buch „The Coming White Minority” ausführlich nach: Weiße konzentrieren sich zunehmend in städtischen „Inseln” “ eingekreist von Minoritäten in regelrechten Enklaven und Ethno-Ghettos. Stabile Gitterstäbe vor sämtlichen Fenstern parterre und im ersten Stock “ auch das wird in vielen nordamerikanischen Städten zunehmend normaler. Condominios fechados trifft man zunehmend häufiger in Johannesburg und Lagos – doch auch in anderen afrikanischen Millionenstädten schreitet diese Art der Ghettoisierung munter fort.

Der deutsche Schriftsteller Ulrich Peltzer, scharfer Beobachter der neoliberalen Sozialkontraste Brasiliens, reflektiert gegenüber dieser Website über Brasiliens Privilegiertenghettos, die geschlossenen Wohnanlagen mit Privatpolizei, stellt in Sao Paulo 2008  entsprechende Recherchen an:”Das ist ein Umbau, der zur Zeit in Europa auch stattfindet, daß es immer mehr solcher Gated Comunities gibt, Häuser mit Doorleuten. Städtische Räume, die plötzlich keine öffentlichen Räume mehr sind, sondern privatisiert werden –  daß sich sowas wie ne Security-Industrie herausbildet, die in Brasilien ja tatsächlich schon Industriestatus zu haben scheint, also ein grundsätzlicher postfordistischer Umbau von Gesellschaft, der möglicherweise bei den Gated Comunities, den privaten Sicherheitsdiensten in disfunktional werdenden Städten anfängt “ und bei den privaten Söldnern im Irak aufhört.”

Condominio-Eingang in Sao Paulo

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http://www.hart-brasilientexte.de/2008/04/08/lateinamerikas-katholische-nachrichtenagentur-adital-der-individualistische-und-wenig-solidarische-charakter-des-brasilianers/#more-288

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Doppelte Metall-Eingangstore für Menschen und Autos.

Brasiliens Padre Marcelo Rossi, sein Hit seit 2011: “O meu lugar é no céu.” (Agape musical) **

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http://www.youtube.com/watch?v=h8KBxfOrPrw

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Rossi-Tempelbau 2012 in Sao Paulo.

Brasiliens Musikbranche feiert erneut katholischen Padre Marcelo Rossi aus Sao Paulo als Zugpferd: Neue CD “Ágape Musical” lag 2011 mit 1,4 Millionen Tonträgern an der Spitze der Verkaufshitparade, Paula Fernandes nur Platz zwei. **

 

Unter den ersten Zehn der Verkaufshitparade von 2011 liegen auf den Plätzen 5, 6 und 7 ebenfalls katholische Priester – Hinweis auf die besondere soziokulturelle und musikalische Realität des Tropenlands. Das Fördern und Verstärken verschiedenster Klischees fern der Fakten über das “Samba-Land” – siehe die Karnevalsberichterstattung – erweist sich seit  Jahrzehnten als sehr lukrativ. 

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/27/zdf-adveniat-gottesdienst-in-favela-cachoeirinha-von-sao-paulo-2011-brasiliens-kontraste-fotoserie/

Brasiliens unangefochtener Bestsellerautor, der katholische Priester Marcelo Rossi und “Ágape” – seit 2010 bisher 7,5 Millionen verkaufte Exemplare. Wie stark sich die brasilianische katholische Kirche(130 Mio Gläubige) von der in Deutschland(24,6 Mio Gläubige) unterscheidet.

Sonntag, 26. Februar 2012 von Klaus Hart   **

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http://www.hart-brasilientexte.de/2008/12/16/gottesdienst-mit-padre-marcelo-rossi-2008-die-live-cds-paz-sim-violencia-nao1-und-2-der-missa-sind-die-meistverkauften-tontrager-dieses-jahres-in-brasilien-weit-vor-samba-und-pop/#more-1413

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/12/folter-ohne-ende-tortura-sem-fim-brasiliens-soziologiezeitschrift-sociologia-uber-folter-unter-der-lula-regierung/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/27/zdf-adveniat-gottesdienst-in-favela-cachoeirinha-von-sao-paulo-2011-brasiliens-kontraste-fotoserie/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/28/brasilien-nach-acht-jahren-lula-regierungwarum-hat-sao-paulo-noch-2627-slums-fragt-die-wichtigste-qualitatszeitung-o-estado-de-sao-paulo/

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/02/29/brasiliens-kuriose-innenpolitik-nachrichtenmagazin-veja-zur-ernennung-des-singenden-sektenbischofs-zum-fischereiminister/

Brasiliens Weltkulturerbe-Stadt Ouro Preto zu Ostern(Pascoa) 2012 – Leiden und Sterben des Jesus von Nazareth(Paixao de Cristo), interpretiert von der katholischen Jugendpastoral. Beklemmende aktuelle Bezüge. **

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/04/02/ostern-in-ouro-preto-brasilien/

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Faszinierende Generalprobe – fesselnde, berührende Aufführung.

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Pastoral da Juventude da Diocese Mariana:

Somos jovens com vontade de mudança. Nosso objetivo é evangelizar a juventude da Arquidiocese de Mariana com vistas à formação de lideranças alicerçadas em valores cristãos, éticos, morais e sociais, comprometidas com a luta em favor da vida. e com a construção de uma sociedade mais justa e solidária.

Buscamos um mundo repleto de oportunidades para que o jovem não seja apenas um mero expectador no mundo, mas sim agente de sua própria história e da mudança social. Procuramos promover a articulação entre os diversos grupos de jovens, assim como fortalecer a comunicação entre os jovens da Arquidiocese de Mariana. 

http://paroquiasantaefigenia-op.blogspot.com.br/2012/04/atividade-da-pj-de-ouro-preto-tem.html

Brasilien-Hintergrundtexte aus dem vergangenen Jahrzehnt:

Aus Amazonien nichts Neues(2005)

Studie widerlegt geschönte Regierungsangaben über Urwaldvernichtung

Daß Brasiliens Regierungen mit falschen, geschönten Zahlen das wahre Ausmaß der Regenwaldzerstörung herunterspielten, ist für Greenpeace, den WWF und Amazonasbischöfe wie den Österreicher Erwin Kräutler seit Jahrzehnten ein alter Hut. Doch auch in Deutschland nahm man die offiziellen Abholzungsdaten aus Brasilia gewöhnlich für bare Münze, hörte nicht auf die wahren Urwaldkenner. Deren Kritik wird jetzt erstmals durch eine Studie nordamerikanischer und brasilianischer Wissenschaftler bestätigt, die kurioserweise in Europa Überrraschung hervorruft.  Danach wurde etwa doppelt soviel Wald vernichtet als bisher immer vermeldet. Denn Überwachungssatelliten registrierten nur jene „Clear-Cut-Regionen“, in denen kein Baum mehr steht, nicht aber selektive Abholzungen. Diese ließen sich nun durch präzisere Auswertung von Satellitenfotos erstmals quantifizieren.

Kahlschläge fallen selbst in den Weiten Amazoniens leichter auf, könnten zu Ärger mit den Umweltbehörden führen. Deshalb verlegten sich die Holzfirmen seit den Neunzigern auf den illegalen „Corte seletivo“ – Bischof Kräutler im Amazonas-Teilstaat Parà hat die stupide Fäll-und Transportmethode immer wieder als Umweltverbrechen angeprangert. „Besorgniserregend ist, daß man dabei sogar Sklavenarbeiter rücksichtslos ausbeutet.“

Wurde ein Urwaldriese aufgespürt, der nicht selten über fünfhundert Jahre alt ist, wird er angesägt und reißt beim Sturz im Durchschnitt dreißig große Bäume bester Qualität mit um, ganz zu schweigen vom plattgewalzten Unterholz. Arbeiter trennen nun den unteren, dicksten Teil des Stammes von jenem zum Wipfel auslaufenden Rest, nach dem sich jedes europäische Sägewerk die Finger lecken würde. Dieser große Rest wird jedoch ebenso wie die umgerissenen Edelholzbäume liegen gelassen und verfault. Der herbeigerufene Bulldozer zerrt nur das Filetstück des Urwaldriesen hinter sich her. Zurück bleibt ein Ort der Verwüstung und Degeneration. Starke Winde zerbrechen schwache Restbäume. Die relativ dünne Humusschicht ist erstmals Sonne und starkem Tropenregen ausgesetzt, verliert rapide an Fruchtbarkeit. Doch auch der Bulldozer  reißt oft eine mehrere Dutzend Kilometer lange Spur der Zerstörung in den Tropenwald, da ein Wegenetz fehlt. Nur einige Prozent der jährlich anfallenden Edelholzmasse gelangen auf den Weltmarkt – das meiste vermodert oder wird abgefackelt. Wegen der berüchtigten Brandrodungen, mit denen vor allem Flächen für mehr Sojaanbau gewonnen werden, zählt das Drittweltland zu den fünf größten Luftvergiftern der Erde. In gigantischen Flammenwänden verbrennen Millionen von Tieren lebendig, die nationale Liste vom Aussterben bedrohter Arten wird daher rasch länger. Kein Wunder, daß Brasilien im neuesten Guinness-Buch der Rekorde gleich mehrfach als Top-Umweltvernichter negativ herausgestellt wird.

Staatschef Luis Inacio Lula da Silva und seine zu einer großen Pfingstkirche zählende Umweltministerin Marina Silva hatten Anfang 2003 beim Amtsantritt der Weltgemeinschaft radikalen, beispielhaften Naturschutz versprochen. Doch passiert ist das Gegenteil. Selbst gemäß den geschönten amtlichen Angaben wurden jährlich weiterhin über 25000 Quadratkilometer Urwald vernichtet, mehr als in den Jahren der Militärdiktatur –  den „Corte seletivo“ nicht eingerechnet. Greenpeace und Umweltexperten der katholischen Kirche weisen jetzt erneut auf Blairo Maggi – schwerreicher Gouverneur des Amazonasteilstaat Mato Grosso.  Maggi sei zugleich weltgrößter Sojaproduzent und für die Hälfte der jüngsten Abholzungen direkt verantwortlich. Er gehört zur „Sozialistischen Volkspartei“(PPS), einem wichtigen Koalititionspartner von Staatschef Lula.  Der fördert das devisenbringende „Agrobusiness“, besonders die Soja-und Fleischexporteure, nach Kräften.

Auf Brasiliens Umweltaktivisten werden immer wieder Attentate verübt. Im Februar ließen Holzunternehmer und Großfarmer in Bischof Kräutlers Teilstaat Parà die nordamerikanische Missionarin und Regenwaldschützerin Dorothy Stang ermorden. Ende Oktober macht Parà wieder Negativschlagzeilen: Jener Großagrarier Josè Dias Pereira, der die letzten zwei Jahre in einem Schutzgebiet an die zwei Millionen Urwaldbäume fällen ließ und deshalb ins Gefängnis kam, wurde nach 52 Tagen freigelassen.

Katholischer Amazonaspriester wegen Umweltprotesten mit Mord bedroht/”Willst du wie Dorothy Stang enden?”

Der katholische Priester Antonio Ramiro Benito wird derzeit im nordbrasilianischen Teilstaate Amazonas von Holzfirmen und deren Pistoleiros mit Mord bedroht, weil er öffentlich die illegale Abholzung von Urwald anprangert. Wie die Qualitätszeitung “O Estado de Sao Paulo” am Wochenende weiter berichtete, erinnern die Holzfirmen den sechzigjährigen Priester zynisch an die Liquidierung der nordamerikanischen Missionarin und Umweltaktivistin Dorothy Stang vom Februar im benachbarten Teilstaate Parà. “Willst du enden wie Dorothy”, lauteten entsprechende Drohungen. Gemäß der Zeitung wirkt der aus Spanien stammende Benito in der Stadt Novo Aripuana, in deren Region de facto völlige Rechtlosigkeit herrsche. Daß der Teilstaat Amazonas dieses Jahr von einer verheerenden Dürre heimgesucht worden sei, so klage der Priester an, sei Folge der ungehemmten Urwaldvernichtung. “Wenn diese so weitergeht, wird die Dürre von Jahr zu Jahr schlimmer.” Dem Bericht zufolge setzt sich Benito auch für die traditionell in der Region lebenden Fischer und Kleinbauern ein, die von den Holzfirmen und Bodenspekulanten vertrieben würden. Diese seien nach dem Mord an Dorothy Stang aus Parà nach Novo Aripuana übergewechselt, weil die Zentralregierung in Parà nach der Tat Militär stationiert habe. Der zuständige Umweltstaatssekretär von Amazonas, Virgilio Viana, hat gemäß der Zeitung die Angaben von Priester Benito bestätigt. Die Stationierung von Militär in Parà, so Viana, habe die Umwelt-und Menschenrechtsprobleme lediglich zweitweise nach Amazonas verlagert. Die Missionarin Dorothy Stang war im Auftrage von Holzfirmen und Großgrundbesitzern erschossen worden, weil sie sich ebenso wie Priester Benito gegen die illegale Urwaldvernichtung sowie für die Menschenrechte der armen Waldbewohner eingesetzt hatte. Die acht Geschwister von Dorothy Stang sowie nordamerikanische Umweltschutzorganisationen haben betont, daß entgegen den Versprechen von Brasiliens Staatschef Luis Inacio Lula da Silva auch nach dem Attentat die Straffreiheit in Parà dominiere und die Umweltvernichtung weitergehe. Laut jüngsten Angaben der UN-Welternährungsorganisation FAO ist Brasilien derzeit der größte Urwaldvernichter des Erdballs. Aus Protest gegen die Umweltpolitik der Lula-Regierung hatte sich im November der renómmierte Naturschutzaktivist Francisco Anselmo Gomes bei einer Kundgebung selbst verbrannt.

Brasiliens Bischofskonferenz verurteilt Welle sadistischer Verbrechen

Diskussion um Einführung der Todesstrafe

„Wir erleben schockierende Situationen der Barbarei“, bekräftigt tief erschüttert der deutschstämmige Bischofskonferenz-Generalsekretär Odilo Scherer. „Der Staat muß endlich handeln, die Menschenrechte der Bürger respektieren!“ Scherer spricht damit den vielen Millionen von Brasilianern aus dem Herzen, die angesichts einer neuen Welle besonders sadistischer Verbrechen deprimiert, in Spannung und Angst sind. Kurz vor dem Karneval hatten Gangster mit einem geraubten Auto in Rio de Janeiro einen behinderten sechsjährigen Jungen durch drei Stadtviertel geschleift, bis von ihm nur noch zerfetzte Reste übrig waren. Deshalb wurde öffentlich sogar gefordert, den Rio-Karneval abzublasen, rufen schwarz umrandete Riesenposter an den Mauern jetzt dazu auf, den Tod des Jungen und ähnliche Untaten nicht länger hinzunehmen. Auch Kugeln töten fast täglich Kinder. Doch nur wenige Prozent der jährlich über 50000 Morde Brasiliens werden aufgeklärt.

In dieser Woche ein neuer Schock: An der Copacabana werden drei französische Menschenrechtsaktivisten sadistisch gefoltert, barbarisch ermordet. Die drei mutmaßlichen Täter haben noch blutige Hände, als sie die Polizei nach Hinweisen faßt. Der 25-jährige Anführer ist ein früheres Straßenkind, dem die Franzosen mit ihrer NGO für Slumprojekte einst das Leben gerettet hatten, ihn zum festen Mitarbeiter ausbildeten. Als sie entdeckten, daß ihr besonderer Schützling hohe Spendensummen abzweigte, plante dieser gemäß den Ermittlungen kaltblütig die Tat. Doch über die meisten perversen Verbrechen schweigen Staat und Medien -mit Rücksicht auf das Landesimage. Marina Maggessi, seit kurzem Kongreßabgeordnete und zuvor Rios Polizei-Chefinspektorin, nannte die Banditenbosse regelrechte „Tyrannen“:“Sie  verbrennen Menschen lebendig, zerstückeln Personen, begehen Greueltaten jeder Art, herrschen über die Elendsviertel mit aller Brutalität.“ Unter Staatschef Luis Inacio Lula da Silva hat sich die machistische Gewaltkultur weiter verfestigt, sind „Ehrenmorde“ häufig. In der nordostbrasilianischen Millionenstadt und Tourismushochburg Recife ist Gewalt durch Waffen und Schläge die erste, wichtigste Todesursache bei Mädchen und Frauen zwischen zehn und 49 Jahren. „Derzeit schafft man günstige Bedingungen für noch mehr Gewalt“, sagt Sao Paulos Uni-Sozialwissenschaftler Paulo Mesquita . „Bei den Menschenrechten, beim Aufbau der Demokratie gibt es Rückschritte.“ Im Februar war Finanzminister Guido Mantega Geisel unbekannter Banditen – zwei Monate zuvor traf es zwei andere Minister. Die Mehrheit der Brasilianer will seit langem die Todesstrafe. Angesichts des zunehmenden Täter-Sadismus machen sich erstmals Intellektuelle zum Sprachrohr für Rachegefühle. Gegen die Mörder des behinderten Jungen in Rio wäre die Todesstrafe zu wenig, schrieb Renato Ribeiro, Ethikprofessor an Brasiliens größter Bundesuniversität in Sao Paulo. „Ich denke, sie müßten eines grauenhaften Todes sterben – genauso grauenhaft, wie sie es mit dem Jungen machten.“ Die Bischofskonferenz ist gegen die Todesstrafe ebenso wie gegen ein niedrigeres Strafmündigkeitsalter.  Hochgefährliche jugendliche Schwerverbrecher dürften indessen nicht schon nach kurzer Zeit auf die Straße zurückkehren, wie es derzeit üblich sei. Amazonas-Bischöfe wie Erwin Kräutler aus Österreich bestätigen zudem, daß nicht in den Großstädten die Mordrate am höchsten ist, sondern in Gemeinden und Kleinstädten des Hinterlandes. In Rio entfallen auf 100000 Einwohner jährlich rund fünfzig Morde. Im nordbrasilianischen Colniza sind es indessen 165 Morde – in Deutschland ein einziger. Gemäß neuen Studien sind rund vierzig Prozent der Bewohner Sao Paulos schwach bis stark psychisch gestört, jeder zehnte müßte in psychiatrische Behandlung. Wie Dr. Sergio Tamai, Direktor des katholischen Betreuungszentrums „Santa Casa de Misericordia“ dort  betonte, gehörten Gewalt und Verbrechen zu den wichtigsten Gründen für Depression oder Paniksyndrome. Papst Benedikt XVI. besucht die drittgrößte Stadt des Erdballs im Mai.

Brasilianisches Nachrichtenmagazin berichtet über Kindstötung bei Indiostämmen

Das brasilianische Nachrichtenmagazin „Isto è“ hat in seiner neuesten Ausgabe der staatlichen Indianerschutzbehörde FUNAI vorgeworfen, statistische Angaben über die bei verschiedenen Indiostämmen übliche Tötung von Kindern, den sogenannten Infantizid, zu verheimlichen. Edson Suzuki, Direktor der NGO Atini, erklärte gegenüber „Isto è“, es sei absurd, unter welchem Vorwand auch immer, die Augen vor diesem Genozid an Kindern zu verschließen. „Man darf keine Kultur schützen, die gegen das Leben ist“, sagte Suzuki. „Schwarze Sklaven zu besitzen, war auch bereits einmal ein kulturelles Recht.“

Das Nachrichtenmagazin schilderte den Fall des Indiojungen Amalè vom Stamme der Kamaiurà im Teilstaate Mato Grosso: Im November 2003 wird er von seiner Mutter Kanui kurz nach der Geburt lebendig eingegraben. Kanui folgte damit einer Stammesvorschrift, derzufolge Kinder alleinstehender Frauen lebendig verscharrt werden müssen. Zwei Stunden später entschließt sich die Tante von Amalè, ihn zu retten. „Bevor ich Amalè ausgrub, hatte ich dort bereits die Schreie von drei anderen lebendig begrabenen Kindern gehört“, sagte Kamiru, 36. „Ich versuchte sie alle wieder herauszuholen, aber Amalè war der einzige, der überlebte.“ Wissenschaftler haben laut „Isto è“ die Praxis des Infantizids bei mindestens 13 Ethnien, darunter den Yanomami, Tapirapè und Madiha entdeckt. So seien allein 2004  insgesamt 98 Yanomami-Kinder von ihren Müttern umgebracht worden. Die Kamaiurà, Stamm des Jungen Amalè, töten danach zwischen 20 und 30 Kinder pro Jahr. „Außer den Kindern alleinstehender Frauen“, so das Nachrichtenmagazin, „sind Babies mit körperlichen und geistigen Behinderungen zum Tode verurteilt.“ Zwillinge könnten ebenfalls umgebracht werden. Zu den sehr banalen Motiven zähle,  wenn Indiokinder wegen simpler Hautflecken umgebracht  würden.  Denn solche Kinder, so heiße es, könnten dem Stamme Schlechtes bringen. Tötungsmethoden seien das lebendige Eingraben, das Ertränken oder Ersticken der Babies. Im allgemeinen müsse die eigene Mutter das Kind töten, doch gebe es Fälle, in denen sie dabei vom Medizinmann unterstützt werde.

Laut „Isto è“ überlebten dank der NGO Atini, der protestantische Missionare und katholische Aktivisten angehörten, mindestens zehn Indiokinder, die derzeit in Brasilia betreut würden.

Panzer, Kanonen und ein mutiger Hungerstreik-Bischof

Mehr Solidarität trotz Medienblockade Brasilias

Brasiliens Regierung wird immer nervöser, weil Franziskaner-Bischof Luiz Flavio Cappio einfach nicht kapitulieren will. Auch nach über zwanzig Tagen Hungerstreik gegen das umstrittene Flußumleitungsprojekt am nordöstlichen Rio Sao Francisco macht er unbeirrt weiter, erhält immer mehr Solidarität aus der ganzen Welt. Fast zehn Kilo magerer und ständig von einem Arzt betreut, beobachtet Cappio von seiner Ufer-Kapelle in Sobradinho, wie wichtig man ihn im Präsidentenpalast der fernen Hauptstadt Brasilia nimmt. Staatschef Lula, Oberbefehlshaber der Streitkräfte, hat die letzten Tage rund um den Hungerstreik-Bischof die Militärpräsenz verstärkt: Panzer und Kanonen rollen, Militärlaster bringen immer mehr in Guerillataktik geschulte Soldaten an den Rio Sao Francisco. „Das ist hier wie zur Diktatur“, sagt Ruben Siqueira, Cappios engster Berater von der Bodenpastoral, am Montag in Sobradinho. „Das Militär schüchtert die Leute am Fluß ein, will sie von Protesten abhalten.“ Seit dem Wochenende ruhen wegen einer einstweiligen Gerichtsverfügung vorläufig die Bauarbeiten, stehen daher für Patrouillen, Straßenkontrollen noch mehr Soldaten, Offiziere und Fahrzeuge bereit. Laut Ruben Siqueira führt Brasilia zudem geschickt und trickreich einen Medienkrieg gegen den Hungerstreik-Bischof, will ihn von den Politikern des Nordostens und selbst in der Kirche isolieren. Auffällig, daß Brasiliens große Medienunternehmen, durchweg in Privathand, tagelang nichts über Cappio brachten. Durchgesickert sei, daß Lula entsprechenden Druck auf die führenden TV-Sender ausübte, damit die ihre Nachrichtensendungen Cappio-frei hielten. „Unsere Fernsehstationen brauchen die Gewinne aus den vielen Werbespots der Regierung, gerade in den populären TV-News“, erläutert Siqueira. Brasilia wolle sogar den Vatikan veranlassen, eine harte Haltung gegenüber Cappio einzunehmen.

Und in der Tat kommen aus der Kirche widersprüchliche Signale. Rom und auch Brasiliens Bischofskonferenz(CNBB) haben Cappio inzwischen gebeten, sein Leben zu schonen, die Protestaktion nicht weiterzuführen. Die CNBB forderte andererseits die Christen und „alle Menschen guten Willens“ zur Unterstützung von Cappio auf. Brasiliens Sozialbewegungen und die Pastoralen der Bischofskonferenz erklärten den Montag zum „Nationalen Tag des solidarischen Fastens“ – im ganzen Land traten Ungezählte auf Plätzen und in Kirchen ebenfalls in den Hungerstreik. Und selbst der Indianermissionsrat der Bischofskonferenz stellte in einer Note klar, daß Cappios Protest sich längst nicht mehr nur gegen das Umleitungsprojekt richte. „Der Bischof entlarvt das derzeitige Demokratie-Modell der Regierung“, heißt es darin. Begünstigt würden Bankiers und Großunternehmer, während die einfachen Leute mit sozialer Unsicherheit und wachsender Misere konfrontiert seien. Cappio kämpfe für jene, die unter Hunger, Elend und Arbeitslosigkeit litten, als nutzlos, „Wegwerf-Müll“ betrachtet würden. Staatschef Lula zeige offen seine Mißachtung für den Bischof und bekräftige erneut, die „herrschenden Strukturen in Politik und Wirtschaft“ aufrechtzuerhalten. „Brasiliens Realität ist durch zunehmende Ungleichheit und Ungerechtigkeit gezeichnet.“

Bischof Tomas Balduino von der Bodenpastoral, doch auch zahlreiche Wissenschaftler weisen auf die interessante Tatsache, daß die Lula-Regierung für ihr Megaprojekt etwa von der Weltbank und anderen internationalen Kreditinstituten einfach keine Gelder bewilligt bekommt. „Weil offenkundig ist, daß die Flußumleitung keineswegs die Wasserprobleme der Menschen in den Dürrezonen löst“, betont der Umweltexperte und Universitätsprofessor Thomaz Machado. Das Projekt diene nur den Eliten.

Angesichts dieser Sachlage warnte Hungerstreik-Bischof Cappio am Montag erneut: „Die Brasilianer müssen sich fragen, wie es um ihre Demokratie steht – mein Gesundheitszustand ist verglichen damit, eher drittrangig.“

Brasilien vor sozialer Explosion wie zuvor in Argentinien? Staatliche Almosen als Betäubungsmittel

Die Sozial-und Wirtschaftspolitik der  Mitte-Rechts-Regierung ein Desaster, rasch wachsende Slums, Rekordarbeitslosigkeit, ausufernde Gewalt, mehr Morde als in jedem anderen Land der Welt – dazu schlechte Aussichten für 2004. Und trotzdem bleibt, anders als in Haiti oder Venezuela, alles ruhig, konstatieren perplex innenpolitische Beobachter, aber auch Bischöfe und Pfarrer der ökonomischen Führungsmacht Südamerikas. „Warum explodiert Brasilien nicht“, fragt die führende, auflagenstärkste Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“, nachdem die Mannschaft des  Staatschefs und Ex-Gewerkschaftsführers Luis Inacio Lula da Silva nun auch noch von einem verheerenden Korruptionsskandal heimgesucht wird, Verbindungen der Unterwelt bis in den Präsidentenpalast offenliegen. Keine Revolten der verelendeten Massen, keine Generalstreiks, gar Straßenbarrikaden. Die Armen scheinen sich über dieses verschuldete, ungerechte, ignorante Land einfach keinen Kopf zu machen, kommentiert die „Folha de Sao Paulo“ drastisch – „andernfalls hätten sie schon alles in Brand gesteckt“. Die öffentliche Diskussion um die – noch – ausbleibende „Explosao social“ hatte interessanterweise Kardinal Geraldo Majella Agnelo, Präsident der nationalen Bischofskonferenz CNBB, ausgelöst.  In beispiellos scharfer Form forderte er Staatschef Lula die letzten Tage mehrfach auf, seine sozialen Versprechungen aus dem Wahlkampf zu erfüllen und die prekären Lebensbedingungen des brasilianischen Volkes endlich zu verbessern.  Die Lage gleiche einem Dampfkessel mit hohem Überdruck – „in anderen Ländern wäre es längst zu einer Explosion gekommen. Man braucht nur nach Argentinien zu schauen, wo das Volk auf die Straße ging und radikale Änderungen forderte.“ Doch hier gebe es eben diese typisch brasilianischen Kniffe und Tricks, den „Jeitinho brasileiro“,  mit dem  man alle Probleme zu lösen versuche – „aber das geht nicht immer glatt.“

Der Jeitinho brasileiro ist ein vielgebrauchter, von den Soziologen vielanalysierter Begriff in dem Tropenland, bezeichnet gerissene, unethische Vorgehensweisen, um in der Politik wie im Alltag an den Gesetzen vorbei zum Ziel zu kommen. In einem allgemeinen Klima der Unehrlichkeit und des weithin fehlenden  Gemeinschafts-und Bürgersinns, wie der auch in Deutschland vielverlegte Schriftsteller Joao Ubaldo Ribeiro oder der Cineast und Kolumnist Arnaldo Jabor immer wieder beklagen. Der angesehene, sozial engagierte Großunternehmer Ermirio de Morais nennt sein Land gar das „Paradies der Gerissenen“, die man vor allem „oben“, in der Politik finde – geißelte diese selbst in einem Theaterstück aus seiner Feder. Der Lula-Regierung wirft er vor, mit Rekord-Leitzinsen den Banken und Spekulanten Rekordgewinne zu bescheren,  aber das Wirtschaftswachstum und damit auch die Schaffung von Arbeitsplätzen zu verhindern – welche die 175 Millionen Brasilianer heute nötiger brauchten als Sozial-Almosen. Andere prominente Analysten erinnern an Ministerversprechen, im Sozialbereich auf keinen Fall zu kürzen – „sie haben gelogen!“ Dennoch seien genügend Mittel übrig geblieben, um von den  über vierzig  Millionen Verarmten bzw. Verelendeten wenigstens annähernd die Hälfte mit  Mini-Sozialhilfen  zu beglücken, die  wie Anestesicos, Betäubungsmittel, wirkten. Diese Hilfen, ob für Hungernde, Behinderte, Kinder aus Slumfamilien oder Landarbeiter im Ruhestand, beginnen bei umgerechnet sage und schreibe zwei Euro und erreichen maximal achtundsechzig Euro monatlich. Bei einem Preisniveau, das dem osteuropäischen ähnelt, ist damit  ein Entkommen aus der Misere unmöglich.

Mit Lula stolperte Brasilien 2003 entgegen allen populistischen Wahlversprechen in die Rezession.  „Ohne Wirtschaftswachstum endet die Wirkung dieses Betäubungsmittels“,  warnt die „Folha de Sao Paulo“, „aber wann wird das sein? Falls die Realeinkommen weiter sinken, die Arbeitslosigkeit weiter steigt, wird Lula sein Mandat nicht in Ruhe beenden.“ Also doch eine „Explosao social“ in Sicht? Der auch in Deutschland recht bekannte brasilianische Befreiungstheologe und Dominikaner-Ordensbruder Frei Betto, derzeit als Präsidentenberater Lulas hauptsächlich für die Hungerbekämpfung zuständig, hat immer wieder die politische Apathie im Lande beklagt. Elend mobilisiere nicht notwendigerweise zu Gegenaktionen, betäube vielmehr, halte die Betroffenen in psychischer und physischer Lethargie. Gerade Arbeitslose hätten Angst, sich zu mobilisieren. „Die kollektive politische Apathie ist symptomatisch für den Zustand der brasilianischen Demokratie.“

Brasiliens Hungerstreik-Bischof Cappio kämpft weiter

„Leben wir in einer Diktatur?“

In Nordostbrasilien hat das Militär ungeachtet öffentlicher Proteste den Bau der gigantischen und heftig umstrittenen Umleitung des Rio Sao Francisco wiederaufgenommen.  Franziskanerbischof Luiz Flavio Cappio, der gegen das Projekt bis kurz vor Weihnachten einen 24-tägigen Hungerstreik geführt hatte, kündigte deshalb neue Protestaktionen der nationalen Sozialbewegungen an. „Der Kampf geht weiter.“ Die Regierung von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva sei ausgerechnet gegenüber jenen gesellschaftlichen Gruppen „total unsensibel“, die seinen Wahlsieg garantierten. Der Dialog mit dem Volk werde verweigert. „Leben wir in einer Diktatur?“ Der stark abgemagerte 61-jährige Cappio erholt sich nur langsam von den zurückliegenden Strapazen und trinkt viel Kokosmilch. Er lächelt hintergründig-weise, wirkt keineswegs gebrochen, sondern tief zufrieden. Denn mit seiner Aktion hat er die Nation weit stärker aufgerüttelt als mit den elf Tagen Hunger-Protest von 2005. Wie durchsickerte, hatte die Lula-Regierung durch Druck auf die Medienbosse erreicht, daß anfangs kaum oder gar nicht über den Hungerstreik und die Argumente Cappios berichtet werden durfte. Das verärgerte viele Journalisten, traf sie in der Berufsehre. Überraschendes Resultat: Nach dem Abbruch der Aktion publizierten gerade die Qualitätsmedien soviel gutfundierte Kritik an dem Umleitungsprojekt wie nie zuvor – der anfangs verlachte, verhöhnte Cappio wurde Sympathieträger. Staatschef Lula blamierte sich mit seiner Empfehlung an Cappio, Vernunft anzunehmen und sich nicht in technische Fragen einzumischen, von denen er nichts verstehe. Denn just für die technisch-wirtschaftlichen Details der Flußumleitung interessieren sich die Brasilianer mehr denn je und entdecken zunehmend Schwachstellen der Regierungspropaganda. Laut Lula sollen 12 Millionen Arme in Dürreregionen durch das Projekt endlich Trinkwasser erhalten. Doch auch Befreiungstheologe Leonardo Boff nennt dies falsch – über neunzig Prozent der umgeleiteten Wassermassen seien schließlich für Industrie und Export-Landwirtschaft bestimmt, nur fünf Prozent für bedürftige Menschen. Zudem fehle in jenen Regionen gar kein Trinkwasser, regne es mehr als in Frankreich, müsse Wasser nur sinnvoll gespeichert und verteilt werden. Ex-Innenminister Joao Alves Filho argumentiert wie Boff: Wasser gebe es im Nordosten überreichlich, Brasilia sage nicht die Wahrheit. Die Umleitung könne zum „Tod“ des Rio Sao Francisco führen – nur 700000 Menschen würden tatsächlich Trinkwasser erhalten. „Lula hat Cappio direkt angelogen – das gesamte Projekt fußt nur auf Lügen“, betont der Schweizer Entwicklungsexperte Renè Scherer. In Wahrheit zähle der Bau eines Stahlwerks im Nordost-Hafen Pecem zu den wichtigen Gründen der Flußumleitung. Genügend Trinkwasser sei in der Region vorhanden, werde bisher jedoch falsch verteilt oder vergeudet. Allein in der Küstenstadt Fortaleza, mit etwa soviel Einwohnern wie Berlin, geht rund die Hälfte des Trinkwassers auf dem Weg zu den Nutzern verloren.  Laut Scherer besitzt Brasilien ein vorbildliches Gesetz, das öffentlichen Verbraucherkomitees der Trinkwasser-Einzugsgebiete die Entscheidungsbefugnis über Wasserprojekte überträgt. „Lula hat die Komitees einfach übergangen – das ist ein Schlag gegen die Demokratie!“ Die von der katholischen Kirche, der Caritas Brasilien geförderten 220000 Zisternen zum Auffangen von Regenwasser, hätten sich bewährt und seien eine der Alternativen zur Flußumleitung. Für die große Qualitätszeitung „O Estado de Sao Paulo“ preist der Staatschef sein milliardenteures Projekt lediglich mit „abgedroschenen Sprüchen“. „Die brasilianische Gesellschaft muß den Bau bezahlen und hat daher das Recht, klare Antworten zu fordern.“

Trotz Job auf der Straße schlafen

Neue soziale Phänomene durch Reallohnverlust und Rekordarbeitslosigkeit in Brasilien

Virginia de Jesus Santos  wäre mit dem Bus bequem in  einer halben Stunde auf ihrer Arbeit – doch der kostet umgerechnet fünfzig Cents, und das ist für die Brasilianerin unerschwinglich teuer. Also steht sie jeden Tag vorm Morgengrauen auf, läuft drei Stunden größtenteils im Nachtdunkel bis in die City der Megametropole Sao Paulo – und abends wieder drei Stunden im Dunkeln zurück. Anders könnte sie die Miete für das winzige Zimmer, in dem sie mit ihren beiden Kindern lebt, nicht aufbringen – ganz zu schweigen vom Essen, der Kleidung für alle drei. In Südamerikas reichster Stadt und Wirtschaftslokomotive mit über tausend deutschen Firmen verfahren inzwischen rund zweihunderttausend auf die gleiche Weise – bei brasilianischen Stundenlöhnen von nicht selten unter fünfzig Cents ist jemand, der auch noch mehrmals umsteigen und damit mehrmals zahlen müßte, schlichtweg geliefert, läßt Busflotten, Vorortzüge und Metro an sich vorübersausen.  Gar nicht mitgerechnet jene Hunderttausenden, die sich täglich paradoxerweise im Verkehrsgetümmel der drittgrößten Stadt der Welt zu Fuß auf die Arbeitssuche machen. Andere, die weit entfernt an der Slumperipherie hausen, doch mit einem dreistündigen Fußmarsch wie Virginia de Jesus Santos längst nicht  Hütten und Katen erreichen, stellten sich noch radikaler um: Wochentags schlafen sie nach der Arbeit wie die Obdachlosen unter Brücken, in Parks und Massenasylen, machen sich nur am Wochenende auf den langen Weg, sehen nur dann ihre Familien. Nicht zufällig ging die letzten Jahre in ganz Brasilien die Zahl der Busbenutzer um dreißig, in Sao Paulo sogar um fünfzig Prozent zurück – während gleichzeitig die Fahrscheine um bis zu sechzig Prozent teurer wurden. Weil nach dem Amtsantritt von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva die Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe kletterte, die ohnehin niedrigen Reallöhne in nur einem Amtsjahr abrupt um durchschnittlich vierzehn Prozent sanken, beobachten die Kirche, aber auch die Sozialwissenschaftler zahlreiche neue Phänomene. Wer sich am Strand von Rio, oder im Ibirapuera-Park von Sao Paulo ein Samba-oder Klassikkonzert mit der Bier-oder Cola-Büchse in der Hand anhört, dem wird die  ausgetrunkene „Lata“ regelrecht aus der Hand gerissen, gibt es neuerdings oft gleich mehrere „Anwärter“: Jugendliche, junge Erwachsene, die auf den Arbeitsmarkt drängen und trotz oft guter Bildung einfach keine Stelle finden – entlassene Fabrikarbeiter und selbst Rentner, von denen etwa achtzig Prozent  mit nur  umgerechnet 75 Euro auskommen müssen. Durvalina do Nascimento in Sao Paulo war mit der Miete im Rückstand, hatte nicht einmal mehr Geld für eigentlich billigen Reis, reihte sich deshalb mit 72 Jahren ins Heer der „Catadores de Lata“ ein, bekommt für zwei große Säcke voll plattgetretener Alu-Dosen umgerechnet achtzig Cents. In keinem Land der Erde werden derzeit makabrerweise „dank“ hoher Arbeitslosigkeit mehr Latas recycelt, ist der Begriff „Dosenpfand“ unbekannt. Und gehört jenes Krachen, wenn Catadores eine Lata routiniert per Fußtritt verkleinern, zu den normalen Straßengeräuschen auch in Rio, Salvador da Bahia oder Recife. In manchen Vierteln von Sao Paulo sind über siebzig Prozent arbeitslos. Doch ohne Zugang zu bezahlbaren Verkehrsmitteln bleiben die meisten im Ghetto, verzichten zwangsläufig  auf die Stellensuche, vegetieren in psychischer und physischer Lethargie dahin. Denn mehr als sechzig Prozent der brasilianischen Erwerbstätigen sind im sogenannten informellen Sektor tätig, arbeiten also nach europäischen Kriterien schwarz, ohne soziale Rechte – stehen bei Krankheit, Unfällen oder Arbeitslosigkeit ohne einen Centavo da. Und selbst in Sao Paulo existieren gemäß einer neuen Studie 72 Prozent der Firmen schwarz, führen also auch keine Steuern ab – geduldet von den Autoritäten. Wo  Arbeitsplätze angeboten werden, stellen sich bereits die Nächte zuvor zehntausende  Frauen und Männer an – ebenfalls ein neues Phänomen nach dem Lula-Amtsantritt. Im zweiten Regierungsjahr räumt der Staatschef kleinlaut ein, daß durch Wirtschaftswachstum – 2003 war die Ökonomie sogar geschrumpft – nicht notwendigerweise neue Stellen geschaffen würden, da die Firmen auf Rationalisierung und Überstunden setzen. „Hauptfunktion der Wirtschaft ist es, den Menschen ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu ermöglichen“, stellte daraufhin die  Bischofskonferenz erneut klar.“  Ihr Sozialexperte, Bischof Demetrio Valentini betonte jetzt:“Wir müssen deshalb dringend die Gesellschaft umbauen.“

„Wie in Bagdad“

Welle von Attentaten und Häftlingsrevolten in Brasilien

Detonierende Granaten, Mpi-Salven, brennende Busse und Banken, flüchtende Bewohner in Panik – Lateinamerikas führende Wirtschaftsmetropole Sao Paulo erlebt Tage und Nächte wie in Bagdad. Mit Motorrädern preschen junge Männer an Polizeiwachen heran, eröffnen das Feuer oder werfen Bomben, liquidieren systematisch Beamte und sogar Feuerwehrleute aus dem Hinterhalt. Seit Freitag wurden gemäß den geschönten offiziellen Angaben bei rund 150 Attentaten über siebzig Menschen getötet, weit mehr verwundet. Inoffiziell war von rund hundert Toten die Rede.  Viele „Paulistanos“ verbarrikadieren sich zuhause, gehen nicht mehr auf die Straße, nicht mehr zur Arbeit. Denn Brasiliens führendes Verbrechersyndikat „Primeiro Comando da Capital“/PCC (Erstes Kommando der Hauptstadt) kennt die Privatadressen der Polizisten, Zivilermittler, Gefängniswärter und ihrer Angehörigen, jagt sie auch in deren Freizeit. Sao Paulo, drittgrößte Stadt der Welt, mit über eintausend deutschen Unternehmen, ist Lateinamerikas reichste Stadt – die Politiker-und Geldelite in ihren Penthouse-und Villenvierteln hat jetzt besonders viel Angst. Denn das PCC will im Präsidentschaftswahljahr Macht demonstrieren, auch die Wirtschaft treffen, räumen selbst Polizeichefs ein. An den Wohlhabendenghettos wurden deshalb Straßensperren errichtet, kontrollieren hochgerüstete Spezialeinheiten der Militärpolizei beinahe jeden herannahenden Wagen. Nicht nur in Sao Paulo ist die Armee in Alarmbereitschaft, denn in über achtzig total überfüllten Großgefängnissen der  wichtigsten Teilstaaten rebellieren die Häftlinge, haben mehrere hundert Geiseln in ihrer Gewalt.

Bereits seit Monaten sorgen in Brasilien beinahe täglich Gefangenenaufstände mit vielen Toten für Schlagzeilen. Auslöser der größten Häftlingsaufstände in Brasiliens Geschichte war indessen, daß Sao Paulos Sicherheitsbehörden letzte Woche 765 inhaftierte Führer der Gangstersyndikate in abgelegene Hochsicherheitsgefängnisse verlegten. Zur Vergeltung startete der PCC daraufhin die „Megarebellion“ und die Anschlagsserie.

Für kaum einen Brasilianer kommt die neuerliche Welle der Gewalt überraschend: Als Folge extremer Sozialkontraste, Massenarbeitslosigkeit, fortdauernder Sklavenhaltermentalität und tiefverwurzelter Korruption beklagt die Kirche seit Jahren den sogenannten „unerklärten Bürgerkrieg“ im Lande, der pro Jahr über fünfzigtausend Menschenleben fordert, mehr als im Irakkrieg. In vielen Slums und anderen rasch wachsenden Unterschichtsvierteln der Großstädte herrscht seit Jahren nachts de facto Ausgangssperre, weil das organisierte Verbrechen diese Regionen neofeudal wie einen Parallelstaat beherrscht. Unter der Regierung von Staatschef Lula, so kritisieren Menschenrechtsexperten, wurden entgegen den Wahlversprechen die Ausgaben für öffentliche Sicherheit stark gekürzt. Auch dadurch konnten die Gangsterkommandos ihre Machtstrukturen ausbauen, stärker in die Politik hineinwirken. Zum „Crime organizado“, so schreibt jetzt Brasiliens auflagenstärkste Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“, gehören auch „Politiker, Richter, Polizisten“. Vernetzt seien der Drogenhandel, die Geldwäsche, der Schmuggel größten Stils, die kriminelle Finanzierung von Wahlkampagnen und die Abzweigung öffentlicher Gelder.

Ins Bild paßt, daß Brasiliens Generalstaatsanwalt Antonio de Souza erst kürzlich zahlreiche Freunde und Mitarbeiter Staatschef Lulas, die Minister-und Parteiämter bekleideten, als „Mitglieder einer hochentwickelten kriminellen Organisation, einer Bande“ definierte. Gegen vierzig davon erhob der Generalstaatsanwalt beim Obersten Gericht Anzeige wegen aktiver Korruption, Geldwäsche und anderen Delikten.

Brasiliens Bischofskonferenz hat die jüngsten Terroranschläge des organisierten Verbrechens scharf verurteilt, tiefgreifende Reformen des Rechtssystems und der Strafanstalten gefordert. Sao Paulos katholischer Bischof Pedro Luiz Strighini, Präsident der nationalen Gefangenenseelsorge, wies auf die Grundübel:“Landesweit hat sich das organisierte Verbrechen der Haftanstalten bemächtigt, ist stärker als der schwache Staat.“ Sadistische Grausamkeiten würden von inkompetenten Beamten, aber auch von Kriminellengruppen begangen, die ebenfalls folterten und töteten. „Unter solchen Bedingungen verrohen die Häftlinge, kann von Resozialisierung keine Rede sein.“

Welle von Kindermorden erschüttert Brasilien – Bischöfe: Nicht an solche Gewalt gewöhnen

Mädchen und Jungen, selbst Babies, werden erstickt, erdrosselt, erschlagen und sogar aus Fenstern von Hochhäusern geworfen – eine Welle von Kindermorden sorgt derzeit in dem Tropenland für Entsetzen. Hinzu kommen Schlagzeilen über Kinder, die in Mittelschichtsfamilien, in sogenannten „guten Gegenden“ der Großstädte teils jahrelang tagtäglich von Müttern gefoltert, wie in einem Kerker gehalten wurden. Wieso haben Nachbarn angeblich nichts bemerkt, warum hat niemand eingegriffen, fragen polizeiliche Ermittler ebenso wie Stadtsoziologen. „Das ist der blanke Horror“, warnt Bischof Angelico Bernardino aus dem deutschstämmigen Blumenau. „Das Schlimme ist – die Gesellschaft läuft Gefahr, sich an sexuelle und andere Gewalt gegen Kinder aller sozialen Schichten zu gewöhnen!“ Da die meisten Untaten mitten in den Familien geschähen, müßten deren sozioökonomische und emotionale Bedingungen untersucht werden. Was läuft da falsch? Die Zahl solcher Verbrechen, so Bischof Bernardino, nehme zu – der Staat müsse für die exemplarische Bestrafung der Täter sorgen. Dominierende Straflosigkeit hält die Bischofskonferenz für eines der Hauptprobleme Brasiliens. Denn von den jährlich über 50000 Morden werden gemäß amtlichen Statistiken nicht einmal fünf Prozent aufgeklärt. Und immer wieder belegen Experten, daß die amtlichen Kriminalstatistiken geschönt sind und der Regierung in Brasilia aus Imagegründen nicht daran gelegen ist, das ganze Ausmaß der Verbrechen offenzulegen. Gemäß einer neuen Studie werden zudem nur zehn Prozent aller Fälle von Gewalt gegen Heranwachsende angezeigt. Daher verwundert nicht, wenn jetzt die angesehene Zeitung „O Globo“ nach detektivischen Recherchen im Datenwust des Gesundheitsministerium titelt:“Alle zehn Stunden wird in Brasilien ein Kind ermordet.“ In den letzten sechs Jahren seien es über 5000 gewesen. Allein 2002 habe man mindestens 90 Babies, im Alter bis zu einem Jahr, umgebracht. Nicht mitgerechnet sind dabei derartige Fälle bei brasilianischen Indianerstämmen. Nach Angaben der auflagenstarken Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“ werden bei rund 20 der über 200 Ethnien  üblicherweise Zwillinge, Kinder alleinstehender Mütter sowie Kinder mit Geburtsfehlern getötet.

Daß Gewalttaten gegen Kinder der nichtindianischen Bevölkerung Brasiliens deutlich zunehmen, resultiert gemäß den Psychologen unter anderem aus dem Faktor Streß, allgemeiner Verrohung und Entsolidarisierung sowie dem steigenden Konsum von harten Drogen wie Kokain und Crack. Danach schrecken viele Menschen gewöhnlich davor zurück, Gewaltphantasien zu realisieren. Im Drogenrausch dagegen fehlten die Hemmschwellen. Aus den brasilianischen Slums ist bekannt, daß dort immer wieder Kinder von rauschgiftsüchtigen Gangstern erschossen werden.

Unter dem Eindruck eines besonders grausamen Mordes an einem behinderten sechsjährigen Jungen hatten sich letztes Jahr 55 Prozent der Brasilianer für die Einführung der Todesstrafe ausgesprochen. Vier verrohte junge Männer hatten in Rio de Janeiro den Jungen während eines Autoraubs auf etwa zehn Kilometern durch die Stadt zu Tode geschleift, sodaß von ihm nur noch Fetzen übriggeblieben waren. Zahlreiche Passanten, andere Verkehrsteilnehmer, die das sadistische Verbrechen beobachteten, wollten die Banditen zum Anhalten bewegen, wurden indessen mit der Waffe bedroht.  Unlängst wurden die Täter  zur Höchststrafe von 30 Jahren verurteilt, was die brasilianische Öffentlichkeit mit tiefer Genugtuung zur Kenntnis nahm.

Brasiliens glaubwürdigste Institution – die katholische Kirche

Parteien und Politiker absolutes Schlußlicht/“In Deutschland wäre Staatschef Lula schon gestürzt“

Sektenmitglieder, Befürworter von Abtreibung und Todesstrafe, Anhänger einer eher tropisch-laxen Sexualmoral – sie alle haben an der katholischen Kirche Brasiliens eine Menge auszusetzen. Doch wenn es darum geht, welche Institution die höchste Glaubwürdigkeit besitzt, am meisten Vertrauen verdient, nennen auch sie nur zu oft an allererster Stelle just die Kirche. Jüngste Umfragen haben es  erneut bewiesen –  71 Prozent der über 180 Millionen Brasilianer  geben ihr die höchste „Credibilidade“ –  vor den Streitkräften, Gewerkschaften, Justiz oder Polizei. In der größten Demokratie Lateinamerikas strafen die Pflichtwähler dagegen nun schon seit Jahrzehnten das Parlament und die Volksvertreter bei diesen Erhebungen zunehmend schärfer ab – in die politischen Parteien vertrauen nur zehn, und in die Politiker gar  nur acht Prozent. Die Bischofskonferenz kommentiert solche Umfragen nicht – doch unabhängige Sozialwissenschaftler analysieren schon von Berufs  wegen die Gründe des anhaltend hohen Prestiges der Kirche. „Sie gilt als eine Art moralischer Reserve der Gesellschaft, gegen die Mächtigen, das Establishment“, betont Professor Marcos Figueiredo von Rios Institut für Universitäre Studien/IUPERJ. „Die meisten Brasilianer identifizieren sich mit den Werten der Kirche, sehen sie als konsequente Verteidigerin der Armen und Verelendeten, wissen von der vielfältigen Sozialarbeit.“ Während der 21-jährigen Militärdiktatur habe die „Igreja catolica“ sich stets gegen das Regime aufgelehnt, aktiv für die Demokratisierung Brasiliens gekämpft. Heute unterstütze sie alle Aktionen der Gewerkschaften und der anderen Sozialbewegungen, die sich gegen empörende Ungleichheit, extrem ungerechte Einkommensverteilung richteten. Katholische Intellektuelle wie Frei Betto oder Maria Clara Bingemer spielten traditionell eine wichtige Rolle in der öffentlichen Diskussion.

Laut Professor Figueiredo ergriff die Kirche stets Partei für die Unterprivilegierten, war indessen nie parteiisch. Von manchen wurde sie gar als Stützpfeiler und Propagandainstrument der einstmals progressiven Arbeiterpartei und ihres Chefs, des jetzigen Staatspräsidenten Luis Inacio Lula da Silva gesehen.  Dabei hielt sie in Wahrheit seit jeher kritische Distanz, prangerte bereits seit den neunziger Jahren den sich abzeichnenden Trend nach rechts, das Umschwenken der Parteispitze um Lula auf neoliberale Positionen an. Selbst die Landlosenbewegung MST stellt in diesen Tagen heraus, daß sich die Kirche, deren Sozialpastoralen gegenüber der Lula-Regierung stets „extrem kritisch“ und autonom verhalten habe. Auch dies wird in der Öffentlichkeit gerade jetzt hoch anerkannt. Denn die Regierung steckt tief im Korruptionssumpf – ständig kommen neue Einzelheiten über Abgeordnetenbestechung, Mittelabzweigung, Machtmißbrauch und schwarze Kassen ans Tageslicht. Die Kirche hatte mit ihren Warnungen Recht. Über die Hälfte der Brasilianer vertraut nicht mehr in Lula, der durch geschicktes und sehr kostspieliges Politmarketing auch mit Geldern der Upperclass zum Hoffnungsträger aufgebaut worden war. Jetzt behauptet er, von all den dunklen Praktiken seiner Companheiros nichts gewußt zu haben. „Natürlich wußte er davon“, bekräftigt IUPERJ-Professor Marcos Figueiredo, „bei einem parlamentarischen System wie in Deutschland wäre Lula schon längst amtsenthoben, gestürzt.“

Nicht wenige Brasilianer hätten „dramatische Divergenzen“ mit dem Katholizismus, etwa wegen der Abtreibungsfrage und der Aidsprävention. „Doch solche Positionsunterschiede ändern für diese Menschen nichts an der hohen Glaubwürdigkeit der Kirche, wie die neuesten Studien zeigen.“  Indessen sind die Zustimmungsraten gegenüber früheren Jahren um etwa zehn  Prozent gesunken.  Dies könnte laut Sozialwissenschaftler Figueiredo durchaus am deutlichen Anwachsen der Sekten liegen, die der Kirche nur zu oft feindlich gegenüberstehen. Vor allem an den Slumperipherien gebe es zahlreiche Übertritte von Christen. Viele vertrauten jedoch weiterhin am meisten der katholischen Kirche, so daß deren Spitzenposition auch durch die neuen Religionsgemeinschaften nicht tangiert werde.  In anderen Teilen der Welt sei das gleiche Phänomen zu beobachten.

Brasiliens „Aufschrei der Ausgeschlossenen“ – gegen Regierungskorruption und neoliberale Politik

Just zum Nationalfeiertag am siebten September, der landesweit in Brasilien traditionell mit Militärparaden und Aufmärschen begangen wird, stört die katholische Kirche den verordneten Patriotismus erneut mit ihrem „Aufschrei der Ausgeschlossenen“. Organisiert von den Sozialpastoralen der Bischofskonferenz, gehen Slumbewohner, Landlosenfamilien und andere entwurzelte Bevölkerungsteile auf die Straße und in die Wallfahrtsorte, um absurdeste Sozialkontraste, Hunger und die neoliberale Politik der Mitte-Rechts-Regierung von Präsident Lula anzuprangern. Weil der Staatschef und seine Arbeiterpartei seit Monaten durch Bestechungsskandale, schwarze Kassen und Machtmißbrauch schwer angeschlagen sind, deshalb das Land in einer tiefen politischen Krise steckt, richtet sich der „Grito dos Excluidos“ vorrangig auch gegen die Regierungskorruption. „Das brasilianische Volk fühlt derzeit eine Mischung aus Hoffnungslosigkeit, Trauer und Enttäuschung, ist von der Lula-Regierung desillusioniert“, betont Luiz Bassegio, langjähriger Koordinator des „Aufschreis“. Das Land sei weiterhin Geisel der Außenschulden, unterwerfe sich den Forderungen des internationalen Finanzkapitals. Deshalb, so argumentiert Bassegio, könne nicht ausreichend in Gesundheit, Bildung, Wohnungsbau oder Umweltschutz investiert werden. Aber steht nicht jeden Tag in den Zeitungen, daß Lulas erfolgreiche Wirtschaftspolitik für Wachstum und Exportrekorde sorgt? Laut Bassegio vertieft diese Politik die gesellschaftliche Ungleichheit, nutzt nur einen privilegierten Minderheit, verbessert nicht die Einkommensverteilung. Fast die Hälfte des nationalen Reichtums entfalle auf lediglich fünftausend Familien unter den 180 Millionen Brasilianern.  „Deshalb brauchen wir ein anderes Wirtschaftsmodell.“

Auch der in Europa recht bekannte Befreiungstheologe Frei Betto unterstützt den „Grito dos Excluidos“. Brasiliens Realzinsen seien derzeit die höchsten der Welt, bescherten Bankiers und Spekulanten exorbitante Gewinne. Doch die Sozialpolitik liege im Argen. Bettos Empfehlung: Die Beamten des Wirtschaftsministeriums sollten direkt neben einem Slum arbeiten, um die Realitäten der Bevölkerungsmehrheit vor Augen zu haben.

Laut Bischofskonferenz privilegiert Lulas Wirtschaftspolitik das „Finanzkapital“, konzentriert den Reichtum. „Die Armen sind die Hauptleidtragenden der jetzigen Krise.“

Das Mindesteinkommen liegt derzeit bei umgerechnet etwa hundert Euro, das Durchschnittssalär von Indústriearbeitern bei rund 300 Euro. Über sechzig Prozent der Beschäftigten überleben mit teils fragwürdigster Schwarzarbeit, ohne vertragliche Rechte. Von Armut oder sogar Elend sind mindestens 45 Millionen Brasilianer betroffen.

Aber hat denn nicht Staatschef Lulas weltweit  hoch gelobtes Anti-Hunger-Programm die Not im Lande stark gelindert, gerade die sozial Ausgegrenzten stark unterstützt, endlich in die Gesellschaft integriert ? Gemäß offiziellen Angaben bekommen über sieben Millionen verelendeter Familien derzeit monatlich umgerechnet zwischen fünf und 31 Euro, sind die staatlichen Hilfsprogramme ein voller Erfolg. Von der katholischen Kirche wird dies teils heftig bestritten. „Lulas Sozialprojekte kommen nicht voran, das Anti-Hunger-Programm blieb im Grunde auf dem Papier“, urteilt Maria Clara Bingemer, Dekanin der Katholischen Universität von Rio de Janeiro, eine der angesehensten Theologinnen Brasiliens. „Die Wirtschaftspolitik ist konservativ, erhoffte soziale Fortschritte bleiben aus.“ Das Bildungswesen sei in „grauenhaftem Zustand“, die Situation der öffentlichen Hochschulen „verheerend“.  Der Staatschef habe mit den „übelsten, skrupellosesten Figuren der brasilianischen Rechten paktiert“, überall sehe man jetzt die Konsequenzen. Dekanin Bingemer weist auch auf die gravierende Menschenrechtslage, die Massaker von Todesschwadronen in den Slums. Brasilien zählt jährlich über fünfzigtausend Gewalt-Tote, mehr als in den aktuellen Konfliktherden der Erde. „Wir leben in einem nichterklärten Bürgerkrieg – wer in Rio de Janeiro lebt, ist ähnlichen Gefahren ausgesetzt wie im Irakkrieg oder in Afghanistan.“

Mörder des Umweltaktivisten Chico Mendes zerstört weiter Amazonasurwald

Der wegen seiner Mittäterschaft an der Ermordung des weltbekannten brasilianischen Umweltaktivisten Chico Mendes verurteilte Großgrundbesitzer Darli Alves vernichtet nach wie vor theoretisch streng geschützte Regenwälder. Wie die Medien Brasiliens am Donnerstag mitteilten, wurde Darli Alves von den Umweltbehörden bei illegalen Brandrodungen in der Nähe der Stadt Xapuri im Amazonas-Teilstaate Acre gestellt. Er habe deshalb mit einem Bußgeld zu rechnen. Es handelt sich um das gleiche Umweltverbrechen, gegen das Chico Mendes seinerzeit öffentlich protestiert hatte. Bei den in der derzeitigen Trockenperiode Brasiliens üblichen Brandrodungen kommen stets Millionen von Tieren, darunter Jungvögel in ihren Nestern, qualvoll um, wird auch die Artenvernichtung vorangetrieben.

Über dreitausend Kilometer von Rio de Janeiro entfernt, hatte der Amazonas-Kautschukzapfer, Gewerkschaftsführer und Umweltschützer Chico Mendes bereits während der Militärdiktatur schwerverwundet ein Attentat überlebt. Nach dem Übergang zur Demokratie wurde er 1988 im Auftrage von Großgrundbesitzern des Teilstaates Acre erschossen, die er wegen des skrupellosen, massiven Zerstörens von Urwald anprangerte, sogar Menschenketten des Protestes organisierte. Die Vereinten Nationen hatten ihm ein Jahr zuvor sogar als erstem Brasilianer den Umweltpreis „Global 500“ verliehen. Nur weil Chico Mendes weltweit bekannt war, kam es  durch öffentlichen Druck aus dem Ausland zur Verurteilung des Hauptauftraggebers Darli Alves und seines Sohnes, der in Xapuri die tödlichen Schüsse abgefeuert hatte. Beide erhielten neunzehn Jahre Haft.  Kurz nach der Verurteilung wurde ihnen jedoch die Flucht ermöglicht. Wiederum führte erst internationale Empörung zu einer intensiven Fahndung und erst 1996 zur erneuten Verhaftung.

Statistiken und Studien zeigen, daß die Amazonasvernichtung nach dem Tode von Chico Mendes erheblich zugenommen hat. Auch unter Staatschef Luis Inacio Lula da Silva wuchs die Zahl der ermordeten Umweltaktivisten ebenfalls stark an. Große internationale Aufmerksamkeit fand die Liquidierung der nordamerikanischen Urwaldmissionarin Dorothy Stang, die wegen ihres Engagements stets mit Chico Mendes verglichen wird. Sie war im Februar 2005 in der Amazonas-Prälatur des aus Österreich stammenden Bischofs Erwin Kräutler von bezahlten Killern erschossen worden. Weil Kräutler sich konsequent für die Bestrafung aller Hintermänner einsetzt, erhält er derzeit kontinuierlich Morddrohungen.

Laut brasilianischen Presseberichten werden nur wenige Prozent der für Amazonaszerstörung verhängten Bußgelder tatsächlich entrichtet. Dies könnte auch für den Großgrundbesitzer Darli Alves gelten.

Der betreffende Teilstaat Acre wird von Gouverneur Jorge Viana regiert, der zur Arbeiterpartei von Staatschef Lula gehört.

Brasilianische Bischofskonferenz: Lula-Regierung unterwirft sich dem Diktat der Banken – auf Kosten der Armen und Verelendeten

Die Bischofskonferenz(CNBB) des größten katholischen Landes hat Anfang März mit unerwartet scharfer Kritik an der Wirtschafts-und Sozialpolitik  Brasilias für Schlagzeilen gesorgt und vor den Oktober-Präsidentschaftswahlen eine heftige öffentliche Diskussion über den Kurs von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva ausgelöst. Bei der Vorstellung der diesjährigen Brüderlichkeitskampagne, die den Behinderten gewidmet ist, sagte der deutschstämmige CNBB-Generalsekretär Odilo Scherer, Lulas konservative Wirtschaftspolitik garantiere kein ausreichendes Wachstum und begünstige lediglich die Banken. Diese machten unter Lula Rekordgewinne. Für die Bankiers sei Brasilien heute ein „Finanzparadies“. Die Kirche habe Kenntnis davon, welchem Druck die Regierung ausgesetzt sei, so Bischof Scherer weiter. Doch die Interessen der Gesellschaft müßten ebenfalls berücksichtigt werden. Statt gerechterer Einkommensverteilung zugunsten der armen Bevölkerungsmehrheit erlebe Brasilien eine Einkommenskonzentration, die nur bestimmten Gruppen nütze. Um die scharfen Sozialkontraste zu überwinden, müsse die wachstumshemmende Hochzinspolitik aufgegeben werden, seien Programme zur Schaffung von Arbeitsplätzen nötig. Scherer verwies darauf, daß Staatschef Lula den Brasilianern für 2005 ein Wirtschaftswachstum von fünf Prozent versprochen hatte – erreicht wurden indessen vor allem infolge der Banken-freundlichen Hochzinspolitik nur 2,3 Prozent. Zusammen mit Haiti gehört Brasilien damit zu den Schlußlichtern in Lateinamerika – während die Nachbarn Argentinien und Venezuela immerhin eine Wachstumsrate von über neun Prozent erreicht hatten. Das brasilianische Volk, so Scherer, habe von der Lula-Regierung eine viel effizientere Sozialpolitik erwartet. Das Anti-Hunger-Programm sei bei weitem nicht ausreichend. Nur einen Tag später bekräftigte der Primas von Brasilien, CNBB-Präsident Kardinal Geraldo Agnelo, in Salvador da Bahia vor der Presse die Kritik Scherers. Nie zuvor, so Agnelo, habe sich eine Regierung den von Gläubigerbanken diktierten Bedingungen und Forderungen so unterworfen. Im Interview sagte der Kardinal:“ Die Lula-Regierung sorgt sich direkt übertrieben um das Wohl der Banken, tut alles, was sie wollen. Während der Arbeiter eben keinen gerechten Lohn, keinen Inflationsausgleich einfordern kann. Damit sind wir nicht einverstanden, das ist doch nicht gerecht. Denn dem Volke geht es überhaupt nicht gut. Es muß weiter darauf warten, daß Arbeitsplätze geschaffen werden. Denn ohne Arbeit ist kein Leben in Würde möglich. Die Leute können sich doch nicht nur von staatlichen Almosen ernähren.“

Kardinal Agnelo meinte damit das Anti-Hunger-Programm der Lula-Regierung. Bisher erhalten lediglich acht Millionen verelendete Familien eine monatliche Hilfe von umgerechnet nur 23 Euro.  Das Hilfsprogramm, so Agnelo weiter, sei keine Lösung, bringe die Leute nicht voran, fördere sie nicht, zeige keinen Ausweg aus ihrer erbärmlichen Lage. „Viele geben sich sogar mit diesem Almosen zufrieden, tun gar nichts mehr, gehen keinerlei Beschäftigung mehr nach.“ Die Bischofskonferenz verlange deshalb eine andere Wirtschaftspolitik, die den Menschen ermögliche, von ehrlicher Arbeit zu leben.  „Wir wollen, daß Staatschef Lula Erfolg hat – bei der Förderung des Gemeinwohls!“  Brasiliens geringes Wirtschaftswachstum bedeute aber eine regelrechte Anklage gegen die falsche Politik Brasilias.

Auch Agnelo kritisierte das weltweit höchste Zinsniveau. Wenn die Regierung deshalb immer höhere Summen für den Schuldendienst aufbringen müsse, die Gewinne der Banken daher ständig kletterten, frage man sich natürlich:“Was bleibt denn da noch übrig für soziale Zwecke?“

Brasiliens größte, auflagenstärkste Qualitätszeitung, die Folha de Sao Paulo, hatte kurz vor den Pressekonferenzen von Bischof Scherer und Kardinal Agnelo berichtet, wer mehr aus dem Staatshaushalt erhält – die Privatbanken oder die von Hunger und Elend Betroffenen. Chefeditor Vinicius Mota sagte im Interview: “Dieser Vergleich macht traurig. Denn die Banken bekommen für den Schuldendienst rund zwanzigmal mehr Gelder, als in das Anti-Hunger-Programm fließen. Eine kleine Zahl von Privilegierten bekam letztes Jahr also 150 Milliarden Real – während man für die acht Millionen verelendeten Familien nur rund sieben Milliarden ausgab. Interessanterweise wurden die Privatbanken gleichzeitig zu den wichtigsten Finanziers der Arbeiterpartei von Staatschef Lula. Fakt ist, daß sich allein zwischen 2002 und 2004 die Bankenspenden an die Arbeiterpartei um das elffache erhöhten. Die Privatbanken sind mit der Lula-Regierung sichtlich höchst zufrieden. Dabei hatten Lula und seine Arbeiterpartei vorm Amtsantritt stets versprochen, mit den hohen Bankiersgewinnen Schluß zu machen.“

Staatschef Lulas Arbeiterpartei, so analysiert die Folha de Sao Paulo weiter, sei Favorit der Bankiers, die den einstigen Gewerkschaftsführer regelrecht gezähmt hätten. Dessen Wiederwahl beim Urnengang im Oktober sei ihnen durchaus Recht. Gemäß neuesten Umfragen würde Lula bereits im ersten Wahlgang gewinnen, weil all jene dreißig Millionen Brasilianer für ihn votieren würden, die durch sein Anti-Hunger-Programm begünstigt werden. Es sei daher in Wahrheit ein „Wiederwahl-Programm“.

Brasiliens bischöfliche Aids-Seelsorge

Kondomverteilung an jedermann

Die brasilianische Regierung freut sich über die immer konstruktivere Kooperation mit der Kirche bei der Aids-Bekämpfung und verkündet erstmals ganz offiziell: Wer  sich vor einer Ansteckung mittels Kondomen schützen will, bekommt sie gratis auch bei der Kirche. Denn die bischöfliche Aids-Pastoral, so erklärt jetzt das Gesundheitsministerium in Brasilia, stelle Kondome in den kirchlichen Betreuungszentren zur Verfügung. „Unsere rund 300 Aidsprojekte sind mit einer ganz speziellen Realität konfrontiert“, erläutert Kapuzinermönch Luiz Carlos Lunardi, 48. „Denn es gibt viele Paare, bei denen nur einer Aids hat – und die Situation, daß viele Aidsinfizierte verschiedenste Sexkontakte pflegen.“ Daher rate die Pastoral, Kondome zu verwenden, damit nicht noch mehr Menschen angesteckt würden. Die Kirche beschaffe  Kondome aber nicht, fürs Verteilen sei  das staatliche Gesundheitswesen zuständig. Kapuzinermönch Lunardi nennt die Aids-Seuche eine enorme Herausforderung für Brasilien und betont realistisch:“Es ist uns noch nicht gelungen, die Menschen davon zu überzeugen, daß diese Epidemie existiert und sich deshalb jeder präventiv verhalten muß.“ In Brasilien komme man bei den Menschenrechten nicht voran, werde nicht einmal das Armutsproblem gelöst – und dadurch entstünden Situationen der Anfälligkeit für Aids. Lunardi nennt bedenklich, daß niemand das wahre Ausmaß der Epidemie kennt. Ungezählte Brasilianer seien zwar infiziert, verzichteten aber auf einen Gratis-Test. Das Gesundheitsministerium schätzt deren Zahl auf über 400000. Der Kapuziner stellt solche Daten in Frage und ist nicht der einzige. So haben die  Medizin-Nobelpreisträger von 2008, Luc Montagnier und Francoise Barrè-Sinoussi, die für die Entdeckung des Aids-Virus geehrt wurden, in Paris  auf die hohe Zahl “nicht-deklarierter” Aids-Kranker in Brasilien verwiesen. Diese würden nicht medizinisch behandelt und infizierten weiterhin andere Menschen. Viele Brasilianer wollten schlichtweg nicht wissen, ob sie Aids-infiziert seien und weigerten sich, den Aids-Test zu machen. Auch viele Indianer Amazoniens hätten Aids, aber keinen Zugang zu Medikamenten. Jetzt hat die Kirche mit der Regierung vereinbart, daß die Gläubigen sogar während der Gottesdienste zum Gratis-Aids-Test angeregt werden sollen. Dies zeigt den Ernst der Lage.

Auf Sao Paulo entfallen rund zwanzig Prozent der registrierten Aids-Fälle Brasiliens – in der Megacity mit den über tausend deutschen Unternehmen leistet der Franziskanerorden beim Betreuen von Kranken und bei der Prävention seit vielen Jahren Pionierarbeit. Bereits 2002 meldeten Sao Paulos Zeitungen, daß im „Centro Franciscano de Luta contra Aids“ Kondome, sogar zusammen mit Nahrungspaketen, verteilt würden. Die Präservative kamen schon damals gratis vom Gesundheitsministerium, deren Experten im „Centro“ Vorträge hielten und natürlich die Anwendung dringend empfahlen. „Wir geben Kenntnisse über die Krankheit  und deren Wirkungen weiter“, meinte ein Ordensbruder, „aber wie sich die Leute dann vorbeugend verhalten – ob durch sexuelle Abstinenz, eheliche Treue oder eben wissenschaftliche  Methoden und Techniken – das entscheidet die jeweilige Person ganz allein.“ Rückenwind erhielten die Franziskaner von Sao Paulos damaligem Erzbischof und Kardinal Evaristo Arns. Auch der befürwortete öffentlich den Kondomgebrauch. „In Brasilien ist die Aids-Ausbreitung nicht unter Kontrolle – die sehr starken Aids-Medikamente haben häufig üble Nebenwirkungen, darunter Krebs“, erläutert Maria Abbate, zuständige Expertin der Gesundheitsbehörde Sao Paulos. Laut offiziellen Angaben werden in dem Tropenland seit 1998 jährlich etwa 11000 Aids-Tote registriert, wenngleich wegen der lebensverlängernden medizinischen Behandlung die Todesrate zurückgegangen sei.

Brasiliens Bischofskonferenz verurteilt Welle sadistischer Verbrechen

Diskussion um Einführung der Todesstrafe

„Wir erleben schockierende Situationen der Barbarei“, bekräftigt tief erschüttert der deutschstämmige Bischofskonferenz-Generalsekretär Odilo Scherer. „Der Staat muß endlich handeln, die Menschenrechte der Bürger respektieren!“ Scherer spricht damit den vielen Millionen von Brasilianern aus dem Herzen, die angesichts einer neuen Welle besonders sadistischer Verbrechen deprimiert, in Spannung und Angst sind. Kurz vor dem Karneval hatten Gangster mit einem geraubten Auto in Rio de Janeiro einen behinderten sechsjährigen Jungen durch drei Stadtviertel geschleift, bis von ihm nur noch zerfetzte Reste übrig waren. Deshalb wurde öffentlich sogar gefordert, den Rio-Karneval abzublasen, rufen schwarz umrandete Riesenposter an den Mauern jetzt dazu auf, den Tod des Jungen und ähnliche Untaten nicht länger hinzunehmen. Auch Kugeln töten fast täglich Kinder. Doch nur wenige Prozent der jährlich über 50000 Morde Brasiliens werden aufgeklärt.

In dieser Woche ein neuer Schock: An der Copacabana werden drei französische Menschenrechtsaktivisten sadistisch gefoltert, barbarisch ermordet. Die drei mutmaßlichen Täter haben noch blutige Hände, als sie die Polizei nach Hinweisen faßt. Der 25-jährige Anführer ist ein früheres Straßenkind, dem die Franzosen mit ihrer NGO für Slumprojekte einst das Leben gerettet hatten, ihn zum festen Mitarbeiter ausbildeten. Als sie entdeckten, daß ihr besonderer Schützling hohe Spendensummen abzweigte, plante dieser gemäß den Ermittlungen kaltblütig die Tat. Doch über die meisten perversen Verbrechen schweigen Staat und Medien -mit Rücksicht auf das Landesimage. Marina Maggessi, seit kurzem Kongreßabgeordnete und zuvor Rios Polizei-Chefinspektorin, nannte die Banditenbosse regelrechte „Tyrannen“:“Sie  verbrennen Menschen lebendig, zerstückeln Personen, begehen Greueltaten jeder Art, herrschen über die Elendsviertel mit aller Brutalität.“ Unter Staatschef Luis Inacio Lula da Silva hat sich die machistische Gewaltkultur weiter verfestigt, sind „Ehrenmorde“ häufig. In der nordostbrasilianischen Millionenstadt und Tourismushochburg Recife ist Gewalt durch Waffen und Schläge die erste, wichtigste Todesursache bei Mädchen und Frauen zwischen zehn und 49 Jahren. „Derzeit schafft man günstige Bedingungen für noch mehr Gewalt“, sagt Sao Paulos Uni-Sozialwissenschaftler Paulo Mesquita. „Bei den Menschenrechten, beim Aufbau der Demokratie gibt es Rückschritte.“ Im Februar war Finanzminister Guido Mantega Geisel unbekannter Banditen – zwei Monate zuvor traf es zwei andere Minister. Die Mehrheit der Brasilianer will seit langem die Todesstrafe. Angesichts des zunehmenden Täter-Sadismus machen sich erstmals Intellektuelle zum Sprachrohr für Rachegefühle. Gegen die Mörder des behinderten Jungen in Rio wäre die Todesstrafe zu wenig, schrieb Renato Ribeiro, Ethikprofessor an Brasiliens größter Bundesuniversität in Sao Paulo. „Ich denke, sie müßten eines grauenhaften Todes sterben – genauso grauenhaft, wie sie es mit dem Jungen machten.“ Die Bischofskonferenz ist gegen die Todesstrafe ebenso wie gegen ein niedrigeres Strafmündigkeitsalter.  Hochgefährliche jugendliche Schwerverbrecher dürften indessen nicht schon nach kurzer Zeit auf die Straße zurückkehren, wie es derzeit üblich sei. Amazonas-Bischöfe wie Erwin Kräutler aus Österreich bestätigen zudem, daß nicht in den Großstädten die Mordrate am höchsten ist, sondern in Gemeinden und Kleinstädten des Hinterlandes. In Rio entfallen auf 100000 Einwohner jährlich rund fünfzig Morde. Im nordbrasilianischen Colniza sind es indessen 165 Morde – in Deutschland ein einziger. Gemäß neuen Studien sind rund vierzig Prozent der Bewohner Sao Paulos schwach bis stark psychisch gestört, jeder zehnte müßte in psychiatrische Behandlung. Wie Dr. Sergio Tamai, Direktor des katholischen Betreuungszentrums „Santa Casa de Misericordia“  betonte, gehörten Gewalt und Verbrechen zu den wichtigsten Gründen für Depression oder Paniksyndrome. Papst Benedikt XVI. besucht die drittgrößte Stadt des Erdballs im Mai.

Brasiliens zögerliche Vergangenheitsbewältigung

Diktatur-Folteroffiziere weiter straffrei

Chile, Argentinien und Uruguay arbeiten zügig Diktaturverbrechen auf, bestrafen Folterknechte von einst. Nur in Brasilien, der größten lateinamerikanischen Demokratie, kommt die Vergangenheitsbewältigung kaum voran. Jetzt hat der jahrelang schwelende Streit um die Bestrafung berüchtigter Folteroffiziere erstmals eine Regierungskrise ausgelöst, was auch die Menschenrechtsaktivisten der katholischen Kirche hoffen läßt. Paulo Vannuchi, Präsident Lulas Menschenrechts-Staatssekretär im Ministerrang, kündigte offiziell seinen Rücktritt an, falls die Bundesanwaltschaft weiter solche Folteroffiziere vor Gericht verteidige. Denn bislang sieht der brasilianische Staat auch die Folterverbrechen der Diktaturzeit als vergeben an und beruft sich dabei auf das Amnestiegesetz von 1979. Chile, Argentinien und Uruguay haben ebenfalls solche Amnestiegesetze, entschlossen sich aber, diese nach dem Ende der Militärdiktatur gemäß internationalen Rechtsabkommen neu zu interpretieren – und Folterer zu bestrafen. Brasilia hat solche Abkommen ebenfalls unterzeichnet, scheut sich aber, dem Beispiel der Nachbarländer zu folgen. Um Brasiliens Militärspitze ruhig zu halten, die nach wie vor die Diktatur verteidigt, weist Staatschef Lula kürzlich an, die neu aufgeflammte, so unangenehme Kabinettsdebatte zu beenden und pfeift sogar Justizminister Tarso Genro zurück, der ebenfalls Folterer bestraft haben möchte. Stattdessen geht die Diskussion erst richtig los. Zumal die Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAE) jetzt brasilianische Regierungsvertreter nach Washington zitierte, damit sie über die als absurd empfundene Auslegung des Amnestiegesetzes Rede und Antwort stehen. Die erste Anhörung dieser Art geht für Brasilia mißlich aus, da die OAE-Menschenrechtskommission just von einem angesehenen brasilianischen Justizvertreter, Sao Paulos Staatsanwalt Marlon Weichert, wichtige Argumentshilfe bekommt. Weichert wirft in Washington der Lula-Regierung vor, Offiziere der politischen Polizei zu schützen, die nach dem Militärputsch von 1964 Regimegegner verfolgten, folterten und „verschwinden“ ließen. Auf diese Weise fördere Brasilia heutige Polizeigewalt in den brasilianischen Gefängnissen. Straflosigkeit und Unterdrückung der Wahrheit hätten Wirkung und inspirierten jene Staatsfunktionäre, die heute im Polizeiapparat und im Gefängnissystem „Folter und Ausrottung“ betrieben. Nicht einmal die Öffnung der Geheimarchive aus der Diktaturzeit sei unter Lula veranlaßt worden. Just in Sao Paulo führt Staatsanwalt Weichert mehrere Prozesse gegen frühere Offiziere des Repressionsapparats und hatte erst unlängst den bekannten spanischen Richter Baltazar Garzón zu Gast. Dieser hatte 1998 die Verhaftung des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet angeordnet. In Brasiliens Megacity bekräftigt Garzón an der Seite Weicherts, daß Folter ebenso wie Völkermord ein Verbrechen gegen die Menschheit sei und niemals verjähre. Kardinal Evaristo Arns, emeritierter Erzbischof Sao Paulos, hört es mit Genugtuung – schließlich zählt er zu den erbittertsten Gegnern der Diktatur, hat sich unschätzbare Verdienste bei der Aufklärung von Regimeverbrechen erworben. Brasiliens Bischofskonferenz(CNBB)bekräftig erneut ihre Grundposition ganz offiziell: Alle Folterer von einst müssen bestraft, die Diktatur-Geheimarchive endlich geöffnet werden. „Straflosigkeit darf es nicht geben“, so CNBB-Präsident Geraldo Lyrio Rocha in Brasilia. Hunderte kirchliche Menschenrechtsaktivisten wurden damals gefoltert, ermordet. Befreiungstheologe Frei Betto erinnert in Sao Paulo daran, was er und viele seiner Dominikaner-Ordensbrüder in den Kerkern erleiden mußten.:“Der gravierendste Fall war Frei Tito, der als Folge der unsäglichen Torturen den Verstand verlor, 1984 in einem französischen Kloster bei Lyon mit 28 Jahren Selbstmord beging.“

Brasiliens Bischöfe beklagen tiefe ethisch-moralische Krise des Tropenlandes

Debatte um Amtsenthebung von Staatschef Lula

„Wir sind in einer perplexen Situation“, analysiert Brasiliens Primas Kardinal Geraldo Majella Agnelo, „es ist wichtig, daß das Volk jetzt nicht passiv bleibt, sondern reagiert.“ In der Tat haben die über 185 Millionen Brasilianer derzeit eine Menge verwirrender innenpolitischer Ereignisse zu verarbeiten, ist die öffentliche Diskussion über ein Impeachment-Verfahren gegen Staatschef Luis Inacio Lula da Silva erneut heftig aufgeflammt. Denn ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß hatte nach 245 Tagen intensiver Arbeit schwere Korruptionsvorwürfe gegen die Lula-Regierung als richtig bestätigt. Diese hatte sich politische Unterstützung im Nationalkongreß mit Millionensummen erkauft, bereits vor dem Amtsantritt vom Januar 2003 ein raffiniertes System von Abgeordnetenbestechung installiert. Die Gelder wurden aus Staatsunternehmen abgezweigt, kamen aber auch von Privatfirmen und flossen vornehmlich ins rechtsgerichtete Parteienspektrum. Als Hauptdrahtzieher nennt der Untersuchungsbericht Staatschef Lulas engen Freund und rechte Hand, den Minister und Chef des Zivilkabinetts, Josè Dirceu. Dieser arbeitete im Präsidentenpalast Wand an Wand neben Lula, koordinierte von dort aus alle Machenschaften meist gemeinsam mit anderen Spitzenleuten der Arbeiterpartei – bis Lula alle bereits im letzten Jahr unter dem Druck der Enthüllungen entlassen mußte. Gegen Josè Dirceu und über einhundert weitere Personen sollen jetzt Gerichtsverfahren wegen aktiver Korruption, Geldwäsche, Machtmißbrauch und anderen Delikten eröffnet werden. Brasiliens Generalstaatsanwaltschaft hat bereits vierzig schwer Belastete, darunter Dirceu und den damaligen Chef der Arbeiterpartei, Josè Genuino, unter Anklage gestellt. Die Partei, so hieß es zur Begründung, habe eine „kriminelle Organisation“ gebildet, um sich an der Macht zu halten. Laut Presseberichten wird auch Staatschef Lula von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht ausgespart.  Letztes Jahr hatte Lula betont:“Ich fühle mich durch inakzeptable Praktiken verraten, von denen ich niemals gewußt habe.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch den neoliberalen Finanzminister Antonio Palocci, mächtigster Mann im Kabinett, an seiner Seite.  Palocci bestritt vor dem Untersuchungsausschuß, jemals eine kleine Villa Brasilias betreten zu haben, in der zwielichtige, teils mit ihm befreundete Lobbyisten krumme Geschäfte ausheckten, illegale Gelder aufteilten und Orgien mit Prostituierten feierten.  Doch dann sagte der 24-jährige Hausmeister glaubhaft aus,  Palocci sei häufig in der Villa bei den Lobbyisten und den Prostituierten gewesen. Wie die Presse berichtete, wurde daraufhin im Präsidentenpalast beschlossen, den Hausmeister zu diskreditieren, unter anderem sein Bankgeheimnis zu brechen. Die heimtückische Aktion ging völlig daneben, kam an die Öffentlichkeit – Lula mußte Palocci raschest entlassen. „Die Krise bewegt sich auf niedrigstem Niveau – beschämend für Brasilien“, analysiert daher Odilo Scherer, Generalsekretär der Bischofskonferenz. Das Land durchlebe eine düstere, triste, enttäuschende Phase seiner Geschichte, konstatieren andere Bischöfe. Daß überall, nicht nur in der Politik, ethische Prinzipien fehlten, sei bedrückend. Anerkannte Juristen des Anwaltsverbandes argumentieren, daß Lula schon deshalb ein Impeachmentverfahren verdiene, weil er zwielichtige Politiker, die er selbst wegen schweren Delikten entlassen mußte, weiterhin öffentlich als „Brüder, Freunde und Genossen“ würdige. Und damit jeglichen Anstand, den das Präsidentenamt erfordere, vermissen lasse. Immerhin 83 Prozent der Brasilianer nennen Lula mitverantwortlich für den Korruptionsskandal. Gemäß neuesten Meinungsumfragen sinkt die Popularität Lulas  jedoch nur langsam, würde er bis auf weiteres im Oktober wiedergewählt. Begründet wird dies einerseits mit dem sehr niedrigen Informationsgrad der extrem ungebildeten Massen über die innenpolitische Krise, andererseits mit den staatlichen Hilfen für über elf Millionen arme Familien. Daß „oben in der Politik“ alle Diebe seien und sich rücksichtslos bereicherten, werde von vielen als normal angesehen.

Brasiliens „Ehrenmorde“

Strafrechtsänderungen sollen Macho-Gewalt verringern

Im Macholand Brasilien werden jährlich über 45000 Menschen ermordet, sehr viele Opfer  sind Frauen. Oseias Brito in der Amazonas-Großstadt Manaus beispielsweise hatte seiner Ehefrau Maria strikt verboten, zu arbeiten und abends einen Berufskurs zu machen. Wenn er zu seiner Geliebten ging und Maria das kritisierte, schlug er sie jedesmal brutal zusammen, daß Blut floß. Als die 25-jährige  sich vor wenigen Tagen schließlich von ihm trennen wollte, brachte Oseias sie sofort auf sadistische Weise um, hackte ihren Körper in Stücke – gar kein so untypischer Fall. Noch unlängst wäre er vor Gericht mit dem Argument durchgekommen, in „legitimer Verteidigung der Ehre“ gehandelt zu haben. Jetzt hat Oseias Brito weit schlechtere Chancen auf Freispruch. Denn anläßlich des Internationalen Frauentags am achten März sanktioniert Brasiliens Staatschef Lula mehrere Strafrechtsänderungen,  die mit dem absurden Argument der Ehrenrettung Schluß machen sollen. Theologin Maria Clara Bingemer von der Katholischen Universität Rio de Janeiros begrüßt, daß das völlig obsolete, patriarchalische Strafrecht von 1940 modernisiert wird – auf Druck der Frauenbewegung des Landes. „Endlich etwas mehr Menschenwürde für die Brasilianerinnen“, betont sie. „Die neuen Gesetze könnten dazu beitragen,  die machistische Mentalität in unserem Land zu verändern.“ Maria Clara Bingemer, die an der Universität das Zentrum für Humanwissenschaften leitet, zitiert landesübliche Macho-Überzeugungen:“Frauen mögen es, verprügelt zu werden.“ Oder:“Wenn du eine Frau schlägst, weißt du vielleicht nicht warum – aber sie weiß genau, weshalb sie Prügel verdient hat.“

Brasiliens Zeitungen melden täglich zahlreiche Fälle von Macho-Gewalt. So absurd es klingt – getötet werden keineswegs selten die bereits rechtmäßig von dem Täter geschiedene Ex-Frau,  oder die frühere Freundin, die Geliebte oder Ex-Geliebte.

„Selbst der Ehebruch war  bisher strafbar – angeklagt und verurteilt wurden jedoch stets nur Frauen“, erläutert der Abgeordnete Antonio Carlos Biscaia aus Staatschef Lulas Arbeiterpartei. „Jetzt fällt dieser Paragraph. Und bei Morden bleibt künftig die These von der legitimen Verteidigung wirkungslos.“ Unglücklicherweise geschähen solche Verbrechen eben nicht nur in fundamentalistischen arabischen Ländern, sondern auch in Brasilien. Neu unter Strafe gestellt werde Menschenhandel zum Zwecke der Prostitution.

Dennoch entspricht das brasilianische Strafrecht damit noch längst nicht der Verfassung von 1988, die erstmals Frauen und Männer völlig gleichstellt. Die nationale Frauenbewegung hatte entsprechende Vorschläge gemacht – doch wegen des starken konservativen Lagers im Kongreß sind sie noch nicht durchsetzbar.

“Erreicht wurden nur  kleine Änderungen – aber sie sind es wert, gefeiert zu werden“, meint die Gewalt-Forscherin Wania Pasinato in Sao Paulo. „Denn dafür haben viele Frauen Brasiliens die letzten zwanzig Jahre hart gekämpft.“ In allen Klassen und Schichten Brasiliens, bei den Reichsten, aber auch den Ärmsten, am wenigsten Gebildeten,  dominiere weiterhin ein patriarchalisches Beziehungsmodell, wonach die Frau unterwürfig sein müsse und Eigentum des Mannes sei.

Soziologin Pasinato beobachtet, daß sich Anwälte vor allem in den Großstädten bereits geschickt auf das veränderte Strafrecht einstellen. Das Argument „legitime Verteidigung der Ehre“ wird ersetzt durch „plötzliche unkontrollierbare Gefühlsaufwallung“,  also Handeln im Affekt, selbst wenn der Mord lange und sorgfältig vorausgeplant worden war. Und das funktioniere vor Gericht ebenfalls bestens. “Wenn der Mann weiß, daß seine Frau oder Freundin sich trennen will, wenn sie vorhat, arbeiten zu gehen oder zu studieren, wenn sie ihm das Essen nicht machte oder sich gar einen Geliebten anschaffte, dann kann er eben ab jetzt eine solche Gefühlsaufwallung erleiden und die Frau umbringen.“ Wahrscheinlich habe man  inzwischen noch ganz andere Argumente erfunden, um gewalttätige Männer freizusprechen. „Wir müssen also weiter für Frauenrechte und ein modernes Justizsystem kämpfen.“

Banditendiktatur über Brasiliens Slumbewohner nützt Regierung und Eliten, verhindert Kampf für Menschenrechte

Historiker bestätigt Kirchenposition

Unten, an den Stränden der schicken Viertel Ipanema und Copacabana, tummeln sich die ausländischen Touristen, wohnen in feinen Hotels – oben an den Steilhängen kleben die Elendsviertel, Favelas der Zuckerhutmetropole, hausen über anderthalb Millionen Menschen dichtgedrängt wie Ameisen. Viele Besucher fragen sich angesichts extremer Sozialkontraste, warum die Favelados eigentlich nicht von den Hügeln in die Mittel-und Oberschichtsviertel heruntersteigen, protestieren und rebellieren,  ihre Menschenrechte einfordern. Schließlich ist Brasilien die dreizehnte Wirtschaftsnation der Erde, dazu größte Demokratie Lateinamerikas. Etwa fünfzig Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze, die hohen Einkommen mehr als das dreißigfache über den niedrigen. „Warum gibt es einfach keine soziale Explosion?“, fragt auch der angesehene Historiker Josè Murilo de Carvalho, „warum organisieren sich die Massen der Slums nicht nach dem Vorbild der Landlosenbewegung?“  Er weist auf die Banditendiktatur über die Slumbewohner, hat eine brisante Erklärung parat:“Die Herrschaft des organisierten Verbrechens blockiert die Politisierung der Favelados, hält sie ruhig, verhindert eine Rebellion. Die hochbewaffneten Gangsterkommandos dienen somit der Aufrechterhaltung politischer Stabilität – und das ist den Autoritäten sehr recht, ist gut für sie. Natürlich würde man das nie eingestehen.“ Professor Carvalho, 65,  von der Bundesuniversität in Rio de Janeiro, wirft auch der Regierung von Staatschef Luis Inacio da Silva, dem ehemaligen Gewerkschaftsführer, vor, am grauenhaften Status Quo der Favelas nichts ändern zu wollen. „Zum strategischen Kalkül Brasilias gehört, daß es wegen der so hilfreichen Verbrechersyndikate keine sozialen Unruhen geben wird – und das ist natürlich reiner Zynismus. Wir haben so viele Gewalttote wie in Bürgerkriegen. Die Slumbewohner besitzen nicht einmal die elementarsten Bürgerrechte, können sich nicht frei bewegen, haben nicht einmal das Recht auf das eigene Leben, von den sozialen Rechten ganz zu schweigen.“ Historiker Carvalho erregte mit seiner Analyse jetzt auf einer  nationalen Wissenschaftlertagung großes Aufsehen.

Doch auch Rios deutschstämmiger Kardinal und Erzbischof Eusebio Scheid prangert seit Jahren den Banditenterror gegen die Favelados, die Ausgangssperren, das neofeudale Normendiktat an, die Verantwortung der Eliten. „Wenn in der Favela einer den Mund aufmacht“ so Scheid, „werden ihm von den Gangstern die Ohren abgeschnitten, wird er völlig verstümmelt. Die Verbrechersyndikate sind eine Parallelmacht, ein Staat im Staate, gestützt auf die Feuerkraft ihres großen Waffenarsenals.“  Zu den drakonischen Strafen gehört auch Handabhacken, lebendig Verbrennen. Viele Slumpfarrer und selbst der Dominikaner Frei Betto, heute Staatschef Lulas Sonderberater für Hungerfragen, argumentieren genauso. „Die Deutschen haben offenbar keine Vorstellung von der gravierenden Situation hier.“

Die von den deutschen Kirchen stark unterstützte Landlosenbewegung MST, so Historiker Carvalho, vertritt zwar nur die Minderheit der Brasilianer des Hinterlands, ist aber politisch sehr erfolgreich, hervorragend organisiert und effizient, zwingt die Regierung, den Boden gerechter zu verteilen. Doch über achtzig Prozent der mehr als 175 Millionen Brasilianer, das Gros der sozial Ausgeschlossenen, leben in großen Städten. Dort, so der Historiker, hätte eine Bewegung der Slumbewohner, der Arbeitslosen, die beispielsweise leerstehende Gebäude und Wohnungen besetzen, natürlich ganz andere Wirkungen. „Nicht zufällig sind in den Großstädten enorme Truppenkontingente konzentriert, falls die Lage doch einmal außer Kontrolle gerät. Jetzt organisiert der MST wieder viele Bodenbesetzungen – derartige Aktionen in den Städten, mit Millionen von Favelados, wären  ein Schlag gegen die Stabilität des Systems. Man müßte Truppen einsetzen, um die Ruhe wiederherzustellen.“  Für Kardinal Scheid und Historiker Carvalho ist keine Lösung der Favelaprobleme in Sicht. Mit ironischem Galgenhumor fragt der Wissenschaftler:“Warum wohl werden aber weder Brasiliens Grenzen noch die Drogenmafia in der Bucht von Rio streng überwacht, greifen die Streitkräfte nicht ein, um den Gangstersyndikaten das Rückgrat zu brechen?“

Große Erwartungen an Papstbesuch auch bei Anhängern der Befreiungstheologie

Die jüngste scharfe Kritik des Papstes an Misere, Ungleichheit und Menschenrechtsverletzungen in Lateinamerika ist auch bei den Anhängern der Befreiungstheologie in der Kirche Brasiliens auf großes Interesse gestoßen. So wird Benedikt XVI. auch mit Kardinal Evaristo Arns, dem emeritierten Erzbischof Sao Paulos zusammentreffen, der zu den führenden Persönlichkeiten der Befreiungstheologie zählt. Der jetzt vom Papst zum neuen Erzbischof der Megacity ernannte deutschstämmige Odilo Scherer hatte gleich zu Beginn seiner Amtszeit engagierten befreiungstheologischen Priestern wie Sao Paulos Obdachlosen-Seelsorger Julio Lancelotti demonstrativ alle Unterstützung zugesichert und den Wert der Vielfalt in der Kirche gewürdigt. Lancelotti, der bereits zur Diktaturzeit gemeinsam mit Arns gegen die Foltergeneräle opponierte, führt dessen Linie fort und zählt zu den Symbolfiguren der brasilianischen Menschenrechtsbewegung. Fernando Altemeyer, Cheftheologe der Katholischen Universität Sao Paulos, erklärte am Mittwoch gegenüber der Presse, die Befreiungstheologie sei lebendig, sorge sich auch um die neuen Armen des Kontinents und verstehe sich als eine „Theologie des Mitleids“. Altemeyer, jahrelang Sprecher von Kardinal Arns,  erinnerte an den Brief von Papst Johannes Paul dem Zweiten von 1986 an die brasilianischen Bischöfe, wonach die Befreiungstheologie „opportun, nützlich und notwendig“ sei. Der Cheftheologe hatte bereits nach der Wahl von Kardinal Ratzinger zum neuen Papst erklärt, daß nunmehr für die Theologen bessere Zeiten anbrechen dürften. „Der Winter ist vorbei, neuer Sauerstoff ist für die Kirche lebenswichtig.“ Der neue Papst könne unmöglich das „Risiko intellektueller Sterilität“ eingehen. Als große politische Herausforderung bezeichnet Altemeyer den „nordamerikanischen Imperialismus“, Benedikt XVI. müsse sich diesem „Totalitarismus“ entgegenstellen. Unmittelbar vor der Papstankunft in Sao Paulo stellte sich auch der emeritierte Bischof Pedro Casaldaliga hinter die Befreiungstheologie. Gegenüber der Presse sagte er am Mittwoch, solange es Arme, Verelendete gebe, werde diese theologische Richtung existieren. „Wer heute ans Kreuz geschlagen wird, sind die Armen.“ Es handele sich um das Kreuz der Misere, Gewalt und Marginalisierung – davon müsse man die Armen befreien. Sollte auf der vom Papst eröffneten Generalversammlung des Lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM jemand die Befreiungstheologie angreifen, werde dieser darauf eine Antwort erhalten, meinte Casaldaliga. Leonardo Boff, der in Europa bekannteste brasilianische Befreiungstheologe, bewertete die Kulturkritik des Papstes positiv. Die moderne Zeit sei in der Tat von Dekadenz gezeichnet, Benedikt XVI. weise auf Arroganz, Relativismus, Materialismus und Atheismus. Der Papst werde mit seiner hohen Intelligenz die brasilianischen Realitäten wahrnehmen. Daher könnte er sehen, was von der Kirche an Gutem unternommen wurde, um die Menschen vor den Konsequenzen einer „perversen Modernität“ zu bewahren. Denn diese verweigere Ungezählten die Bürgerrechte und selbst das Leben.

Ökotourismus par excellence

Ein brasilianisches Fischerdörfchen findet weltweit Nachahmer

Wanderdünen, Palmen, frei weidende wilde Esel,  Segelflöße am Strand vor den Fischerkaten und tief entspannende Ruhe – das versteckte 1200-Seelen-Dorf Prainha do Canto Verde im Nordosten Brasiliens ist ein idealer Fluchtpunkt für Streßgeplagte. Seit es von der Internationalen Tourismusbörse in Berlin als weltweit beispielhaft für ökologischen, sozial verantwortlichen Fremdenverkehr ausgezeichnet wurde, blieb dennoch der große Ansturm aus, sind die mehreren Dutzend schlichten, sehr preiswerten Gäste-Appartements selten voll belegt. Den Kennern und Liebhabern von „Prainha“, wie jeder hier sagt, gerade Recht. Denn lauten, brachialen Massentourismus gibt es in Brasilien zur Genüge – und auch das einfache Fischerdörfchen sollte zugunsten von Bettenburgen und Boutiquen-Meilen längst ausradiert sein. Der deutschstämmige Kardinal Aloisio Lorscheider und das Menschenrechtszentrum seiner Erzdiözese in der 120 Kilometer entfernten Provinzhauptstadt Fortaleza haben es verhindert: Als in den achtziger Jahren Immobilienhaie die Fischerfamilien sogar mit Terror vertreiben wollen, greift Lorscheider beherzt ein, hilft bei der Gründung einer Bewohnerassoziation, organisiert mit Gleichgesinnten sogar internationalen Druck. Für den Kardinal war Prainha ein Präzedenzfall dafür, wie die archaischen Nordost-Eliten mit den einfachen und tiefreligiösen Menschen, zumeist Analphabeten, umspringen. „Die Herrschenden, zynisch und skrupellos agierende Clans“, sagt er in Fortaleza, „sind nicht gewillt, Macht und Privilegien abzutreten.“ Deshalb werde das Volk ganz bewußt dumm gehalten, da es dann leichter manipulierbar sei. „Ungebildete, Analphabeten wissen nicht, wie sie sich in der heutigen Welt bewegen sollen – sie kennen ihre Rechte nicht und fordern sie auch nicht ein.“ Man lasse sich fatalistisch treiben, verbinde sich nicht mit anderen, organisiere sich nicht. Da sieht Lorscheider eine große Herausforderung für die Kirche, ob in den entsetzlichen Slums von Fortaleza oder bei den Fischern von Prainha. Die hatten zusätzlich Glück, daß der schweizerische Swissair-Manager René Schärer rein zufällig das Dorf entdeckt, sofort seinen Job an den Nagel hängt, den Menschen ebenfalls beisteht, Entwicklungsprojekte startet. Lorscheider, Ende 2007 verstorben, erlebt zuvor noch voller Freude mit, wie Prainha absolute Misere, Hunger und grauenhafte Krankheiten abstreift, im ganzen Nordosten zur Gemeinde mit den besten Sozialdaten wird. „Wer gerne Langusten ißt, sollte ab Mai, nach dem Ende der Schonzeit kommen“, empfiehlt Schärer. „Zwischen Juli und November haben wir stärkeren Wind als im Rest des Jahres – doch eigentlich ist immer Saison.“ Am Atlantikstrand stechen die Fischer mit ihren Jangadas, Segelflößen in See – man kann mitfahren oder eben spätnachmittags mit den anderen Dorfbewohnern den Fang begutachten, sich Fische für die eigene Mahlzeit heraussuchen. „Wir machen nachhaltigen Turismo comunitario, der durch die Prainha-Bewohner genossenschaftlich geplant, entwickelt und gemanagt wird“, erläutert Schärer. „Alle Dienstleistungen, vom tropischen Cocktailempfang bis zu Tagungen kirchlicher Gruppen, werden durch Leute aus Prainha erbracht.“ Weil die Sache funktioniert, haben sich jetzt fünf nahe Dörfer dem Projekt angeschlossen. Rücksichtslose, kriminelle Raubfischerei hat auch die Langustenbestände vor Prainha stark reduziert – ein Meeresschutzgebiet soll jetzt den verhängnisvollen Trend umkehren, die Einkünfte der Prainha-Fischer wieder verbessern. Nachts hört man sehr eigenartige Schreie der wilden Esel – wohl das exotischste Problem des Stranddörfchens. „Es sind zuviele geworden – die Regierung sollte welche einsammeln“, meint der Schweizer trocken.

„Sie behandeln uns wie Schweine“

Sklavenarbeit in Brasilien längst nicht beseitigt

Der brasilianische Staatspräsident Luis Inacio Lula da Silva hatte die Abschaffung der Sklavenarbeit bis 2006 sowie konsequenten Umweltschutz in Amazonien versprochen. Bei seinen diesjährigen Europareisen warb er vehement für brasilianischen Autotreibstoff aus Zuckerrohr, nannte ihn Biosprit. Gegenüber besorgten Regierungen und Ökologen betonte Lula, daß die riesigen Zuckerrohrplantagen keinerlei Risiko für die Urwaldregionen darstellten. „Die Anbaugebiete sind von Amazonien sehr weit entfernt, denn dieser Landesteil eignet sich nicht für solche Kulturen.“

Brasiliens katholische Kirche reagierte spöttisch, doch auch besorgt. „Als Lula in Europa erklärt, daß man in Amazonien kein Zuckerrohr pflanzt“, so der Anwalt und Franziskaner Xavier Plassat, „werden zur selben Zeit im Amazonas-Teilstaate Parà just auf einer solchen 17000-Hektar-Farm über eintausend Sklavenarbeiter entdeckt und befreit.“ Die Farm namens Pagrisa  ist eine von vielen in Amazonien und produzierte täglich rund 300000 Liter Ethanol-Treibstoff, der zumeist an den Staatskonzern Petrobras geliefert wurde.  Der aus Frankreich stammende Plassat leitet die Anti-Sklaverei-Aktionen der katholischen Bodenpastoral CPT und sieht jetzt ebenso wie die Bischofskonferenz den Kampf gegen „Trabalho Escravo“ in großer Gefahr. Denn die exportorientierte Zucker-und Ethanolbranche betrachtet die Sklavenarbeiter-Befreiung durch eine Sondereinheit des Arbeitsministeriums als arg geschäftsschädigend, schlägt zurück. Auf Einladung der Pagrisa-Besitzer fliegen branchenfreundliche Kongreßsenatoren zur Farm, können angeblich keinerlei Anomalitäten entdecken, zeigen die ministerielle Sondereinheit wegen Machtmißbrauchs an. Die Firma selbst bestreitet sämtliche Vorwürfe. „Sie behandeln uns wie Schweine“, sagt indessen jetzt Francis Vanicolla, 25, einer der befreiten Sklavenarbeiter, gegenüber der Presse. „Auf der Farm haben wir schlechtes, verdorbenes Essen gekriegt, voller Würmer.“

Pagrisa liegt in jenem Teilstaat, in dem 2005 die katholische Urwaldmissionarin Dorothy Stang erschossen wurde, über eintausend kirchliche Menschenrechtsaktivisten, darunter der aus Österreich stammende Bischof Erwin Kräutler und Anwalt Xavier Plassat, immer wieder mit Mord bedroht werden. In einem solchen rechtsfreien Raum sogar Brasilia gegen sich zu haben, hält die Sondereinheit für riskant, hat aus Gründen der eigenen Sicherheit die Kontrollen von Sklavenfarmen gestoppt. „Doch diese müßten viel schärfer überwacht werden“, analysiert Plassat von der Bodenpastoral. Die Lula-Regierung habe ihr Versprechen nicht erfüllt, die Sklavenarbeit bis 2006 auszutilgen. Kein einziger der modernen Sklavenhalter sei in Haft. „Deren Farmen sollten nach Auffassung der Kirche enteignet und an Landlosenfamilien übergeben werden.“ Rund neunzig Prozent aller Anzeigen gegen Sklavenfarmen kommen von der Bodenpastoral. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO)in Genf schätzt die Zahl der brasilianischen „Trabalhadores Escravos“ auf bis zu 40000.

Weiter gravierende Kinderprostitution in Brasilien – meist fernab der Touristenzentren

Alle Jahre dasselbe Ritual: Stets zur jetzigen Ferien-Hochsaison, kurz vorm Karneval, prangert Brasiliens Presse die skandalöse, stetig wachsende Kinderprostitution an, veröffentlicht Fotos von deutschen, österreichischen, schweizerischen Touristen und ihren minderjährigen Gespielinnen. Spendenabhängige NGO tuten politisch korrekt in das gleiche Horn, nennen Männer aus der Ersten Welt als die Haupttätergruppe. Und stets kurz darauf verspricht die Regierung mit großem Tamtam ein weiteres Mal ganz energische Maßnahmen, um das Übel nun aber wirklich zu beseitigen. Auch Staatschef Luis Inacio Lula da Silva propagierte zum Amtsantritt vor zwei Jahren den Kampf gegen  die Kinderprostituion als Priorität. Doch jetzt belegt eine vom UNO-Kinderhilfswerk UNICEF und seinem eigenen Justizministerium erstellte Studie, daß den Worten wie üblich kaum Taten folgten und Minderjährige weiterhin vor allem fern der Touristenorte sexuell ausgebeutet werden. Für jedermann im Macholand Brasilien eine altbekannte Tatsache. Jene, die extreme Armut von Mädchen schamlos ausnutzen, ihnen für ein „Programa“ umgerechnet nur etwa einen Euro zahlen oder etwas zu essen geben, sind zuallererst Brasilianer aller sozialen Schichten, nur ein Bruchteil sind Ausländer. Laut Studie prostituieren sich Kinder und Jugendliche in etwa eintausend meist kleineren und mittleren Städten, die größtenteils weit im bitterarmen Hinterland, fernab der Strandorte liegen. Doch am gravierendsten ist die Lage im wirtschaftlich führenden, industriell hochentwickelten Teilstaat Sao Paulo, gefolgt von Minas Gerais. Der Teilstaat Rio de Janeiro beispielsweise liegt erst an zwölfter Position. Laut Maria Lucia Leal, die das UNICEF-Forscherteam leitete, sei eine Lösung ohne mehr soziale Gerechtigkeit nicht denkbar. „Straflosigkeit, Armut und Ungleichheit sind das Problem – die Zahl der Städte mit Kinderprostitution ist erschreckend hoch.“ Bei der Vorstellung der Studie in Brasilia machte Menschenrechts-Staatssekretär Nilmario Miranda merkwürdigerweise keinerlei Angaben über die Zahl der betroffenen Mädchen und Jungen – in früheren Erhebungen war von mehreren Millionen die Rede. „Wichtiger ist doch, was wir tun, um das Problem zu beseitigen.“ So sollen künftig Hotelangestellte belangt werden, die Touristen erlauben, Minderjährige mit  aufs Zimmer zu nehmen. Viele fragen sich, ob das in einem Land mit sehr hoher, eingewurzelter Korruption wohl funktionieren kann. Zudem versucht das Hotelpersonal vielerorts, den Gästen die „Garotas de Programa“ regelrecht aufzudrängen, erwartet dafür ein Trinkgeld. Doch in kleineren Städten, sogar Dörfern des Hinterlands ist das soziale Phänomen der Kinderprostitution viel schwerer zu bekämpfen. Nicht nur in den nordöstlichen Dürregebieten beispielsweise werden die Minderjährigen von den eigenen Eltern dazu angeregt oder gar gezwungen, sich zu prostituieren. Daß sich Mädchen an die Straßen stellen und sich Autofahrern feilbieten, gilt vielerorts bereits als normale, ganz  „banale“ Beschäftigung, werde von den Familien legitimiert, sagen Sozialarbeiter. Weitverbreiteter sexueller Mißbrauch zuhause lasse zudem viele Minderjährige auf die Straße fliehen, wo sie dann in der Prostitution landeten. Mitarbeiter des Anti-Hunger-Programms der Regierung sollen künftig geschult werden, um solche Fälle zu erkennen und anzuzeigen sowie Aufklärungsarbeit zu leisten. In ganz Brasilien widmen sich zudem 169 regierungsunabhängige Organisationen dem Kampf gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern. Anwältin Ana Vasconcelos in der nordbrasilianischen Hafenstadt Recife gehört zu den renommiertesten Expertinnen, leitete auch mit Spenden von Caritas und Misereor  ein Auffang-und Betreuungsheim für junge Prostituierte. Sie beobachtete, daß Väter und Mütter der Unterschicht ihre Töchter direkt losschicken, um einen deutschen Touristen aufzugabeln, weil der als finanziell großzügiger gelte. „Vai pra rua, pra procurar um alemao!“ Ana Vasconcelos nannte einen überraschenden Aspekt:“Wir sind ein rassistisches Land – alle wollen eine klare Haut haben. Wenn die dunkelhäutige Tochter einen deutschen Touristen heiratet, denkt der Vater, durch die Vermischung verbessert sich meine Rasse – meine Enkelin wird blaue Augen haben, schöner sein als eine Schwarze, das gibt Prestige.“

Massaker an brasilianischen Landlosen von 1996 weiter ungesühnt – internationale Proteste

Der neunzehnjährige Oziel Pereira muß sich vor den mit Mpis bewaffneten Militärpolizisten hinknien, wird gezwungen, laut  auszurufen:“Es lebe die Landlosenbewegung MST!“ Dann liquidieren sie ihn mit einem Genickschuß. Andere Companheiros werden sogar totgeschlagen, erstochen, die meisten Opfer aber mit Mpi-Salven niedergemäht. Bei Eldorado de Carajas, im Amazonasteilstaat Parà, hatten über tausend  protestierende Landlose eine Straße blockiert – dafür wollte ihnen die Gutsbesitzerelite einen „Denkzettel“ verpassen.  Siebenundsechzig Landlose, darunter Frauen und Kinder, werden teils schwer verwundet. Die Toten transportiert man schnell ab, laut offizieller Darstellung waren es „nur“ neunzehn, nach kirchlichen Angaben  aber weit mehr. Oberst Mario Pantoja schärft den 145 Offizieren und Soldaten seines Militärpolizei-Spezialkommandos ein:“Niemand hat etwas gesehen!“ Genau acht Jahre später sind alle weiter auf freiem Fuß, Gerichtsprozesse verkamen zur Farce – doch die Welt hat die Bluttat nicht vergessen. Am Tatort gedachten letztes Wochenende über fünftausend der Toten, verlangten die Bestrafung der Schuldigen – und selbst in Berlin demonstrierten Menschenrechtler deshalb durch die Straßen. Wie Zehntausende in Rio de Janeiro, Sao Paulo oder Brasilia forderten sie von Brasiliens Staatschef Luis Inacio Lula da Silva, endlich wie versprochen, brachliegenden Boden aus Großgrundbesitz an Millionen von Landlosenfamilien zu verteilen. Lulas sozialdemokratischer Amtsvorgänger Fernando Henrique Cardoso ist Ehrendoktor der Freien Universität Berlin – ein Internationales Tribunal hatte letztes Jahr ihn, seinen Parteifreund und Gouverneur des Teilstaates Parà, Almir Gabriel, sowie die dortigen Latifundistas zu den Hauptschuldigen des Massakers erklärt. „Ein wahrer Skandal, daß jene mit politischer oder ökonomischer Macht weiter Straffreiheit genießen“, betont Bischof Tomaz Balduino, Präsident der katholischen Bodenpastoral CPT, „leider hat das Tradition in Brasilien, daß große Figuren immer ungeschoren davonkommen. Deshalb existiert auch die Sklavenarbeit weiter –  bei so geringen Geldstrafen für die Großgrundbesitzer ein gutes Geschäft. Auf einer einzigen Großfarm wurden neunmal hintereinander immer wieder Sklaven entdeckt! Unter Staatschef Lula haben die Landkonflikte stark zugenommen.“

Auch die Pastoral beteiligt sich aktiv am „Abril Vermelho“, dem „roten April“ der sozialen Bewegungen.„Alle sind über die Lula-Regierung enttäuscht, unzufrieden mit der Agrarreform, demonstrieren jetzt für den Schutz der Menschenrechte, die Demokratisierung des Bodens. Wir Christen wissen, daß es dabei um viel mehr, in neuen Dimensionen geht – eine neue Gesellschaft, ein neuer Mensch, gemäß christlichen Idealen.“ Nicht zu übersehen, daß die Landlosenbewegung MST sehr religiös geprägt ist.

„Das Massaker war kein isolierter Fall“, sagt Pastoral-Anwalt Josè Batista Afonso in der Stadt Maraba, unweit des Verbrechensortes, „mit Billigung der Autoritäten hat es hier  seit 1982 eine ganze Serie von Blutbädern gegeben. Bis heute wurde niemand verurteilt, sind Täter und Hintermänner auf freiem Fuß, begehen weitere Verbrechen.“ Durch Pistoleiros einen Landarbeiter umbringen zu lassen, so Anwalt Afonso, „ist hier praktisch kein Delikt – Großgrundbesitzer diktieren Polizei und Justiz die Regeln.“  In keinem anderen Land der Welt werden jährlich so viele Menschen umgebracht – letztes Jahr waren es rund fünfzigtausend. Darunter über fünfzig Landlosenführer.

Nur eine echte Agrarreform, so ist Pastoralanwalt Afonso sicher, würde die Wurzeln der Gewalt beseitigen, Arbeit für Millionen von Verelendeten schaffen, den Hunger effizient bekämpfen. Doch die Reform komme nicht voran, weil die Lula-Regierung den Großgrundbesitzern der eigenen politischen Basis Zugeständnisse mache, auf strukturelle Änderungen im Staate verzichte. „Wir sind hier richtig verzweifelt, hatten große Hoffnungen – doch die Lage wird immer komplizierter.  Wenn wir unter dieser Regierung nicht vorankommen – die nächste wird noch konservativer, unnachgiebiger sein. Deshalb organisieren die sozialen Bewegungen jetzt öffentlichen Druck, um vielleicht doch noch etwas zu erreichen.“

Überraschendes erstes Amtsjahr von Brasiliens Staatschef Lula – Jubel bei Bankern und Spekulanten, Frustration bei Arbeitslosen und Sozialbewegungen

Mit allem  Pomp zieht vor einem Jahr Ex-Gewerkschaftsführer Luis Inacio Lula da Silva  in den Präsidentenpalast Brasilias ein –  selbst in Europa erwarten viele Progressive und Drittweltbewegte schier beispiellose Sofortmaßnahmen gegen Hunger, Elend und Massenarbeitslosigkeit, die auf den Rest der Welt ausstrahlen würden. Auf dem Weltsozialforum der Globalisierungskritiker von Porto Alegre im  Januar feiert man  Lula als Ikone, Idol und  Hoffnungsträger. Warnende Kritik selbst aus der Kirche des größten katholischen Landes, daß Lula sich mit einer rechtsgerichteten Sektenpartei, archaischen Oligarchen, früheren Diktaturaktivisten verbündet habe, einen übelbeleumdeten Milliardär zu seinem Vize machte, werden meist glatt überhört.  Anfang 2004 sind daher viele Gegner und Sympathisanten der Lula-Regierung im In-und Ausland vorhersehbar perplex: Die Wirtschaftspolitik Brasilias ist weit neoliberaler, rigider, konservativer als bei Amtsvorgänger Fernando Henrique Cardoso. Banken und Börsen, der Weltwährungsfonds, die Landeseliten reagieren erleichtert bis euphorisch, im Nationalkongreß keinerlei echte Opposition.  Denn überraschend werden die Leitzinsen zunächst bis auf 26,5 Prozent hochgesetzt, was spekulatives Kapital anzieht, den Banken satte Gewinne beschert, die Börsenkurse nach oben treibt. Gegen Proteste auch der Kirche werden die erdrückend hohen Außenschulden fristgerecht zurückgezahlt. Die sogenannte Länderrisiko-Taxe sinkt unter Lula von bedrohlichen 1439 Punkten auf nur noch 468 – Indiz für die international hohe politische Glaubwürdigkeit. Lula, so analysiert die in Brasilien  mit weit über tausend Firmen stark vertretene deutschen Wirtschaft, habe sich von radikalen Forderungen verabschiedet, die Konsolidierungspolitik fortgesetzt.  Das hatte seinen Preis: Statt des  groß angekündigten „Wachstumsspektakels“ verzeichnet Lateinamerikas bisherige Wirtschaftslokomotive 2003 de facto Nullwachstum, wurden öffentliche Ausgaben drastisch zusammengestrichen – um über fünfzig Milliarden Dollar Zinszahlungen leisten zu können. Ausgerechnet ein früherer Arbeiterführer aus der tiefsten Unterschicht läßt die Arbeiter und kleinen Angestellten am meisten für diese Politik bluten – etwa eine Million von ihnen werden gefeuert. Die Erwerbslosigkeit ist auf Rekordhöhe, die Reallöhne sinken deutlich, kräftiges Slum-Wachstum überall.  Jäh in die Misere abstürzende Familien spannen notgedrungen ihre Sprößlinge für den Lebensunterhalt ein –  die illegale Kinderarbeit stieg unter Lula stark an. Meinungsumfragen konterkarieren sein Schwelgen in Eigenlob und Optimismus.  Für die große Mehrheit  der 175 Millionen Brasilianer verschlechterten sich wegen der scharfen Sparmaßnahmen auch das ohnehin prekäre Gesundheitswesen, der Bildungssektor, der Umweltschutz. Die Korruption ist weiterhin sehr hoch,  Amtsträger  von Lulas Arbeiterpartei, darunter Minister, sind in peinlichste Skandale verwickelt. Für öffentliche Sicherheit werden nur rund fünfzehn Prozent der Haushaltsmittel ausgegeben. Ein Resultat –  Brasilien ist  laut UNO-Angaben jetzt das Land mit den meisten Morden –  jährlich  über 45000, die auch an Indianern, Kleinbauern, Menschenrechtsaktivisten begangen werden. Dazu Folter, etwa vierzigtausend Sklavenarbeiter, eine insgesamt gravierende Menschenrechtslage. Und selbst das großangekündigte Anti-Hunger-Programm begünstigt bisher nur etwa fünf Millionen Menschen – von weit über 44 Millionen Bedürftigen in der immerhin 13. Wirtschaftsnation der Erde, bei den  Fleischexporten auf dem ersten Platz.

Erheblich enttäuscht sind deshalb Gewerkschaften, Kirche, soziale Bewegungen. Landlosenführer Joao Pedro Stedile nennt „die ganze Gesellschaft krank, in der Krise, ohne Projekte, die Bevölkerung in Lethargie. Wir sind ein reiches, aber ungerechtes Land – die Agrarreform der Lula-Regierung ist bisher eine Schande.“

Und auch das überraschte: Unter Staatschef Lula, der  früher schon einmal Adolf Hitler bewunderte, mutierte die sich einst links gebärdende Arbeiterpartei zu einer eher harmlosen Partei der politischen Mitte, stets bereit zu Bündnissen mit Rechts –  Mitgründer traten frustriert aus. Mehrere populäre Dissidenten , die den Kurswechsel ablehnten, wurden rigoros aus der Partei  entfernt.

Die Copacabana ist katholisch

Strände, Palmen, Karneval –  und hochaktive Kirchengemeinden

Copacabana – da kriegen viele leuchtende Augen, denken an Tropensonne, schöne, sinnliche Menschen,  aufregenden Traumurlaub, Samba und Karneval. Klischees türmen sich zuckerhuthoch, kräftig geschürt von der Tourismuspropaganda. Doch im bekanntesten Viertel der Zehn-Millionen-Stadt dominiert keineswegs Fremdenverkehr, sondern ganz normaler urbaner Alltag, wird in Büros, Fabriken und unzähligen Geschäften hart gearbeitet. Über dreihunderttausend Bewohner – Copacabana ist eines der dichtbesiedeltsten Stadtviertel der Erde –  sichtlich geprägt von Rentnern, Senioren, und nicht etwa jüngeren Leuten. Nirgendwo sonst in Rio ist der Prozentsatz alter Menschen so erstaunlich hoch – darunter sogar jüdische Frauen, die das KZ Auschwitz überlebten. An der berühmten Strandavenida mit den Millionen Dollar teuren Luxusappartements wohnt Paulo Coelho, Brasiliens bekanntester Schriftsteller, auch Stararchitekt Oscar Niemeyer – doch nur fünfzig Schritte von der Flaniermeile entfernt ist bereits die moderne, verkehrsumtoste Gemeindekirche „Nossa Senhora da Copacabana“ ein Anziehungspunkt und Blickfang, Zentrum hochaktiven kirchlichen Lebens.  Denn die Leute des Viertels sind zu achtzig Prozent katholisch, während der Rio-Durchschnitt wegen des Vordringens der Sekten bei nur noch 53 Prozent liegt. Von sieben Uhr morgens an acht Gottesdienste – und die Kirche ist fast immer voll, aufgesucht auch von deutschen und österreichischen Touristen. Sie fällt aus dem Rahmen, steht Wand an Wand zwischen Geschäftshäusern, einem Supermarkt, hat immerhin elf geräumige Stockwerke: Unten die Halle für Gottesdienste, darüber bis zum vierten Geschoß ein Kindergarten für 140 Jungen und Mädchen sowie Räume der Seelsorge für Prostituierte, Obdachlose, Hausangestellte und  Senioren, für die Anonymen Alkoholiker, Neurotiker. „Die nächsten vier Stockwerke haben wir vermietet“, sagt Padre Gilson Silva, „eine wichtige Finanzierungsquelle für unsere Sozialarbeit. Anwaltsbüros, Firmen für Telemarketing und sogar Textilfabriken!“ Die ganze neunte Etage ist nur der katholischen Bewegung „Charismatische Erneuerung“ vorbehalten – Hit im Gemeindeleben. “Über die Hälfte unserer Gläubigen rechnet sich zu den Charismatikern“ – in den brasilianischen Großstädten sind es gewöhnlich nur um die zehn Prozent. Gleich viermal in der Woche halten die „Carismaticos“ ihre hochemotionalen, leidenschaftlichen Messen ab,  bei denen sehr viel gesungen wird, die große Zahl junger Menschen aus ganz Rio auffällt. „Wir wollen in Copacabana eine spirituelle Oase sein – und das funktioniert!“, sagt fröhlich Cristiano Barreto, 27, einer der temperamentvollen Organisatoren und Prediger.

„Den Traumstrand nutzen wir natürlich für unsere Jugendarbeit – Baden und Fußballspielen gehören dazu“, so der braungebrannte Padre Gilson Silva. „Wir müssen den Jugendlichen etwas  bieten, was sie begeistert, stark macht gegen furchtbarste Einflüsse in einem so vergifteten Viertel“. Abends, wenn zehntausende Pendler das Viertel verlassen haben,  öffnen zwielichtige Bars und Diskotheken, kommen Horden von Prostituierten aus ganz Rio, benachbarten Städten, dazu Abenteurer, Straßenräuber. „Ein Sex-Shop mit Bordell grenzt direkt an unsere Kirche, gegenüber ein Bordell für Schwule –  viele Prostituierte kommen zum Gottesdienst, suchen unseren Rat.“ Eine wird bald Anwältin sein, geht auf den Avenida-Strich, um das teure Jurastudium finanzieren zu können. An den steilen, bewaldeten Granitfelsen von Copacabana kleben Slums, beherrscht von Banditenmilizen, Rauschgiftbanden: „Vor dem katholischen Gemeindekindergarten stehen junge Gangster mit der Mpi in der Hand – manchmal schützen sie sogar die dreihundert Kinder bei Attacken rivalisierender Verbrecherkommandos.“

Fünf katholische Gemeinden gibt es in Copacabana – eine hat ihre moderne Kirche gar auf der Dachterrasse eines  großen Shopping Centers. An der Strandavenida teure Hotels und Restaurants – doch nur wenige hundert Meter entfernt verstecktes Elend. Schimmlige Betonblocks mit regelrechten Wohnklos, in denen Leute jeweils gleich zu Dutzenden hausen. Viele können weder Miete noch Strom zahlen – darunter alte Frauen,  vergessen von den Angehörigen. „Unsere katholischen Gemeinden begleichen deren Rechnungen, betreuen sie gesundheitlich – alles eigentlich Pflicht des Staates.“

Bayerische Abgeordnete über Brasiliens Biospriterzeugung entsetzt

Umweltzerstörung, Sozialdumping, Sklavenarbeit

Umgerechnet nur 137 Euro Monatslohn für sklavenähnliche Schufterei auf Brasiliens Zuckerrohrplantagen, in Ethanolfabriken – dieser Fakt hat die 18-köpfige Landtagsdelegation bei ihrer jüngsten Reise in das Tropenland besonders erschreckt. Die Abgeordneten verglichen mit dem europäischen Lohnniveau und begriffen auf der Stelle, weshalb brasilianischer Biosprit auf dem Weltmarkt unschlagbar billig und beinahe konkurrenzlos ist. Brasiliens katholische Kirche bewertet den Informationsbesuch der Politiker als „sehr, sehr wichtig“, damit die ganze Wahrheit über die keineswegs umwelt-und sozialverträgliche Ethanolproduktion endlich auch den europäischen Verbrauchern bekannt werde. „Hier ist eine verdeckte Sklaverei im Gange – Arbeiter sterben sogar vor Erschöpfung, brechen beim Zuckerrohrschlagen tot zusammen“, erklärt Padre Antonio Garcia Peres von der Wanderarbeiter-Seelsorge den Abgeordneten nahe der Megacity Sao Paulo. In den Ministerien von Brasilia hören sie die offizielle Version zur boomenden Ethanolbranche – Peres analysiert die Kehrseite der Medaille. Adi Sprinkart von den bayrischen Grünen fragt im Umweltministerium, ob die Ethanolerzeugung tatsächlich zu Lasten der Nahrungsmittelproduktion gehe. „Man sagte, überhaupt kein Problem hier – dieses Thema wird von den Regierenden offenbar völlig ausgeklammert.“ Wenn allein im Teilstaate Sao Paulo ein Viertel des Ackerlandes der Ethanolherstellung diene, werde damit zwangsläufig Lebensmittelproduktion verdrängt. „Bei solchen Relationen ist dies auch weltweit zu erwarten.“ Padre Peres stimmt zu, weist auf besonders gefährliche Konsequenzen:“Große Viehzüchter des Teilstaats verpachten die Weideflächen für den Zuckerrohranbau, ziehen mit ihren riesigen Rinderherden nach Amazonien, so daß dort Urwald zerstört wird.“ Tragisch sei, daß künftig Grundnahrungsmittel für die einfache Bevölkerung fehlen würden.

Brasiliens Öko-Experten nennen Zuckerrohr eine sehr umweltschädliche Monokultur, durch eingesetzte Agrargifte würden der Boden, Flüsse und Seen stark belastet. Doch den bayerischen Landtagsabgeordneten sagt man in Brasilia, Pestizide seien beim Zuckerrohr eher ein „nachgeordnetes Problem“. Padre Peres kann darüber nur lachen:“Laut Regierung läuft beim Ethanol alles problemfrei, spielt man in diesen Fragen den Unschuldsengel.“ Brasilia handele verantwortungslos, lasse die Dinge einfach laufen. „Und die Ethanol-Unternehmer denken nur an schnellen Maximalprofit – soziale Sensibilität fehlt völlig.“ Der Kirche, den Umwelt-und Menschenrechtsorganisationen werfe man vor, unnütze Polemik zu erzeugen.

Das Tropenland ist bereits weltgrößter Ethanolexporteur, will auch die Lieferungen in die EU deutlich erhöhen. „Brasilien denkt beim Agrotreibstoff in gigantischen Dimensionen, macht sich gewaltige Hoffnungen“, urteilt Adi Sprinkart. Er und seine Landtagskollegen zeigten sich beeindruckt, daß die rund 200000 Zuckerrohrarbeiter des Teilstaats Sao Paulo zumeist dunkelhäutige Sklavennachfahren sind und aus den mehrere tausend Kilometer entfernten Elends-und Dürreregionen des brasilianischen Nordostens zuwanderten. „Deren Wohnlager erinnern mich oft an deutsche KZs“, so Padre Peres. Ein Großteil ruiniert sich wegen der Schwerstarbeit die Gesundheit, hat chronische Kopf-und Wirbelsäulenschmerzen, Schwindelanfälle. Durch das regelmäßige Abbrennen der Zuckerrohrfelder steigen riesige Mengen giftigen Rauchs in die Atmosphäre, sorgen vor allem bei Kindern und Alten für Haut-und Atemwegskrankheiten. Immer mehr Agrargifte dringen zudem in die zweitgrößten Süßwasserreserven der Erde ein, die von Argentinien, Uruguay und Paraguay bis Sao Paulo reichen. „All diese Verstöße gegen Umwelt-und Sozialgesetze, der fehlende Respekt gegenüber den Menschen haben die Landtagsabgeordneten deutlich sensibilisiert“, glaubt Padre Peres. „Europa sollte keine Waren importieren, die unter solchen Bedingungen erzeugt wurden.“ Er hofft, daß weitere Politiker aus Deutschland und den anderen europäischen Ländern dem Beispiel der bayerischen Abgeordneten folgen und sich ebenfalls direkt vor Ort informieren. Nicht zufällig hätten mehrere hundert lateinamerikanische Umweltgruppen in einem offenen Brief an die EU appelliert, auf sogenannte Biokraftstoffe zu verzichten.

Rio-Kirchen unter MG-Beschuß – Pfarrer müssen sich Normendiktat der Gangstermilizen unterwerfen

„Die Banditenmilizen vom Adeus-Slum schießen immer wieder auf unsere Kirche“, beklagt Pfarrer Geraldo de Lima von der Bonsucesso-Gemeinde Rio de Janeiros, sammelt unterm Kirchturm Projektile auf, abgefeuert aus NATO-Heereswaffen. Bonsucesso, unweit des internationalen Flughafens, ist von fünfzehn Elendsvierteln, Favelas,  umgeben, über deren Bewohner schwerbewaffnete Kommandos des organisierten Verbrechens geradezu in Feudalmanier herrschen. Jedermann muß sich deren Normendiktat unterwerfen – auch Pfarrer sowie Ärzte und  Sozialarbeiter  kirchlicher Hilfswerke. Andernfalls droht die Ermordung. Von Padre Silas Vianna forderte ein Gangsterkommando, deren hohe Telefonrechnungen aus der Gemeindekasse zu bezahlen. Er weigerte sich, worauf das Kommando ankündigte, ihn zu erschießen. So mußte er jetzt nicht nur seine Favela-Gemeinde fluchtartig verlassen, sondern sogar ganz aus der Zehn-Millionen-Stadt Rio de Janeiro weggehen, immerhin zweitwichtigstes Wirtschaftszentrum des Tropenlandes. Dort hausen rund zwei Millionen Menschen in Slums, werden jährlich  über zehntausend Menschen ermordet. 2003 kann die Polizei nicht einmal drei Prozent der Fälle aufklären. Immer wieder müssen  Slum-Pfarrer urplötzlich den Gottesdienst unterbrechen, sich mit den Gläubigen auf den Boden werfen, weil rund um die Kirche ein Feuergefecht rivalisierender Milizen tobt, sogar Granaten explodieren, Kugeln in den Altarraum einschlagen – eine traumatische Erfahrung. Weit über zehntausend Minderjährige wurden von den Kommandos als Kindersoldaten rekrutiert, finden es großartig, mit lässig  umgehängter Mpi durchs Favela-Labyrinth zu spazieren, Respekt und Unterwerfung zu fühlen. „Normale kindliche Abenteuerlust“, sagen Pfarrer, „wird von den Banditen schamlos ausgenutzt, in den Köpfen der Jungen werden diese zu Helden und Vorbildern.“

Doch in den weit entfernten touristischen Strandvierteln unter Zuckerhut, wie Copacabana oder Ipanema, merkt man nicht, was in den rund achthundert Slums geschieht.

Und immer häufiger auch dies: Kaum hat die Kirche auf eigenem Gelände den entsetzlich beengt lebenden Favelabewohnern Sport-und Freizeiteinrichtungen geschaffen, werden diese von den Gangsterkommandos okkupiert – jeglicher Zutritt nur mit deren Erlaubnis. Eine Ordensschwester berichtet, daß in ihrem kirchlichen Kindergarten  stets zahlreiche Plätze für Kinder von Banditen, Drogenhändlern reserviert bleiben müssen – kein Einzelfall. „Was sollen wir machen – sie befehlen, diktieren hier die Regeln.“ Laut  Luiz da Silva, Regionalleiter der katholischen Favela-Seelsorge, brauchen Pfarrer und deren Mitarbeiter unglaubliches Verhandlungsgeschick, sehr viel Diplomatie im Umgang mit den Banditenmilizen. „Andernfalls könnte man dort gar nicht arbeiten.“  Dabei ist freie Religionsausübung auch in der brasilianischen Verfassung verankert.

Die Banditenherrschaft verhindert zudem aus Kirchensicht, daß Brasiliens Favelabewohner für ihre Bürgerrechte kämpfen. Fehlendes politisches Bewußtsein macht zusätzlich passiv.

Seit der deutschstämmige Kardinal Eusebio Scheid 2001 die Erzdiözese Rio de Janeiro übernahm, fordert er die zuständigen Autoritäten immer wieder auf, diesen Zuständen ein Ende zu bereiten, die überbordende Gewaltkriminalität endlich effizient zu bekämpfen. „Ich fühle Traurigkeit und Beklemmung“, so Kardinal Scheid, „weil einfach nichts unternommen wird. Nicht angenehm, in einer Stadt zu wohnen,  in der nicht einmal die Kinder ohne Lebensrisiko zur Schule gehen können.“ Sein enger Mitarbeiter, Monsignore Adionel Carlos, betont, daß die Kirche in fast allen Favelas große Probleme hat:“Unsere Sozialarbeit wird blockiert – und wenn die Kommandos Ausgangssperren verhängen, darf niemand hinein oder heraus. Kranke brauchen dringend Hilfe – doch die ist dann völlig unmöglich.  Nicht einmal Ärzte werden zu  kirchlichen Ambulatorien gelassen.“ Selbst in Sao Paulo, drittgrößte Stadt der Welt mit mehr als tausend deutschen Unternehmen, sind solche Ausgangssperren häufig. Das organisierte Verbrechen kontrolliert auch Projekte internationaler Hilfsorganisationen, mißbraucht sie teilweise für kriminelle Zwecke.  In keinem Land der Welt werden derzeit so viele Menschen ermordet wie in Brasilien – laut UNO-Angaben jährlich über 45000.

Weihnachtsoratorium unter Tropenpalmen Bahias – Pfarrer Hans Bönisch machts möglich

Die leichte Atlantikbrise nützt nicht viel – Pfarrer Hans Bönisch, früher Würzburger Domorganist, kommt immer in der Vorweihnachtszeit selbst im offenen Hemd besonders kräftig ins Schwitzen. Denn überall in der barocken Altstadt von Salvador, UNESCO-Kulturdenkmal der Menschheit,  herrschen derzeit 35 Grad schwüle Tropenhitze. „Da entsteht natürlich `ne ganz andere Weihnachtsstimmung als am Christkindlesmarkt in Nürnberg, mit Glühwein und Lebkuchen.“ Daß dennoch die ganze nordamerikanisch-europäische Dezemberdekoration, mit überlebensgroßen Weihnachtsmännern, Rentierschlitten, Nikoläusen und Plastiktannen ausgerechnet auch in den afrikanischsten Teilstaat Brasiliens schwappte, in dem über achtzig Prozent Sklavennachfahren sind, findet Bönisch komisch und witzig, wenngleich völlig deplaziert. Er hat das Kunststück fertiggebracht, nun schon seit mehreren Jahren in Salvador das reichhaltigste weihnachtliche Musikprogramm des Tropenlandes auf die Beine zu stellen. Bei pfiffigen deutschen Kulturtouristen hat es sich längst herumgesprochen: Brasiliens erste Hauptstadt ist nicht nur wegen des berühmten Karnevals, der afrobrasilianischen Traditionen eine Reise wert, sondern auch wegen seiner hochkarätigen Barockmusik, die der zähe, energiegeladene deutsche Pfarrer seit 1992 systematisch wiederbelebt hat. Brasiliens Primas hatte ihn dafür aus Würzburg geholt. In der von Jesuiten erbauten Kathedrale, aber auch den umliegenden Barockkirchen der Kolonialzeit leitet Bönisch die ganze Adventszeit durch täglich Gratis-Konzerte – mit Chören, Solisten, dem großen Orchester, führt Bachs Weihnachtsoratorium und Schuberts-G-Dur-Messe, das Mozart-Requiem auf.

Mitten in einer gewaltgeprägten Drittweltstadt, die mit Slums übersät ist – aus denen indessen ein Großteil seines Publikums stammt. „Die Haute Volee Bahias, Schickimickis, Reiche kommen überhaupt nicht zu meinen Konzerten – denen ist meine Arbeit etwas zu progressiv.“ Nachwuchsprobleme  hat er nicht. „Junge Leute, die gerne mitsingen wollen, rennen uns die Türen ein.“

Der 45-jährige Bönisch ist kräftig gebaut, energiegeladen, kann zupacken, spielt bei Bedarf den Handwerker, den Bauleiter, weiß sich durchzusetzen. Aus einer Ruine macht er das Kulturzentrum seines Projekts „Barroco da Bahia“, mit Probenräumen, Konzertsaal, Cafe. Dieses Jahr wird eine benachbarte Ruine zum architektonischen Schmuckstück:“Da hockten bisher Rauschgiftbanden drin, schauten mit bösen Augen auf uns.“ Bönisch ist Musiker, doch auch Entwicklungshelfer, widmet sich besonders den Schwarzen der Unterschicht. „Barroco da Bahia ist ein soziokulturelles Projekt –  die Leute lernen, wie man durch Arbeit zum Erfolg kommt, Schwierigkeiten überwindet, Freude schenkt. Und dann der religiöse Aspekt –  wer singt, betet doppelt, ist ja ganz klar. Wir machen nur jene Musik, die positive Gefühle freisetzt, mit dem Transzendenten verbindet.“ Acht CDs sind bereits auf dem Markt.

Bönischs neuestes Standbein – die Erwachsenenbildung. „Wir geben sogar Deutschkurse – haben die unverschämt billig gemacht, damit Menschen aus der Unterschicht mitmachen können. Zwei Euro siebzig kostets umgerechnet – mit Unterrichtsmaterialien!“  Ab 2005 werden erstmals Denkmalpfleger ausgebildet.

Walter Dias, 25, lebt im schwarzen Slumviertel Liberdade, kannte zuvor nur afrobrasilianische Trommelrhythmen, hörte noch nie klassische Musik, dachte, die sei schrecklich. “Doch dann hat bei mir hat alles mit dem Weihnachtsoratorium von Bach angefangen – da lauschte ich zum erstenmal dieser Musik – und das hat mir dermaßen gefallen, daß ich seit 1996 dabei bin.“

Nicht nur als Sänger, sondern auch als Projekt-Sekretär von „Barroco na Bahia“.

Es lebt von den Spenden vieler Deutscher – Hauptsponsor ist derzeit die Kreditanstalt für Wiederaufbau.

Die Messe am Heiligabend zelebriert in der Kathedrale traditionell Primas Geraldo Majella Agnelo, Salvadors Erzbischof,  Präsident der Bischofskonferenz – oben auf der Empore dirigiert Hans Bönisch dann Bach-Kantaten, bekannte Weihnachtslieder. Übrigens – „Stille Nacht“ ist in der portugiesischen Version als „Noite Feliz“, glückliche Nacht,  im größten katholischen Land der Erde genauso populär wie in Deutschland. Durch Bönisch hören es die Leute in Bahia erstmals in der Originalsprache.

Porno-und Gewaltvideos in Brasilien

Anleitung zu sadistischen Verbrechen

Der zwölfjährige Paulo Torres in der Megacity Sao Paulo konsumiert an den Wochenenden von morgens bis weit nach Mitternacht ein Gewaltvideo nach dem anderen. Zudem hat er Riesenspaß daran, per Killerspiel jedesmal Tausende von Menschen sadistisch zu foltern und zu ermorden. Paulos Bruder Antonio, 14, bevorzugt bereits Gewaltpornos – und Videogames, bei denen man beliebig viele Mädchen und Frauen jeden Alters quälen, vergewaltigen und töten kann. Die Mutter der beiden schaut lieber gar nicht hin: „Was soll man machen – es sind halt Machos – und die mögen eben sowas.“ Eingreifen, verbieten – darauf käme sie nicht, ebensowenig der Vater.  Die Mittelschichtskids Paulo und Antonio besorgen sich das Zeug spottbillig nahe der City-Kathedrale und der Präfektur – Raubkopien selbst der perversesten Videos oder Games verkaufen die Scharen der Straßenhändler bereits ab umgerechnet 40 Cent. Gemäß einer neuen Umfrage sitzen allen Ernstes 100 Prozent(!) der Mittel-und Oberschichtskinder lieber vor dem Fernseher, sehen Videos,  anstatt zu spielen – bei den unteren Schichten liegt die Rate bei 97 Prozent. In den über 2000 Slums gehören Gewaltpornos seit langem zum Massenkonsum von Halb-und Vollanalphabeten. Kein Geheimnis, daß auch in den Ghettos von Rio de Janeiro die hochbewaffneten Banditenkommandos bereits seit den achtziger Jahren begeisterte Fans solcher Videos und Killerspiele sind, das dort Gezeigte, Praktizierte als Anregung nutzen und an wehrlosen Slumbewohnern ausprobieren. Und längst selber Gewaltpornos drehen, das Vergewaltigen von Slum-Mädchen, und sogar das Zerstückeln von Menschen filmen. Im Berlinale-Gewinner „Tropa de Elite“ des brasilianischen Regisseurs José Padilha wird gezeigt, wie Banditen einen jungen Mann auf einem Scheiterhaufen aus Autoreifen lebendig verbrennen – für ungezählte junge Brasilianer war die Szene überhaupt nicht schockierend, soetwas hatte man schließlich bereits aus der Nähe gesehen. Längst ist der Export von Porno-und Gewaltvideos für brasilianische Unternehmer ein Bombengeschäft. Wie das Nachrichtenmagazin „Carta Capital“ unter Berufung auf Interpol berichtet, stieg das Tropenland zum weltweit viertgrößten Lieferanten pornographischer Materialien auf, die unter anderem das Vergewaltigen achtjähriger Mädchen durch erwachsene Männer zeigen. Für die zuständigen Autoritäten ganz offensichtlich kein Grund zum Eingreifen – die katholische Kirche dagegen verurteilt diese Zustände bereits seit den neunziger Jahren außerordentlich scharf. Renommierte Sozialwissenschaftler und Therapeuten wie Jurandir Freire Costa konstatierten „ethisch-moralische Schizophrenie“ in Brasilien, während der damalige Primas von Brasilien, Kardinal Lucas Moreira Neves, „Anstiftung zur Gewalt, Verblödung ganzer Bevölkerungsschichten, Vermischung von Gewalt und Pornographie“ erkannte. 2008 warnt die angesehene Psychologin und Kolumnistin Rosely Sayao in Sao Paulo:“Wir leben in einer Kultur der Gewalt – diese Tatsache schadet tiefgreifend der Bildung unserer Kinder.“ Gewalt in jeder Form sei so banal geworden, daß sie häufig nicht einmal mehr bemerkt werde. Schüsse und Messerstechereien in Schulen, brutale Attacken auf Lehrerinnen – längst beinahe normal. Gewaltpornos scheinen der Alltagserfahrung entlehnt, sind keineswegs nur absurde Fiktion. Die Kirche betont den klaren Zusammenhang zwischen zunehmender Gewaltvideo-Verbreitung und deutlich wachsender Rate von Vergewaltigungen und sexueller Belästigung. Daß inhaftierte Sexualverbrecher fast durchweg gerne Hardcore-Pornos sahen, ist längst auch aus internationalen Studien bekannt. Nicht zufällig, so Rio de Janeiros Kardinal Eugenio Sales, hat zudem die Zahl der zehn-bis vierzehnjährigen Mütter in Brasilien geradezu sprunghaft zugenommen. „Wir verzeichnen eine Zerstörung ethisch-moralischer Werte, die vor Jahrzehnten noch völlig undenkbar gewesen wäre.“

Brasiliens Schwarze contra Rassismus

Kirche bekämpft „Apartheid“

„Grund zum Feiern haben wir auch diesmal nicht“, sagt der Schwarzen-Aktivist und Künstler Emanoel Araujo zum „Nationalen Tag des schwarzen Bewußtseins“ am 20. November, in Brasilien ein Feiertag. „Vor 120 Jahren wurde zwar die Sklaverei offiziell abgeschafft, doch immer noch gibt es unzählige Sklavenarbeiter in diesem Riesenland“, prangert Araujo in Sao Paulo an. Der weiße Chico Whitaker, Träger des Alternativen Nobelpreises, pflichtet ihm in der Megacity bei:“Wir sind ein Land der Apartheid und nur eine Fassaden-Demokratie!“ Nach Nigeria hat Brasilien die größte dunkelhäutige Bevölkerung des Erdballs, haben über die Hälfte der Einwohner afrikanische Vorfahren so wie Barack Obama. Dennoch haben es Schwarze noch nie bis in den Präsidentenpalast geschafft, ist die Rassendiskriminierung ungleich schärfer als in den USA. Deshalb kämpft auch  die bischöfliche Kommission für Gerechtigkeit und Frieden, in der Chico Whitaker aktiv ist, auf der Seite der dunkelhäutigen Brasilianer, kooperiert mit der  Schwarzen-Seelsorge. Bischof Joao Alves dos Santos, der die „Pastoral Afro-Brasileira“ leitet, kommt gerade von der Wallfahrt schwarzer katholischer Gemeinden in Brasiliens wichtigsten Pilgerort Aparecida bei Sao Paulo. Sie findet landesweit alljährlich kurz vor dem 20. November statt und ist zugleich größte nationale Demonstration für Schwarzen-Bürgerrechte. „Wir sind immer noch ein Land der Apartheid“, sagt auch Bischof Santos, „nur sehr langsam zeichnen sich Fortschritte ab.“ Dunkelhäutige seien die typischen Slumbewohner, hätten die geringsten Bildungschancen – die Kirche suche daher die Sklavennachfahren auf verschiedenste Weise zu befähigen, wirkungsvoller für ihre Interessen zu kämpfen. Der Pastoralbischof weist auf das sehr erfolgreiche Bildungsprojekt des Franziskanerordens namens EDUCAFRO, das Schwarzen über ein Kurssystem den Zugang zu ihnen gewöhnlich verschlossenen Universitäten sowie zu höher qualifizierten, besser bezahlten Berufen öffnen soll. Der schwarze Franziskaner Frei David dos Santos hatte solche Kurse 1993 erstmals in Elendsvierteln Rio de Janeiros gestartet – inzwischen funktioniert das EDUCAFRO-Netz landesweit. Santos, heute geradezu eine Symbolfigur der brasilianischen Schwarzenbewegung, ergeht es wie vielen kirchlichen Menschenrechtsaktivisten – er bekommt Morddrohungen, nicht nur die Kirche bangt um sein Leben.

Im Franziskanerkloster Sao Paulos leitet der quirlige, temperamentvolle Ordensbruder Valnei Brunetto alle regionalen EDUCAFRO-Projekte, organisiert kämpferische Schwarzen-Demos, bei denen seine Kurs-Studenten im City-Gewühl unüberhörbar große  Afro-Trommeln bearbeiten. „Was wir hier machen, ist auch Befreiungstheologie in der Praxis!“ Glatt könnte man sagen, Brunetto habe die falsche Hautfarbe – denn er ist weiß. Natürlich hat sich Brunetto die einzige nationale Schwarzenzeitschrift „Raça Brasil“ mit ins Boot geholt – Herausgeber Mauricio Pestana, ein exzellenter Rhetoriker und Karikaturist, kommt alle paar Tage ins Franziskanerkloster. „Brasilien ist das rassistischste Land der Welt“, sagt er unumwunden. Aus seiner Sicht sind rassistische Strategien überall auf der Welt fehlgeschlagen – ob in den USA, Südafrika oder Teilen Europas. In Brasilien, so Pestana mit ironischem Unterton, funktioniere der „Racismo“ dagegen geradezu perfekt, wirke dessen Maschinerie sehr intelligent. Damit die Vorherrschaft der Weißen nicht in Gefahr gerate, habe man den Dunkelhäutigen nur zu oft die eigene Identität geraubt. Rassismus werde häufig schlichtweg verdrängt, vielen sei die perfide Diskriminierung garnicht bewußt. Dabei brauche man in Sao Paulo, Lateinamerikas reichster Stadt, sich nur die von Misere gezeichneten Schwarzen-Ghettos und die bourgeoisen Weißen-Viertel anzuschauen. „Rassentrennung pur“. Unter Politikern, Führungskräften seien „Negros“ die Ausnahme.  „Gegen all dies kämpfen wir an – auch mit Hilfe der Kirche.“

Regierungskampagne zur Volksentwaffnung in Brasilien – von der katholischen Kirche unterstützt

Jährlich mehr Getötete als im Irakkrieg

„Was soll ich noch mit den Schießeisen – in meinem Alter“, sagt die 89-jährige Zulmira de Oliveira und legt gleich drei silbrige Revolver, zwei der US-Marke Smith & Wesson, auf den kostbaren Furniertisch ihrer Luxuswohnung in Rios noblem Strandviertel Leblon. Die beiden Inspektoren der Zivilpolizei, Luis Quaresma und Andrè Camelo,  schauen verdutzt – ein toller Fang! „Hätte man doch Feuerwaffen nie erfunden – unser Leben wäre viel besser“, fügt die kultivierte Dame hinzu, „jedenfalls wird die Welt durch diese Kampagne friedlicher.“ Für jeden Revolver bekommt Zulmira de Oliveira von der Regierung  eine Prämie von umgerechnet achtundzwanzig Euro – in ganz Brasilien ist die Polizei derzeit total überlastet, die sechsmonatige Entwaffnungskampagne läuft unerwartet gut an. Brasilia will damit in diesen kriegerischen Zeiten auch weltweit ein Beispiel geben. Kardinal Geraldo Agnelo, Präsident der Bischofskonferenz, hat alle Gläubigen aufgerufen, die hochwillkommene Aktion nach Kräften zu unterstützen. Selbst in Kirchen werden Sammelstellen eingerichtet.

Die Inspektoren Quaresma und Camelo preschen deshalb jetzt von morgens bis abends zu den Adressen von Leuten, die Karabiner, Pistolen, Mpis und selbst Granaten  und Mörser loswerden wollen. Falls eingeschmuggelt, illegal erworben – Straffreiheit ist garantiert. „Die Kampagne war längst überfällig“, so der dreißigjährige Camelo, „wegen der ausufernden Gewalt gab es die letzten Jahre eine Welle der Selbstbewaffnung – jedermann wollte unbedingt eine Knarre zuhause haben.“ In Lateinamerikas größter Demokratie, so betont auch die Kirche, herrscht de facto „Guerra nao-declarada“, unerklärter Bürgerkrieg.  Jährlich werden immerhin über 45000 Menschen getötet –  laut UNO-Angaben mehr als im Irakkrieg.

Ein mulmiges Gefühl, mit Quaresma und Camelo durch die Zehn-Millionen-Stadt zu brausen, weil hochbewaffnete Banditenmilizen des organisierten Verbrechens ihren Wagen attackieren könnten. Beide haben deshalb großkalibrige Pistolen auf dem Schoß, dazu die Maschinenpistolen griffbereit neben sich. Monatsverdienst – umgerechnet 280 Euro. „Ich wohne im Viertel Vila Isabel, von Slums umgeben“, sagt Inspektor Quaresma, „dort muß ich höllisch aufpassen, gehe nachts kaum aus dem Haus. Denn wenn mich Banditen überfallen, um mein Auto zu rauben, und dabei feststellen, daß ich Polizist bin, erschießen die mich sofort.“ Täglich berichten die Zeitungen von ermordeten Militär-und Zivilpolizisten, regelmäßig trifft es auch Deutsche, Schweizer, Österreicher.

Quaresmas Viertel Vila Isabel liegt in der ärmlichen Nordzone – doch wir brausen in die Südzone, ins schicke Strandviertel Barra da Tijuca, das Miami der Mittel-und Oberschicht Brasiliens. Alle, die dort ihre Waffen loswerden wollen, leben in Condominios fechados – das sind Wohlhabendenghettos, von hohen Mauern umgeben, bereits an der Einfahrt bewaffnete Wächter, Kameras, Stacheldraht. Philippe Mansur, bereits als Kind aus Ägypten mit den Eltern nach Brasilien eingewandert, übergibt einen Revolver, sieht die Regierungskampagne dennoch skeptisch: „Ich bezweifle, daß sie ihr Ziel erreicht. Normale Leute wie ich liefern ihre Waffen ab, aber die Banditen behalten sie – die  muß man entwaffnen! Über zwanzig Millionen Waffen sind im Umlauf – doch die Regierung sagt, sie wäre schon glücklich, wenn zweihunderttausend Schießeisen abgegeben würden. Und der große Rest? Was passiert mit dem?“ An der Avenida das Americas werden im  Morgengrauen neben einem Showpalast drei Jugendliche erschossen, gegen Mittag tötet eine verirrte Kugel den  67-jährigen Josias Tavares, als er in einem angrenzenden Park mit seinen drei Enkeln spielt. Tags zuvor hatten Jugendliche Rios mit des Vaters Revolver Roleta russa, Russisch Roulette gespielt – ein Fünfzehnjähriger starb. Alle paar Tage melden Brasiliens Medien Roleta-Russa-Opfer.

Eine große Slumregion der Nordzone Rios heißt Faixa da Gaza im Volksmund, Gazastreifen. Doch dorthin fahren wir nicht.  Inspektor Camelo lacht bitter:“Niemand aus den Elendsvierteln gibt eine Waffe ab – schon wegen der Banditenherrschaft dort wagt das keiner. Alle sind doch den Banditenmilizen unterworfen – und die würden das nie zulassen. Die Slums sind deren Festung, da fühlen sie sich sicher. Rios Slumbewohner glauben nicht, daß wegen der Regierungskampagne die Verbrechensrate sinkt.“

Pflichtwahlen und organisiertes Verbrechen

Brasiliens Kirche kämpft für sauberen Urnengang

Hochbewaffnete Verbrechersyndikate und paramilitärische Milizen nominieren eigene Kandidaten, lassen deren politische Rivalen nicht in die Slum-Hochburgen, setzen dort die Pflichtwähler unter massiven Druck. Des Mordes oder anderer schwerer Verbrechen angeklagte Politiker organisieren ihre Wiederwahl, um weiter parlamentarische Immunität zu genießen. Vor dem Urnengang im Oktober startet deshalb Brasiliens katholische Kirche erneut  zahlreiche politische Initiativen, um die antiethischen Absurdidäten in Lateinamerikas größter Demokratie wenigstens zu begrenzen. Teilerfolge lassen hoffen. “Das Gesetz gegen den weit verbreiteten Stimmenkauf haben wir formuliert – und damit bisher die Kandidatur von über 600 zwielichtigen Politikern verhindert“, sagt Dimas Lara Barbosa, Generalsekretär der Bischofskonferenz(CNBB). Diese unterstützte einen Vorstoß des nationalen Richterbundes, vom Obersten Gericht in Brasilia die Kandidatur schwer belasteter Personen verbieten zu lassen. Die Klage wurde abgelehnt – solange jemand nicht rechtskräftig verurteilt sei, müsse die Unschuldsvermutung gelten, dürfe man ihm verfassungsmäßige Rechte nicht beschneiden. Bischof Barbosa, die mit der Kirche verbündeten Sozialbewegungen sehen dies angesichts der gravierenden Zustände völlig anders. Denn nur zu oft werden einflußreiche, vermögende Politiker wegen Verbrechen zwar  verurteilt, legen jedoch vor  höheren Instanzen mittels gewiefter Anwälte stets erneut Widerspruch ein, kommen gewöhnlich ungeschoren davon. So sind im Nationalkongreß von Brasilia ein Drittel der Abgeordneten und vierzig Prozent der Senatoren wegen schwerer Straftaten angeklagt oder verurteilt. Im Abgeordnetenhaus des nach Sao Paulo wirtschaftlich zweitwichtigsten Teilstaates Rio de Janeiro laufen Prozesse sogar gegen fast die Hälfte der Parlamentarier – wegen Betrugs, Bandenbildung und sogar Mord. „Unsere Gesetze werden von Straftätern gemacht“, beklagen Kommentatoren.  „Wir sammeln deshalb jetzt 1,5 Millionen Unterschriften für ein Gesetzesprojekt gegen Kandidaten mit schmutziger Weste“, betont der Bischof. Angesichts des sehr niedrigen Bildungsniveaus fällt es der Kirche schwer, die Öffentlichkeit ausreichend zu mobilisieren, den rund 400000 Kandidaten für die Kommunalwahlen genauer auf die Finger zu sehen. Denn in  immerhin 17 Prozent der Städte stellen Analphabeten die Wählermehrheit, im Nordosten liegt diese Rate sogar bei 37 Prozent. Viele sind für Stimmenkauf anfällig oder lassen sich von Banditenkommandos einschüchtern. In Slums von Rio de Janeiro gehen Gangster mit umgehängter Mpi von Kate zu Kate und weisen die Bewohner an, für bestimmte Kandidaten zu votieren: „Das ist ein Befehl unserer Bosse!“ Journalisten, die den Wahlkampf beobachteten, wurden von Banditenkommandos barbarisch gefoltert. Nicht genehme Kandidaten, denen man dennoch den Slum-Zutritt erlaubte, wurden von  schwerbewaffneten Gangstern eskortiert und suchten rasch das Weite. CNBB-Generalsekretär Barbosa leitete jahrelang die Gefangenenseelsorge in der Zuckerhutmetropole, kennt die Verhältnisse gut. „In Rio sagt man, daß die großen Gangster nicht in den Slums leben, sondern in den Strand-Nobelvierteln.“ Der Bischof nennt „sehr problematisch“, daß jetzt im Wahlkampf die evangelikale, auf Wunderheilungen spezialisierte „Universalkirche vom Reich Gottes“ unablässig gegen die katholische Kirche hetzt. Die Universalkirche dominiert Brasiliens „Republikanische Partei“(PRB), die den Vize von Staatschef Lula stellt. Aussichtsreichster Bürgermeisterkandidat in Rio ist just PRB-Kongreßsenator Marcelo Crivella, gegen den zahlreiche Prozesse liefen. „Die katholische Kirche zählt zur Elite – wer sich heute um die Armen sorgt, sind wir Evangelikalen“, attackierte Crivella bei den letzten Kommunalwahlen. Barbosa wies dies scharf zurück. „Diesmal ist Crivella vorsichtig, will schließlich auch katholische Wähler gewinnen. Doch seine Universalkirche hetzt weiter gegen uns.“

Ohne Truppen keine Wahlen

Brasiliens Armee sichert Urnengänge

In Lateinamerikas größter Demokratie warten Luftwaffe, Marine und Heer derzeit auf den Einsatzbefehl, weil es wieder einmal auf Pflichtwahlen zugeht. Hochbewaffnete, mit der Politik liierte Verbrechersyndikate sowie paramilitärische Milizen greifen besonders im wirtschaftlich zweitwichtigsten Teilstaat Rio de Janeiro dreist in die Wahlkampagnen ein, stellen eigene Kandidaten auf, verüben Blutbäder, foltern Journalisten. Minister Carlos Britto, Präsident des Obersten Wahlgerichts in Brasilia, hat deshalb das Militär angefordert, jeden Moment kann es losgehen. Die lokale Militärpolizei, gar die Bundespolizei reichen nicht aus. Nichts Neues in Brasilien – zu den Präsidentschaftswahlen von 2006 waren Truppen in 142 Städte eingerückt, um politisch motivierte Gewalttaten, darunter Morde, Unruhen und Plünderungen möglichst zu verhindern. Über hundert Städte, meist in der durch Attentate auf kirchliche Menschenrechtsaktivisten und Umweltschützer gezeichneten Amazonasregion, wollen wegen der Kommunalwahlen im Oktober wiederum nicht auf militärischen Schutz verzichten. In Amazonien stehen über 160 Bischöfe, Pfarrer, Gewerkschafter, Anwälte und Indianerführer auf einer Todesliste, werden verfolgt. Darunter der aus Österreich stammende Bischof Erwin Kräutler – in seinem Bistum Altamira wurde 2005 die nordamerikanische Urwaldmissionarin Dorothy Stang ermordet.  Minister Carlos Brito spricht von „Poder paralelo“, einer Parallelmacht des organisierten Verbrechens – Justizminister Tarso Genro gar von einer tiefen Krise des Rechtsstaats, von „Ambiente de Fascismo“, faschistischem Ambiente. Die Vormundschaft des Verbrechens über Politik und Staat dürfe nicht akzeptiert werden. In Rio de Janeiro, mit weit mehr Einwohnern als ganz Bolivien, sollen deshalb Truppen in über zwanzig Slumregionen jener Parallelmacht einrücken. Die Ghettobewohner sehen das mit gemischten Gefühlen, sogar mit Angst. Denn erst kürzlich war die Armee zeitweilig in Rios City-Slum „Morro da Providencia“ eingerückt, ließ den dortigen Banditenkommandos aber freie Hand. Als sich die Truppe von drei jungen, völlig unschuldigen Männern des Slums nicht genügend respektiert fühlt, werden diese „zur Strafe“ mit einem Armeelaster in einen gegenüberliegenden Hangslum gebracht, dem dortigen Gangsterkommando übergeben, das in Todfeindschaft zu den Slum-Diktatoren des „Morro da Providencia“ und selbst deren Bewohnern steht. Die drei Männer werden wie üblich sadistisch gefoltert, danach mit Schüssen durchsiebt, auf eine Müllhalde geworfen. Ein Aufschrei der katholischen Kirche, der Menschenrechtsorganisationen und der Kongreßopposition folgt – die UNO wird informiert. Rios deutschstämmiger Kardinal Eusebio Scheid, Befreiungstheologe Frei Betto äußern sich entsetzt:“Die Bürgerrechte wurden verletzt, die Demokratie ist bedroht.“ Auch die Opposition wirft Staatspräsident Luis Inacio Lula da Silva vor, das Militär in dem Slum zu Wahlkampfzwecken eingesetzt, fragwürdige „Sozialprojekte“ des aussichtsreichsten Bürgermeisterkandidaten Marcello Crivella begünstigt zu haben. Crivella gehört zur Wunderheilersekte „Universalkirche vom Reich Gottes“, die seine „Republikanische Partei“(PRB) dominiert. Zur PRB zählt auch Lulas Vize, der Milliardär José Alencar. Wegen des Verbrechens der Militärs kommt es in Rio zu heftigen Zusammenstößen zwischen protestierenden Slumbewohnern  sowie Polizei und Soldaten. Politikexperten nennen bezeichnend, daß die Menschen erstmals seit der Militärdiktatur wieder Steine auf die Armee werfen. Was wird geschehen, wenn jetzt erneut Truppen in die Slums von Rio einrücken? Viele Pflichtwähler machen sich auf Schlimmstes gefaßt. Denn nicht zufällig fordert der brasilianische Anwaltsverband, die Beziehungen zwischen den Streitkräften und dem organisierten Verbrechen zu klären. Schließlich stammten allein in Rio 22 Prozent der bei Banditenkommandos beschlagnahmten Waffen aus Beständen des Militärs.

Brasiliens Bischöfe:“Wir haben Lula gewarnt!“

Bündnis mit dubiosen Politikern zwielichtiger Parteien provozierte Korruptionskrise

Brasiliens Bischöfe haben den Ex-Arbeiterführer Luis Inacio Lula da Silva bereits im Präsidentschaftswahlkampf von 2002 eindringlich vor verhängnisvollen Bündnissen mit berüchtigten Politikern rechtskonservativer Parteien gewarnt.  Die Vorhersagen stimmten – nach jüngsten Enthüllungen über Abgeordnetenbestechung, Mittelabzweigung und schwarze Kassen droht Lula jetzt die Amtsenthebung, wurden bereits Dutzende seiner engsten Mitarbeiter von ihren Posten entfernt. Soweit bekannt, flossen illegale Gelder sogar über Banken auf den Bahamas. Für die Kirche im größten katholischen Land kommt all dies nicht überraschend. Jayme Chemello, seinerzeit Präsident der Bischofskonferenz(CNBB), erinnerte jetzt daran, Lula persönlich von desaströsen Allianzen abgeraten zu haben. „Ich nannte Lula die Namen all jener Politiker, die keinerlei Glaubwürdigkeit besitzen“, betonte Chemello auf der jetzigen CNBB-Vollversammlung in Itaici bei Sao Paulo. Mehrere dieser Politiker stünden heute im Mittelpunkt der Enthüllungen, die die Regierungskrise ausgelöst hätten. „Alle Parteien, nicht nur die Arbeiterpartei, müssen von solchen Figuren gereinigt werden.“

So hatte die Bischofskonferenz (CNBB) 2002 mehrfach die angestrebte Koalition von Lulas rechtssozialdemokratischer Arbeiterpartei(PT) mit der rechtskonservativen Liberalen Partei(PL) verurteilt. Damit seien erhebliche Risiken verbunden – zudem könne sich die von einer großen Sektenkirche dominierte PL dann in entscheidende Landesfragen einmischen, hatte CNBB-Vizepräsident Marcelo Carvalheira erklärt. Andere Bischöfe nannten eine solche Koalition extrem besorgniserregend.  Lulas Arbeiterpartei verlasse generell progressive Positionen, tendiere nach rechts. Doch Lula bestand auf dem Bündnis, machte den Milliardär und Großunternehmer Josè Alencar von der PL sogar zu seinem Vize. Waldemar Rossi und andere populäre  Führer der katholischen Arbeiterseelsorge argumentierten, Alencar habe die Militärdiktatur unterstützt und deklariere sich als Feind der Landlosenbewegung MST. In dessen Textilfabriken herrschten skandalöse archaische Zustände, Furcht vor Repressalien und Entlassung. Die Arbeiter würden extrem schlecht bezahlt.

Die Kirche warnte Lula auch vor Roberto Jefferson, zwielichtiger Chef der rechtsgerichteten PTB. Er hatte den tiefkorrupten, per Impeachment abgesetzten früheren Staatspräsidenten Fernando Collor de Mello bis zuletzt unterstützt. Doch Lula paktiert mit der PTB, nennt Jefferson gar seinen „Freund und Genossen“. Ausgerechnet Jefferson löst vor drei Monaten die Krise aus: Als man ihn offen der Korruption bezichtigt, packt er aus, verteidigt sich wirkungsvoll mit bombastischen Enthüllungen, die von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und der Bundespolizei bisher größtenteils bewiesen worden sind.

Die Bischofskonferenz kritisierte nicht zufällig die PL, aber auch die Verletzung ethisch-moralischer Prinzipien durch Lulas Arbeiterpartei: Denn PL- Chef Valdemar Costa Neto, der jetzt sein Abgeordnetenmandat niederlegte, hat jetzt enthüllt, wie sich die Arbeiterpartei die Unterstützung der PL mit Millionensummen regelrecht kaufte. Das Geld sei in bar und in Koffern versteckt, übergeben worden. Bei den entsprechenden Verhandlungen habe neben Alencar auch Lula mitgemacht, kenne alle Einzelheiten. Netos Äußerungen zwangen den Staatschef zu einer Fernsehrede an die Nation, in der er jedoch abstritt, von solchen „inaktzeptablen Praktiken“ gewußt zu haben.

Dabei hatte ihn die gutinformierte Bischofskonferenz seit dem Amtsantritt auf unsaubere Machenschaften hingewiesen. Der Kardinal und Erzbischof Geraldo Majella Agnelo fordert 2003 in seiner Eigenschaft als neuer CNBB-Präsident den Staatschef auf, endlich eine großangelegte effiziente Kampagne gegen die überbordende Korruption zu starten. „Die Situation wird immer gravierender – gestraft werden dadurch vor allem die Armen.“

Auch in Europa gehen solche Analysen jedoch im allgemeinen Lula-Jubel unter.  „Bereits seit 1997 wissen wir, daß Lula ein Meister darin ist, Schmutz unter den Teppich zu kehren“,  sagt der 83-jährige Jurist, renommierte Menschenrechtsaktivist und Mitgründer der Arbeiterpartei, Helio Bicudo –  ein überzeugter Katholik.

Brasiliens Regierung verspricht erneut Gewaltbekämpfung

Banditendiktatur in Slums immer grausamer

Angesichts der ausufernden Gewaltkriminalität hat Brasiliens Staatschef Luis Inacio Lula da Silva zum wiederholten Male energische Gegenmaßnahmen versprochen. Mit Milliardenaufwand sollen danach der Polizeiapparat ausgebaut und 160 Gefängnisse errichtet werden. Die brasilianischen Medien haben über Lulas Ankündigungen nur kurz oder gar nicht berichtet, da nach früheren „Maßnahmenpaketen“ dieser Art in Wahrheit die Ausgaben für öffentliche Sicherheit teils drastisch gekürzt oder vorgesehene Haushaltsmittel gar nicht freigegeben worden waren. In großer Aufmachung betont die Landespresse dagegen, daß seit Lulas Amtsantritt von 2003 ausgerechnet die ärmsten Brasilianer weiterhin am stärksten dem Terror der Banditenmilizen ausgesetzt seien. Allein in Rio de Janeiro, so die auflagenstarke Qualitätszeitung „O Globo“, sind 1, 5 Millionen Slumbewohner der „Diktatur des Verbrechens“ unterworfen und nahezu sämtlicher Menschenrechte beraubt. Es handele sich um eine „kolumbianische“ Tragödie.

„Wir haben daher in diesem Land noch keinen demokratischen Rechtsstaat“, analysiert die renommierte Anthropologin und Kolumnistin Alba Zaluar. Gemäß den neuesten Studien ist allein in Rio, mit rund ebensoviel Einwohnern wie Kuba, die Zahl der Verschwundenen bis heute mindestens 54-mal höher als während des 21-jährigen Militärregimes. Wie damals sei unter der vom organisierten Verbrechen sowie von paramilitärischen Milizen errichteten Slum-Diktatur das Foltern von mißliebigen Bewohnern üblich. Zwecks Einschüchterung würden Menschen in aller Öffentlichkeit lebendig verbrannt oder in Stücke gehackt, die Opfer in geheimen Friedhöfen verscharrt. „Das Verschwindenlassen und die Folter sind häufig, Gewalt trifft heute viel mehr Menschen als unter der Militärdiktatur“, betont die Universitätsprofessorin Cecilia Coimbra, Präsidentin der Menschenrechtsorganisation „Nie mehr Folter“(Tortura nunca mais). Toleriert von den Autoritäten, hat das organisierte Verbrechen im Parallelstaat der Slums seit Jahrzehnten auch Sondergerichte installiert, die meist drakonische Strafen verhängen. Dazu zählen das Handabhacken ebenso wie der Scheiterhaufen aus Autoreifen. Ungezählte Familien werden zudem aus ihrer Slumkate vertrieben.

„All diese Grausamkeiten entsprechen der Realität“, erklärte jetzt Rio de Janeiros Gouverneur Sergio Cabral. „Die Parallelmacht agiert mit Rohheit.“

Auch Brasiliens katholische Kirche ist vom Banditenterror direkt betroffen. Der deutschstämmige Kardinal Eusebio Scheid in Rio de Janeiro hat die Verbrecherdiktatur häufig verurteilt. Immer wieder werden Geistliche ermordet, dringen Gangster mit NATO-MGs und Handgranaten in Slumkirchen ein, erzwingen sogar den Stopp von Sozialprojekten. Menschenrechtsaktivisten kritisierten, daß manche sogar vom Ausland finanzierte Nichtregierungsorganisationen mit dem organisierten Verbrechen kooperieren. Zudem wird an einen bezeichnenden Vorfall erinnert. So hatten Staatschef Lulas Kulturminister Gilberto Gil und der damalige Arbeitsminister Ricardo Berzoini, heute Chef der Arbeiterpartei, vor rund zwei Jahren laut Presseberichten einen Rio-Slum besucht und dafür die Genehmigung der Banditenbosse eingeholt. Der renommierte brasilianische UNO-Berater und Experte für Gewaltfragen, Sergio Pinheiro:“All dies ist ein Skandal – geschähe derartiges in Berlin, Paris oder London, würde das im Parlament debattiert, würde die Regierung stürzen.“

Polizeiattacken gegen die Verbrecherhochburgen haben bislang nur die Wirkung von Nadelstichen. Zudem gelten nicht wenige Beamte als korrupt und brutal, werden immer wieder moderne Feuerwaffen an die Gangstermilizen verkauft. In den Millionenstädten sterben tagtäglich niedrig bezahlte Polizisten durch Attentate oder Racheakte.

Im Stadtpark von Sao Paulo trauern die ambulanten Fahrradmechaniker derzeit um ihren Kollegen, einen Detektiv und Familienvater. Er flickte dort in der Freizeit für ein Trinkgeld Schläuche, reparierte Gangschaltungen, besserte damit sein mageres Gehalt auf. „Vier Kugeln in den Hinterkopf, sonntagmorgens – so geht das hier zu.“ In Brasilien werden jährlich über 50000 Menschen ermordet, nicht einmal fünf Prozent der Täter ermittelt.

Staatschef Lulas „Waldomirogate“ – brisanter operettenhafter Korruptionsskandal kostet brasilianische Regierung die Glaubwürdigkeit/ Bischofskonferenz nicht überrascht

Gerade hatte Staatschef Lula der Nation populistisch-demagogisch verkündet, daß Ethik, Moral und Glaubwürdigkeit auch weiterhin die Grundpfeiler seiner Regierung seien, den 175 Millionen Brasilianern wirtschaftlich-sozial ein gutes Jahr bevorstehe – da platzte am selben Februartage die politische Bombe, verkehrte seine Worte ins Gegenteil: Einer der ranghöchsten Beamten im Präsidentenpalast, Waldomiro Diniz, so enthüllten die Medien hieb-und stichfest, hatte bereits im Wahlkampf von 2002 bei einem Glücksspiel-Mafioso Wahlgelder für Politiker aus Lulas Arbeiterpartei PT eingetrieben sowie ein hohes Bestechungsgeld für sich selber ausgehandelt – im Gegenzug die entscheidende Begünstigung bei einer öffentlichen Ausschreibung versprochen. Und das lediglich geduldete illegale Glücksspiel, sogar die jetzt überstürzt geschlossenen Bingo-Hallen, sind in dem Tropenland traditionell mit dem organisierten Verbrechen verquickt, das dort  Geldwäsche betreibt und kräftige  Zusatzprofite hereinholt. Lula hatte vor der Nation gerade erneut  Zivilkabinettschef  Jose Dirceu als „Kapitän“ seiner Regierungsmannschaft hochgelobt, da stellte sich heraus, daß just dieser mit jenem korrupten, zwielichtigen Beamten Waldomiro Diniz seit Jahren eng befreundet war und ihn nach Lulas Wahlsieg auf den hohen Posten im Zivilkabinett des Präsidentenpalasts hievte. Der schwerreiche Diniz verhandelte im Regierungsauftrag sogar mit dem Nationalkongreß über den Staatshaushalt, hielt aber seine Kontakte zu obskuren Figuren der Glücksspielmafia, leistete offenbar für sie an der Staatsspitze effizienteste Lobbyarbeit. Was Diniz illegal trieb, mit welchen Politikern Lulas er kooperierte, war pikanterweise seit vielen Monaten bekannt,  wurde indessen ebenso wie andere  Skandale im ersten Amtsjahr 2003 erfolgreich vertuscht, unter den Teppich gekehrt. Wegen der raschest entlassenen Schlüsselfigur Waldomiro Diniz tauften die Medien den Skandal als „Waldomirogate“ – die Glaubwürdigkeit von Lula, seiner Regierung und selbst seiner Arbeiterpartei, so lauten jetzt täglich Kommentare, sei ziemlich hinüber. Eherne Säulen der Ethik, Hoffnungsträger im schmutzigen politischen Geschäft? Das sei nun vorbei – Lulas Haufen genauso wie die anderen. „Waldomirogate“, so lauten Analysen, könne dieses Jahr notwendige Reformen und den immer wieder versprochenen Wirtschaftsaufschwung blockieren, die Arbeitslosigkeit weiter auf Rekordhöhe halten.

Bezeichnend, daß sich Brasiliens Bischofskonferenz CNBB von dem Skandal überhaupt nicht überrascht zeigte, ihn indessen als „gravissimo“, äußerst gravierend einstufte. Laut CNBB-Präsident Geraldo Majella Agnelo war derartiges erwartet worden – „wir haben uns immer vorgestellt, welche Konsequenzen jeder Korruptionsfall haben könnte.“ Für Kardinal Agnelo ist keineswegs ausgeschlossen, daß in der Regierung noch weitere Figuren vom Schlage eines Waldomiro Diniz agieren. „Nach wie vor arbeitet man in der Politik leider nicht für das Gemeinwohl, sondern lediglich für den Nutzen, die Bereicherung einzelner Personen oder Gruppen. Der jetzige Fall muß lückenlos aufgeklärt werden, um alle Schuldigen zu bestrafen.“ Genau dies will die Lula-Regierung wie bei vorhergehenden Enthüllungen indessen verhindern. Nicht zufällig hatte der CNBB-Präsident den Staatschef bereits im vergangenen September, wenn auch vergeblich,  aufgefordert, „endlich eine großangelegte und effiziente Kampagne gegen die überbordende, immer besorgniserregendere Korruption zu starten.“

Die Affäre reißt auch Lulas wichtigsten Koalitionspartner, die von einer Wunderheilersekte dominierte, rechtsgerichtete Liberale Partei PL, mit in den Strudel. Ausgerechnet dessen Fraktionschef im Nationalkongreß, „Bischof“ Carlos Alberto Rodrigues, offizieller Sprecher der sogenannten „Universalkirche vom Reich Gottes“, ist seit mindestens fünf Jahren mit Waldomiro Diniz engstens befreundet, trieb mit ihm gemäß Zeugenaussagen zahlreiche krumme Geschäfte. So wetterten „Bispo“Rodrigues und seine Sekte zwar stets heftig gegen das Glücksspiel, zogen gemäß ersten Ermittlungen daraus indessen illegal  kräftigen Profit. Der mächtige Sektengründer Edir Macedo, kurioserweise früher ein kleiner Lotterieangestellter, hat Rodrigues zur Schadensbegrenzung direkt überstürzt aus sämtlichen politischen und religiösen Funktionen entfernt. Sogar Kulte darf der einst zweitmächtigste Mann neben Macedo nicht mehr zelebrieren. Auch seine Günstlinge verlieren landesweit Posten und Pfründe.

Brasilianische Regierung nach Mord an US-Missionarin unter Druck – Proteste von Menschenrechtsorganisationen und der Kirche

Nach dem feigen Mord an der nordamerikanischen Missionarin Dorothy Stang im Amazonasteilstaat Parà wird Brasiliens Regierung mit in-und ausländischen Protesten überhäuft. Die nationalen Medien befürchten schweren Image-Schaden für  das Tropenland, aber auch für Staatschef Luis Inacio Lula da Silva. Seit dessen Amtsantritt vor über zwei Jahren hatten die Bischofskonferenz, die Landlosenbewegung und Menschenrechtsorganisationen immer wieder an Brasilia appelliert, wegen der Morddrohungen gegen Aktivisten der katholischen Bodenpastoral wie Dorothy Stang, aber auch Führer der Landlosen etwas zu unternehmen, deren Schutz zu garantieren. Die bei den armen Landarbeiterfamilien immens beliebte Missionarin selbst hatte in den Wochen vor der Tat sogar im brasilianischen Fernsehen betont, daß bezahlte Killer von Großgrundbesitzern und Holzunternehmern sie töten wollten. Immerhin waren bereits 2003 mindestens 73 Landlose von Pistoleiros erschossen worden.  Doch nichts geschah.  Der Staat ließ zu, daß die hochbewaffneten Killermilizen  weiterhin in Siedlungen und Camps der Landlosenbewegung patrouillieren, die Bewohner terrorisieren, einschüchtern. Denn der Teilstaat Parà, von der mehrfachen Größe Deutschlands, ist Brasiliens Wilder Westen, wie ganz Amazonien größtenteils eine Art Niemandsland, ohne Recht und Gesetz, einer Mafia aus Großfarmern und Holzfirmen ausgeliefert, die den theoretisch streng geschützten Urwald vernichten, sogar noch Sklaven halten.  Den beiden Pistoleiros las die 74-Jährige in den Minuten vor dem Verbrechen noch mehrere Stellen aus der Bibel vor, wohl um die Täter umzustimmen. Doch diese töteten sie dennoch skrupellos mit neun Revolverschüssen auf einem nachtdunklen Urwaldweg. „Sie zeigte unglaublich couragiert Großgrundbesitzer und Holzunternehmer an, die Amazonien zerstören, Urwald in Flächen für Export-Soja verwandeln“, sagt Bischof Tomas Balduino, Präsident der Bodenpastoral. „Dorothy Stang gab als Nordamerikanerin, Mitglied eines angesehenen Ordens, in Nordbrasilien jenen einfachen Menschen eine Stimme, die hier von den Autoritäten nie gehört werden, auf die man nichts gibt. Ganz patriotisch setzte sie sich für Brasiliens Interessen ein – und wurde gerade deshalb gehaßt, verteufelt.“ Denn so unglaublich es scheint – Brasiliens Amazonasurwälder gehören zwar fast durchweg dem Staat, der Allgemeinheit, werden jedoch seit jeher illegal von der Holz-und Agrarbranche okkupiert. Bischof Balduino verurteilt scharf, daß die Regierung wenige Tage vor der Tat  dem Druck der Holzfirmen nachgab, einen zuvor dekretierten Rodungsstopp wieder aufhob und damit die weitere illegale Vernichtung von Staatswald fördert. „Durch das Einknicken der Lula-Regierung sieht sich diese Branche bestärkt – der Mord an Dorothy Stang ist ebenfalls eine Form des Drucks auf Brasilia, um weitere Zugeständnisse herauszuholen.“ Die allgemeine Straffreiheit stimuliere zu noch mehr kriminellen Aktionen. „Doch wir werden ganz im Sinne Dorothy Stangs weiterarbeiten, uns nicht einschüchtern lassen, die Amazonasvernichtung weiter anprangern.“

Paulo Adario, Greenpeace-Koordinator für Amazonien, ist ebenfalls erschüttert von dem Verbrechen. Jahrelang wird er von Pistoleiros bedroht, trägt deshalb eine kugelsichere Weste, bekommt zeitweise Polizeischutz. „Die Holzbranche schafft jetzt Fakten“, sagt er „und die Regierung verhält sich schizophren, bricht ihr Versprechen, die Umwelt zu schützen. Diese Firmen arbeiten kriminell – letztes Jahr hatten wir die zweithöchste Abholzungsrate in der Geschichte Brasiliens, 2005 wird voraussichtlich das gleiche passieren.“ In einem Brief an Staatschef Lula verurteilen Adario und seine Organisation den politischen Mord als weiteres „tristes, skandalöses Beispiel“ für die Amazonaspolitik der Regierung. „Als die G-7-Staaten 1991/92 ihr Pilotprojekt zum Schutz der brasilianischen Regenwälder  starteten“, so der angesehenen Greenpeace-Experte, „hat sich die Urwaldvernichtung von 12000 auf heute 23000 Quadratkilometer jährlich erhöht!“ Deutschland sei Hauptfinanzier des Pilotprojekts und müsse deshalb den „politischen Druck erhöhen, damit nicht nur das brasilianischen Umweltministerium, sondern  die gesamte Lula-Regierung ihre Hausaufgaben machen.“

Brasiliens Kirche verurteilt Kriminalisierung der Landlosenbewegung MST

Die brasilianische Bischofskonferenz(CNBB) hat am Freitag gegen eine Kriminalisierung der auch von den deutschen Kirchen aktiv unterstützten Landlosenbewegung MST protestiert. Die CNBB-Bodenpastoral erklärte in der zentralbrasilianischen Großstadt Goiania,  gegen den MST werde derzeit von Großgrundbesitzern, ausländischen Agrarmultis und dem exportorientierten Agrobusiness eine beispiellose Kampagne geführt. Daran beteiligten sich auch  ausländische Kapitalanleger, die in die Produktion von Ethanol-Treibstoff aus Zuckerrohr investierten, hieß es weiter. Absicht sei, mit Hilfe der  Medien eine soziale Widerstandsbewegung zu disqualifizieren. An der Kriminalisierungskampagne sei in bestimmter Form auch die Regierung von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva beteiligt, da sie klar für das Agrobusiness Partei ergreife, von dem die große Masse der Landarbeiter und Kleinbauern, überhaupt der Menschen auf dem Lande, keinerlei Vorteil habe. Das Agrobusiness breite sich immer mehr auch in Amazonien aus, wodurch Kleinbauern und selbst Indianer aus ihrem Lebensraum vertrieben würden. Eine in den brasilianischen Medien ausführlich publizierte Meinungsumfrage  hatte ergeben, daß der MST inzwischen als Synonym für Gewalt angesehen wird. Für über sechzig Prozent der Befragten schädigt der MST die nationale Wirtschaft, manipuliert und schafft Konflikte, nähert sich dem Verbrechertum an. Indessen erklärten gleichzeitig 75 der Befragten, die Landlosenbewegung nur wenig zu kennen. Der Soziologe und NGO-Experte Ricardo Antunes von der Universität in Campinas erklärte, Lula sei Sprecher des Agrobusiness, was für die sozialen Bewegungen eine sehr schwierige Lage schaffe. Neunzig Prozent der in der Studie Befragten hätten betont, sich  über Sozialbewegungen lediglich durch Fernsehen und Presse zu informieren. “Somit handelt es sich um Meinungen über das, was veröffentlicht worden ist.” Die Medien berichteten indessen nicht über Bildungsinitiativen sowie über Familien, die dank der Aktionen von Sozialbewegungen ihre Menschenwürde erobert hätten, so Antunes. Erst kürzlich waren drei MST-Führer von einem Gericht zu einer Geldstrafe von umgerechnet über zwei Millionen Euro verurteilt worden, weil diese an der Blockierung des Schienenwegs des brasilianischen Bergbau-Multis “Vale” teilgenommen hätten. Die breit publizierte Studie war von der “Vale”-Direktion in Auftrag gegeben worden.

Rebellion im Urwaldkerker

Gefangenenseelsorge:“Folter und Morde, Verrohen statt Resozialisieren“

Der Amazonas-Kerker Urso Branco in der Urwaldstadt Porto Velho zählt zu den entsetzlichsten Gefängnissen ganz Lateinamerikas und macht in Brasilien alle paar Monate wegen Folter, Mord, Aufständen und Massenfluchten Schlagzeilen. Seit dem Wochenende haben die rund tausend Insassen über zweihundert Geiseln, meist Frauen und Kinder, in ihrer Gewalt.  Bereits sechzehn Männer sollen von Mithäftlingen umgebracht worden sein. Erst Mitte Dezember hatten katholische Gefangenenseelsorger erneut den Interamerikanischen Gerichtshof und die Vereinten Nationen über die chaotischen Zustände in Urso Branco informiert. Häftlinge starben wegen fehlender medizinischer Betreuung. Aidskranke erhielten bereits seit 90 Tagen nicht die ihnen zustehenden Medikamente. In Zellen für höchstens acht Personen wurden bis zu 25 Häftlinge gepfercht. Laut Bischof Pedro Luiz Strighini, Präsident der nationalen Gefangenenseelsorge, werden die Insassen zudem vom organisierten Verbrechen terrorisiert – wer sich nicht unterordnet, wird ermordet. Durch die neueste Rebellion sollen nicht nur bessere Haftbedingungen erzwungen werden – gleichzeitig wird von der Anstaltsleitung gefordert, die Verlegung des besonders sadistischen Gangsterbosses Birrinha rückgängig zu machen. Denn der gilt als Herrscher des Kerkers im Regenwald. “Der Staat hat seit langem die Kontrolle über Urso Branco verloren“, sagt  Bischof Strighini. „Die Anstaltsdirektion läßt die Dinge einfach laufen – in so vielen anderen Gefängnissen Brasiliens ist es genauso.“ Zur komplexen Situation gehöre, daß Gefangene von den Wärtern gefoltert würden. „Denn Folter existiert ja überall im Land.“ Grausamkeiten würden somit von inkompetenten Beamten, doch auch von Kriminellengruppen begangen. „Unter solchen Bedingungen verrohen die Häftlinge – von Resozialisierung kann keine Rede sein. Und das gilt allgemein für Brasiliens Gefängnissystem.“

Der Bischof erinnert daran, daß 2002 bei einer Revolte in Urso Branco 27 Häftlinge von Mitinsassen getötet wurden, beim Aufstand von 2004 waren es 15. Die meisten davon wurden geköpft und zerstückelt. Hinzu kommen über zwanzig andere Morde. Seit Sonntag sollen nach Häftlingsangaben bereits sechzehn Männer umgebracht worden sein. “Wichtig ist, daß die internationalen Menschenrechtsorganisationen jetzt handeln und die Zustände anprangern“, sagt Bischof Strighini. „Hier geht es um das Recht auf Leben. Die internationale Gemeinschaft muß jetzt ebenso eingreifen wie bei den Menschenrechtsverletzungen im Irak.  Was dort und in Brasilien geschieht, betrifft die ganze Menscheit.“ Deutlich werde, daß Brasiliens Demokratie am Anfang stehe, elementare Bürgerrechte noch nicht verwirklicht worden seien. Das betreffe auch Armut und Elend, die extrem ungerechte Einkommensverteilung. Die Zustände in Urso Branco und vielen anderen Gefängnissen zeigten zugleich den Verlust menschlicher, familiärer und religiöser Werte in der brasilianischen Gesellschaft. „Ein großer Teil der Bevölkerung, darunter Christen, ist überzeugt, daß Gefangene mißhandelt werden müssen – wir haben noch keine pazifistische Mentalität in Brasilien.“ Nach wie vor werden Personen wegen Bagetelldelikten, etwa Warenhausdiebstählen, zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Selbst eine 79-jährige Landarbeiterin mit Krebs im Endstadium hatte man wegen angeblichen Drogenhandels eingesperrt. Nachdem Bischof Strighini und Sao Paulos Kardinal Claudio Hummes die Frau vor Weihnachten demonstrativ besucht hatten, wurde sie überraschend freigelassen. Skandalös ist zudem, daß Häftlinge, die ihre Strafe längst verbüßt haben, dennoch weiter hinter Gittern bleiben. Denn die träge, langsame Justiz stellt einfach nicht die Entlassungspapiere aus. Das geschieht sogar im relativ hochentwickelten Teilstaat Sao Paulo. “13000 Gefangene, immerhin ein Zehntel aller Häftlinge Sao Paulos, müßten längst auf freiem Fuß sein.“ In Bezug auf die Menschenrechte habe Brasilien auch 2005 international einen schlechten Ruf. „Unter der Regierung von Staatschef Lula sind die erwarteten Fortschritte ausgeblieben.“

Brasiliens Reiche drehen auf

Slums und Misere – aber Rekordumsätze bei Luxuswaren

Goldstaub auf Pralinen und Torten, der Kaviar aus Paris oder ein paar  holländische Tulpensträuße extra mit Privatmaschinen eingeflogen, gezähmte Villen-Leoparden natürlich mit Diamantenhalsband – Brasiliens Geldelite schreckt vor keiner Extravaganz zurück. Und wenn Millionäre vor einer Luxusboutique der Nobelkarosse  zu entsteigen gedenken, stoppen die vorausfahrenden bewaffneten Body-Guards natürlich den ganzen Verkehr. Brasilien ist laut UNO Weltmeister in sozialer Ungleichheit – bei Mindestlöhnen von etwa 74 Euro, Stundenlöhnen von fünfzig Cents, können sich die Wohlhabenden einen neofeudalen Hofstaat an Bediensteten leisten, von denen Deutschlands Betuchte bestenfalls träumen. Auf der ganzen Welt gibt es 7,1 Millionen Millionäre – doch in keinem Erdteil wächst ihre Zahl schneller als in Lateinamerika. Mindestens jeder Dritte davon ist ein Brasilianer. Die Reichen vergöttern Staatschef Luis Inacio Lula da Silva, den Ex-Gewerkschaftsführer, wegen seiner neoliberalen Politik. Zumal Lula im Präsidentenpalast von Brasilia selber Spaß am Luxus hat – und einen von Brasiliens Milliardären, den Großunternehmer Josè Alencar, zu seinem Vize machte.

Gleich in Lulas ersten Amtsjahr schlittert Brasilien in Rezession und Rekordarbeitslosigkeit, doch immerhin fünftausend Betuchte werden (Dollar-)Millionäre.  Der Luxusgütermarkt explodiert regelrecht, wuchs 2003  um 35 Prozent, 2004 um  40 Prozent – weltweit sind es nur 15 Prozent jährlich. Nobelmarken aus Paris, New York oder London eröffnen serienweise neue Läden. Am Wolkenkratzer-Himmel Sao Paulos knattert ein Privathubschrauber nach dem anderen –  Betuchte fliegen von ihren Villen der Nobelghettos zu den Bürotürmen, Kaufpalästen, Golfplätzen, Landsitzen, Stränden, Privatinseln. Nur in den USA werden mehr Helikopter, überhaupt Privatflugzeuge, verkauft. Mit dem Geld für einen Ferrari, so errechneten Sozialwissenschaftler, könnte man sieben vierköpfige brasilianische Familien zwanzig Jahre lang ausreichend ernähren.

„Ebenso wie die alte französische Aristokratie“, analysiert der britische Brasilien-Experte Victor Bulmer-Thomas, „fühlen sich die Eliten Lateinamerikas nur dann erst richtig reich, wenn sie von Armen umgeben sind.“ Und die Kolonialmentalität, das bestätigen brasilianische Kardinäle und Bischöfe, ist weiterhin sehr lebendig. Ebenso wie der Papst verurteilen sie die ungebremste Habgier, das Anhimmeln von Geld und Kapital. Sao Paulos deutschstämmiger Kardinal Erzbischof Claudio Hummes beobachtet täglich vor der Kathedrale ein Heer von Bettlern, Arbeits-und Obdachlosen, Verzweifelten. „Wenn wir auf Brasilien, oder nur auf Sao Paulo schauen, fällt uns sofort der tiefe Graben zwischen Reichen und Armen auf. Die Zahl der sozial Ausgegrenzten hat sich durch die globalisierte Wirtschaft, die offenen Märkte noch erhöht. Wie kann man die Reichtümer unseres Landes neu verteilen?“ Der Papst habe bei seinem Brasilienbesuch das Gleichnis vom Reichen und dem armen Lazarus auf die Situation in dem Tropenland angewendet, den Egoismus und die Indifferenz der Begüterten angeprangert. „Vierundsechzig Prozent des Volkseinkommens“, so der bekannte Befreiungstheologe Frei Betto aus Sao Paulo, „sind in der Hand von nur zehn Prozent der Brasilianer!“

„Lateinamerika ist weiterhin das perfekte Beispiel für wirtschaftliche Polarisierung zwischen Reichen und Armen“, betont sogar die US-Investbank Meryll Lynch. In der Upperclass beobachten Sozialwissenschaftler deutlich mehr „Zynismus, Intoleranz, Rassismus, reaktionäres Denken“.

Jurandir Freire Costa, Universitätsprofessor und Therapeut in Rio: „Diese Leute mit ihrem provozierenden Lebensstil, dem hohen Drogenkonsum, sind in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit so dressiert, daß sie die Misere, die Verelendeten überhaupt nicht mehr sehen.“ Das glamouröse Leben der Betuchten – überall in den Medien wird es als nachahmenswert herausgestellt. Beinahe in der letzten Slumhütte steht ein Fernseher – und alle drumherum himmeln die Schicken und Reichen an, hassen sie zugleich. „Ein Teil der Verelendeten wird gewalttätig, will an das Geld der Begüterten, um dann den Lebensstil der Eliten zu kopieren – weiter nichts“, so Professor Costa.

Bischofskonferenz Brasiliens für Rückverstaatlichung von Minenkonzern

Die katholische Kirche Brasiliens hat das September-Plebiszit über eine Rückverstaatlichung des Minenkonzerns „Vale do Rio Doce“ als Erfolg bezeichnet. Gegen den scharfen publizistischen Widerstand aller kommerziellen Medien sowie gegen den Willen der Regierung hatte die Bischofskonferenz(CNBB) gemeinsam mit den nationalen Sozialbewegungen die einwöchige Aktion gestartet. Gemäß den vorläufigen Resultaten votierten über vier Millionen Brasilianer. Rund 97 Prozent sind dafür, daß das zweitgrößte Bergwerksunternehmen der Welt, zugleich größter Eisenerzexporteur der Erde, wieder in öffentlichen Besitz übergeht. Gemäß einer neuen Studie ist über die Hälfte der Brasilianer ebenfalls dieser Auffassung –  in einem Land mit extrem niedrigem Bildungsniveau wußten mehr als zwanzig Prozent bei der Meinungsumfrage keinerlei Antwort.

Brasiliens Caritas-Präsident, der für die CNBB-Sozialpastoralen verantwortliche Bischof Demetrio Valentini und Joao Pedro Stedile, Führer der Landlosenbewegung MST, sowie der katholische Jurist Fabio Konder Comparato werden am neunten Oktober bei Audienzen im Präsidentenpalast, im Nationalkongreß und im Obersten Gericht die Plebiszitergebnisse erläutern und entsprechende politische Schritte fordern. Valentini und Stedile hatten zuvor in einer gemeinsamen Erklärung betont, ein strategisches, mit öffentlichen Geldern errichtetes Unternehmen wie “Vale do Rio Doce” dürfe niemals privatisiert werden. Die “phantastischen Gewinne” des Konzerns müßten allen Brasilianern zugute kommen und nicht nur einer Gruppe von Investoren und Banken. Mit den derzeit realisierten Profiten könnte man 167 Krankenhäuser und über 200000 Wohnungen bauen sowie 1,6 Millionen Landlose ansiedeln. Nach Darstellung renommierter Rechtsexperten, hieß es in der Erklärung weiter,  basierte die Privatisierung von 1997 auf Betrug. “Dies bedeutet Landesverrat durch einen Teil der damaligen sozialdemokratischen Regierung, die sich dafür eines Tages vor den Gerichten dieses Landes verantworten muß.” Zudem werden die Argumente des früheren, inzwischen verstorbenen CNBB-Präsidenten Luciano Mendes bekräftigt, der die Privatisierung als antiethisch und unverantwortlich bezeichnet hatte.

Das Unternehmen, so Bischof Valentini,  sei für ein Dreißigstel des tatsächlichen Wertes verhökert worden. So habe man allein die Eisenerz-und Bauxitvorkommen bei der entsprechenden Ausschreibung fälschlich um zehn Milliarden Tonnen niedriger angegeben. Die Regierung von Präsident Luis Inacio Lula da Silva unterwerfe sich nach wie vor dem internationalen Finanzkapital. Dadurch werde eine echte Sozialpolitik nahezu verhindert.

Chico Whitaker, Träger des Alternativen Nobelpreises von 2006 sowie Mitglied der CNBB-Konferenz für Gerechtigkeit und Frieden, sagte:”Vale do Rio Doce sollte wieder ein Staatsunternehmen werden – die Gewinne könnten dann sozialen Zwecken dienen.”

Angesichts der öffentlichen Kritik hatte sich der Bergbaukonzern immer wieder als patriotisch, sozial und umweltfreundlich bezeichnet, für entsprechende landesweite PR-Kampagnen auch den in Europa sehr bekannten Weltmusik-Star Carlinhos Brown eingespannt.

Das Plebiszit wurde vor allem in katholischen Kirchengemeinden, aber auch auf öffentlichen Plätzen abgehalten.

Laut Presseberichten hatte Lula im Präsidentschaftswahlkampf von 2002 versprochen, den Konzern wieder zu verstaatlichen, war indessen später davon abgerückt. Zu Lulas Überraschung hatte ein Kongreß seiner Arbeiterpartei im September mit großer Mehrheit eine Beteiligung an dem Plebiszit beschlossen. Lula selbst und die gesamte PT-Führung lehnten es dagegen öffentlich als schädlich und „irreal“ ab. Der Minenkonzern hatte 2006 Lulas Wiederwahlkampagne mitfinanziert.

Alternativer Nobelpreis für Francisco Whitaker – angesehener katholischen Menschenrechtsaktivist Brasiliens, Mitgründer des Weltsozialforums

Francisco Whitaker, 75, in der Megacity Sao Paulo ist aus dem Häuschen. „Der Alternative Nobelpreis für mich – nicht zu fassen“, sagt er am Donnerstag überglücklich. In seinem großen Arbeitszimmer empfängt er neben dem mit Akten, Büchern, Zeitungen vollgepackten Konzertflügel gleich gruppenweise Freunde und Mitstreiter der von ihm koordinierten „Kommission für Gerechtigkeit und Frieden“ der brasilianischen Bischofskonferenz. „Wir wollen die Welt verändern, wollen sie besser, sozialer, humaner gestalten“, sagt Whitaker. „Der Alternative Nobelpreis stärkt uns katholischen Menschenrechtlern Brasiliens den Rücken, dient unserer Sache.“ Natürlich freut ihn, daß die schwedische Stiftung „Right Livelihood Award“ mit dem Preis auch seinen jahrzehntelangen, teils sehr risikoreichen Kampf gegen die Militärdiktatur und für die Demokratisierung Brasiliens würdigt. „Man hat das im fernen Europa also wahrgenommen, das gibt mir viel Kraft zum Weitermachen – noch so viel ist hier zu tun!“ Er weist auf Folter, Sklavenarbeit, die rasch wachsenden Slums, die politische Macht des organisierten Verbrechens.

Daß es bei den Mammutwahlen vom kommenden Sonntag Stimmenkäufer und korrupte Kandidaten schwerer haben werden, ist auch Whitaker zu verdanken.  Rechtzeitig hatte er einen Gesetzentwurf gegen die üblichen Wahlbetrügereien formuliert, stand bei der katholischen Kampagne für saubere, transparente Abstimmungen mit an der Spitze. Der Mitgründer des Weltsozialforums kennt sich in der Politik sehr gut aus, war jahrelang Assessor der Bischofskonferenz sowie von Kardinal Evaristo Arns in Sao Paulo, zudem Abgeordneter der Arbeiterpartei PT von Staatschef Lula. Dort gehörte er zu den letzten hochgeachteten „Aufrechten“, nachdem zahlreiche Mitstreiter ausgeschlossen worden waren oder aus Unzufriedenheit mit dem neoliberalen Regierungskurs das Parteibuch zurückgegeben hatten. Anfang des Jahres erklärte auch Whitaker angesichts der vielen Regierungsskandale um Stimmen-und Parteienkauf seinen Austritt. Das erregte in der brasilianischen Öffentlichkeit enormes Aufsehen. „Der Lula-Traum ist aus“, sagte Whitaker. „Was die katholische Kirche bereits vor den Wahlen von 2002 vorausgesagt hatte, ist eingetroffen – die Parteibasis ist von der Führungsspitze, von Lula regelrecht verraten worden.“ Der Menschenrechtler nennt es ein „Verbrechen“, daß Lulas Regierung mit reaktionären Politikern und Parteien paktiert, diesen somit das Überleben und eine starke Position garantiert. Nicht zufällig engagiert sich Whitaker so stark im Weltsozialforum, in Brasiliens Sozialbewegungen, will keineswegs wieder in Parteien eintreten. „Brasilien ist nur eine Fassaden-Demokratie, ein Land der Apartheid – nur eine viel besser organisierte Zivilgesellschaft kann das ändern.“ Das Weltsozialforum diene dafür als wichtige Erfahrung. Den Brasilianern ruft Whitaker zu, nicht mehr auf Führer wie Lula zu hoffen, für eine völlig neue politische Kultur zu kämpfen. Wie der künftige Träger des Alternativen Nobelpreises die soziokulturelle Situation des Tropenlandes analysiert, läßt aufhorchen. „In den Slums unterwirft man sich dem organisierten Verbrechen – doch es gibt auch Unterwerfung gegenüber korrupten Politikern.“ Gerade unter der armen Bevölkerungsmehrheit finde man viel „grauenhaften Fatalismus und Passivität“, was die Lösung der gravierenden Probleme Brasiliens sehr erschwere. „Die Regierung will das Volk mit Almosen von Unruhen abhalten, Sozialprogramme sollen dazu dienen, die Masse unterwürfig und abhängig zu halten.“ Brasiliens Bischöfe haben Whitaker noch am Donnerstag ganz offiziell per Note  und auch persönlich zum „Alternativen Nobelpreis“ gratuliert.

Mitteldeutsche Kirchenzeitungen 2012:

Urwaldbischof gibt nicht auf

Brasilien: Kirchen und Umweltschützer protestieren weiter gegen das umstrittene Wasserkraftwerk Belo Monte

Brasilien – “Aufschrei der Ausgeschlossenen”, “Grito dos excluidos 2012? – landesweite Protestaktion am Nationalfeiertag(7.September), von der katholischen Kirche organisiert. Scharfe Kritik an der Wirtschafts-,Sozial-und Menschenrechtspolitik der Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff. Bischof Tarcisio Scaramusa in Sao Paulos Kathedrale:”Wer für soziale Gerechtigkeit kämpft, wird verfolgt.” **

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/28/brasilien-nach-acht-jahren-lula-regierungwarum-hat-sao-paulo-noch-2627-slums-fragt-die-wichtigste-qualitatszeitung-o-estado-de-sao-paulo/

Bischof Scaramusa prangerte beim Aufschrei-Gottesdienst die gesellschaftliche Ungleichheit Brasiliens an – ohne Änderungen der Gesellschaftsstruktur gebe es keine Besserung der Verhältnisse. Er wies auf Hunger, Slums, Obdachlose, ausufernde Gewalt, die Staatskorruption, sprach von der “Hoffnung auf eine neue Gesellschaft”. Sprecher der Sozialbewegungen betonten, bei den bislang 32 Slum-Großfeuern von Sao Paulo in diesem Jahr handele es sich zumeist um Brandstiftung, um die Bewohner zu vertreiben. Nur zu oft habe die Polizei nach dem Feuer verhindert, daß die Bewohner erneut Hütten und Katen errichteten. Es handele sich bei den betreffenden Slums um Regionen, an denen die Immobilienspekulanten und Baufirmen größtes Interesse hätten.

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/06/25/nine-most-horrible-places-in-the-world-favela-slums-von-rio-de-janeiro-aus-sicht-des-bric-staats-china-subkultur-von-umweltzerstorung-armut-und-gangstern-cubatao-bei-sao-paulo-an-sieb/

Seit Beginn der Präsidentschaft Lulas hatten sich die Arbeiterpartei PT und die regierungstreuen Gewerkschaften in der Megacity Sao Paulo demonstrativ nicht mehr am “Grito dos excluidos” beteiligt – 2012 indessen, wegen des Wahlkampfs um das Bürgermeisteramt, führte der PT-Kandidat Haddad kurioserweise als peinlich-banale Wahlkampfaktion einen zweiten “Grito dos excluidos” von PT und Regierungsgewerkschaft CUT an, der von der Avenida Paulista bis zum Ibirapuera-Park führte. Haddad schloß ein Wahlbündnis mit dem für sehr viele Brasilianer als Symbolfigur der Korruption geltenden Politiker Paulo Maluf.  http://www.estadao.com.br/noticias/politica,no-grito-dos-excluidos-haddad-defende-campanha-milionaria-,927359,0.htm

Beim echten “Grito dos excluidos” mischte sich anfangs ein kleines Haddad-Wahlkampfteam in die Protestaktion, machte sich indessen bald wieder davon, weil mit Maluf-Kumpanen schwerlich jemand der Grito-Teilnehmer etwas zu tun haben wollte.

Ein Propagandabus des Diktaturaktivisten Maluf kreuzte den Weg des Demonstrationszugs:

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“Vision der Zukunft!!!”

Maluf-Lula-Haddad:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/07/18/brasiliens-lula-und-der-diktaturaktivist-maluf-von-interpol-gesucht-nach-wahlbundnis-erhielt-maluf-partei-massiv-staatsgelder-laut-landesmedien-warum-lula-in-landern-wie-deutschland-soviele-sympat/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/12/folter-ohne-ende-tortura-sem-fim-brasiliens-soziologiezeitschrift-sociologia-uber-folter-unter-der-lula-regierung/

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Grito 2011:  http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/08/brasilien-aufschrei-der-ausgeschlossenen-2011-proteste-in-sao-paulo-grito-dos-excluidos/

Die sozialen Kosten der Staatskorruption unter Lula-Rousseff:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/05/22/brasilien-nationalsport-korruption-nationale-inforadios-stellen-ironisch-angesichts-neuer-mega-korruptionsskandale-wie-cachoeiragate-die-in-allen-klassen-und-schichten-tiefverwurzelte-korruptio/

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Franziskaner-Projekt RECIFRAN – “gegen die Kriminalisierung der Obdachlosen”.   http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/919048/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/08/deutscher-franziskaner-johannes-gierse-sao-paulorustungsvertrage-brasiliens-mit-frankreich-sind-unethisch-aufgewendete-mittel-fehlen-dort-wo-es-am-notigsten-ist/#more-2892

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Katholischer Priester der “Nationalen Kampagne gegen Gewalt und gegen Ausrottung junger Menschen”.

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/09/07/die-franziskaner-und-der-aufschrei-der-ausgeschlossenen-in-sao-paulo-befreiungstheologe-frei-betto-hat-recht-unter-lula-hat-die-soziale-ungleichheit-zugenommen-vor-wenigen-tagen-wurde-wieder/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/25/brasiliens-bischof-angelico-sandalo-bernardino-zur-politischen-krise-des-landes-zu-rechtsungleichheit-und-slums/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/09/06/brasilien-realpolitik-in-der-olympia-stadt-rio-de-janeiro-organisiertes-verbrechen-wahlkampf-vize-burgermeister-kandidat-lebt-in-vom-organisierten-verbrechen-kontrollierten-slum-laut-landesmedien/

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“Regierungseffizienz” unter Dilma Rousseff:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/09/06/brasilien-neue-statistische-daten-des-weltwirtschaftsforums-fur-2012-bemerkenswerte-verschlechterungen-gegenuber-2011/

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“Gegen die Politik des Genozids an der Jugend.” Abschlußkundgebung am Unabhängigkeitsdenkmal von Sao Paulo.

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/08/24/brasiliens-gewaltkultur-offentliche-sicherheit-widersprechende-einschatzungen-aus-mitteleuropa-und-dem-land-selbstdie-gewalt-in-brasilien-ist-auser-kontrolle-die-hauptstadt-der-republik-ist-hoch/

Sklavenarbeit unter Dilma Rousseff:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/08/27/brasilien-sklavenarbeit-unter-dilma-rousseff-neue-verbreitungskarte-veroffentlicht-wer-denkt-das-es-in-brasilien-keine-sklaverei-mehr-gibt-wird-uberrascht-sein/

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Korruption unter Lula-Rousseff:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/08/30/brasiliens-vielbeachteter-mensalao-prozes-oberstes-gericht-verurteilt-wegen-korruption-ein-mitglied-der-arbeiterpartei-das-prasident-des-abgeordnetenhauses-war-folha-de-sao-paulo-joao-paulo-c/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/05/08/flughafen-willy-brandt-in-berlin-wird-verspatete-eingeweiht-was-brasilianer-mit-dem-namen-willy-brandt-verbinden/

http://www.ila-web.de/brasilientexte/slumdiktatur.htm

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/09/03/brasilien-die-pastoral-das-favelas-in-der-erzdiozese-rio-de-janeiro-pastoralleiter-monsenhor-luis-antonio-pereira-lopes-vor-der-gemeindekirche-in-jardim-america/

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Crack und Kinderstatut: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/16/brasiliens-crack-kinder-unter-lula-rousseff-trotz-offiziellem-kinderstatut-zahlreiche-kinder-landesweit-als-kunden-der-crack-wachstumsbrance/

Menschenrechtspriester Julio Lancelotti der Erzdiözese Sao Paulo.  http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/26/julio-lancelotti-brasiliens-ausergewohnlicher-hochst-unbequemer-menschenrechtspriester-ziel-von-morddrohungen-prozessen-verleumdungen-psycho-terror-medienkampagnen/

Brasilien und die rasch wachsenden Slums: 32 seit Jahresbeginn in Sao Paulo durch Großfeuer zerstört. “Wirtschaftswunder” Brasilien. **

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Ausriß.

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Ausriß, Rio-Lokalzeitung, Scheiterhaufen-Opfer, 7.11.2012.   http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/668242/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/16/koln-schliest-stadtepartnerschaft-mit-rio-de-janeiro-oberburgermeister-jurgen-roters-reiste-zum-zuckerhut/

Rio de Janeiro

Slum-Seelsorge gegen die Barbarei – in der Stadt des internationalen Jugendtreffens mit dem Papst 2013

„Viel mehr Besucher als bei Fußball-WM 2014 und Olympischen Sommerspielen 2016“

Glaubte man der weltweit verbreiteten Auslandspropaganda, freut sich ganz Brasilien, und vor allem Rio de Janeiro wie wild auf die beiden Sport-Megaevents, ziehen Bevölkerung und Autoritäten an einem Strang bei der sorgfältigen Vorbereitung, will man ein guter Gastgeber sein. Doch nun hat ein weiteres Blutbad, bei dem mindestens acht junge Menschen ermordet wurden, den Propagandavorhang jäh zerrissen, jüngste Analysen der katholischen Kirche über gravierende Menschenrechtsverletzungen in den über eintausend Elends-und Armenvierteln bestätigt. Gemeindepfarrer Monsenhor Luis Antonio Lopes, in dessen Seelsorgebereich das Massaker geschah, ist entsetzt: „Die Herrschaft des organisierten Verbrechens über die Slums bedeutet, daß die Bewohner wie in einem System der Sklaverei, der Versklavung gefangen sind. Daß der Staat diese Menschen allein läßt, kostet soviele Menschenleben.“

Aber ist nicht immer von befriedeten Favelas, einer eigens gegründeten Befriedungspolizei die Rede? „Das organisierte Verbrechen herrscht ungehindert dort, wo es keine sogenannten Befriedungseinheiten gibt, also in den allermeisten Favelas“, ergänzt Padre Lopes. „Und selbst in einigen Slums, wo der Staat angesichts der herannahenden Sportevents solche Befriedungseinheiten stationierte, geschehen weiter Morde.“

Das jüngste Blutbad verübt ein Banditenkommando als Machtdemonstration, zur Einschüchterung der Slumbewohner – die  Leichen mit grauenhaften Folterspuren werden an der Stadtautobahn abgeworfen. Nur deshalb erfahren die Medien von der Untat – von den meisten Massakern hört die Öffentlichkeit außerhalb der Slums nichts. Denn in die Parallelstaaten der Slums, wie es Soziologen nennen, wagt sich kaum jemand hinein, der dort nicht gezwungenermaßen hausen muß. Nach dem Blutbad stellen Armee und Polizei einen ganzen Konvoi aus Schützenpanzern zusammen, um in die Favela des hochgerüsteten Banditenkommandos vordringen zu können. Das spricht Bände über die Zustände, die Machtverhältnisse in der WM-Stadt. Natürlich hatten sich die Gangster längst in Guerrilha-Taktik zurückgezogen.

Padre Luis Antonio Lopes ist gleichzeitig Leiter der Slum-Seelsorge in der Erzdiözese von Rio de Janeiro – die Banditenherrschaft erschwert kirchliche Arbeit auf nur zu oft bizarre Weise. Denn Sozialprojekte, darunter Kindergärten und Schulen, können in den Favelas nur funktionieren, wenn die Banditenkommandos ihr Okay geben. „Bewaffnete Gangster halten in einem geraubten Auto neben mir und wollen, daß ich jeden einzelnen von ihnen mit Handschlag grüße“, sagt ein Priester der Slum-Pastoral. „Was bleibt mir dann übrig?  Sorge ich nicht für ein problemfreies Verhältnis zu den Machthabern, riskiere ich mein eigenes Leben, wird jegliche Hilfe für die Slumbewohner unmöglich.“ In der schlichten Kirche zelebriert er Messen, lädt abends zu Bibelkursen, bringt erwachsenen Analphabeten Lesen und Schreiben bei, verteilt Lebensmittel-und Kleiderspenden, spielt hinter der Kirche sogar mit Jugendlichen Fußball – Teil von Freizeitaktivitäten, die Mädchen und Jungen von den Drogenbanditen fernhalten sollen. Durch Druck auf die Präfektur wurde erreicht, daß in der Slumregion nun sogar ein Gesundheitsposten existiert.

Der Padre reflektiert über die schwierige Frage, ob er die Banditen rechtzeitig über die Route der nächsten Prozession unterrichten soll – damit diese alle gesperrten Straßen wissen – und im Falle einer höllisch rasanten Fahrt mit geraubten Autos oder Entführungsopfern auf andere Wege ausweichen…

Als ein Sektenanhänger die Teilnehmer einer Prozession mit obszönen Kraftausdrücken beschimpft, hält ein Jungbandit von nur 13 Jahren dem Krakeeler den Revolver an den Kopf. „Noch ein Wort – und ich drücke ab. Diese Religion wird respektiert!“

Ein mehrstündiger Gang durch Slums an der Seite des Padres führt zu den Brennpunkten der barbarischen, bedrückenden Situation. Zu den Verhaltensregeln zählt: Nicht fotografieren, keine Mikrophonaufnahmen, weil sonst sofortige Ermordung drohte. So tun, als ob man die überall lauernden bewaffneten Banditen, die offenen Verkaufspunkte für harte Billigdrogen wie Crack und Kokain garnicht bemerkt und fast durchweg ein angeregtes Gespräch mit dem Priester über Religiöses führt. Elendskaten, zerlumpte, verwahrloste Kinder, Müll und Gestank, Unmengen von geraubten und zu Schrott gefahrenen Autos, sadistischer Gangsta-Rap in Hardrock-Lautstärke rund um die Uhr, der mit ganzer Wucht auch in die Kirche dringt.

„Ich bin Terrorist, ich bin ein Taliban“, heißt es in den Texten, sind beinahe in jedem Titel MG-Salven, Bomben-und Granaten-Explosionen zu hören. „Unsere Terrororganisation ist der Staatsfeind Nummer Eins.“

„Im Morgengrauen rücken wir aus, dann singt das MG/ Messer an die Kehle, Schuß ins Genick, Terror und Aktion, mancher Gegner wird geköpft.“

Eine Mitarbeiterin des Priesters berichtet über viele willkürliche Morde und Folterungen, teils direkt vor ihrer Katentür. „Wer sich hier weigert, Raubgut oder Drogen zu transportieren, wird sofort erschossen – wer des Kontakts mit der Polizei verdächtigt wird, ebenfalls. Doch innerhalb weniger Monate sind auch die Killer tot – kommen beispielsweise bei Schießereien zwischen rivalisierenden Banditenkommandos oder mit der Polizei um. Und schon werden andere die neuen Slum-Herrscher.“

Padre Lopes von der Slum-Seelsorge ist beim Gespräch sichtlich verstört, erregt – denn nur einige Stunden zuvor hatten Banditen bei einer Raubattacke auf das Gemeindezentrum und die Kirche zahlreiche wertvolle Gegenstände, darunter elektronische Geräte, erbeutet.

Für Lopes handelt es sich  bei jenen jungen Gangstern um Brasilianer, denen Staat und Gesellschaft keinerlei Chance gaben, sich zu bilden und zu entwickeln. Laut neuesten Studien ist beispielsweise der Handel mit harten Billig-Drogen wie Crack und Kokain landesweit der einfachste Weg für junge Menschen, um an Geld für schicke Markenklamotten und andere attraktive Dinge zu kommen. Sage und schreibe mindestens 5,3 Millionen Brasilianer zwischen 18 und 25 Jahren studieren nicht, arbeiten nicht – und suchen auch keinerlei Arbeit, heißt es.

“Wir haben jetzt bei der UNO und bei Amnesty International Anzeige erstattet, weil wegen der Fußball-WM gleich drei Stadtautobahnen mitten durch Favelas gezogen werden, Zehntausende von Slumbewohnern ihre Behausung verlieren, vertrieben werden.“

Der Staat bietet ihnen an, in Billigblocks zu ziehen,  50 Kilometer entfernt, in einer Region ohne Schule, Hospital, öffentliche Verkehrsmittel.

Seit jeher zählte zu den wichtigsten Aufgaben der Favela-Pastoral, die Zerstörung von Armenvierteln zu verhindern. Jetzt, vor den Sport-Events, gilt das noch mehr. „Zwei Tage vor Weihnachten machten Planierraupen der Präfektur eine ganze Hüttensiedlung nieder – die Leute mußten im Freien kampieren!“

Das jüngste Blutbad zeigt, wie es um die Sicherheit der Rio-Bewohner steht. Die katholische Kirche Rio de Janeiros hat deshalb mit Kundgebungen und Demonstrationen der Opfer gedacht, zum Frieden aufgerufen.

Padre Lopes macht deshalb folgende Rechnung auf: “Alle mehr als eintausend Favelas von Rio de Janeiro haben gravierende Gewaltprobleme – der Staat müßte dort etwa 200000 Sicherheitsbeamte stationieren – tut es aber nicht. Wie die Investitionen für Fußball-WM und Olympische Sommerspiele in Rio zeigen, sind Mittel durchaus vorhanden – aber eben nicht für soziale Zwecke, nicht für menschenwürdige Behausungen. Wie kann man angesichts so vieler drängender Probleme soviel Geld für Sportevents ausgeben, die nur ganz kurze Zeit dauern!“

Er weist auf die friedensstiftende Bedeutung des einwöchigen Weltjugendtreffens von 2013 mit dem Papst. „WM und Olympische Spiele sind kommerzielle Ereignisse, wird es für die Besucher teuer, braucht man Eintrittskarten für die Stadien. Beim Jugendtreffen indessen sind Unterbringung und Verpflegung gratis, werden sich bei den vielen Gottesdiensten und Veranstaltungen unter freiem Himmel alleine am Strand der Copacabana rund drei Millionen Menschen versammeln können.

Brasiliens Menschenrechtsministerin Maria do Rosario räumte wegen des neuesten Blutbads von Rio ein, daß bei den Heranwachsenden des Landes Gewalt die Haupt-Todesursache sei. Die katholische Kirche hatte deshalb bereits vor Jahren eine „Kampagne gegen Gewalt und gegen die Ausrottung von Jugendlichen“ gestartet. Priester Geraldo Nascimento zählt zu den Wortführern, den Organisatoren.

“Wir wollen, daß die ganze Welt sieht, was hier vor sich geht. Der brasilianische Polizeiapparat dient nicht dem Verteidigen der Bevölkerung – alle Arten von Verbrechen existieren weiter, weil die Polizei verwickelt ist.“

Dieser Beitrag wurde am Sonntag, 27. November 2011 um 14:34 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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