Mauricio Pestana im Website-Interview wenige Tage nach dem Obama-Besuch in Brasilien: „Ich saß im Opernhaus von Rio de Janeiro direkt vor Obama, nur etwa fünf Meter entfernt. Hätten wir einen großen nationalen Schwarzenführer, der den Willen der dunkelhäutigen Gemeinde ausdrückt – und hätte dieser mit Obama gesprochen, hätte er sich in Brasilien vielleicht zur Rassenfrage geäußert. In der brasilianischen Schwarzenbewegung war vor Obamas Ankunft allgemeine Hauptposition, daß der US-Präsident zur hiesigen Rassenproblematik Stellung beziehen muß. Die Rassismusfrage ist in der heutigen Welt schließlich gravierend. Ich persönlich bin indessen der Meinung, daß wir in Brasilien in dieser Beziehung erst einmal unsere Hausaufgaben machen müssen, bevor wir Forderungen an Obama stellen können. Ein Krieg, wie jetzt der Libyenkrieg, ist schlecht unter jedem Blickwinkel – wir dürfen nicht vergessen, daß dort in Libyen Zivilisten sterben. “
Die brasilianische Schwarzenbewegung hatte versucht, über die neue Rousseff-Ministerin für Rassengleichheit, Luiza Bairros, Brasiliens Rassenproblematik auf die Agenda des Obama-Besuchs zu setzen. Wie Afropress meldete, habe man indessen von der Ministerin keinerlei Antwort erhalten. Zudem gebe es keinerlei Informationen über unabhängige Initiativen der brasilianischen Regierung in dieser Richtung.
Deutscher Bundespräsident Walter Scheel, FDP: „Die Toleranz ist das Grundprinzip der brasilianischen Rassendemokratie. Konflikte friedlich zu lösen, ist alte Tradition in ihrem Land.“
Scheel zeichnete den Folterdiktator Ernesto Geisel während der Militärdiktatur mit dem Großkreuz zum Bundesverdienstorden der Sonderklasse aus.
Auf dem UNO-Index für menschliche Entwicklung liegt Libyen auf dem 53. Platz, der Iran auf dem 70. und Brasilien abgeschlagen auf dem 73. Platz.
Der Ehemann ist weiß, die Ehefrau ist schwarz. Am Hoteleingang verwehrt ein Wächter der Ehefrau den Zutritt: Prostituierte dürfen nicht mit aufs Zimmer. Wer glaubt, dieser Vorfall wäre die Ausnahme, irrt. Unter der Oberfläche scheinbarer Integration zeigt sich das Bild einer verdeckten Apartheid.
Die Schwarzen müssen wissen wo ihr Platz ist, lautet eine uralte, immer noch hochaktuelle Redewendung in Brasilien. Gemeint ist damit: Sklavennachfahren haben nichts in der Mittel- und Oberschicht, deren Kreisen und Ambiente zu suchen. Sie werden entsprechend stigmatisiert und behandelt. Wie dies in der Praxis funktioniert, bekam jetzt der Züricher Fritz Müller, Fachdirektor der Credite-Suisse-Bank, in Rio de Janeiro zu spüren. Als er mit seiner schwarzen, aus Rio stammenden Ehefrau Adriana nach einem Restaurantbesuch ins First-Class-Hotel Intercontinental zurückkehrte, wurde Adriana von einem muskulösen Wachmann grob gestoppt: Eine Garota de Programa, so heißen Prostituierte im Rio-Slang, dürfe nicht mit aufs Zimmer. Direktor Müller ließ sich von seiner Frau übersetzen worum es ging und schlug gehörigen Krach, stellte den Wachmann zur Rede, verlangte von der Hotelleitung eine formelle Entschuldigung. Denn ohne entsprechende Vorschrift hätte der Wächter kaum so gehandelt.
Rassismus – Machismus
Die Zeitung O Globo beschrieb den Fall unter der treffenden Überschrift „Fünf-Sterne-Rassismus“. Kaum ein mit einer dunkelhäutigen Brasilianerin befreundeter oder verheirateter Europäer, der in Rio, Sâo Paulo, Salvador de Bahia oder Fortaleza nicht ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Wer brasilianisches Portugiesisch nicht versteht, bekommt kaum mit, daß der Gang über die Strandpromenade für seine Partnerin gelegentlich einem Spießrutenlauf gleicht. Weiße Mittelschichtsmachos der übelsten Sorte, in Brasilien alles andere als dünn gesät, lassen eine Bösartigkeit oder Obszönität nach der anderen fallen, gehen davon aus, daß der tumbe Gringo sicher nichts versteht und wohl immer noch glaubt, was die meisten Reiseführer kolportieren: Brasilien, ein wundervoller Schmelztiegel der Rassen, ein Beispiel gelungener Integration verschiedener Hautfarben, von Diskriminierung keine Spur.
Wer aber die Oberfläche, die schillernde Erscheinungsebene verläßt, stößt auf Brasiliens hocheffiziente verdeckte Apartheid. Die ist von den schwachen, wenig respektierten Schwarzenorganisationen weit schwerer zu packen und zu attackieren als die aus Südafrika bekannte offene Rassentrennung. Schwarze, MulattInnen gehören in die Slums, in die Unterschicht, in die drekkigsten, schlechtbezahltesten Berufe. Schwarze Frauen sind gemäß diesem Denk- und Verhaltensmuster Hausdienerinnen, Reinemachefrauen, bestenfalls Supermarktkassiererinnen. Oder aber: Schwarze Frauen sind bis zum Beweis des Gegenteils Prostituierte, Touristenhuren, die man entsprechend behandeln kann.
Untersuchungen belegen, daß informelle Mechanismen gewöhnlich den Aufstieg Dunkelhäutiger in gutbezahlte qualifizierte Mittelschichtsberufe verhindern. Privatbanken bilden da keine Ausnahme. Bei mehreren spricht das gängige System der zwei Kundenschlangen Bände. Wer besser verdient und umgerechnet mindestens einige tausend Mark auf seinem Konto hat, steht in der kürzeren Fila, wird bevorzugt behandelt und ist gewöhnlich weiß. Wer zu den Schlechtbezahlten gehört, aber glücklich ist, dennoch ein Konto besitzen zu dürfen, muß in der längeren Schlange gelegentlich Stunden warten, schaut neidisch, frustriert oder mit Groll auf die Bevorzugten mit dem dickeren Geldbeutel. Welche Hautfarbe in der langen Fila dominiert, läßt sich in Rio gut beobachten.
Wer mit dunkler Haut dennoch den sozialen Aufstieg schafft, hat im Alltag fast pausenlos Ärger. In Sâo Paulo wird eine erfolgreiche schwarze Schauspielerin von weißen Madames immer wieder auf der Straße gefragt, ob sie nicht als Hausdienerin anfangen wolle, sie sehe so gut und gesund aus. Der schwarze Sänger und Komponist Dicró wird in Rio de Janeiro von Sicherheitsleuten zu seiner eigenen Show nicht auf die Bühne gelassen. Ironisch erklärt er: „Mehrmals haben sie mich auch schon geschnappt, als ich meinen eigenen Wagen klauen wollte.“ Wie überführte Autodiebe werden ebenfalls immer wieder gutverdienende schwarze Fußballspieler traktiert, die teure Importwagen fahren. Oleude Ribeiro vom Verein Portuguesa von Sâo Paulo wurde mit Blaulicht in seinem Ford-Jeep gestoppt und mit dem Revolver am Kopf gründlich durchsucht: „Mein tiefentsetzter kleiner Sohn wollte danach wissen, ob diese Männer Banditen waren. Schwierig, ihm zu erklären, daß alles nur geschah, weil wir Schwarze sind.“
Der auch in Europa bekannte schwarze brasilianische Musiker Djavan erläutert: „Wenn du berühmt wirst, verlierst du sozusagen deine Hautfarbe. Das heißt nicht, daß dich die Leute auf einmal mögen. Sie beginnen nur, dich zuzulassen.“
Bischöfliche Gefängnispastorale zu Folter in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/12/die-folter-in-polizeiwachen-hat-in-ganz-brasilien-stark-zugenommen-gefangenenpriester-valdir-joao-silveira-die-anti-folter-konvention-wird-nicht-eingehalten-was-tut-denn-die-uno-damit-die-k/
SOS-Kinderdörfer in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/24/sos-kinderdorfer-in-brasilien-unter-rousseff-lula-zahlreiche-hilfsprojekte-deutschlands-der-schweiz-und-osterreichs-in-boomland-global-player-rassismus-in-brasilien-mauricio-pestana-analysier/
Lepra: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/05/10/lepra-kranke-in-leprakolonie-bei-sao-paulo/
« Verteuerter „Biosprit“ in Brasilien senkt Verkauf an Tankstellen um 40 Prozent, laut Landesmedien. Benzin mit höherem Wirkungsgrad bevorzugt. Greenaction, Greenpeace. – Obama: „Der schwächste Mann der Welt.“ Brasilianischer katholischer Ordensoberer über Barack Obama. „Dilma Rousseff beklagt in Portugal-TV Attacke gegen Libyen“, laut Landesmedien. Auf dem UNO-Index für menschliche Entwicklung liegt Libyen auf dem 53. Platz, Brasilien abgeschlagen auf dem 73. Platz. »
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