Lula – Ausriß Landesmedien 2015.
Seit dem Amtstritt von Lula 2003 hat sich der Entwicklungsabstand zwischen Brasilien und mitteleuropäischen Staaten wie Deutschland von Jahr zu Jahr deutlich spürbar vergrößert. Während Mitteleuropa seine Produktivität und Effizienz stetig erhöhte, blieb Brasilien immer stärker zurück, koppelte sich wegen der Rückschrittsmentalität seiner Machteliten regelrecht ab. Kurios, daß dies u.a. von mitteleuropäischen Politikern und dem dortigen gesteuerten Mainstream sogar als Fortschritt verkauft wurde.
Lula, Oktober 2015.
Lula-Wahltricks – Beifall für UNO-Generalsekretär in New York wird in PR-Spot als dröhnender Applaus für Lula ausgegeben:http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/22/wahltricks-in-brasilien-beifall-fur-uno-generalsekretar-in-new-york-wird-in-pr-spot-als-drohnender-applaus-fur-lula-ausgegeben/
Brasilien bewegt den Bundespräsidenten: Während seines Besuchs zeigte sich Joachim Gauck beeindruckt von der Aufbruchstimmung im Land. Regierungssender Deutsche Welle 2013 – angesichts überall sichtbarer Krisenzeichen.
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Westerwelle trifft Lula: …Westerwelle bezeichnete Brasilien nach dem Treffen als „Land mit enormer Autorität in der ganzen Welt“, das in die zentralen Entscheidungsprozesse eingebunden werden müsse…Ausdrücklich meldete er auch Interesse an einer Mitwirkung beim Ausbau der zivilen Nutzung von Atomenergie in Südamerikas größtem Land an. „Wir Deutsche haben die Technologie und hervorragende erfahrene Firmen, die dabei unterstützen können“, so Westerwelle. Derzeit verfügt Brasilien in Angra dos Reis, rund 150 Kilometer südwestlich von Rio am Atlantik, nur über einen einzigen AKW-Standort. Allerdings gibt es ehrgeizige Pläne für einen deutlichen Ausbau der Atomenergie.“Deutsche Welle
Sogar US-Präsident Bush und IWF-Chef Horst Köhler waren nach ersten Treffen positiv überrascht vom ehemaligen Bürgerschreck, der sich vom Schlosser zum Präsidenten der größten Wirtschaftsmacht Lateinamerikas hochgearbeitet hat.
Angela Merkel und Dilma Rousseff 2015 – keinerlei Kritik an gravierender Menschenrechtslage unter Lula-Rousseff:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/08/18/merkel-in-brasilia-2015-zusammenarbeit-im-umwelt-und-klimabereich-als-thema-der-konsultationen-offiziell-angekuendigt-obwohl-brasilien-unter-lula-rousseff-durchweg-nur-eine-zerstoererische-umw/
Brasiliens Menschenrechtspriester Julio Lancelotti und Angela Merkel:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/08/24/brasiliens-menschenrechtspriester-julio-lancelotti-verurteilt-schweigen-von-angela-merkel-und-ihrer-regierungsdelegation-zu-gravierenden-menschenrechtsverletzungen-im-tropenland-doppelmoral-abolu/
Ausriß, SPD-Video. “Mit der SPD bin ich schon seit den Zeiten verbunden, als ich Gewerkschaftsführer war.”
Vorwurf, Lula sei Informant der Diktatur-Geheimpolizei Dops gewesen: http://www.hart-brasilientexte.de/2014/02/12/brasilien-die-folterdiktatur-lula-und-die-arbeiterpartei-pt-rufmord-ein-kapitalverbrechen-buch557-seiten-mit-schweren-vorwurfen-gegen-lula-macht-schlagzeilen/
Lula und die Militärdiktatur – was bei mitteleuropäischen Rechten offenbar hervorragend ankam:http://www.hart-brasilientexte.de/2014/02/01/brasilien-2014-50-jahre-nach-dem-militarputsch-von-1964-historiker-erinnern-an-sympathie-der-folterdiktatur-fur-lula-militardiktator-golbery-uber-lula-%E2%80%9Cder-mann-der-brasiliens-linke-vern/
Laut brasilianischen Quellen machte Lula zur Diktaturzeit Kurse bei der US-Dachgewerkschaft AFL-CIO, richtete 2013 an deren Kongreß eine Botschaft: http://www.youtube.com/watch?v=w1l8X-64PwM
Zudem machte Lula Gewerkschaftskurse 1973 an der John Hopkins Universität in Baltimore, bekam Übersetzer gestellt – alles bezahlt von VW do Brasil, den Angaben zufolge. Für diese Kurse sei Lula von der Militärdiktatur ausgewählt worden. Auf einem Fest von General Golbery mit Unternehmern habe man zum ersten Mal Lula dem hohen Militär vorgestellt.
Lula lobt Folterdiktatoren: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/04/24/staatschef-lula-lobt-erneut-folterdiktatoren-nach-dem-deutschstammigen-general-geisel-diesmal-general-medici/
„Sogar US-Präsident Bush und IWF-Chef Horst Köhler waren nach ersten Treffen positiv überrascht vom ehemaligen Bürgerschreck, der sich vom Schlosser zum Präsidenten der größten Wirtschaftsmacht Lateinamerikas hochgearbeitet hat.“ DW
Der unter Hitler groß und mächtig gewordene Volkswagen-Konzern – nach 1990 nun auch in Ostdeutschland entsprechend präsent, sogar in Dresden. Warum sich auch dort kaum jemand für die Rolle von Volkswagen in nazistisch-antisemitisch orientierten Militärdiktaturen Lateinmerikas interessiert – und für die Rolle von Willy Brandt(SPD), Helmut Schmidt(SPD), Genscher etc. in diesem Kontext:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/09/24/was-vw-so-gut-an-nazi-kriegsverbrecher-und-judenmoerder-franz-stangl-gefiel-1959-in-brasilien-ausgerechnet-als-werkschutzchef-zur-niederhaltung-und-kontrolle-aufmuepfiger-politisch-engagierter-arbei/
Unter Staatschef Lula war es trotz der zahlreichen schwerwiegenden juristischen Argumente zu keiner Amtsenthebung gekommen – jetzt droht diese Dilma Rousseff.
„Brasilien
Lulas Traumfee
„Lula Superstar“:http://www.sueddeutsche.de/politik/brasiliens-praesident-in-deutschland-lula-superstar-1.150002
Brasiliens erfolgreiche Auslandspropaganda:http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/01/brasiliens-erfolgreiche-auslandspropaganda-2009-uber-40-millionen-euro-investiert-laut-brasil-economico-enge-zusammenarbeit-mit-medien-europas/
„Brasilien lacht über Lula-Deppen in Deutschland“. Der gezielt und gesteuert um Lula und Rousseff in Ländern wie Deutschland erzeugte Personenkult regte in Brasilien u.a. Schriftsteller wie Joao Ubaldo Ribeiro zu zahlreichen ironischen Kommentaren an:
Wer als mitteleuropäischer Journalist nicht bereit war, sich an der bizarren Personenkult-Kampagne zu beteiligen, mußte damit rechnen, abgeschaltet zu werden, von Redaktionen keine Aufträge mehr zu bekommen. Wer indessen massiv Lula-PR mitbetrieb, hatte davon zahlreiche, u.a. finanzielle Vorteile.
Viel internationales Lob und Auszeichnungen für Lula.
Nach der Enthüllung des Mensalao-Skandals um Abgeordneten-und Parteienkauf war die Popularität von Lula in Mitteleuropa, darunter in der NGO-Szene, deutlich gewachsen, was auf entsprechende Wertvorstellungen schließen ließ.
Wertvorstellungen an der EU-Spitze.
Viel Lob für Lulas Regierungsstil aus der EU – “…dieser ehrliche Mann, integer und bewundernswert”:
Vor dem Hintergrund der gravierenden Menschenrechtslage und anderer Negativfaktoren im Lande erhielt Lula zahlreiche hohe ausländische Auszeichnungen: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/06/lula-erhalt-in-paris-am-27-september-ehrendoktor-der-sorbonne-melden-landesmedien-interessante-sorbonne-auswahlkriterien/
Billiger Boff-Agitprop für Lula – auch den straff gesteuerten deutschen Mainstream-Medien jahrelang stets höchst willkommen.
Frei Betto zu möglichem Rücktritt von Rousseff:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/08/09/ich-fuerchte-staatspraesidentin-dilma-rousseff-wird-zuruecktreten-brasilien-wichtigster-katholischer-befreiungstheologe-und-politikexperte-frei-betto-in-folha-interview-brasilien-durchlebt-ei/
Robert Kappel im Rundfunkinterview 2015
Nach dem Motto “Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern” wird unter dem Druck der Fakten sowie wegen außenpolitischen Kontexten 2015 überraschend die Berichterstattungslinie auffällig geändert, kann sogar ein Wirtschaftsexperte wie Prof.Dr. Robert Kappel geradezu sensationell erstmals Richtigstellungen anbringen. In einem Rundfunkinterview sagt Kappel im August 2015 wörtlich: “Brasilien hat durch die starke Korruption und durch eine meines Erachtens auch falsche Wirtschaftspolitik den Anschluß verloren, weshalb es ja über Jahre hinweg negatives Wachstum hat…Sie haben es nicht geschafft, sich zu industrialisieren, die Industrie zu modernisieren…Und von daher hat Brasilien die letzten zehn Jahre durch eine falsche Wirtschaftspolitik verloren.”
Wer sich die Mühe macht, etwa per Internet-Suche zu erkunden, wie der deutsche Mainstream, darunter der Radio-Mainstream, noch unlängst über das angebliche Boomland Brasilien berichtete, wird angesichts der Analyse von Robert Kappel aus dem Staunen nicht wieder heraus kommen. Denn Kappel bezieht sich ausdrücklich auf die letzten zehn Jahre – und betont sogar, daß Brasilien über Jahre hinweg eine schrumpfende Wirtschaft zu verzeichnen hat. Dies ist umso bemerkenswerter, da Kappel somit offizielle brasilianische Regierungsangaben der letzten Jahre anzweifelt: Erst für 2015 wird offiziell Rezession eingeräumt, für 2014 wurde das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts mit 1,5 %, für 2013 mit 2,74 %, für 2012 mit 1,76 % angegeben. Kappel verfährt damit nicht anders als unabhängige brasilianische Wirtschaftsexperten, während selbst der deutsche Wirtschaftsmainstream stets offizielle Wachstumsangaben für bare Münze nahm. Der deutsche Experte bezieht sich offenbar auf brasilianische Experten-Quellen der letzten zehn Jahre, die in deutschen Medien bisher unterschlagen wurden.
Merkel und Brasilianisierung Deutschlands:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/10/08/brasiliens-gewalt-gesellschaftsmodell-rd-60000-morde-2014-offiziell-398-polizeibeamte-durch-anschlaege-in-gefechten-umgekommen-laut-neuer-statistik-warum-die-berliner-merkel-regierung-just-bras/
Laut brasilianischen Medien wurden hohe Parteikader der Arbeiterpartei PT Lulas u.a. von mitteleuropäischen Parteien geschult.
Ausriß – José Dirceu, längst im Knast – war sogar als möglicher Nachfolger von Lula im Gespräch. Rechts Dilma Rousseff.
José Genoino, verurteilt wegen Bandenbildung und aktiver Korruption, auf einem von der Friedrich-Ebert-Stiftung mitveranstalteten Symposium 2005: http://www.reginaldolopes.com.br/?pagina=integra&secao=juventude&cd_noticia=186
„Lula und der herzliche Faschismus auf brasilianisch“:http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/14/lula-und-der-herzliche-faschismus-auf-brasilianisch-jose-arbex-in-zeitschrift-caros-amigos-wir-erleben-die-barbarei-in-unserem-alltag/
Spektakuläres, politisch unkorrektes Gesetz gegen Indianer-Verbrechen erlassen:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/10/09/brasilien-2015-spektakulaeres-politisch-unkorrektes-gesetz-gegen-indianer-verbrechen-von-abgeordnetenhaus-in-brasilia-erlassen-buerger-staatliche-institutionen-und-ngo-muessen-indio-verbrechen-anz/
Vorwurf, Lula sei Informant der Diktatur-Geheimpolizei Dops gewesen: http://www.hart-brasilientexte.de/2014/02/12/brasilien-die-folterdiktatur-lula-und-die-arbeiterpartei-pt-rufmord-ein-kapitalverbrechen-buch557-seiten-mit-schweren-vorwurfen-gegen-lula-macht-schlagzeilen/
Fotoserie:
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/
“Doutor Lula”(O Estado de Sao Paulo)
“Der in Paris an Lula verliehene Ehrendoktortitel ist ein Witz oder Frucht der gewaltigen Ignoranz über die Vorgänge in unserem Land.”
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1624771/
Lula Dezember 2012 in Berlin: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/11/30/ig-metall-ladt-lula-zu-festveranstaltung-anfang-dezember-nach-berlin-ein-vom-armenhaus-zur-boomregion-lateinamerikas/
In seiner beliebten Sonntagskolumne, die landesweit in verschiedensten Qualitätszeitungen Brasiliens abgedruckt wird, reflektiert Joao Ubaldo Ribeiro unter der deutschen Überschrift “Lula der Grosse” sarkastisch-ironisch über die Unmöglichkeit, Deutschen etwas Brasilien-Realität zu vermitteln, die offenbar kritiklos Lula-Propaganda verinnerlicht haben. Ribeiro beginnt mit einem Taxifahrer Berlins, gemäß dessen Aussage unter Präsident Lula Brasilien radikal verändert worden sei, befreit von Rückständigkeit und fürchterlichen Verhältnissen, “in denen unser Volk zuvor lebte, angefangen bei der öffentlichen Gesundheit. Beinahe hatte ich nicht die Courage, ihm ein wenig zu widersprechen, und erklärte ihm, falls er brasilianische öffentliche Hospitäler besuchte, würde er sich vielleicht nicht vom Schrecken erholen – denn so sei es nun einmal nicht. Aber er hörte ja garnicht auf meine Antwort. Ich entdeckte, daß ich in einem Taxi der PT saß, oder zumindest in dem eines fanatischen Lulisten. Oder daß wohl die Regierungspropaganda hier im Fernsehen gezeigt worden war. Wie es aussieht, ist die Popularität des Mannes nun mit Macht nach Berlin gekommen.” Der Taxifahrer habe sich mit dem Ausruf “Lula!” verabschiedet.
Leonardo Boff kritisiert das Urteil des Obersten Gerichts, die Vorgehensweise des schwarzen Präsidenten des Obersten Gerichts, Joaquim Barbosa. Es sei bestraft worden gegen die Prinzipien des Rechts. http://site.adital.com.br/site/noticia.php?lang=PT&cod=78939
Boffs Kritik sagt sehr viel über ihn selbst, seine Wertvorstellungen.
Ausriß, SPD-Video. “Mit der SPD bin ich schon seit den Zeiten verbunden, als ich Gewerkschaftsführer war.”
Lula hatte als Gewerkschaftsführer 1979 während des Militärregimes offenbar zur Freude der alten und neuen Rechten erklärt: ”Hitler irrte zwar, hatte aber etwas, das ich an einem Manne bewundere – dieses Feuer, sich einzubringen, um etwas zu erreichen. Was ich bewundere, ist die Bereitschaft, die Kraft, die Hingabe.”
Willy Brandt und sein Diktatur-Amtskollege José Magalhaes Pinto: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/19/brasiliens-folter-diktatur1964-1985-mit-wem-bundesausenminister-willy-brandt-damals-bilaterale-vertrage-unterzeichnet-das-massaker-an-stahlarbeitern-unter-gouverneur-jose-magalhaes-pinto/
1968 schenkt Willy Brandt dem brasilianischen Diktaturchef, General Costa e Silva, eine goldene Uhr, laut Veja: “…Presidente Costa e Silva, logo depois de receber, do Chanceler Willy Brandt, da Rep?blica Federal da Alemanha, um rel?gio de ouro de presente.”
“Brasilien schreibt Weltgeschichte – BILD.DE ERKLÄRT DAS WIRTSCHAFTS-WUNDERLAND.”
Ribeiro bemerkte auch bei anderen Gesprächspartnern ähnlichen “Lulismus” wie beim Taxifahrer – “sie mochten keinen Widerspruch hören – und Lula ist noch mehr Teflon-verkleidet als in Brasilien, nichts gegen ihn bleibt haften. Wie soll man erklären, daß unsere Indikatoren für menschliche Entwicklung unter den niedrigsten der Welt sind? Wie soll man erklären, daß unsere Statistiken gewöhnlich trügerisch-irrig sind und daß wir, in Bezug auf öffentliche Gesundheit, ebenfalls zu den schändlichen Schlußlichtern zählen?”
“Jeden Tag wird in Brasilien gefoltert.” Ausriß 2011http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/20/joao-ubaldo-ribeiro-gesichter-brasiliens/
Gleiches gelte, so Ribeiro in der Kolumne weiter, für die automatische Versetzung an Schulen. “…und die Tatsache, daß eine erschreckend hohe Zahl von Brasilianern, die zur Schule gingen, weder das Lesen noch Schreiben, noch das Lösen einer einfachen Rechenaufgabe lernten?” Ribeiro bekam von seinen deutschen Gesprächspartnern indessen zurück, daß es so nicht sei – “sie läsen die Nachrichten und wüßten die Wahrheit. Wenn Deutschland einen Regierungschef wie Lula hätte, wäre das ein Glück. Das habe ich denen nicht gesagt, dachte das nur so bei mir – und hatte noch eine bessere Idee. Warum importieren sie nicht Lula, damit er sie regiert? Sicher würde er bekannt als Lula der Grosse”…Solcher Export, so Ribeiro abschließend, wäre eine enorme Wohltat. “Für Brasilien, nicht für Deutschland, dachte ich bei mir – aber habe es denen wiederum nicht gesagt.”
Ausriß O Globo, Rio de Janeiro.
Laut Brasiliens Qualitätsmedien sind unter Lula die Ausgaben für Regierungspropaganda enorm erhöht worden – was auch in Ländern wie Deutschland nicht ohne Wirkung blieb.
“In der Ersten Welt weiß man nichts über Brasilien, das gilt auch für die Deutschen. Doch umgekehrt gilt es auch für die Brasilianer in Bezug auf Deutschland. Wenn man die Mehrheit der Deutschen, überhaupt die Mehrheit der Leute in der Ersten Welt bittet, mal was über Brasilien zu sagen, dann kommt: Ach so, ja, Pelé, äh, Fußball, Karneval, äh, Nackte. Die Hauptstadt? Ãh, Rio de Janeiro. Die wissen nichts!” (Joao Ubaldo Ribeiro)
“Ausgedachte Wirklichkeiten: Die Distanz des politischen Journalismus zur tatsächlichen Politik war nie zuvor so groß wie heute.” Frankfurter Allgemeine Zeitung 2013
“Zwischen 2004 und 2007 wurden in Brasilien mehr Menschen gewaltsam getötet als in den 12 wichtigsten kriegerischen Konflikten der Erde dieser Jahre…Der Schauplatz der Gewalt, die harte Realität der Slumperipherien, veränderte sich wenig.” Miguel Reale Junior, Rechtsexperte, Ex-Justizminister, in Qualitätszeitung O Estado de Sao Paulo 2013
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/
Die Qualitätszeitung “O Globo” in Rio de Janeiro veröffentlicht auf der Nebenseite von Joao Ubaldo Ribeiros Kolumne einen Leitartikel zur Lage in den öffentlichen Hospitälern – und schlußfolgert, daß an Hospitalinfektion jährlich fast doppelt so viele Brasilianer umkommen wie US-Soldaten im gesamten Vietnamkrieg.
“Idoso morre na porta de hospital esperando socorro” (O Globo, Überschrift vom 26.9.2011 über Beitrag aus Rio de Janeiro zum Tod eines Kranken, der vor der Tür des Rio-Hospitals wegen unterlassener Hilfeleistung starb. Wenn Brasilianer wie Joao Ubaldo Ribeiro derartige Fakten gegenüber “gebildeten” Deutschen präsentieren, winken diese auf die beschriebene Weise ab, wissen es “besser”.
Nicht nur Brasiliens Schriftsteller Joao Ubaldo Ribeiro macht die Erfahrung in Ländern wie Deutschland – daß solche Fakten inzwischen dort schlichtweg abgestritten werden, ist unterdessen recht bekannt. Nicht anders steht es um die Sichtweisen zur Wirtschaft Brasiliens.
“Die Image-Fabrikation”:
Wie Brasiliens wichtigste Qualitätszeitung “O Estado de Sao Paulo” die Kolumne von Joao Ubaldo Ribeiro illustriert.
Uraltkritik an Lula – erstmals von der “Zeit”:
http://www.berliner-journalisten.com/heft12_artikel4.php
“Folter noch jeden Tag.”(2011)
Tags: Brasilien, Claude Lévi-Strauss, Traurige Tropen
“Für die europäischen Städte bedeutet der Verlauf der Jahrhunderte einen Aufstieg; für die amerikanischen dagegen bedeuten schon wenige Jahre einen Niedergang.. Denn sie sind nicht nur neu erbaut: sie sind erbaut, um sich mit derselben Geschwindigkeit zu erneuern, in der sie errichtet wurden, das heißt schlecht…Sao Paulo galt damals als eine häßliche Stadt.”
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/
2013 startet Deutschlandjahr in Brasilien: http://www.alemanha-e-brasil.org/de
Ausriß, Rio-Lokalzeitung, Scheiterhaufen-Opfer, 7.11.2012. http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/668242/
Joachim Gauck in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/17/brasilien-historischer-besuch-des-deutschen-bundesprasidenten-joachim-gauck-im-tropenland-trotz-gravierender-menschenrechtslage-folter-todesschwadronen-gefangnis-horror-sklavenarbeit-etc-b/
Guido Westerwelle in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/12/26/guido-westerwelle-war-gestern-der-spiegel-westerwelle-in-brasilien-keinerlei-kritik-an-gravierenden-menschenrechtsverletzungensystematische-folter-todesschwadronen-liquidierung-von-menschen/
Pelé und die Folterdiktatur: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/12/31/fusball-wm-2014-in-brasilien-grose-auch-in-mitteleuropa-bejubelte-fusballidole-pele-was-in-den-allermeisten-pele-texten-immer-fehlt/
Warum Lula in Ländern wie Deutschland viele Sympathisanten eines bestimmten politischen Spektrums hat – Lula war Informant der Diktatur-Geheimpolizei Dops, laut neuem Buch: http://www.hart-brasilientexte.de/2014/02/12/brasilien-die-folterdiktatur-lula-und-die-arbeiterpartei-pt-rufmord-ein-kapitalverbrechen-buch557-seiten-mit-schweren-vorwurfen-gegen-lula-macht-schlagzeilen/
Heikle Menschenrechtsfragen offenbar bewußt ausgeklammert – darunter Lulas traditionell sehr gute Beziehungen zu Rechtsextremen.
Insider der Arbeiterpartei PT betonen, Lula sei einst von den deutschen Automultis aufgebaut worden.Dies würde die Sonderstellung dieser Unternehmen in Brasilien, die vielfältigen staatlichen Vergünstigungen erklären, betonen brasilianische Wirtschaftsfachleute.
Kritik an Veranstaltung mit Lula und Steinmeier – Systemkritiker “rasch entfernt”: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/12/08/brasiliens-ex-prasident-lula-in-berlin-2012-brasilianer-in-berlin-weisen-auf-fehlende-kritische-fragen-an-lula-ua-angesichts-der-verurteilung-von-engen-lula-mitarbeiternmensalao-skandalheikle/
Steinmeier und sein Parteigenosse Willy Brandt – dessen enge Beziehungen zur nazistisch-antisemitisch orientierten Folterdiktatur Brasiliens: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/19/brasiliens-folter-diktatur1964-1985-mit-wem-bundesausenminister-willy-brandt-damals-bilaterale-vertrage-unterzeichnet-das-massaker-an-stahlarbeitern-unter-gouverneur-jose-magalhaes-pinto/
Bodo Ramelow und die Wertvorstellungen seiner SPD-Partner:http://www.hart-brasilientexte.de/2014/12/05/bodo-ramelow-und-die-wertvorstellungen-seiner-spd-partner/
“Willy Brandt ans Fenster”(1970). Im Jahr vor dem Erfurter Treffen hatte Willy Brandt das Kulturabkommen sowie das Wissenschafts-und Technologieabkommen mit der Folterdiktatur Brasiliens unterzeichnet. http://www.brandtschool.de/
Brasilien – Daten, Statistiken:http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/
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2013 waren laut offiziellen Angaben sogar 408 Polizeibeamte ermordet worden. Vor diesem Hintergrund hatte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle 2013 bei seinem Staatsbesuch in Brasilien betont: “Brasilien ist mit seiner Lebendigkeit, Kreativität und kulturellen Vielfalt ein ungemein inspirierender Partner, der gleichzeitig durch Exzellenz in Wirtschaft und Wissenschaft besticht.”
Derzeit unternimmt die deutsche Regierung große Brasilianisierungsanstrengungen: https://de.wikipedia.org/wiki/Brasilianisierung
Feuergefecht in Rio: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/17/krieg-auf-dem-morro-dos-macacos-von-rio-de-janeiro-youtube-anklicken-bope-im-einsatz/
Blutbeseitigung in Straßenbar nach Massaker, Ausriß, Lokalmedien.
Blutbäder dieser Art gehören zum Alltag Sao Paulos, ganz Brasiliens – viele werden offiziell garnicht registriert, auch von Medien nicht gemeldet.
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Im Wettbewerbsranking des Weltwirtschaftsforums ist damit Brasilien unter den BRICS-Staaten am schlechtesten – Indien Platz 55, Südafrika Platz 49, Rußland Platz 45, China Platz 28. (Schweiz auf Platz 1) Unter den wettbewerbsfähigsten Ländern Lateinamerikas rangiert Brasilien jetzt nur noch auf Platz 7.
Brasilien Anteil am Welt-Außenhandel erreicht den Angaben zufolge derzeit lediglich 0,8 Prozent. Die statistischen Daten stehen in kuriosem Gegensatz zum überschwenglichen Lob, das Brasilien wegen seiner Wirtschaftslage die letzten Jahre u.a. von deutschen Politikern, vom straff gesteuerten deutschen Wirtschaftsmainstream erhalten hatte.
Ausriß.
Hintergrund:
Merkel, Menschenrechte, Atomkraft-Kooperation:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/08/21/merkel-rousseff-und-entschlossenheit-sich-weiterhin-fuerdie-friedliche-nutzung-der-kernenergie-einzusetzen-wie-der-wwf-reagiert-merkel-und-rousseff-haben-ein-klares-bekenntnis/
Der Menschenrechtspriester und das Schweigen der deutschen Delegation:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/08/24/brasiliens-menschenrechtspriester-julio-lancelotti-verurteilt-schweigen-von-angela-merkel-und-ihrer-regierungsdelegation-zu-gravierenden-menschenrechtsverletzungen-im-tropenland-doppelmoral-abolu/
Ausriß, Lokalmedien. Zehnjähriger Junge in angeblich befriedeter Slumregion “Complexo do Alemao” in Rio de Janeiro im April 2015 von MG-Salve getroffen.
Zu den Kuriositäten im Deutschland von heute zählt, daß immer noch manche Bürger meinen, was Politiker öffentlich sagen und verbreiten lassen, sei identisch mit dem, was sie tatsächlich denken und vorhaben. So begreifen offenbar nach wie vor viele Deutsche nicht, daß es sich bei der gegenwärtigen “Flut von Asylbewerbern” um eine langfristig und planmäßig vorbereitete Aktion der deutschen Machteliten und ihrer Politmarionetten handelt – mit entsprechenden wirtschaftlichen sowie soziokulturellen Zielen zwecks Transformation Deutschlands.
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Deutschlands “Lügenmedien” hatten zwecks ideologischer Vorbereitung des gegenwärtigen massenhaften Asylantenimports jahrelang in regelrechten Agitprop-Kampagnen bizarr-groteske, absolut realitätsfremde Mythen und Klischeevorstellungen über Mentalität und soziokulturelle Werte der betreffenden Ausländer verbreitet – erwartungsgemäß war dieser Agitprop in Ostdeutschland auf erheblich mehr Skepsis und Ablehnung gestoßen als in Westdeutschland.
Merkel und die Brasilianisierung Deutschlands:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/08/18/brasilien-praesentiert-vor-merkel-ankunft-2015-sehr-anschaulich-sein-gewalt-gesellschaftsmodell-mord-und-ueberfallserien-in-rio-und-sao-paulo-feuergefechte-brennende-busse-chaos-und-panik-verschi/
Deutscher Bundespräsident Joachim Gauck 2013 von Zuständen in Brasilien regelrecht begeistert: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/17/brasilien-historischer-besuch-des-deutschen-bundesprasidenten-joachim-gauck-im-tropenland-trotz-gravierender-menschenrechtslage-folter-todesschwadronen-gefangnis-horror-sklavenarbeit-etc-b/
http://www.welt-sichten.org/artikel/221/der-hoelle-hinter-gittern
Brasilien – strategischer Partner der Berliner Regierung – Fotoserie zum Gewalt-Gesellschaftsmodell:
Merkel-Außenminister Westerwelle zu “gemeinsamen Werten” 2010 in Sao Paulo:
“Die brasilianische Regierung, mit der Autorität ihrer Erfolgsgeschichte im Hintergrund, sie macht ihr Wort in der Weltpolitik…Aber, meine Damen und Herren, was uns verbindet, das sind gemeinsame Werte. Und wenn man gemeinsame Werte hat, wenn man Ansichten zur Rechtsstaatlichkeit, zur Notwendigkeit internationaler Kooperation, zum Primat des Völkerrechts teilt, so ist das eine ganz besonders verlässliche Basis für eine strategische Partnerschaft. Wir haben ähnliche Vorstellungen über den Wert individueller Freiheit…”
Was ist “Brasilianisierung”?https://de.wikipedia.org/wiki/Brasilianisierung
Brasilianisierung des Westens ist eine vom deutschen Soziologen Ulrich Beck Ende der 1990er Jahre in diesoziologische Debatte eingeführte Kurzformel für den von ihm vermutetensozialen Wandel Europas in Richtung einer zunehmenden sozialen Ungleichheit. So sagt er: Brasilianisierung meint den Einbruch des Prekären, Diskontinuierlichen, Flockigen, Informellen in die westlichen Bastionen der Vollbeschäftigungsgesellschaft. Damit breitet sich im Zentrum des Westens der sozialstrukturelle Flickenteppich aus, will sagen: die Vielfalt, Unübersichtlichkeit und Unsicherheit von Arbeits-, Biographie- und Lebensformen des Südens.[1]
Der Begriff wurde auch durch Franz Josef Radermacher in der Forderung nach einer Änderung des politischen Systems in Richtung einer weltweiten ökosozialen Marktwirtschaftaufgegriffen.[2]
Beck sieht als Folge der Globalisierung unter dem neoliberalen Paradigma eines vollständig freien Marktes Tendenzen zur Veränderung der Schichtung postindustrieller westlicherGesellschaften in Richtung auf eine Angleichung der Arbeitskultur an die Standards der Entwicklungsländer und auf einen Zerfall der Bürgergesellschaft voraus. Seine Skizze sagt somit den europäischen Staaten einen Entwicklungsrückgang voraus, der sich – seit den 1920er Jahren vorweggenommen – im (zu Europa relativen) Abstieg etlicher lateinamerikanischer Staaten bereits durchgesetzt hat, charakterisiert durch eine Zerrüttung der Mittelschichten, eine Öffnung der Einkommensschere und durchArmutsszenarien, die bislang nur aus Ländern der Dritten Welt bekannt waren. Brasilien, aber auch Chile, Argentinien, Uruguay oder Costa Rica könnten hier genannt werden.
-http://www.hart-brasilientexte.de/2008/12/10/brasilianisierung/
“Laut Beck droht die Brasilianisierung des deutschen Arbeitsmarktes”.
:http://gazette.de/Archiv2/Gazette10/Radermacher.html
DIE ZEIT:
…Brasilianisierung bedeutet für Beck, daß immer mehr Menschen ohne sozialen Schutz, als Scheinselbständige oder schlicht schwarz arbeiten, daß oft mehrere Jobs zum Überleben notwendig sind und daß Gewerkschaften nichts mehr zu sagen haben. “Länder der sogenannten ,Vormoderne’ mit ihrem hohen Anteil an informeller, multiaktiver Arbeit können den sogenannten ,spätmodernen’ Ländern des Kernwestens das Spiegelbild vorhalten”, schreibt Beck. Früher zeigte der Norden dem Süden, wie man arbeitet, heute ist es umgekehrt…
Brasilianisierung erst in den USA – dann beim Vasallen Deutschland – Hintergrundtext von 1997:
USA fürchten „Brazilianization“
Privilegierten-Ghettos als Gesellschaftsmodell
Übermannshohe Mauern, obendrauf zusätzlich Hochspannungs-Drahtverhaue, Überwachungskameras, mißtrauisch dreinblickende Privatpolizei mit Walky-Talkys am pompösen Tor – dahinter Villen oder luxuriöse Penthouse-Blocks, viel Grün, Swimmingpools, Tennisplätze: Brasiliens Betuchte schotten sich immer perfekter gegen Misere und ausufernde Kriminalität ab. Fährt der Dominikaner Frei Betto durch die besseren Viertel der 18-Millionen-Stadt Sao Paulo, kommt er immer wieder an solchen „Condominios fechados“, geschlossenen Wohnanlagen vorbei, nennt sie ironisch „Luxusgefängnisse“. Über dreihundert gibt es bereits im größten deutschen Wirtschaftsstandort außerhalb Deutschlands, die Nachfrage ist enorm, auf den Wartelisten stehen auch deutsche Manager. Kein Tag ohne ganzseitige Farbanzeigen in den großen Blättern:“Komm und lebe in Freiheit, Sicherheit, Grün!“ – ob im neuen „Swiss Park“, im „Liberty Village“, der „Ville Versailles“. Familienfreundlichkeit ist ein wichtiges Werbeargument:“Hier werden Deine Kinder wie VIPs behandelt!“. Zehn Megaprojekte, jedes mit durchschnittlich 1300 Villen-Geländen, sind brasilienweit im Bau. Vor sechs Jahren lebte nur rund eine halbe Million in solchen Privilegiertenghettos, heute etwa dreimal soviel. Nimmt man die abgesperrten Villen-Privatstraßen der besseren Viertel hinzu kommt man brasilienweit sogar auf über sechs Millionen. Allein Rio de Janeiros Südzone der Strandviertel zählt rund sechzig „Ruas fechadas“. Pionier-„Ghetto“ Sao Paulos war Alphaville, gegründet vor fast dreißig Jahren – heute eine Stadt in der Stadt mit rund vierzigtausend Bewohnern, einziges Condominio Brasiliens in dieser Größenordnung. Zwischen Lateinamerikas Wallstreet, der Avenida Paulista in Sao Paulos City, und Alphaville pendeln ständig komfortable Sonderbusse.
Alles nicht nur für den in Deutschland durch Bücher, soziologische Vorträge bekannten Frei Betto ein Absurdum: “Die Stadt sollte Ort des Zusammentreffens, Austauschs, der Solidarität sein – wurde stattdessen zur Geisel der Banditengewalt – mit Condominios provozierender Opulenz, eingekesselt von Misere. Wir sind Fußball-Weltmeister – aber unglücklichweise auch Weltmeister in sozialer Ungleichheit.“ Vierundsechzig Prozent des Volkseinkommens, so der einstige enge Berater von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva, seien in der Hand von nur zehn Prozent der Brasilianer, also von nur siebzehn Millionen. Ein Bauarbeiter, der solche “Luxusgefängnisse“ miterrichtet, verdient nur umgerechnet zwischen siebzig Cents und zwei Euro die Stunde, wohnt deshalb an der ausgedehnten Slumperipherie. „Anstatt die Ursachen von Misere, Armut und Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen, flieht Lateinamerikas Elite vor den Folgen eigener Politik, zieht es vor, den eigenen Reichtum herauszustellen, baut deshalb diese Condominios fechados, Inseln der Phantasie – voller Angst vor denen auf der Straße, vor dem öffentlichen Raum.“ Denn dort schlägt dieser Elite nur zu oft blanker Haß der in Jahrhunderten durch Elend Brutalisierten entgegen, wie Brasiliens größte Qualitätszeitung, die „Folha de Sao Paulo, kommentiert.
Die Gewaltbereitschaft vor allem der perspektivlosen Unterschichtsjugend ist so groß, daß etwa in Sao Paulo selbst Großdiskotheken und Samba-Ballhäuser nachts vorsorglich von schwerbewaffneter Militärpolizei und Munizipalgarde umstellt werden.
Man muß sich nur einige Basisfakten vor Augen führen: In Südamerikas reichster Stadt genießen gemäß einer neuen Präfekturstudie gerade 3,46 Prozent der Bevölkerung einen europäischen Sozialstandard und nur zehn Prozent den durchschnittlich asiatischen – doch über die Hälfte lebt wie in Afrika, fast ein Drittel wie in Indien. Etwa alle acht Tage entsteht ein neuer Slum, obwohl allein in der City ganze Wohnblocks, mit über vierzigtausend meist gutausgestatteten Appartements, teils seit sieben Jahren leerstehen. Besetzer werden gnadenlos von der Polizei herausgeprügelt.
Die größtenteils in Aachen aufgewachsene Afghanin Maryam Alekozai machte in einem Slum Sao Paulos, der jährlich über fünfhundert Mordtote zählt, ihr soziales Jahr, zeigte sich über die Sozialkontraste schockiert:“Tagsüber, nachts fallen Schüsse, immer wieder verlieren Kinder ihre Väter. Das ist hier gar nicht so anders wie damals in Afghanistan, als ich klein war. Der Unterschied zwischen einem fünfjährigen Mädchen hier und in Deutschland ist so groß! In den Augen der brasilianischen Kinder sehe ich Haß, ganz tiefen Haß – und Wut. Man blickt nicht in Kinderaugen, sondern eigentlich in Augen von Erwachsenen, die voller Aggressionen sind. Gewalt und Ungerechtigkeit, die in diesem Land herrschen, spiegeln sich in deren Augen – unübersehbar!“ In Sichtweite glitzernder Hightech-Geschäftshäuser und Condominios sind neofeudale Banditenmilizen, die Maschinenpistolen der NATO-Armeen tragen, unumschränkte Herrscher, terrorisieren Bewohner, verhängen Ausgangssperren – manche minderjährige Kindersoldaten Sao Paulos killten bereits bis zu vierzig Menschen. Immer wieder werden auch in Rio de Janeiro Slumbewohner, die sich dem Normendiktat widersetzen, zur Abschreckung lebendig verbrannt. Hätte Deutschland eine Gewaltrate wie Brasilien, würden dort jährlich nicht über tausend, sondern weit über zwanzigtausend Menschen umgebracht, befänden sich mehr als zehn Millionen illegaler Waffen fast jeden Kalibers in Privat-bzw. Gangsterhand.
–granatensichere Bunker im Penthouse –
Der neueste Hit – Spezialbunker in der Villa, im Luxusappartement, sogar granatensicher. Falls doch einmal hochspezialisierte Einbrecherbanden, Geiselnehmer die „erste Verteidigungslinie“ des Condominio fechado durchbrechen sollten, hätte man hier noch eine Rückzugsmöglichkeit. Kostenpunkt – ab umgerechnet 150000 Euro aufwärts. Damit es möglichst nicht soweit kommt, haben manche Condominios mehr als 180 Überwachungskameras in Korridoren, Treppenhäusern, Liften, Garagen, Sportanlagen, am Schwimmbad – Big Brother is watching you. Das Verrückteste – neuerdings haben vielerorts auch die Bewohner per Internet Zugang zum Monitor der Sicherheitsleute, können damit beobachten, was Nachbarn, Gäste gerade im Aufzug oder anderswo tun und treiben.
Lateinamerikas Betuchten geht es materiell prächtig. Die Zahl der brasilianischen Millionäre wuchs seit 1997 um die Hälfte, 2001 gar um zwölf Prozent – im Rest der Welt nur um drei. Brasiliens Vermögende bedankten sich beim sozialdemokratischen Staatschef und FU-Berlin-Ehrendoktor Fernando Henrique Cardoso – seine neoliberale Politik war für sie in dessen zweiter, bis Ende 2002 reichender Amtszeit besonders segensreich, förderte die Einkommenskonzentration enorm. Unter Lula ging es so weiter – gleich im ersten Amtsjahr schlitterte Brasilien zwar in die Rezession, verzeichnete Rekordarbeitslosigkeit, starken Reallohnverlust, doch immerhin fünftausend Betuchte wurden interessanterweise (Dollar-)Millionäre, erhöhten deren Zahl im Lande auf etwa neunzigtausend. Inzwischen sind es über hunderttausend. Unter den ersten zehn Milliardären des Erdballs sind auch zwei Brasilianer, leben wie die meisten Reichen in Sao Paulo, haben allerdings wie die anderen Begüterten an den traditionellen Elitedistrikten nicht mehr viel Freude. Entführungen gleich in Serie schlagen aufs Gemüt; auch fast alle ausländischen Manager, darunter die deutschen, fahren nur in gepanzerten Limousinen. Und nur in Indien gibt es mehr Arbeitslose als in Brasilien, Misere und Kriminalität nehmen unaufhörlich zu; pro Jahr werden selbst nach den geschönten offiziellen Daten in der immerhin vierzehnten Wirtschaftsnation über vierzigtausend Menschen ermordet. Da auch unter dem neuen sozialdemokratischen Staatschef Lula Slumwachstum und Arbeitslosigkeit bisherige Rekorde brechen, dauert die Flucht in die Condominios weiter an, freuen sich Baufirmen und Architektenbüros über ein regelrechtes „Boom-Fieber“.
Aber nehmen wir den Jugendlichen Alvaro, aus guter Anwaltsfamilie, der in Rio de Janeiros Strandviertel Barra da Tijuca realitätsfremd fast ständig hinter Gittern lebt – in einem weitläufigen Bilderbuch-Kondominium der Mittel-und Oberschicht mit allem Drum und Dran. Swimmingpools, Spiel-und Tennisplätze, Golfwiesen und etwas Park, ferner eine Bäckerei, eine Apotheke, ein Fitneß-Center und vor allem Sicherheit im Übermaß. Denn der ganze Condomínio ist von hohen Gitterstäben umgeben und wird von einer bewaffneten Spezialgarde überwacht – ein Berufsstand, dreimal so kopfstark wie die brasilianischen Streitkräfte. Auch Alvaros Familie hat natürlich mehrere Hausangestellte – am stabilen Portal mit den TV-Kameras werden sie wie andere Ortsfremde gefilzt, die Gutbetuchten lassen sich ihre Sicherheit jährlich nicht weniger als 28 Milliarden Dollar kosten.
Das Kontroll-Ritual an der Einfahrt erinnert an das von Militär-oder Geheimdienst-Objekten: Will ein Wagen hinein, wird er zunächst mißtrauisch beäugt, passiert dann die erste übermannshohe Sperre, die sich hinter ihm sofort wieder schließt. Doch die zweite Sperre wird erst nach eingehender Kontrolle des Wagens und seiner Insassen geöffnet.
Ein Fahrer bringt den jungen Alvaro morgens zur Privatschule, nachmittags zurück. Für ihn besteht kaum noch die Notwendigkeit, den Condomínio, gelegentlich „goldener Käfig“ genannt, zu verlassen, andere Viertel oder gar den nahen Atlantikstrand zu frequentieren. In Barra da Tijuca, einer Miami-Kopie für Neureiche und Aufsteiger, zählt Alvaro zu jenen Kids, die von Rest-Rio weit weniger kennen als der oberflächlichste Copacabana-Tourist. Das berühmte Opernhaus, Klöster und Kirchen der Altstadt haben sie bestenfalls auf Prospektfotos gesehen. Besorgte bildungsbeflissene Eltern organisieren deshalb regelmäßig Bustouren, die den Sightseeing-Trips für Ausländer aufs Haar gleichen – auch Alvaro mußte einmal mit. Sein bester Freund Patrick wohnt im selben Condominio, der Vater, ein Unternehmer, bedauert:“Mit meinen Geschwistern habe ich früher noch vor dem Elternhaus auf der Straße Fußball gespielt, sind wir mit dem Rad einfach so rumgefahren – für meine Kinder wäre das alles heute dort völlig unmöglich, wegen der Kidnapper und Straßenräuber viel zu gefährlich. Nur hier, im Condominio, brauche ich mir um sie keinerlei Sorgen zu machen.“
Schon absurd – in Barra da Tijuca werden die neuesten Wohnanlagen mit immer größeren Freizeitparks, Pools, Spaßbädern bestückt – als läge einer der schönsten, saubersten Strände der Welt nicht wenige Fußminuten entfernt. „Das ist der neueste Trend beim Condominio-Bau“, erläutert ein Chefarchitekt, „keineswegs zusätzlicher Luxus, sondern eine Notwendigkeit.” Denn die Zehn-Millionen-Stadt Rio sei nun einmal nicht sicher. Für Sao Paulo und die anderen Millionenstädte gilt das gleiche – und solange die Prominentenghettos noch nicht über Privatschulen verfügen, wird für Alvaros Altersgenossen an den College-Toren täglich ein Sicherheits-Zirkus veranstaltet, der Mitteleuropäern den Mund offenstehen läßt: Damit nach Schulschluß alle Privilegiertenkids wohlbehütet wieder zu ihren Condominios und Villen gelangen, wird beispielsweise am „Colègio Dante Alighieri“ Sao Paulos das halbe Viertel durch Militärpolizisten und Body-Guards abgeriegelt, sperrt die Verkehrspolizei sogar Straßen ab, damit die Panzerlimousinen zügig davonbrausen können. Auch diese Kids sagen stets, die Stadt nur wenig zu kennen.
Hat diese sogenannte Condominio-Generation ein bestimmtes Profil? Soziologen, Anthropologen haben sich der Frage bereits ausführlich gewidmet, Fallstudien angefertigt. Denn so nobel, kultiviert, geordnet, zvilisiert, wie manche denken, geht es in den Elite-Enklaven keineswegs zu – vieles erinnert vielmehr an Gepflogenheiten aus der Kolonialzeit. In einem Luxus-Condominio bei Sao Paulo bespielsweise wurden sogar schon Elf-und Zwölfjährige beim Haschischrauchen angetroffen, den Eltern offenbar egal. Gar nicht wenige erlauben zudem ihren Kindern, im Condominio mit dem schweren Wagen der Familie heraumzubrausen, dort sogar Rennen zu veranstalten. Natürlich versuchten die Wachleute einzugreifen, das Treiben unter Hinweis auf die Condominio-Ordnung zu beenden. Doch da griffen sofort die betuchten Eltern ein, verteidigten ihre Kids, verbaten sich solche Verbote. Und die schlechtbezahlten Wachleute ignorierten künftig alles, aus Angst, die Stelle zu verlieren. Gewöhnlich haben weder Militär-noch Zivilpolizei Zutritt zu den Condominios. Als ein besorgter Vater den ausufernden Konsum auch harter Drogen beenden wollte, deshalb eine Gruppe von Polizeibeamten hineinließ, wurde er von einer Elternkommission beinahe gelyncht: „Im Condominio bestimmen nur wir.“ Sogar Diebstähle werden in Brasiliens Reichenghettos vertuscht. Auch andere Straftaten, die außerhalb der Condominio-Mauern natürlich ein Fall für Justiz und Polizei wären, werden vergeben. Deshalb betont die angesehene Psychoanalytikerin Maria Rita Kehl, daß die schlimmsten Beispiele von Verantwortungslosigkeit und fehlender Bildung stets die nationale Elite liefere, seit jeher daran gewöhnt, mit einer Serie illegaler Praktiken verschiedenster Schwere zu leben. „Väter bieten dem Verkehrspolizisten ein Bestechungsgeld an, damit er von einer Bestrafung läßt, fordern in der Privatschule die Entlassung jenes Lehrers, der aus objektiven Gründen den Sohn nicht versetzte.“ Den Kindern werde von klein an gezeigt, daß sich mit Geld aber wirklich alles kaufen, erkaufen lasse. Und daß selbst aus Luxuskarossen immer wieder Flaschen, Büchsen anderer Müll auf die Straße geworfen werden, beobachtet jeder einmal in Brasilien – dieser Teil der Stadt, so Maria Rita Kehl, sei schließlich nicht ihrer, sondern jener „der anderen“. Zynismus und illegale Praktiken der Elite korrumpierten, bildeten für das Verbrechen sehr effizient einen beträchtlichen Teil der jungen Generation heran, schlußfolgert die Therapeutin. Elitekids, jene zukünftigen neoliberalen Entscheidungsträger der Mittel-und Oberschicht, werden in repräsentativen Studien als antisozial, superindividualistisch, apolitisch sowie zu Autoritarismus und Gewalt neigend beschrieben. Fast 98 Prozent nennen als allerersten Lebensinhalt einen guten Posten und ein hohes Gehalt, um absolut desinteressiert am Zustand und der Zukunft des Landes ein sorgenfreies Leben führen zu können. Ein Gefühl von Verantwortlichkeit für die soziale Misere, die kraß ungerechte Einkommensverteilung existiere nicht. Auffällig zudem, daß unter diesem Jugend-Segment der Einfluß der nordamerikanischen Kultur am stärksten sei.
Aber ist es wirklich nur das immer wieder herausgestellte Sicherheitsargument, das Betuchte in die Condominio-Ghettos zieht? Die Soziologin Ana Roberts verneint dies nach ausgedehnten Untersuchungen. Am meisten habe sie überrascht, daß es den Bewohnern sehr wesentlich um Status gehe. Wer im Condominio lebe, betone damit vor aller Welt, „ich bin anders“, gehöre zu den Privilegierten. Ebenso werde immer die „bessere Bildung und Erziehung der Kinder“ als Wohnargument betont. Auch da sind laut Ana Roberts große Zweifel angebracht, weil innerhalb des Condominios nur zu oft den Heranwachsenden kaum Grenzen gesetzt würden. Sie nannte den Fall einer Mutter, die ihr Kind zwar seit sage und schreibe drei Tagen überhaupt nicht gesehen habe, dennoch völlig unbesorgt sei – in der Gewißheit, daß es irgendwo im Condominio stecke.
–USA fürchten „Brazilianization“–
Michel Lind, Buchautor, neokonservativer Herausgeber der US-Zeitschrift „The New Republic“, hat diese seit Jahrzehnten existierenden Sozialstrukturen nicht nur in Rio, sondern auch in São Paulo ausgiebig studiert, im Buch „The Next American Nation“ eine ernste Warnung an seine Landsleute gerichtet:“ Wir befinden uns in einem besorgniserregenden Prozeß der Brasilianisierung, hin zu einem tyrannischen System immer ungleicherer sozialer Klassen.“ Für Lind bedeutet Brazilianization, “daß sich die dominierende weiße amerikanische Klasse innerhalb der eigenen Nation noch weiter in eine Art Barrikadennation zurückzieht – in eine Welt abgeschirmter Viertel mit Privatschulen, Privatpolizei, privater Gesundheitsbetreuung und selbst Privatstraßen.“ Nicht anders als eine lateinamerikanische Oligarchie könnten die reichen und mit wohlfeilen Kontakten ausgestatteten Mitglieder der herrschenden Oberschicht prosperieren – draußen das dekadente Amerika mit Ungleichheit und Kriminalitätsraten ähnlich Brasilien, all die Miserablen, Bettler, Straßenkinder. Und ebenso wie in Brasilien sei dann die Mehrheit der Schwarzen und Mischlinge in der Unterschicht anzutreffen – und zwar für immer.
Schon 1996 urteilte Victor Bulmer-Thomas, Direktor des Zentrums für lateinamerikanische Studien an der Londoner Universität:“Ebenso wie die alte französische Aristokratie, fühlen sich die Eliten Lateinamerikas nur dann erst richtig reich, wenn sie von Armen umgeben sind.“ Cristovam Buarque, Brasiliens neuer Bildungsminister, geht sogar soweit, die Eliteangehörigen nicht zu den Staatsbürgern zu zählen:“Die Ungleichheit zwischen Reichen und Armen, ob in Einkommen, Bildung, Wohnniveau, Transport, Freizeitverhalten, Ernährung und Umgangsformen, ist so gewaltig, daß die Elite im Grunde nicht mit am gleichen Tisch sitzt, nicht über die gleichen Themen spricht, nicht jenes Gefühl hat, zum selben Volk zu gehören…Im Brasilien des 21. Jahrhunderts sieht sich die Elite so entfernt vom Volke wie im 19.Jahrhundert.“
Kirchliche Soziologen wie Eva Turin aus Sao Paulo machen bei den vielen betuchten Deutschen der Megametropole ähnliche Haltungen aus:“Sie benehmen sich wie die Elite der Elite, noch über den reichsten Brasilianern, mischen sich nicht mit uns, solidarisieren sich nicht.“
–„Sklavenhaltermentalität“—
Brasiliens katholische Kirche hat die Abschottungs-und Ausgrenzungspolitik der Geld-und Politikerelite stets hart kritisiert – deutliche Worte kamen vor allem von dem deutschstämmigen Kardinal Aloisio Lorscheider und natürlich Kardinal Evaristo Arns in Sao Paulo, der die „Sklavenhaltermentalität“ immer noch tief verwurzelt sieht. Schwarze, Mulatten sind in Brasilien die typischen Slumbewohner und werden mittels eines verdeckten Systems der Apartheid am sozialen Aufstieg gehindert. Der zu PR-Zwecken noch von jeder brasilianischen Regierung um die Welt geschickte Multimillionär, Ex-Fußballspieler und Ex-Sportminister Pelè ist jene Ausnahme, die die Regel bestätigt. Die Brasilianisierungsdebatte wurde auch durch Roberto da Matta, einen der bekanntesten, derzeit in den USA lehrenden brasilianischen Anthropologen bereichert. Michel Lind habe die Dinge korrekt charakterisiert, die hierarchische Gesellschaftsstruktur genau beschrieben:“Die Elite hat immer Paris, London und New York viel mehr geliebt; im Grunde genommen heißt, zur Brasiliens Elite zu gehören, Ausländer im eigenen Land zu sein.“ Als schwerwiegendes Problem sieht Da Matta, daß die Oberschicht Brasilien nicht mag, „und was man nicht gern hat, kann man nicht kultivieren, pflegen.“
Seine Kollegin Teresa Caldeira hat über Condominios fechados sogar ein vielbeachtetetes Buch, „Stadt der Mauern“, geschrieben. Sie nennt es verhängnisvoll, daß sich die Elite einmauere, aus dem öffentlichen Raum der Städte zurückziehe, anstatt diesen zu verbessern.“Die Begüterten bewegen sich in gepanzerten Limousinen oder Helikoptern, mit Leibwächtern fort, kaufen in gutbewachten Shopping Centers ein, arbeiten in abgeschirmten Bürokomplexen, wohnen in den Condominios fechados.“
Der Vorgänger von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva, der heutige UNO-Berater und FU-Berlin-Ehrendoktor Fernando Henrique Cardoso, war gerne in den Condominios, mied die Slums, verdrängte die dortigen Zustände, den Banditenterror. Für Marcelo Rubens Paiva, Kolumnist der auflagenstärksten Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“, und Bestseller-Autor, ein besonders kurioser Sachverhalt: Der neoliberale Interessenvertreter der Oligarchien, Eliten war in den 50ern eingeschriebenes KP-Mitglied, ist gleichzeitig Großgrundbesitzer und Soziologe, der sich immer noch gelegentlich rühmt, einst als Dozent in Frankreich auch Daniel Cohn-Bendit unterrichtet zu haben. Für Paiva führte Cardoso eine Mitte-Rechts-Regierung aus Intellektuellen und Akademikern – auf dem Throne sitzend, schauten sie auf Brasilien aus der Distanz, seien der Ersten Welt indessen nahe.“ Bedenklich, daß Cardoso-Nachfolger Lula bislang einen sehr ähnlichen neoliberalen Kurs verfolgt, sich zum Vize den Milliardär und Großunternehmer Josè Alencar erwählte, der zu einer rechten Sektenpartei gehört. Vanilda Paiva, Schriftstellerin und Soziologie-Doktorin der Uni Frankfurt, schlußfolgert nicht zufällig, daß sich in der neoliberalen brasilianischen Gesellschaft heute „Ultraarchaisches mit Ultramodernem mischt.“
Unterdessen haben Sozialforscher und Demographen nachgezählt – über vier Millionen Nordamerikaner wohnen bereits in Condominios fechados a la Rio de Janeiro und Sao Paulo. In den USA werden die größten Fortschritte aus Kalifornien gemeldet – Braszilianization-Experte Dale Maharidge zeichnet es im neuen Buch „The Coming White Minority“ ausführlich nach: Weiße konzentrieren sich zunehmend in städtischen „Inseln“ – eingekreist von Minoritäten in regelrechten Enklaven und Ethno-Ghettos. Stabile Gitterstäbe vor sämtlichen Fenstern parterre und im ersten Stock – auch das wird in vielen nordamerikanischen Städten zunehmend normaler. Condominios fechados trifft man zunehmend häufiger in Johannesburg und Lagos, doch auch in anderen afrikanischen Millionenstädten schreitet diese Art der Ghettoisierung munter fort.
Bereits von deutschen Autoritäten erreichte Erfolge der Gewalt-und Kriminalitätsförderung:
Ausriß 2015. “So beherrschen Berliner Araber-Clans die Unterwelt”. Offenbar Stolz der Autoritäten von Regierung und Stadt auf bereits Erreichtes bei soziokultureller Transformation der deutschen Hauptstadt.
Sao Paulo, Avenida Paulista 2015. Schnüffel-Drogen befinden sich üblicherweise in Mineralwasserflaschen.
Brasilien – Kirche und Gesellschaft, Sammelbandtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/05/brasilien-%E2%80%93-kirche-und-gesellschaft-sammelbandtexte/
Crack-Kind auf den Stufen des Gebäudes der staatlichen Kulturbehörde des Teilstaats Sao Paulo. Cracksüchtige haben laut brasilianischen Gesundheitsexperten noch eine Lebenserwartung von etwa zwei Jahren.
Das u.a. in Deutschland kopierte Gewalt-Gesellschaftsmodell Brasiliens – wie es in der Alltagspraxis funktioniert. Zwei Tote am Eingang der Kathedrale von Sao Paulo, September 2015. Was sich in Ländern wie Deutschland sehr viele Verdränger-Deppen unter keinen Umständen vorstellen wollen…
Was bedeutet Brasilianisierung – Wikipedia:https://de.wikipedia.org/wiki/Brasilianisierung
http://www.hart-brasilientexte.de/2008/12/10/brasilianisierung/#more-1373
Brasilien und aktuelle Manipulationsmethoden:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/08/24/brasilien-und-aktuelle-manipulationsmethoden-wie-medienkonsumenten-teils-ueber-jahrzehnte-fuer-dumm-verkauft-werden-mottowas-kuemmert-mich-mein-geschwaetz-von-gestern-prof-robert-kappel-darf-na/
Menschenrechtspriester Julio Lancelotti vor Tatort-Treppe der Kathedrale – bei Gottesdienst am 23.8. 2015 – vor der Protestaktion am nahen Justizpalast.
John Neschling, Komponist und Dirigent:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/09/04/john-neschling-der-neue-hoehenflug-des-dirigenten-und-komponisten-in-sao-paulo-seit-anfang-2013-kuenstlerischer-leiter-des-teatro-municipal-dank-neschling-inzwischen-wohl-bestes-opernhaus-lat/
Hintergrundtexte der Lula-Rousseff-Ära:
Lula und die Wunderheiler-Scharlatane
Brasiliens Eliten halten den Milliardär und Vize-Staatschef Alencar bisher aus Korruptionsskandalen heraus
Selbsternannte Sekten -„Bischöfe“ als Popstars, Großaktionäre, Fraktionschefs, Stimmenkäufer, Massen-Wunderheiler – in Brasilien, dem eigentlichen Land der unbegrenzten Möglichkeiten, geht fast alles. Daher hielt es der Ex-Arbeiterführer und jetzige Staatschef Luis Inacio Lula da Silva wohl für eine intelligente Idee, ausgerechnet die politisch aggressivste Sekte mit ins Regierungsboot zu holen. Die sogenannte „Universalkirche vom Reich Gottes“, gegründet vom kleinen Lotterieangestellten und jetzigen „Bischof“ Edir Macedo, dominiert Lulas wichtigsten Koalitionspartner, die rechtskonservative „Liberale Partei“(PL). In den jetzt aufgedeckten Skandalen um Stimmenkauf und Mittelabzweigung, die die Lula-Regierung ins Wanken bringen, spielt neben Lulas Arbeiterpartei die PL eine besonders zwielichtige Rolle. Auffällig indessen – Lulas Vize Josè Alencar, ein Milliardär und Großunternehmer, der die Militärdiktatur unterstützte und die Landlosenbewegung MST geradezu haßt, gehört zwar zur PL, wird von den Eliten aus den jetzigen Korruptionsskandalen völlig herausgehalten, in der aufgeheizten öffentlichen Diskussion so gut wie gar nicht erwähnt – offensichtlich ein Fall von Mediensteuerung. Wie bekannt wurde, gelangten dubiose Gelder in Millionenhöhe an Politiker über eine große Werbefirma, dessen Mitbesitzer ein enger Verwandter von Alencar ist. Über ein Amtsenthebungsverfahren gegen Lula reden die Politiker bisher nur hinter vorgehaltener Hand. Denn Teilen der Unternehmerschaft graust vor dem Gedanken, daß nach Lulas Sturz dann Alencar die Geschicke des Landes leiten würde, die Wirtschaft durcheinanderbringen könnte.
Die katholische Kirche, aber auch die Sozialbewegungen des Tropenlandes, hatten Lula bereits im Wahlkampf von 2002 immer wieder vor einer solchen dubiosen Allianz mit der PL gewarnt. „Die Universalkirche ist jetzt in der Klemme, weil jedermann sieht, wie Religion für politische und finanzielle Zwecke mißbraucht wird“, analysiert der Soziologe Rogerio de Carvalho vom religionswissenschaftlichen Forschungsinstitut CERIS in Rio de Janeiro. „Zahlreiche Kongreßabgeordnete und Senatoren der Universalkirche sind in Schmiergeldaffären verwickelt, bei ihr saß das Geld schon immer sehr locker.“ Sie werde wie eine Privatfirma geführt und solle zuallererst Gewinne erwirtschaften. „Einfach grauenhaft, wie sie den guten Willen der Bevölkerung ausnutzt. “
CERIS-Experte Carvalho ist gespannt, wie die Millionen von Anhängern der „Igreja Universal“ auf die neuesten Enthüllungen reagieren werden, ob diese dem Image der fundamentalistischen Wunderheilersekte womöglich schwer schaden. Den machthungrigen Sektenchefs war hochwillkommen, daß sich Lula den PL-Senator Alencar zum Vize und Verteidigungsminister erwählte, die Liberale Partei zum wichtigsten Koalitionspartner erkor. Das gab der PL Auftrieb – eine Flut von Sektenbischöfen und – pastoren gelangte in Nationalkongreß und Teilstaatsparlamente. In Brasilia führte der als besonders gerissen geltende „Bispo“ Carlos Rodrigues die PL-Kongreßfraktion. „Bispo“ Marcelo Crivella wurde Senator, ist zudem als Sänger sozusagen der Popstar der Universalkirche, mit mehr als vier Millionen verkauften CDs. Im Wahlkampf schüttelte er mit Maschinenpistolen bewaffneten Drogengangstern der Rio-Slums die Hand. Unter Staatschef Lula verdoppelte die PL ihre Kongreßabgeordneten in kürzester Zeit auf über fünfzig – gemäß den Enthüllungen wurden Parlamentarier anderer Parteien schlichtweg mit hohen Bestechungsgeldern zum Übertritt veranlaßt. PL- Fraktionschef Rodrigues mehrte die Konten von Sekte und PL auf besonders dreiste Art, wurde immer öfter ertappt, machte Negativschlagzeilen. Sektengründer Macedo degradierte ihn deshalb sicherheitshalber zum „normalen“ Abgeordneten. Gegen den singenden Bischof und Senator Crivella wird jetzt wegen Steuerhinterziehung und Devisenbetrug ermittelt. „Politische Strategie der Universalkirche ist, die eigenen Leute nicht nur in der PL zu konzentrieren, sondern auf verschiedene Parteien zu verteilen“, betont CERIS-Anthropologe Marcelo Gruman. Selbst in der Arbeiterpartei Lulas gebe es Sektenmitglieder. „So kann man viel geschickter Interessen manipulieren, politische Entscheidungen beeinflussen, durch Korruption und zwielichtige Abmachungen an das große Geld herankommen.“
-Lula-Vize im Zwielicht—
Bereits vor dem Amtsantritt von 2003 wurde ein Skandal um Vize Alencar abgebogen: Ein Baumwoll-Zulieferant war gegen Alencar und dessen Textilkonzern Coteminas wegen mutmaßlichen hohen Subventionsbetruges vor Gericht gegangen. Danach hatte Alencars Unternehmen auf Auktionen große Baumwollmengen erworben, die ihm bereits gehörten – nur, um bei solchen Anlässen fällige Regierungszuschüsse einzustreichen. Daß Coteminas den betreffenden Baumwollfarmern ihr Produkt bereits lange vor der Ernte abgekauft hatte, um einen planbaren, sicheren Materialfluß zu garantieren, war nach Darstellung des Klägers und laut vorgelegten Dokumenten geschickt vertuscht worden. Ende Dezember 2002 stellte indessen die zuständige Regierungsbehörde alle Ermittlungen gegen Coteminas nach nur wenigen Tagen überraschend ein – in Deutschland etwa hätte ein solcher Fall Alencar vermutlich das Amt gekostet, das Kabinett ins Wanken gebracht. Doch für Lula und die PT-Spitze war die Sache erledigt. „Ein sehr schlechtes Zeichen am Start der Lula-Regierung, außerdem eine Schande, lächerlich, surrealistisch“, nennt dies auf Anfrage Josias de Souza, Chef der Hauptstadtredaktion von Brasiliens auflagenstärkster Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“, die über den Skandal ausführlich berichtet, immerhin anderthalb Monate aufwendig recherchiert hatte. „Niemand hat unsere Artikel dementiert oder zurückgewiesen – gravierend ist, daß andere Firmen jetzt natürlich genauso betrügen, die gleiche Praxis pflegen werden wie Coteminas.“ Denn Straffreiheit sei ja sicher. Angesichts tiefverwurzelter Korruption, so der renommierte Journalist, erwarteten die Brasilianer nicht nur soziale, wirtschaftliche Veränderungen, sondern eben auch solche im ethisch-moralischen Bereich. „Und gerade dort beginnt die Lula-Regierung denkbar schlecht – alle Politiker, die so handeln, bezahlen dafür einen Preis – das alles läßt sich nicht so einfach unter den Teppich kehren!“ Lulas Team dürfte daher schon bald ähnliche Probleme haben wie die Vorgänger, betont Josias de Souza immerhin bereits zum Lula-Amtsantritt. Auffälligerweise hatten sämtliche anderen Qualitätsblätter über den Fall Alencar keine einzige Zeile berichtet – schließlich war der Milliardär zuvor stets als superintegrer „Unternehmer des Volkes“ gerühmt worden. Laut Gewerkschaftsangaben wurde Alencar von den meisten Arbeitern seiner zahlreichen Fabriken jedoch als übler Ausbeuter direkt gehaßt, deshalb schon im Präsidentschaftswahlkampf von 2002 als gnadenloser Menschenschinder bezeichnet. Seit Alencar Lulas Vize ist, stiegen die Coteminas-Aktien kräftig, wurde der Konzern gar „Unternehmen des Jahres 2004“.
Daß Lula in Europas Medien zum Amtsantritt geradezu eine Welle von Lob und Hudel erntete, nennt Folha-Journalist Souza wohlgemerkt bereits Anfang Januar 2003 „direkt lächerlich“.
–„Brot statt Bomber“—
Wer erinnert sich nicht an jenen ersten sehr erfolgreichen PR-Coup von Lulas Propagandakompanie: Während gerade in Europa immer mehr Menschen über eine drohende völkerrechtswidrige Aggression gegen den Irak besorgt sind, setzt die neue, scheinbar fortschrittliche Regierung Brasiliens für die ganze Welt ein wichtiges Zeichen von hoher Symbolkraft. Gleich nach der Amtsübernahme wurde die laufende Ausschreibung für zwölf neue Überschalljäger der Luftwaffe gestoppt – und offiziell verkündet, die damit eingesparten Gelder sollten für die Bekämpfung von Hunger und Misere eingesetzt werden. Denn dies habe jetzt oberste Priorität. Wie von Brasilia erwartet, erntete Lula für die noble Entscheidung gerade in den Medien der USA und Europas allerhöchstes Lob – sogar die angesehene BBC titelte:“Brasil opts für butter before guns.“ Auch in Deutschland druckten selbst Qualitätszeitungen den Unsinn nach, kommentierten begeistert und politisch korrekt, nicht selten unter der Überschrift „Brot statt Bomber“. Weit über 700 Millionen Euro sofort gegen den Hunger, statt für Kampfjets, das war doch mal was! Nur wurde die Unwahrheit in Brasilien rasch entlarvt – im Haushalt für 2003 waren für einen Ankauf der Jagdbomber gar keine Gelder eingeplant, wurden somit, wie der Öffentlichkeit vorgespielt, also keineswegs den Militärs beträchtliche Mittel entzogen, die den verelendeten Massen zugute kämen.
–Sektenmitglied Benedita da Silva – ein trister Fall—
Bezeichnend zudem auch, wie die PT-Spitze das zwielichtige Sektenmitglied Benedita da Silva puschte. 1998 bestimmt die Basis der Arbeiterpartei(PT) Rio de Janeiros den angesehenen Linken Wladimir Palmeira, Widerstandskämpfer und Studentenführer während des Militärregimes, zum Gouverneurskandidaten. Doch Lula und seine rechte Hand Josè Dirceu, inzwischen über den jüngsten Korruptionsskandal gestolpert, verbieten die Kandidatur, peitschen undemokratisch die bei deutschen Drittweltbewegten sehr beliebte, unangenehm populistische und privilegiensüchtige Kongreßsenatorin Benedita da Silva von der „Gottesversammlung“ durch. Zunächst als Vizegouverneurin, dann als Gouverneurin, regiert sie vorhersehbar desaströs – wird als schlechteste Gouveneurin eines brasilianischen Teilstaates eingestuft. In ihrer Amtszeit dominierten Mißwirtschaft sowie schwerste Menschenrechtsverletzungen in den riesigen Rio-Slums. Sie akzeptierte allen Ernstes, daß Banditenmilizen des organisierten Verbrechens kinderreiche Familien aus ihren Slumkaten vertrieben. Mit Maschinenpistolen bewaffnete Militärpolizisten sicherten zumindest den Abtransport der wenigen Habe aus den Elendsvierteln. Dennoch schanzte Lula ausgerechnet Benedita da Silva einen Ministerposten zu, mußte sie indessen schon bald wegen zahlreicher Verfehlungen sicherheitshalber in der Versenkung verschwinden lassen. Jetzt stellt sich heraus, daß Benedita da Silva auch in den jüngsten Korruptionsskandal verwickelt ist. Zur „Gottesversammlung“ gehört auch Umweltministerin Marina da Silva – nicht nur wegen der fortdauernden Rekord-Urwaldvernichtung in Amazonien empfahl ihr selbst Greenpeace mehrfach, besser zurückzutreten.
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Bankiersliebling Lula
Brasiliens Privatbanken sind Hauptfinanziers der angeschlagenen Arbeiterpartei
Bischofskonferenz: Lula-Regierung unterwirft sich dem Diktat der Bankiers
Die Privatbanken des Tropenlandes machen derzeit Rekordgewinne wie nie zuvor in der Geschichte ganz Lateinamerikas. In nur drei Amtsjahren der Lula-Regierung, so zeigen neueste Statistiken, profitierten die fünf größten brasilianischen Geldinstitute mehr als in den acht Jahren der Vorgängerregierung unter Präsident Fernando Henrique Cardoso. Brasiliens größte Qualitätszeitung, die Folha de Sao Paulo, sah sich daher einmal die Spendeneinnahmen von Lulas Arbeiterpartei genauer an. Vinicius Mota, Soziologe und Chefkommentator des Blattes, sagte im Interview: “Fakt ist, daß sich zwischen 2002 und 2004 die Bankenspenden für die Arbeiterpartei um das elffache erhöhten. Die Banken wurden auf einmal zu den wichtigsten Finanziers dieser Partei. Das erscheint natürlich auf den ersten Blick als großer Widerspruch. Denn gerade Lulas Arbeiterpartei hatte stets radikal die hohen Bankgewinne verurteilt und versprochen, damit Schluß zu machen, wenn sie an die Macht käme. Doch Lula setzt die Wirtschaftspolitik der Vorgängerregierung fort und begünstigt den Finanzsektor mit weltweit einmalig hohen Leitzinsen. Vor allem deshalb fahren Brasiliens Banken jedes Jahr Rekordgewinne ein.“
Gemäß neuen Übersichten führt Brasilien mit großem Abstand bei den Kreditzinsen: In Kanada liegen sie bei jährlich 0,8 Prozent, in der Euro-Zone bei durchschnittlich 5,10 Prozent – in Brasilien unter Lula indessen bei 43,50 Prozent. Bedanken sich die Geldinstitute bei Lula deshalb mit Millionenspenden an dessen wegen Korruptionsskandalen und Machtmißbrauch schwer angeschlagene Arbeiterpartei? “Man kann das durchaus so interpretieren – wenngleich es die Banken natürlich bestreiten. Mit der Regierung sind sie jedenfalls höchst zufrieden, wie die Geldzuwendungen zeigen.“
Staatschef Lulas Arbeiterpartei, so analysiert die Qualitätszeitung, sei Favorit der Bankiers, die den einstigen Gewerkschaftsführer regelrecht gezähmt hätten. Dessen Wiederwahl beim Urnengang im Oktober sei ihnen durchaus Recht. Gemäß neuesten Umfragen würde Lula bereits im ersten Wahlgang gewinnen, weil all jene für ihn votieren würden, die durch sein Anti-Hunger-Programm begünstigt werden. Es sei daher ein „Wiederwahl-Programm“. Laut Chefkommentator Vinicius Mota sind das immerhin acht Millionen Familien, also etwa dreißig Millionen Menschen. Jede dieser Familien erhält umgerechnet 23 Euro monatlich, auch nach Meinung der katholischen Kirche lediglich ein Almosen.
“Dieses Programm ist nur ein Trostpflaster, ein Notbehelf, weil es unsere sozialen Probleme keineswegs löst. Für die Armen müssen Arbeitsplätze geschaffen werden. Dazu ist Wirtschaftswachstum nötig, das jedoch durch die Banken-freundliche Hochzinspolitik verhindert wird.“
Lula hatte den Brasilianern für 2005 ein Wachstum von fünf Prozent versprochen – gerade einmal 2,3 Prozent wurden erreicht. Zusammen mit Haiti gehört Brasilien zu den Schlußlichtern in Lateinamerika – die Nachbarn Argentinien und Venezuela kamen immerhin auf über neun Prozent Wirtschaftswachstum. Doch wer erhält mehr aus dem brasilianischen Staatshaushalt – die Privatbanken oder die von Hunger und Elend Betroffenen? Vinicius Mota:
“Dieser Vergleich macht traurig. Denn die Banken bekommen für den Schuldendienst zwanzig mal mehr Gelder, als in das Anti-Hunger-Programm fließen. Eine kleine Zahl von Privilegierten bekam letztes Jahr also 150 Milliarden Real – während man für die acht Millionen verelendeten Familien nur rund sieben Milliarden Real ausgab.“
–Neue Kriterien für „links“ und „progressiv“—
Angesichts der von Lula und seiner Arbeiterpartei verfolgten Politik wird deutlich, daß sich in einem Großteil der deutschsprachigen Medien, aber auch in einem beträchtlichen Teil der gewöhnlich als links, progressiv und drittweltbewegt bezeichneten Szene Europas bereits lange vor Lulas Amtsantritt offenbar die Kriterien dafür verschoben haben, was und wer in der Welt just als „links“ bzw. „progressiv“ gelten können. So wird beispielsweise Lula trotz seiner nie widerrufenen Bewunderung für Hitler kurioserweise als Linker eingestuft, obwohl er selbst klarstellte:“Mein ganzes Leben lang mochte ich überhaupt nicht, als Linker, Linksgerichteter klassifiziert zu werden.“ Zahlreiche brasilianische Politikexperten, aber auch Weggefährten haben immer wieder betont, daß Lula nie der Linken angehörte. Spätestens seit den neunziger Jahren ist bestens bekannt, daß Lula und die Spitze seiner Arbeiterpartei keineswegs einen links-progressiven Kurs verfolgten. Trotz der seit dem Amtsantritt verfolgten Politik in Bezug auf Bankiers und andere Unternehmer, auf Slumbewohner, auf Rechtsparteien und Diktaturaktivisten, auf Menschenrechte oder Umwelt-und Naturschutz betriebenen Politik werden Lula, seine Regierung und die Arbeiterpartei weiterhin als links und fortschrittlich klassifiziert. Brasiliens katholische Kirche legte interessanterweise lange vor Lulas Amtsantritt deutlich andere Maßstäbe an.
–Kritik der katholischen Kirche an Lulas Wirtschafts-und Sozialpolitik–
Wenige Tage nach dem Bericht der „Folha de Sao Paulo“ kritisierte die
Bischofskonferenz(CNBB) des größten katholischen Landes unerwartet scharf die Wirtschafts-und Sozialpolitik Brasilias, sorgte für Schlagzeilen und löste vor den Oktober-Präsidentschaftswahlen eine heftige öffentliche Diskussion über den Kurs von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva aus. Bei der Vorstellung der diesjährigen Brüderlichkeitskampagne, die den Behinderten gewidmet ist, sagte der deutschstämmige CNBB-Generalsekretär Odilo Scherer, Lulas konservative Wirtschaftspolitik garantiere kein ausreichendes Wachstum und begünstige lediglich die Banken. Diese machten unter Lula Rekordgewinne. Für die Bankiers sei Brasilien heute ein „Finanzparadies“. Die Kirche habe Kenntnis davon, welchem Druck die Regierung ausgesetzt sei, so Bischof Scherer weiter. Doch die Interessen der Gesellschaft müßten ebenfalls berücksichtigt werden. Statt gerechterer Einkommensverteilung zugunsten der armen Bevölkerungsmehrheit erlebe Brasilien eine Einkommenskonzentration, die nur bestimmten Gruppen nütze. Um die scharfen Sozialkontraste zu überwinden, müsse die wachstumshemmende Hochzinspolitik aufgegeben werden, seien Programme zur Schaffung von Arbeitsplätzen nötig. Das brasilianische Volk, so Scherer, habe von der Lula-Regierung eine viel effizientere Sozialpolitik erwartet. Das Anti-Hunger-Programm sei bei weitem nicht ausreichend. Nur einen Tag später bekräftigte der Primas von Brasilien, CNBB-Präsident Kardinal Geraldo Agnelo, in Salvador da Bahia vor der Presse die Kritik Scherers. Nie zuvor, so Agnelo, habe sich eine Regierung den von Gläubigerbanken diktierten Bedingungen und Forderungen so unterworfen. Im Interview sagte der Kardinal:“ Die Lula-Regierung sorgt sich direkt übertrieben um das Wohl der Banken, tut alles, was sie wollen. Während der Arbeiter eben keinen gerechten Lohn, keinen Inflationsausgleich einfordern kann. Damit sind wir nicht einverstanden, das ist doch nicht gerecht. Denn dem Volke geht es überhaupt nicht gut. Es muß weiter darauf warten, daß Arbeitsplätze geschaffen werden. Denn ohne Arbeit ist kein Leben in Würde möglich. Die Leute können sich doch nicht nur von staatlichen Almosen ernähren.“
Kardinal Agnelo meinte damit das Anti-Hunger-Programm der Lula-Regierung. Es sei keine Lösung, bringe die Leute nicht voran, fördere sie nicht, zeige keinen Ausweg aus ihrer erbärmlichen Lage. „Viele geben sich sogar mit diesem Almosen zufrieden, tun gar nichts mehr, gehen keinerlei Beschäftigung mehr nach.“ Die Bischofskonferenz verlange deshalb eine andere Wirtschaftspolitik, die den Menschen ermögliche, von ehrlicher Arbeit zu leben. „Wir wollen, daß Staatschef Lula Erfolg hat – bei der Förderung des Gemeinwohls!“ Brasiliens geringes Wirtschaftswachstum bedeute aber eine regelrechte Anklage gegen die falsche Politik Brasilias.
Auch Agnelo kritisierte das weltweit höchste Zinsniveau. Wenn die Regierung der elftgrößten Wirtschaftsnation deshalb immer höhere Summen für den Schuldendienst aufbringen müsse, die Gewinne der Banken daher ständig kletterten, frage man sich natürlich:“Was bleibt denn da noch übrig für soziale Zwecke?“
Unterdessen reißen die Enthüllungen über krumme Touren der Arbeiterpartei Lulas nicht ab. Gemäß neuesten, auf Telefonmitschnitten basierenden Berichten des Nachrichtenmagazins „Veja“ hat der zwielichtige Multimillionär, Unternehmer und TV-Moderator Ratinho von der Partei fünf Millionen Real erhalten, damit er 2004 in seinen Sendungen Propaganda für Lula und Marta Suplicy macht.
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„Demagogischer, scheinheiliger“ Bono Vox von U 2 in Brasilien scharf kritisiert
„Mann der Geld-und Politik-Maschinerie“
Der Sänger Bono Vox von der irischen Band U2 gilt in Europa als Megastar, als sympathischer, charismatischer Weltverbesserer, als Politaktivist, der sich unentwegt für die Menschenrechte, für die Schwachen dieser Erde vor allem in der Dritten Welt, für Minderheiten einsetzt. Im Januar hatte Bono Vox den Deutschen Medienpreis erhalten. Doch wie kommt er in einem Drittweltland wie Brasilien an, wie reagieren die Kritiker der Qualitätsmedien?
Ganz Brasilien empfing Bono und seine Band mit offenen Armen – in der Kultur-und Wirtschaftsmetropole Sao Paulo freute man sich auf die beiden Konzerte und selbst in den abgelegensten Amazonasdörfern auf die Direktübertragung im Fernsehen. Doch als Bono sofort nach der Ankunft in den Präsidentenpalast zu Staatschef Lula eilte und dessen Politik über den grünen Klee lobte, nicht ein einziges Wörtchen der Kritik etwa an der gravierenden Menschenrechtslage fallen ließ, machte sich nicht nur in den Medien Verwunderung und Skepsis breit. Schließlich steckt die Lula-Regierung tief im Sumpf von Korruption und Machtmißbrauch. Und als Bono dann auch noch seine Konzerte mit weitschweifigen politischen Erklärungen würzte, gar Lob-und Hudel-Bilder des Staatschefs Lula auf die Großleinwände projizieren ließ, war es mit der Geduld vieler Brasilianer vorbei. Wie die Medien hervorhoben, wurde Bono ausgepfiffen, als er seinen „neuen Freunden“ Lula und Kulturminister Gilberto Gil dankte. Marcos Goncalves, Feuilletonchef von Brasiliens größter Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“ bringt im Interview die Kritik der Medien des Tropenlandes auf den Punkt:““Bono verkörpert die Ödheit, das Langweilig-Platte politischer Korrektheit. Wir leben heute in der Welt dieser Ideologie des politisch Korrekten, was zu einer Art Gefängnis wurde. Die Sprache wird überwacht – als Journalist übt man Selbstzensur, überwacht das eigene Vokabular. Wir wurden Gefangene angeblich fortschrittlicher Ideen. Ein regelrechter Apparat in der heutigen Kultur fordert diese politische Korrektheit ein. Ich finde, ein Rocksänger sollte Distanz zu den Autoritäten wahren, zumal Staatschef Lula und dessen Partei durch Korruption belastet sind. Doch Bono ignoriert das alles, kritisiert und hinterfragt nichts, leiht Lula in einem Wahljahr sein Prestige, gebärdet sich als dessen Helfer bei der Wiederwahl. Bono kennt die Realität Brasiliens, nutzt seinen Aufenthalt indessen fürs persönliche Marketing, entgleist in Demagogie und Scheinheiligkeit. Bono gehört zur Geld-und Politik-Maschinerie dieser Erde. Seine Konzerte hier waren wirklich ein Festival der Demagogie.“
–Bono Vox und Mick Jagger—
Marcos Goncalves erinnert an die ironische Reaktion Mick Jaggers, den man einmal auf Bonos Gutmenschentum, auf dessen soziales Engagement angesprochen hatte. „Ich glaube, ich habe ihn unlängst über die Wasser gehen sehen.“ Bono gebärde sich beinahe wie ein Gott, sagt Goncalves lachend.
Als Bono in Sao Paulo war, revoltierten gerade die Insassen von fünf Gefängnissen gegen unmenschliche Haftbedingungen. Zahlreiche Menschenrechtler protestierten auf den Straßen Sao Paulos dagegen, daß in Brasilien die Folter weiterhin alltäglich ist, und daß gerade ein Polizeioberst freigesprochen wurde, der ein Massaker an Häftlingen geleitet hatte. Über einhundert Gefangene waren von dessen Sondereinheit getötet worden. Und in Rio de Janeiro terrorisierten neofeudale Milizen des organisierten Verbrechens kurz vorm Karneval gerade wieder einmal Slumbewohner, töteten zahlreiche unschuldige Menschen. Wegen der brachialen Naturzerstörung hatte sich ein bekannter Umweltaktivist letzten November aus Protest lebendig verbrannt
–Bonos Schweigen—
Doch Bono schwieg zur Folter ebenso wie zur Banditendiktatur in den Slums, hätte an den Protesten der Menschenrechtsaktivisten natürlich teilnehmen können, wie auch Feuilletonchef Marcos Goncalves betont: “Bono hätte sich mit ganz anderen Leuten treffen müssen – doch er ist eben fasziniert von den Sphären der Macht. Er darf doch nicht einfach ignorieren, was hier im Lande passiert, diese Zustände auch noch unterstützen. Lula muß mit Kritik begegnet werden, Lula muß Rechenschaft ablegen. Aus dessen Arbeiterpartei ist doch die Hälfte nicht ohne Grund ausgetreten, darunter große progressive Intellektuelle. Bono zählt zur NGO-Szene. Doch diese NGO kriegen doch ihr Geld von den Regierungen, sind also in Wahrheit gar keine Nicht-Regierungs-Organisationen, leben vielmehr im Schatten der Regierungen. Heute schuf man diese NGO-Kultur, eine Kunst mit diesen verzuckerten Redensarten über Minoritäten, „die Verteidigung der Armen“. Dabei wird doch nur zu oft lediglich um Geldmittel gestritten – das muß man kritisch beleuchten! Bono nutzt die Politik, um sich von anderen Rockmusikern zu unterscheiden, das ist seine Marketing-Masche. Doch nach Europa wird Bono mit der Aura des großen Revolutionärs zurückkehren, der stets unerschütterlich an der Seite der Dritten Welt steht. Dabei nutzt er die Unkenntnis der Ersten Welt über Brasilien aus.“
–Karneval und Brasilienklischees—
Wir lieben Brasiliens Karneval, rief Bono ebenfalls in die Massen. Denn im Karneval träfen sich Reiche und Arme, Alte und Junge, Linke und Rechte. Das sei gut so, denn um die Armut zu besiegen, müßten alle zusammenarbeiten. Noch so eine Phrase, die Marcos Goncalves mehr als hohl fand. “In Europa kultiviert man Mythen über Brasilien, über den Karneval, den Fußball – und ausgerechnet die Brasilienklischees werden von Bono auch noch verstärkt. Nach diesen Konzerten hier wird sich die öffentliche Meinung über ihn ändern. Oberflächlich betrachtet, vertritt er ja das Gute, das Positive, ist ein Gutmensch. Doch wir Kulturkritiker müssen hinter die Äußerlichkeiten, die Erscheinungsebene schauen – und da offenbart sich eben bei Bono gewaltige Demagogie.“
Feuilletonchef Goncalves bestätigt, daß die Medienqualität in Europa stark abgefallen ist – doch auch in Brasilien gebe es einen Verlust an kritischem Sinn in der Presse. „Alles wird akzeptiert, alles wird in Marketing eingewickelt, das Banale und Konventionelle wird ständig wiedergekäut.“
–Bono und Gilberto Gil—
Nach den Konzerten von Sao Paulo flog Bono nach Salvador da Bahia, um an der Seite von Musiker und Kulturminister Gilberto Gil den Karneval zu verbringen. Goncalves erinnert daran, wie Gil und der damalige Arbeitsminister und heutige Arbeiterpartei-Chef Ricardo Berzoini sich von berüchtigten, gefürchteten Gangsterbossen den Besuch eines Rio-Slums genehmigen ließen, gemäß Banditenanweisung ohne Polizeischutz oder Bodyguards in den Slum einfuhren und damit die neofeudale Diktatur der Banditenmilizen über deren Parallelstaat der Armenviertel sozusagen offiziell anerkannten. „In Deutschland würde in einem solchen Falle die Regierung gestürzt“, betonte Sao Paulos Uni-Experte für Gewaltfragen, Paulo Sergio Pinheiro.
Andere Kulturkritiker nannten Bono, den Träger des Deutschen Medienpreises, jetzt einen Populisten, der die Kontrolle über sein Geschwätz verloren habe, ein monotones und absurdes Blablabla. „Và pentear macaco, Bono Vox!“ (Geh Affen kämmen, Bono Vox) riet ihm die engagierte Kritikerin Barbara Gancia. “Bono versucht das Gewissen der Reichen zu beruhigen, indem sie Geld an afrikanische Länder spenden. Aber wird denn damit irgendetwas gelöst? Wenn man afrikanischen Diktatoren Geld gibt, damit sie Waffen und immer größere Mercedes-Benz-Limousinen kaufen – ist das die Lösung?“ In jenen Ländern, denen Bono zu helfen suche, sei der Hunger Symptom der Sozialstruktur. Bono lobe Lula, also ob in dessen Regierung keine Korruption existiere, so Barbara Gancia.
Viele Fans erregten sich über den extrem hohen Eintrittspreis der Konzerte, von zwei Dritteln des derzeitigen brasilianischen Mindestlohns aufwärts. Das Publikum bestand deshalb fast nur aus Mittel-und Oberschicht. Auf brasilianischen Internetseiten war zu lesen:“Bono ist käuflich. George Bush schlug er vor, die USA sollten ein Prozent der Steuereinnahmen den armen Ländern geben. Aber warum spendet Bono dann nicht fünfzig Prozent des Gewinns seiner Brasilienkonzerte für das Anti-Hunger-Programm der Regierung, gibt lediglich eine Gitarre zum Versteigern? Eintrittspreise von 200 Real sind außerhalb der Realität eines Landes, dessen Mindestlohn bei 300 Real liegt. Den anderen in die Tasche zu greifen, ist leicht, alles pure Demagogie. Bono hat sich vor seinen Fans blamiert, ließ sich in die schmutzige Politik Brasiliens verwickeln…“
Das Konzert der Rolling Stones einige Tage zuvor an der Copacabana war gratis, 1,2 Millionen Menschen kamen. U2 spielte im Morumbi-Stadion Sao Paulos zweimal vor jeweils 73000 Menschen. Der dicke, langweilige, humorlose Bono habe nicht ein Zehntel des Sex-Appeals von Mick Jagger, keinerlei Spontaneität, hieß es auf den brasilianischen Kulturseiten außerdem. Jeder Bühnenschritt Bonos sei vorhersehbar, die hohen Noten singe er auch noch falsch.
–Bono und Deutscher Medienpreis—
„Die Welt braucht Menschen wie sie“, sagte Ex-Außenminister Joseph Fischer in seiner Laudatio zur Verleihung des Deutschen Medienpreises am 24. Januar in der Kongreßhalle von Baden-Baden. „Unser heutiger Preisträger wird für seine herausragende Leistung geehrt, für seine Leidenschaft, für seine Vernunft, sein Mitgefühl und seine Überzeugungskraft.“
Laut Pressemitteilung werden mit dem Deutschen Medienpreis stets Persönlichkeiten ausgezeichnet. „die nach Ansicht einer Jury aus Chefredakteuren in einem Jahr die Gesellschaft oder die Politik prägend beeinflußt haben.“ Vor Bono haben auch Helmut Kohl und Gerhard Schröder den Preis erhalten.
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„Demokratischer“ Staat und Banditendiktatur in Brasilien
Historiker Josè Murilo de Carvalho: Organisiertes Verbrechen verhindert Kampf der Slumbewohner um Menschenrechte, eine soziale Explosion – Regierenden und Eliten sehr gelegen
„Wenn die Massen aus den Hügelslums eines Tages zuhauf in unsere besseren Viertel hinabsteigen, um sich zu nehmen, was ihnen am nötigsten fehlt, sind wir geliefert“, lautet eine Standardreflexion von Mittel-und Oberschichtlern der Zehn-Millionen-Stadt am Zuckerhut. Und auch mancher ausländische Tourist, der sich an den Stränden der schicken Viertel Ipanema und Leblon tummelt, in feinen Hotels wohnt, nimmt extreme Sozialkontraste wahr, beobachtet vom Zimmerbalkon aus, daß die Verelendeten da oben in ihren Steilhangkaten dichtgedrängt wie die Ameisen hausen. Und fragt sich, wieso die nicht protestieren und rebellieren, nur einige hundert Meter weiter unten, vor Shoppings, Boutiquen, Freßpalästen eigentlich keine Randale machen, ihre Menschenrechte nicht einfordern, was zu essen haben wollen. Schließlich ist Brasilien die dreizehnte Wirtschaftsnation der Erde, weltgrößter Fleischexporteur, dazu größte bürgerliche Demokratie Lateinamerikas – doch auf dem UNO-Index für menschliche Entwicklung weit abgeschlagen hinter Kuba. Etwa fünfzig Millionen Brasilianer unterhalb der Armutsgrenze, die hohen Einkommen mehr als das dreißigfache über den niedrigen. Die Passivität der brasilianischen Slumbewohner erscheint umso unverständlicher, da die Landlosenbewegung MST, auch von deutschen Kirchen und regierungsunabhängigen Organisationen stark unterstützt, der Mitte-Rechts-Regierung von Staatschef Lula kontinuierlich Ärger macht. Beinahe täglich berichten die nationalen Medien ausführlich über Protestdemos, Landbesetzungen, Straßenblockaden – doch in den Städten, wo die große Masse der verarmten, verelendeten Brasilianer meist in Slums haust, die scharfen Sozialkontraste am sichtbarsten, spürbarsten sind, bleibt weiterhin alles ruhig. Befreiungstheologisch orientierte Kardinäle, Bischöfe und Padres der katholischen Kirche begründen dies seit Jahren mit der Diktatur des organisierten Verbrechens über die Slums – der absichtlich zugelassene Banditenterror verhindere perfiderweise politische Aktivitäten, den Kampf für Menschenrechte, mache apathisch. Ganz im Sinne der Autoritäten, Eliten. In der Ersten Welt, und selbst in Brasilien, heute ein internationales Testlaboratorium für neoliberale Politik, hatte sich bislang kaum jemand für diese brisante These interessiert. Lästiges Protestpotential mit Hilfe von Gangstersyndikaten in Schach halten, mündigen Bürgern auf diese Weise die Zivilcourage abgewöhnen – geht das, taugt das gar zur Nachahmung?
Jetzt hat erstmals ein renommierter Historiker aus Rio die These auf einer Wissenschaftlertagung bekräftigt, mit interessanten Argumenten vertieft – und damit erhebliches öffentliches Interesse hervorgerufen.
Der 65-jährige Josè Murilo de Carvalho zählt zu den Koryphäen des brasilianischen Geisteslebens, ist Lehrstuhlinhaber an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro, Kollege von Anita Prestes, der Tochter von Olga Benario, und zudem gewähltes Mitglied der ehrwürdigen Dichterakademie des Tropenlandes. In Rios trubeliger City beobachtet, studiert er nicht ohne Sympathie von seinem Kabinett aus, wie Monat für Monat nur einige zehntausend MST-Mitglieder überall in Brasilien mit gezielten Aktionen die Lula-Regierung unter Druck setzen, damit sie die sogar in der Verfassung vorgeschriebene Bodenverteilung vorantreibt. Von Pistoleiros lassen sich die Landlosen nicht einschüchtern. Erst Ende November 2004 richteten Killer der Großgrundbesitzer in einem Landlosencamp des Teilstaates Minas Gerais erneut ein Blutbad an, erschossen fünf Menschen, verwundeten über zwanzig Kinder, Frauen und Männer teilweise schwer. Im Dezember weitere tödliche Attentate.
„Diese Landlosenbewegung“, so Historiker Carvalho, „ist gutorganisiert, sehr effizient, hat enormen Erfolg, da sie die Regierung dazu bringt, endlich die Agrarfrage zu lösen. Doch wie überall in der Welt wird auch unsere Landbevölkerung immer kleiner, ist nur eine Minderheit. Die Masse der sozial Ausgeschlossenen konzentriert sich in den großen Städten – alleine Rio de Janeiro hat über sechshundert Slums, mit 1,5 Millionen Bewohnern – dort steckt schon von der Zahl her ein explosives Potential, nicht in den Agrarregionen. Doch warum organisieren sich diese Massen nicht nach dem Vorbild der Landlosenbewegung – warum kommt es eigentlich nicht zu einer sozialen Explosion, warum explodiert Brasilien nicht?“
Professor Carvalho meint, daß eine Organisation der Slumbewohner, der Arbeitslosen, die beispielsweise die vielen leerstehenden Gebäude und Wohnungen besetzt, natürlich ganz andere gesellschaftliche Wirkungen hätte als die Landlosenbewegung. Die habe zwar immer wieder versucht, ihre Aktionen auf die Städte auszudehnen – doch ohne Erfolg. Carvalho ist regelmäßig im Parallelstaat der Rio-Slums, kennt das strenge, neofeudale Normendiktat der Verbrechersyndikate, hochbewaffneten Banditenmilizen, die sich regelmäßig sogar ganz in der Nähe von Touristenhotels heftige Gefechte liefern. „A noite do poder paralelo“, die Nacht der Parallelmacht, titelt 2004 Rios größte Qualitätszeitung O Globo, zeigt das hellerleuchtete Sheraton-Hotel Rios, den angrenzenden Hangslum Vidigal wegen Banditengefechten dagegen in völlige Dunkelheit gehüllt, die vielbefahrene Avenida Niemeyer blockiert. Und das Fernsehen zeigt mit NATO-Mpis feuernde Vidigal-Gangster – solche Bilder kennt man aus dem Irak, aus Afghanistan, Palästina. Man erinnert sich gut, daß Vidigal-Banditen 14-jährigen Mädchen die Füße durchschossen, die Slumbewohner zusehen mußten. Ein Mann wurde verdächtigt, für die Polizei zu spionieren. Also wird ihm mit einer Zange die Zunge herausgerissen, schneidet man ihm mit einem Messer die Ohren ab. Zunge und Ohren werden auf öffentlichem Platze für jedermann sichtbar an einem Pfahl angenagelt. Ende 2004 werfen im Rio-Slum Chatuba Banditen sogar Handgranaten in eine Freiluft-Massendisco, schießen mit Mpis in die Tanzenden – zwei Tote, sechsundvierzig Verwundete. Die Presse spricht von einer „Ataque narcoterrorista“.
Die Banditenkommandos verhängen nicht nur in Rio, sondern auch in Sao Paulo, drittgrößte Stadt der Welt, regelmäßig Ausgangssperren, schüchtern die Slumbewohner mit drakonischen Strafen ein, darunter Foltern, Handabhacken, Köpfen, Zerstückeln, lebendig Verbrennen. Der pure, alltägliche Terror. Deshalb lautet Carvalhos Schlußfolgerung: “Die Existenz des organisierten Verbrechens in den Slums blockiert die Politisierung der Bewohner, hält sie ruhig, verhindert eine Rebellion, Protestaktionen jeder Art. Die Gangsterkommandos dienen damit der Aufrechterhaltung von politischer Stabilität im Lande – und das ist den Autoritäten sehr recht, ist gut für sie. Natürlich würden sie das nie eingestehen. Ohne Zweifel gehört zum strategischen Kalkül auch der jetzigen Regierung, daß es wegen der so hilfreichen Gangsterkommandos keine soziale Explosion geben wird – und das ist natürlich reiner Zynismus. Denn die Slumbewohner besitzen ja nicht einmal die elementarsten Bürgerrechte, können sich nicht frei bewegen, haben nicht einmal das Recht auf das eigene Leben, können von verirrten Kugeln getötet werden. Soziale Rechte, wie Arbeit, Gesundheit und Bildung fehlen ebenfalls. Wir haben soviele Gewalttote wie in Bürgerkriegen. Und die Assoziationen der Slumbewohner werden total vom organisierten Verbrechen dominiert. Das Drama der Slum-NGO besteht darin, ohne Zustimmung der Banditenmilizen nicht agieren zu können, mit ihnen verhandeln zu müssen. Und wenn man mit den Gangsterkommandos verhandelt, legitimiert man sie.“
Große Teile von dichtbewohnten Millionenstädten wie Rio de Janeiro oder Sao Paulo wirken nach Einbruch der Dunkelheit wie ausgestorben, weil sich auch in Mittelschichtsvierteln aus Angst vor Kriminellenterror kaum noch jemand auf die Straße traut. Schlecht für Versammlungen, Treffen von Bürgerinitiativen oder progressiven Parteien.
Nach neuesten Studien sind zudem 74 Prozent der Brasilianer von über fünfzehn Jahren nicht in der Lage, einen simplen Zeitungs-oder Buchtext zu verstehen – und damit entsprechend leicht zu manipulieren.
Historiker Carvalho weist auf die enormen Truppenkontingente in Großstädten wie Rio.
„ Die sind dort keineswegs rein zufällig. Man will vorbereitet sein, falls die Lage doch einmal außer Kontrolle gerät. Denn gäbe es Aktionen nach Art der Landlosenbewegung in den Städten, mit anderthalb Millionen Slumbewohnern alleine in Rio, wäre das zwangsläufig ein Schlag gegen die Stabilität des Systems, müßte man Truppen einsetzen, um die Kontrolle wiederherzustellen.“
Laut Historiker Carvalho wird nichts unternommen, um die Diktatur der Banditenmilizen zu beenden. „Unter Lula wurde ein Städteministerium gegründet, das sich eigentlich dieser Problematik widmen müßte – doch es tat bisher absolut nichts! In den letzten zehn Jahren gab es keinerlei Fortschritte, ich bin enorm pessimistisch.“
Ironisch fügt er hinzu: „Warum wohl, lautet die Frage, werden weder Brasiliens Grenzen noch die Drogenmafia in der Bucht von Rio streng kontrolliert, greifen da die Streitkräfte nicht ein?“
–Machteliten und organisiertes Verbrechen—
Über die Verbindungen der Machteliten, von Politik und globalisierter Wirtschaft mit dem organisierten Verbrechen gibt es zahlreiche Hinweise. So hausen nach Angaben der aus der Oberschicht stammenden Künstlerin und Menschenrechtsaktivistin Yvonne Bezerra de Mello die obersten Bosse der Verbrechersyndikate natürlich nicht in den Slums. „Die wohnen in den Nobelvierteln.“ Und bereits 1992 hatte der progressive Abgeordnete Carlos Minc konstatiert: “In Rio de Janeiro sind Straftäter und Autoritäten Komplizen – das organisierte Verbrechen, das Drogenkartell herrscht in den Favelas, pflegt enge Beziehungen zur Geschäftswelt, zur Stadtregierung, zu Polizei und Justiz, die daher Straffreiheit walten lassen, die Gesetze nicht anwenden, die Menschenrechte der Bewohner Rios mißachten.“ Mincs Analyse wurde von einer parlamentarischen Untersuchungskomission für zahlreiche andere Millionenstädte und große Teile Brasiliens bestätigt. 2002 zeigt eine Unesco-Studie, wie das organisierte Verbrechen in Ländern wie Brasilien in Politik, Administration und Justiz eindringt, in einigen Teilstaaten sogar mit der staatlichen Macht konkurriert. Die Drogenmafia, hieß es, könnte sich ohne Beteiligung des Staates gar nicht halten, selbst wenn diese nur indirekt sei. Und die progressive brasilianische Monatszeitschrift „Caros Amigos“ konstatiert in einer Analyse über die „Schmutzigen Hände“ der Landeselite:“Das Verbrechen hat sich im Herz des Staatsapparates installiert“.
–Banditen-Okay für Kulturminister Gilberto Gil—
Bezeichnend, wie die Lula-Regierung mit dem Problem umgeht: Im Dezember 2004 weilen Kulturminister Gilberto Gil und Arbeitsminister Ricardo Berzoini zu einer offiziellen Visite in Rios Slumregion „Complexo da Marè“, um Qualifikationsprogramme für Jugendliche vorzustellen. Wie die Qualitätszeitungen berichteten, hatten beide für den Aufenthalt die Erlaubnis der lokalen Gangsterkommandos, verzichteten auf jeglichen Polizeischutz, sogar auf die sonst üblichen Bodyguards. Wie der Soziologe Jailson Silva analysierte, wird in solchen Fällen erschreckenderweise vom Staat anerkannt, daß er selbst die Parallelmacht darstellt, und nicht etwa das organisierte Verbrechen. „Alles eine Konsequenz fehlender Aktionen des Staates in diesen Zonen.“ Paulo Sergio Pinheiro, Experte für Gewaltfragen an der Universität von Sao Paulo zu den Modalitäten der Ministervisite:“Damit ist bestätigt – der brasilianische Staat kontrolliert große Teile seines Territoriums nicht mehr. Um einen Slum des Complexo da Marè betreten zu können, brauchten die Minister für Arbeit und Kultur die Erlaubnis der lokalen Drogenbanditen, sowie die Unterstützung von fünfzehn Sicherheitsleuten, die just von diesen Gangstern ausgesucht worden waren. Es wäre besser, wenn sich der Staat nicht den Kriminellen unterwerfen und vom organisierten Verbrechen jenes Territorium des Terrors zurückerobern würde.“
Tage zuvor weilte Minister Gil in der berühmten, vom Staatskonzern Petrobras gesponserten Sambaschule Mangueira, die gerade einen herben Verlust erlitten hatte: Nach den bisherigen Ermittlungen hatten Mitglieder des im Mangueira-Slum herrschenden Verbrecherkommandos den Vizepräsidenten der Sambaschule, gleichzeitig Chef der Perkussionsgruppe(Bateria), auf barbarische Weise ermordet, weil nicht die von ihnen ausgewählte Tänzerin zur „Königin der Bateria“ bestimmt worden war. Aus Angst vor Repressalien, Racheakten lehnten Mitglieder der Sambaschule, darunter sogar der landesweit berühmte Sänger Jamelao, jegliche Stellungnahme zu dem Fall ab. Umso mehr war von manchen erwartet worden, daß Minister Gil als Repräsentant der Regierung klar Position bezieht, den zunehmenden Druck der Banditenmilizen des organisierten Verbrechens auf die Sambaschulen scharf zurückweist. Doch Gil zog es vor, gegenüber den zahlreichen Journalisten von Presse, Funk und Fernsehen dazu kein einziges Wort zu verlieren. Stattdessen geheuchelte Fröhlichkeit, Sambagetrommel, defilierende Kinder – ein Minister, der Optimismus und Karnevalsvorfreude auszustrahlen sucht. Auch bei dieser Slum-Visite verzichtete der Minister auf jeglichen Begleitschutz.
–Ministertochter Preta Gil:“Tudo dominado, alle verwickelt“—
Keine geringere als des Kulturministers Tochter, die bekannte Sängerin und Schauspielerin Preta Gil, hatte 2004 klargestellt:“Es ist aussichtslos – nicht nur die Slums werden von der gutorganisierten Drogenmafia beherrscht. Tudo dominado! Die Polizei ist korrumpiert, die Regierung ist korrumpiert, alle sind doch verwickelt, das ändert sich nie mehr, ist zu tief verwurzelt!“
–„Wie die westlichen Regierungen mit der Drogenmafia kooperieren“—
Nur charakteristisch für ein Land der Dritten Welt, mit dem die deutsche Regierung eine „strategische Partnerschaft“ pflegt? Keineswegs. Im Münchner Bertelsmann-Verlag veröffentlichte Jürgen Roth im Jahre 2000 ein gut recherchiertes Sachbuch mit dem Titel „Schmutzige Hände – Wie die westlichen Staaten mit der Drogenmafia kooperieren“. Im Pressetext wird auf „Verbrecher mit Parteibuch und Diplomatenpaß“ verwiesen, und daß die organisierte Kriminalität mit höchsten Regierungsstellen kooperiere:“Sie sind unangreifbar, mächtig und einflußreich, sie erpressen Regierungen, die sich wiederum ihrer bedienen – die auswechselbaren Protagonisten weltweit vernetzter krimineller Imperien. Wer wagt überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden, daß politische Entscheidungsträger demokratischer Staatengemeinschaften und mächtige westliche Konzerne genau das fördern, was sie vorgeben, mit aller Härte und Entschlossenheit zu bekämpfen? Sie scheinen – ob bewußt oder unbewußt, sei einmal dahingestellt – offensichtlich mit jenen anscheinend finsteren Kräften zu paktieren, die sie in aller Öffentlichkeit verdammen. Schlimmer noch: Sie gehen enge Allianzen mit mächtigen internationalen Verbrechern ein, ermöglichen ihnen die Anhäufung immenser Reichtümer, verschaffen ihnen Prestige in den staatlichen Institutionen….Warum werden Drogenkartelle und kriminelle Syndikate zur politischen Manövriermasse westlicher demokratischer Regierungen?…Weil in den letzten Jahren kriminelle Strukturen hofiert wurden, konnten sich diese Strukturen in unserem demokratischen System einnisten – insbesondere auch deshalb, weil sich kaum noch Widerstand gegen sie regt. Insofern ist das verbale und publizistische Trommelfeuer um den zu führenden Kampf gegen mafiose Strukturen und das organisierte Verbrechen in Wirklichkeit nicht mehr als eine Verhöhnung derjenigen, die bis heute davon überzeugt waren, genau diesen Kampf im Interesse einer intakten demokratischen Gesellschaft führen zu müssen. Aber die daran glaubten, sterben langsam aus. Sie resignieren. Und lassen sich ohne Gegenwehr die Hände binden, wenn ihre Ermittlungen in die Spitzen der Gesellschaft führen sollten.“
Deutschlands Machteliten zeigten nach dem Anschluß der DDR an die Bundesrepublik überdeutlich, mit welcher kriminellen Energie sie weiterhin vorzugehen bereit sind. Die flächendeckende vorsätzliche Wirtschaftsvernichtung und deren soziale Folgen wurden bereits ausreichend untersucht. Indessen wurde auch ein vergleichsweise kriminalitätsfreies Gebiet absichtlich dem organisierten Verbrechen geöffnet, was die Verbrechens – bzw. Gewaltrate geradezu sprunghaft ansteigen ließ. Westdeutsche machen sich gewöhnlich keinen Begriff, welche einschneidenden, einschränkenden Verhaltensänderungen bei den Ostdeutschen damit einhergingen: Angst vor Gewalttaten, Einschüchterung, Individualismus, hohes Mißtrauen gegenüber Mitmenschen, Selbstbewaffnung. Offener Verkauf lateinamerikanischen Kokains in Straßenbahnen von Halle, Schießereien zwischen Verbrecherbanden auf Bahnsteigen Leipzigs – Resultat jener hofierten kriminellen Strukturen, die nicht nur Jürgen Roth ausführlich analysiert hat.
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„Lula kommandierte Staatskorruption“
Brasiliens Generalstaatsanwalt erhebt Anzeige gegen enge Freunde des Staatschefs
Öffentliche Debatte um Amtsenthebung Lulas
In Brasilien hat ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß nach 245 Tagen intensiver Arbeit schwere Korruptionsvorwürfe gegen die Mitte-Rechts-Regierung von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva als richtig bestätigt. Gemäß dem Abschlußbericht hat sich die Lula-Regierung politische Unterstützung im Nationalkongreß mit Millionensummen erkauft, bereits vor dem Amtsantritt vom Januar 2003 ein raffiniertes System von Abgeordnetenbestechung installiert. Die Gelder wurden aus Staatsunternehmen abgezweigt, kamen aber auch von Privatfirmen.
Der Bericht nennt als Hauptdrahtzieher Staatschef Lulas rechte Hand, den Minister und Chef des Zivilkabinetts Josè Dirceu. Dieser arbeitete im Präsidentenpalast Tür an Tür mit Lula, koordinierte von dort aus alle Machenschaften meist gemeinsam mit dem Präsidenten, dem Generalsekretär und dem Schatzmeister der Arbeiterpartei(PT) – bis alle bereits im letzten Jahr unter dem Druck der Enthüllungen von Lula entlassen werden mußten. Nach dem Willen des Untersuchungsausschusses sollen jetzt von der Generalstaatsanwaltschaft gegen Josè Dirceu und über einhundert weitere Personen Verfahren wegen aktiver Korruption, Geldwäsche, Machtmißbrauch und anderen Delikten eröffnet werden.
Die Mitglieder von Lulas Arbeiterpartei im Untersuchungsausschuß versuchten bis zuletzt, die Annahme des brisanten Abschlußberichts zu verhindern.
–„Hurensohn“—
Es gab tumultartige Szenen vor und während der Abstimmung, der Ausschußvorsitzende Delcidio Amaral wurde vom PT-Abgeordneten Jorge Bittar aus Rio de Janeiro, einer der übelsten Figuren im Nationalkongreß, sogar als „Filho da Puta“, Hurensohn, beschimpft. Senator Delcidio Amaral gehört indessen nicht etwa zur Opposition, sondern just zur Arbeiterpartei und ließ sich auch durch die Androhung von Schlägen nicht irremachen, zog die Abstimmung souverän durch. Bevor Bittar den Ausschußvorsitzenden attackieren konnte, fiel ihm die couragierte Senatorin Heloisa Helena von der „Partei Sozialismus und Freiheit“(P-SOL) in die Arme. Im parlamentarischen Untersuchungsausschuß hatte sie sich durch ihre Konsequenz und ethisch-moralische Integrität einen Namen gemacht.
Wie durchsickerte, wurde Staatschef Lula ebensowenig wie dessen Sohn infolge dubioser Absprachen zwischen Regierung und großen Teilen der Opposition durch den Ausschußbericht nicht belastet.
Für die Linksopposition im Nationalkongreß ist Lula indessen der Hauptschuldige im Korruptionsskandal. In einer parlamentarischen Demokratie, so hieß es, wäre die Regierung schon längst hinweggefegt worden. Senatorin Heloisa Helena, die wegen Kritik an Lulas Kurs sowie an dessen engsten Gefolgsleuten 2003 aus der Arbeiterpartei entfernt worden war, beschuldigte Lula wiederholt öffentlich, „Comandante“ der Regierungskorruption zu sein. „Wären wir in einem Land, wo der Nationalkongreß nicht wie hier schmutzigen Geschäften diente, könnte Lula keineswegs noch als Staatschef agieren.“
Jetzt müssen sich kurioserweise jene PT-Spitzenleute vor Gericht verantworten, die einst den Ausschluß der Senatorin und vieler anderer innerparteilicher Kritiker betrieben hatten. Ungezählte andere wurden gemobbt, hinausgeekelt.
–„Unser Führer“—
Wohl in Anlehnung an Vorgänge aus der deutschen Geschichte wird Lula in Zeitungskolumnen unter anderem von Schriftsteller Joao Ubaldo Ribeiro immer öfters ironisch als „Nosso Guia“, Unser Führer, bezeichnet. Lulas Sympathien für Hitler sind bekannt.
Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung des Ausschußberichts hat Brasiliens Generalstaatsanwalt Antonio de Souza in den Fall eingegriffen und gegen die vierzig am schwersten Belasteten beim Obersten Gerichtshof prompt Anzeige erhoben. Darunter befinden sich zahlreiche enge Freunde und Weggefährten Lulas, die Ministerposten oder hohe Parteiämter bekleideten. Vor der Presse in Brasilia nannte sie Souza in scharfen Worten allesamt Mitglieder einer „hochentwickelten kriminellen Organisation, einer Bande“. “Gegen Präsident Lula liege indessen keinerlei belastendes Material vor, das ebenfalls eine Anzeige rechtfertigen würde.
Laut Presseberichten soll Lula indessen von den Ermittlungen der Justiz nicht ausgespart werden. Auch den bisherigen Parteivorsitzenden Josè Genoino zählt der Generalstaatsanwalt zum „harten Kern der Bande“. Genoino weist dies als unsinnig zurück. “Die Vorwürfe sind völlig ungerechtfertigt – die Arbeiterpartei hat weder eine kriminelle Organisation zum Machterhalt geschaffen, noch Abgeordnete gekauft. Es hat lediglich Wahlkampfabkommen mit bestimmten Koalitionsparteien gegeben. Daß ich aktive Korruption betrieben haben soll, ist lediglich eine These. Vor Gericht werde ich meine Unschuld beweisen. Natürlich ist es möglich, daß wir bestimmte Fehler gemacht haben.“
Die Opposition sieht sich indessen durch die Argumente der Generalstaatsanwaltschaft bestätigt. Osmar Serraglio von der Zentrumspartei PMDB war Berichterstatter im Untersuchungsausschuß: „Die Arbeiterpartei agiert mit Thesen – wir haben jedoch Fakten und Beweise für den Kauf politischer Unterstützung mit Millionensummen – einfach lächerlich, wie sich die PT jetzt verteidigt. Nicht zufällig kam der Generalstaatsanwalt zu den gleichen Schlußfolgerungen wie wir. Dies zeigt auch, daß der Untersuchungsausschuß korrekt und ernsthaft gearbeitet hat.“
–„Verräter“ Lula und Michelle Bachelet—
Als Staatschef Lula jetzt die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet in Brasilia vor dem Präsidentenpalast mit militärischen Ehren empfängt, wird das Zeremoniell von zahlreichen Streikenden so heftig und lautstark gestört, daß die Klänge der Marschkapelle kaum zu hören sind. Eine peinliche Situation für Lula, der ausgepfiffen und in Sprechchören als Verräter bezeichnet wird.
Zahlreiche PT-Sympathisanten haben Lula nie verziehen, daß er im Präsidentschaftswahlkampf von 2002 nicht auf die Basis, die Sozialbewegungen setzte, sondern mit seinen rechtsgerichteten Bündnispartnern eine extrem teure kommerzielle Kampagne führte, mit Wahl-PR-Tricks und Methoden wie in den USA unter Bush. Lula holte sich dafür den zwielichtigen schwerreichen PR-Manager Duda Mendonca. Der Besitzer großer Werbefirmen hatte stets für rechtsgerichtete Politiker gearbeitet, bis ihn überraschend Lula engagierte. Von Mendonca stammt u.a. Lulas enorm eingängiger Wahlkampfsong, den jeder Brasilianer immer noch im Ohr hat. Jetzt soll der PR-Manager ebenfalls auf die Anklagebank, weil er bei dem Korruptionsskandal eine bedeutende Rolle gespielt hatte, von Staatsfirmen wie der Ölfirma Petrobras, Lateinamerikas größtem Unternehmen, bis heute saftige Werbeaufträge erhielt. Unter Lula war die meist vom Steuerzahler finanzierte Regierungspropaganda in überrascher Weise extrem ausgeweitet worden. In sämtlichen Medien, aber auch auf den Straßen oder in der U-Bahn ist man nicht selten geradezu einem Trommelfeuer von Regierungsreklame ausgesetzt – was sich beispielsweise in Deutschland die Öffentlichkeit keineswegs bieten ließe. Bezeichnend auch, wie unter Lula der Interessenfilz funktionierte: Zu Duda Mendoncas am höchsten bezahlten Mitarbeitern zählte Luis Favre, Ehemann der Elitedame Marta Suplicy, Vizechefin der Arbeiterpartei. In Sao Paulo wirkte sie als Präfektin desaströs, begünstigte vor allem die ohnehin Privilegierten, wurde nicht wiedergewählt.
–Affäre Palocci: Orgien, Viagra, Huren–
Letztes Jahr hatte Lula betont:“Ich fühle mich durch inakzeptable Praktiken verraten, von denen ich niemals gewußt habe.“ Für viele Brasilianer eine lächerliche, unglaubwürdige Entschuldigung, da alle Korruptionsfäden just vom Präsidentenpalast aus geknüpft wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatte Lula noch den eiskalt neoliberalen, bei Kirche und Sozialbewegungen verhaßten Finanzminister Antonio Palocci, mächtigster Mann im Kabinett, an seiner Seite. Palocci bestritt vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß, jemals eine kleine Villa Brasilias betreten zu haben, in der zwielichtige, teils mit ihm befreundete Lobbyisten krumme Geschäfte ausheckten, illegale Gelder aufteilten und Orgien mit Prostituierten feierten. Doch dann sagte der 24-jährige Hausmeister Francenildo Costa glaubhaft aus, Palocci sei häufig in der Villa bei den Lobbyisten und den Huren gewesen. Nach den Gelagen, so Costa, habe er die Zimmer immer von benutzten Präservativen, übriggebliebenen Viagra-Pillen und Schnapsflaschen säubern müssen. Wenn der „Chef“ in der Limousine sich der Villa nahte, hatte Costa stets die Außenbeleuchtung der Villa abschalten müssen, damit niemand von den Nachbarn den Finanzminister erkennen konnte. Diese Aussagen wirkten wie eine Bombe. Gemäß den Presseberichten wurde daraufhin im Präsidentenpalast unter Einschaltung Lulas und selbst des Justizministers beschlossen, den Hausmeister zu diskreditieren, unter anderem sein Bankgeheimnis zu brechen. Costas Vater hatte offenbar gerade eine größere Summe überwiesen – das sollte gegen den jungen Mann genutzt werden. Minister Palocci versuchte sogar, den brasilianischen Geheimdienst ABIN und die Bundespolizei für diskreditierende Aktionen gegen den Hausmeister zu gewinnen. Costas Bankgeheimnis wurde tatsächlich gebrochen, doch die facettenreiche heimtückische Aktion ging daneben, kam an die Öffentlichkeit – Lula mußte Palocci raschest entlassen. In einem Großteil der deutschen Kommerzmedien wurde kurioserweise berichtet, Palocci habe als Konsequenz aus der Affäre um illegale Wahlkampffinanzierung seinen Rücktritt erklärt. Paloccis wirtschaftspolitischer Kurs wurde ausdrücklich gelobt.
Doch nun drohen dem einstmals „starken Mann“ der Regierung ein Gerichtsprozeß und Gefängnis.
–„Nicht-Menschen“—
Sozialwissenschaftler sahen den Umgang der Mächtigen mit einem einfachen Mann aus dem Nordost-Teilstaat Piaui als Hinweis auf die fortdauernde Sklavenhaltermentalität, auf den Umgang mit „Subalternen“, mit „sprechenden Werkzeugen“, mithin „Nao-Pessoas“, Nicht-Menschen. Diesen traue man gewöhnlich eine eigene Meinung, eigenes Denken und Handeln nicht zu. Man lasse nach Polit-Gelagen Viagra und benutzte Kondome zurück – und gehe davon aus, daß Hausmeister, die tags darauf alles zu säubern hätten, sich nie Fragen nach den Hintergründen, den Beteiligten stellten. „In interpersonellen Beziehungen andere in solcher Weise zu erniedrigen, führt nie zu einem guten Resultat“, schrieb die angesehene Therapeutin Anna Veronica Mautner in der „Folha de Sao Paulo“.
Interessant, mit welchen billigen Tricks die Lula-Regierung derzeit arbeitet: Damit die Presse nicht mitbekommt, daß Beamte der Bundespolizei zwecks Vernehmung zu Paloccis Haus fuhren, wurden die Journalistenscharen Brasilias wegen eines angeblich wichtigen Anlasses zeitweise in ein Hotel der Hauptstadt gelockt. Ex-PT-Schatzmeister Paulo Okamotto versteckte sich gemäß den Berichten im Nebenzimmer eines Ministeriums, ließ sich von seinen Mitarbeitern gegenüber einem Beamten der Bundespolizei verleugnen, der einen Vernehmungsbescheid persönlich zu überbringen hatte. Der Beamte zog wieder ab, kehrte dann aber wegen einer Formalität noch einmal zurück – und traf prompt auf den angeblich verreisten Okamotto.
–Impeachment und Lula–
„Die Krise bewegt sich auf niedrigstem Niveau – beschämend für Brasilien“, analysiert daher der deutschstämmige Odilo Scherer, Generalsekretär der Bischofskonferenz. Das Land durchlebe eine düstere, triste, enttäuschende Phase seiner Geschichte, konstatieren andere Bischöfe. Daß überall, nicht nur in der Politik, ethische Prinzipien fehlten, sei bedrückend. Anerkannte Juristen des Anwaltsverbandes, aber auch Sozialwissenschaftler und Kolumnisten argumentieren, daß Lula schon deshalb ein Impeachmentverfahren verdiene, weil er geradezu surrealistisch zwielichtige Politiker, die er selbst wegen schweren Delikten entlassen mußte, weiterhin öffentlich als „Brüder, Freunde und Genossen“ würdige. Und damit jeglichen Anstand, den das Präsidentenamt erfordere, vermissen lasse. Immerhin 83 Prozent der Brasilianer nennen Lula mitverantwortlich für den Korruptionsskandal. Gemäß neuesten Meinungsumfragen sinkt die Popularität Lulas jedoch nur langsam, würde er bis auf weiteres im Oktober wiedergewählt. Begründet wird dies einerseits mit dem sehr niedrigen Informationsgrad der extrem ungebildeten Massen über die innenpolitische Krise, überhaupt politische Zusammenhänge – was seit jeher ganz im Interesse der brasilianischen Machteliten sei. Andererseits mit den staatlichen Almosen für über elf Millionen arme Familien. Daß „oben in der Politik“ alle Diebe seien und sich rücksichtslos bereicherten, werde von vielen als völlig normal angesehen. Der renommierte progressive Anwalt und Rechtsprofessor der Universität von Sao Paulo, Fabio Konder Comparato, wies in diesem Zusammenhang auf die „traditionelle Passivität oder komplette Resignation unseres Volkes angesichts der sozialen Ungerechtigkeiten“ hin, was seit der Sklavenzeit von den herrschenden Schichten in einer konzertierten Aktion gefördert, erreicht werde.
–„Kleptokratie“, Pornocracia, Hipocritocracia—
Kolumnisten wie der Schriftsteller Joao Ubaldo Ribeiro fragen daher, welchen Namen man dem politischen System Brasiliens geben könnte. „Denn eine Demokratie ist das hier nicht.“ Ribeiro schlug Begriffe wie „Kleptokratie“, aber auch Pornocracia und Hipocritocracia vor. Er und andere Beobachter erinnern daran, daß bislang auch wegen des fehlenden Drucks der Straße im Grunde nur sehr wenige politische Straftaten der Lula-Ära aufgeklärt worden sind. Erinnert wird stets an den Fall des integren Präfekten Celso Daniel von Santo Andrè bei Sao Paulo, der zu den angesehensten Führungspersönlichkeiten der PT zählte, jedoch 2002 unter bis heute nicht geklärten Umständen gefoltert und ermordet wurde, weil er sich offenbar gegen ein lokales PT-Korruptionsnetz auflehnte. Mehrere nahe Familienangehörige Daniels haben wegen Morddrohungen inzwischen das Land verlassen.
–Regierung zerbröckelt–
Infolge der Regierungsskandale hat Lula inzwischen den größten Teil seiner Minister und anderen engen Mitarbeiter verloren, die im Januar 2003 gemeinsam mit ihm ihre Ämter angetreten hatten. Ende März verabschiedeten sich auf einen Schlag acht Minister unter dem Vorwand, im Oktober für andere politische Funktionen kandidieren zu wollen und deshalb bestimmte Fristen einhalten zu müssen. So regiert Lula derzeit zwangsläufig mit einer großen Zahl von Personen, die er zuvor persönlich gar nicht kannte.
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Wohin treibt Brasilien?
Künstler, Intellektuelle der größten lateinamerikanischen Demokratie kritisieren in ungewohnter Schärfe die fortdauernd negative Rolle der Machteliten und Oligarchien
In Europa definieren viele Staatschef Lula weiterhin als Linken, gar als Sozialisten – in Brasilien selbst wird er indessen als Konservativer, mit Rechtstrend, eingestuft. Brasiliens Kulturschaffende und Intellektuelle hatten im Wahlkampf von 2002 kräftig mitgeholfen, daß mit dem Ex-Gewerkschaftsführer Luis Inacio Lula da Silva erstmals in der Geschichte des Tropenlandes ein Mann aus dem Volke, aus der Unterschicht in den Präsidentenpalast von Brasilia einziehen konnte, nun die größte lateinamerikanische Demokratie regiert. Lula wurde als Hoffnungsträger Brasiliens, ganz Lateinamerikas, gar der ganzen Welt gefeiert. Einer, der in der immerhin zwölftgrößten Wirtschaftsnation die skandalösen Sozialkontraste, den Hunger beseitigt. Zwei Jahre später, in der Mitte von Lulas Amtszeit, sind all die Schriftsteller, Künstler, Komponisten wie Chico Buarque, Intellektuelle wie der Befreiungstheologe Leonardo Boff, enttäuscht bis entsetzt, weil unter Lula weitgehend alles beim alten blieb – mehr Elend und Gewalt im Lande, mehr Barbarei in den rasch wachsenden Slums, der Hunger längst nicht besiegt. Boff hatte Lula anfangs gar euphorisch mit Gandhi verglichen:“Lulas Regierung ist gerecht, ethisch und humanistisch wie bei Gandhi in der Politik.“ Doch inzwischen wirft der Befreiungstheologe Lulas Wirtschaftspolitik vor, soziale Ungerechtigkeit zu produzieren. Das soziale Chaos nehme von Tag zu Tag zu, Brasiliens Realität sei auch ökologisch pervers.
–„Wir sind an der Regierung, aber nicht an der Macht“—
Dazu fortdauernde Herrschaft der Eliten, denen Lula auf den Leim gegangen sei, sich gar einen reaktionären Milliardär und Großunternehmer zum Vize und Verteidigungsminister erwählte, Repräsentant der Machteliten. „Wir sind an der Regierung, aber nicht an der Macht“, erklärt der Schriftsteller und Befreiungstheologe Frei Betto, bevor er Ende 2004 seinen Posten als Berater von Staatschef Lula aufgibt. Zur Begründung verglich er die Lula-Regierung mit einem Schiff, das entgegen ersten Plänen völlig widersinnig den Kurs ändert, in die entgegengesetzte Richtung steuert. Da sei ihm nur übriggeblieben, von diesem Schiff abzuspringen, ans Ufer zu schwimmen, treu den eigenen Wertvorstellungen, Grundüberzeugungen.
In Lulas erstem Amtsjahr wechseln die Eliten von Skepsis zu Jubel, weil die Regierung ihnen selbst in einem Rezessionsjahr geradezu phantastisch die Taschen füllt. Fünftausend neue Millionäre in nur einem Jahr – das hatte man Lula nicht zugetraut. Der Intellektuelle Eurico Figueiredo aus Rios dichtestbesiedeltem Stadtviertel Copacabana zitiert einen Börsenmakler, der bislang Lula haßte, doch jetzt zuhause eine große Lula-Statue aufstellen will:“Nie zuvor habe ich dermaßen viel verdient.“
Eine Welle des Konservatismus schwappt über Brasilien, deutlich sichtbar in der Politik und selbst in den Verhaltensweisen der Menschen, analysiert sogar Chico Buarque, der große, angesehenste nationale Komponist und Sänger, dazu Romancier, aus Rio. Der Sechzigjährige sieht deutlich mehr Konformismus, Zynismus, Intoleranz, Rassismus, reaktionäres Denken, zuallererst in der Upperclass, der Elite. „Alternativen sind nicht sichtbar, die Lage wird schlechter, wir driften in eine irrationale Situation hinein.“ Die Lula-Regierung vergebe historisch einmalige Chancen für soziale Verbesserungen, bleibe untätig.
Der Jahreswechsel 2004/2005 liefert das passende bizarre Bild: Jene neofeudalen Banditenmilizen, die die Mittel-und Oberschicht mit Rauschgift versorgen, feuern in den riesigen Slums der Zuckerhutmetropole nachts mit zehntausenden Maschinengewehren stundenlang Salut, zur Machtdemonstration – sogar nur einige hundert Meter von der Luxuswohnung des Kulturministers Gilberto Gil entfernt. Und die ausländischen Touristen denken allen Ernstes, die Leuchtspurgeschosse seien Freudenfeuerwerk.
–„Eliten ohne Sinn für Zivilisation“—
Komponist Chico Buarque nennt die tonangebende Oberschicht zunehmend kulturloser – und für Jurandir Freire Costa, einen der führenden Intellektuellen Brasiliens, ist sie sogar sozial verantwortungsloser als je zuvor. “Die alten Eliten fühlten sich wenigstens minimal der Tradition, der Geschichte, der Zukunft ihres Landes verpflichtet – den Eliten von heute fehlt dazu jegliche Bindung, zudem jeglicher Sinn für Zivilisation. Sie sind erschreckend belanglos, oberflächlich, drücken das kulturelle Niveau. Und schauen auf den Rest des Landes, als gehe er sie nichts an, verlassen ihre privilegierten Zirkel nur, um in die USA, in reiche Länder Europas zu fliegen, dort genauso weiterzuleben.“
Für den Universitätsprofessor und Therapeuten Costa aus Rio ist verhängnisvoll, daß diese Eliten indessen beispielgebend wirken, kopiert werden, Verhaltensweisen formen, bis tief hinein in die Unterschicht. Ein enormer Kulturverlust, die Masse leichter manipulierbar. In seinem neuesten elitekritischen Buch „Die Spur und die Aura“, beschreibt er, wie das öffentliche Leben der Logik des Spektakels, der Show, der Unterhaltung unterworfen wird – Autoritäten wie Staatschef Lula inbegriffen. Die Eliten mit einer Idee vom Leben als ewigwährendem Vergnügungspark.
“Diese Leute mit ihrem provozierenden Lebensstil, dem hohen Drogenkonsum, sind in ihrer sozio-kulturellen Wahrnehmungsfähigkeit so dressiert, daß sie die Misere, die Verelendeten überhaupt nicht mehr sehen, sogar negieren. Pure Verantwortungslosigkeit, die sich reproduziert, in der Gesellschaft Schule macht.“
Ein Resultat der von den Eliten aufrechterhaltenen scharfen Sozialkontraste ist laut Costa die überbordende Gewalt, mit mehr Toten als im Irakkrieg. Entführungen von Geldleuten, Prominenten, Bandenüberfälle in Nobelvierteln – das zumindest wird von der Upperclass als störend wahrgenommen. Sie könnte intervenieren, sei jedoch inkonsequent und provoziere damit noch mehr Misere, Banditentum.
“Denn ein Teil der Verelendeten wird gewalttätig, will an das Geld der Reichen, um dann den Lebensstil der Eliten zu kopieren – weiter nichts. Die verarmten Massen in den Metropolen Rio de Janeiro und Sao Paulo ohne ethisch-moralische Wurzeln, eine junge Generation, die keinerlei Respekt mehr hat für das tatsächlich Wertvolle in einer Gesellschaft. Zynismus, Individualismus, Verantwortungslosigkeit – das haben sie von Geburt an überall beobachtet. Doch Leute wie ich dürfen deswegen nicht in Nihilismus verfallen, wir müssen Zivilcourage zeigen, anklagen, anprangern.“
–„Wer regiert, sind nicht die Regierungen“—
Costa stellt klar, daß nicht nur in Brasilien, sondern in aller Welt die Leute nicht mehr an die Politiker glauben. „Denn alle wissen, daß die Staatsmänner doch nur Verwalter im Dienste großer Unternehmen sind. Ob es sich nun um die Regierungen der USA, Deutschlands, Japans, Frankreichs, Großbritanniens handelt – alles nur eingesetzte Administratoren. Wer regiert, sind nicht die Regierungen. In der Demokratie können die Leute auch falsch wählen.“
Inacio de Loyola Brandao, einer von Brasiliens großen Schriftstellern, war einst Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, lebte für ein Jahr in Deutschland. Heute nennt er sich desiludido, exausto, desillusioniert und erschöpft. „Lula und seine Arbeiterpartei waren Hoffnungen – alles nur Lüge – eine mehr in der politischen Geschichte Brasiliens. Ich bin es müde, an den Ampelkreuzungen weiter von verelendeten Kindern, Menschen in Rollstühlen angebettelt zu werden. Kinder zu sehen, die Crack rauchen, sich in den Schulen umbringen. Und ich bin es müde, mich an einen Tisch zum Essen zu setzen – während durch die Scheiben hungrige Augen auf meinen Teller starren.“
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Berichte direkt von Brasiliens Stadtkriegsfront
Romanautor Ferrèz aus Sao Paulos Slumregion Capao Redondo
Der Irak und der Libanon sind täglich wegen der vielen unschuldigen Gewaltopfer in den Schlagzeilen – Brasilien nicht. Obwohl in dem Tropenland jährlich weit mehr Menschen umkommen als im Irakkrieg und die Folter alltäglich ist. Ein bekannter brasilianischer Samba heißt „O Iraque è aqui“, der Irak ist hier. Ferrèz, dreißig, mit bürgerlichem Namen Reginaldo Ferreira da Silva, wurde unfreiwillig zum Frontberichterstatter im brasilianischen Stadtkrieg, Guerra urbana, weil er als einziger Romanautor an der von extremer Gewalt geprägten Slumperipherie der Megacity Sao Paulo lebt. Ferrez, dessen Bücher bei einem angesehenen brasilianischen Verlag erscheinen, bereits ins Französische, Spanische und Italienische übersetzt wurden, erhält wegen seines literarischen und politischen Engagements derzeit Morddrohungen, war noch nie so in Lebensgefahr. In den Slums ist Bücherlesen Luxus, die meisten Bewohner sind zudem funktionelle Analphabeten. Ferrèz wurde deshalb auch zum Rapper, ist in den Ghettos dadurch bekannter als durch seine Bücher.
Vom Goetheinstitut Sao Paulos bis zum Slumviertel Capao Redondo sind es mit den entsetzlich lauten, überfüllten Vorstadtbussen etwa drei Stunden. Aber wer in Brasilien nicht Bus fährt, sagt ein bekannter Schriftsteller, weiß nichts vom wirklichen Leben. In Capao Redondo hausen eine Million Menschen, darunter Ferrèz. Seit Mai führt das größte brasilianische Verbrechersyndikat PCC, Erstes Kommando der Hauptstadt, eine nicht endende Serie von Terroranschlägen gegen den Staat, erschießt an der Peripherie täglich Polizisten, Gefängniswärter und deren Angehörige – Ferrèz liefert als einziger fundierte Berichte von der Front: In seinen Büchern, seiner Zeitschrift, seinem Blog analysiert er Gewalt und Gegengewalt, die Rachefeldzüge der Polizei. Bisher wurden weit über sechshundert Tote gezählt, die meisten in Capao Redondo.
–Krieg in den Slums, Panik in den Nobelvierteln—
Wir reden am Kaffeestand, im Krach einer vollen Bäckerei miteinander, hier fühlt sich Ferrèz sicher. “Für mich ist das hier schon immer wie im Krieg. Doch die Eliten haben es erst jetzt, in diesen Tagen, wegen der Attentatswelle gespürt. Da haben sie in ihren Nobelvierteln die Panik gekriegt, sich verbarrikadiert und versteckt. Nur – so leben wir doch schon jahrelang. Durch Morde habe ich über zwanzig meiner Freunde verloren, das ist normal hier. Man tötet wahllos, wegen Banalitäten. Als ich mal in Spanien war, redeten die Leute, die Medien drei Wochen von einer ertrunkenen Frau. Ich dachte anfangs, ertrinkt hier jeden Tag eine? Bis ich mitbekam, es ist immer die selbe. Dort schockt die Leute noch der Tod. Hier redet man nicht mal mehr von den Toten, weil es zu viele sind. Wenn ich auf der Straße gehe, den Falschen treffe, killt der mich. Und wenn ich mal mit einem Verkäufer diskutieren würde, wäre möglich, daß der den Revolver zieht und mich erschießt, obwohl du neben mir stehst. Kürzlich rede ich mit vier Bekannten auf der Straße. Als ich gerade weg bin, kommt ein Killerkommando, erschießt die vier. Wäre ich noch da gewesen, hätten sie mich mit erschossen. Dazu kann man doch nicht schweigen. Capao Redondo – das ist wie ein Extra-Land, es ist dieses Brasilien, das in Deutschland und anderswo gewöhnlich nicht wahrgenommen wird. Dort denkt man bei Brasilien meist nur an Exotismus, Mulatinnen, Tropenwälder. Das hier ist völlig anders.“
Als Ferrèz mit seinen Blog-Frontberichten beginnt, stellen Brasiliens Medien die Sache noch so dar, als ob die Polizei lediglich auf die PCC-Attacken reagiert, die gefährlichsten Verbrecher bekämpft. Doch Ferrèz beobachtet, daß es meistens Unschuldige trifft, damit Haß und Gewalt in der Gesellschaft weiter geschürt werden. “Ich mache den Versuch, der herrschenden Elitemeinung etwas entgegenzustellen. Denn die Eliten stimulieren ja das Morden, die Vorurteile gegen Slumbewohner. Vierzig Prozent der Getöteten hier waren junge Pizza-Austräger, die nachts mit ihren Motorrädern zu den Kunden fahren. Die Polizei feuerte einfach auf Leute, die gerade auf der Straße waren. Niemand prangerte das an, niemand sprach darüber, das hat mich beeindruckt. Und ich sagte mir, dann muß ich es eben tun. Also habe ich den Mund aufgemacht, und das hatte Wirkung. Die Polizei wurde angewiesen, vorsichtiger, weniger brutal vorzugehen. Man sagte den Beamten, Vorsicht, da gibt es jetzt welche, die darüber berichten. Doch mich bedrohen sie mit Mord.“
Ferrez, der früher Besenverkäufer und Bauhilfsarbeiter war, hat sich deshalb eine Weile versteckt, geht jetzt nachts nicht mehr aus dem Haus. Er wirkt fatalistisch, ohne Angst vor dem Tod. “Ich lebe mit Mord und Tod seit meiner Kindheit. Als ich acht war, sagte mein Vater, vor unserm Haus liegt ein Erschossener. Da bin ich hin und habe mir den genau angesehen. Unglücklicherweise haben wir uns hier an die Gewalt gewöhnt. Klar, ich hoffe, daß mir nichts passiert, aber ich mache mir um den Tod auch keine Sorgen. Denn ehrlich gesagt, ich habe doch alles erreicht, was ich wollte. Ich habe ein Buch geschrieben, das sich verkauft, ich habe meiner Mutter, meiner Frau ein besseres Leben schaffen können. Jetzt habe ich keine Träume mehr, ich bin hoffnungslos, weil sich diese Realität hier nicht bessert, nur alles schlechter wird im Viertel. Ich sehe keine Ehrlichkeit, keinen guten Willen bei den brasilianischen Politikern, den Eliten, nicht mal in unserm Volk. Schau den Leuten ins Gesicht, da siehst du Traurigkeit. Sie engagieren sich nicht, ergeben sich dem Zuckerrohrschnaps, sind mutlos. Hier laufen nur Körper rum, haufenweise, ohne Richtung, Orientierung. Da ist es schwierig, etwas zu erreichen. Gut, andererseits kämpfe ich ja jeden Tag. Tagsüber würde mir die Polizei nichts tun, da gäbe es zu viele Zeugen. Außerdem gibt es Polizisten, die sehen die Lage wie ich. Aber nachts gehe ich nicht raus, oder übernachte dort, wo ich grade bin.“
–Lula und die Slums—
In Deutschland denken viele, Staatschef Lula macht progressive Politik, auch für einen wie dich, für die Leute im Slum. Lula spricht doch jeden Tag in der Wiederwahlkampagne von Riesenerfolgen?
„Die Lula-Regierung ist weniger schlecht als die vorangegangene, ist das kleinere Übel. Aber was hat sich denn seit Lulas Amtsantritt getan? Es gibt nicht mehr Arbeit. Daß sich für die Slumperipherie was verbesserte, ist einfach nicht wahr. Für die Unternehmer sieht die Sache natürlich ganz anders aus.“
Drei Viertel der 185 Millionen Brasilianer, so sagen neue Studien, sind nicht in der Lage, einen einfachen Zeitungs-oder Buchtext zu lesen und zu verstehen. Das vereinfacht die Manipulierung der Pflichtwähler kolossal, dient Neopopulisten wie dem Staatschef ungemein. (Wer nicht wählt, kriegt auch unter Lula keine Arbeit im öffentlichen Dienst, keinen Reisepaß etc.- wie wäre das in Deutschland?)
Aber wer sind dann die Leser von Ferrèz? Sein Buch „Capao Pecado“ produzierte er selber, zog fünfzig Kopien, verteilte es unter Freunden und Bekannten des Viertels. Manche von denen arbeiten für die Mittel-und Oberschicht als Hausdiener, Wächter, zeigten es den Arbeitgebern. Manche bestellten „Capao Pecado“ daraufhin bei Ferrèz, der die Bücher persönlich zu deren Villen brachte, sie dort den bewaffneten Wächtern übergab, die Besteller nicht zu Gesicht bekam.
“Ja, so lief es – die Peripherie hat das Buch den Betuchten gezeigt, jetzt ist es bei einem Verlag in der fünften Auflage. Das System hatte für mich nichts vorgesehen, also habe ich mich auf meine Weise organisiert, mache meine Literatur. Als ich in einer Bäckerei arbeitet, habe ich nebenher was auf Zettel gekritzelt, daraus dann zuhause eine Geschichte montiert. Das lesen jetzt sogar Leute aus der Upperclass. Manche von denen sagen mir, Puta, du hast Recht, die Oberschicht ist idiotisch, die will sich nicht ändern. Dreihundert Familien besitzen achtzig Prozent allen Einkommens, allen Geldes – wir kriegen nur den allerletzten Rest. Ja, unsere Eliten handeln selbstmörderisch, suchen sich in ihren Privilegiertenghettos abzuschotten, langfristig planen die ihren eigenen Tod. Das kann hier alles mal explodieren. Den Aufstand dieses Verbrechersyndikats, das sich immer besser in den Slums organisiert, konnten sie nicht verhindern – auf einen Schlag hundert tote Polizisten, brennende Banken und Staatsgebäude. Morgen könnten sich viele das als Beispiel nehmen, es intelligenter anstellen, eine revolutionäre Organisation schaffen. Und wenn es dann losbricht, kann es keiner aufhalten. Dann werden die Eliten wieder mit Gewalt antworten. Die jungen Menschen hier haben doch keinerlei Perspektiven. Frag hier mal ein Kind, was willst du denn werden? Da lacht es dich aus, sagt, ich will nichts werden, wie sollte ich denn? Mein Bruder ist 18, kann nicht mal richtig lesen – die öffentlichen Schulen formen doch nur funktionelle Analphabeten.“
–Rap, Chico Cesar, Arnaldo Antunes, Paulo Lins—
Daher ist Rap an der Peripherie wichtiger als das Buch, um die Bewohner zu erreichen. In Capao Redondo kennt man Ferrèz mehr wegen seiner Rap-Konzerte, der Rap-CD „Determinaçao“, auf der er mit Chico Cesar und Arnaldo Antunes zu hören ist. Beide suchten Kontakt zu Ferrèz, wollten von ihm Texte, wollten mit ihm auftreten.
Ferrèz ist inzwischen mit dem Schwarzen Paulo Lins aus Rio de Janeiro befreundet. Lins schrieb den Slum-Roman „Cidade de Deus“, Gottesstadt. Der wurde verfilmt – war auch in Deutschland als „City of God“ ein Erfolg, zeigte das andere Brasilien – und auch die Lächerlichkeit so vieler Brasilienklischees von Traumstränden, Karneval und Lebenslust. Die Produzenten von „City of God“ werden jetzt das neue Buch von Ferrèz verfilmen – „Manual pratico do Odio“, praktische Anleitung zum Haß. „Das Leben ist hart an der Peripherie. Die Leute lieben und hassen in gleichem Maß.“
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Brasilien
Folter wie im Irak – Menschenrechtsaktivisten weisen auf gravierende Situation – Appell an die Weltöffentlichkeit
„Die Folterfotos aus dem Irak zeigen uns unglücklicherweise überhaupt nichts Neues, das kennen wir alles“, sagt Isabel Peres, Leiterin der brasilianischen Sektion von ACAT – Christen für die Abschaffung der Folter, in Sao Paulo bedrückt, empört zur ila. „Wegen des Irakkriegs finden die Aufnahmen jetzt besondere Aufmerksamkeit, doch in Brasilien geschieht all das ganz systematisch in Gefängnissen und Polizeiwachen! Die Lage hier ist sehr gravierend. Gerade starb wieder ein Häftling an seinen Verletzungen – ACAT hat deshalb weltweit einen Appell verbreitet“.
Die Internationale Föderation ACAT hat ihren Sitz in Paris, ist in 31 Ländern sowie bei der UNO vertreten. Isabel Peres und ihre Mitarbeiter bekommen alleine aus dem relativ hochentwickelten Teilstaat Sao Paulo auch unter der Lula-Regierung täglich Folteranzeigen aus den über vierzig Gefängnissen. Landesweit sind die Haftanstalten noch stärker überfüllt als vor Lulas Amtsantritt. „Oft müssen sich die Gefangenen halbnackt ausziehen und Spießruten laufen. Die Militärpolizisten prügeln auf sie ein, immer wieder gibt es Tote. Bereits auf dem Transport werden Häftlinge zur Einschüchterung gequält, kommen stark verletzt in der Anstalt an.“
Eigentlich müßte sie ein Arzt laut Gesetz bei der Ankunft untersuchen – doch meist wird das einfach unterlassen. „Wenn wir von Folterungen erfahren, gehen wir mit einem Mediziner, einem Psychologen und einem Anwalt sofort in das betreffende Gefängnis, protokollieren den Fall, schicken den Bericht auch an die entsprechenden Autoritäten im Ausland. Doch zwei Monate später stellen wir oft fest, daß die mißhandelten Häftlinge weiter mit gebrochenen Armen, gebrochenen Beinen in ihren Zellen liegen, nicht richtig medizinisch behandelt wurden. Ein Nationalplan der Regierung gegen Folter steht doch nur auf dem Papier. Wir apellieren deshalb an die Menschenrechtler im Ausland, uns zu helfen.“
Auch der österreichische Pfarrer und Gefangenenseelsorger Günther Zgubic gehört zur ACAT Brasilien, prangert seit Jahren die in Brasilien üblichen Foltermethoden an, verglich Gefängnisse mit Konzentrationslagern:“Häftlinge erhalten Elektroschocks, werden mit dem Kopf unter Wasser oder gar ins Klosett gehalten, müssen Fäkalien essen – man treibt ihnen Nadeln unter die Finger-und Fußnägel, drückt glühende Zigaretten sogar auf die Intimteile – hinzu kommt sexueller Mißbrauch.“
Pfarrer Zgubic zeigte hunderte Folterfälle, aber auch Gefängnisdirektoren und sadistische Beamte an, machte sich dadurch viele Feinde. Für die UNO erarbeitete er immer wieder Dossiers. „Brasiliens hat formell fast alle UNO-Abkommen zum Schutze der Menschenrechte unterzeichnet, besitzt sogar ein Anti-Folter-Gesetz – doch immer noch gibt es die Torturen.“
Auch Omar Klich, Leiter der Nationalen Bewegung für Menschenrechte/MNDH in Brasilia, nennt die Lage landesweit gravierend. Gefoltert werde jedoch nicht am meisten in den größten Städten, sondern im stark unterentwickelten Hinterland. Und dort fehlten Expertenteams wie von ACAT – die allerdings gar nicht in die Gefängnisse gelassen würden.
„Die Regierung reagiert nur manchmal und punktuell, obwohl Folter nicht nur in Rio de Janeiro, sondern landesweit zur Routine wurde, überall im Sicherheitsapparat“, so der deutschstämmige Klich zu ila. „Folter ist eine systematische Praxis, eine Ermittlungsmethode der brasilianischen Polizei. Das hat hier vor vier Jahren schon der UNO-Sonderberichterstatter Nigel Rodley festgestellt. “
Die Struktur der Justiz, der öffentlichen Sicherheit Brasiliens sei aus der 21-jährigen Diktaturzeit unverändert in die Demokratie übernommen worden.
“Die gleiche Militär-und Zivilpolizei, die damals folterte und politische Gegner verfolgte, haben wir auch heute noch. Natürlich werden Reiche, Bessergestellte nie gefoltert – bevorzugt dagegen Menschen aus der Unterschicht, also Schwarze, Arme aus den Slums. Ungezählte Folteropfer machen aus Angst vor Rache keine Anzeige. Und oft passiert folgendes: Von oben wird jener Polizeichef, der angezeigt wurde, damit beauftragt, den Fall höchstpersönlich aufzuklären. Da ermittelt sozusagen der Täter gegen sich selbst – und meistens wird die Sache dann ergebnislos eingestellt.“
Klich kommentiert neue Studien, denen zufolge in Sao Paulo ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung die Folter befürwortet, damit Tatverdächtige gestehen. “Gewalt ist in unserem Land ein kulturelles Problem, war seit der Gründung unserer Nation immer präsent. Der Brasilianer reagiert auf Gewalt gewöhnlich wieder mit Gewalt – dies ist in Ländern wie Großbritannien ganz anders, deshalb ist dort die Verbrechensrate so niedrig. Und Folter ist in Brasilien kulturell legitimiert, gilt in der öffentlichen Meinung als gerechtfertigt, um Verbrechen aufzuklären. Zu unserer Kultur gehört die Idee, daß man so für Gerechtigkeit sorgt, zumal die Justiz sehr langsam arbeitet. Frauen sind besonders oft Gewaltopfer – und meinen daher wohl, Folter sei die richtige Antwort.“
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„Stille Gewalt des brasilianischen Staates gegen Arme“
Lulas Präsidentenberater Frei Betto kritisiert Regierungspolitik
Der bekannte brasilianische Befreiungstheologe und derzeitige Berater von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva, Frei Betto, hat der Regierung unsoziale Politik gegen die arme
Bevölkerungsmehrheit vorgeworfen. Am Dienstag, dem Tag des „kontinentalen Aufschreis “ der sozial Ausgeschlossenen Lateinamerikas, schrieb er in Brasiliens größter Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“, der Staat agiere seit Kolonialzeiten zugunsten der reichsten Bevölkerungsschichten, wende indessen gegen die Masse der gesellschaftlich ausgegrenzten Armen „stille Gewalt“ an. Durch wirtschaftliche Maßnahmen würden Millionen von Menschen zunehmend Einkommen, Arbeit, Land und selbst essentiell wichtige Verbrauchsgüter entzogen, mache man ihnen sogar das Überleben unmöglich. „Den Verarmten bleibt nichts weiter übrig, als in provisorischen Camps auf dem Lande oder in Stadtslums zu hausen – ohne Recht auf Gesundheit,
Bildung und Information.“ Die stille Gewalt des Staates werde durch Gesetze weder gestützt noch verurteilt, jedoch mit den derzeitigen sozialen Strukturen und den Paradigmen der Marktwirtschaft legitimiert. „Und somit wird daher das Wachstum einer Nation nur an der Zunahme des
Bruttosozialprodukts gemessen – nicht aber an der Lebensqualität der Bevölkerung oder einer höheren Kaufkraft der Arbeiter.“
Auch in den neoliberalen deutschen Kommerzmedien erhält die Lula-Regierung derzeit größtes Lob wegen Wirtschaftswachstum, Primärüberschuß, zunehmenden Exporten – wie üblich werden indessen Reallohnverluste und Slumwachstum unter Lula unterschlagen. Das durchschnittliche Arbeitereinkommen in der zwölftgrößten Wirtschaftsnation liegt derzeit selbst laut offiziellen Angaben nur bei umgerechnet rund 260 Euro.
„Wesentliches Charakteristikum des kapitalistischen Systems ist, einige wenige reich zu machen – auf Kosten der Armut vieler – vor allem in der jetzigen neoliberalen Phase, wo Finanzspekulation gegenüber produktiven Investitionen überwiegt.“
Brasilien, so der Dominikaner Frei Betto weiter, fehle eine Strategie für nachhaltiges Wachstum. Die Politik erniedrige sich selbst, wenn sie Utopien aufgebe. „Notwendig ist ein Staat, der auf die stille Gewalt verzichtet und den Kampf gegen die Ungleichheit als Priorität setzt – selbst wenn dies den Besitzern von Geld und Macht mißfällt.“ Folge jener Art von Gewalt sei auch
das jüngste Massaker an Obdachlosen in Sao Paulo, bei dem unbekannte Täter in der City unweit von Banken und Geschäftshäusern sieben schlafende Wohnungslose erschlagen hatten.
Die lateinamerikanische Wirtschaftsmetropole Sao Paulo, zudem eigentliche Hauptstadt Brasiliens, wird von der Elite-nahen Präfektin Marta Suplicy aus Lulas rechssozialdemokratischer Arbeiterpartei(PT) regiert – nach bisherigen Wahlvorhersagen wird sie bei den Stichwahlen Ende Oktober gegen ihren Herausforderer Josè Serra von der konservativen „Sozialdemokratischen Partei“(PSDB) des Lula-Amtsvorgängers Fernando Henrique Cardoso, unterliegen. Marta Suplicy ist Vizechefin der Arbeiterpartei.
–„Speichelleckerei, Prinzipienverrat, Inkompetenz“—
Anfang 2004 hatte Frei Betto bereits in der „Folha de Sao Paulo“ beschrieben, wie in Brasilia derzeit Politik gemacht wird: Speichelleckerei, Inkompetenz, Prinzipienverrat, Effekthascherei, gröbste Lügen, Krokodilstränen, Wiederholung alter politischer Sünden. Irritationen über eingeforderte Wahlversprechen und Kritik. In die Politik steige man ein „ohne Prüfung der Kompetenz, fordert man kein Attest moralischer Integrität – in dieser Suppe der Gewählten vermischen sich Ehrliche und Gerissene, Rechtschaffene und Korrupte.“
Frei Betto kennt wie Luiz Bassegio, Koordinator des „kontinentalen Aufschreis, Lula bereits aus der Diktaturzeit, den Metallarbeiterstreiks sehr gut. Kurz bevor er mit Lula in den Präsidentenpalast einzog, hatte er diesem öffentlich einige Warnungen mit auf den Weg gegeben: Gewählte „Hoffnungsträger“ lateinamerikanischer Länder liefen stets Gefahr, „machtbesoffen“ zu werden, den Kontakt mit der Basis zu verlieren, sich mit Speichelleckern zu umgeben, die Fähigkeit zur Selbstkritik zu verlieren, Privilegien und Luxus zu genießen, während es der Bevölkerung am nötigsten fehle. Nach wenigen Monaten bereits mußte Frei Betto erfahren, daß Lula ausgerechnet im Sozialbereich sparte, die Massenarbeitslosigkeit weiter ankurbelte, sich dem Establishment anbiederte, archaischen politischen Praktiken frönte. Mit gewisser Bitternis erklärte er darauf den Leuten:“Wir sind an der Regierung, aber nicht an der Macht.“
–Frei Betto und Fidel Castro—
Zu einer besonders delikaten Aufgabe Frei Bettos wurde Lulas Visite im September 2003 bei Fidel Castro, mit dem der Dominikaner noch enger als Lula selbst befreundet ist. Washington hatte Lula offiziell aufgefordert, während des Besuchs öffentlich die Menschenrechtspolitik der Castro-Regierung zu kritisieren – wozu es jedoch nicht kam. Frei Betto vermittelte vielmehr ein Gespräch Lulas mit dem Kardinal von Havanna, der dabei eingeräumt habe, daß die fünfundsiebzig in jüngster Zeit zu Gefängnisstrafen verurteilten Castro-Gegner in eine Konspiration gegen die kubanische Regierung verwickelt gewesen und von der US-Vertretung in Havanna entsprechend beeinflußt worden seien. „Wenn Cuba so fürchterlich ist – warum fahren dann dorthin mehr Touristen als nach Brasilien?“, sagt Frei Betto, der mehrere europäische Menschenrechtspreise erhalten hat.
Als in Lulas erstem Amtsjahr Führer der Landlosenbewegung (MST) wie Josè Rainha, Diolinda da Silva und Mineirinho eingekerkert wurden, stellte sie Frei Betto in eine Reihe mit wegen ihrer Überzeugung verfolgten Persönlichkeiten der Geschichte, wie Galileo, Edith Stein, Gandhi und Martin Luther King. „Verurteilt werden Landlosenführer, die sich für elementare Rechte einsetzen, obwohl doch das Großgrundbesitzertum auf der Anklagebank sitzen müßte. Ich danke Gott für die Existenz des MST. Eigentum, das gemäß kirchlicher Doktrin nicht seine soziale Funktion erfüllt, ist kriminell – das Recht auf Leben steht höher als Eigentumsrecht.“
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Brasiliens neoliberales Zwei-Klassen-Gesundheitswesen
Evangelista Magalhães in der Zuckerhutmetropole hat Kreislaufprobleme, Bluthochdruck, spürt Schmerzen. Wäre die 55-Jährige aus der Mittel-und Oberschicht, hätte sie eine exzellente Privatversichung, ginge jederzeit zu einem Spezialisten, genösse eine Behandlung wie in der Ersten Welt. Ihr Pech jedoch, wie rund achtzig Prozent der 185 Millionen Brasilianer nur zur Unterschicht zu gehören, auf öffentliche Krankenhäuser und Gesundheitsposten angewiesen zu sein. In einer Mainacht stellt sie sich, um garantiert dranzukommen, schon nachts bei Regen und Wind in die lange Schlange vorm Ambulatorium des heruntergekommenen, gefährlichen Hafenviertels. Stunden später ist Evangelista Magalhaes tot. Ihr Kreislauf hält die Anstrengung nicht aus, sie bricht zusammen. Rettung wäre möglich gewesen, ein privater Krankenwagen nach wenigen Minuten zur Stelle. Doch der sofort herbeigerufene „öffentliche“ kommt erst nach über einer Stunde. Da weint ihr Ehemann bereits neben der Leiche. Täglich ereignet sich derartiges irgendwo in Brasilien – Sterben in der Warteschlange ist normal. Und wer nach durchwachter Nacht bis ins Krankenhaus vordringt, gar wegen eines Unfalls sofort in die Notaufnahme kommt? Weil Ärzte, Krankenschwestern, Medikamente, Apparaturen, Spritzen und Verbandsmaterial fehlen, sterben tagtäglich ungezählte Brasilianer. Nicht nur weit im Hinterland, in den rückständigsten Gebieten Amazoniens, sondern selbst im zweitwichtigsten Wirtschaftszentrum Rio de Janeiro, wo 14,3 Millionen Menschen wohnen. „Chaos, Schlamperei und Horror herrschen in den städtischen Krankenhäusern“, beklagt der Universitätsprofessor Jairo Nicolau – die Bewohner der Elends-und Armenviertel benutzen weit drastischere Begriffe, nennen Hospitäler sogar „Fleischereien“. Wegen einer simplen Diagnose muß die nicht privatversicherte Mehrheit bis zu einem Jahr warten, sich dafür viermal schon nach Mitternacht in Warteschlangen einreihen. Wenn der Befund feststeht, liegt die betreffende Person nur zu oft längst auf den Friedhof. Weil Betten fehlen, werden selbst Schwerkranke auf Stühlen deponiert, bis sie leblos umkippen. Unfallopfer mit komplizierten Verletzungen werden häufig einfach in den Krankenhaushof geschoben, bis sich Hilfe erübrigt hat. Immer wieder Verzweiflungstaten: Kranke oder deren Angehörigen erzwingen mit vorgehaltenem Revolver eine Operation. Im berüchtigten fabrikartigen Hospital „Souza Aguiar“ wurden selbst Infarktbetroffene abgewiesen. Auch einer Frau in den Wehen wird die Hilfe verweigert – also bekommt sie ihr Kind im engen Taxi vor der Tür zur Notaufnahme – Wartende helfen ihr, nicht Ärzte oder Schwestern. Jeder Unterschichtsbrasilianer war Augenzeuge solcher – und schlimmerer Szenen. Als im März das öffentliche Gesundheitswesen Rios völlig zusammenbricht, ruft die Regierung von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva gar den medizinischen Notstand aus, läßt mitten in Parks Militärlazarette aufbauen. Vor den Zelten der Militärärzte dasselbe Bild wie immer – teils kilometerlange Schlangen. Millionen drängen zudem von der sozial völlig vernachlässigten Slumperipherie in die innerstädtischen Hospitäler und Ambulanzen, überlasten diese total. Rios Gesundheitssekretär Ronaldo Coelho ist Großaktionär beim Zigarettenkonzern Souza Cruz, das paßt ins Bild. In Sao Paulo, der reichsten Wirtschaftsmetropole ganz Südamerikas, ist die Lage ähnlich, stehen den privilegierten Privatversicherten indessen noch weit bessere Kliniken als in Rio zur Verfügung. Doch in den riesigen Slums klettert wegen der elenden Lebensbedingungen auch die Krebsrate immer rascher. Weil auch öffentliche Zahnärzte fehlen, haben rund dreißig Millionen Brasilianer keinen einzigen Zahn mehr im Mund. Bei Tuberkulose liegt das Land auf dem 15. Platz weltweit.
Der katholische Bischof Demetrio Valentini nennt den Horror im Gesundheitsbereich zuallererst „Konsequenz neoliberaler Politik unsensibler Politiker“. Für Staatschef Lula sei die Rückzahlung der hohen Außenschulden, ein beträchtlicher Primärüberschuß vorrangig, nicht aber das Soziale. Deshalb würden die Mittel für Gesundheit, aber auch Bildung gekürzt, werde die Bevölkerungsmehrheit der dreizehnten Wirtschaftsnation immer schlechter medizinisch betreut. „Weltbank und Währungsfonds loben Brasilien doch nicht, weil es dem Volke gutgeht, gar das Gesundheits-und Schulwesen gut dasteht“, analysiert Valentini, Sozialexperte der Bischofskonferenz, sarkastisch.
Ein Internist zur Gesundheitslage in Rio:“Die Bewohner sind wegen der hohen Gewaltrate in ständiger Spannung, unter Dauerstreß, da sie ständig auf der Hut sein müssen, ständig mit Gewalttaten rechnen müssen. Deshalb soviel Bluthochdruck, deshalb der sehr hohe Zuckerspiegel – weit höher als in Mitteleuropa, den USA. Die hohe Diabetesrate in Brasilien hat zuallererst psychische Gründe, kommt von der psychischen Spannung. Zudem fressen die Leute wegen Streß und Spannung zuviel Fettes in sich hinein, kompensieren durch Essen, was die Probleme nur noch vergrößert. Am Wochenende stehen die Eltern unter Hochspannung, da ihre Kinder ausgehen, dabei Gewalt, den Tod erleiden könnten. Meine Generation trank in der Jugend noch relativ gemäßigt – die jungen Menschen heute trinken geradezu exzessiv, nehmen Drogen, in der Gier, möglichst viel zu erleben, bevor es zu spät ist. Jeder weiß, daß das schon heute, schon morgen sein kann – wegen der Gewalt. Wir haben hier in Rio eine Art Endzeitstimmung, ein Klima des Rette-sich-wer-kann.“
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Rasante Urwaldvernichtung auch unter Staatschef Lula
Über 25000 Quadratkilometer letztes Jahr – ebensoviel für 2003 erwartet
Greenpeace und andere Umweltverbände stark enttäuscht von neuer Regierung
Letztes Jahr feierte die Mitte-Rechts-Regierung von Staatschef und FU-Berlin-Ehrendoktor Fernando Henrique Cardoso enorme Erfolge beim Schutz Amazoniens. Allein die Zahl der Brandrodungen, hieß es in ganzseitigen Zeitungsanzeigen, habe man um sage und schreibe 86 Prozent gesenkt. Auch europäische Medien übernahmen kritiklos, was sich inzwischen als reine Regierungspropaganda herausstellte – denn genau das Gegenteil war richtig. Doch auch die neue Mitte-Rechts-Regierung von Cardoso-Nachfolger Luis Inacio „Lula“ da Silva räumt jetzt ein, daß in ihrem ersten Amtsjahr die Amazonasvernichtung ebenso rasant weitergehen wird.
Deutschland ist Hauptfinanzier des EU-Pilotprojekts zum Schutze der brasilianischen Regenwälder – Trittin, Fischer, Schröder loben es bei jeder Gelegenheit. Wie effizient es ist, zeigen die letzen Jahre: 2002 wurde soviel Amazonasurwald zerstört wie seit 1995 nicht mehr – über 25000 Quadratkilometer – das entspricht der Fläche Mecklenburg-Vorpommerns. Eine Steigerung um vierzig Prozent gegenüber 2001 – wie das zuständige staatliche Institut INPE jetzt weiter mitteilte. Der Tropenwald wird illegal gefällt, größtenteils aber durch Brandrodungen in Asche verwandelt. Eine stupide, archaische Methode von Großfarmern, aber auch Kleinbauern, um Acker-und Weideland zu gewinnen. In den bis zu fünfzig Kilometer langen Flammenwänden, verbrennen ungezählte Tiere lebendig – Brasiliens Liste vom Aussterben bedrohter Arten wird deshalb auffällig rasch immer länger.
–Soja-Viehfutter-Exporte nach Europa kosten Amazonasurwald—
„Die neuen Zahlen machen uns traurig, sind ein Absurdum“, sagt Greenpeace-Tropenwaldexperte Gustavo Vieira im Trend-Interview. „Hauptgrund ist, daß die Landwirtschaft, die Viehzucht geradezu invasionsartig nach Amazonien vordringen. Sehr viel Urwald wird vernichtet, um wegen der großen internationalen Nachfrage mehr Soja anzubauen, das als Viehfutter zunehmend auch nach Deutschland exportiert wird. Jedes Jahr neue Soja-Ernterekorde auf Kosten des Amazonasurwalds. Dabei ist der doch viel wertvoller, solange er noch steht – denn der Boden dieser Region ist ja nur wenig fruchtbar, kann von der Landwirtschaft garnicht hochproduktiv genutzt werden – eine sinnvolle, nachhaltige Waldbewirtschaftung wäre viel produktiver.“
Doch die existiert bisher nur punktuell – Holz wird nach wie vor illegal ausgeführt, vor allem jenes, das von den neuen Sojaflächen stammt. Geschlagen zu niedrigsten Kosten, von extrem schlecht bezahlten Arbeitskräften, in Schwarzarbeit, ohne Sozialabgaben.
“Leider ist man in Europa immer noch an brasilianischem Edelholz zu Niedrigstpreisen interessiert, illegal gefällt. Die erzielten Gewinne sind exorbitant, bleiben aber eben nicht bei uns, nützen nicht der Amazonasregion. Doch wenigstens dort, wo Greenpeace präsent ist, etwa mit dem Expeditionsschiff `Amazon Guardian `, wird kein Edelholz geschlagen oder abtransportiert. Denn wir filmen, fotografieren, dokumentieren den illegalen Einschlag, erstatten Anzeige.“
Greenpeace macht vor, daß auch im riesigen Amazonasgebiet Brasiliens strenge Umweltgesetze durchaus angewendet werden könnten; anders, als von den Regierenden immer behauptet, effiziente Kontrollen möglich wären – trotz unterentwickelter Strukturen, fehlenden Personals. Man könnte durchaus härter, energischer vorgehen, beispielsweise die Streitkräfte einsetzen, fordern auch andere Umweltorganisationen, die echten politischen Willen vermissen. Denn nicht nur die Regenwälder sind unmittelbar bedroht, sondern auch die, die ihn schützen wollen.
“Die Situation ist sehr komplex, und die Regierung eigentlich noch garnicht in Amazonien präsent. Alle sozialen Probleme Brasiliens sind in dieser riesigen Region hundertfach größer. Auf unsere Aktivisten dort sind Kopfgelder ausgesetzt. Paulo Adario, der die Amazonaskampagne von Greenpeace leitet, hat ständig Bodyguards, trägt eine schußsichere Weste, wegen der vielen Morddrohungen von Holzfirmen. Der brasilianische Staat ist nicht präsent, schützt uns nicht – es gibt keine Polizei, an die wir uns wenden könnten.“
–neue Umweltministerin Marina Lima bisher eine Pleite—
Derzeit hofft Greenpeace zwar auf die neue Umweltministerin Marina Silva, ist jedoch wie die gesamte brasilianische Umweltbewegung bisher von der neuen Lula-Regierung stark enttäuscht. Zwar wurde versprochen, umgerechnet mehr als sechs Millionen Euro für zusätzliche Überwachungsmaßnahmen in Amazonien bereitzustellen – doch andererseits räumte Ministerin Marina Silva, die ebenso wie Sozialministerin Benedita da Silva einer Wunderheiler-Sektenkirche angehört, bereits ein, daß auch 2003 soviel Urwald zerstört werde wie im Vorjahr, der Vernichtungsprozeß vorerst so rasant weitergehe. Marina Silva nutzt bisher die gleichen Ausflüchte wie ihre Amtsvorgänger, bittet ebenso wie diese um Geduld angesichts der „Megaprobleme“.
“Die Lula-Regierung hat im Umweltbereich einige interessante Absichten“, so Greenpeace-Experte Gustavo Vieira – doch gibt es größenwahnsinnige Pläne, in Amazonien gigantische Staudämme wie jenen von Belo Monte zu errichten. Dort würde immens viel Urwald überflutet und damit vernichtet, würden die Waldbewohner geschädigt. Und deshalb sind wir gegen Belo Monte, haben mit der Regierung heftigen Streit. Diese Erfahrung, die wir in Amazonien haben, hat die Regierung nicht.“
–Ein Viertel der gesamten Amazonasvernichtung unter Lula-Amtsvorgänger Cardoso– Staatschef Lulas neoliberaler Amtsvorgänger Fernando Henrique Cardoso ging, wie von Brasiliens Umweltverbänden vorhergesagt, als bisheriger Rekordhalter bei der Amazonasvernichtung in die Geschichte ein. Wie Vieiras Greenpeace-Kollege Paulo Adario jetzt noch einmal betonte, geschah ein Viertel(!) der gesamten bisherigen Amazonas-Entwaldung in den acht Amtsjahren Cardosos, weit mehr als beispielsweise in den Jahrzehnten der Militärdiktatur. Damit wurden auch die Menschenrechtsprobleme Amazoniens gravierender – da auch Lebensraum von Indianern vernichtete wurde. Bezeichnend, daß Rot-Grün Cardosos Politik immer über den grünen Klee lobte, auf politischen Druck zugunsten Amazoniens verzichtete. Und natürlich hielt auch die FU Berlin – deren Studentenorganisationen – zu ihrem großartigen Ehrendoktor.
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Lateinamerikas Dienstagsdemo – kontinentaler Aufschrei der Ausgeschlossenen in Lateinamerika und der Karibik am 12. Oktober
„Nur durch Druck der Volksbewegungen ändern wir neoliberale Politik“
Gespräch mit dem Lula-kritischen Brasilianer Luiz Bassegio, Koordinator des „Grito continental“
„Nirgends auf der Welt ist die Diskrepanz zwischen Reichen und Armen so kraß wie auf unserem Kontinent, nie zuvor gab es so viele Hungernde und Arbeitslose“, klagt das Manifest zum diesjährigen, sechsten Aufschrei an. „Auf unseren Straßen streiten Kinder und Bettler wie Tiere um die Abfallkübel“. In Sao Paulo, der reichsten lateinamerikanischen Wirtschaftsmetropole mit über tausend deutschen Unternehmen, hat Luiz Bassegio solche Szenen, absurdeste Sozialkontraste täglich vor Augen. Würde jemand in Deutschland für fünfzig Cents Stundenlohn selbst am Wochenende auf dem Bau arbeiten, sich für zweihundert Euro monatlich ans Band eines Automultis stellen? In Brasilien sind solche Sozialdumping-Löhne normal, ermöglichen den zunehmend in die Erste Welt exportierenden nationalen und multinationalen Konzernen traumhafte Gewinne. Die Kehrseite – auch Sao Paulos, Rios extrem gewaltgeprägte, meist vom organisierten Verbrechen neofeudal beherrschte Slums wachsen als Parallelstaat jährlich um über zehn Prozent – alles in Europa kaum oder gar nicht wahrgenommen, sogar verdrängt.
Luiz Bassegio koordiniert von seinem kleinen Pastoral-Büro aus sämtliche Aktionen des „Grito continental“ – eine Sisyphusarbeit. Denn am 12. Oktober und in den Tagen danach werden nicht nur in Brasilien, Argentinien und Chile Ungezählte auf Kundgebungen und Prozessionen, bei Mahnwachen, Konzerten und in Gottesdiensten gegen die Zustände protestieren, sondern auch in Kolumbien, Haiti und selbst den USA, in bisher dreiundzwanzig Ländern. „Der Grito ist eine neue Form der Manifestation, befreiungstheologisch inspiriert, zeigt Auswege, Alternativen. Nicht etwa Politiker und Gewerkschaftsführer reden, sondern die sozial Ausgeschlossenen selber. Wichtig ist, daß alle Proteste in den Ländern gleichzeitig stattfinden, um Wirkung zu erzielen. Es nützt wenig, wenn man mal hier, mal dort etwas organisiert.“ Bassegio streut Unmengen interessanter Fakten in die Grito-Dokumente: In Lateinamerika, der Karibik leben derzeit 204 Millionen in Armut, neunzig Millionen im Elend. Doch nur drei Nordamerikaner, Bill Gates, Paul Allen und Warren Buffett, besitzen zusammen ein Privatvermögen höher als das Bruttosozialprodukt von 42 armen Nationen, mit sechshundert Millionen Bewohnern! „Globalisiert wird die Armut, nicht der Fortschritt, Abhängigkeit statt Unabhängigkeit, Konkurrenz statt Solidarität.“
–Grito continental in Brasiliens katholischer Kirche entstanden—
Alles begann mit dem Grito 1995 in Brasilien, als sich die nationale Bischofskonferenz (CNBB) mit ihrer Brüderlichkeitskampagne erstmals den sozial entwurzelten, marginalisierten Bevölkerungsteilen widmete, mit Hilfe der Pastoralen alljährlich einen landesweiten „Grito dos Excluidos“ organisierte. Bald schlossen sich Bewegungen wie die der Landlosen, und selbst Gewerkschaften an. Ab 1999 sprang der Funke auf ganz Lateinamerika und die Karibik über. „Doch im Grunde geht der Grito continental weiter von Brasilien aus, wird hier am meisten von der katholischen Kirche, ihren Sozialpastoralen unterstützt – den zweiten haben wir 2000 sogar von der UNO in New York aus gestartet.“ In den anderen Ländern beteiligen sich am Grito vor allem kommunale Organisationen, die Kontinentale Allianz(ASC), entstand ein weitgefächertes Netzwerk. —-Haiti und Kuba—
Luiz Bassegio, gleichzeitig Sekretär der brasilianischen Migrantenseelsorge, war von Anfang an dabei, verfaßte zahllose Grito-Zeitungen und Argumentationen, reist kontinuierlich in alle beteiligten Länder, erklärte selbst auf Haiti, wie man einen „Grito“ organisiert. Dort führen derzeit brasilianische Militärs die UN-Einheiten. „Wir haben gegen die Truppenentsendung eine Unterschriftenaktion gemacht – die USA, selber schon in Konflikte wie Irak und Afghanistan verwickelt, haben Brasilien für diese stupide Rolle vorgeschickt. Die Lage dort ist derzeit superkompliziert – viele rivalisierende Gruppen, und die Volksbewegungen verbünden sich nicht.“
Bassegio reist auch nach Kuba, sogar mit dem Führer der brasilianischen Landlosenbewegung, Pedro Stedile – beide sprachen auf einer Konferenz gegen Neoliberalismus. „Wir schätzen Kuba, schätzen Fidel Castro, kritisieren aber, daß es dort keine Direktwahlen gibt. Eine Person sollte nicht 45 Jahre an der Macht bleiben. In Kuba sehen wir indessen mehr Positives – Gesundheit, Bildung, Sport, das minimale Wohlstandsgefälle – nicht so exorbitant wie in Brasilien. Haiti ist ein kapitalistisches Land, Kuba ein sozialistisches, da sieht man es ja.“ Natürlich kennt Bassegio den neuesten UNO-Index für menschliche Entwicklung, in Bezug auf den Inselstaat von Deutschlands Schein-Progressiven immer gerne verdrängt: Kuba liegt auf dem 52. Platz, mit Deutschland, den USA und Argentinien in der Spitzengruppe jener Länder mit hohem Entwicklungsgrad. Lulas Brasilien folgt erst auf dem 72. Platz, die Türkei auf dem 88. Rang, in der Gruppe der Länder mit mittlerem Entwicklungsgrad. Und Haiti zählt zu den Schlußlichtern, auf Platz 153, bei den Staaten mit niedrigem Entwicklungsniveau.
–Gegen Zahlung der Außenschulden, gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA—
Die diesjährigen Proteste richten sich speziell auch gegen die Zahlung der Außenschulden und die von den USA favorisierte gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA. „Das ist eine Strategie der Vereinigten Staaten, ihre Waren überall auf dem Kontinent zu verkaufen – wie Coolin Power und selbst Bush erklärten. Aber wir akzeptieren das nicht –die ALCA würde vor allem die kleine Landwirtschaft, die kleine und mittlere Industrie unserer Länder zerstören. Die USA und Kanada erbringen achtzig Prozent des Bruttosozialprodukts von Nord-und Südamerika, Brasilien dagegen nur über vier Prozent, Argentinien nur 2,2 Prozent – solche assymetrischen Wirtschaften kann man doch nicht gleichsetzen! Wir wollen Integration, claro, aber das heißt zuallererst Investitionen in den armen Ländern. In den USA entfallen auf tausend Beschäftigte der Landwirtschaft etwa 1500 Traktoren, bei uns nur fünfzig, sechzig. Wir müssen zuerst einen Wirtschaftsblock unter uns bilden – dabei aufpassen, daß Brasilien nicht ähnlich den USA die kleinen Nachbarstaaten ausbeutet.“
–Kritik an Lula: „Er und die Parteispitze haben sich stark geändert“—
Die brasilianische Bischofskonferenz, deren Assessor Bassegio sieben Jahre lang war, unterstützte ein Plebiszit gegen die ALCA, über drei Millionen unterschrieben. Jetzt wollen die sozialen Bewegungen ein offizielles Plebiszit. „Leider hört uns Lula nicht.“ Besonders in der Ersten Welt wird der Staatschef und einstige Gewerkschaftsführer als Heilsbringer verehrt. „Nein, so stimmt das nicht!“ Bassegio ist persönlicher Freund Lulas. „Zur Diktaturzeit in den achtziger Jahren habe ich Lula während der Metallarbeiterstreiks vor der Polizei in unserem katholischen Seminar versteckt – wir von der Arbeiterpastoral sammelten damals auch Lebensmittel für die Streikenden. Bei der Gründung der Dachgewerkschaft CUT haben wir katholischen Seminaristen die zehntausend Statute gedruckt, ich habe das ganze geleitet.“ Heute jedoch zählt Bassegio zu Lulas schärfsten Kritikern, kritisiert die Rückzahlung der Außenschulden – ebenfalls ein zentrales Thema des Grito continental. Für den Schuldendienst wurde 2003, in Lulas erstem Amtsjahr mehr als doppelt soviel aufgewendet, wie für Gesundheit, Bildung, Wohnen, Infrastruktur öffentlichen Transport, Technologie und Agrarreform zumindest vorgesehen, bei weitem nicht aber ausgegeben. „Deshalb ist ja der Markt so beruhigt, aber das Volk so nervös. Die Höhe der Außenschulden wird nicht einmal überprüft, wie in der Verfassung vorgesehen – und die Agrarreform läuft schlechter als unter Lulas Amtsvorgänger Cardoso. Die Multis nutzen die billigen Arbeitskräfte aus und investieren, um zu exportieren. Nur durch Druck der Volksbewegungen ändern wir neoliberale Politik.“ Lula freue sich über das derzeitige Wirtschaftswachstum, die positive Handelsbilanz, den Primärüberschuß. „Doch das heißt eben nicht auch gleichzeitig bessere Einkommensverteilung, deutlich mehr Arbeitsplätze – der neu geschaffene Reichtum wird nicht verteilt, das ist die Schlüsselfrage!“ Und wegen Lulas politischen Bündnissen werde es dazu auch nicht kommen. „Lula und die PT-Spitze haben sich die letzten Jahre sehr stark geändert. “
–Brasilien – Laboratorium, Experimentierfeld des Neoliberalismus—
Bassegio stimmt zu – Brasilien, immerhin dreizehnte Wirtschaftsnation, aber Weltmeister in sozialer Ungleichheit, ist derzeit ein Laboratorium, Experimentierfeld des Neoliberalismus – wie weit können wir gehen, testen hier die konservativen internationalen Geld-und Politikereliten. Kein Geheimnis, daß die SPD eng mit Lulas Arbeiterpartei zusammenarbeitet. „Lula richtet sich nur nach den USA, dem Weltwährungsfonds – statt den Bedürfnissen des Volkes Priorität zu geben.Wenn Bush, die USA, die Weltbank – also unsere Gegner – Lulas Kurs loben, heißt das doch, daß er denen nützt, aber nicht dem brasilianischen Volk!“ Neoliberale Politik werde fortgesetzt, ein Drittel der über 180 Millionen Brasilianer habe monatlich weniger als umgerechnet zweiundzwanzig Euro zum Überleben. Die Arbeitereinkommen sanken in Lulas erstem Amtsjahr gegenüber 2002 um 7,4 Prozent. Und der unter Lula nur minimal auf umgerechnet 74 Euro erhöhte Mindestlohn sei ein Witz. „Das kann unmöglich so weiter gehen.“ Der kontinentale Aufschrei der Ausgeschlossenen ist daher auch für Lulas Ohren gedacht.
–„Arbeiterpartei hat sich vom Grito entfernt“—
Befreiungstheologen wie Bassegio hatten einst die Gründung der PT, der Landlosenbewegung MST und des Dachverbands CUT nach Kräften gefördert – nur der MST blieb progressiv. PT und CUT, analysierte Bassegio bereits 2000, „haben keine echte Verbindung mehr zu den Bedürfnissen und Forderungen der unteren Klassen.“ Heute, vier Jahre später, konstatiert er:“Was die Regierung jetzt macht, haben wir nicht gewollt, diese Politik führt zu nichts. Der PT hat sich vom Grito entfernt, ist ausgestiegen, die CUT ist schon fast raus, weil sie eben sehr auf Regierungslinie ist.“ Nach Lulas Wahl sei auch die brasilianische Grito-Bewegung erst einmal regelrecht abgesackt, war es schwierig, die Leute zu mobilisieren. „Das brasilianische Volk hat diese messianische Sicht – ich votiere für einen Führer, und der löst meine Probleme. Ich habe Lula gewählt – also gehts jetzt voran. Die Führungen der Volksbewegungen sind alle schon aufgewacht – ein Großteil wußte ja schon vor der Lula-Wahl, was danach passieren würde. Das Volk braucht eben eine Weile, bis es kapiert, wie es wirklich läuft. Deshalb war der nationale Grito am siebten September dieses Jahr wieder sehr stark, zwei Millionen Leute auf der Straße!“
–Solidarität der europäischen Christen—
Luiz Bassegio reist öfters nach Deutschland, dankt in Europa besonders den deutschen Katholiken für ihre Unterstützung, arbeitet mit ihnen seit dreißig Jahren zusammen. „Deren Solidarität ist für uns fundamental! Wer trägt denn die Organisation des kontinentalen Aufschreis finanziell, macht unsere Arbeit, selbst ein Plebiszit über die ALCA, die Außenschulden erst möglich? Das sind hauptsächlich Misereor und Adveniat. Wir hier selbst hätten dafür keine Mittel. Aber auch Brot für die Welt, die Dreikönigsaktion aus Österreich, das schweizerische Fastenopfer, die Bischofskonferenzen der USA und Italiens unterstützen uns.“
Luiz Bassegio – ein unverbesserlicher Radikaler, gar abgehobener kirchlicher Intellektueller? Keineswegs, nur Realist. „Wir kommen beim Grito alle von der Basisarbeit.“ Bassegio liest täglich auch Brasiliens größte, auflagenstärkste bürgerliche Qualitätszeitung, die „Folha de Sao Paulo“. In jüngsten Kommentaren nennt sie die nationale Politik der Lula-Regierung „konservativ, um nicht zu sagen rechts“, oder „von rechts bis zum Zentrum“.
Bei den jüngsten landesweiten Kommunalwahlen verbündete sich Lulas Arbeiterpartei erstmals massiv mit ausgewiesenen Rechtsparteien, in denen es von Diktaturaktivisten, politisch fragwürdigsten Figuren nur so wimmelt.
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Fettes Brasilien
Amerikanisierung der Ernährungsgewohnheiten ließ den Prozentsatz der Dicken steil ansteigen
Deutsche Brasilientouristen reklamieren immer häufiger frustriert: Jene wunderschönen, wohlgebauten sinnlichen Körper wie in der Tourismuswerbung gibts in der Realität zunehmend seltener. Dafür trifft man in Salvador da Bahia, Sao Paulo oder Rio inzwischen selbst auf Unmengen ganz junger Männer und Frauen mit regelrechten Wampen, aufgedunsen vom Fast Food. Die Brasilianer inzwischen so dick, so fett wie die Europäer, mit höherem Cholesterinspiegel als die Nordamerikaner – solche Schlagzeilen lassen die Leute in Rio, Sao Paulo oder Salvador da Bahia derzeit perplex, verwirrt. Bei Magenverkleinerungen liege man hinter den USA bereits auf Platz zwei. Was ist geschehen, fragen sich viele – hatte Staatschef Lulas berühmtes Anti-Hunger-Programm etwa einen so fulminanten Erfolg, daß es sozusagen weit übers Ziel hinausschoß? Muß nun eine Sofortkampagne gegen Fettleibigkeit her? In dem von enormen Sozialkontrasten, Misere, Slums gezeichneten Tropenland ist darüber eine bizarre, skurrile Diskussion entbrannt, in die der dicke Lula jetzt persönlich eingreifen mußte. Schließlich hatte seine als seriös geltende staatliche Statistikbehörde IBGE für den Wirbel gesorgt, eine zweifelhafte Studie veröffentlicht, derzufolge etwa vierzig Prozent der Brasilianer teils stark übergewichtig sind. Fettleibigkeit sei das Problem, nicht Unterernährung. Die Studie sollte offenbar der heftigen Kritik an Staatschef Lulas Sozialpolitik, darunter dem Anti-Hunger-Programm, den Wind aus den Segeln nehmen. Immerhin hatte selbst Sao Paulos Kardinal Evaristo Arns erklärt, dieses Programm werde gar nicht wie angekündigt realisiert, Brasiliens Arbeiter bekämen unter Lula nur Hungerlöhne.
Doch kurioserweise erntet der Staatschef für die Kampagne „Fome Zero“(Null Hunger) beinahe alle paar Tage höchstes internationales Lob – ob von der Welternährungsorganisation FAO oder Politikern der EU. Zum Amtsantritt vor zwei Jahren hatte Lula den Kampf gegen den Hunger zur absoluten Priorität erklärt – rund fünfzig Millionen Brasilianer seien betroffen und würden deshalb in seiner vierjährigen Amtszeit staatliche Hilfen erhalten, die ihnen drei Mahlzeiten am Tag garantierten. Über sieben Millionen Familien, also mehr als zwanzig Millionen Brasilianer, bekommen nun bereits monatlich umgerechnet zwischen vierzehn und fünfundzwanzig Euro, können sich dafür frei nach eigener Wahl Lebensmittel kaufen. Das Problem – mit vierzehn bis fünfundzwanzig Euro reicht es auch in Brasilien nur für die allerbilligsten, schlechtesten, nährstoffärmsten Lebensmittel, die den Hunger eher betäuben, als tatsächlich stillen. Aber eben nur zu oft dickmachen, aufschwemmen – durch zuviel Fett, zuviel Zucker, zuviel minderwertiges Mehl. Keiner weiß das besser als Ex-Gewerkschaftsführer Lula, der aus einer Hungerregion des stark unterentwickelten Nordostens stammt. Die neue offizielle Studie hat er deshalb aus gutem Grund nicht bejubelt, sondern zurückgewiesen, weil sie keineswegs die chronische Unterernährung im Lande dokumentiere. Er verhinderte damit weise ein politisches Eigentor. “Hunger läßt sich nicht durch solche Untersuchungen messen. Sämtliche Meinungsforschungsinstitute Brasiliens könnten durchaus zu dem Schluß kommen, daß alle Brasilianer zu essen haben, sich gut ernähren. Doch nicht jeder, der hungert, mag es zugeben. Die Leute haben Hemmungen, das zu sagen, schämen sich dafür. Sie sind doch keineswegs stolz darauf, Hunger zu erleiden, nicht die nötigen Kalorien und Proteine aufzunehmen.“
Lulas Sozialministerium räumte sogar überraschend ein, der Hunger im Lande sei weiter ein gravierendes Problem. Daß man Übergewichtige, Fettleibige paradoxerweise besonders in der Unterschicht, in den Slums antreffe, nicht unter den Bessergestellten, müsse eben differenziert gesehen werden. „Dick zu sein, heißt nicht, gut ernährt zu sein.“
Vor allem die katholische Kirche hatte immer wieder bekräftigt: Unter Lula haben die Armut, das Elend zugenommen, sind die Durchschnittseinkommen deutlich gesunken, ist die Mittelschicht geschrumpft, wachsen die Slums immer rascher. Jene, die weniger verdienen, kaufen notgedrungen billigere, schlechtere Lebensmittel, weniger Obst und Gemüse. Zudem ereignete sich in Brasiliens Millionenstädten die letzten Jahre eine regelrechte Revolution der Ernährungsgewohnheiten – minderwertiges, billiges Fastfood ist auch dank massiver Werbung populär wie nie zuvor. Brasilianische Kinder und Erwachsene sitzen täglich viel länger vor der Glotze als Deutsche und stopfen dabei reichlich Dickmacher in sich hinein. Gemüse und Obst sind kurioserweise bei einem nicht geringen Teil der Bevölkerung regelrecht out. Selbst Mittelschichtsehen gehen auseinander, weil der intellektuelle Macho-Mann es gegen den Willen der Frau durchsetzt, daß sich der Sohn, die Tochter ganz nach eigenem Willen ausgerechnet in der Wachstumsphase fast nur von Salzgebäck und Cola-Light ernähren, entsprechende gesundheitliche Schäden davontragen. Und landauf, landab massenhaft Frustesser – gerade Slumbewohner, die besonders unter Spannung, Streß und Gewalt, Banditendiktatur leiden – immerhin ein Großteil der 185 Millionen Brasilianer. Entsprechend erschreckende Raten von Diabetes und Bluthochdruck.
„Armut macht fett“, lautet eine Studie, die biologische Hintergründe erklärt: Das Nervensystem eines unterernährten Kindes registriert inadequate Ernährung und aktiviert deshalb aus Gründen des Überlebens Mechanismen zur Fettspeicherung. Diese Programmierung aus der Kindheit währt fürs ganze Leben und führt zur Fettleibigkeit. Jeder aufmerksame Besucher brasilianischer Großstädte bemerkt, wie wenig sich die Leute bewegen, wie wenig man Sport treibt, weit weniger als früher. Und über achtzig Prozent der Brasilianer leben inzwischen in Städten, die so entsetzlich dichtgebaut sind, daß nicht nur in den Slums der Platz für Parks oder Sportanlagen schlichtweg fehlt. Das abstoßendste Beispiel bildet Sao Paulo, drittgrößte Stadt der Welt. Die jetzt abgewählte elitäre Präfektin Marta Suplicy, Vizepräsidentin von Lulas Arbeiterpartei, hatte es während ihrer vierjährigen Amtszeit fertiggebracht, die von Umweltschützern und Medizinern seit langem geforderte Installation eines Radwegenetzes erfolgreich zu verhindern, dafür den privaten Autoverkehr aber kräftig zu fördern.
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Der Sieg des Öko-Bischofs
Hungerstreik zwingt Brasiliens Staatschef zum Nachgeben bei umweltschädlichem Flußprojekt
Brasiliens couragierter befreiungstheologischer Bischof Luiz Flavio Cappio(59) ist erleichtert – sein elftägiger Hungerstreik war ein Erfolg. Die Regierung wollte eigentlich in diesen Tagen mit großem Pomp ein gigantisches milliardenteures Projekt zur Umleitung des Nordost-Stromes Rio Sao Francisco starten. Staatschef Lula sah darin einen Trumpf für seine Wiederwahl im nächsten Jahr. Doch unvermittelt kam ihm der Hungerstreik des mutigen Bischofs in die Quere, der es in wenigen Tagen schaffte, nicht nur Brasilien, sondern auch die Weltöffentlichkeit, und ganz besonders die Umweltorganisationen, für das dubiose Projekt zu interessieren. Die kleine schlichte Kapelle von Cabrobò am Ufer des Flusses, in der Cappio ausharrte, wurde zum Wallfahrtsort – Bischöfe und zehntausende Gläubige, aber auch Umweltexperten, Gouverneure, Oppositionspolitiker und selbst Indios erwiesen Cappio ihren Respekt. Wegen des drohenden Imageverlustes zog es Lula daher vor, besser nachzugeben. Wie vom Bischof gefordert, werden die nächsten Tage keine Bagger und Planierraupen anrollen, sondern wird erst einmal eine große landesweite Debatte über die Regierungspläne beginnen. Der Staatschef versprach, vor einer möglichen Umleitung den etwa 2700 Kilometer langen Strom, der durch Industrie-und Stadtabwässer bereits stark vergiftet ist, erst einmal zu revitalisieren. Und das könnte Jahre dauern, da die von den Behörden tolerierte massive Abholzung der Flußwälder auch zu einem bedrohlichen Absinken des Wasserstandes geführt hatte. Wie gerufen kam zudem, daß die Justiz des angrenzenden Teilstaats Bahia per einstweiliger Verfügung den Genehmigungsprozeß für das Projekt stoppte. Bischof Cappio stellte indessen klar: Falls die Regierung ihre Versprechen bricht, werde er sofort wieder in jene kleine Kapelle zurückkehren und den Hungerstreik fortsetzen. Denn möglich ist unter dieser neoliberalen Regierung alles. Der Ex-Guerillheiro, Schriftsteller und Kongreßabgeordnete Fernando Gabeira von den brasilianischen Grünen, einst während der Militärdiktatur im Westberliner Exil, erinnerte in Cabrobò daran, daß Lula noch im Wahlkampf von 2002 die Umleitung des Flusses in Trockengebiete abgelehnt und genau wie der Bischof die Rettung des sterbenden Stroms befürwortet hatte. Der ausgewiesene Umweltexperte Cappio sah daher den Amtsantritt des ehemaligen Gewerkschaftsführers mit großer Sympathie. Doch dann bewirkte dem Vernehmen nach Vize-Staatschef Josè Alencar, ein Milliardär und Textilkonzernbesitzer, bei Lula einen überraschenden Meinungsumschwung. Zahlreiche große Baufirmen konnten auf einmal mit saftigen Regierungsaufträgen rechnen.
Lula hat den Bischof für die nächsten Wochen zu einem Gespräch im Präsidentenpalast eingeladen. Spätestens dann wird man genauer wissen, wie ernst es die Regierung mit dem Umweltschutz und der nachhaltigen Bekämpfung des Wassermangels in den Dürreregionen des Nordostens meint. Über die Hälfte der anderthalb Millionen Quadratkilometer großen Region werden der Sahara immer ähnlicher – doch die Probleme, darunter Klimaveränderungen wegen fehlenden Regens – sind durchweg hausgemacht. Das wußte schon Bischof Cappios großer „Vorgänger“, der als Volksheiliger verehrte Padre Cicero. Bereits in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verkündete er den Nordestinos ökologische Basisregeln, warnte vor dem Abholzen und Abbrennen der Wälder und Savannen, forderte, das Regenwasser in Zisternen aufzufangen, beklagte die Zerstörungsmentalität. Padre Ciceros Weitsicht wird erst heute anerkannt. Da eine Flußumleitung die Probleme nicht lösen, ein Großteil des Wassers zudem unnütz verdunsten würde, hatte sich selbst die Weltbank entschieden gegen das Regierungsprojekt ausgesprochen. Denn nur ein Bruchteil der am meisten von Wassermangel Betroffenen würde begünstigt.
Auch der Vatikan und Brasiliens Bischofskonferenz sind jetzt tief erleichtert – denn Bischof Cappio wollte den Hungerstreik notfalls bis zum Tode fortführen, falls Brasilia nicht nachgibt.
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Lula und die Kinderprostitution
Mädchen bieten sich für achtzig Cents feil
Brasilien bei Internet-Kinderpornographie Nummer eins
Gleich in der ersten Kabinettssitzung nach dem Amtsantritt im Januar 2003 erklärte Staatschef Luis Inacio Lula da Silva den Kampf gegen die Kinderprostitution zur Priorität. Mit diesem Übel so rasch wie möglich Schluß zu machen, sei für die neue Regierung eine Frage der Ehre. Kinderprostitution geschehe ständig vor aller Augen, so Lula, und Justizminister Marcio Thomaz Bastos werde daher Sofortmaßnahmen ergreifen. Der Staatschef unterzeichnete zudem internationale Abkommen, mit denen sich Brasilien auch zur Eindämmung der Kinderpornographie verpflichtete. Justizminister Bastos sagte sogar zu, die Kinderprostitution bis 2005 auszutilgen. Doch jetzt, ein Jahr später, zeigen neue Studien und zahlreiche Presseberichte, daß vielerorts im Lande schon zehn-und elfjährige Mädchen ihren Körper für umgerechnet achtzig Cents feilbieten, und daß siebzehn berüchtigte und bestens bekannte Zuhälterringe weiterhin straflos landesweit Minderjährige sexuell ausbeuten. Und bei der Kinderpornographie im Internet, die die Pädophilie fördert, liegt Brasilien inzwischen weltweit auf Platz eins. Auch nach Angaben des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF ist die Lage im reichsten, wirtschaftlich hochentwickeltsten Teilstaat Sao Paulo besonders akut – und nicht etwa in den Miseregebieten des Nordostens oder in den Touristenzentren. In der Erzdiözese von Sao Paulo koordiniert Maria do Rosario die Kinderpastoral. “Am Start der Lula-Regierung haben wir an einigen Konferenzen über Kinderprostitution teilgenommen. Die Regierung versprach dort, die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen völlig zu stoppen. Und das war alles – den Worten folgten keine Taten. Und so ist das Problem der Kinderprostitution weiter angewachsen. Wir sehen nur Rückschritte und hoffen eigentlich nicht mehr auf Verbesserungen. Die Zahl der Mädchen, die sich feilbieten, ist enorm. Wir von der Kirche meinen, alles hat letztlich mit fehlender Bildung zu tun – ohne bessere Ausbildung, ohne bessere Schulen gibt es keine Lösung.“
Jene Kinder, die sich prostituieren, entstammen zumeist dem Heer der funktionellen Analphabeten, dem Heer völlig zerrütteter, verwahrloster Familien der Unterschicht. Ob auf dem Lande selbst in kleinen Dörfern, oder in den Slums der großen Städte. Die Familie, die Schule und die Kirche, so betont Maria do Rosario, hätten früher gemeinsam für die Bildung, die Erziehung dieser Kinder gesorgt. Doch dies sei leider nicht mehr möglich, zumal sich die öffentlichen Schulen sehr verschlechtert hätten. “Heute ist die Lage gravierend. Denn wer kommandiert, wer steuert denn heute dieses Land? Das organisierte Verbrechen – und wir sind dessen Willkür ausgeliefert. Ich weiß, daß das eine schwerwiegende Feststellung ist. Destrukturierte Familien sind unfähig, den Mädchen eine Orientierung zu geben – schlimmer noch, stimulieren sie nur zu oft zur Prostitution, um daraus Gewinn zu ziehen, schicken sie gar an die Verkehrsampeln. Wollen diese Mädchen aus der Prostitution aussteigen, gibt es niemanden, der ihnen hilft, gibt es keine Struktur, die sie auffängt. Wir als Kirche können nur einer beschränkten Zahl von Familien – und solchen betroffenen Mädchen helfen. Wir leisten ohnehin Sozialarbeit, die eigentlich Sache des Staates ist. Auf welche Familien treffen wir denn häufig? Die Mutter mit niedrigstem Selbstwertgefühl, der Vater Alkoholiker, die Großeltern von allen aufgegeben, verlassen, die Kinder ohne Halt. Wir restrukturieren, begleiten in Sao Paulo rund 14000 solcher Familien, sorgen dafür, daß dort kein Kind in die Prostitution abrutscht. Aber es gibt natürlich weit mehr bedürftige Familien in der Stadt.“
Auch in der nordöstlichen Küstenstadt Fortaleza, einem beliebten Ferienziel, floriert die Kinderprostitution, stellen ausländische Touristen indessen nur einen Bruchteil der Freier, bieten sich am Industrieviertel indessen sogar neunjährige Mädchen an. Auch in Fortaleza zeigt sich, aus welchem Holz nicht wenige der Kader aus Präsident Lulas Arbeiterpartei PT geschnitzt sind. Präfektin der Millionenstadt ist die sich sehr progressiv gebende Ex-Studentenführerin Luizianne Lins. 2002 leitete sie eine parlamentarische Untersuchungskommission zur Kinderprostitution, die seitdem in Fortaleza stark zugenommen hat.
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Brasilien
„A Nova Arte Engajada“ – Schonungslos und schockierend wie nie zuvor kritisieren immer mehr Künstler die tiefe sozialökonomische Krise ihres Landes – und haben damit sogar kommerziellen Erfolg/ Filme, Theaterstücke, Raps wollen politisieren, polemisieren, polarisieren/ Staatschef Lulas „Neoliberalismo“ immer schärfer attackiert
Über ein Jahrzehnt lang galt engagierte Kunst in Lateinamerikas „größter Demokratie“ als out – jenes kleine Häuflein, das davon einfach nicht lassen wollte, wurde von den tonangebenden Medien ausgelacht, fertiggemacht, hatte nicht einmal mehr an den Universitäten ein nennenswertes Publikum. Ausnahmen bestätigten die Regel. Kulturkonsumenten aus Mittelschicht und Intelligentsia zogen es mehrheitlich vor, die sich zuspitzende sozialökonomische Krise des Riesenlandes zu verdrängen. Was sich immer bedrohlicher an den Peripherien der Millionenstädte, in den Ghettos der Bevölkerungsmehrheit zusammenbraute, wurde ausgeblendet. Das scheint bis auf weiteres vorbei – die Fronten in Brasiliens „Guerra nao-declarada“, dem nichterklärten Bürgerkrieg, rücken immer näher an die Viertel der Schicken, Reichen, Hochgebildeten heran. Die Erfolgsgeschichte des Streifens „City of God“, der 2004 als erster brasilianischer Spielfilm gleich viermal für den Oscar nominiert wurde, zeigt es beispielhaft. Das Kuriose, aber so Typische – alle vier brasilianischen Oscar-Anwärter, durchweg hellhäutige Mittelschichtler, hatten gar nicht lange vor Drehbeginn noch keine Ahnung von der Filmmaterie, nämlich den barbarischen, unmenschlichen Zuständen, der neofeudalen Herrschaft zumeist jugendlicher Banditen in brasilianischen Slums. Regisseur Fernando Meirelles gab das in Interviews offen zu. Erst der fesselnde Romanerstling „Cidade de Deus“ des Schwarzen Paulo Lins über ein real existierendes Elendsviertel von Rio öffnete ihm die Augen. „Das Buch nahm mich vollkommen gefangen: Ein Strudel der Gewalt, unauflösbar scheinende Teufelskreise. Ich war überrascht, Leute wie ich, aus dem Mittelstand, sind sich gar nicht bewußt, daß es so einen Pfuhl in unserer Nähe gibt.
Cidade de Deus, inzwischen in über zwölf Sprachen verlegt, wurde Drehbuchvorlage für „City of God“. Doch da auch die brasilianischen Feuilleton-Kritiker meist realitätsfremde Mittelschichtler sind, verrissen sie den Film sofort als „schädlich, schlecht, reißerisch, unrealistisch“ – in drei Monaten werde sich kein Mensch mehr an „City of God“ erinnern. Nur zu typisch für Brasiliens soziale Apartheid, analysierte Paulo Lins im Interview – die oben wissen nicht, wollen nicht wissen, wie die unten, immerhin die übergroße Bevölkerungsmehrheit, leben, überleben. Auffallend, daß selbst manche progressiven bis linksstehenden, drittweltbewegten Europäer, die regelmäßig Brasilien bereisen, den Streifen als „überdreht gewalttätig, unrealistisch, sensationalistisch“, als unpolitischen Thriller einstuften. „Wichtig ist doch gerade, daß dieser Film die bisher so gerne versteckte Realität zeigt und sogar weltweit in den Kinos läuft“, so Lins, der sich seit jeher zur Linken zählt. „Daher wird sich die brasilianische Gesellschaft für diesen Film schämen – und die Regierung muß etwas unternehmen. Denn die Gewalt im Lande ist eben nicht nur ein Fall für die Polizei. Hier geht es um Menschenrechte, um eine kraß ungerechte Einkommensverteilung. Wie wollen wir die Gewalt beseitigen, wir nicht die Misere, den Hunger abschaffen? Brasilien stirbt noch mal an dieser Indifferenz. Nach diesem Film wird man Brasilianer im Ausland fragen: Wußtest du von diesen Zuständen? Und sie werden antworten müssen: Nein, ich wußte nichts davon. Wenn einer im Ausland sagt, ich bin Brasilianer, wird er hören: Ich habs gesehen, ein Scheißland.“
„City of God“ machte im Herkunftsland Furore, wurde heiß diskutiert, erschütterte einen Großteil des Publikums wie keine andere Produktion zuvor. Und – wie immer, wenn brasilianische Kunstproduktionen unerwartet in der Ersten Welt hervorragend bewertet werden, zog die einheimische Kritik schließlich gleich. Arnaldo Jabor, Cineast, zudem einer der wichtigsten Kolumnisten, gab den Ton an, nannte den Film ein wichtiges nationales Ereignis – „er wird für immer unser Geheimnis enthüllen: Wir sind eines der grausamsten Länder der Welt. Cidade de Deus zeigt, daß die Hölle hier ist, hinter Ipanema und Jardins. Dieser Film demaskiert uns für immer.“
Die Oscar-Nominierung nahmen engagierte Künstler, vor allem jene Regisseure als zusätzlichen Ansporn, die den brasilianischen Film aus seiner tiefen Krise holten, das skeptische Publikum seit dem letzten Jahr mit einer ganzen Reihe guter bis hervorragender – und durchweg sehr gesellschaftskritischer Streifen zurückeroberten. 2003 sahen insgesamt 22 Millionen Brasilianer einheimische Streifen, 200 Prozent mehr als 2002. Die rund 1800 Kinos des Tropenlandes müssen ab 2004 brasilianische Filme doppelt so lange auf dem Spielplan lassen als bisher, dekretierte Kulturminister Gilberto Gil. Die meisten haben eines gemeinsam:“Sie zeigen die sozioökonomische Degradierung der brasilianischen Städte, erfüllen eine soziale, didaktische Funktion“, betont Arnaldo Carillho, Präsident des wichtigen Verleihs „Rio-Filme“.
Und auch in Deutschland trennten sich Zuschauer bereits durch Filme wie „Central do Brasil“ von sozialromantischen Brasilienklischees.
Der Deutsche Akademische Austauschdienst/DAAD bewies Gespür, lud den Schwarzen Paulo Lins sofort – schließlich d i e literarische Entdeckung der letzten Jahre in Brasilien – für mehrere Monate nach Berlin ein, finanzierte ihm den Aufenthalt – so wie einer ganzen Reihe anderer brasilianischer Schriftsteller vor ihm. Die waren indessen alle bereits gestandene, bekannte Autoren Brasiliens, alle weiß und aus der Mittelschicht.
„Dreißig Jahre habe ich in der Gottesstadt gelebt, ohne Zutritt zu irgendeiner anderen sozialen Klasse, zur Mittelschicht. Ich hatte richtig Angst, durch Copacabana, Ipanema zu gehen – fühlte mich ausgeschlossen, richtig unwohl, direkt schlecht – ich spürte Angst. Die Leute dort schauten mich so anders an – aha, ein Slumbewohner. Das geht mir bis heute so – ich fühle immer noch diesen Rassismus.“
Jetzt wohnt Paulo Lins, Anfang vierzig, mit der Familie in einer guten, geräumigen Wohnung – oben im grünen Bergstadtteil Santa Teresa – Kolonialhäuser, kleine Paläste, malerische, romantische Straßen und Gassen. Doch wieder mal trügt der Schein, wie so oft in Rio. Das Haus von Paulo Lins grenzt fast unmittelbar an Slums – ich höre Mpi-Salven, den kurzen, trockenen Knall von Pistolenschüssen, abgefeuert von rivalisierenden Banditenmilizen des organisierten Verbrechens. Sie terrorisieren auch die Slumbewohner, wie in der Cidade de Deus. Immer wieder werden in Santa Teresa, unweit der Residenz des deutschen Generalkonsuls, sogar Menschen lebendig verbrannt, in Stücke gehackt. Paulo Lins kennt das alles aus der Nähe – kein anderer Schriftsteller ist Insider wie er, kritisiert die Zustände schärfer, schonungsloser:
„Gewalt gibts überall auf der Welt – aber hier erfaßt sie schon die Kleinsten. Brasilien mordet seine Kinder seit vielen, vielen Jahren – und macht bereits Kinder zu Mördern. So viele tote Minderjährige, nie gezählt, nie registriert – die sterben schlimmer als die ärmsten Teufel. Erst die Sklaven, die Indianer – und heute die Schwarzen, Mischlinge. Brasilien hat eine Gabe zum Töten, Brasilien ist ein Mörderstaat.“
Etwa 45000 Menschen werden jährlich umgebracht, mehr als in jedem anderen Land der Welt. Und meist trifft es trifft es Kinder, Jugendliche, weit mehr als in den aktuellen Konfliktherden wie Nahost oder Afghanistan.
An Fakten, wirklichen Ereignissen orientiert, zeigt Paulo Lins all das aufwühlend, analysierend im Buch – und auch im Film, an dem er mitarbeitete.
–Verantwortung der Eliten—
Andere brasilianische Schriftsteller hätte man als Nestbeschmutzer, Vaterlandsverräter beschimpft – mit Paulo Lins war man vorsichtig.
“Ich bekam nur ganz wenige negative Kritiken – weil das Buch eben hinter die Kulissen schaut, geschrieben von einem der dort lebt – das war ja das Interessante – das gab es noch nie. Die Schriftsteller heute sind doch alle aus der Mittelschicht – nur ich stamme aus dieser Misere. In Wahrheit habe ich dieses Buch geschrieben, um den Eliten zu sagen – das ist euer Werk, ihr wart das, ihr seid dafür verantwortlich. Die Geschichte dieses anderen Brasiliens wurde bisher nur mündlich weitergegeben – das ist jetzt vorbei, ab jetzt wird man darüber schreiben, öffentlich reden – ich habe schon `Nachfolger´.“
Ob das Buch von Paulo Lins auch in Deutschland herauskommt – bisher schwer zu sagen. Kritiker, Rezensenten, Feuilletonredakteure mit echter, nicht klischeehafter Sensibilität für Brasilianisches sind nach wie vor die ganz große Ausnahme, mehr denn je. Ein Verlagskritiker lehnte den Roman ab:“Das alles ist ungemein grausam und schrecklich(und oft anschaulich geschildert), und trotzdem hat es mich kalt gelassen…Das ständige Fortissimo wirkte auf mich eher ermüdend…Was dabei herauskommt, ist ein Realismus um jeden Preis, ein Realismus, der sich seines fiktiven Charakters nicht bewußt ist und deshalb immer wieder ins Klischee abgleitet. So sind die Handlung und die agierenden Personen in höchstem Maß vorhersehbar und bestätigen nur, was man vorher zu wissen meinte.“ Paulo Lins scheitere an seinem überzogenen Anspruch.
„In Deutschland erwarte ich solche Reaktionen“, sagte Paulo Lins, „widerspreche aber diesem Kritiker. Denn ich habe das alles gelebt, erlebt, zuvor in der Cidade de Deus für eine Gewalt-Studie sogar wissenschaftliche Recherchen angestellt, alles im Roman stark vertieft.“ Immer noch gibt es Verlagsprobleme – eine erste und auch eine zweite Übersetzung hätten die Slumsprache leider nicht stimmig-korrekt wiedergegeben, seien deshalb von seinem Literaturagenten abgelehnt worden.
Eine Bemerkung von Paulo Lins macht besonders nachdenklich:“Würde ich die Realität wirklich so schildern, wie sie ist, könnte man das gar nicht publizieren.“ Auch der Film zeigt schließlich keine lebendig Verbrannten, Geköpften, Zerstückelten.
Ein Teil des Publikums reagiert wie üblich: In Sao Paulo und Rio de Janeiro wird der eigentlich tief bedrückende Streifen auch in den Kinos der Mittelschicht und Intelligentsia immer wieder von Lachsalven unterbrochen – für Feuilletonkritiker ein Hinweis auf die fortdauernde Indifferenz der Bessergestellten gegenüber dem Leben der Slumbewohner. „Die Mittelschicht lacht im Dunkel der Kinos, als ob der Film eine hyperrealistische Story über einen frei erfundenen Ort wäre, ohne jeglichen Bezug zu Brasilien“, schreibt Rio de Janeiros auflagenstärkste Qualitätszeitung „O Globo“.
Fast alle Darsteller sind Laien, stammen aus den Favelas von Rio – Paulo Lins hat sie mit ausgesucht, geschult. Jetzt alle wieder wegschicken, in den Slums ihrem Schicksal überlassen, dankeschön, tschau, das wars – nicht die Art von Paulo Lins. Er gründete die NGO „Wir vom Film“, mit zweihundert eingeschriebenen Kindern und Jugendlichen, will möglichst alle bei TV und Film unterbringen – als Schauspieler, Fotografen, Maskenbildner, Soundtechniker. „Alle sind furchtbar arm, wir fördern die in der Schule, helfen ihnen, kritisches Bewußtsein zu erwerben – der Film öffnet ihnen ein Universum!“ Das klappt bisher geradezu hervorragend – einige machen in neuen Filmen, Fernsehserien richtig Karriere.
Doch die Branche, die ganze Szene drumherum wird nur von Weißen, meist aus der Mittelschicht, beherrscht – „die ganze Struktur ist nur für Weiße gemacht“. Deshalb gibt es jetzt krachende Kollisionen, wenn Lins mit seiner „Turma“ auftaucht. „Diese jungen Schauspieler waren einfach wundervoll, haben alle überrascht. Wir bringen jetzt hochtalentierte Schwarze auf diesen Markt, ins Filmgeschäft. Und jetzt sind die Weißen über uns erschreckt – wissen nicht, wie sie reagieren sollen, sind richtig perplex. Denn wir ändern die Realität des brasilianischen Kinos, des Fernsehens, sind sogar schon bei TV Globo, der größten Anstalt! Wir öffnen uns die Türen, nach „City of God“, in den größten Verleihen der Welt, muß man sich um die jungen Darsteller kümmern, sie einstellen – und pronto!“, sagt Paulo Lins, unverbesserlich optimistisch.
Daß er mit Regisseur Fernando Meirelles weiterhin in den Slums dreht, störte ausgerechnet die Polizei – weil von den Chefs der hochgerüsteten Banditenmilizen vorher erst das notwendige Okay eingeholt werden mußte, wurden Ermittlungen eingeleitet. „Scheinheilig“, reagierten die Medien, jedermann wisse, daß niemand ohne Einwilligung der Gangsterbosse eine Favela betreten dürfe. „Dieselbe Polizei besitzt Telefonmitschnitte, in denen Wahlmanager von Politikern die lokalen Banditen darum bitten, Kandidatenwerbung zu verteilen.“
Laut Meirelles mußte vor den Slum-Dreharbeiten von „City of God“ dem Milizenchef der betreffenden Favela sogar das Drehbuch zur Abnahme vorgelegt werden. Bizarre Brasilien-typische Probleme gab es jedoch, weil später entgegen den Absprachen Polizisten in den Slum eindrangen, zwei Banditen entführten und für deren Freilassung umgerechnet über dreitausend Euro verlangten. Die Gangsterbosse forderten daraufhin das Filmteam auf, das Lösegeld zu zahlen. Notgedrungen sammelte man unter den Mitarbeitern Geld, die Banditen kamen frei, es konnte weitergedreht werden. Und die Medien fragten: Wieso eigentlich ist die Polizei unfähig, einem Filmteam die Sicherheit zu garantieren?
Hat die neue engagierte Kunst bereits irgendwelche konkreten Auswirkungen, bewegt sie etwas in der Gesellschaft? Bisher so gut wie nichts. Auch der Film „Carandiru“ über die unhaltbaren Zustände in den total überfüllten Haftanstalten war 2003 ein Renner. Doch im März 2004 kommt heraus, daß sich in Lulas erstem Amtsjahr die Lage in den Knästen gravierend verschlechtert hat, als „explosiv“ eingestuft wird, doppelt soviele Haftplätze fehlen wie 2002, man dennoch weiter Zehntausende in bereits volle Zellen pfercht.
Auch Paulo Lins und Fernando Meirelles sind frustriert: Nach dem Filmstart von „City of God“ in Brasilien wurden die jugendlichen Hauptdarsteller sogar von Staatschef Lula empfangen, versprachen gleich sieben Ministerien soziale Verbesserungen in der Cidade de Deus von Rio. Inzwischen alles wieder vergessen.
„Lula und sein Zivilkabinettschef Jose Dirceu haben keine soziale Sensibilität“, urteilt der wegen Kritik an der neoliberalen Linie geschaßte Bildungsminister Cristovam Buarque – Lulas populistische Reden, Versprechungen sind für zunehmend mehr Brasilianer nur noch leere Rhetorik. „Im In-und Ausland sagt er immer dasselbe“, kontert Kardinal Geraldo Agnelo, Präsident der Bischofskonferenz, „doch die Wirklichkeit sieht anders aus.“ Und der ebenfalls mit fadenscheinigen Vorwänden entfernte Staatssekretär für Öffentliche Sicherheit, Luiz Eduardo Soares, wirft Brasilia vor, die gravierende Lage in den Slums hinzunehmen.“Die Regierung bleibt untätig angesichts eines wahren Genozids an jungen Schwarzen, Armen der Favelas und Problemdistrikte!“
Bezahlte Killer morden derzeit serienweise Gewerkschaftsführer, Indios und sogar mit der Sklavereibekämpfung befaßte Beamte des Arbeitsministeriums – Filme über Brasiliens nach wie vor sehr aktive Pistoleiros werden auch auf deutschen Festivals gezeigt. Doch Brasilia sitzt all diese Probleme aus, kürzt sogar die Mittel für öffentliche Sicherheit. Vielbeschäftigte neue Drehbuchschreiber wie Paulo Lins dürften sich schon bald auch der grassierenden Kinderprostitution annehmen – im Teilstaat Ceara verkaufen sich Mädchen an einheimische Männer derzeit bereits für umgerechnet einen Euro fünfzig Cents.
Auch der Präsidentenpalast taugt womöglich irgendwann als Schauplatz eines Politkrimis: Seit letztem Juni forderte Brasiliens Bundespolizei laut Presseberichten vergeblich weitreichende Ermittlungen gegen den hochgestellten Palastbeamten Waldomiro Diniz, wegen des Verdachts der Mittelabzweigung sowie seiner Beziehungen zur einheimischen und sogar italienischen Mafia. Der schwerreiche berüchtigte Diniz – rechte Hand von Zivilkabinettschef Dirceu, dessen langjähriger Freund, Kumpel. Dirceu, der ihm den Posten verschafft hatte, wiederum rechte Hand Lulas. Im Februar 2004 flog Diniz schließlich auf, mußte über Nacht entlassen werden, nachdem die Medien enthüllten, daß er bereits im Wahlkampf von 2002 bei einem Glücksspiel-MafiosoWahlgelder für Politiker aus Lulas Arbeiterpartei eingetrieben sowie ein hohes Bestechungsgeld für sich selber ausgehandelt hatte. Und die Glücksspiel-Mafia ist in dem Tropenland traditionell mit dem organisierten Verbrechen verquickt. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse läßt Lula indessen mit allen Mitteln verhindern, auch dieser Skandal soll wie alle bisherigen unter den Teppich gekehrt werden.
Im Palast dürfte sein Berater und Zimmernachbar Frei Betto, Befreiungstheologe, Romanautor, ebenfalls Stoff für einen weiteren Polit-Thriller sammeln. Denn gegenüber der Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“ beschrieb er jetzt, wie in Brasilia Politik gemacht wird: Speichelleckerei, Inkompetenz, Prinzipienverrat, Effekthascherei, gröbste Lügen, Krokodilstränen, Wiederholung alter politischer Sünden, Irritationen über eingeforderte Wahlversprechen und Kritik. Worten folgten nicht notwendigerweise Taten. Und wie zugeschnitten auf den jetzigen Korruptionsskandal um Waldomiro Diniz: In die Politik steige man ein „ohne Prüfung der Kompetenz, fordert man kein Attest moralischer Integrität – in dieser Suppe der Gewählten vermischen sich Ehrliche und Gerissene, Rechtschaffene und Korrupte.“
Auch Autor und Kolumnist Gilberto Dimenstein, von dem Bücher in Deutschland verlegt wurden, macht sich indessen keine Illusionen, daß, etwa angetrieben von der veröffentlichten Meinung, engagierter Kunst, die Bevölkerung angesichts von Rekordarbeitslosigkeit, schrumpfenden Einkommen, rasch wachsenden Slums unruhig werden, rebellieren könnte. Dimenstein weist gegenüber der ila vor allem auf den niedrigen Bildungsgrad der Massen:“Unser funktioneller Analphabetismus ist das Schlimme. Brasilien ist ein Land der Analphabeten. Die Leute verstehen nicht, was sie im Radio hören, was in der Zeitung steht. Die meisten lesen ohnehin keine Zeitung. In Argentinien wird die Bevölkerung in Krisenzeiten gewöhnlich aktiv, weil das Bildungsniveau dort eben viel höher ist.“
Nur fünfundzwanzig Prozent der Brasilianer können laut neueren Studien wirklich lesen und schreiben, einen Zeitungs-oder Buchtext auch verstehen.
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PT-Menschenrechtsaktivist Bicudo:“Lula ist Meister im Vertuschen“
Mord an Abweichler der Arbeiterpartei?
Der 83-jährige Jurist Helio Bicudo aus Sao Paulo, Mitgründer der Arbeiterpartei PT und einer der angesehensten Menschenrechtsaktivisten Brasiliens, hat in einem Interview bekräftigt, daß Staatschef Lula von den Details der jetzt bekanntgewordenen Korruptionsskandale gewußt hat. Laut Bicudo war Lula de facto stets Chef der PT und arbeitete zentralistisch. „Er ist Meister darin, Schmutz unter den Teppich zu kehren, zu verstecken – stets agierte er auf diese Weise.“ Bicudo erinnerte zudem an den bis heute ungeklärten Mord von 2002 an Celso Daniel, einem der angesehensten PT-Führer, der das progressive dem PT-Bürgermeister der Großstadt Santo Andrè bei Sao Paulo. Die Arbeiterpartei habe die Tat als gewöhnliches Verbrechen charakterisiert. „Ich stimme dem nicht zu. Celso wurde eliminiert – entweder weil er mit der Korruption in der Administration von Santo Andrè nicht einverstanden war oder weil er die Vorgänge stoppen wollte.“ Daniels Bruder hatte erklärt, mit Bestechungsgeldern, die von Transportunternehmen stammten, seien Wahlkampagnen der PT finanziert worden. Das Geld sei in Koffern zum Kabinett des damaligen Kongreßabgeordneten Josè Dirceu geschafft worden – lange Zeit rechte Hand Lulas. Als außerordentlich mysteriös gilt die Tatsache, daß sechs Personen, die in irgendeiner Beziehung zu Celso Daniel oder zu der Tat standen, unter bis heute ungeklärten Umständen ermordet worden sind. Der Kongreßabgeordnete Roberto Jefferson, der mit seinen Enthüllungen den jüngsten Korrruptionsskandal ins Rollen gebracht hatte, sieht ebenfalls politische Motive für den Mord an Daniel, einem der beliebtesten, als absolut integer geltenden PT-Führungsmitglieder.
Wie Jurist Bicudo weiter betonte, sei ab 1998 von der PT-Führung, inclusive Lula, definitiv der Weg verfolgt worden, politische Macht um jeden Preis zu erringen. Laut Bicudo existieren bereits genügend Fakten, die ein Amtsenthebungsverfahren gegen Lula rechtfertigen.
–auch Kirche warnte Lúla—
Nicht nur die Parteilinke, sondern auch die Sozialbewegungen und die befreiungstheologisch orientierte katholische Kirche Brasiliens haben den Ex-Arbeiterführer Luis Inacio Lula da Silva bereits im Präsidentschaftswahlkampf von 2002 eindringlich vor verhängnisvollen Bündnissen mit berüchtigten Politikern rechtskonservativer Parteien gewarnt. Jayme Chemello, seinerzeit Präsident der Bischofskonferenz(CNBB), erinnerte jetzt daran, Lula persönlich von desaströsen Allianzen abgeraten zu haben. „Ich nannte Lula die Namen all jener Politiker, die keinerlei Glaubwürdigkeit besitzen“, betonte Chemello. Mehrere dieser Politiker stünden heute im Mittelpunkt der Enthüllungen, die die Regierungskrise ausgelöst hätten.
So hatte die Kirche bereits 2002 mehrfach die angestrebte Koalition von Lulas rechtssozialdemokratischer Arbeiterpartei(PT) mit der rechtskonservativen Liberalen Partei(PL) verurteilt. Damit seien erhebliche Risiken verbunden – zudem könne sich die von einer großen Sektenkirche dominierte PL dann in entscheidende Landesfragen einmischen. Lulas Arbeiterpartei, hieß es 2002, verlasse generell progressive Positionen, tendiere nach rechts. Doch Lula bestand auf dem Bündnis, machte den Milliardär und Großunternehmer Josè Alencar von der PL sogar zu seinem Vize. Waldemar Rossi und andere populäre Führer der katholischen Arbeiterseelsorge argumentierten, Alencar habe die Militärdiktatur unterstützt und deklariere sich als Feind der Landlosenbewegung MST. In dessen Textilfabriken herrschten skandalöse archaische Zustände, Furcht vor Repressalien und Entlassung. Die Arbeiter würden extrem schlecht bezahlt.
Die Kirche warnte Lula auch vor Roberto Jefferson, zwielichtiger Chef der rechtsgerichteten PTB. Er hatte 1992 den tiefkorrupten, per Impeachment abgesetzten früheren Staatspräsidenten Fernando Collor de Mello bis zuletzt unterstützt. Doch Lula paktierte mit der PTB, nannte Jefferson gar seinen „Freund und Genossen“. Ausgerechnet Jefferson löste vor drei Monaten mit seinen Enthüllungen die Korruptionskrise aus.
Auch seit dem Amtsantritt 2003 war Lula zudem immer wieder von der Kirche auf unsaubere Machenschaften hingewiesen worden. Lula solle endlich eine großangelegte Kampagne gegen die überbordende Korruption starten. „Die Situation wird immer gravierender – gestraft werden dadurch vor allem die Armen.“
Auch in Europa gingen 2002/2003 solche Analysen jedoch in dem aus wirtschaftlichen und politischen Gründen künstlich inszenierten Lula-Jubel unter.
Die Sozialistische Internationale und und ihre Mitgliedsparteien lobten Lula seinerzeit über alle Maßen. „Lula ist ein wahrer Sozialdemokrat“, erklärte Frankreichs Sozialistenführer Francoise Hollande, „die PT hat ihren Platz in der SI, wird ihr nützlich sein.“ Großbritanniens Botschafter Roger Bone betonte in Brasilia:“Lula und Blair haben annähernd die gleiche Ideologie.“ Auf Anfrage teilte die PT-Führung damals mit, zu den deutschen Sozialdemokraten die engsten Beziehungen zu pflegen. Lula hatte vier Wochen nach seinem Amtsantritt noch im Januar 2003 Deutschland als erstes europäisches Land besucht und sich in Berlin unter anderem mit Bundeskanzler Schröder getroffen.
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Desaströses drittes Amtsjahr der Lula-Regierung: Regierungskorruption bewiesen, sinkende Popularität des Staatschef
In Brasilien, Lateinamerikas größter bürgerlicher Demokratie und 14. Wirtschaftsnation der Erde, hat die Regierung des rechtssozialdemokratischen Staatschef Luis Inacio Lula da Silva ein geradezu desaströses drittes Amtsjahr hinter sich gebracht. Einerseits ökonomische Stabilität und Exportrekorde – andererseits ein weiterhin rasches Slumwachstum, deutliche Verschlechterungen im Bildungs-und Gesundheitswesen, im Umweltschutz, bei den Menschenrechten. Der einst durch extrem teure Marketingkampagnen und korrumpierte Journalisten zum „Hoffnungsträger“ aufgebaute Staatschef Lula sowie dessen Arbeiterpartei, häufig als eherne Säulen der Ethik im ansonsten zwielichtig-korrupten Politikbetrieb gelobt, stecken seit 2005 auf einmal selber tief im Korruptionssumpf. Daher ist nicht einmal sicher, ob Lula bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2006 erneut kandidiert.
Kurz vorm Jahreswechsel suchte Staatschef Lula die innenpolitischen Probleme herunterzuspielen. “Wir haben in den drei Amtsjahren getan, was getan werden mußte. Um die Inflation zu kontrollieren, waren einige Opfer notwendig. Ja, es gibt politischen Streit im Lande, viele Debatten. Doch drei Jahre der Erfahrungen sprechen für uns. Wir haben dem brasilianischen Volk gezeigt, daß sich die Regierung nicht aus der Ruhe bringen läßt, selbst wenn die Lage sehr gravierend ist.“
Entgegen seinen Worten, so analysieren Brasiliens Politikexperten, wirkt Lula nervös und angeschlagen – auch weil die Popularitätsraten stetig sinken. Kurz vorm Präsidentschaftswahlkampf will sich Lula nicht festlegen, ob er noch einmal antritt. Erst im Laufe des Jahres werde er sich entscheiden. Ob er kandidiere, hänge davon ab, ob die ihn unterstützenden politischen Kräfte daran ein Interesse hätten. Gemäß neuesten Meinungsumfragen würde Lula bereits im ersten Wahlgang unterliegen. Der Ex-Gewerkschaftsführer hatte sich bei jeder passenden Gelegenheit als ethisch-moralische Autorität bezeichnet – selbst dann noch, als zu Beginn des Jahres ein raffiniertes System von Abgeordnetenbestechung, Stimmenkauf, Mittelabzweigung und Machtmißbrauch enthüllt wurde: “In diesem Land gibt es unter den 180 Millionen Brasilianern keine Frau und keinen Mann, die die Courage hätten, mir Lektionen in Ethik, Moral und Ehrlichkeit zu erteilen. Jemand, der mit mir über Ethik diskutieren will, muß erst noch geboren werden.“
Parlamentarische Untersuchungsausschüsse haben inzwischen die Korruptionsvorwürfe bewiesen, zahlreiche Minister und enge Freunde Lulas, sogar dessen rechte Hand Josè Dirceu, mußten ihre Posten räumen. Beinahe täglich wird der Staatschef von linken und konservativen Oppositionspolitikern, von Intellektuellen und Künstlern öffentlich der Lüge bezichtigt. Lula habe wie kein anderer Präsident versucht, Ermittlungen über Korruption zu verhindern. In einer seriösen Demokratie, heißt es immer wieder, wäre Lula längst amtsenthoben worden. Seit der Diktaturzeit, so rechnen ferner die Experten vor, habe keine Regierung sowenig investiert. Entsprechend schlecht seien die Zustände im öffentlichen Gesundheitssektor und in den Schulen.
“Das Bildungswesen ist auf einem katastrophalen Niveau“, betont Schriftsteller Joao Ubaldo Ribeiro aus Rio de Janeiro, dessen Romane auch in Deutschland viel verlegt werden. „Wir bilden Generationen von Analphabeten heran.“
Auch unter Lula wird die Natur so rasch und ungehindert vernichtet, daß sich im November erstmals in der brasilianischen Geschichte ein bekannter Umweltschützer aus Protest selbst verbrannte. Vor dem Präsidentenpalast tat gleiches ein Arbeitsloser. Für Regierungspropaganda wurde indessen weit mehr ausgegeben als etwa für die öffentliche Sicherheit, obwohl sie zu den Hauptsorgen der Brasilianer zählt.
Wie hoch Aggressivität und Gewaltbereitschaft inzwischen sind, zeigte sich auch bei den Silvesterfeiern: Um Ausschreitungen jeder Art zu vermeiden, mußten sämtliche 2, 1 Millionen Teilnehmer des Festes auf der Avenida Paulista von Sao Paulo zuvor eine gründliche Leibesvisitation durch Polizisten über sich ergehen lassen – u.a. durften keinerlei Getränke in Flaschen, etwa Champagner, mitgenommen werden.
Die Landespresse zitiert immer wieder US-Präsident George Bush, der die Zahl der in über zweieinhalb Kriegsjahren getöteten irakischen Zivilisten mit etwa 30000 beziffert. Zum Vergleich folgt dann die Opferbilanz im sogenannten nichterklärten brasilianischen Bürgerkrieg: Über fünfzigtausend Tote – jährlich. Folter, so beklagt auch die Kirche, ist weiterhin alltäglich. Im November kam George Bush zu einem Kurzbesuch nach Brasilia. Lula versteht sich mit ihm persönlich ausgezeichnet, möchte möglichst ungetrübte Beziehungen zu den USA, dem wichtigsten Wirtschaftspartner. Bush versprach, die Einfuhr brasilianischer Waren weiter zu erleichtern – einem ständigen UNO-Sicherheitsratssitz Brasiliens stehe man nicht mehr grundsätzlich ablehnend gegenüber. Der US-Präsident lobte zwar Brasiliens Truppeneinsatz in Haiti, mochte sich jedoch eine Anspielung auf Lulas innenpolitische Probleme nicht verkneifen: Lateinamerikas Regierungen, so Bush, müßten sich von der Korruption befreien.
Die Basis der Arbeiterpartei PT verübelt Lula sehr, daß er in jüngsten Erklärungen stark vereinfachend der gesamten Partei die Schuld an den gravierenden politischen Fehlern gibt. Schließlich ist nur eine zahlenmäßig kleine Führungsclique für die Skandale, die Abmachungen mit der neoliberalen Geldelite, die Pakte mit konservativen bzw. rechtsgerichteten Politikern und Parteien verantwortlich. Auffällig ist, daß selbst der PT-Generalsekretär Raul Pont Lulas Kritik nicht hinnehmen mag. Pont reagierte auf Lulas Äußerung, wonach die Partei erheblich bluten müsse, um verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen. Pont meinte, Lula sollte besser endlich sagen, welche Personen innerhalb der PT ihn denn verraten hätten. Er sollte zudem seinen Einfluß nutzen, damit endlich eine innerparteiliche Untersuchung zu den Korruptionsskandalen gestartet werde. Die zentralen Fragen der politischen Krise beträfen ausschließlich die Regierung und ihre Politik der Bündnisse. Ein bedeutender Teil der Partei habe die PT-Koalitionen nie akzeptiert.
Unterdessen verlassen weiterhin angesehene Persönlichkeiten die PT: Zum Jahresanfang ging Francisco Whitaker, Mitglied der katholischen Kommíssion für Gerechtigkeit und Frieden. Nach dessen Worten hat sich die PT-Führung vom Volk getrennt. Der PT-Traum sei ausgeträumt, eine zweite Lula-Regierung wohl nur noch ein kleineres Übel.
–Brasiliens Exporte – zu siebzig Prozent von multinationalen Konzernen–Staatschef Lula zählt gewöhnlich die Exportrekorde zu den Meriten seiner Regierung. Gemäß neuen Studien handelt es sich indessen zu rund siebzig Prozent um Ausfuhren multinationaler Konzerne, die das Tropenland vor allem wegen der Billigstlöhne zunehmend als günstigen Produktionsstandort nutzen, dafür in Ländern der Ersten Welt, darunter Deutschland, Fabriken dichtmachen und Massenentlassungen starten. Auch die Agrarexporte Brasiliens, darunter besonders die Sojaausfuhren, werden immer mehr von Multis kontrolliert. Die Zunahme des Auslandskapitals an den brasilianischen Exporten seit den neunziger Jahren, so die nationale Außenhandelsassoziation, sei direkte Folge der Privatisierungen und der wirtschaftlichen Öffnung.
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Brasiliens Sozialbewegungen wenden sich frustriert von Lula ab
Indianerstämme Amazoniens: Wir fühlen uns verraten
Die sozialen Bewegungen des Tropenlandes waren die stärkste Stütze des Ex-Gewerkschaftsführers Luis Inacio Lula da Silva im Präsidentschaftswahlkampf von 2002. Doch derzeit geschieht Erstaunliches – nach nur rund zwei Amtsjahren wenden sie sich enttäuscht von ihm ab, weil nahezu sämtliche Wahlversprechen nicht eingehalten werden.
Ende November berät Lulas Basis eine ganze Woche lang in der Hauptstadt Brasilia unweit des Präsidentenpalasts – an die zehntausend Vertreter aller Sozialbewegungen fiebern dem Treffen mit dem einstigen großen Hoffnungsträger entgegen, wollen mit ihm über die Regierungspolitik Tacheles reden. Und dann passiert, was niemand für möglich gehalten hätte – Lula sagt kurzfristig ab, kehrt seinen einstigen Unterstützern, Wahlhelfern den Rücken, will sich der Kritik nicht stellen. Pfiffe, Empörung auf der Konferenz – und danach im Regierungsviertel die bislang größten, machtvollsten Proteste gegen Lulas Politik. Der Unmut wird noch größer, als sich herausstellt, daß die Lula-Regierung die Sozialbewegungen ausspioniert, von der Polizei Informationen über Aktivitäten der Landlosenbewegung MST, der großen Gewerkschaften und Studentenorganisationen einholen ließ. Bischof Tomas Balduino, befreiungstheologisch orientierter Präsident der katholischen Bodenpastoral, bringt es in Brasilia auf den Punkt: Diese Konferenz der Sozialbewegungen symbolisiert einen Bruch – Lulas einstige Basis könnte jetzt zu dessen politischer Opposition werden. Die Lula-Regierung setze völlig falsche Prioritäten.
“Vorrang hat die Rückzahlung der Außenschulden, hat das neoliberale Wirtschaftsmodell, nicht aber der Sozialbereich, die Verteilung brachliegenden Bodens an die Landlosen. Unter Lula haben Gewaltakte der Großgrundbesitzer und ihrer Pistoleiros zugenommen, wurden alleine im ersten Amtsjahr 73 Landlose ermordet. Und bei solchen Verbrechen herrscht im Grunde Straffreiheit. Unvergessen ist das Blutbad von 1996 in Eldorado de Carajas, bei dem mindestens 19 Landlose ermordet wurden – der Prozeß zog sich jahrelang hin. Doch jetzt im November wurden schließlich nur die beiden befehlshabenden Offiziere der Militärpolizei-Sondereinheit vorläufig verurteilt, sämtliche 145 tatbeteiligten Soldaten und Unteroffiziere dagegen freigesprochen. Und erst vor wenigen Tagen gab es wieder ein Massaker an Landlosen, verübt von Pistoleiros der Großgrundbesitzer.“
Staatschef Lula hatte ursprünglich versprochen, an mindestens eine Million Familien Land zu verteilen, diese Zahl dann aber auf 355000 Familien reduziert. 2003 wurden indessen nur etwa dreißigtausend Landlosenfamilien angesiedelt, halb so viel wie geplant. Dieses Jahr die gleiche Situation, weil laut Balduino die entsprechenden Mittel gekürzt worden seien. Für ihn ist das „Zynismus“. Andererseits wird die industrielle Landwirtschaft, das sogenannte Agrobusiness, von der Regierung als wichtiger Devisenbringer nach Kräften gefördert. “Alle Sozialbewegungen wenden sich scharf dagegen, weil das Agrobusiness das Produktionsmodell der Kolonialzeit fortsetzt, durchweg exportorientiert ist. Bedient werden nur die Interessen des Großkapitals, des Auslands – die Interessen des eigenen Volkes zählen nicht. Dabei lebt ein beträchtlicher Teil der Brasilianer in Hunger und Elend. Das Agrobusiness macht arbeitslos, weil es große Maschinen nutzt, und ist gefräßig, will immer mehr Land, zerstört unsere Umwelt. Für Monokulturen wie Soja und Zuckerrohr werden unsere Savannen, der Amazonasurwald, die Atlantikwälder, das Pantanal irreparabel zerstört, der Boden vergiftet und ausgelaugt. Die Gewinne bleiben in der Hand ganz weniger – da wird nichts sozial verteilt. Aus Bodenkonzentration resultiert also Kapitalkonzentration.“
Doch auch in Deutschland meinen einige Naivlinge, eine Marktöffnung für brasilianische Agrarprodukte komme der Bevölkerung Brasiliens zugute, diene letztlich gar der Armutsbekämpfung.
Und auch Brasiliens Indianer werfen der Lula-Regierung ungehemmte Naturzerstörung zugunsten des Agrobusiness vor. In einem Protestmanifest vom November heißt es: „Nach fast zwei Amtsjahren Lulas fühlen wir uns verraten, weil Indianergebiete nicht demarkiert werden, wie in der Wahlkampagne versprochen.“ Unter der jetzigen Regierung habe die Gewalt gegen Indioführer, Siedlungen und Stämme erschreckend zugenommen. Großgrundbesitzer, Goldgräber, Bodenspekulanten und Holzfirmen spürten das Desinteresse Brasilias an einer Lösung der Indianerprobleme und drängen daher invasionsartig in die Stammesgebiete ein, um sie auszuplündern. „Man vernichtet unsere Wälder, die Artenvielfalt, vergiftet unsere Flüsse und Seen, zerstört unsere Kultur, tötet unsere Leute.“ Beklagenswert sei zudem, daß die Lula-Regierung bisher den Beziehungen zu den Oligarchien der Teilstaaten, den konservativen Politikern, Land-und Stadteliten sowie dem Finanzsektor Priorität gegeben habe.
Bischof Balduino von der Bodenpastoral kritisiert zudem, daß Brasilien heute der weltgrößte Fleischexporteur ist, obwohl es im Lande noch Hunger gibt. “Das ist ein großer Widerspruch – doch Brasilien wird eben seit über fünfhundert Jahren von der Elite regiert. Und diese Elite interessiert sich nicht für das Volk, für die sozial Ausgeschlossenen. Der geht es nur um die Geschäfte mit der Ersten Welt.“
Auffällig, wie in jüngster Zeit in Lateinamerikas größter bürgerlicher Demokratie die Diskussion über die Rolle der nationalen Elite wiederauflebt, der man geradezu grenzenlose Indifferenz, völlige Verantwortungslosigkeit angesichts der gravierenden Sozialprobleme vorwirft. Staatschef Lula, so heißt es, lasse sich von dieser Elite einwickeln, täuschen. Und der bekannte deutschstämmige Kardinal Evaristo Arns in Sao Paulo – bekannt wegen seines Kampfes gegen die Militärdiktatur, für die Menschenrechte – hält Lula vor, für das Präsidentenamt garnicht vorbereitet, präpariert gewesen zu sein. Also habe er alle Angelegenheiten an jene übergeben, die ihm geeignet erschienen. Doch diese hätten sich viele Male geirrt. Unter Lula bekomme der brasilianische Arbeiter einen Hungerlohn. Und jenes von Lula weltweit so vielgepriesene Anti-Hunger-Programm werde garnicht wie geplant verwirklicht. „Im Grunde“, so der Kardinal, „ist Brasilien heute ohne Regierung – Lula macht einen Fehler nach dem anderen.“
Gewaltakte gegen Indianer, Massaker an Landlosen, politische Gefangene der Landlosenbewegung, Sklavenarbeit, Folter als allgemeine Polizei-und Gefängnispraxis, neofeudale Diktatur des organisierten Verbrechens über Millionen von Slumbewohnern, – entsprechende Proteste der Menschenrechtsorganisationen. Doch interessanterweise ließ der grüne deutsche Außenminister Joseph Fischer auch bei seinem jüngsten Brasilienbesuch dazu kein Wort verlauten. Gemäß Länderbericht des Auswärtigen Amtes sind die deutsch-brasilianischen Beziehungen ausgezeichnet, gilt strategische Partnerschaft. Die dreizehnte Wirtschaftsnation Brasilien liegt auf dem UNO-Index für menschliche Entwicklung nur auf dem 72. Platz, in der Gruppe jener Länder mit mittlerem Entwicklungsniveau. Das vielkritisierte Kuba rangiert indessen auf Platz 52 – mit Deutschland, den USA, Argentinien und Chile in der Gruppe der Länder mit hohem Entwicklungsniveau.
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Regierung kann längst bekannte Skandale nicht länger vertuschen
Brasilien ist Deutschlands „strategischer Partner“ im Ringen um einen ständigen UN-Sicherheitsratssitz – doch die Regierung des Tropenlandes macht derzeit die allerschlechteste Figur, könnte über ausufernde Korruptionsskandale sogar stürzen. Politische Gefangene, Folter und andere gravierende Menschenrechtsverletzungen, brachiale Umweltvernichtung nicht nur in Amazonien, wachsendes Massenelend – und nun auch noch Brasiliens rechtssozialdemokratischer Staatschef Luis Inacio Lula da Silva stark angeschlagen. Wie immer im Tropenlande, trägt die Krise komische, operettenhafte Züge: Ein Emissär von Lulas Arbeiterpartei wird auf dem Flughafen mit hunderttausend Dollar in der Unterhose erwischt, der Ober-Skandalenthüller von einer Rechtspartei singt im Fernsehen alte Schlager. Die Kirche, Führer der Sozialbewegungen sowie Politikexperten hatten immer wieder betont, daß der Lula-Regierung die engen Bündnisse mit zwielichtigen Rechtsparteien, korrupten Diktaturaktivisten übelster Sorte zum Verhängnis werden könnten. Die Voraussagen scheinen sich nun zu bewahrheiten – daß die Lula-Regierung in ihre bisher schwerste politische Krise schlitterte, kommt nicht überraschend. Lula und die Führungsspitze seiner Arbeiterpartei hatten bereits vor dem Amtsantritt von 2003 wohlbegründete Anklagen wegen Korruption und anderen betrügerischen Machenschaften öffentlich stets als „Bobagens“, Dummheiten, abgetan, sämtliche Skandale geschickt unter den Teppich gekehrt. Selbst Lulas Vize und Verteidigungsminister, der Milliardär und Großunternehmer Jose Alencar von der rechtsgerichteten Partei „Partido Liberal“ wurde schwer belastet. Doch nach einer extrem populistischen, enorm teuren, aufwendigen Wahlkampagne im Stile Nordamerikas galt Lula noch als Hoffnungsträger der Nation, als eherne Säule der Ethik. Kaum ein Amtsvorgänger genoß so viel Glaubwürdigkeit unter den rund 185 Millionen Brasilianern. Auch die jüngsten Korruptionsvorwürfe tat Lula wiederum als „Bobagens“ ab, niemand im Lande habe mehr moralische Autorität im Kampfe gegen die Korruption als er selbst. Doch diesmal erntete der Staatschef darauf nur Hohngelächter – vom Mann auf der Straße, von der Kirche, den sozialen Bewegungen, den politischen Kommentatoren. Und von allen Seiten muß sich Lula anhören: Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist. Ausgerechnet einer seiner neuen Freunde, eine der übelsten, zwielichtigsten Figuren der brasilianischen Politik, nämlich Roberto Jefferson, Chef der Rechtspartei PTB, bringt Lula, seine Regierung, die Führung der Arbeiterpartei mit Enthüllungen ins Wanken. Kern der Vorwürfe Jeffersons: Lulas Chefstrategen installierten ein raffiniertes System des Stimmenkaufs – über achtzig Abgeordnete von mit Lula verbündeten rechtskonservativen Parteien erhielten monatlich Millionensummen in bar, damit sie für Gesetzesvorlagen der Regierung votierten. Andere Abgeordnete wurden mit Schmiergeldern veranlaßt, zur Arbeiterpartei PT oder in andere Parteien des Regierungsbündnisses überzuwechseln. Und aus großen Staatsbetrieben wurden laut Jefferson Unsummen für Lulas PT und weitere Regierungsparteien abgezweigt, meist zur persönlichen Bereicherung. Das hochangesehene PT-Führungsmitglied Celso Daniel, das bereits vor Lulas Wahl solche krummen Touren aufdecken wollte, sei deshalb sogar ermordet worden. Drei Minister, fünf Abgeordnete und ein Senator haben gegenüber Brasiliens Nachrichtenmagazin „Veja“ die Schmiergeldzahlungen an die über achtzig Politiker bestätigt – nun sollen parlamentarische Untersuchungsausschüsse die Beweise erbringen. Beinahe täglich muß Lula schwerbelastete Genossen sicherheitshalber entlassen – sogar seine rechte Hand, den Chefminister des Zivilkabinetts, Jose Dirceu. Die Dreckarbeit, nämlich die Übergabe der Bestechungssummen, wurde danach von einer Werbefirma erledigt, dessen Mitbesitzer ein enger Verwandter von Lulas Vize Jose Alencar ist. Auch Marta Suplicy, die Vizepräsidentin von Lulas Arbeiterpartei, soll sich während ihrer desaströsen Amtszeit als Präfektin Sao Paulos die Gefolgschaft von Abgeordneten mit Bestechungsgeldern erkauft haben.
Ein Blick auf Brasiliens jüngere Geschichte zeigt – alles nichts Neues, in einem der korruptesten Länder des Erdballs gehören derartige Skandale beinahe seit jeher zum politischen und sonstigen Alltag. Schriftsteller, Intellektuelle weisen immer wieder auf die tiefverwurzelte „Kultur der Unehrlichkeit“, von deren Dimensionen sich in Europa kaum jemand einen Begriff macht. Nur war vielen bisher entgangen, daß in der einstmals linksprogressiven Arbeiterpartei längst der rechte, neoliberale Flügel die Oberhand gewonnen hatte, nahezu sämtliche Führungsposten besetzte, sich sogar mit rechtsextremen Oligarchen anfreundete. Kurioserweise meldeten auch deutsche Kommerzmedien immer wieder, Lula sei ein Progressiver, ein Linker, ein Sozialist. Waldemar Rossi in Sao Paulo, einer der bekanntesten Führer der sozialen Bewegungen des Tropenlandes, zudem Koordinator der katholischen Arbeiterpastoral, organisierte früher mit Lula Streiks, kennt ihn wie kaum ein anderer: „Lula ist in Wahrheit nicht einmal sozialdemokratisch, ist ideologisch fragil, wuchs in der Gewerkschaftsbewegung faschistischen Ursprungs auf, in einer von multinationalen Konzernen geprägten Industriestruktur. Seine Weltsicht, seine Sicht von Entwicklung ist just jenes derzeit auf der ganzen Erde dominierende Modell. Lula fehlt eine klare Vision der Differenziertheit in der heutigen Welt – Lula war nie ein Linker. All dies erklärt seine teilweise Bewunderung für Adolf Hitler.“ Bereits als Gewerkschaftsführer sagte Lula 1979 in einem Interview wörtlich – und nie dementiert, berichtigt:“Hitler irrte zwar, hatte aber etwas, das ich an einem Manne bewundere – dieses Feuer, sich einzubringen, um etwas zu erreichen…Was ich bewundere, ist die Veranlagung, Bereitschaft, die Kraft, die Hingabe.“
Brasilianische Politikexperten urteilen ähnlich wie Rossi – Lulas Arbeiterpartei sei am Ende, habe längst die eigenen Prinzipien und natürlich die Wähler verraten. Hauptfeind Brasiliens, der Menschenrechte, sei die Korruption, häufig durch das Drogengeschäft gefördert. Nicht zufällig beklagen Menschenrechtsaktivisten und Intellektuelle heftig, daß auch unter Lula die hochbewaffneten Drogenmilizen als Parallelmacht über die riesigen Großstadtslums akzeptiert, gerade die ärmsten Bewohner neofeudal terrorisiert werden. In Rio de Janeiro gelang es den Milizen jetzt offenbar sogar, einen Armeehubschrauber abzuschießen – selbst der Verkehr auf der Stadtautobahn zum internationalen Flughafen wird immer wieder durch Feuergefechte unterbrochen. Arbeitsminister Ricardo Berzoini und Kulturminister Gilberto Gil fuhren völlig ohne Begleitschutz in einen Rio-Slum ein, hatten laut Landespresse zuvor die lokalen Banditenbosse um eine Besuchserlaubnis gebeten. Auch dies spricht Bände.
Brasiliens soziale Bewegungen haben unterdessen ein Manifest veröffentlicht, das die Lula-Regierung auffordert, konservative und korrupte Minister zu entlassen, die neoliberale Wirtschaftspolitik aufzugeben, die in der Verfassung definierten sozialen Rechte, darunter auf Arbeit, Wohnung oder Bildung, endlich zu verwirklichen.
Mehr Informationen über Brasilien:
Klaus Hart, Unter dem Zuckerhut – Brasilianische Abgründe, Picus-Verlag Wien, 2.Auflage 2005
Elisabeth Blum, Peter Neitzke (Hg.), FavelaMetropolis – Berichte und Projekte aus Rio de Janeiro und Sao Paulo, 2004 Birkhäuser-Verlag für Architektur, Basel – Boston – Berlin
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Bizarrer Wahlkampf und Lulas Korruptionsskandal
Anti-Korruptions-NGO „Transparencia Brasil“ mobilisiert gegen Wiederwahl von belasteten Politikern
Man stelle sich folgendes in Deutschland vor: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat keine stabile Mehrheit im Bundestag, muß die Parlamentsunterstützung Tag für Tag neu aushandeln. Ihre rechte Hand im Kanzleramt sowie andere ihr nahestehende Politiker organisieren deshalb Stimmenkauf, illegale Geldtransaktionen im Millionenhöhe an Parteien und Parlamentarier. Um Mehrheiten zu garantieren, werden Bundestagsabgeordnete mit Geld gefügig gemacht. Die Sache fliegt indessen auf, parlamentarische Untersuchungsausschüsse erbringen die nötigen Beweise. Die Bundeskanzlerin erklärt im Fernsehen, von den finsteren Machenschaften engster Mitarbeiter nichts gewußt zu haben, lehnt jegliche politische Verantwortung für Stimmen-und Parteienkauf ab, bleibt im Amt. Genau so schildert Claudio Weber Abramo, Exekutivdirektor von „Transparencia Brasil“ die Lage, allerdings auf Brasilien, die Regierung von Staatschef Lula und auf die regierende Arbeiterpartei PT bezogen. Lula hat allergrößte Chancen, am ersten Oktober bereits im ersten Durchgang wiedergewählt zu werden. Wie wäre in solcher politischen Situation das Wählerverhalten in Deutschland?
–Flucht in die parlamentarische Immunität—
In Brasilien sollen nun über einhundert verwickelte Politiker, aber auch Unternehmer, vor Gericht gestellt werden. Zahlreiche hochbelastete Kongreßabgeordnete wollen sich indessen durch eine Wiederwahl im Oktober in die parlamentarische Immunität flüchten, einem Prozeß entkommen. Weil Brasiliens populärste NGO „Transparencia Brasil“, die dem weltweiten Anti-Korruptions-Dachverband „Transparency International“ angeschlossen ist, dagegen eine öffentliche Kampagne gestartet hat, die betreffenden Politiker beim Namen nennt, hat sie jetzt gerichtlichen Ärger mit Staatschef Lulas Arbeiterpartei.
Noch im letzten Jahr hatte Staatschef Lula die Bestrafung aller Schuldigen vesprochen: “Das brasilianische Volk hat dies alles wirklich nicht verdient, was da geschehen ist. Doch jetzt tut die Regierung alles erdenkliche, um den Fall aufzuklären. Nach den Ermittlungen werden die entsprechenden Gerichtsprozesse stattfinden – und die Justiz wird ihre Pflicht erfüllen. Wir alle sind auf die Welt gekommen, um ehrlich, ethisch und würdig zu handeln – und wer dies nicht tut, muß eben dafür bezahlen.“ Dies ist indessen keineswegs sicher. Denn über 150 Politiker , die in die verschiedensten Korruptionsskandale der jüngsten Zeit verwickelt sind oder wegen anderer Delikte ebenfalls als schwerbelastet gelten, stehen derzeit in der Kampagne für die Wiederwahl und verschweigen den rund 120 Millionen Pflichtwählern natürlich ihre Probleme mit der Justiz. „Transparencia Brasil“ hat deshalb alle Kandidaten in einem umfänglichen Internet-Register namens „Excelencias“ charakterisiert und eine Aufklärungskampagne unter das Motto gestellt: Votiert nicht für Politiker, die Dreck am Stecken haben. Gemeint waren Männer und Frauen fast aller Parteien, doch nur die Arbeiterpartei Lulas reagierte ärgerlich. Claudio Weber Abramo: “Hier in Sao Paulo ging die Führung der Arbeiterpartei mit einer Unterlassungsklage gegen uns vor Gericht – und hatte damit auch Erfolg. Wir haben natürlich Berufung eingelegt, die allerdings abgelehnt wurde. Jetzt sind wir vors Oberste Wahlgericht in Brasilia gezogen und hoffen, daß wir dort Recht bekommen. Die Unterlassungsklage ist für die Arbeiterpartei wie ein Schuß in den eigenen Fuß, denn jetzt ist die Öffentlichkeit auf unsere Kampagne erst richtig aufmerksam geworden. Gestandene Politiker der Arbeiterpartei haben sich enormen politischen Schaden eingehandelt. Alle Welt sagt hier, sind die denn verrückt geworden?“ Abramo erschreckt die PT-Klage umso mehr, da die Partei im wirtschaftlich führenden Teilstaat Sao Paulo gegründet wurde, hier ihre Wurzeln, die meisten Sympathisanten hat. Abramo, womöglich Brasiliens führender Korruptionsexperte, hat den Regierungsskandal bis in die Detail begleitet:“Ja, es geht dabei um Stimmenkauf, um illegale Geldtransaktionen zwischen der regierenden Arbeiterpartei sowie Parteien und Parlamentariern, die der sogenannten Regierungsbasis im Nationalkongreß angehören. Die Angeklagten erfanden eine Story, wonach es sich lediglich um unsaubere Wahlkampffinanzierung, schwarze Wahlkampfkassen gehandelt habe. Doch man muß immer wieder hervorheben – diese Story ist eine reine Erfindung. Es geht um Korruption zwischen der dominierenden Partei der Lula-Regierung und Kräften im Parlament, die man eben bearbeiten, gefügig machen muß, um die nötigen Mehrheiten zu garantieren.“ Abramo bringt auf, daß Lula öffentlich erklärte, von all dem nichts gewußt zu haben. „Das ist eine weitverbreitete Haltung in Ländern, wo man stets vor der eigenen Verantwortung flieht. In Staaten wie Deutschland ist politische Verantwortung klar definiert – doch in Brasilien eben nicht. Hier haben wir so etwas im öffentlichen und im privaten Sektor – eine schlechte Sache, aber leider für Brasilien charakteristisch. Der oberste Verantwortliche erklärt sich nicht verantwortlich für das, was in seinen Strukturen, in seinem Laden passiert.“
–niedriges Bildungsniveau der Pflichtwähler—
Claudio Weber Abramo von Transparencia Brasil macht sich indessen keine Illusionen über den Erfolg der Aufklärungskampagne. Drei Viertel der erwachsenen Brasilianer sind aufgrund des Bildungsniveaus gemäß neuen Studien nicht in der Lage, einen simplen Zeitungs-oder Buchtext zu lesen und zu verstehen. Und wie Umfragen ergaben, haben die allermeisten daher auch gar nicht begriffen, um was es bei dem Regierungsskandal eigentlich ging.
Laut Abramo gibt es in Brasilien etwa 750000 NGO – doch „Transparencia Brasil“ mit nur sieben festen Mitarbeitern habe die beste Verbreitung, werde am meisten angeklickt. „Wir finanzieren uns schlecht und recht über Mitgliedsbeiträge von dreißig Real monatlich, machen Projekte gemeinsam mit dem Staat, auch mit der Lula-Regierung, mit Gouverneuren und Präfekten der oppositionellen Sozialdemokratischen Partei PSDB. Kurios, wenn uns daher die einen als PT-ler, die anderen als PSDB-ler beschimpfen. Wenn wir von beiden Seiten attackiert werden, machen wir offenbar irgendetwas richtig.
–Chico-Buarque-Hit als Kampagne-Leitmotiv—
Abramo hat sich zum musikalischen Leitmotiv seiner Kampagne einen alten Hit des großen brasilianischen Liedermachers Chico Buarque ausgewählt – „Meu Caro Amigo“ aus der Diktaturzeit, wegen der Textzeile „A coisa aqui ta preta“ – es steht schlecht um die Sache hier.
–Neue Kriterien für „links“ und „progressiv“–
Auch in Deutschland haben sich die Kriterien vielerorts dafür verschoben, was „links“ und „progressiv“ ist. Zwar wird Staatschef Lula nicht müde, immer wieder öffentlich zu betonen, niemals der Linken angehört zu haben und dies durch seine Politik, etwa bei den Menschenrechten, bei Bildung und Sozialem, der Umwelt, auch deutlich zu unterstreichen. Doch kurioserweise hat offenbar gerade der Stimmen-und Parteienkauf-Skandal nicht wenige europäische Beobachter dazu veranlaßt, in Lula einen aufrechten Linken zu sehen. Denn just seit der Korruptionsskandal kocht, just vor dem Hintergrund der Enthüllungen und Ermittlungen häufen sich in Deutschland bizarre Analysen, daß es sich bei Lula um einen Linken, bei seiner Regierung um eine Linksregierung handelt. Stimmen-und Parteienkauf sowie alltägliche Folter, gewöhnlich an den Ärmsten der Armen praktiziert, gelten damit offenbar als Kriterien für Progressivität.
–hohes Bußgeld für Lula—
Unterdessen hat Brasiliens Oberstes Wahlgericht Staatschef Lula dazu verurteilt, wegen illegaler vorgezogener Wahlpropaganda umgerechnet über 300000 Euro Bußgeld aus der eigenen Tasche zu zahlen. Gemäß einer Erhebung der größten Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“ haben Brasiliens Pflichtwähler weiterhin ein starkes konservatives Profil. Danach definieren sich 47 Prozent als rechts, während sich 23 Prozent zur politischen Mitte und 30 Prozent zur Linken rechnen. Vor dem Hintergrund der oft politischer Fiktion entsprungen scheinenden Regierungsskandale bemerkte jetzt der Wirtschaftswissenschaftler und Kolumnist Gustavo Ioschpe in der „Folha de Sao Paulo“:“Wäre Brasilien ein ernstzunehmendes Land, dürfte Lula nicht mehr im Amt sein. Und wäre er noch im Amt, dürfte er nicht erneut kandidieren. Und falls er für eine Wiederwahl kandidierte, dürfte er nicht an der Spitze der Wählerumfragen stehen.“
Auch die Wahlpropaganda ist in Brasilien ganz anders organisiert als in Deutschland. So müssen die Radiohörer vor den Oktoberwahlen derzeit morgens von sieben bis acht Uhr durchgehend auf sämtlichen Sendern Kandidatenwerbung ertragen, die nur zu oft an Infantilität nicht zu überbieten ist. Im Fernsehen wird täglich zur besten Sendezeit von 20.30 bis 21.20 Uhr auf sämtlichen TV-Kanälen Wahlpropaganda durchgeschaltet, für die das gleiche gilt.
–Multis und Korruption—
Die vierzehnte Wirtschaftsnation Brasilien zählt zu den korruptesten Ländern der Erde – Claudio Weber Abramo untersucht natürlich auch, wie hier die über zehntausend ansässigen Unternehmen Deutschlands im allgemeinen Korruptionsklima zurechtkommen:“Sie agieren gemäß den in Brasilien geltenden Spielregeln – andernfalls könnten sie hier gar nicht funktionieren.“
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Lulas „pure Scheinheiligkeit“
Protest-Rocksong gegen Politiker:“Hurensohn, Bandit, Korrupter, Dieb“
Brasiliens Staatspräsident Luis Inacio Lula da Silva hat gegenüber der katholischen Kirche eingeräumt, daß seine Regierung wegen der jüngsten Enthüllungen über Abgeordnetenbestechung, Mittelabzweigung und Machtmißbrauch ebenso wie das ganze Land von einer politischen Krise heimgesucht worden sei. In einer Botschaft an die 43. Generalversammlung der Bischofskonferenz in Itaici bei Sao Paulo betonte Lula, er sei sich der gravierenden Lage wohl bewußt, die Krise mache ihn traurig. Alle begangenen Fehler und Vergehen müßten aufgeklärt, die Schuldigen schonungslos bestraft werden. Korruption im Staatsapparat müsse man scharf bekämpfen. Nur so könne das Land zum normalen Leben zurückkehren und sich vorwärtsentwickeln. Der Staatschef wies zugleich Vorwürfe zurück, derzeit überall in Brasilien propagandistische Kundgebungen abzuhalten. Vielmehr wolle die Regierung der Gesellschaft signalisieren, daß das Land im Wachsen begriffen sei. „Ich werde auch weiterhin durch Brasilien reisen, unser Volk aufmuntern und Regierungsprojekte als Sieg unserer Menschen feiern.“
Lula verwies besonders auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, zudem erhielten bereits siebeneinhalb Millionen arme Familien eine Sozialhilfe. Er sicherte außerdem zu, sich mit den ethischen Werten des Evangeliums zu indentifizieren. Seine Regierung werde keinerlei Initiativen ergreifen, die christlichen Prinzipien widersprächen. „Gott war stets an meiner Seite.“
Laut brasilianischen Presseberichten wurde Lulas Botschaft von der Generalversammlung teils mit heftiger Kritik aufgenommen. Rio de Janeiros deutschstämmiger Kardinal Eusebio Scheid sprach von „purer Scheinheiligkeit“. Der ebenfalls deutschstämmige Generalsekretär der Bischofskonferenz, Odilo Scherer, meinte, Lulas Worte entsprächen nicht der Realität. Gemäß Kardinal Claudio Hummes aus Sao Paulo verliert die Bevölkerung das Vertrauen in die Institutionen. Andere Bischöfe empfahlen dem Staatschef, endlich zu regieren, anstatt nur herumzureisen und Reden zu halten. Die Brasilianer seien derzeit desorientiert, enttäuscht und mutlos.
–„kindische Fehler“—
Auf der bis zum 17. August dauernden Generalversammlung wird vorrangig eine von Experten der Bischofskonferenz erarbeitete Analyse der Regierungspolitik debattiert. In dem Papier wird konstatiert, daß aufgrund der Enthüllungen über Korruption die „politische Basis der Regierungfähigkeit zerfallen ist“. Die Beweise für aktive Korruption durch Führungsleute aus Lulas Arbeiterpartei hätten zu allgemeiner Erschütterung geführt. „Was niemals hätte geschehen dürfen, ist nun doch geschehen.“ Die Arbeiterpartei sei über Korruptionsfällen ausgerutscht, habe teilweise kindische Fehler begangen und nach Lulas Wahl genau jene Machtspiele betrieben, die sie früher stets heftig verurteilt habe.
Der Präsident des Abgeordnetenhauses in Brasilia, Severino Cavalcanti, hat unterdessen zwei Antrage auf ein Amtsenthebungsverfahren gegen Staatschef Lula abgelehnt. Die Argumente für ein Impeachment seien zu allgemein, erklärte der zu einer Rechtspartei zählende Politiker.
In Brasiliens Öffentlichkeit herrscht weitgehend Übereinstimmung, daß Lula über das feingestrickte System der Korruption zumindest informiert war. Kongreßabgeordnete, die wegen Kritik an Lula und dessen engsten Gefolgsleuten bereits 2003 aus der Arbeiterpartei ausgeschlossen worden waren, stellen indessen immer wieder klar, daß der Staatschef direkte Verantwortung für alle Verfehlungen trägt.
Derzeit befassen sich parlamentarische Untersuchungsausschüsse vor allem mit zwielichtigen Besitzern großer Werbefirmen, die von der Regierung und der Arbeiterpartei auch für dubiose Zwecke, darunter die Übergabe von Geldkoffern an Politiker, angeheuert worden waren.
Unter Lula wurde die meist vom Steuerzahler finanzierte Regierungspropaganda stark ausgeweitet – in TV, Radio und Zeitungen sowie überall im Straßenbild und selbst in den U-Bahn-Stationen der Millionenstädte wurde aufwendig Politwerbung placiert.
–„Hurensohn, Bandit“—
Brasiliens populärste Rockgruppe, die „Titàs“, haben den in die Korruptionsskandale verwickelten Politikern jetzt einen Song mit dem einprägsamen Refrain „Hurensohn, Bandit, Korrupter, Dieb“ gewidmet und den Titel in Rio de Janeiro erstmals bei einem Konzert vorgestellt. Der Band zufolge richtet sich der Song zudem generell gegen die chronische Korruption, von der das Land seit Jahrzehnten heimgesucht und bei der jedermann zum Komplizen gemacht werde.
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Folter in Brasilien weiter häufig – Menschenrechtsorganisationen unzufrieden mit Lula-Regierung
Seit dem Amtsantritt des sozialdemokratischen Staatschefs Luis Inacio Lula da Silva vor über einem Jahr hat sich die gravierende Menschenrechtslage in Brasilien entgegen den Erwartungen weiter verschlechtert. Dieses Fazit haben renommierte brasilianische Menschenrechtsorganisationen Mitte Mai in Sao Paulo bei der Vorstellung ihres neuesten Lageberichts für 2003 gezogen. Die Hoffnungen der Bürgerrechtsbewegung würden bis heute enttäuscht, die Lula-Regierung unterscheide sich kaum von ihren Vorgängern, hieß es. Dies zeige sich besonders bei den Konflikten um eine gerechte Bodenverteilung – unter Lula seien letztes Jahr dreiundsiebzig Landarbeiter ermordet worden, 69,8 Prozent mehr als 2002. Gegen die Milizen der Großgrundbesitzer werde nicht ausreichend ermittelt. Auch die Zahl der Morde an Indianern sei gestiegen, ebenso die Polizeigewalt. Daß von Beamten der Militär-und Zivilpolizei letztes Jahr allein in Rio de Janeiro 1195 Personen getötete worden seien – in Sao Paulo 868 – werde fälschlicherweise als Zeichen von „Effizienz“ bei der Kriminellenbekämpfung gewertet. In allen Teilstaaten der größten lateinamerikanischen Demokratie ist danach zudem Folter weiterhin üblich – um Geständnisse zu erzwingen oder als „Bestrafung“. In dem nach Sao Paulo und Rio de Janeiro drittwichtigsten Teilstaat Minas Gerais wurde sogar eine Zunahme der Folteranzeigen um sechzig Prozent gegenüber 2002 registriert.
Obwohl nachweislich sehr oft völlig Unschuldige in Polizeiwachen und Gefängnissen mit mittelalterlichen Methoden gequält werden, wird dieses Vorgehen weiterhin von einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung sogar befürwortet. In der brasilianischen Wirtschaftsmetropole Sao Paulo, der drittgrößten Stadt der Welt, mit über tausend deutschen Unternehmen, betonen gemäß einer neuen Studie immerhin 24 Prozent der Einwohner, in bestimmten Vierteln sogar 31 Prozent, daß die Polizei stets oder entsprechend der Situation foltern sollte, damit Tatverdächtige gestehen. Wie es in der Studie hieß, findet die Folter damit in der Bevölkerung mehr Unterstützung als noch vor sechs Jahren. Die Mehrheit der Befürworter seien überraschend Frauen zwischen 16 und 25 Jahren mit Grund-und Mittelschulbildung, während die Gegner vor allem in der Altersgruppe über 41 Jahre, mit Hochschulausbildung sowie mittlerem bis höherem Einkommen zu finden seien. Doch von diesen sprechen sich immerhin 55 Prozent für die Einführung der Todesstrafe aus.
Die Resultate werden auf die Ängste der Stadtbewohner angesichts stark gestiegener Gewaltkriminalität zurückgeführt. Die Raten für bewaffnete Raubüberfälle, Einbruchsdiebstähle und Drogendelikte sind in jüngster Zeit deutlich gestiegen, weil gemäß anderen Studien immer mehr Menschen wegen der Rekordarbeitslosigkeit, mangels anderer Alternativen, ins Verbrechen abrutschen.
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Schriftsteller Joao Ubaldo Ribeiro:“Lulas Inkompetenz ist abgrundtief“
Zur Anmod: In Brasilien steckt die Regierung von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva wegen der Skandale um Abgeordnetenbestechung, schwarze Kassen, Machtmißbrauch und Mittelabzweigung in einer tiefen Krise, ist seit über drei Monaten wegen der immer neuen Enthüllungen regelrecht gelähmt. Viele Intellektuelle und Künstler, die Lula und seine ebenfalls schwer angeschlagene Arbeiterpartei im Wahlkampf von 2002 kräftig unterstützt hatten, schweigen jetzt perplex und beschämt. Schriftsteller Joao Ubaldo Ribeiro aus Rio de Janeiro, der nach Paulo Coelho in Deutschland meistverlegte brasilianische Autor der Gegenwart, hatte indessen Lulas Debakel schon damals vorausgesagt. Heute ist Joao Ubaldo Ribeiro sehr skeptisch, daß die ganze Wahrheit über den Korruptionsskandal ans Tageslicht kommt.
Lulas Wahlkampfhit von 2002 – mit enormem finanziellen Aufwand, allen Raffinessen und Tricks des modernen Politmarketings hatten kommerzielle Werbemanager den einstigen Gewerkschaftsführer zum Hoffnungsträger der Massen aufgebaut.
Was Lula versprach, kam auch bei vielen Intellektuellen und Künstlern an, die einfach nicht sehen wollten, daß die Spitze der einst progressiven Arbeiterpartei, darunter Lula, längst einen deutlichen Kurswechsel nach rechts, hin zu neoliberalen Positionen und illegalen Machenschaften vollzogen hatte. „Lula ist Meister darin, Schmutz unter den Teppich zu kehren, zu verstecken“, urteilt Helio Bicudo, Mitgründer der Arbeiterpartei und einer der angesehensten kirchlichen Menschenrechtsaktivisten des Tropenlandes. Doch solche Kritik an Lula und seinem Team wurde bislang stets scharf zurückgewiesen. Auch Schriftsteller Joao Ubaldo Ribeiro, gleichzeitig einer der wichtigsten politischen Kolumnisten des Tropenlandes, mußte viel Prügel einstecken, sich vorwerfen lassen, gar rechtslastig und voller böser Vorurteile gegen einen Präsidenten aus der Unterschicht zu sein.
“Alle meine besten Freunde, alle Personen, mit denen ich Umgang pflege, und selbst meine Frau waren Lula-Anhänger der ersten Stunde, setzten mich, die einzige Gegenstimme, damals kräftig unter Druck. Doch ich habe all das vorhergesagt, was jetzt passiert ist, es ist wirklich kurios. Lula kann Kundgebungsreden halten, die Massen beschwatzen – doch für das Präsidentenamt ist er gänzlich ungeeignet. Er entwickelte kein Projekt, keine Vision für Brasilien. Seine Inkompetenz ist abgrundtief. Dieses Anti-Hunger-Programm war doch nur Veralberung.“
Führer der Landlosenbewegung und die Kirchenbasis sahen Lulas Amtsantritt mit großer Skepsis – doch manche angesehenen Intellektuellen, darunter der bekannte Befreiungstheologe Leonardo Boff, nannten Lulas Regierung gerecht, ethisch und humanistisch, verglichen Lula gar mit Mahatma Gandhi, machten Lula zur Ikone, zum Nationalhelden. Heute sind viele dieser Intellektuellen perplex und hüllen sich lieber in Schweigen.
“Zwecklos, denen zu sagen – habe ich es euch nicht angekündigt? Heute sind einige beschämt, andere tiefenttäuscht und tieftraurig. Dabei hat sich die Arbeiterpartei doch nicht erst heute, nicht erst seit Lulas Amtsantritt entpuppt – das geschah doch lange vorher, in den neunziger Jahren. Lulas Ignoranz, dieses Halsstarrige, diese Unentschlossenheit, zeigen sich jetzt in der Krise besonders. Lula hat falsch gewettet – und jetzt spielt er ein Spiel, das für Brasilien sehr gefährlich ist.“
Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und Ermittlungen der Bundespolizei fördern zwar täglich weiteres belastendes Material zutage – doch in seiner neuesten politischen Kolumne, die in den wichtigsten Qualitätszeitungen erscheint, sagt Joao Ubaldo Ribeiro voraus, daß letztlich alles im Sande verlaufen werde.
“ Lauter Merkwürdigkeiten bei den Ermittlungen, wohin man auch schaut. Wichtiges wird nicht offengelegt, denn man hält sich einfach an bestimmte Tabus. Wir sind ein korruptes Land – das ist die Wahrheit.“
In Argentinien, so weiß Ribeiro, wäre in einer solchen Krise das Volk auf den Straßen, würde Druck machen, folgte eine Massendemonstration der anderen. Doch in Brasilien bleibt alles ruhig. An wenigen öffentlichen Protesten, bei denen auch eine Amtsenthebung Lulas gefordert wurde, beteiligten sich nur einige tausend Menschen. Kommentatoren sprechen ironisch von einer geradezu hinreißenden Passivität und Apathie der Brasilianer – Joao Ubaldo Ribeiro sieht es genauso.
“Wir sind ein Volk mit dem Temperament von Schafen, von Hammeln – man unterwirft sich der Autorität. Der Durchschnittsbrasilianer verhält sich wie ein Regierungsbeamter – das ist die nationale Mentalität, dazu hat man uns erzogen.“
Der Schriftsteller sieht einen Zusammenhang zwischen der politischen Situation und dem sehr niedrigen Bildungsstand im Lande. Denn wenig Gebildete sind leichter manipulierbar.
„ Wir bilden Generationen von Analphabeten heran – das Bildungswesen hat sich furchtbar verschlechtert. Doch unser Präsident sagt auch noch, er brauche nicht zu studieren, brauche kein Diplom, brauche nicht zu lesen – da äußert er große Dummheiten!“
Lulas Popularitätsraten sinken unterdessen kräftig – gemäß neuesten Meinungsumfragen würde er nicht wiedergewählt.
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„Der Lula-Traum ist aus“
Brasiliens Weltsozialforum-Mitgründer Francisco Whitaker verläßt die Arbeiterpartei unter Protest
Ex-Gewerkschaftsführer Luis Inacio Lula da Silva war auch von den deutschen Kommerzmedien zum „Star“ früherer Weltsozialforen hochgejubelt worden – auf dem Forum in Caracas läßt er sich wegen der zu erwartenden Proteste lieber nicht blicken. Kritik an Lula und dessen Arbeiterpartei war in Porto Alegre nur zu oft unterdrückt, kaum wahrgenommen worden – doch die damals verlachten Kritiker haben Recht behalten. Dazu zählt Francisco Whitaker, 74, angesehener Mitgründer des Weltsozialforums, der die dem Kampf um Menschenrechte gewidmete „Kommission für Gerechtigkeit und Frieden“ der brasilianischen Bischofskonferenz koordiniert und jahrelang enger Mitarbeiter des befreiungstheologischen Kardinals Evaristo Arns in Sao Paulo war. In der Arbeiterpartei(PT)von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva gehörte Whitaker zu den letzten hochgeachteten „Aufrechten“, nachdem zahlreiche seiner Mitstreiter von der zentralistischen Führungsspitze ausgeschlossen worden waren oder aus Unzufriedenheit mit dem Regierungskurs das Parteibuch zurückgegeben hatten.
Im Januar erklärte nun auch Francisco Whitaker seinen PT-Austritt, was in der brasilianischen Öffentlichkeit enormes Aufsehen erregte. Der einst zum „Hoffnungsträger“, kurioserweise gar zur „Ikone der Linken“ aufgebaute Staatschef Lula und die Spitze seiner Arbeiterpartei stecken tief im Korruptionssumpf, ein raffiniertes System von Abgeordnetenbestechung, Parteien-und Stimmenkauf, Mittelabzweigung und Machtmißbrauch wurde enthüllt. „Die jüngsten Ereignisse gaben mir den letzten Anstoß“, sagt Whitaker im Interview. „ Die Parteibasis ist von der Führungsspitze, von Lula regelrecht verraten worden. Was die katholischen Kirche bereits vor den Wahlen von 2002 vorausgesagt hatte, ist eingetroffen, die jetzige politische Krise war vorhersehbar. Um die Wahlen zu gewinnen, wurde sogar der berüchtigte PR-Manager Duda Mendonca, der zuvor für rechte Politiker arbeitete, eingekauft, wurde mit Tricks und Täuschung, mit Lügen gearbeitet. Ist das nicht triste? Um an die Macht zu kommen, so die neue Logik, muß man Wahlen gewinnen, wofür viel Geld nötig ist – uninteressant, woher es kommt. Ja, der Traum ist aus, überall spürt man Bestürzung und Enttäuschung. Doch es gab Leute wie mich, die dachten, man könnte noch manches reparieren. Das war ein Fehlschluß. Die Deformierung der Partei, sogar den Stimmenkauf bei parteiinternen Wahlen, habe ich seit langem beobachtet. Besonders gravierend, daß man im Ausland sogar auf illegalen Schwarzkonten Geld hortete. Übelste politische Machenschaften, die die Arbeiterpartei stets bekämpft hatte, wurden unter Staatschef Lula auf einmal normal. Die Arbeiterpartei kann wegen der jüngsten Ereignisse ihren gesamten politischen Diskurs nicht mehr benutzen, der ist völlig wertlos, völlig unglaubwürdig.“ Aber die PT galt doch sogar international als eherne Säule der Ethik und Moral im zwielichtig-korrupten Politikbetrieb Brasiliens? „Das Ethik-Image wurde nur gepflegt, um die Wahlen zu gewinnen – doch jetzt macht die Regierung extrem „pragmatisch“, was sie will, wirft die Ethik über Bord, verfährt nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel. Anhänger werden maximal auf öffentliche Posten verteilt, um abzufassen, so viel und so lange es nur geht. Für mich ist geradezu ein Verbrechen, daß die Lula-Regierung mit übelsten, reaktionärsten Figuren und Parteien paktiert, ihnen das politische Überleben, eine starke Position garantiert. Im Nationalkongreß schloß Lula politische Abkommen mit Leuten wie Josè Sarney und Antonio Carlos Magalhaes – das ist doch schlimmer als Verrat! Die archaischen Oligarchien Brasiliens haben unter Lula nichts zu befürchten, können ganz beruhigt sein.“
–„Brasiliens Eliten finden Lula wunderbar“—
Aber tiefgreifende soziale Veränderungen wurden von Staatschef Lula doch scheinbar glaubhaft versprochen, immer wieder spricht er jetzt von enormen Fortschritten? „In Deutschland, überhaupt in Europa, kann sich kaum jemand das tatsächliche Ausmaß der sozialen Ungerechtigkeiten in Brasilien vorstellen. Wenige Betuchte – doch eine enorme verarmte, verelendete Unterschicht. Die Arbeiterpartei hatte einst auf ihre Fahnen geschrieben, diese krassen Ungleichheiten abzuschaffen. Dafür wäre eine andere Wirtschaftspolitik nötig. Doch jetzt, unter Lula, wird nichts verändert, sollen die Sozialkontraste fortbestehen. Das ist unser Drama. Lula unterwirft sich den Interessen des Kapitals weit mehr als sein Amtsvorgänger Fernando Henrique Cardoso, übernahm dessen Wirtschaftspolitik. Lula hält das Kapital besser, mehr bei Laune, als es eigentlich von ihm verlangt. Lula war ein Gewerkschafter, der wußte, wie man mit Fabrikbesitzern verhandelt. Er war nie gegen die Bosse, er war immer pragmatisch. Die brasilianischen Eliten profitieren heute von Lula wunderbar, finden ihn optimal. Paradoxerweise sind deshalb die Privilegierten heute am meisten daran interessiert, daß er möglichst lange weiterregiert, um das neoliberale Wirtschaftsmodell zu garantieren. Als es um die Frage einer anderen Wirtschaftspolitik ging, schlug sich Lula auf die Seite der Sozialdemokratie. Nie zuvor haben die Banken solche Profite gemacht. Im Falle Lulas und der Arbeiterpartei agierten unsere Machteliten wieder einmal sehr intelligent. Zudem kontrolliert Lula die Sozialbewegungen, hält das Volk mit Almosen von Unruhen ab. Seine Sozialprogramme sollen dazu dienen, die Masse unterwürfig und abhängig zu halten. Selbst die oft so kämpferisch auftretende Landlosenbewegung MST wurde gezähmt, überschreitet nie bestimmte Grenzen der Kritik an der Lula-Regierung. Statt einer für Brasilien so dringend nötigen Agrarreform, die einen neuen Binnenmarkt, eine enorme Nachfrage bislang ausgeschlossener Bevölkerungsgruppen geschaffen hätte, wurde das exportorientierte Agrobusiness gefördert. Unter Lula wurde zudem der Anbau gentechnisch manipulierter Pflanzen generell ermöglicht, mit den entsprechenden Wirkungen auf die Umwelt. “
Vertritt Whitaker in Brasilien eine isolierte Position, was meint die Kirche?
„In der Bischofskonferenz denkt man größtenteils wie ich, viele Bischöfe sehen die Dinge genauso. Enttäuschung über die Lula-Regierung gibt es in der Kirche deshalb nicht, weil man die Probleme ganz realistisch ja vorausgesehen hatte. Überrascht hat lediglich das Ausmaß der Machenschaften – mancher dachte, so weit würde es wohl nicht kommen. Unter den Gläubigen, in den befreiungstheologischen Basisgemeinden finde ich völlige Zustimmung.“
–Der Staatschef und die SPD—
Lula und seine Arbeiterpartei unterhielten besonders enge Beziehungen zu den deutschen Sozialdemokraten?
„Die PT-Spitze ging auch da ganz pragmatisch vor: Wir brauchen internationale Unterstützung – ohne die kommen wir nicht aus. Also gehen wir auf die Suche – wer öffnet uns die Türen mit besonders viel Sympathie, wo können wir möglichst viele Vorteile herausholen? Und so stießen die PT-Führer auf die SPD, die damalige rot-grüne Regierung, mit der ja auch das brasilianische Kapital wunderbare Beziehungen pflegte. Die deutschen Multis kommen wegen der Billigstlöhne nach Brasilien und entlassen dafür in Deutschland – die kapitalistischen Mechanismen sind furchtbar! Brasiliens Regierung stellt dem Auslandskapital keine Forderungen, macht ihm keinerlei Auflagen.“
Will Whitaker jetzt in eine andere Partei eintreten? „Auf keinen Fall.
Brasilien ist nur eine Fassaden-Demokratie, ist ein Land der Apartheid – die Lage in den Slums, die dortige Macht des organisierten Verbrechens sprechen Bände. Der Weg, dies alles zu verändern, läuft nicht über Parteien, sondern über die Zivilgesellschaft, die sich besser organisieren muß, Autonomie gegenüber Parteien und Regierung braucht. Dieser Aufgabe werde ich mich jetzt völlig widmen. Die Zivilgesellschaft muß das Monopol der Parteien auf politische Aktion brechen. Das Weltsozialforum dient dafür als wichtige Erfahrung. Wir dürfen nicht mehr auf Führer hoffen, brauchen andere politische Perspektiven, eine andere politische Kultur. Jene Fraktion, die seit Jahren die PT dirigiert, hat mit eiserner Hand eine falsche Einigkeit konstruiert. Die Parteibasis hatte nur noch auf die von oben getroffenen Entscheidungen zu warten.“
Wie ist die Stimmung derzeit besonders unter den armen Brasilianern? „Nur zu oft halten sie Veränderungen für unmöglich, gerade in Wahlzeiten beobachtet man einen grauenhaften Fatalismus. Darüber hinaus gibt es die freiwillige Unterwerfung – statt aufzubegehren und dann womöglich das bißchen, was man hat, auch noch zu verlieren. In den Slums unterwirft man sich dem organisierten Verbrechen – doch es gibt auch Unterwerfung gegenüber korrupten Politikern. Man ist fatalistisch in Bezug auf Möglichkeiten, die Realität zu verändern. Wir hatten in Brasilien nie echte Revolutionen. Seit der Kolonialzeit haben wir eine Kultur der permanenten Anpassung an die Verhältnisse. Doch solche Unterwürfigkeit führt eben nicht zur Lösung der Probleme.“
Francisco Whitakers neuestes Buch:
„O desafio do Forum Social Mundial – um modo de ver“
Vorwort von Oded Grajew, jüdischer brasilianischer Unternehmer, der die Idee des Weltsozialforums hatte
Editora Fundacao Perseu Abramo, Sao Paulo
Das Billigstlohnsystem unter Lula-Rousseff:http://www.hart-brasilientexte.de/2012/04/14/brasiliens-aufschlusreiches-billigstlohnsystem-lkw-fahrer-werden-2012-im-teilstaat-sao-paulo-fur-umgerechnet-544-euro-brutto-eingestellt-deutschlands-armutsgrenze-bei-940-euro-monatseinkommen/
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« „Afghanistan ist eine einzige Pleite, die die amerikanische Politik verschuldet hat.“ Alexander Gauland/AfD in Erfurt am 7.10. 2015. Joachim Gauck sagt USA-Besuch trotz US-Kriegsverbrechen von Kundus nicht ab…“In Syrien ist über die Hälfte für Assad“. – Kulturbereicherung in Ingolstadt 2015 – Syrer legt Feuer in Asylantenheim, wird gefaßt. Asylanten immer häufiger als Brandstifter, laut Statistik. „Nahles-Hammer: Eine Million Hartz-IV-Empfänger mehr durch Flüchtlinge…Doch nur wenige sprechen Deutsch und vielen fehlt die passende Ausbildung. Dadurch haben sie kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt.“ Focus. Die planmäßige Brasilianisierung des deutschen Arbeitsmarktes. »
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