Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Brasiliens Wahl-Rechtsruck 2014: Zahl der Kongreßabgeordneten, die Arbeiterrechte vertreten, nur noch etwa halb so groß, laut Gewerkschaften.

 http://www.correiocidadania.com.br/index.php?option=com_content&view=article&id=10127:submanchete081014&catid=72:imagens-rolantes

Laut Diap schrumpfte die Abgeordnetenzahl von 83 auf 46. Die Unternehmerfraktion im Abgeordnetenhaus habe dagegen 190 Vertreter. Gemäß Diap ist dies extrem besorgniserregend. PSDB-Kandidat Aecio Neves stehe für „Arbeitslosigkeit, hohe Zinsen, Mißachtung der Gewerkschaften, Privatisierung“. 

http://www.hart-brasilientexte.de/2014/10/10/brasiliens-militars-mobilisieren-vorhersehbar-fur-rechtsgerichteten-prasidentschaftskandidaten-aecio-neves/

 http://www.hart-brasilientexte.de/2014/10/10/brasiliens-haufige-brande-von-elendsvierteln-serie-von-slum-feuern-in-sao-paulo-reichster-stadt-lateinamerikas/

PSDB-Umweltpolitik in Sao Paulo: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/05/20/rio20-brasiliens-megacity-sao-paulo-hat-offiziell-26-quadratmeter-grunflache-pro-einwohner-berlin-mitte-21-quadratmeter-munchen-338-quadratmeter/

 http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/29/brasiliens-uberbevolkerung-die-probleme-der-grosstadte-prafektur-von-sao-paulo-stoppt-weitere-verdichtung-nicht-obwohl-grunflache-pro-einwohner-nur-bei-26-quadratmetern-liegt/

Scheiterhaufen in Brasilien – welche Mainstream-Medien den Sachverhalt verschweigen: http://www.deutschlandradiokultur.de/moderne-scheiterhaufen-aus-autoreifen.1013.de.html?dram:article_id=167263

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Lula – rechts oder links? http://www.hart-brasilientexte.de/2010/10/21/lula-links-oder-rechts-selbst-einige-pt-mitglieder-beurteilen-seine-politik-als-eindeutig-rechts-als-fortsetzung-der-wirtschaftspolitik-von-fernando-henrique-cardoso-zugunsten-des-finanzkapitals/

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„Die Repression bringt uns nicht zum Schweigen.“(2014, Sao Paulo)

 http://www.hart-brasilientexte.de/2014/05/01/brasilien-gefangnishorror-weiter-warten-auf-proteste-der-berliner-regierung-nachdem-in-bahia-mindestens-acht-haftlinge-lebendig-verbrannt-worden-sind-bahia-quartier-der-deutschen-nationalmannsc/

Brasilien – Anfälligkeit für Propaganda: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/04/29/brasilianer-vertrauen-weltweit-am-meisten-in-produkt-propaganda-europaer-am-wenigsten-laut-studie-consumidor-confia-na-propaganda-kulturelle-unterschiede-bildungsniveau-kritikfahigkeit/

“Hunger nach Macht” – Brasiliens wichtigster Befreiungstheologe Frei Betto über den Sinn von “Bolsa Familia”. Banken und Lula. “Die Hilfsempfänger in ständiger Abhängigkeit zu halten, bringt Wählerstimmen.” **

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“Um desvio etico abortou o Fome Zero, anulou o seu carater emancipatorio e o reduziu ao programa Bolsa Familia, meramente compensatorio: a fome de poder. Manter os beneficiarios na dependencia permanente do governo traz votos.

Hunger-Schwarzer und Obama-Besuch: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/21/abgehungerter-schwarzer-bettelt-wahrend-des-obama-besuchs-um-nahrung-us-prasident-nahm-zu-lage-der-schwarzen-rassismus-und-diskriminierung-in-brasilien-nicht-stellung/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/05/13/leben-einer-sklavin-120-jahre-nach-der-abschaffung-der-sklaverei-in-brasilien-o-globo-berichtet-uber-kinder-als-sklavenarbeiter-unter-der-lula-regierung/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/09/15/lula-regierung-plant-uber-50-atomkraftwerke/

Em 2005, os Comites Gestores foram cancelados e o governo federal repassou as prefeituras a responsabilidade de controle dos recursos destinados aos beneficiarios. Decisao que, segundo o Tribunal de Contas da Uniao, fez aumentar os indicios de corrupcao nas administracoes municipais. “

Frei Betto war Sonderberater im Präsidentenpalast für das Anti-Hunger-Programm, legte indessen aus Unzufriedenheit mit der Sozial-und Wirtschaftspolitik den Posten nieder.

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/11/11/leben-wie-ein-brasilianer-der-bolsa-familiakriegt-die-ganze-familie-mit-27-euro-monatlich-uber-wasser-halten/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/11/13/trotz-bolsa-familia-weiter-hunger-und-unterernahrung-in-brasilien-bischof-demetrio-valentini-prasident-der-brasilianischen-caritas/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/21/elitenkandidat-lula-erfullt-erwartungenjeden-tag-164-neue-millionare-der-zuwachs-an-superreichen-ist-atemberaubend-handelsblatt/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/11/22/ich-bin-christ-und-sehe-mich-als-revolutionar-brasiliens-wichtigster-befreiungstheologe-frei-betto/

Bankiersliebling Lula(Text von 2006)

Brasiliens Privatbanken sind Hauptfinanziers der angeschlagenen Arbeiterpartei
Bischofskonferenz: Lula-Regierung unterwirft sich dem Diktat der Bankiers
Die Privatbanken des Tropenlandes machen derzeit Rekordgewinne wie nie zuvor in der Geschichte ganz Lateinamerikas. In nur drei Amtsjahren der Lula-Regierung, so zeigen neueste Statistiken, profitierten die fünf größten brasilianischen Geldinstitute mehr als in den acht Jahren der Vorgängerregierung unter Präsident Fernando Henrique Cardoso. Brasiliens größte Qualitätszeitung, die Folha de Sao Paulo, sah sich daher einmal die Spendeneinnahmen von Lulas Arbeiterpartei genauer an. Vinicius Mota, Soziologe und Chefkommentator des Blattes, sagte im Interview:Fakt ist, daß sich zwischen 2002 und 2004 die Bankenspenden für die Arbeiterpartei um das elffache erhöhten. Die Banken wurden auf einmal zu den wichtigsten Finanziers dieser Partei. Das erscheint natürlich auf den ersten Blick als großer Widerspruch.

Denn gerade Lulas Arbeiterpartei hatte stets radikal die hohen Bankgewinne verurteilt und versprochen, damit Schluß zu machen, wenn sie an die Macht käme. Doch Lula setzt die Wirtschaftspolitik der Vorgängerregierung fort und begünstigt den Finanzsektor mit weltweit einmalig hohen Leitzinsen. Vor allem deshalb fahren Brasiliens Banken jedes Jahr Rekordgewinne ein.”
Gemäß neuen Übersichten führt Brasilien mit großem Abstand bei den Kreditzinsen: In Kanada liegen sie bei jährlich 0,8 Prozent, in der Euro-Zone bei durchschnittlich 5,10 Prozent “ in Brasilien unter Lula indessen bei 43,50 Prozent. Bedanken sich die Geldinstitute bei Lula deshalb mit Millionenspenden an dessen wegen Korruptionsskandalen und Machtmißbrauch schwer angeschlagene Arbeiterpartei? ”Man kann das durchaus so interpretieren “ wenngleich es die Banken natürlich bestreiten. Mit der Regierung sind sie jedenfalls höchst zufrieden, wie die Geldzuwendungen zeigen.”
Staatschef Lulas Arbeiterpartei, so analysiert die Qualitätszeitung, sei Favorit der Bankiers, die den einstigen Gewerkschaftsführer regelrecht gezähmt hätten. Dessen Wiederwahl beim Urnengang im Oktober sei ihnen durchaus Recht. Gemäß neuesten Umfragen würde Lula bereits im ersten Wahlgang gewinnen, weil all jene für ihn votieren würden, die durch sein Anti-Hunger-Programm begünstigt werden. Es sei daher ein „Wiederwahl-Programm”. Laut Chefkommentator Vinicius Mota sind das immerhin acht Millionen Familien, also etwa dreißig Millionen Menschen. Jede dieser Familien erhält umgerechnet 23 Euro monatlich, auch nach Meinung der katholischen Kirche lediglich ein Almosen.
”Dieses Programm ist nur ein Trostpflaster, ein Notbehelf, weil es unsere sozialen Probleme keineswegs löst. Für die Armen müssen Arbeitsplätze geschaffen werden. Dazu ist Wirtschaftswachstum nötig, das jedoch durch die Banken-freundliche Hochzinspolitik verhindert wird.”
Lula hatte den Brasilianern für 2005 ein Wachstum von fünf Prozent versprochen “ gerade einmal 2,3 Prozent wurden erreicht. Zusammen mit Haiti gehört Brasilien zu den Schlußlichtern in Lateinamerika “ die Nachbarn Argentinien und Venezuela kamen immerhin auf über neun Prozent Wirtschaftswachstum. Doch wer erhält mehr aus dem brasilianischen Staatshaushalt “ die Privatbanken oder die von Hunger und Elend Betroffenen? Vinicius Mota:
”Dieser Vergleich macht traurig. Denn die Banken bekommen für den Schuldendienst zwanzig mal mehr Gelder, als in das Anti-Hunger-Programm fließen. Eine kleine Zahl von Privilegierten bekam letztes Jahr also 150 Milliarden Real “ während man für die acht Millionen verelendeten Familien nur rund sieben Milliarden Real ausgab.”
“Kritik der katholischen Kirche an Lulas Wirtschafts-und Sozialpolitik“
Wenige Tage nach dem Bericht der „Folha de Sao Paulo” kritisierte die
Bischofskonferenz(CNBB) des größten katholischen Landes unerwartet scharf die Wirtschafts-und Sozialpolitik Brasilias, sorgte für Schlagzeilen und löste vor den Oktober-Präsidentschaftswahlen eine heftige öffentliche Diskussion über den Kurs von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva aus. Bei der Vorstellung der diesjährigen Brüderlichkeitskampagne, die den Behinderten gewidmet ist, sagte der deutschstämmige CNBB-Generalsekretär Odilo Scherer, Lulas konservative Wirtschaftspolitik garantiere kein ausreichendes Wachstum und begünstige lediglich die Banken. Diese machten unter Lula Rekordgewinne. Für die Bankiers sei Brasilien heute ein „Finanzparadies”. Die Kirche habe Kenntnis davon, welchem Druck die Regierung ausgesetzt sei, so Bischof Scherer weiter. Doch die Interessen der Gesellschaft müßten ebenfalls berücksichtigt werden. Statt gerechterer Einkommensverteilung zugunsten der armen Bevölkerungsmehrheit erlebe Brasilien eine Einkommenskonzentration, die nur bestimmten Gruppen nütze. Um die scharfen Sozialkontraste zu überwinden, müsse die wachstumshemmende Hochzinspolitik aufgegeben werden, seien Programme zur Schaffung von Arbeitsplätzen nötig. Das brasilianische Volk, so Scherer, habe von der Lula-Regierung eine viel effizientere Sozialpolitik erwartet. Das Anti-Hunger-Programm sei bei weitem nicht ausreichend. Nur einen Tag später bekräftigte der Primas von Brasilien, CNBB-Präsident Kardinal Geraldo Agnelo, in Salvador da Bahia vor der Presse die Kritik Scherers. Nie zuvor, so Agnelo, habe sich eine Regierung den von Gläubigerbanken diktierten Bedingungen und Forderungen so unterworfen. Im Interview sagte der Kardinal:” Die Lula-Regierung sorgt sich direkt übertrieben um das Wohl der Banken, tut alles, was sie wollen. Während der Arbeiter eben keinen gerechten Lohn, keinen Inflationsausgleich einfordern kann. Damit sind wir nicht einverstanden, das ist doch nicht gerecht. Denn dem Volke geht es überhaupt nicht gut. Es muß weiter darauf warten, daß Arbeitsplätze geschaffen werden. Denn ohne Arbeit ist kein Leben in Würde möglich. Die Leute können sich doch nicht nur von staatlichen Almosen ernähren.”
Kardinal Agnelo meinte damit das Anti-Hunger-Programm der Lula-Regierung. Es sei keine Lösung, bringe die Leute nicht voran, fördere sie nicht, zeige keinen Ausweg aus ihrer erbärmlichen Lage. „Viele geben sich sogar mit diesem Almosen zufrieden, tun gar nichts mehr, gehen keinerlei Beschäftigung mehr nach.” Die Bischofskonferenz verlange deshalb eine andere Wirtschaftspolitik, die den Menschen ermögliche, von ehrlicher Arbeit zu leben. „Wir wollen, daß Staatschef Lula Erfolg hat “ bei der Förderung des Gemeinwohls!” Brasiliens geringes Wirtschaftswachstum bedeute aber eine regelrechte Anklage gegen die falsche Politik Brasilias.
Auch Agnelo kritisierte das weltweit höchste Zinsniveau. Wenn die Regierung der elftgrößten Wirtschaftsnation deshalb immer höhere Summen für den Schuldendienst aufbringen müsse, die Gewinne der Banken daher ständig kletterten, frage man sich natürlich:”Was bleibt denn da noch übrig für soziale Zwecke?”
Unterdessen reißen die Enthüllungen über krumme Touren der Arbeiterpartei Lulas nicht ab. Gemäß neuesten, auf Telefonmitschnitten basierenden Berichten des Nachrichtenmagazins „Veja” hat der zwielichtige Multimillionär, Unternehmer und TV-Moderator Ratinho von der Partei fünf Millionen Real erhalten, damit er 2004 in seinen Sendungen Propaganda für Lula und Marta Suplicy macht.

Max Schweizer (Hg.) Diplomatenleben Akteure, Schauplätze, Zwischenrufe – Ein Lesebuch 2013. 436 S. Geb. CHF 48.00 / EUR 39.50 ISBN 978-3-0340-1206-5. Chronos-Verlag Zürich. Schweizer Botschafter Giovanni Enrico Bucher. **

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 http://www.chronos-verlag.ch/php/book_latest-new.php?book=978-3-0340-1206-5&type=Inhalt_Sammelband

  • Klaus Hart: Botschafter-Entführung (1971/1996)

http://www.chronos-verlag.ch/php/book_latest-new.php?book=978-3-0340-1206-5&type=Pressestimmen

Hart, Klaus. Vor 25 Jahren. Gedenken an die Entführung Botschafter Buchers. Ein Wiedersehen in Rio de Janeiro, in: Neue Zürcher Zeitung, 25. Januar 1996.

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Hintergrundtexte: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/04/comandante-ismael-antonio-de-souza-guerrilheiro-gegen-die-nazistisch-orientierte-militardiktatur-brasiliens-unbekannte-helden4/#more-4520

 http://pt.wikipedia.org/wiki/Giovanni_Bucher

… Reinaldo Guarany, während der Folterdiktatur der Generäle ein besonders couragierter Widerstandskämpfer, Stadtguerrilheiro Rio de Janeiros, will nach dem Übergang zur Scheindemokratie seine Ruhe haben, kauft oben im Bergstadtteil Santa Teresa ein schlichtes Häuschen. Wir sitzen auf der kleinen Terrasse, trinken einen Cafezinho – Guarany ist zunächst wortkarg, was seine Biographie betrifft, zeigt mir lieber  die Dutzenden eigener origineller  Aquarelle und Ölbilder, die er zunehmend erfolgreicher ausstellt, verkauft. Doch dann höre ich doch noch  Details. Dieser kleine, eher zierlich gebaute Mann, heute Romanschreiber, Ghostwriter für Politiker, Übersetzer, Fachbuchautor, Betriebswirt, Rechtsexperte und auch noch Kunstmaler, hantierte einst  perfekt mit Maschinenpistolen. 1970, mitten in der härtesten, schwärzesten Diktaturphase, richtet er eine in meiner Nachbarstraße auf die Bewachertruppe des deutschen Botschafters Ehrenfried von Holleben, setzt sie mit einigen Feuerstößen außer Gefecht, reißt den verdatterten Diplomaten aus der Luxuskarosse, packt ihn mit Hilfe eines Companheiro in eine nach Chlorophorm duftende Holzkiste. Die Entführung gelingt, von Holleben kommt erst frei, nachdem vierzig Diktaturgegner aus den Verließen geholt und nach Algerien ausgeflogen worden sind. Die Resistencia unterteilt damals in geheime Kader , die nur nachts oder im Kofferraum das Haus verlassen können – und in solche wie Reinaldo Guarany, einen Quadro legal, der sich offen bewegen kann, nach dem niemand fahndet. Er studiert an der Uni Psychologie, malt wunderschöne Bilder und arbeitet im Apothekennetz seiner Familie, ist umgänglich zu Kunden, beliebt, kommt herum  – wechselt indessen häufig ganz plötzlich die Haut, agiert als gefürchteter, besonders kühner Bankräuber, leert mit der Mpi im Anschlag Tresore, beschafft damit viel Geld für den Widerstand. Unter der Folter verrät ihn ein Companheiro – die Geheimpolizei beschattet daraufhin Guarany durch Scharen falscher Eis-und Puffreisverkäufer. An der Copacabana, nicht weit vom Othon-Palace-Hotel, wird er schließlich überwältigt, ein Kolbenschlag kostet ihn die meisten Zähne. Jeder Rio-Tourist kommt an den Kais der Kriegsmarine vorbei, damals ein berüchtigtes Folterzentrum.”Ich wog nur vierundvierzig Kilo. Sie gaben mir nachts Elektroschocks, hängten mich kopfunter auf, drückten meinen Kopf unter Wasser – ich wurde ohnmächtig. Jemand gab mir eine Amphetaminspritze, aber nicht mal die weckte mich auf… Erst nach der zweiten Spritze, sechs Uhr früh, war ich erneut vernehmungsfähig, wurde wieder geschlagen – doch weil ich so schwach, so mager war, hauten sie nicht so hart zu wie bei den anderen Companheiros.” Guarany hätte wie so viele andere die Torturen kaum überlebt. Doch 1971 entführen Kameraden wieder in meiner Nachbarstraße den Schweizer Botschafter Giovanni Enrico Bucher, Guarany und neunundsechzig andere kommen frei, werden nach Chile ausgeflogen. Der Stadtguerrilheiro kämpft auch im Exil weiter, fälscht Hunderte von Pässen.”Mein Zimmer in Mexiko hatte deshalb den Beinamen Konsulat.” Er reist von dort mit falschem Paß auch nach Deutschland ein, studiert später in Bochum Betriebswirtschaft. Guaranys erste Frau erhält bei einer Guerilla-Aktion einen Kopfschuß, wird in Deutschland vom selben Arzt wie Rudi Dutschke operiert. Seine zweite Frau nimmt sich in Westberlin das Leben – laut Guarany wird ihm und sieben anderen Brasilianern am Tag darauf das zuvor verweigerte politische Asyl gewährt. Deutsche, belgische oder nordamerikanische Maschinenpistolen, die Guarany seinerzeit vom chilenischen Exil aus für die Guerilla in Argentinien, Uruguay und Brasilien importierte, faßt der inzwischen über Fünfzigjährige nicht mehr an, sieht sie indessen alle Tage, nur Schritte von seinem Häuschen, auf sich gerichtet. Ich sehe erst mal garnichts, hätte die Gegend wie jeder uninformierte Tourist für die friedlichste Ecke Rios halten können. Guarany geht mit mir zum Terrassengeländer, erklärt mir die Geographie. Einen Steinwurf den Hang hinauf, beginnt das pompöse Anwesen einer der reichsten Familien Brasiliens, die ein Bataillon von Hausbediensteten beschäftigt. Zum Empfang für Mick Jagger, der dort, wie es heißt, seinen Scheidungsgrund Luciana Gimenez  Morad kennenlernt und später schwängert, rauschen auch publicity-hungrige Musica-Popular-Stars wie  Caetano Veloso und Gilberto Gil durchs protzige Portal. Dann weist Guarany nach unten, gleich an der Terrasse beginnen Slums, die Favelas. Rivalisierende  Banditenmilizen liefern sich regelmäßig Gefechte, dann sind seine Tochter, seine Frau und er Gefangene im eigenen Haus, wäre der Espresso auf der Terrasse womöglich tödlich. Guarany übertreibt nicht – meine Schweizer Freundin wohnt ein Stück die Straße hinauf, leidet ebenfalls unter dem Horror, übernachtet notfalls mit den Kindern tageweise fern von Santa Teresa. Aber jetzt ist alles herrlich ruhig, doch eben nur Erscheinungsebene. „Kommt mit, ich zeig Dir was”, sagt Guarany, zieht mich zum Wagen. Wir fahren seine enge, eigentlich tropisch-pittoreske Straße hinunter – an der ersten Biegung blinkt bereits eine verchromte Mpi. In fünfzehn unsäglich langen Minuten, bis ein verkeilter LKW vor uns endlich weiterkommt, brauchte der nur mit Shorts bekleidete Zwölfjährige nur einmal durchzuziehen, und wir im Auto wären hinüber. Guarany wird nicht ein bißchen mulmig:”Noch vor zwei Jahren habe ich hier viele Jungs Murmeln spielen sehen, die mir heute mit Mpis begegnen – sie wurden Soldados des organisierten Verbrechens, prahlen damit herum, rühmen die Banditenchefs als ihre Helden.” Die Zeiten haben sich geändert – seit 1985 nennt sich Brasilien eine Democracia, Entführungen von Geldleuten, nicht mehr Diplomaten und Politikern, wurden in Rio so häufig, daß sich kaum noch jemand darüber aufregt und die Medien längst nicht mehr alle Fälle registrieren. Selbst Deutsche sind darunter, einmal sogar eine Unternehmerin. Das Neueste sind Sequestros relampagos, Blitzentführungen, die maximal ein paar Stunden dauern. Gangster greifen sich ein Schulkind auf dem Weg nach Hause, wollen von der per Handy informierten Mutter nur umgerechnet fünfzig, sechzig Mark. Oder eine Mittelschichtlerin ist dran: Der Gangster springt irgendwo zu ihr ins Auto, zwingt sie, mit der Scheckkarte an verschiedenen Geldautomaten der Stadt möglichst viel Geld abzuheben, oder gar Schecks einzulösen. Auch deshalb, und wegen der häufigen Überfälle an Kreuzungen braucht man ab zehn Uhr nachts nicht mehr bei Rot zu halten – ganz offiziell erlaubt.  Zudem stieg in  Rio der  illegale Besitz von Waffen enorm – über 700 000 Mpi, Gewehre und Revolver, dazu ungezählte schwere MG, ausländische Bazookas und Handgranaten sind unrechtmäßig in Privathand. „Wären wir damals nur fünfzehn Minuten bewaffnet in Santa Teresa auf der Straße geblieben”, so Guarany mit bitterem Humor, „hätten die sicher sogar ein Kriegsschiff hierher in die Berge geschickt.” Heute existiere eine „Komplizenschaft des Staates” mit dem organisierten Verbrechen. 

Dominikaner Frei Tito, freigekommen im Austausch gegen Botschafter Bucher: http://www.deutschlandfunk.de/befreiungstheologie-50-jahre-nach-dem-militaerputsch-in.886.de.html?dram:article_id=275467

Wie die Diktatur sogar Geistliche folterte – Beispiel Frei Tito:  http://www.adital.com.br/freitito/por/pedras.html

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/05/08/flughafen-willy-brandt-in-berlin-wird-verspatete-eingeweiht-was-brasilianer-mit-dem-namen-willy-brandt-verbinden/

http://www.deutschlandradiokultur.de/ich-bin-christ-und-sehe-mich-als-revolutionaer.1278.de.html?dram:article_id=192247

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Foto von Frei Tito – Frei Betto beim Website-Interview im Dominikanerkloster von Sao Paulo.  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/03/01/syrien-intervention-christen-ermordung-usa-verstarken-offiziell-unterstutzung-fur-eingedrungene-paramilitarische-einheiten-anderer-staaten/

Brasilien und die Folterdiktatur – Willy Brandt, Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher, Joachim Gauck: http://www.hart-brasilientexte.de/2014/10/02/brasiliens-folterdiktatur1964-1985-hans-dietrich-genscher-derzeit-wieder-im-deutschen-mainstream/

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Diktator Ernesto Geisel, in dessen Amtszeit der jüdische Journalist Herzog gefoltert und ermordet wurde –  und Willy Brandt, Ausriß. http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/19/brasiliens-folter-diktatur1964-1985-mit-wem-bundesausenminister-willy-brandt-damals-bilaterale-vertrage-unterzeichnet-das-massaker-an-stahlarbeitern-unter-gouverneur-jose-magalhaes-pinto/
 
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“Willy Brandt ans Fenster”(1970). Im Jahr vor dem Erfurter Treffen hatte Willy Brandt das Kulturabkommen sowie das Wissenschafts-und Technologieabkommen mit der Folterdiktatur Brasiliens unterzeichnet. Was alles in der Erfurt-Berichterstattung damals fehlte…
 http://www.hart-brasilientexte.de/2012/07/14/brasiliens-nazistisch-antisemitisch-orientierte-militardiktatur-lieferte-waffen-fur-repression-in-chile-laut-jetzt-veroffentlichten-geheimdokumenten-abkommen-von-diktator-medici-mit-pinochet-geschlo/
 
 Scheiterhaufen in Brasilien:  http://www.deutschlandradiokultur.de/moderne-scheiterhaufen-aus-autoreifen.1013.de.html?dram:article_id=167263
 
 
Schweizer Unionsverlag – “Brasilien fürs Handgepäck”:  http://www.unionsverlag.com/info/title.asp?title_id=2720
Dieser Beitrag wurde am Freitag, 10. Oktober 2014 um 19:59 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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