Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Leben wie ein Brasilianer, der „Bolsa Familia“kriegt: Die ganze Familie mit 23 Euro monatlich über Wasser halten…

Rund fünf Jahre nach dem Start von Regierungsprogrammen gegen Hunger und Misere haben Sozialexperten und Forschungsinstitute die Vor-und Nachteile der staatlichen Hilfsmaßnahmen betont. Laut offizieller Einschätzung hat das sogenannte Familienstipendium(Bolsa Familia), das an rund 36 Millionen Brasilianer gezahlt werde, Armut und Elend deutlich verringert.

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/21/elitenkandidat-lula-erfullt-erwartungenjeden-tag-164-neue-millionare-der-zuwachs-an-superreichen-ist-atemberaubend-handelsblatt/

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Die Unterernährungsrate bei Kindern sei spürbar gesenkt worden, ebenso die Kinderarbeit. Weit mehr Mädchen und Jungen gingen vor allem in den rückständigen Gebieten des Nordostens zur Schule als zuvor. 94 Prozent der Familienvorstände, die das Geld für ihre Angehörigen empfingen, seien Frauen, über die Hälfte davon Dunkelhäutige. Auf diese Weise fördere „Bolsa Familia“ auch die Emanzipation der Brasilianerinnen, hieß es.  Der zuständige Minister für Sozialentwicklung, Patrus Ananias, räumte indessen ein, daß noch längst nicht alle Anspruchsberechtigten begünstigt würden. Das renommierte Institut für gesellschaftliche und ökonomische Analysen(IBASE) verwies darauf, daß in der immerhin zehntgrößten Wirtschaftsnation an die häufig kinderreichen Empfänger-Familien pro Monat durchschnittlich nur umgerechnet etwa 23 Euro gezahlt werden. Diese Summe reiche keineswegs aus, um den Basisbedarf zu decken. Gemäß einer neuen IBASE-Studie hungerten daher über 20 Prozent dieser Familien nach wie vor und litten weitere  34,1 Prozent unter dem Fehlen von Nahrungsmitteln. Nur bei rund 17 Prozent der Empfänger-Familien habe IBASE völlige Ernährungssicherheit konstatiert. Weitere unabhängige Studien nannten als gravierendsten Fehler von „Bolsa Familia“, daß einerseits 23 Prozent der Geldempfänger gar nicht bedürftig seien, andererseits Millionen von verelendeten Familien nach wie vor leer ausgingen. Die Wirkung der Regierungsprogramme werde durch verschiedenste Betrügereien herabgesetzt, steckten sich teilweise lokale wohlhabende Eliten das Geld in die eigene Tasche. Derartige Betrügereien kennt beinahe jeder Brasilianer aus seiner näheren Umgebung: Bürgermeister bessern mit Bolsa Familia ihr Gehalt auf, Schweinezüchter kaufen davon Futtermittel, Geschäftsinhaber davon Geschenke und Spielzeug. Und selbst das: Gutbezahlte Sektenmitarbeiter verbreiten, Gott habe ihnen die Anspruchsberechtigung verschafft…

Anders als von der Regierung vorausgesagt, so die Studien, garantiere das Hilfsprogramm keineswegs einen deutlichen Rückgang der Kinderarbeit und einen besseren Schulbesuch. Die Zahl der Kinder, die trotz „Bolsa Familia“ weit vor der achten Klasse aufgäben, habe deutlich zugenommen. Brasiliens katholische Kirche hat Regierungshilfen für Verelendete als positiv bezeichnet – „Bolsa Familia“ sei indessen lediglich ein Almosen und löse das Misereproblem nicht. Befreiungstheologe Frei Betto nannte das Programm einen wichtigen Wahlstimmenbeschaffer des Regierungsbündnisses, „nicht sehr verschieden von Stimmenkauf“. Frei Betto war von Staatchef Luis Inacio Lula da Silva 2003 als Berater für „Bolsa Familia“ in den Präsidentenpalast berufen worden, hatte den Posten aus Unzufriedenheit mit der Sozial-und Wirtschaftspolitik jedoch schon 2004 niedergelegt.

In Ländern wie Deutschland wird viel Sympathie für die Sozial-und Wirtschaftspolitik der Lula-Regierung geäußert. Brasilien zählt zu den größten Lebensmittelexporteuren der Erde, hat u.a. bei Fleisch und Zucker den Spitzenplatz, liegt bei Soja nach den USA auf Rang 2. Auch bei Orangensaft zählt Brasilien zu den führenden Lieferanten Deutschlands. Zahlreiche wichtige Lebensmittel sind im Billigstlohnland Brasilien teurer und zudem von weit schlechterer Qualität als im Hochlohnland  Deutschland.

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/11/13/in-brasilien-leiden-noch-sehr-viele-familien-hunger-trotz-bolsa-familia-franziskanerpriester-johannes-bahlmann-in-sao-paulo/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/11/13/trotz-bolsa-familia-weiter-hunger-und-unterernahrung-in-brasilien-bischof-demetrio-valentini-prasident-der-brasilianischen-caritas/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/09/04/befreiungstheologe-frei-betto-widerspricht-lula-und-uno-soziale-ungleichheit-in-brasilien-nahm-unter-lula-nicht-ab-sondern-zu/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/10/31/kinderprostitution-unter-der-lula-regierungha-casos-de-meninas-de-56-anos-que-se-vendem-por-1-real-1-real-umgerechnet-etwa-38-cents/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/09/25/brasiliens-befreiungstheologen-demonstrieren-mit-obdachlosen-tagesschaude/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/09/07/die-franziskaner-und-der-aufschrei-der-ausgeschlossenen-in-sao-paulo-befreiungstheologe-frei-betto-hat-recht-unter-lula-hat-die-soziale-ungleichheit-zugenommen-vor-wenigen-tagen-wurde-wieder/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/08/05/bye-bye-brasil-weltsozialforum-erfinder-oded-grajew-aus-sao-paulo-zum-massenexodus-von-brasilianern-in-die-erste-welt/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/11/brasiliens-endloser-conterganskandal/

Hintergrund:

Brasilien: Die Milliardäre und die Hungernden(2011)

Kirche empört über starke Zunahme der Superreichen angesichts von Massenelend

Die Zahl der Milliardäre des Tropenlands ist laut neuester Forbes-Statistik  auf 30 angestiegen – 2010 waren es noch 18. Platz acht der Weltrangliste belegt Unternehmer Eike Batista aus Rio, mit 30 Milliarden US-Dollar. Der Reichtum der brasilianischen Milliardäre sei dreimal so groß wie das Bruttosozialprodukt des entwickelten Nachbarlands Uruguay. Bankiers und Börsianer feiern den Zuwachs bei Brasiliens Superreichen als Beweis wirtschaftlichen Aufwärtstrends – die Kirche des größten katholischen Landes äußert dagegen Empörung, weist auf Hunger, Misere und rasch wachsende Elendsviertel. „Die Milliardärsstatistik zeigt, daß sich unter der Regierung von Präsident Lula an der grauenhaft ungerechten Einkommensverteilung, dem Begünstigen der ohnehin Privilegierten nichts geändert hat“, sagt Frei José Francisco, Leiter des Franziskaner-Sozialwerks von Sao Paulo. „Die neue Präsidentin Dilma Rousseff fährt diesen Kurs weiter, tut nichts gegen Einkommenskonzentration in den Händen weniger – trotz soviel Hunger und Massenelend. Nur bei sozialer Ungleichheit ist Brasilien Weltspitze.“ Der Franziskaner hat Riesenprobleme, Spender und Förderer für die zahlreichen Sozialprojekte der Megacity zu finden, ob für Straßenkinder oder obdachlose Familien. „Mit einem Quentchen des Gelds der Milliardäre könnte ich einen Großteil meiner Finanzierungsnöte beheben, müßte nicht sogar deutsche Hilfswerke wie Misereor und Adveniat um Mittel bitten. Denn Brasiliens Reiche geben nur, wenn es ihnen Profit, Status und Steuererleichterungen bringt. Wer aber wie wir mit echter Sozialarbeit jene Strukturen in Frage stellt, die Elend und Hunger schaffen, kriegt keinen Centavo.“

Hedwig Knist aus der Diözese Mainz leitet in Lateinamerikas reichster Stadt Sao Paulo die Obdachlosengemeinde und ist über die Milliardärsstatistik ebenfalls aufgebracht, kennt die unpatriotische Knickrigkeit der brasilianischen Superreichen nur zu gut. „Gäben die was ab, müßte ich derzeit nicht das deutsche Generalkonsulat um Gelder für ein Projekt anbetteln, das ausschließlich Brasilianern zugute kommt,  könnte ich dem Heer der Straßenbewohner viel besser helfen. Das Anti-Hunger-Programm der Regierung holt die Menschen nicht aus dem Elend, Brasiliens Sozialkontraste werden nicht geringer – die Reichen indessen immer reicher. Die Milliardärsstatistik beweist es drastisch-provozierend.“

Priester Aecio Cordeiro da Silva betreut in Sao Paulo 13 der über 2000 Slums und erinnert daran, daß Brasiliens Parlamentsmitglieder ein Durchschnittsvermögen von umgerechnet einer Million Euro besitzen und sich erst kürzlich eine 60-prozentige Diätenerhöhung genehmigten. „Dennoch votierten sie jetzt für eine Mindestlohn-Anhebung auf rund 248 Euro brutto, deutlich unterhalb der Teuerungsrate – sowas ist doch skandalös, wie die Milliardärsstatistik! Es gibt weiter Hunger – das Gesundheitswesen ist so grauenhaft, daß Menschen in den Warteschlangen der Hospitäler sterben. Gerade ersuche ich einen Italiener um Geld für ein Projekt, das Jugendliche vor dem Abrutschen in die Drogenkriminalität bewahren soll – denn wir können nicht mal die Stromrechnung aufbringen.“

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, 11. November 2008 um 19:22 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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