Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Franziskaner Johannes Bahlmann aus Sao Paulo – neuer Bischof in Obidos am Rio Amazonas, im Teilstaat des Weltsozialforums. „Kommt nach Obidos, laßt uns gemeinsam Amazonien schützen, die Schöpfung bewahren!“ Bischof Erwin Kräutler aus Österreich wird Bahlmanns „Nachbar“.

Der 48-jährige Franziskanerpater, geboren im niedersächsischen Dorf Visbek(Landkreis Vechta, Bistum Münster), war Mitarbeiter von Frei Hans Stapel in Guaratingueta und am Aufbau der ersten „Fazenda der Hoffnung“ für die Behandlung Drogensüchtiger beteiligt,  wirkte intelligent und sensibel als Ordensoberer in Sao Paulo und Rio de Janeiro. Seine Prälatur in Amazonien ist eine der größten der Welt, mehr als halb so groß wie Deutschland, hat 181308,49 Quadratkilometer, schätzungsweise 350000 Einwohner, grenzt an Surinam und Britisch-Guayana. Bahlmanns Vorgänger  ist der deutsche Franziskaner Martinho Lammers.  In Ã’bidos schwärmte Bahlmann im Website-Interview vom Blick auf den Rio Amazonas und den Urwald.  Gleichzeitig richtete er eine Einladung an engagierte, unkonventionelle deutsche Christen: „Kommt nach Obidos, besucht mich hier, laßt uns gemeinsam Amazonien schützen, die Schöpfung bewahren!“

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/10/12/franziskanerpriester-johannes-bahlmann-in-sao-paulo-wir-sind-hier-in-friedensstiftender-mission-brasiliens-komplexe-realitat-ist-in-deutschland-nur-schwer-zu-vermitteln/

Bischof Bahlmanns Menschenrechts-Umfeld: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/04/07/unsagliche-folterpraxis-in-brasilien-gunter-nooke-menschenrechtsbeauftragter-der-deutschen-bundesregierung-kritisiert-in-brasilien-folter-und-andere-menschenrechtsverletzungen-druck-ist-noti/

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1421022/

Hintergrund:

„Amazonien braucht eine Kultur des Lebens!“(2009)

 Franziskaner Johannes Bahlmann aus NRW neuer Bischof in Óbidos am Rio Amazonas

„Da wollte ich schon aus Abenteuerlust immer hin!“

Im nordrhein-westfälischen Visbek bei Vechta ist er aufgewachsen, arbeitet auf dem Bauernhof, liebt das Landleben. Als Franziskaner dann große Veränderungen: Bahlmann wird Ordensoberer von Rio de Janeiro und  der Megacity Sao Paulo – zählt zu den intelligentesten, kritischsten Köpfen der lateinamerikanischen Wirtschaftsmetropole mit ihren über zwanzig Millionen Einwohnern. Heere von Obdachlosen, über 2000 Slums, Stadtkrieg, Todesschwadronen, unsägliche Kontraste zwischen Arm und Reich – und zahlreiche Franziskaner-Projekte immer an den Brennpunkten, bei den gesellschaftlich Ausgeschlossenen. Jetzt auf einmal Superlative ganz anderer Art: Bahlmann macht einen Sprung von über 3500 Kilometern bis in die grade mal 46000 Einwohner zählende Stadt Óbidos direkt am Rio Amazonas, führt künftig eine Urwald-Prälatur mehr als halb so groß wie Deutschland. Ab sofort nennt er sich „Dom Frei Bernardo“ – beim Blick von der Kirche auf den Riesenfluß richtet er gleich eine Einladung an engagierte, unkonventionelle Christen: „Kommt nach Óbidos, besucht mich hier, laßt uns gemeinsam Amazonien schützen, die Schöpfung bewahren!“ Ein Gespräch mit dem Bischof:

 

Als mäßig informierter Mitteleuropäer, den Kopf voller Amazonienklischees, könnte man sagen, der Bahlmann hats gut getroffen, raus aus dem abgasverseuchten Betonmeer Sao Paulos, rein in üppige, paradiesische Urwald-Natur?

 

Da ist was dran. Doch Amazonien heißt auch rechtsfreier Raum, mit einer Kultur des Todes. Als ich mich als ganz junger Franziskaner für Brasilien entschied, schwang Abenteuerlust mit, wollte ich was ganz Neues machen, sah ich mich als Missionar schon im Boot auf einem Urwaldfluß. Wenn ich meine von Mitstreitermangel geplagten Franziskanerbrüder Amazoniens besuchte, baten die mich dazubleiben, die Arbeit im Süden aufzugeben. Jetzt nehme ich alle Erfahrungen, alle Projekte in den Norden mit, wo ich vom Gefühl her immer schon hinwollte.

 

Amazonasbischof Erwin Kräutler aus Österreich ist jetzt beinahe ihr „Nachbar“ – er hat Attentate überstanden, wird derzeit wegen Morddrohungen rund um die Uhr von Polizei bewacht, protestiert gegen grauenhafte Sklavenarbeit, Terror gegen Indianer und Landlose, skrupellose Naturvernichtung. Nur in vier Prozent der Mordfälle Ihrer Region wird überhaupt ermittelt…

 

Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Erwin Kräutler, brauche seine Erfahrungen. Was ist heute in Amazonien wichtig? Wir müssen eine Kultur des Lebens schaffen, die Kultur des Todes darf nicht weiter gefördert werden. Denn manchmal scheint es, als gewinne sie die Oberhand. Die katholische Kirche muß sich deshalb noch viel mehr engagieren, kann noch viel mehr tun. Mir geht es um soziale Strukturen, um Politik und Ökonomie – doch ganz oben auf der Werteskala steht der Mensch Amazoniens. Auch als Bischof will ich wie ein Franziskanermissionar als Seelsorger auf die Menschen zugehen, will sie ganz individuell wahrnehmen. Das zählt ja überall auf der Welt zu den großen Herausforderungen unserer Kirche. Und angesichts der immensen Dimensionen meiner Prälatur werde ich wie Bischof Kräutler die meiste Zeit unterwegs sein, Gemeinden, Siedlungen, Indiodörfer aufsuchen. Ja, ich will bei der Seelsorge neue Akzente setzen.

 

Sie sind als zähe und durchsetzungsfähig bekannt – welche Idee spukt Ihnen jetzt am meisten im Kopfe herum – taugen gar manche Sao-Paulo-Projekte für Amazonien?

 

Eine Idee hat mit meiner Einladung an engagierte Christen zu tun, mich in Óbidos zu besuchen: Ich möchte dort ein internationales Franziskanerkloster gründen, das auch allen Laien offen stehen soll, die im Geiste des Heiligen Franziskus leben und arbeiten möchten. Dieses Kloster soll auch ein Studienzentrum werden, wo Lösungsvorschläge für Amazonien entstehen. Angesichts der dramatischen Situation müssen wir Gegen-Interessen, einen Gegenpol schaffen. Denn die Berufung Amazoniens ist Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie. Wir müssen diese grüne Lunge der Welt schützen – oder sägen sprichwörtlich den Ast ab, auf dem wir sitzen. Soviele Klischeevorstellungen über Brasilien, über Amazonien sind in Europa noch so lebendig, selbst in den deutschen Kirchen! Jeder, der neu nach Óbidus kommt, wird es halten müssen, wie ich jetzt: Erst einmal als einfacher Franziskaner, in aller Bescheidenheit von den Menschen dort lernen, sich umsehen, den Blick auf das Dortige schärfen. Zehn Jahre habe ich gebraucht, um mich in dieser Weise in Brasilien einzugewöhnen – und erst dann auch Entscheidungen treffen zu können. Brasilien ist das Land mit der höchsten Lepradichte – in Sao Paulo habe ich die Lepraprojekte koordiniert, werde jetzt auch in Amazonien gegen diese mittelalterliche Krankheit weiterkämpfen. Auch in Amazonien herrscht Misere – ich finde mich bei der gleichen Schicht wieder, die sozial ausgeschlossen ist, mit schier unbeschreiblichen Alltagsproblemen kämpft.

 

Amazonien ist wegen der Rauschgiftproduktion, der vielen internationalen Drogenrouten berüchtigt – Kokain und Crack werden auch in den angrenzenden Staaten erzeugt und konsumiert. In Sao Paulo hatten Sie das Drogenelend direkt vor dem Franziskanerkloster – toleriert von den Autoritäten, zerstören sich Kinder gleich zu Hunderten das Gehirn, den Körper mit Crack. Vor Ihrem Bischofssitz schippern nicht nur deutsche Kreuzfahrtschiffe, sondern auch Drogenkuriere vorbei…

 

Der Drogen-Horror läßt mich auch in Amazonien nicht los. Was man tun kann – und muß, habe ich sozusagen von der Pike auf gelernt, beim Paderborner Franziskanerpriester Hans Stapel, in all seinen Sozialwerken. Ich war in Guaratinguetá nahe Sao Paulo bei der Gründung seiner ersten „Fazenda der Hoffnung“ für Drogensüchtige dabei – habe die ersten vier Jugendlichen, die aus der Droge rauswollten, mitbetreut. Tagsüber mit den Vieren Gemüse angebaut, abends dann Gespräche, Gedankenaustausch über das Wort Gottes. Hans Stapel und ich hätten nie zu träumen gewagt, daß die „Fazendas der Hoffnung“ geradezu einen Boom erleben, es weltweit schon sechzig gibt, drei sogar in Deutschland. Diese unschätzbaren Erfahrungen in der Drogen-Rehabilitation wende ich jetzt auch in meiner Urwald-Prälatur an.

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/11/13/in-brasilien-leiden-noch-sehr-viele-familien-hunger-trotz-bolsa-familia-franziskanerpriester-johannes-bahlmann-in-sao-paulo/

bahlruttgers.JPGBahlmann und NRW-Ministerpräsident Rüttgers in Sao Paulo

Hintergrundberichte aus Amazonien:

Der unerschrockene Amazonas-Bischof Erwin Kräutler aus Österreich “ Die Killer lassen nicht locker
Kopfgeld auf fast 400000 Euro erhöht. Kampf für Natur und Menschenrechte stört Großfarmer und Holzfirmen
Auf dem mächtigen Amazonas-Strom, teilweise über zehn Kilometer breit, schippern europäische Kreuzfahrtschiffe “ Folklorebands und Reisebetreuer gaukeln den Touristen exotische Urwaldromantik vor wie aus dem Tropenbilderbuch, den bunten Hochglanzprospekten. Daß nur unweit der Luxusdampfer grauenhafte Sklavenarbeit, Terror gegen Indianer und Landlose, politische Morde und skrupellose Naturvernichtung alltäglich sind, wird lieber verschwiegen. Doch in dieser gewaltgeprägten, widerspruchsvollen Realität wirkt  Bischof Erwin Kräutler und weiß nur zu genau, daß sein Alltagsleben, seine Seelsorgearbeit das Vorstellungsvermögen der meisten Europäer  übersteigen. Jeden Moment, ist Kräutler bewußt, können tödliche Salven auf ihn abgefeuert werden oder Bomben explodieren, kann er durch andere hinterhältige Anschläge ausgelöscht werden. Als vor über zwei Jahren die Morddrohungen zunehmen, Berufskillern umgerechnet nur einige zehntausend Euro geboten werden, läßt die brasilianische Regierung den mutigen, weltbekannten Kirchenmann sicherheitshalber rund um die Uhr von zwei Militärpolizisten bewachen. Doch wer heute den Bischof umbringt, ist auf einen Schlag Millionär. Denn der Haß von Kräutlers Todfeinden aus Wirtschaft und Politik ist so gewachsen, daß sie das Kopfgeld auf eine Million der Landeswährung Real erhöhten, umgerechnet fast 400000 Euro. Ein Polizeibeamter hörte dies jetzt zufällig mit, nahm indessen jene Männer, die da über Kräutlers Ermordung verhandelten und dessen ständige Bewacher als kleine Fische einstuften, keineswegs etwa fest. Hinweis auf die bizarre Situation, die selbst Kräutler  mit Wildwestfilmen vergleicht. „Ein Bürgermeister, den ich persönlich kannte, ließ einen unbequemen Abgeordneten vor dessen Frau und Kindern abknallen. All das passiert “ und steht nie in der Zeitung. Straflosigkeit dominiert.” Seit 1980 kämpft Kräutler in Amazonien für die Gläubigen und deren Menschenrechte “ überreichlich Stoff für einen spannungsgeladenen Film: Zur Diktaturzeit schlägt ihn die Militärpolizei bei einer Protestaktion zusammen. 1987, schon während der „Demokratie”, überlebt er schwerverletzt einen als Autounfall inszenierten Mordanschlag “ ein Lastwagen rast in sein Auto, tötet den neben ihm sitzenden italienischen Priester. Einer der Männer im LKW beklagt kurz darauf, daß man den Falschen liquidiert habe “ der Fall wird nie aufgeklärt, niemand wird bestraft. 1996 wird Kräutlers Mitarbeiter und Ordensbruder Hubert Mattler aus Österreich just in dem Moment erschossen,  als er im Hause des Bischofs gerade auf dessen Stuhl sitzt. Kräutler leitet Brasiliens größtes Bistum “ mehr als viermal so groß wie Österreich. In der nordamerikanischen Urwaldmissionarin Dorothy Stang hat er  eine engagierte Mitstreiterin “ 2005 wird sie von bezahlten Killern im Auftrage von Farmern und Holzunternehmen liquidiert. Wegen der enormen internationalen Proteste, um weiteren Imageverlust zu vermeiden, läßt Brasilia den Fall rasch „aufklären” “ fünf Tatbeteiligte kommen hinter Gitter. Kräutler indessen entlarvt ein Komplott zum Schutze vieler einflußreicher Hintermänner. „Ich habe ganz explizite Morddrohungen erhalten, weil ich fordere, daß die Ermittlungen bis ins kleinste Detail weitergehen. Damit habe ich mir natürlich nicht nur Freunde geschaffen. Denn hinter dem Mord an Dorothy Stang stehen auch Politiker aus höheren Etagen.” Zudem hat Kräutler auch noch massiven sexuellen Kindesmißbrauch, viele Fälle von Kinderprostitution enthüllt, in die ebenfalls Politiker, Großgrundbesitzer und andere Unternehmer verwickelt sind. „Aus christlicher Überzeugung muß ich als Bischof gegen viele Rechtsverletzungen kämpfen, weil der Staat hier nicht präsent ist, seine Pflichten zum Schutze der Menschen und der Amazonasnatur nicht erfüllt.” In Kräutlers Teilstaat Pará, mehrfach größer als Deutschland, wird gemäß Rechtsexperten nur in vier Prozent der Mordfälle überhaupt ermittelt. Steht wegen des neuen Kopfgeldes von fast 400000 Euro ein Attentat auf den Bischof unmittelbar bevor? In einem Manifest hat Brasiliens katholische Kirche das Justizministerium und die Bundespolizei jetzt zum raschen Handeln aufgefordert:”Jene, die Erwin Kräutler liquidieren wollen, besitzen mit Sicherheit viel wirtschaftliche und politische Macht”. Â

Frauen allein in überfüllte Männer-Gefängniszellen gesperrt – Massenvergewaltigungen
1996 kämpft der aus Österreich stammende Bischof Erwin Kräutler in seinem Bistum des Amazonasteilstaates Parà eine völlig unschuldige Frau frei, die sieben Monate lang in einer total überfüllten Männerzelle immer wieder vergewaltigt wird. Der Fall erregt enormes Aufsehen und manche Gutgläubige selbst in Deutschland und Österreich denken, nunmehr werde solchen barbarischen, bis dahin üblichen  Menschenrechtsverletzungen ein für alle Mal ein Riegel vorgeschoben. Den Amtsantritt von Staatschef Lula, einem Ex-Gewerkschaftsführer, im Jahre 2003 sehen naive Gemüter in Europa gar als Garantie für mehr Bürgerrechte, besonders der Armen. Doch es ändert sich nichts: Im November 2007 entdeckt die Presse nach einem anonymen Hinweis in einem Polizeigefängnis der Parà-Stadt Abaetetuba eine junge Frau in einer mit zwanzig Schwerkriminellen völlig überbelegten Zelle und bringt den Fall in die Schlagzeilen. Was Brasiliens Öffentlichkeit wie damals, als Bischof Kräutler Alarm schlug, ebenfalls schockiert: Wiederum sind hochrangige weibliche Polizei-und Justizbeamte direkt für diese sadistische Tat verantwortlich. Eine Art von KZ-Wächterinnen-Mentalität? Das fragen sich hier nicht wenige. Die junge Frau wird eines simplen Diebstahlsdelikts beschuldigt und erlebt fünfzehn Tage lang in der Männerzelle den puren Horror: Immer wieder Vergewaltigungen, Schläge, Brandmale “ die Kriminellen drücken auf ihrer Haut die Zigaretten aus. Vermutet wird, daß die sexuelle Ausbeutung der Frau durch die Männer in voller Absicht ermöglicht werden sollte. Denn offensichtlich war man interessiert, daß der Fall möglichst lange unentdeckt bleibt: Polizisten scheren der Frau sofort die Haare, um sie den anderen Zelleninsassen ähnlicher zu machen. Das vergitterte Fenster der Polizeizelle konnte man von der Straße aus sehen “ womöglich hörte von dort aus jemand die Schreie der vergewaltigten Frau. Die Reporter des Amazonasteilstaates Parà, einmal hellhörig geworden, recherchieren weiter, entdecken binnen weniger Tage drei weitere Fälle dieser Art. Die junge Frau, inzwischen in Sicherheit, beschreibt das Ausmaß der Verrohung, die Komplizenschaft der Beamten: Denn einmal in der Woche war sogenannte „Visita intima”, strömen in Brasilien die Lebenspartnerinnen der Gefangenen in die Haftanstalten – zum Geschlechtsverkehr in Spezialzellen. ”Donnerstags kamen die Frauen dieser Männer “ das war der einzige Tag, an dem sie mich in Ruhe ließen.”Brasiliens katholische Kirche, speziell die Gefangenenseelsorge der Bischofskonferenz prangert auch unter Lula die entsetzlichen Zustände in den Gefängnissen an. In Europa schauen viele weg, tun das als Stimmungsmache gegen einen „progressiven” Staatspräsidenten ab. Gleiches gilt für die Scheiterhaufen in Millionenstädten wie Rio de Janeiro, wo man sogar Bürgerrechtler lebendig verbrennt. Jetzt ist der Katzenjammer groß, muß man gegenüber bohrenden Journalisten notgedrungen Position beziehen. Besonders erbärmlich gebärdet sich Parà-Gouverneurin Ana Julia Carepa,  aus Lulas Arbeiterpartei(PT). Sie muß einräumen, von diesen sadistischen Vorgängen gewußt zu haben.  „Unglücklicherweise ist das eine beklagenswerte Praxis, von der der wir wissen, daß sie seit langem existiert “ nicht nur in Parà.” Doch seit ihrem Amtsantritt hat die Gouverneurin nichts gegen diese gravierenden Menschenrechtsverletzungen unternommen, ebensowenig wie Lulas Zentralregierung. Oppositionspolitiker in Brasilia sprechen von „primitivem Sadismus”, der Teilstaat sei in der Hand von Banditen. –Bischof Erwin Kräutler  und der Fall von 1996” Kräutler setzt sich persönlich für Selma Simas ein, völlig unschuldig und doch des Mordes bezichtigt. Sie ist damals 44, muß sieben Monate in einer mit 35 bis 50 Männern völlig überfüllten Zelle verbringen, wird immer wieder attackiert, mit Geschlechtskrankheiten infiziert, ist danach eine völlig gebrochene Frau. Auffällig, wie hochrangige weibliche Staatsbeamten im Macholande Brasilien vorgehen: Die zuständige Polizeichefin zeigt keinerlei Mitleid, und eine Staatsanwältin, die zufällig an der Zellentür vorbeigeht und von Selma Simas um Hilfe angefleht wird, reagiert zynisch und ironisch, sogar sexistisch. Der damalige Generalstaatsanwalt von Parà erklärt öffentlich:”Im Hinterland gab es noch nie Frauenzellen, die Gefangene bleibt dort, wo Platz ist!”Bischof Kräutler nach der schließlich erkämpften Freilassung:”Sie war buchstäblich in der Hölle, wurde gedemütigt, geschändet, wie ein Objekt, sozusagen am Fließband ausgebeutet, vergewaltigt. Was Salma Simas geschah, passiert in Parà nach wie vor. Hier muß ich einfach Schritte unternehmen, die man in Deutschland oder Österreich als Bischof nicht tun müßte.”Inzwischen äußerte sich die UNO-Menschenrechtskomission in Genf zu den neuesten Fällen. Zugleich wurde ein UNO-Dokument verbreitet, das auf systematische Folter in Gefängnissen und Polizeiwachen  in der Amtszeit von Lula weist. Wenn eine Frau in eine Männerzelle gesperrt und daraufhin vorhersehbar sexuell mißbraucht werde, handele es sich um einen Vorgang, der mit Zustimmung der Autoritäten geschehe. Diese Autoritäten, so die UNO weiter, seien damit für einen Fall von Folter verantwortlich. Die brasilianische Ministerin für Frauenpolitik, Nilcea Freire, erklärte in Brasilia kurioserweise, zum ersten Mal von derartigen Zuständen erfahren zu haben. Diese sind indessen allgemein und detailliert bekannt, seit langem auch europäischen Menschenrechts-NGO.Immer wieder werden in Männerzellen sexuell mißbrauchte Frauen schwanger, infizieren sich mit Aids. In dem von vielen europäischen Urlaubern angesteuerten Nordost-Teilstaate Rio Grande do Norte an der Atlantikküste werden laut Kirchenangaben Frauen mit männlichen Jugendlichen sowie Transvestiten zusammengesperrt. Zudem vergewaltigen immer wieder Gefängniswärter weibliche Häftlinge. Der Amazonas-Teilstaat Parà, in dem die Produktion von Exportsoja für Europa ebenso boomt wie die stark mit Pestiziden behandelte Monokultur Zuckerrohr für die Agrotreibstoff-Herstellung, ist laut Expertenanalysen berüchtigt wegen krasser Menschenrechtsverletzungen, darunter Sklavenarbeit. Bischof Kräutler steht wegen Morddrohungen unter ständigem Polizeischutz “ in seinem Bistum wurde 2005 die nordamerikanische Urwaldmissionarin Dorothy Stang von Pistoleiros erschossen.Amazonas-Bischof Erwin Kräutler:”Das ist hier wie in Wildwest-Filmen!”Appell wegen gravierender Menschenrechtsverletzungen an brasilianische Regierung/Sklavenarbeit und Terror gegen Indianer Der aus dem Vorarlberg stammende Bischof Erwin Kräutler leitet in Amazonien Brasiliens größtes Bistum, mehr als viermal so groß wie Österreich, eine Region gravierendster Probleme “ vier Flugstunden von Rio de Janeiro entfernt.  Kräutler überlebte bereits Mordanschläge, wurde von der Militärpolizei zusammengeschlagen. Wegen Sklavenarbeit, politischen Morden, dem Terror gegen Indianerstämme und ungezügelter Urwaldvernichtung wandte er sich jetzt erneut an die Mitte-Rechts-Regierung in Brasilia.  Bischof Kräutler, Brasilien ist Lateinamerikas größte Demokratie, die neue Regierung von Staatschef Lula beeindruckt Europa mit  progressiv klingenden Projekten, Versprechen “ Sie erleben anderes? Wegen der Größe meines Bistums bin ich fast ständig unterwegs in den Weiten Amazoniens, halte so Kontakt zu den Gläubigen. Erfahre aus erster Hand, was die einfachen Leute bedrückt, bewegt, wie sich vielerorts die Lage dramatisch verschlechtert. http://www.hart-brasilientexte.de/2008/03/27/amazonasbischof-erwin-krautler-aus-osterreich-die-killer-lassen-nicht-locker-kopfgeld-auf-fast-400000-euro-erhoht/Es ist oft wie in den Wildwest-Filmen “ ein gesetzloses Land, Verbrechen jeder Art. Hier lebt man gefährlich, die Leute sind in ihrem Leben  bedroht -  da muß ich reagieren. Aber Bischöfe haben doch was anderes zu tun, denkt man sich in Europa. Nur -  wenn ich schweige,  passiert überhaupt nichts mehr, werden die Millionen von Menschen hier vom Staat vergessen.  Offiziell wurde die Sklaverei schon 1888 abgeschafft “ doch immer noch hält man in Brasilien etwa 25000 Menschen wie Sklaven “ ein Großteil bei Ihnen in  Amazonien.  Ich sehe es in meinem Bistum – angeheuerte Landarbeiter werden mit LKW zu Hunderten auf  weit entfernte Urwaldfarmen gebracht, verschwinden dort regelrecht. Man läßt den  Großgrundbesitzer mit den Leuten tun und lassen, was er will -  sie kriegen nur das Notwendigste zum Überleben, können von dort nicht weg, sehen keinen Centavo.  Und was wird aus den Indianern?  Diese Großgrundbesitzer wollen immer mehr Land, schrecken vor absolut nichts zurück “  besetzen Indiogebiete. Dann gibts natürlich wieder ein Blutbad, von dem man praktisch nicht viel erfährt. Denn die Leichen können im Urwald verscharrt werden.  Auch Holzfäller, Holzhändler vernichten Indianerlebensraum, fällen Mahagoni und andere Edelhölzer, legen Straßen an, über die sofort  Siedler eindringen, Brandrodungen starten. Überall keinerlei Respekt vor der Natur, enorme soziale Probleme. Die Regierung hätte sie verhindern können.  Das Absurde “ in unserer Verfassung sind die Rechte der Indianer bestens geschützt wie weltweit nirgends, das haben wir schon in den achtziger Jahren erreicht. Doch der Buchstabe wird nicht in die Realität umgesetzt.Das muß irgendwie gesagt werden, weitergegeben werden nach Brasilia.  Weiß denn die Regierung nichts von der dramatischen Situation? Die glauben dort, daß alles wunderbar funktioniert, weils auf dem Papier steht. Es ist in Amazonien nicht so, wie man es sich in Brasilia vorstellt. Dabei war sogar schon der Justizminister bei mir. Doch er ist umgeben von Leuten, die die Lage vertuschen.  Wir brauchen die Bundespolizei, brauchen alle staatlichen  Behörden vor Ort. Arbeiter, Angestellte werden mit einem Tritt in den Hintern entlassen, können hier nirgendwo ihre Rechte einklagen. Die Unternehmer nutzen die gesetzlose Situation natürlich aus, schlagen daraus Riesenprofit. Man muß  sofort was tun. Nicht irgendwann,  im nächsten Jahr. Jetzt in der Wahlkampagne verspricht man natürlich wieder das Blaue vom Himmel.  Aber sind denn die Indianer und ihre Rechte bei Kommunalwahlen kein Thema? Indioprobleme taugen nicht für Stimmenfang, Indianer  bringen nie Stimmen. Es ist genau umgekehrt -  als Kandidat verteidigt man die Eindringlinge, damit man jetzt im Oktober mehr  Wahlprozente kriegt. Wer sich hier für die Indianer, die Landarbeiter einsetzt, hat automatisch all jene gegen sich, die an den Urwald, dessen Bodenschätze ranwollen. Wer dagegen aufsteht, den will man zum Schweigen bringen.  Heißt das politische Morde, Killerkommandos? Immerhin werden jährlich in Brasilien über 45000 Menschen getötet, laut UNO-Angaben mehr als im Irakkrieg. Die Leute meines Bistums werden eingeschüchtert, leben in Angst und Aufregung. Motorrad-Pistoleiros exekutieren unerwünschte Personen auf offener Straße. Ein Bürgermeister, den ich persönlich kannte, ließ einen unbequemen Abgeordneten vor dessen Frau und Kindern abknallen. All das passiert “ und steht nie in der Zeitung. Straflosigkeit dominiert. Die Menschen hier sind ihrer elementarsten  Menschenrechte beraubt. Aber in Europa wird doch immer von fruchtbringenden Amazonas-Konferenzen berichtet, von großartigen Vorhaben nachhaltiger Urwaldnutzung, dem EU-Pilotprojekt zum Schutze der Regenwälder, der Ansiedlung vieler Landloser? Natürlich schreibt man in Deutschland oder Österreich, daß alles gut läuft, daß viele Menschen in nachhaltigen Entwicklungsprojekten untergebracht werden. Ich habe eines davon in meinem Bistum. Aber man sagt nicht, daß ein Richter alles gestoppt hat, weil das irgendwelchen Großgrundbesitzern nicht paßt. Die Brandrodungen habe man unterbunden, hieß es offiziell vor zwei Jahren.  Doch jetzt kam heraus, daß sich allein 2003 das Abfackeln von Urwald verdoppelt hat “ die Amazonasvernichtung ist gravierender denn je. Aber kämpfen Sie denn allein “ oder gibt es Mitstreiter? Das ist das Positive “ seit ich 1980 Bischof von „Alto Xingu” wurde, sind die Leute hier politisch reifer geworden. Viel mehr Amazonenser sehen und begreifen, was hier wirklich passiert. Vor zehn Jahren hatte ich mir nicht träumen lassen, daß es Bürgerinitiativen geben würde, die für die Menschenrechte eintreten. Heute habe ich viele Mitstreiter, arbeite eng mit der katholischen Bodenpastoral CPT zusammen. Auf einmal gibt es so viele Organisationen hier, das wurde besser. Doch in Brasilia werden sie nur zu oft von den zuständigen Regierungsstellen nicht gehört. Ich  komme an die Autoritäten heran, fordere jetzt erneut Sofortmaßnahmen.  Und spreche nicht für mich, sondern im Namen all dieser Betroffenen, die ich ja  persönlich kenne, mit denen ich lebe.      Â

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/01/15/franziskanerpater-hans-stapel-aus-paderborn-in-alagoas-piaui-und-ceara-weihte-er-jetzt-drei-weitere-fazendas-der-hoffnung-fur-drogensuchtige-ein-weltweit-bereits-60/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/09/07/die-franziskaner-und-der-aufschrei-der-ausgeschlossenen-in-sao-paulo-befreiungstheologe-frei-betto-hat-recht-unter-lula-hat-die-soziale-ungleichheit-zugenommen-vor-wenigen-tagen-wurde-wieder/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/10/29/nrw-ministerprasident-dr-jurgen-ruttgerscdu-und-franziskanerpriester-johannes-bahlmann-ordensoberer-in-sao-paulo-und-rio-de-janeiro/

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1421022/

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1201698/

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1124312/

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/919048/

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/879http://www.obidos.com.br/

http://de.wikipedia.org/wiki/Visbek

Lulas Crack-Kinder und die Franziskaner: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/04/21/wir-konsumieren-crack-bis-zum-tod-tv-video-uber-crack-kids-in-rio-und-sao-paulo/

Menschenrechtstribunal am Franziskanerkloster Sao Paulos – Franziskaner beteiligt: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/12/06/menschenrechtstribunal-in-sao-paulo-verurteilt-brasilianischen-staat-wegen-folter-gefangnis-horror-kriminalisierung-von-armen-und-sozialbewegungen-sowie-wegen-bruchs-internationaler-menschenrechtsab/

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, 29. Januar 2009 um 18:56 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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