Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Prof.Dr. Roberto Albergaria, Anthropologe, Machismusexperte. Brasiliens Beziehungsrealität, deutsche Sextouristinnen. Gesichter Brasiliens.

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Prof. Dr. Roberto Albergaria Machismusexperte, Anthropologe, ”Baianologo“

 Bahia-Sexualität und Erotik, Familienstrukturen, gemischtrassige Beziehungen und das viele Europäer so magisch anziehende Exotische, Exzentrische des „schwärzesten” brasilianischen Teilstaates –  all dies ist Spezialgebiet von Roberto Albergaria.  Er zählt zu den herausragenden Intellektuellen Bahias, lehrt an der Bundesuniversität in Brasiliens erster Hauptstadt Salvador und hat wegen seiner außergewöhnlich originellen, provokanten Vorlesungen stets volle Hörsäle. Man schätzt ihn als „Baianologo”, der Sitten, Gebräuche, soziokulturelle Besonderheiten der zu etwa achtzig Prozent aus Sklavennachfahren bestehenden Bevölkerung besonders scharf beobachtet –  den Kommerz-Rummel um Bahia-Mythen und Afro-Ethno-Chic indessen schonungslos kritisiert. 

„Das große Problem Brasiliens ist die Misere, doch auch der Machismus brasilianischer Männer, die Frauen umbringen und manchmal wie Tiere behandeln. Man braucht nur in die Zeitungen zu schauen  immer wieder  werden Frauen aus den nichtigsten Gründen getötet.

 Da ist dieser Fall des Wächters, Privatpolizisten, der seine Frau ermordete, weil sie sich eine Arbeit gesucht hatte. Er war arbeitslos –  für ihn bedeutete eine Ehefrau, die arbeitet, eben eine Art Attentat auf die persönliche Ehre. Wir haben zwar hier in Bahia, wie in ganz Brasilien, eine langsame Transformation des alten Modells mediterraner, lateinamerikanischer Maskulinität hin zu einem eher nordamerikanischen, individualistischen Modell. Doch geschieht dies vor allem in der zahlenmäßig kleinen Mittelschicht,  während in der Masse der Armen Bahias, unter den Schwarzen Bahias, in den Slums, an der Peripherie Salvadors, im Hinterland Brasiliens, in Amazonien dieses viel machistischere Modell des traditionellen Mannes fortexistiert. Mann zu sein, heißt, die Frauen des eigenen Harems, also Mutter, Frau und Tochter, maximal zu kontrollieren, zu beschützen –  und gleichzeitig zu versuchen, maximalen Zugriff zu den Frauen der anderen Männer, zu deren Harem zu haben. Es zu schaffen, mit der Mutter, der Frau des anderen zu schlafen, sich sogar dessen Tochter zu greifen. Stark zu sein, mit der größtmöglichen Zahl von Frauen zu schlafen, damit man von allen Freunden bewundert wird. Das ist die Logik des brasilianisch –  bahianischen Machismus! Doch die Macht der Männer über die Frauen impliziert auch große Verantwortung, Pflichten: Der Mann muß den Haushalt finanzieren, er erlaubt nicht, daß die Frau arbeitet, ihn mit einem anderen betrügt. Und er muß den Supermacho spielen –  Impotenz ist für ihn undenkbar! Immer hinter den Frauen her sein zu müssen, zu verführen, zu erobern, das dann den Freunden zu erzählen, ist Pflicht, kultureller Kodex, wird zu einer furchtbaren Sache, einer Art Sklaverei, aus der man nicht mehr rauskommt. Als hier das Potenzmittel Viagra auf den Markt kam, nutzte man Pelé als größten Produktwerber, zielte damit eindeutig auf den Schwarzen der Unterschicht. Heute nehmen die Männer hier Viagra wie verrückt, selbst jene, die es gar nicht brauchen –  um eben gleich drei Erektionen hintereinander hinzubekommen. Und das dann gleich herumzuerzählen. Doch nur zehn Prozent dieser Geschichten sind wahr, neunzig Prozent sind erfunden, gehören zum persönlichen Marketing, um das eigene Ansehen zu erhöhen.  Ein Mann, der es nicht schafft, ein sexueller Athlet zu sein, wird als minderwertige Person eingestuft. Ein richtiger Macho hat zudem mehrere Familien. Da haben wir eine Art Polygamie wie in der islamischen Welt, mit der gleichen Logik. Je mehr Frauen, Familien man hat, umso mehr ist man respektiert. Und ob ein Mann heiratet oder nicht –  er muß Kinder zeugen. Je mehr er schafft, um so mehr ist er angesehen. Hat er keine, hält man ihn für einen Homosexuellen oder für impotent. Die Männer müssen Kinder zeugen, um als mannbar zu gelten “ und die Frauen brauchen die Kinder, um als ehrbare Mütter angesehen zu sein. Da sie den eigenen Gatten nicht halten können, machen sie den Sohn zur Stütze, zum Beschützer der Familie. Die meisten Haushalte in Bahia werden von Frauen geführt, da Männer eben nur vorübergehend da sind, ein Kind zeugen, verschwinden, mit der nächsten Frau wieder ein Kind zeugen –  je mehr, umso besser. Wird so ein Mann von der Justiz gefaßt, muß er Alimente zahlen –  doch da viele arbeitslos, ohne festes Einkommen sind, zahlen sie eben nicht. Die Frauen sagen immer, einen Mann zu wollen, mit dem man gleichberechtigt die Aufgaben teile, der wie ein Freund, ein Kamerad sei. Doch die Beziehungsrealität dieser Frauen zeigt, daß alle Partner, alle großen Leidenschaften eben bad boys waren, die verführen und verlassen. Für die Frauen zählt der starke Mann, was sie natürlich nicht offen sagen. Unterbewußt, unbewußt wollen sie einen Wilden, Ungestümen. Das Schlüsselwort lautet Ambivalenz: Sie möchten den guten Kameraden, aber auch den Hengst. Die Frauen verzeihen ihren fremdgehenden Männern, sofern diese es diskret tun und immer wieder zu ihnen zurückkehren. Aber eine Frau verzeiht nie, wenn jene Andere durch ihn den gleichen Lebensstandard genießt wie sie selbst. Ein Hengst wird bei den Männern, aber auch bei den Frauen hochgeschätzt, sofern er  stets zurückkehrt, die Familie gut versorgt, seine sexuellen Pflichten erfüllt. Gerade in der Unterschicht  denkt man immer in Hierarchien, nie nach dem Gleichheitsgrundsatz: Der weiße Mann ist mehr wert als der Schwarze, die Frau weniger wert als der Mann, der Erwachsene mehr wert als ein Kind, undsoweiter. Wir haben hier doppelte Moral “ und die Moral der Scheinheiligkeit.  Zuhause spielt er die Rolle des perfekten Mannes, ist der Heilige, der Gott, doch auf der Straße wird er zum Hengst, zum Tier. Bei der Rückkehr ist er dann wieder der Tugendsame. Alle Welt macht das so. Wir spielen verschiedene Rollen –  so wie der selbe Schauspieler in verschiedenen Theaterstücken. Die Männer der Mittelschicht sind indessen über ihre Rollen verunsichert, wissen nicht mehr, ein sogenannter richtiger Mann zu sein. Deren Frauen verhalten sich sehr ambivalent, fordern manchmal eben diese zwei Profile, das verwirrt. Einerseits wollen sie den guten verständnisvollen Lebenskameraden –  andererseits den Starken.  Männliche Jugendliche unterscheiden bis heute zwischen dem Mädchen zum Austoben –  und zum Heiraten. Letztere sollte bessere Schulbildung haben und muß nicht sehr schön sein –  da sie ja nur als respektable, asexuelle Ehefrau und Mutter der eigenen Kinder vorgesehen ist. In Bahias Mittelschicht ist typisch, daß etwa ein Mann eine Universitätsabsolventin, beispielsweise eine Psychologin, Soziologin oder Anwältin heiratet, eine Familie gründet –  und sich als Geliebte eine dunkelhäutige Halbanalphabetin hält, die nicht so kopfgesteuert ist, aber witzig und fröhlich, mit der man die körperliche Lust gut ausleben kann. Alles Scheinheiligkeit, doppelte Moral –  das gehört zu unserer Kultur!  Viele von den Europäern, die sich manchmal hier eine traditionelle arme Bahia-Frau suchen, sind vergleichsweise arme deutsche Arbeiter, oder welche vom Lande in Deutschland. Die träumen noch von einer traditionellen Frau, die sich gut um sie und das Haus kümmert, schön unterwürfig ist. Hier in den Tropen will diese Art von deutschen Männern das verlorene Paradies wiederfinden. Eine blonde Europäerin, die sich unter schwarzen Bahia-Männern etwa aus der Musikszene aufhält, muß es eigenartig finden, daß all diese Männer aus der Unterschicht stammen. Und diese reproduzieren den Mythos des afrikanischen Super-Helden der Sexualität. Viele Europäerinnen zieht dieser Mythos an, dieses Tropen-Stereotyp. Und bei den Schwarzen wirkt es umgekehrt. Beide Seiten haben ihre Ideen, Wünsche, Begierden, kulturellen Codes –  und genau das führt zur Konfusion. Auf lange Frist geht es nicht gut, das ist das Interessante. Anfangs eine Explosion der Leidenschaften, Sex und Alegria, kurzfristig Anziehung, doch danach Distanz, Probleme wegen zweier so verschiedener Kulturen. Ich kenne hier keine interethnische Ehe, die lange hielt. Die Realität ist doch oft ganz anders als die Erscheinung, die Präsentation. Der große Bahia-Sänger Carlinhos Brown hat sich am meisten dieses tropische Exotenimage übergestülpt, um es den Europäern zu verkaufen. Motto: Na, wenn die das mögen, dann exotisieren wir uns eben und verdealen das denen so! Deutsche Sextouristinnen sind hier meist junge, intellektualisierte Frauen am Ende des Uni-Studiums oder am Berufsbeginn. Sie gehen zu den afrobrasilianischen Musikgruppen, treffen schwarze Intellektuelle, Schwarzenführer, gehen mit denen ins Bett. Und für einen Schwarzen ist es außerordentlich spannend und wertsteigernd, mit einer weißen Deutschen auszugehen, die als reich gilt, in der Werteskala Bahias weit höher angesiedelt ist als eine Frau von hier. Denn je weißer man ist, umso mehr Wert hat man. Diese deutschen Frauen halten den Schwarzen für einen sexuellen Athleten, obwohl das ja gar nicht stimmt. Ich beobachte diese Dinge viel in meinem akademischen Umkreis. Da gibt es auch diesen berühmten Fall einer US-Amerikanerin, die von der staatlichen Indiobehörde nach drei Monaten aus dem Xingu-Reservat ausgewiesen wurde, weil sie mit der Hälfte der Indianer geschlafen hatte. Sie kam nach Bahia, schlief hier mit der Hälfte der Schwarzenführer, wurde richtig famos. Das Interessante ist –  da wir hier keinen Schönheitskodex von euch haben, trifft man hier häßliche blonde weiße Frauen mit sehr schönen schwarzen Männern “ und umgekehrt! Einige wunderschöne Weiße mit fürchterlich aussehenden Schwarzen! Die Schwarzen wissen hier einfach nicht, woran man Schönheit dort in Europa mißt. Wenn ich in Bahia solche Dinge analysiere, schreiben das die Zeitungen nicht, halten solche Informationen für unbequem. Journalisten sind zudem meist Frauen, die Nichtregierungsorganisationen haben viel Kontrolle und Macht über die Medien, da geht nur  politisch Korrektes durch. Das ist doch eine Kultur der Scheinheiligkeit. Man tut so, als seien alle Menschen auf der Welt gleich, als gebe es keine solchen kulturellen Unterschiede. Doch in Wirklichkeit existieren diese Verschiedenheiten eben doch.”-

Brasilien – das Gewalt-Gesellschaftsmodell und die wichtige Rolle der Slums/Favelas. Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2017/01/01/brasilien-das-gewalt-gesellschaftsmodell-und-die-wichtige-rolle-der-slumsfavelas-hintergrundtexte-warum-brasilien-strategischer-partner-der-merkel-gabriel-regierung-ist-von-der-deutschen-regieru/

Wirtschaft in Brasilien – Hintergrundtexte:

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/11/deutsche-firmen-und-wirtschaftskriminalitat-in-brasilien1/


Lula – Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/07/30/brasilien-2016-lula-von-westlichen-regierungen-eu-westlichem-mainstreamlula-superstar-jahrelang-bejubelt-wird-vor-gericht-gestelltpetrobras-affaere-die-ur/

Brasilien und Drogen – Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2017/01/18/aus-brasilien-nichts-neues-2017-drogensuechtige-die-in-grosser-zahl-crack-konsumieren-blockieren-in-der-city-von-sao-paulo-immer-wieder-sogar-strassenkreuzungen-vertreibt-die-polizei-diese-crack-h/

Kirche in Brasilien – Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/05/brasilien-%E2%80%93-kirche-und-gesellschaft-sammelbandtexte/

Juden in Brasilien, Lateinamerika – Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2008/11/05/juden-in-brasilien-hintergrundtexte-der-letzten-jahre-mit-dem-arsch-zum-publikum/

Österreichs katholischer Priester Günther Zgubic – unter den besten Kennern Brasiliens. Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/12/27/oesterreichs-katholischer-priester-guenther-zgubic-unter-den-besten-kennern-brasiliens/

Gefängnisse in Brasilien – Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2017/01/02/aus-brasilien-nichts-neues-gefaengnis-rebellion-zu-jahresbeginn-2017-mit-offiziell-60-toten-in-amazonas-millionenstadt-manaus-schauplatz-vieler-aehnlicher-gewaltausbrueche-warum-brasilien-strateg/#more-86916

Brasilien – Kultur, Mentalität, soziokulturelle Faktoren. Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/08/brasilien-kultur-und-gesellschaft-sammelbandtexte/

Brasilien und Karneval – Hintergrundtexte, Fotoserien:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/02/11/rio-de-janeiro-karneval-2016-die-siegerparade-der-sambaschulen-die-unausrottbaren-klischees-des-deutschsprachigen-mainstreams-dominiert-im-rio-karneval-tatsaechlich-samba/

Indianer in Brasilien – Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/11/25/indianer-lateinamerikas-moegen-politisch-unkorrekt-coca-cola-diabetes-rate-etc-entsprechend-hoch/

Obdachlose, Straßenbewohner in Brasilien – Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/02/12/mensch-und-muell-2016-die-verelendete-sklavennachfahrin-von-sao-paulo-muelltueten-muellsaecke-als-einzige-kleidung-vergebliches-betteln-um-ein-paar-muenzen-keinerlei-zeichen-von-solidaritaet-mi/

Brasilien und Medien-Manipulation:http://www.hart-brasilientexte.de/2016/09/02/brasilien-2016-amtsenthebung-von-staatspraesidentin-dilma-rousseff-und-fortdauernde-manipulative-berichterstattung-des-europaeischen-mainstreams-ueber-die-situation-im-us-hinterhof-brasilien-rechts/

 

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, 11. Juni 2009 um 17:47 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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