Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

John Neschling, Lateinamerikas erfolgreichster Dirigent, begründet Weggang aus Sao Paulo: Druck der Teilstaatsregierung, schlechtes politisches Klima, Intrigen, kleinliche persönliche Attacken. OSESP-Silvesterkonzert wird erstmals per ARTE TV in 14 Länder Europas live übertragen.

Der Dirigent und Komponist John Neschling, der seit 1996  Sao Paulos drittklassiges Sinfonieorchester OSESP rasch zum besten ganz Lateinamerikas entwickelte, hat gegenüber der Qualitätszeitung „O Estado de Sao Paulo“ die Gründe für seinen nicht beabsichtigten Weggang erläutert. Bereits 2007 habe ihm der Bankier Pedro Moreira Salles, Vizepräsident des OSESP-Aufsichtsrates, mitgeteilt, daß die 2008 anstehende Vertragsverlängerung aus politischen Gründen nicht möglich sei.

 Daraufhin habe er, Neschling, auf einen Antrag zur Vertragsverlängerung verzichtet. „Andernfalls wäre ich gegangen worden.“ 2010, kurz vor seinem Ausscheiden, wird Neschling OSESP letztmalig vor dem Wiener Musikverein sowie am Sitz der Berliner Philharmonie  dirigieren. Im Interview erinnert er daran, daß ihn 1996 der damalige Sao-Paulo-Gouverneur Mario Covas von der sozialdemokratischen Partei(PSDB) rief, um OSESP zu retten, wiederaufzubauen. Mit dem Machtantritt von Covas-Nachfolger José Serra 2007, aussichtsreicher, als autoritär geltender Kandidat für die Nachfolge von Staatschef Lula, schlägt die politische Stimmung erstmals offen gegen Neschling um. Ein Orchestermitglied setzt unfairerweise ein Video auf YouTube, in dem Neschling inoffiziell, privat vor den Musikern den Gouverneur als „menino mimado e autoritario“ bezeichnet(äußerst treffend, wie man in Brasilien sagt), was Öl ins Feuer gießt, das Klima weiter vergiftet. Hinter Neschlings Rücken wird recht dillettantisch dessen Ersetzung vorbereitet. Neschling weist auf kulturelle Unterschiede:“Wenn ein Musiker der Berliner Philharmonie nicht gut spielt, wird der erste, der das kritisiert, sein Musikerkollege sein. Hier sind wir noch in einer Phase, in der das Orchester wie eine Körperschaft, ein Verband funktioniert und Mittelmäßigkeit verteidigt. Hier kritisiert ein Musiker nicht einen Kollegen, aus Angst, dann selber kritisiert zu werden.“ In den letzten Jahren, so Neschling, sei die von ihm erreichte Qualitätsverbesserung international anerkannt worden. Ihn schmerze jetzt am meisten, daß dieser Ruf, diese Position jetzt leichtfertig aufs Spiel gesetzt werde. Die frühere OSESP-Direktorin Claudia Toni, heute Assessorin des Kulturstaatssekretärs von Gouverneur Serra, verfolge als persönliche Mission, sich schlichtweg an ihm zu rächen, weigere sich sogar, mit ihm zu sprechen. Das Kulturstaatssekretariat von Brasiliens wichtigstem Teilstaat befindet sich im OSESP-Gebäude, nur wenige Meter vom Schreibtisch Neschlings entfernt.

OSESP hat 2008 sechs CDs über das schwedische Label BIS auf dem internationalen Klassik-Markt veröffentlicht – der Zuschlag von ARTE TV für das Silvesterkonzert sagt ebenfalls genug über die Qualität des Orchesters. Unter Gouverneur Serra liegt der OSESP-Konzertsaal weiterhin im berüchtigten „Cracolandia“-Stadtteil Sao Paulos, so benannt wegen der hohen Zahl von Crack-Konsumenten, der damit verbundenen Kriminalität und Dekadenz. Die Zustände in Cracolandia zählen zur politischen Visitenkarte Serras. Auch Neschling gegebene Versprechen, das Viertel sozial und kulturell aufzuwerten, wurden nicht erfüllt.

Neschling kritisiert Gilberto Gil: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/22/kulturminister-gilberto-gils-amtszeit-eine-grausige-bilanz-fur-brasilien/

Crack-Süchtige, starke Konsumentin, laut Ortszeugen – City Sao Paulos. Hunderte von Jugendlichen konsumieren auf der Straße in Gruppen ganz offen Crack, gleich neben Polizeistationen. **

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An einer Ampelkreuzung läuft sie wie irre hin und her, bettelt Autofahrer, Passanten an um Geld für Crack, stammelt Unverständliches oder schimpft ”Filho da Puta, ”Puta que pariu. Viele von Crack Gezeichnete torkeln ähnlich herum. Eine Straßenkreuzung, an der Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene massenhaft Crack konsumieren, ist ganz in der Nähe. ”Das sind Lulas Landeskinder, Gringo, kommentiert der Besitzer einer offenen Straßenkneipe ironisch.

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City Sao Paulos, laut Ortszeugen junge Crack-Konsumenten an einem der Hauptumschlagplätze, wenige Schritte vom Konzertsaal des Sinfonieorchesters OSESP und dem Gebäude der größten brasilianischen Qualitätszeitung ”Folha de Sao Paulo entfernt.

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/03/16/john-neschlings-lateinamerikanische-klassik-kulturrevolution-erster-latino-grammy-fur-ein-beethoven-album-seines-orchesters-osesp/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/08/14/john-neschling-legt-dirigentenposten-in-sao-paulo-nieder-druck-und-einmischung-der-reaktionaren-teilstaatsregierung-zunehmend-hoher/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/12/15/grandioses-osesp-jahr-6-neue-cds-2008-diapason-dorfrankreich-fur-zweite-villa-lobos-cd-editors-choice-von-gramophone-grosbritannien/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/12/28/crack-suchtige-starke-drogenkonsumentin-laut-ortszeugen-city-sao-paulos-hunderte-von-jugendlichen-konsumieren-auf-der-strase-in-gruppen-ganz-offen-crack-gleich-neben-polizeistationen/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2008/12/18/neuer-uno-index-fur-menschliche-entwicklung-brasilien-weiter-platz-70-uberholt-von-venezuela61-kuba-verbessert-von-platz-51-auf-48/

Dieser Beitrag wurde am Montag, 29. Dezember 2008 um 15:07 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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