Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

„Leben Brasiliens Frauen gut?“, wird Formel-Eins-Weltmeister Emerson Fittipaldi gefragt. „Ja – alle haben eine Hausangestellte.“

Brasiliens führende Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“ über die Sicht auf die größte weibliche Berufsgruppe des Tropenlandes, die meist in den Slums lebt. Laut Angaben der katholischen Kirche von 2008 arbeiten über sechs Millionen Brasilianerinnen  als Hausangestellte, Hausdienerinnen – weit über siebzig Prozent davon unregistriert. In Autoreklame wird darauf hingewiesen, daß selbst fürs Kindermädchen genügend Platz im Wagen sei.

Hintergrund von 2002:

Über fünf Millionen Hausangestellte – Relikt der Sklavenzeit

In Deutschland kommen bei Besserbetuchten Hausbedienstete aus Osteuropa in Mode – gemäß brasilianischem Beispiel: Selbst manche Deutschen, die sich zuhause drittweltbewegt-progressiv gebärden, schaffen sich in Rio, Sao Paulo oder Salvador de Bahia gewöhnlich raschest eine zumeist dunkelhäutige Hausdienerin an, die für umgerechnet an die hundert Euro im Monat aufwäscht, putzt, einkauft, kocht und auf Zuruf die Drinks zum Balkon bringt. Alles natürlich „schwarz“, Ausnahmen bestätigen die Regel.

Bier, Wein und Essen für Feten besorgt man nicht mehr selber; den Auf-und Abbau der Feier, die servile Bedienung der Gäste übernehmen zwei oder mehr „Negros“ im weißen Frack – wenns hochkommt, kriegt jeder für die zehn Stunden beim „Gringo“ an die dreißig Euro umgerechnet.
Mancher Deutsche hat – wie einheimische Mittelschichtler – einen regelrechten billigstbezahlten Hausstaat – mit Fahrer, Gärtner, Hausmeister, Köchin, Aufwartefrau, läßt sich nach Landessitte rundum bedienen – wie zur Sklavenzeit. Seit damals gilt Hausarbeit als dreckig, unfein und wird in den besseren Vierteln fast durchweg vom Heer der weit über fünf Millionen „Empregadas“, der weiblichen Hausangestellten, erledigt. Wie die Internationale Arbeitsorganisation/IAO jetzt durch Studien herausfand, gibt es indessen mindestens noch eine halbe Million Kinder sowie Heranwachsende bis 16 Jahre, die als Empregadas schamlos ausgebeutet werden – in ganz Südamerika stellen sie sogar ein Drittel der Hausangestellten. Dabei verbietet auch das brasilianische Recht ausdrücklich Kinderarbeit, feste Arbeitsverhältnisse vor dem sechzehnten Lebensjahr. So wurde in den Millionenstädten Belèm nahe der Amazonasmündung, im südöstlichen Belo Horizonte sowie in der nordöstlichen Tourismusdestination Recife konstatiert, daß die durchschnittliche Wochenarbeitszeit fünfzig Stunden beträgt, jedoch durchweg weniger als der gesetzlich festgesetzte Mindestlohn von umgerechnet etwa 80 Euro gezahlt wird. In der Industriestadt Belo Horizonte erhalten wenigstens 86 Prozent der kleinen Empregadas Geld, in Belèm indessen gerade 43 Prozent, der Rest bekommt nur Kleidung und Essen – ähnlich sieht es in Recife aus. Urlaub kann nur etwa ein Drittel nehmen. In Belem wollen rund siebzehn Prozent der Mädchen auf keinen Fall zur Familie zurückkehren, weil sie wegen sexuellen Mißbrauchs von zuhause geflohen waren. Dort haben auch nur etwa zehn Prozent der Mütter, die sämtlich in Nachbarregionen wohnen, überhaupt noch Kontakt zu ihren Töchtern. Auffällig, daß sich in der Amazonasmetropole immerhin mehr als siebzig Prozent über psychischen Druck und degradierende Rufnamen beklagten. Im Nordosten hat jahrhundertelange Naturzerstörung, darunter durch Brandrodungen, Klimawandel und Dürrekatastrophen sowie Landflucht verursacht – Eltern kinderreicher Familien sind häufig direkt froh, wenn ein Kind in Städten wie Recife in einem Mittelschichtshaushalt unterkommen kann, und sei es nur für Nahrung.

Schwer zu übersehen, daß indessen die Empregadas über sechzehn ebenfalls in Sklavenhaltertradition empörend ausgenutzt, nur selten gemäß Recht und Gesetz eingestellt und behandelt werden. Wollte eine Empregada angesichts hoher struktureller Arbeitslosigkeit auf ihre sämtlichen Rechte, darunter Ferien, 13.Gehalt und Rentenanspruch pochen, würde sie kaum irgendwo angestellt. In einem Europäerhaushalt Rio de Janeiros weigerte sich eine hochschwangere Hausangestellte, noch wenige Wochen vor der Entbindung schwerste Arbeiten zu verrichten – und wurde prompt fristlos und ohne irgendeine Abfindung gefeuert, mußte mangels anderer Möglichkeiten in die enge Kate von Verwandten eines von Todesschwadronen und Banditenmilizen beherrschten Slums ziehen.

Bezeichnend, daß Brasiliens Hausdienerinnen einen „Sonderstatus“ genießen: Anders als die anderen Festangestellten haben sie keinerlei Anspruch auf Zuschläge für Überstunden und Nachtarbeit. Was dies in der Praxis bedeutet, hat mancher Brasilienbesucher schon überrascht bis tiefbefremdet mitbekommen: Europäische Intellektuelle, zu einem Feministinnenkongreß in Rio de Janeiro, wurden von ihren Gastgebern weit nach Mitternacht noch auf einen Drink und einen Kaffee nach Hause eingeladen – wofür man natürlich die Empregada in ihrem fensterlosen Zimmerchen hinter der Spüle aus dem Schlaf riß.

„Brasiliens Dienstmädchen sind ein Relikt der Sklaverei, ein Resultat unserer gewaltigen sozialen Ungleichheiten, die weiterbestehen”, erläutert Angela Paiva, Soziologin an der Katholischen Universität von Rio de Janeiro. „In der gesellschaftlichen Hierarchie hatten die Schwarzen immer ihren genau definierten Platz “ etwa in der Küche, als Reinigungskräfte, Wäscherinnen.  Zwar haben die Hausangestellten formell inzwischen ähnliche Rechte wie die übrigen Beschäftigten, nur werden die entsprechenden Gesetze in den meisten Landesteilen nicht eingehalten. Es gibt schließlich auch noch Sklavenarbeit “ obwohl gesetzlich streng verboten.”

”Ekel vor schwarzer Haut – Brasiliens institutionalisierter Rassismus. **

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Die Schwarzenorganisationen der größten bürgerlichen Demokratie Lateinamerikas prangern regelmäßig die verschiedensten Formen von institutionalisiertem Rassismus in Staat und Gesellschaft an – während Stefan Zweig in seinem PR-Buch ”Brasilien – ein Land der Zukunft von einer beispielhaften und bewundernswerten Lösung der Rassenfrage faselt. Der UNO-Sonderberichterstatter Doudou Diene hatte Anfang 2006 in Brasilien konstatiert, daß die Lula-Regierung auf effiziente Gegenmaßnahmen gegen den Rassismus verzichte. Schwarze würden für gleiche Arbeit deutlich schlechter bezahlt als Weiße, seien die typischen Slumbewohner, hätten die niedrigste Schulbildung. Der Zugang zu höher bewerteten, besser bezahlten Berufen werde weiterhin enorm erschwert. Ende 2006 hat Gesundheitsminister Agenor Alvares überraschend konstatiert, daß Rassismus auch für das gesamte Gesundheitswesen typisch sei.

Rio de Janeiro, an dessen Nobelstränden sich derzeit immer mehr US-Soldaten von der Aggression gegen den Irak ”erholen, zählte einst zu den weltgrößten Umschlagplätzen für schwarze Sklaven aus Afrika “ in der berüchtigten Rua Camerino am Hafen erinnert indessen bis heute nicht einmal ein Gedenkstein an den grausigen Menschenmarkt. Eine Nachfahrin der Sklaven, die 47-jährige Lucia Xavier, leitet in der Zuckerhutmetropole “ mit annähernd gleicher Bevölkerungszahl wie Kuba, doch ganz anderen soziokulturellen Indikatoren – die regierungsunabhängige Organisation „Criola” und hält die Mentalidade escravagista, die Sklavenhaltermentalität, in ganz Brasilien weiterhin für lebendig. Mit ihrer Organisation bekämpft Lucia Xavier auch eine besonders perfide Form des Rassismus, die Diskriminierung der Dunkelhäutigen im Gesundheitswesen: ”Man muß sich das so vorstellen: Eine schwarze Frau geht zur Behandlung und auch zur Krebsvorsorge in eine öffentliche Klinik “ doch der weiße Arzt tastet nicht einmal ihre Brust ab, weil er sich vor der Frau ekelt, ja, wegen ihrer Hautfarbe Ekel empfindet. Und damit wird die Schwarze ihres Rechts auf korrekte medizinische Behandlung beraubt. Die Frau teilt mit, daß sie Schmerzen habe, doch den Arzt interessiert das nicht, dessen Team ebensowenig “ weil man die Frau wegen ihres ganzen Erscheinungsbildes nicht mag. Denn Schwarze sind gewöhnlich arm und kommen entsprechend gekleidet in die Klinik. Hier haben wir institutionalisierten Rassismus, der dazu führt, daß Dunkelhäutigen medizinische Leistungen, aber auch notwendige Informationen zur Krankheitsprävention vorenthalten werden “ gegen geltendes Recht und Gesetz.”
Das führt zu erheblich höheren Sterblichkeitsraten als bei Weißen. Gemäß einer neuen Studie betrifft dies auch die Müttersterblichkeit. Von den Frauen, die wegen Komplikationen bei der Geburt sterben, sind in Brasilien 80 Prozent schwarz.
”In der Studie wurde konstatiert, daß schwarze Frauen anders auf die Geburt vorbereitet werden als weiße. So wird bei weißen Frauen viel mehr zur Schmerzlinderung getan als bei schwarzen, die man in den Geburtskliniken sehr nachlässig abfertigt, generell benachteiligt. Obwohl alle nötigen medizinischen Ausrüstungen und gut ausgebildete Teams vorhanden sind. Besonders hoch ist die Müttersterblichkeit ausgerechnet im südbrasilianischen Teilstaate Paranà, in dem es nur relativ wenige Schwarze gibt. Wegen rassistischer Praktiken ist die Gesundheit der Dunkelhäutigen schlechter, ihre Lebenserwartung niedriger, haben sie eben viel weniger Bürgerrechte.”
Laut Lucia Xavier läßt man Dunkelhäutigen, die einen Unfall oder einen Infarkt erlitten, bereits in der Notaufnahme der öffentlichen Hospitäler alle Verachtung spüren, beschimpft sie sogar rassistisch.
”Doch institutionalisierten Rassismus gibt es nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch im Schulbereich, im Justizapparat. Weil der Staat dagegen nichts unternimmt, verschärft, verfestigt sich die Ungleichbehandlung. Dabei sind wir nach Nigeria das Land mit der zweitgrößten dunkelhäutigen Bevölkerung der Erde. Wir brauchen eben eine andere Demokratie als die jetzige, mit gerechter Einkommensverteilung. Just der brasilianische Staat, welcher den Mythos von der Rassendemokratie konstruierte, pflegt den institutionalisierten Rassismus.”
In Brasilien haben die Mittel-und Oberschichtsfamilien gewöhnlich Hausdienerinnen, Hausangestellte, fast alle sind dunkelhäutig “ mit über fünf Millionen ist es die zahlenmäßig stärkste weibliche Berufsgruppe. Festangestellte verdienen umgerechnet durchschnittlich rund 150 Euro.
”Dieser Beruf ist ein klassisches Beispiel für Rassismus. Den anderen Beschäftigten stehen laut Gesetz 27 verschiedene Rechte zu “ doch den Hausangestellten nur neun. Wie man sie behandelt, ist einfach schlimm, da werden Menschenrechte verletzt.Alles wie zur Zeit von Herrenhaus und Sklavenhütte.

Dieser Beitrag wurde am Freitag, 19. September 2008 um 15:37 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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