Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Brasiliens Gefangenenseelsorge – der deutsche Pastor Wolfgang Lauer.

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1624771/

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http://brueckenbauer.blogspot.com/2011_05_01_archive.html

 

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„Jeden Tag wird in Brasilien gefoltert.“ Ausriß 2011

In nicht wenigen deutschsprachigen Analysen über das erste Amtsjahr von Dilma Rousseff ist offenbar verboten, die gravierende Menschenrechtslage, darunter Folter und Todesschwadronen, auch nur zu erwähnen. 

http://www.bundestag.de/dasparlament/2010/12/Beilage/006.html

Hintergrund:

„Häftlinge in Stücke gehackt“

Brasiliens  bischöfliche Gefangenenseelsorge bringt alltäglichen Gefängnis-Horror vor UNO und Organisation Amerikanischer Staaten in Washington

„Ein historischer Moment für uns, ein Durchbruch“, freut sich der italienische Priester Xavier Paolillo, „erstmals werden wir auch bei der UNO gehört, nimmt man unsere Anklagen ernst.“ Paolillo leitet im Küsten-Teilstaat Espirito Santo die bischöfliche Gefangenenseelsorge, ist zudem Vizepräsident des dortigen Menschenrechtsrates, erhält seit Jahrzehnten Morddrohungen, stand schon ein ganzes Jahr lang rund um die Uhr unter Polizeischutz. Denn aus tiefer christlicher Überzeugung widmet er sich einem der gravierendsten Probleme des Tropenlandes, das nur zu viele im In-und Ausland lieber verdrängen, macht sich gerade unter den Politikern mehr und mehr Feinde. „Häftlinge werden in Stücke gehackt, anderen wird das Herz herausgerissen, wir finden Leichen ohne Knochen, Leichenteile in Müllkübeln – dazu kann man doch nicht schweigen“, bricht es aus ihm heraus. „Wir kämpfen seit über zehn Jahren in Espirito Santo für ein Gefängnissystem, das die Menschenwürde respektiert – doch jahrelang hat man uns ausgelacht. Die Regierung des Teilstaats wischte unsere Anzeigen und Faktenberichte vom Tisch, verlangte Beweise.“ Für Paolillo und die mit ihm verbündeten Menschenrechtsaktivisten beginnt daraufhin eine besonders komplizierte Etappe. Wie soll man Fotodokumente der Kerker-Greuel beschaffen, wenn die Mitnahme von Kameras bei den Anstaltsbesuchen strengstens verboten ist, ein Einschmuggeln an den peniblen Einlaßkontrollen scheitern würde? Doch es gelingt – gleichgesinnte Angestellte des Gefängnisapparates spielen Paolillo aussagekräftige Bilder zu, die den UNO-Menschenrechtsexperten letzten Monat im Genf die Sprache verschlagen. Nun hoffen Brasiliens Bürgerrechtler auf Druck durch die Weltgemeinschaft, damit den rund eine halbe Million  Gefangenen wenigstens einigermaßen humane Haftbedingungen garantiert werden. Anwalt Bruno Alves de Souza, enger Mitstreiter von Priester Paolillo, schaut in Genf während seines Vortrags in entgeisterte, empörte Gesichter. „Viele mochten garnicht glauben, daß in brasilianischen Gefängnissen die Häftlinge gefoltert und sogar geköpft werden, man die Täter nicht ermittelt“, sagt Souza nach seiner Rückkehr aus der Schweiz. „Dabei sind diese Tatsachen doch seit vielen Jahren bekannt. Wir wurden immer wieder gefragt, wie denn diese Szenen des Horrors in einer weltweit anerkannten Demokratie, unter der Lula-Regierung,  möglich seien. Für die Fragesteller in der UNO-Menschenrechtskommission schienen offenbar alle Probleme Brasiliens gelöst.“ Am Tage vor der Anhörung, so sickerte durch, wird Anwalt Souza von Brasiliens Botschaft in der Schweiz in die Mangel genommen, will man ihn dazu bewegen, die Zustände in einer abgeschwächten Form zu präsentieren. Doch der Bürgerrechtler gibt nicht nach.

Auch Priester Paolillo setzt der geringe Informationsgrad in Europa über Brasiliens Realitäten immer wieder in Erstaunen. Denn über ein Jahr vor der UNO-Anhörung war er mit dem Beweismaterial in die Hauptstadt Brasilia gereist, hatte alles dem Nationalkongreß, dessen Menschenrechtskommission unterbreitet, unverzügliche Maßnahmen angesichts dieser gravierenden Verfassungs-und Gesetzesverstöße gefordert. „Man muß sich das vorstellen – in Zellen für 30 Häftlinge werden über 300 gepfercht, beträgt die Temperatur teilweise über 50 Grad. Ganze Gefängnisse bestehen nur aus Metallcontainern und haben die Struktur von Konzentrationslagern. Männer und Frauen hausen mit Ratten, werden nicht medizinisch betreut. Die hygienischen Bedingungen, der Gestank sind unbeschreiblich. Wegen der Folter kommt es immer wieder zu Selbstmordversuchen, ein Jugendlicher hat jetzt aus Verzweiflung versucht, sich zu verbrennen, andere betreiben Selbstverstümmelung.“

 Brasilien ist das Land mit der weltweit viertgrößten Häftlingszahl, die Hälfte davon garnicht abgeurteilt. Da allein im Teilstaat Espirito Santo laut Anwaltsverband pro Tag ein Gefangener ermordet wird, heißt dies nur zu oft, daß völlig Unschuldige die Untersuchungshaft nicht überleben. Sogar am Tage der Genfer UNO-Anhörung starb ein mißhandelter Häftling an seinen Verletzungen. Wieviele Brasilianer in der Haft tatsächlich umkommen, gar zerstückelt werden, läßt sich von der bischöflichen Gefangenenseelsorge nicht ermitteln. „Wegen der Vertuschungspolitik erfahren wir nur von einem Bruchteil der Fälle, werden wir nur zu oft in Gefängnisse garnicht hineingelassen.“

Priester Paolillo, der zum italienischen Comboni-Orden gehört,  stellt klar, daß eine Resozialisierung garnicht versucht wird. Etwa 90 Prozent der Häftlinge seien Arme und Verelendete, die man nur zu oft wegen lächerlicher Bagatelldelikte einsperrte. „In Brasilien reicht nach wie vor aus, etwa im Supermarkt billige Nahrungsmittel, ein paar Rasierklingen oder ein Haarshampoo zu stehlen, um für lange Zeit hinter Gitter zu kommen.“ Verhängnisvoll nennt der Priester, psychisch Kranke einzusperren, außerdem körperlich starke Häftlinge über schwächliche, kränkliche herrschen zu lassen. Das schaffe Strukturen der brutalen Unterwerfung und des Machtmißbrauchs.

“Für uns ist sehr enttäuschend, wenn Regierungspolitiker aus Macht-und Parteiinteressen zu den Menschenrechtsverletzungen schweigen, nichts unternehmen. Jetzt sind wir allein im Teilstaat Espirito Santo fünf kirchliche Menschenrechtsaktivisten, die man umbringen will. Immer wieder hat man unbequeme Priester erschossen und dies offiziell als Raubmord hingestellt.“

Anwalt Souza soll ebenfalls liquidiert werden, beklagte sich im Interview über fehlenden Schutz für Menschenrechtsverteidiger wie ihn. Kurz darauf hat er Polizeischutz erhalten. Brasiliens Bürgerrechtler mutmaßen, daß der Regierung natürlich klar ist, wie die Weltgemeinschaft auf die Ermordung eines Anwalts, der bereits vor der UNO auftrat, reagieren würde – und unternahm schleunigst die nötigen Schritte.

Padre Paolillo und seinen Mitstreitern macht zudem Hoffnung, daß als Resultat ihres Kampfes und ihrer Aufklärungsarbeit viele Brasilianer heute offenbar umdenken. Denn in Deutschland entfällt statistisch pro Jahr auf 100000 Einwohner ein Mord – in Paolillos Stadt sind es indessen 98 Getötete.

“Gemäß einer neuen Umfrage meinen heute 75 Prozent der Bewohner meines Teilstaates, daß ein humaner Strafvollzug die Resozialisierung fördert und die entsetzliche Gewalt auf den Straßen vermindert. Diese 75 Prozent wenden sich gegen die allgemeine Auffassung, daß man Häftlinge wie Tiere behandeln muß, weil sie Verbrechen begingen. Denn ein sadistisches Haftsystem vervielfacht doch nur die Gewalt in den Gefängnissen und auf der Straße.“

Wer mit Menschenrechtsaktivisten der Gefangenenseelsorge spricht, bemerkt sofort, daß ihre Arbeit tiefe Spuren in der Psyche hinterläßt. Priester Paolillo ist keine Ausnahme. “Was wir in den Gefängnissen an menschlichen Dramen miterleben, läßt uns viele Nächte nicht schlafen – all der Horror geht einem immer wieder durch den Kopf. Und der entsetzliche Geruch der Gefängnisse sitzt mir auch nach Tagen noch tief in den Poren, der ganze Körper ist davon imprägniert. Um all dies aushalten und weiterkämpfen zu können, hilft mir der Glaube, das Wort Gottes, das Licht des Evangeliums.“ 

Der Padre konstatiert, daß nach den Anhörungen in Genf und Washington sogar hohe Beamte des brasilianischen Justizapparats nicht mehr umhinkommen, den Gefängnishorror einzugestehen. „Das ist ein Verbrechen des Staates gegen die Häftlinge – monstruös, ein Fall grauenhaften Prestigeverlustes für das Land“, sagte jetzt überraschend Minister Cezar Peluso, der in Kürze Präsident des Obersten Gerichtshofs wird, gegenüber der Qualitätszeitung „O Estado de Sao Paulo“. Auch dieses Eingeständnis läßt Brasiliens kirchliche Menschenrechtsaktivisten hoffen.

Jesus Christus in Mariana, Minas Gerais(Brasilien). **

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/04/26/osterprozession-2011-in-ouro-preto-gesichter-brasiliens/

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http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1421022/

Dieser Beitrag wurde am Samstag, 10. Dezember 2011 um 16:50 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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