Immer mehr „Carry Trade“
Hintergrund von UNCTAD-Chefökonom Heiner Flassbeck
Brasiliens Zentralbank hat im April die Leitzinsen über das erwartete Maß von 11,25 Prozent auf 11,75 Prozent erhöht. Damit hat die zehntgrößte Wirtschaftsnation die höchsten Realzinsen der Erde, gefolgt von der Türkei. In ersten Reaktionen von Wirtschaftsexperten hieß es, das Rekordzinsniveau stimuliere Zuflüsse von Kapital, werte die Landeswährung Real gegenüber dem Dollar weiter auf. Brasilien handele mit der Leitzinserhöhung entgegen dem internationalen Trend. Zu den Auswirkungen gehöre eine starke Erhöhung der brasilianischen Staatsschulden.
Da Zinsanhebungen wachstumshemmend wirkten, würden viele Unternehmen nunmehr weniger in die Produktion investieren. Zwar sei offiziell die neue Zinsanhebung als Maßnahme gegen die Inflation gedacht, doch könne bei starker Aufwertung just die Teuerung gefördert werden. Geschädigt würden jetzt noch mehr die Industrie-Exporte, die Einfuhren aber noch mehr stimuliert. Angesichts einer Abkühlung der Weltkonjunktur gerate Brasilien in eine komplizierte Situation – wegen der stark fallenden Exporte.
Den größten Anteil an den brasilianischen Industrie-Exporten haben starke multinationale Unternehmen der USA oder Deutschlands, die auch Phasen künstlicher Aufwertung relativ bequem durchhalten können. Für viele brasilianische Unternehmen, die früher kräftig exportierten, bedeutete indessen die Linie der Lula-Regierung das Aus. Brasilien verliere daher im Export an Konkurrenzfähigkeit – alles schlecht für die Handelsbilanz. Zu den eher banalen Auswirkungen des starken Real zählt unter anderem, daß derzeit billige, schlechte Weine aus Argentinien und Chile den brasilianischen Markt überschwemmen, während brasilianische Weine hoher Qualität deshalb immer weniger Absatz finden.
Wirtschaftsexperte José Alexandre Scheinkman von der US-Universität Princeton: Die Zinserhöhung werde den Carry-Trade, also die Kreditaufnahme in Niedrigzinsländern zwecks Spekulation in Hochzinsländern, weiter verstärken. Derartige Operationen gehörten bereits zu den Strategien der großen US-Hedgefunds. Von zahlreichen Auslandsbanken werde selbst den Normalkunden empfohlen, mit der brasilianischen Währung zu spekulieren.
Heiner Flassbecks Analyse:
UNCTAD-Chef-Ökonom Heiner Flassbeck, Ex-Staatssekretär im deutschen Finanzministerium,  hat gegenüber der brasilianischen Zeitung „O Estado de Sao Paulo” die Hintergründe der starken Aufwertung des Real analysiert. Danach ist Brasilien derzeit Opfer der Spekulation mit den hohen Zinsen im Tropenland.
Kranker Obdachloser Sao Paulos im ”Wohn-Bett an abgasverpesteter City-Avenida – die Zahl von Obdachlosen, Verwahrlosten, Geistesgestörten ist in letzter Zeit in Sao Paulos Zentrum deutlich gestiegen.
Anleger, Spekulanten nehmen in Japan Kredite zu sehr niedrigen Zinsen, sogar nahe Null auf, transferieren das Geld nach Brasilien und machen dort sicheren, hohen Profit wegen der Hochzinspolitik Brasilias. Der Zustrom von Dollars setzt den Real unter Aufwertungsdruck. Mittelfristig schafft das für Brasiliens Exporte eine unerträgliche Situation. „Anleger nutzen den brasilianischen Markt und den Real, um Millionengewinne zu machen. Leicht ersichtlich, daß die Regierung sagt, die Aufwertung des Real werde durch die stabile wirtschaftliche Lage bewirkt “ was sogar stimmen kann. Doch das Problem ist ein anderes “ und keine Regierung mag dies zugeben. Derzeit haben wir eine Situation wie im Spielkassino und Brasilien zählt zu den Opfern.”Wie bekannt wurde, verfahren brasilianische Privatbanken genauso wie die Spekulanten “ borgen Geld in Japan und spekulieren damit höchst profitabel im eigenen Land, dank Brasilias Hochzinspolitik.
Brasiliens Bischofskonferenz zählt seit mehreren Jahren zu den schärfsten Kritikern dieses Wirtschaftskurses der Lula-Regierung. Dieser wurde von der Kirche vorgeworfen, sich dem Diktat der Banken zu unterwerfen und das Land in ein Finanzparadies für Bankiers verwandelt zu haben, die Gewinne wie nie zuvor einstrichen. Der deutschstämmige Kardinal von Sao Paulo, Odilo Scherer, hat diese Zusammenhänge stets am präzisesten aufgezeigt. Statt gerechterer Einkommensverteilung zugunsten der armen Bevölkerungsmehrheit erlebe Brasilien Einkommenskonzentration zugunsten einer Minderheit.Brasiliens Privatbanken zählen unterdessen zu den wichtigsten Finanziers von Lulas Arbeiterpartei PT. Â
Heiner Flassbeck – Website: http://www.flassbeck.de/
Hintergrund:
Zum Beitrag:
http://www.handelsblatt.com/news/index.html
Donaukurier, Österreich: ”Spenden für Slumkinder in Sao Paulo- http://www.donaukurier.de/lokales/pfaffenhofen/art600,1831139
Schweizer Buch ”FavelaMetropolis: ”Würde ich die Realität so schildern, wie sie ist, könnte man das gar nicht publizieren(Paulo Lins, City of God): http://books.google.com/?id=PA149&dq=Klaus+Hart&source=web&ots=44831Q11N
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http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/768424/
”Preissteigerungen bei Lebensmitteln sind ein Motiv für Fröhlichkeit, sagte Brasiliens Staatschef Lula in Holland laut Presseberichten.
Weil die Armen der Welt mehr essen, so Lula gemäß ”Folha de Sao Paulo, erhöhe sich die Nachfrage nach Lebensmitteln, damit auch die Inflation in einigen Ländern. ”Erstens müssen wir alle Gott danken, daß das Volk mehr zu essen hat. Und wenn der Arme mehr Zugang zu Lebensmitteln hat, ist das eine Alegria imensa. Und zweitens gibt es noch eine andere Alegria: Dann nämlich, wenn alle Welt etwas mehr produziert, wird es mehr Reichtum, mehr Arbeit und weniger Inflation geben. Zu Einwänden, die Lebensmittelproduktion werde negativ beeinflußt durch die Herstellung von Agrotreibstoffen, sagte Lula: ”Kommen sie mir nicht mit diesen Redensarten, wonach die Agrotreibstoffe zu einer Preiserhöhung bei Lebensmitteln geführt haben.
Laut ”Folha de Sao Paulo setzte Lula auch auf dieser Europareise seine Werbung für brasilianische Agrotreibstoffe fort, während Hollands Premierminister Jan Peter Balkenende kritisch auf die Umweltaspekte verwiesen habe. Â
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