Die deutsche Bundesregierung unterstützt derzeit in Brasilien ein kirchliches Menschenrechtsprojekt, das Slumbewohnern helfen soll, sich gegen Polizeigewalt zu wehren. Der renommierte Bürgerrechtler Helio Bicudo nennt das Projekt angesichts der gravierenden und sehr komplexen Lage einen ersten Schritt und hofft auch für weitere Initiativen auf Hilfe aus Deutschland.
„In Brasilien haben die Slumbewohner Angst, Polizisten wegen Gewalttaten anzuzeigen “ weil die Leute wissen, daß eine solche Anzeige ihnen das Leben kosten kann. Denn es gibt Killerkommandos, Todesschwadronen, zu denen Polizisten gehören”, sagt Helio Bicudo, Präsident der Interamerikanischen Stiftung zur Verteidigung der Menschenrechte und Koordinator des Santo-Dias-Bürgerrechtszentrums der Erzdiözese Sao Paulo. „Mit unserem Projekt, das von der deutschen Regierung finanziert wird, wollen wir den Slumbewohnern die Angst nehmen und und ihnen zeigen, wie man sich gegen Polizeigewalt juristisch wehren kann und dabei aber anonym bleibt.”Bicudo ist derzeit mit seinen Mitarbeitern fast jeden Tag an der Peripherie Sao Paulos mit ihren über 2000 Slums, organisiert Bewohnerversammlungen, macht das Projekt bekannt, erklärt den Menschen, die größtenteils funktionale Analphabeten sind, wie man solche anonymen Anzeigen auch über Not-Telefone stellt. Eine Informationsbroschüre enthält zudem Vordrucke für solche Anzeigen. Natürlich trifft Bicudo, der lange Jahre Staatsanwalt war und sogar die Interamerikanische Menschenrechtskommission in Washington leitete, in den Slums auch auf Skepsis.”Ich habe der deutschen Seite erklärt, daß wir hier in Brasilien eine radikale Reform der öffentlichen Sicherheit, des Polizei-und Justizapparats brauchen. Denn die Polizei hat wegen der Tötung von Unschuldigen das Vertrauen der Bevölkerung verloren und muß es erst wiedergewinnen. Willkür hat diese Mauer geschaffen, die auch gegenüber der Justiz existiert. Ja, die Leute haben sogar Angst vor der Justiz, weil sie die Polizei nicht kontrolliert, eher für Straffreiheit sorgt.”Theoretisch existieren für die öffentliche Sicherheit, die Verbrechensbekämpfung zahlreiche gutformulierte Gesetze, erscheinen Polizei und Justiz ähnlich strukturiert wie in Europa. Doch stutzig macht bereits, daß von den jährlich rund 50000 in Brasilien verübten Morden nur wenige Prozent aufgeklärt werden, man die Täter auch tatsächlich faßt und aburteilt. Das liegt laut Menschenrechtsexperte Helio Bicudo nicht zuletzt am Zeugenschutz.„Der ist eigentlich per Gesetz garantiert, funktioniert aber nicht. Zeugen sind in Brasilien überhaupt nicht geschützt. Nur zu oft ist es doch so: Kennt der Täter einen Zeugen, bringt er ihn um. Deshalb leben wir doch hier in Brasilien unter dem sogenannten Gesetz des Schweigens, will niemand aussagen. Das Schlimme ist zudem, daß unser Sicherheitsapparat aus der Militärdiktatur übernommen wurde. Wir haben in Brasilien Militärpolizisten auf den Straßen, die nicht wie Polizisten, sondern wie Militärs agieren. Und jedes Jahr tödlicher, wie die Statistiken zeigen. Doch ein Militärpolizist, der grundlos tötet, weiß, daß ihn die zuständige Militärjustiz nicht bestraft. Und an der Slumperipherie unserer Städte agieren auch noch Polizei und Verbrecherkommandos gemeinschaftlich, um  diesen Schein-Frieden aufrechtzuerhalten.”Das neue Projekt gegen Polizeigewalt stammt im Grunde bereits aus der Militärdiktatur der sechziger und siebziger Jahre. Damals war Helio Bicudo enger Mitarbeiter des deutschstämmigen Erzbischofs von Sao Paulo, Evaristo Arns, der sich wegen seines Kampfes gegen das Regime hohes internationales Ansehen erwarb. Arns und Bicudo gründeten damals auch jenes Santo-Dias-Bürgerrechtszentrum, das Übergriffe der Militärpolizei dokumentieren sollte, darunter die bis heute weiter existierende Folter.
Bicudo weiß natürlich auch von den Übergriffen der Polizei im Slum Paraisopolis unweit des Palastes von Gouverneur José Serra.  „Folter mit Elektroschocks zu sehen, sind wir hier im Slum schon richtig gewöhnt”, sagt dort ein schwarzer Bürgerrechtler.Helio Bicudo nennt daher das neue Projekt gegen Polizeigewalt einen sehr wichtigen Schritt.”Daß die deutsche Regierung sich einschaltet, halte ich für sehr interessant. Hilfe haben wir bisher stets vom Franziskanerorden und Misereor erhalten. Leider ist die Menschenrechtsbilanz der Regierung nach acht Jahren absolut negativ.”
Die Kirche Brasiliens prangere heute genau die gleichen Menschenrechtsprobleme an wie zum Amtsantritt von Staatspräsident Luis Inacio Lula da Silva im Jahre 2003.
Oscar Quevedo in Sao Paulo, echte und falsche Wunder: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1124312/
« Kinder in Alcantara, Maranhao. Gesichter Brasiliens. Fotos von Schweizer Fotograf Barnabas Bosshart anklicken. – Brasilien: Sambastar Paulinho da Viola kritisiert fehlkonstruiertes Karnevals-Sambodromo von Oscar Niemeyer in Rio de Janeiro. Architekturkritiker analysieren Brasilia und Memorial für Lateinamerika. »
Noch keine Kommentare
Die Kommentarfunktion ist zur Zeit leider deaktiviert.