“ O Globo“ in Rio berichtet über das makabre Wettverhalten in der Zuckerhutstadt am Tag nach dem Flugzeugunglück von 2007, das 199 Menschenleben forderte:“ Ontem, as bancas de jogo do bicho do Rio tiveram de cotar as centenas 447(elefante) e 330(camelo). Ou seja, só pagariam metade do premio caso desse um ou outro, tamanha a quantidade do gente que apostou no numero do voo da Air France e no do modelo do Airbus que desapareceu no Atlantico. Meu Deus…“
Im Orkut wurden makaber-entsetzliche „Humor“-Seiten über das Flugzeugunglück plaziert, u.a. mit dem Titel „Churrasco da TAM“.
Flugzeugunglück und Lachen: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/03/08/glucklich-sein-im-tropenland/#more-202
Hintergrundtext von 2003:
Brasiliens Feuerballon-Freaks riskieren mit ihrem Irrsinnsleidenschaft bewußt-fahrlässig sogar Flugzeugabstürze
Wilson Costa sitzt auf seinem Copacabana-Balkon, säuft ein Zuckerrohrschnäpschen, genießt die erfrischende Abendbrise – da kracht vor ihm ein zwanzig Meter hoher Feuerballon in den völlig ausgetrockneten Hangwald. Silvesterraketen, Böller aller Art explodieren, in Minuten lodern Flammen. Er rennt zum Telefon, alarmiert die Feuerwehr. Weil die sich wie üblich sehr viel Zeit nimmt, greifen solange Costa und die anderen Nachbarn der Rua Santa Clara zu Schlauch und Eimer, richten jedoch kaum etwas aus. Vorne an der Strandavenida ruft alles Ah und Oh, die Touristenmeile hat eine Zusatzattraktion, wenigstens sind es keine Banditenschießereien der Hangslums. Doch was da brennt, ist Naturschutzgebiet mit seltenen, vom Aussterben bedrohten Löwenäffchen, Stinktieren, Fledermäusen, richtigen Vampiren und einer Unzahl brütender Vögel. Tags darauf sind Costa und die Nachbarn verärgert, bedrückt. Das Feuer machte den meisten Tieren den Garaus, die putzigen Äffchen kommen nicht mehr an die Garagen, um sich mit Bananen füttern zu lassen; Jungtiere, Jungvögel verkohlten, zerfielen zu Asche. „Alles wegen dieser beknackten, verantwortungslosen Ballonfreaks, an denen alle Aufklärungskampagnen abprallen!“, schimpft Anwalt Andrè Amorim. Es hätte schlimmer kommen können – mit Mühe und Not gelingt den Feuerwehrleuten, die Flammenwand vor einem nahen Slum zu stoppen; Tausende hätten ihre armseligen Behausungen verloren. Ein wunderschöner Juliabend, Vollmond – ich gehe wie viele Cariocas auf der Promenade direkt unterm Zuckerhut spazieren, schaue auf die Baia da Guanabara. Gelächter, lautes Stimmengewirr aus der offenen Bar „Garota da Urca“, Fußballfans debattieren davor mit dem Bierbecher in der Hand, Angler schauen konzentriert ins Dunkel, wild knutschende Pärchen auf der Mauer vorm Penthaus von Superstar Roberto Carlos. Gegenüber düst eine vollbesetzte Boeing auf Rios Santos-Dumont-Airport zu, das passiert alle paar Minuten. Doch von links aus Richtung Zuckerhut taucht plötzlich fliegender Feuerzauber auf, droht dem Jet in die Quere zu kommen. Von meinem Standort aus scheint eine Kollision fast unabänderlich. Doch der Pilot drückt die Boeing zügig nach unten, landet sicher, nur Sekunden später schlägt der „Balao de Fogo“ neben der Startbahn auf, verglüht, Feuer lodern noch mindestens eine Viertelstunde. Ob die Airportfeuerwehr eingriff, kann ich nicht erkennen. Bei stärkerem Wind wäre in dieser Nacht ein Zusammenstoß dringewesen – seit Jahren Horrorvision in den Cockpits. Denn so ein bis zu sechzig Meter hoher Feuerballon wiegt eine halbe Tonne und schießt, wenn er Rio überfliegt, nicht selten an die einhundertünfzig Kilo Feuerwerksraketen ab. Toll sieht das aus, ein Meisterstück – anfangs bin ich ebenfalls begeistert, klatsche Beifall, finde das Schauspiel klasse, rufe mit den anderen „Olhai!“, mache Passanten auf das Himmelsspektakel aufmerksam. Doch dann attackieren mich Berufspiloten:“Was meinst Du denn, was passiert, wenn ein vollbesetzter Lufthansa-Langstrecken-Airbus beim Landeanflug auf so einen Ballon trifft? Ein Wunder, daß noch keine Katastrophe geschah!“ Denn wegen der niedrigen Anfluggeschwindigkeit sind abrupte Ausweichmanöver nicht mehr drin. Da wird mir mulmig, schließlich sitze ich regelmäßig in solchen Fliegern. Der Experte von der Luftraumüberwachung des Internationalen Airports auf der Ilha do Governador ist genauso schwer beunruhigt und empört wie die Piloten, erklärts mir genau:“Das Aufschlagsgewicht eines mittleren Ballons läge bei mindestens dreißig Tonnen. Wenn so ein oft in den Wolken versteckter Balao de Fogo mit seinen Feuerwerkskörpern und Gasbehältern die Maschine streift, gar in eine Turbine gerät – was dann geschieht, kann sich jeder leicht ausmalen.“ Das Dumme – die Ballons sind mit Radar nicht zu orten. Schon 1996 stürzen über zwanzig dieser „fliegenden Brandbomben“ direkt aufs Airport-Gelände, im Jahr darauf bereits über hundert. An Feiertagen starten die Ballonfreaks besonders gerne ihre gefährlichen Dinger. So gehen allein am Muttertag 1998 gleich zwanzig Ballons zwischen Düsenjets aller Größen herunter, es brennt überall, die Feuerwehr hat voll zu tun, Schläuchegewirr auf den Pisten, überall Löschwasserströme. Ein ausländischer Pilot bricht den Start ab, tritt hart auf die Bremsen, als vor ihm so ein Riesending auftaucht, ruft den Tower an:“Was ist denn hier los, sowas habe ich noch nie gesehen!“ Den Passagieren hinter ihm ist ebenfalls überhaupt nicht wohl. Mitte der Neunziger fordern Swissair, Lufthansa und andere Linien Brasiliens Behördern erstmals auf, zwecks Vermeidung von Flugzeugkatastrophen endlich wie vorgeschrieben, gegen die Ballonstarter vorzugehen. Die IATA weist alle angeschlossenen Airlines auf die auch über Sao Paulo und Belo Horizonte genauso drohende Gefahr hin. Denn die ist real – 1995 wird ein argentinischer Jet über Sao Paulo von einem Ballon gestreift, gottseidank geht das glimpflich aus. Einige Gesellschaften wollen daraufhin ihre Flüge in die Zuckerhutmetropole sogar stoppen, lassen sich jedoch von den brasilianischen Autoritäten beschwatzen, davon abbringen. Wie üblich, siehe Menschenrechte oder Amazonasvernichtung, wird nicht Wort gehalten. 1998 etwa schweben mehr Feuerballons als je zuvor im Luftraum, zwingen Piloten zu jähen Kursänderungen. Ich höre es von Nachbarn, Freunden, kriege es mit eigenen Augen mit – selbst Volksfeste, Einweihungen und natürlich die Fußballweltmeisterschaft sind willkommene Anlässe, um die farbenprächtigen Kunstwerke aufsteigen zu lassen. Brigadegeneral Mauro Gandra, Präsident des Syndikats der nationalen Fluggesellschaften spielt erneut den Rufer in der Wüste, warnt vor „bisher unbekannten Katastrophen der Zivilluftfahrt über den Großstädten“, erläutert die Wirkung aufprallender Ballon-Gasbehälter. Auf dem Airport kann man jene dreiunddreißig speziell ausgebildeten Feuerwehrleute beobachten, wie sie rund um die Uhr damit beschäftigt sind, anfliegende Ballons per Fernglas zu erkennen, mühselig mittels Stangen und Hochdruck-Wasserstrahlen möglichst von Pisten und Treibstofftanks fernzuhalten – was offensichtlich selten gelingt – wie am Muttertag. Unweit des Airports stehen Großraffinerien – deren Ballon-Warntrupps konnten bisher eine Katastrophe verhindern, Feuer aber nicht. Allein in Brasiliens Festmonat Juni stürzen schließlich pro Tag drei fliegende Brandbomben aufs Werksgelände. Garnicht weit von der Airport-Insel Ilha do Governador liegt das kleine idyllische Eiland Paqueta – wäre ich an einem wunderschönen Sonntag erst mit dem letzten Dampfer in die Stadt zurückgefahren, hätte mich wohl eine besonders fulminante Explosion halbwegs erwischt. Denn offenbar ist es ein Balao de Fogo, der in der Baia da Guanabara aufs größte Munitionslager der Kriegsmarine fällt, eine Kettenreaktion auslöst, die mehrere Tage andauert. Ein Depot nach dem anderen fliegt in die Luft, sogar mit Napalm, mit Exocet-Raketen, nahebei auf den Ausflugsdampfern geraten die Leute nicht nur wegen des enormen Feuerscheins, des unaufhörlichen Krachens, sondern auch wegen der Druckwellen in Panik, die jedes Schiff hin-und herwedeln. Ich sitze schon im Stadtteil Lapa auf dem Balkon, wundere mich, wo urplötzlich diese starken Böen herkommen, Bananenstauden, Baumäste abbrechen. Hinter mir, in der City, immerhin zwölf Kilometer vom Munitionsdepot entfernt, zersplittern in Geschäftshäusern die Scheiben, fallen auf die belebte Avenida Rio Branco am Opernhaus. Doch die Ballonfans ficht all dies nicht an – ihre landesweit rund achthundert Clubs mit etwa siebzigtausend Mitgliedern halten sogar Jahreskongresse ab, lassen dabei hunderte Ballons aufsteigen, getreu dem Motto, daß erst richtig scharf macht, was verboten ist. Runter kommen die Dinger immer, jedes Jahr gibts deshalb auch mehr Waldbrände.1997 sind es allein im Teilstaat Rio de Janeiro fast fünftausend; die schlecht bezahlten und noch schlechter ausgerüsteten Bombeiros riskieren deshalb immer öfter ihr Leben. Ballons fallen in entlegene Täler, Wasser kann dorthin nicht mitgenommen werden, Löschflugzeuge gibts nicht. Die Lösung: Feuer gegen Feuer – von den Bombeiros selber wird Urwald abgefackelt, um einen Isolationsgürtel zu schaffen, an dem sich der eigentliche große Waldbrand totläuft. Gerne lassen die Freaks ihre Werke um den Zuckerhut herum schweben – da war es nur eine Frage der Zeit, bis ein Ballon in das kleine Naturschutzgebiet am Granitkegel fällt, auch dort Flora und Fauna vernichtet. Läßt sich dieser Irrsinn nicht durch Polizei und Umweltbehörden verhindern, fragten sich viele. Zumal die letzten Jahre kein geringerer als Brasiliens Grünen-Präsident Alfredo Sirkis auf dem Chefsessel von Rios Umweltsekretariat saß. Der bekleckert sich überhaupt nicht mit Ruhm, wendet auch das Gesetz gegen Ballonstarter nur äußerst lahm an. Zwar werden jährlich hunderte Baloes de Fogo beschlagnahmt, doch ist das nur ein Bruchteil der gestarteten. Theoretisch muß ein „Baloeiro“ für drei Jahre hinter Gitter – nur ist das noch niemandem passiert. 1999 appelliert Oberstleutnant Josè Luis Knoller, Kommandant des Bataillons der schwerbewaffneten Forstpolizei inständig an die Bewohner Rios, doch Ballonverstecke mitzuteilen. Es gibt sogar eine spezielle Telefonnummer dafür. Nur sind die allermeisten Anrufe von Ballonfreaks, die sich einen Spaß daraus machen, falsche Adressen zu nennen, damit das Bataillon auf Trab zu halten, unnütz in Rios enormem Stadtgebiet herumzuscheuchen. Was Comandante Knoller besonders beunruhigt: Immer mehr junge Leute zwischen dreizehn und fünfundzwanzig Jahren werden Baloeiros, fahren zu den entferntesten Festivals in dem Riesenland. 1999 wird in Rio wieder eine Anti-Ballon-Kampagne ausgerufen, zwei Tage später brennt das erste Naturschutzgebiet, haben sechzig Feuerwehrleute die ganze Nacht voll zu tun, die Flammen von menschlichen Siedlungen fernzuhalten. Denn der Ballon geht wieder mal direkt neben Häusern runter, und wieder fliegen zuerst zentnerweise Böller und Raketen in die Luft, versetzen Leute in Angst und Schrecken. Auch kultursoziologisch durchaus hochinteressant, solche Ballonstarts. Bei den „Festivals der Ignoranz“ machen immerhin selbst Reiche, hohe Militärs, Richter und sogar die Verbrechersyndikate mit, lassen sich die Herstellung eines einzigen Riesenballons bis zu umgerechnet fünfzehntausend Euro kosten. Einmal geht so ein immenses Ding im Andarai-Slum hoch, der vom Comando Vermelho beherrscht wird. Darunter hängen in kilometerweit lesbarer Leuchtschrift die Namen der zwei Gangsterbosse Danielle und Feijao, welche grade Geburtstag haben, sowie von dreien ihrer vielen Geliebten. Alles wunderschön, in wochenlanger Kleinarbeit von den Slumbewohnern entworfen, komponiert, zusammengebastelt – wers dann schließlich an Rios Nachthimmel sah, zusammen mit dem Ballon-Feuerwerk, vergißt es so bald nicht wieder. Beim Streit um Ballons schießen sich regelmäßig Freaks über den Haufen, Unfälle sind sehr häufig: 1996 sieht in Rio beim Ballonstart ein Vater den neben ihm stehenden kleinen Sohn in Flammen aufgehen und sterben, der einen offenen Eimer mit Benzin trug. 1997 fällt ein Ballon mitten in Rios Zentrum auf eine Hochschwangere, die ganz knapp überlebt. Eine Matratzenfabrik wird komplett zerstört, auch ein großes Möbellager – in einem Autodepot brennen einhundertfünfzig Neuwagen aus, ein von Ballons verursachter Kurzschluß legt die ganze Innenstadt mit ihren zahllosen Banken, Firmensitzen, Kaufhäusern lahm. Manchmal kommen die Ballons gar nicht hoch, explodieren gleich unten, im Gewühl zwischen Garküchen und Schnapsbaracken der traditionellen Juni-und Juli-Feste, Eltern werfen sich über ihre Kinder, Menschen mit Brandwunden schreien vor Schmerz. „Das ist unsere Kultur der bewußten Fahrlässigkeit“, sagt mir ein Carioca, „schließlich erschießt sich auch alle paar Tage jemand beim Russisch Roulette.“ Daß wie im niederländischen Enschede ganze Lager mit Feuerwerkskörpern in die Luft fliegen, jeweils zwanzig und mehr Menschen sterben, kommt nicht nur in Rio regelmäßig vor. Auch in Sao Paulo ist ebensowenig Verlaß auf die Ordnungshüter: Militärpolizisten beschlagnahmen immer mal wieder mit finsterer Amtsmiene die schönsten Ballons, starten sie dann mit den Kumpels im Garten als Höhepunkt der Grillfete. Skurril-Bizarres gehört zu Brasiliens Alltag, fehlt Deutschland in diesen Dimensionen fast völlig. Deshalb mußte es in Rio de Janeiro irgendwann zu diesem Zwischenfall kommen: Wegen der zunehmenden Umweltschäden durch Feuerballons trifft sich die staatliche Naturschutzbehörde zu einer Dringlichkeitssitzung, um über Gegenmaßnahmen zu beraten. Die Tagung wird ein Desaster, alle Fachleute müssen fluchtartig das Weite suchen – ein Balao de Fogo ist auf das Gebäude gestürzt, das Dach brennt lichterloh. Seit über zwei Jahren ist die sozialdemokratische Arbeiterpartei PT des gewählten Präsidenten Luis Inacio „Lula“ da Silva im Teilstaat Rio de Janeiro mit an der Regierung, seit Jahresanfang ist die Sektenanhängerin Benedita da Silva sogar Gouverneurin. Hatte unter „progressiver“ PT-Oberhoheit der Feuerballonspuk endlich ein Ende? Ganz im Gegenteil – da die Gouverneurin nicht gewillt ist, die Macht der hochgerüsteten Verbrechersyndikate über die riesigen Slums zu brechen, starten von dort aus weiterhin Ballons jeder Größe in Rios Nachthimmel. In Sao Paulo, von der PT-Präfektin Marta Suplicy regiert, zeigt das Fernsehen Mitte November 2002 einen riesigen Feuerballon, der abends stundenlang vom Wind getrieben in den Einflugschneisen der Stadtflughäfen schwebt, erst nach Stunden irgendwo ins Häusermeer der Megametropole kracht. Kommentar des TV-Moderators: „Wieso wird dieser Irrsinn nicht verhindert – dieser Ballon kann bei dem extrem dichten Flugverkehr über Sao Paulo jederzeit einen Absturz mit vielen Toten verursachen – was denken sich diese Ballonstarter eigentlich!“
« Greenpeace: Lula-Regierung profitiert als Aktionär von Amazonas-Abholzung. Staatliche Entwicklungsbank an Fleisch-Kühlhäusern beteiligt, die von Abholz-Großfarmen beliefert werden. Fleisch nach Europa, USA, China. – „Celso Amorim: Der Süd-Nord-Vermittler“. Handelsblatt. „Brasilien ist nicht mehr Peripherie.“ »
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