Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Oscar Niemeyer: Bauten in Sao Paulo – Fotos. Eiffel, California, Montreal, COPAN. Niemeyer – „Legende der Moderne“. „The godfather of modern architecture in Brazil“. „Memorial da America Latina“ – Fotoserie. Chris Dercon, Direktor des Hauses der Kunst in München:“Aber immerhin erreicht er mit seiner Ideologie unglaublich sinnliche Architektur.“ Wie Niemeyer mit der Militärdiktatur zusammenarbeitete…

niemeyerdetran1.jpg

Niemeyer-Bau – bisher Verkehrsbehörde – demnächst andere Nutzung. http://www.hart-brasilientexte.de/2012/12/11/brasilien-bauten-von-oscar-niemeyer-in-sao-paulo-auf-dem-weg-zum-congonhas-airport/

California, Eiffel, Montreal, COPAN: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/31/oscar-niemeyer-gebaude-in-sao-paulo-california-eiffel-montreal-copan/

Die soziokulturelle Dekadenz der deutschen Hauptstadt Berlin – Belgier Chris Dercon, komplett ungeeignet, wird zum Volksbühnen-Intendanten gemacht – und kapituliert vorhersehbar bereits im April 2018.

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/17/oscar-niemeyer-hotel-vielkritisiert-in-der-weltkulturerbe-stadt-ouro-preto/

„Memorial da America Latina“ – Fotoserie: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/07/oscar-niemeyer-memorial-da-america-latina-in-sao-paulo-architekturkritik-von-joaquim-guedes-fotoserie/

Niemeyer und die Militärdiktatur: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/04/13/wie-oscar-niemeyer-mit-der-brasilianischen-militardiktatur-zusammenarbeitete-die-liste-aller-projekte-in-den-jahren-des-folterregimes-von-1964-bis-1985/

LulaHelmutSchmidtHH

Ausriß. Lula bei Schmidt in Hamburg.

“Ich glaube, ihr seid auf einem fabelhaft gutem Wege.” Schmidt zu Lula 2009…

Schmidt:”Ich kenne Oscar Niemeyer – und ich habe einen großen Respekt vor ihm…Ich war einer, der dafür gesorgt hat, daß er den japanischen kaiserlichen Kunstpreis für Architektur bekommen hat. So habe ich Oscar Niemeyer in Tokio kennengelernt.”(Extrem stark beschnittenes Gespräch Schmidt-Lula auf youtube)

Henry Kissinger spricht auf Trauerfeier für Helmut Schmidt in Hamburg:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/11/17/henry-kissinger-haelt-rede-auf-staatsakt-fuer-helmut-schmidtspd-am-23-11-2015-in-hamburg-kissinger-und-schmidt-viele-gemeinsame-wertvorstellungen/

DIE ZEIT und der Tod des Mitherausgebers Helmut Schmidt/SPD 2015 – was alles in den Nachrufen fehlt:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/11/12/die-zeit-und-der-tod-des-mitherausgebers-helmut-schmidtspd-2015-was-alles-in-den-zeit-nachrufen-fehlt/

Kuriose Mythenbildung um Schmidt und Lula:

http://www.hart-brasilientexte.de/2015/11/11/helmut-schmidt-2015-gestorben-mainstream-verbreitet-falschmeldungen-kuriose-mythen-schmidt-hatte-angeblich-den-damaligen-gewerkschaftsfuehrer-lula-begehrt-bei-unternehmern-als-verhandlungs-und-g/

Kreuz und Gedenkstein am Ort des Massakers: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/04/16/kreuz-und-gedenkstein-am-ort-des-massakers-an-bauarbeitern-brasilias-oscar-niemeyer-der-die-errichtung-brasilias-leitete-sagt-im-dokumentarfilm-von-dem-blutbad-nie-etwas-gehort-zu-haben/

“Ist Brasilia unmenschlich?” DIE ZEIT 1967, Helmut Schmidt/SPD ist noch nicht Mitherausgeber, steuert noch nicht die Inhalte:http://www.zeit.de/1967/50/ist-brasilia-unmenschlich/komplettansicht?print=true

Oscar Niemeyer und das Massaker an Bauarbeitern während der Errichtung von Brasilia:

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/11/11/brasilia-50-und-das-massaker-an-bauarbeitern/

Chris Dercon wird Intendant der Berliner Volksbühne?

http://www.hart-brasilientexte.de/2015/04/23/berliner-volksbuehne-chris-dercon-wird-intendant-illustrierte-der-spiegel-chris-dercon-ueber-oscar-niemeyer-eine-unglaublich-sinnliche-architektur/#more-33926

niemeyerdetran2.jpg

„Unverwechselbare „Architektur Niemeyers. http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/11/staatsarchitekt-oscar-niemeyer-und-sein-kritiker-joaquim-guedes/

niemeyerausstellsp.jpg

Biennale-Ausstellungsgebäude – von Niemeyer.

niemeyerauditorio1.jpg

Konzertsaal – von Niemeyer.

Neben seiner Abneigung gegen lebensfeindliche Zweckbauten ist Niemeyers Bewunderung für die Schönheit der Natur entscheidend für seinen außergewöhnlichen Stil. Und da scharfe Kanten und strikte Formen in der Natur nun einmal nicht vorkommen, nimmt Niemeyer sich alles als Vorbild, was schön geschwungene Rundungen hat. ”Das können die Berge sein, aber auch der Körper einer geliebten Frau, erklärt er. ”Das Universum ist eben geschwungen und nicht eckig(Zitat Art – das Kunstmagazin)

abelardox1.jpg

Abelardo da Hora – Ausstellung in Sao Paulo.

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/14/stalin-und-oscar-niemeyer-die-erfindung-niemeyers-brasiliens-nachrichtenmagazin-veja-uber-den-umgang-des-in-europa-bejubelten-stararchitekten-mit-historischen-fakten/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/14/art-das-kunstmagazin-uber-oscar-niemeyer-das-leben-ist-ein-hauch/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/04/oscar-niemeyer-das-lateinamerika-memorial-in-sao-paulo-kritisiert-von-architekt-joaquim-guedes-der-text-ein-klassiker-der-architekturkritik-1989-oscar-niemeyer-na-barra-funda-em-sao-paulo/

Projektierte Apartheid(Hintergrundtext)

Brasilia, UNESCO-Weltkulturerbe der Menschheit, wird 50 – und im Tropenland erinnert man sich des Massakers an Bauarbeitern, des Terrors der Bauplatzpolizei damals, als Chefarchitekt Oscar Niemeyer, der sich immer Kommunist nennt, die Errichtung beaufsichtigt. Und wie er nach dem Militärputsch von 1964 mit den Folter-Diktatoren zusammenarbeitet, ihnen in Brasilia den Generalstab der Regime-Streitkräfte und noch vieles andere hinstellt. Obwohl doch bis heute in ungezählten deutschsprachigen Gazetten steht, Niemeyer sei während der 21 Jahre währenden Militärdiktatur verfolgt und mit einem Arbeitsverbot belegt worden. Schon 1960, bei der Einweihung Brasilias, sind kritische Brasilianer über die vielen Baufehler, die Pfuscharbeit entsetzt: Risse in Beton und Asphalt, bröckelnder Putz allerorten, sodaß Nachbesserungskolonnen noch jahrelang zu tun haben – genauer gesagt, bis heute. Daß die Hauptstadt so überstürzt in nicht einmal vier Jahren errichtet wird, damit sie der damalige Präsident Juscelino Kubitschek noch in seiner Amtszeit einweihen kann, hat zudem offenbar en masse Architektenfehler begünstigt.

Nach scharfer Kritik der neuen Nutzer muß Oscar Niemeyer schon wenige Jahre später einräumen, daß in den offiziellen Gebäuden viel mehr Platz benötigt wird, zahlreiche nicht eben schöne Anbauten angeklebt werden müssen. Gleiches gilt für hingeschusterte, überaus hellhörige Wohnhäuser – sogar per Aushang wird aufgefordert, doch bitte, bitte beim Geschlechtsverkehr leiser zu sein, schon wegen der Kinder im Block. Wie es heißt, wurde der Präsidentenpalast für etwa 100 Menschen entworfen, doch heute arbeiten dort an die 700. Bereits jetzt, zum Stadtjubiläum am 21. April, fürchten sich den hiesigen Medien zufolge die Stadtbehörden vor dem Besuch von UNESCO-Experten im Juni, die zahlreiche Niemeyer-Bauten in sehr schlechtem Zustand oder sogar gesperrt antreffen werden. Womöglich droht die Aberkennung des Welterbe-Titels.

50 Jahre später bezeichnet Brasiliens führende Qualitätszeitung Folha de Sao Paulo dieses von Slums umzingelte Brasilia als „projektierte Apartheid“ und die brasilianischen Architekturkritiker erinnern an entsetzliche Wahrheiten, dunkle Punkte der Errichtung Brasilias. Dort, wo die Bauarbeiter massakriert wurden, gibt es heute ein Kreuz und eine Gedenktafel, zeigte man gar im Freien jenen mehrfach im In-und Ausland preisgekrönten Dokumentarfilm vom Vladimir Carvalho. Der Regisseur befragt darin Niemeyer eingehend über das Blutbad, doch dieser sagt immer wieder höchst irritiert: davon weiß ich nichts, davon habe ich noch nie etwas gehört und will deshalb darüber auch nicht reden. Carvalho läßt im Film, wie Niemeyer ärgerlich wird, herumschimpft, das Abstellen der Scheinwerfer befiehlt, im Dunkeln weiterredet – ein ganz außergewöhnlicher Streifen, das Centre Pompidou in Paris hat ihn parat. Andere Zeitzeugen berichten in dem Film vom Massaker an bis zu 500 Bauarbeitern. „Der Bauplatz von Brasilia war damals ein Wilder Westen“ sagt Carvalho im Interview, „alles mußte schnell gehen, die Fristen waren kurz. Es gab damals viele Unfälle, viele Bauarbeiter fielen von den Gerüsten. Tote wurden rasch beseitigt, damit die Lebenden nicht die Lust verloren und der Bau in hohem Tempo fortgesetzt werden konnte. Die Bauarbeiter konnten nur wenige Stunden schlafen, sich nur wenig ausruhen, waren schlichtweg fix und fertig – deshalb kam es zu den Unfällen.

Eines Tages war das Essen wieder verdorben – das brachte das Faß zum Überlaufen. Die Arbeiter protestierten – doch nachts kam die Bauplatzpolizei.“ Was dann geschah, hat eine Zeitung Brasilias inzwischen noch genauer rekonstruiert. Danach feuerte diese berüchtigte Spezialgarde zuerst mit Maschinenpistolen in die Bretterbaracken, bildete danach einen „polnischen Korridor“, zwang die überlebenden Arbeiter, dort durchzulaufen, grauenhaft mißhandelt zu werden. Zum Schluß, so das Blatt gemäß den aufgetriebenen Zeugen, mußten die Arbeiter ihre Toten und Verwundeten auf zwei LKW laden – die Opfer, sogar die Verwundeten, habe man dort, wo heute der TV-Turm Brasilias stehe, verscharrt – die LKW-Fahrer als lästige Zeugen ebenfalls liquidiert.

„Für Niemeyers Biographie ist das nicht gut“, meint Regisseur Carvalho. Völlig egal – wer weiß davon schon, in deutschsprachigen Medien oder Biographietexten beispielsweise wird seit 50 Jahren so gut wie ausnahmslos das Massaker, der Dokumentarfilm nicht erwähnt.

Eigentlich sollten die Reparaturen an prägenden Gebäuden wie dem Präsidentenpalast oder der Kathedrale rechtzeitig vor den 50-Jahr-Feiern fertig sein – doch nun dauern sie noch Monate, Staatschef Lula muß weiter vom Kulturzentrum einer Bank aus regieren. Zudem landete ausgerechnet der federführende Hauptstadtgouverneur wegen Abgeordnetenkauf im Gefängnis.

Doch an offiziellen Huldigungen für Oscar Niemeyer fehlt es natürlich nicht, wenngleich die brasilianischen Architekturkritiker und zahllose Leserbriefschreiber Brasilias die mangelnde Funktionalität der Niemeyer-Bauten betonen. So sind die eckigen Blöcke der Ministerien alle gleich und zudem in Ost-West Richtung aufgereiht. Das gilt für ein Tropenland als schlechteste Lösung, weil dann die Morgen-und Nachmittagssonne direkt auf die großen Fenster knallt, furchtbare, unerträgliche Hitze erzeuge, gegen die keine Klimaanlage ankomme. Staatsangestellte würden dann eben eher nach Hause geschickt, kriegen sozusagen hitzefrei.

Besonders vertrackt wird es, wenn man sich Niemeyers Aktivitäten zur Diktaturzeit widmet. Gemäß den deutschen, aber auch vielen brasilianischen Quellen haßte der famose Kommunist die nazistisch orientierten Putschgeneräle natürlich aus tiefstem Herzen, wollte mit ihnen nichts zu tun haben, ging flugs in Exil – das Arbeiten hatten sie ihm ohnehin verboten. „Gerade während der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 realisierte Niemeyer viele Projekte“, sagt mir vor einigen Jahren der angesehene Architekt und Universitätsprofessor Joaquim Guedes, bestinformierter Niemeyer-Kritiker, in Sao Paulo. Ich will es anfangs kaum glauben, doch eine seriöse Werke-Liste des „Stararchitekten“ und brasilianische Fachtexte bestätigen Guedes: 1967, drei Jahre nach der Machtübernahme, projektiert Niemeyer in Brasilia eine imposante, nach Diktator Costa e Silva benannte Brücke. Und ausgerechnet in der grausamsten, schwärzesten Phase der Folterdiktatur, unter Generalspräsident Medici, entwirft der „Kommunist“ den Generalstab in Brasilia, 1973 wird er mit großem Pomp eingeweiht. „Und dies unter dem Säbel der Medici-Regierung“, bemerkt der brasilianische Autor Marcos Sá Correa zu Niemeyers damaligem Wirken. 1971 realisiert dieser in der nordostbrasilianischen Millionenstadt Recife sogar ein Stadion, das just nach dem berüchtigten Diktator Medici benannt ist – und für die Fußball-WM 2014 genutzt wird. Laut Werke-Liste projektierte Niemeyer allein in Brasilia während des Militärregimes über 20 Bauten, auch eine Militärschule ist darunter. Guedes übrigens kann an ihm nichts Kommunistisches entdecken, nennt ihn einen Stalinisten.

2001 wird Niemeyer gefragt, warum er zwar Villen baue, aber keine einfachen Wohnhäuser, keine Viertel für die Armen. „Weshalb verzichteten Sie darauf, für jene, deren Schicksal Ihnen am Herzen liegt, ein architektonisch ansprechendes Zuhause zu errichten?“ Der Pritzker-Preisträger mag mit seiner Antwort manchen perplex machen:“Weil sich unsere Brüder in den Slums wohler fühlen als in geplanten Siedlungen, die keinerlei Komfort bieten und oft noch öder sind.“Komisch, daß europäische, darunter deutsche Architekturexperten, gar Architekturfeuilletonisten und Fernsehteams, dem in Brasilien wegen seiner originellen, umfassenden Niemeyer-Kritik so hochgeschätzten Guedes nicht die Bude einrannten. Jetzt ist es zu spät. 2008 wird Guedes auf nie geklärte Weise getötet. Direkt vor seinem Büro rast ein Stadtjeeplenker auf ihn zu, überrollt ihn, prescht gemäß den Zeugenberichten davon, und wird nie gefaßt. „In der Menschheitsgeschichte gab es keinen anderen Architekten, für den der Staat soviel nationale und internationale Reklame organisierte wie für Niemeyer“, sagt mir Guedes, „denn Niemeyer machte ja auch kräftig Reklame für den Staat. Über Niemeyer wurde nur verbreitet, was dieser selber hören wollte.“ Besonders deutlich wird das im Propagandafilm “Oscar Niemeyer – das Leben ist ein Hauch”, der auch in den deutschen Kinos läuft. In Brasilien erntete der Film Verrisse, in Deutschland dagegen höchstes Lob.

Hintergrund von 2006:

Oscar Niemeyer

Nicht nur in Deutschland wird Oscar Niemeyer mit Lob überhäuft. Als Kronzeuge für die Großartigkeit seiner Werke dient er gewöhnlich selber. Er gilt als Schöpfer der brasilianischen Hauptstadt Brasilia. Sämtliche öffentlichen Gebäude, darunter der Nationalkongreß und der Präsidentenpalast, wurden von ihm entworfen. Brasilia zählt seit 1987 zum UNESCO-Weltkulturerbe der Menschheit. Brasilianische Experten hingegen sparen nicht mit Kritik. Es wird gern der Schweizer Architekt Max Bill zitiert, der bereits 1954 ein Niemeyer-Projekt mit den Worten charakterisierte: »Das ist das Ende der modernen Architektur. Das ist antisoziale Vergeudung, ohne Verantwortung«.
Oscar Niemeyers eigentliches Hauptwerk sind über fünfhundert öffentliche Schulen in Rio de Janeiro, in denen jeweils bis zu eintausend Kinder, meist aus den Slums, unterrichtet werden. Diese zweistöckigen Schulen heißen offiziell CIEP, Integriertes Zentrum für öffentliche Bildung. Sie wurden aus Fertigteilen gebaut und sehen wie eckige, graue Betonkästen aus. In einer der lautesten Städte der Erde wurden sie nach dem Willen der Regierenden stets an auffälliger, gut sichtbarer Stelle errichtet, also dort, wo der Verkehrslärm am größten ist. Auch der CIEP Tancredo Neves in der Rua do Catete hat keine Schallschutzfenster. Man betritt die Schule und stutzt sofort: In sämtliche Klassenzimmer links und rechts des düsteren Korridors kann man bequem hineinschauen, Schüler und Lehrer beobachten – denn die Seitenwände der Räume sind zum Mittelgang hin nur etwa anderthalb Meter hoch, wurden also nicht bis zur Decke hochgezogen. Das bedeutet: Alle hören alles von allen. Die einen haben Physik, andere Mathe, Portugiesisch – andere singen Sambas, wieder andere schreiben eine Prüfungsarbeit.
Die Lehrerinnen des CIEP Tancredo Neves nennen die Wände ein Absurdum. »Der Krach hier ist enorm – wollen wir uns durchsetzen, müssen wir notgedrungen die Stimme heben, ständig dagegen anschreien. Viele haben deshalb Probleme mit den Stimmbändern, müssen sich operieren lassen. Jeder Pädagoge hört ja auch die Kollegen unterrichten, das lenkt ab, macht nervös – es ist wirklich schwierig hier.« In den Klassenzimmern werden tatsächlich bis zu 85 Decibel gemessen.
Kritik an den von ihm entworfenen Schulen oder Verbesserungsvorschläge, die ihm Delegationen von CIEP-Direktoren und -Lehrern vortrugen, sowie heftige brasilianische Medienkritik hat der Architekt bislang regelmäßig abgeschmettert. Fußballidol und Multimillionär Pelè lobt die CIEPs in mehrseitigen Farbanzeigen der Rio-Regierung als durchweg hervorragende Schulen – es seien solche wie in der Ersten Welt, die auch exakt wie dort funktionierten.
Joaquim Guedes zählt ebenfalls zu den Größen der brasilianischen Baukunst, ist zudem Lehrstuhlinhaber für Architektur an der Bundesuniversität von São Paulo. Guedes ist seit jeher Niemeyer-Kritiker, die CIEPs von Rio sind für ihn exemplarische Fehlleistungen Niemeyers: »Er ist unfähig, echte Architektur zu machen, diese Schulen beweisen es. Er entwirft Formen – aber das ist doch noch keine Architektur. Er konstruiert Formen entgegen den menschlichen Bedürfnissen, respektiert nicht einmal technologische Aspekte. Von einem großen Architekten erwartet man, daß er sich in die Probleme der menschlichen Existenz vertieft, die besten Lösungen sucht. Aber Schulen, in denen die Wände nicht mit der Decke abschließen – das ist doch verrückt, das ist doch Wahnsinn, absurd! Und dann auch noch dasselbe falsche Projekt ewig wiederholt, nie spezifischen örtlichen Gegebenheiten angepaßt. Wie kann er gerade die am meisten Benachteiligten mit diesen CIEPs so mißhandeln, deren Ausbildung so schädigen!«
Das von Niemeyer am Reißbrett entworfene Brasilia, oft als Niemeyers Hauptwerk betrachtet, ist für Joaquim Guedes »de facto ein rein autoritärer Akt – große ökonomische Interessen, dazu eine große politische Chance für den damaligen Staatschef Juscelino Kubitschek – der natürlich seinen Freund Niemeyer engagierte. Dieser tat alles, damit seine Projekte den Staatschef noch mehr herausstellten, ihn als Volkshelden, Volkstribun erstrahlen ließen.«
»In der Menscheitsgeschichte«, so Guedes weiter, »gab es keinen anderen Architekten, für den der Staat soviel nationale und internationale Reklame organisierte wie für Niemeyer – denn Niemeyer machte ja auch kräftig Reklame für den Staat. Über Niemeyer wurde nur verbreitet, was dieser selber hören wollte. Er arbeitete für das Militärregime, obwohl er es gleichzeitig kritisierte. Gerade während der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 realisierte Niemeyer viele Projekte. Weil ich Niemeyer kritisiere, werde ich gelegentlich als Vaterlandsverräter angesehen. Schon vor dreißig Jahren, als ich Professor an der Universität von Strasbourg war, verlangte ein Mitglied der kommunistischen Partei von mir, daß ich in Frankreich jegliche Kritik an Niemeyer unterlasse.«
Guedes, der sich zur brasilianischen Linken rechnet, aber Lula und seine Mannschaft seit langem als unethisch, lügnerisch ablehnt, blickt vom Bürofenster auf die Skyline der Betonwüste São Paulo: »Alles einfach entsetzlich – diese Gebäude sind grauenhaft, uma Barbaridade!« Niemeyer hat in der City unter anderem den COPAN-Block beigesteuert, in dem fünftausend (!) Menschen wohnen.
Rio de Janeiros Stadion für die weltberühmte Karnevalsparade, das Sambodrome, halten just die Hauptnutzer, nämlich die Sambaschulen, für völlig fehlkonstruiert, für kontraproduktiv, für nackten, häßlichen Beton. »Niemeyer hatte sich zuvor nie eine Parade angesehen, konsultierte wie üblich niemanden vom Fach, machte wie bei den CIEPS und Brasilia wieder die typischen Fehler«, urteilte Architekturprofessor William Bittar von der Bundesuniversität der Zuckerhutstadt. »Niemeyers Sambodrome nahm dem Karneval viel von seiner Spontaneität.« Guedes sagt weiter zu dem Ärger, den er sich mit der Niemeyer-Kritik eingehandelt hat: »Meine Argumente werden beiseite geschoben, blockiert. Manche reden erst gar nicht mit mir, führen aber einen verdeckten Krieg gegen mich.«

Derzeit entwirft Niemeyer ein Freizeitbad für Potsdam – die deutsche PR-Journalistik ist schon dabei, erneut kübelweise unkritische Würdigungen des Maestro in die Medien zu gießen.

Brasiliens Staatsarchitekt Oscar Niemeyer:

Die Kurven-Idee hat er vom Barock, nicht von den Frauen (2007)

 

Selbst zum hundertsten Geburtstag wiederholt Niemeyer die seit Jahrzehnten immergleichen Klischee-Phrasen, amüsieren sich in diesen Tagen brasilianische Kulturkritiker. Niemeyer weiß, daß der Spruch, wonach seine Inspiration die Formen, die sinnlichen Kurven schöner Frauen seien, gerade im Ausland, selbst bei weiblichen Autoren, am meisten ankommt. Daniel Piza, wichtigster Feuilleton-Kritiker der Qualitätszeitung „O Estado de Sao Paulo“, erinnert ein weiteres Mal daran, daß Niemeyers PR-Idee mit den Frauen-Kurven natürlich Unsinn ist. „Niemeyer inspirierte sich ausschließlich am Barock und dessen geschwungenen Linien, an den kurvigen Barockbauten des Teilstaates Minas Gerais und an Brasiliens berühmtestem Barock-Architekten Aleijadinho.“ Doch in einer Zeit, in der man zu banalen Vereinfachungen neigt, werde es nur zu oft so hingestellt, als seien die Rundungen, Wölbungen, geschwungenen Linien in der Architektur geradezu Niemeyers Erfindung, dessen Markenzeichen. „Ich gebe hier einen Hinweis. Niemeyer mag es, sich als den Pionier des Gebrauchs von Kurven, Bögen hinzustellen und erklärt, er sei es gewesen, der Le Corbusier angeregt habe, diese zu verwenden – was der Schweizer Architekt dann so brillant an der Kapelle von Ronchamps umgesetzt habe. Doch die Kurven waren keine Neuheit in der Architektur – beginnend mit Aleijadinho und seiner Kirche des Heiligen Franziskus in Ouro Preto…“

Daniel Piza vom „O Estado de Sao Paulo“ ist natürlich aufgefallen, daß im In-und Ausland die jetzigen Würdigungen zum hundertsten Geburtstag Niemeyers in Bezug auf Lob und Hudel oft nahezu deckungsgleich sind. „Niemeyer e a unanimidade“ (Niemeyer und die Einstimmigkeit) überschreibt Piza deshalb seine vielgelesene Kolumne – und erinnert damit hintergründig gleichzeitig an einen populären Ausspruch des großen brasilianischen Theatermachers Nelson Rodrigues: Toda unanimidade è burra – Alle Einstimmigkeit ist blödsinnig, dumm. Von solcher, so Piza, könne indessen, was Oscar Niemeyer betrifft, keine Rede sein, selbst wenn manche es so interpretierten. Der „Stararchitekt“ ernte reichlich ätzende Kritik. In Brasilien sei ein gängiger Vorwurf, daß Niemeyer-Bauten nicht funktionierten. Häufig beeindruckten diese am meisten, wenn man sie aus der Ferne, in günstigem Panorama betrachte. Daß Niemeyer große, öde, leblose Plätze aus Beton schaffe, werde von ausländischen Essayisten wie Kenneth Frampton und Marshall Berman auf seine stalinistische Ideologie zurückgeführt. Fehlende Belüftung und Beleuchtung, schlechte Raumverteilung zählt Piza ebenfalls zu den großen Mankos der Niemeyer-Architektur, welche zwischen genialen Momenten und beklagenswerten Fehlleistungen oszilliere.

Der Kulturkritiker analysiert ähnlich wie der Architekt und Uni-Professor Joaquim Guedes, der angesichts des überbordenden Personenkults zum hundertsten Geburtstag Niemeyers einige Dinge klarstellt. Guedes zählt ebenso wie Niemeyer zu den Größen der brasilianischen Architektur, bekam viele Preise, realisierte hunderte Projekte. Andreas Hempel, Präsident des Internationalen Architekturkongresses von 2002 in Berlin, holt Guedes nicht zufällig ins wissenschaftliche Komitee des Expertentreffens. „Niemeyers Diskurs paßt weder zu seinen professionellen Kontrakten aus einer inakzeptablen offiziellen Marktreserve – seit Juscelino Kubitschek, von 1960 – noch zu seiner Architektur, der eine echte soziale Funktion fehlt“, betont Guedes. Der Hundertjährige habe in den letzten Monaten mehrere Staatsaufträge erhalten, darunter die Restaurierung des Präsidentenpalasts von Brasilia – was ihm, seinen Angehörigen, seinem Team Millionenhonorare einbringen werde. „Alles ohne Ausschreibung“, betont Guedes, „Niemeyer hat seine garantierte Marktreserve, braucht sich um Ausschreibungen, gar Mitbewerber nicht zu scheren.“ Derartige Staatsprojekte dienten Politikern und deren Anhang dazu, sich schamlos zu bereichern, stets sei viel Betrug im Spiel. „Ich habe keinerlei Möglichkeiten, all dies öffentlich zu machen – viele Intellektuelle Brasiliens schweigen über Niemeyer.“

Während der Militärdiktatur war Guedes im französischen Exil, lehrte als Professor an der Universität von Strasbourg Architektur. „Brasilianische Intellektuelle gaben in Frankreich die Parole aus, wer hierzulande Niemeyer kritisiere, sei für das Militärregime. Man wollte auch von mir, daß ich den Mund halte und in meinen Uni-Vorlesungen nicht sage, was ich über Niemeyer denke. Ich antwortete diesen Figuren, ich werde mir meine intellektuelle Freiheit von euch nicht rauben lassen, werde mich diesem Druck, all diesen Pressionen nicht beugen.“ Guedes erinnert heute an Kurioses: „Oscar Niemeyer erhielt die höchsten, jemals an einen Architekten gezahlten Honorare just während der Militärdiktatur, weil ja vieles in der Hauptstadt Brasilia erst nach dem Putsch von 1964 fertiggestellt wurde. Für mich ist Niemeyer kein echter Architekt, weil er keine Ahnung vom Menschen, von der menschlichen Persönlichkeit hat.“

Unterdessen wird vereinzelt an Niemeyersche Fehlleistungen erinnert, darunter an die Probleme mit den halbhohen, nicht bis zur Decke hochgezogenen Wänden in über 500 öffentlichen Schulen Rio de Janeiros. Oder an fehlende Funktionalität in Regierungsgebäuden Brasilias, wo weder ein günstiger Lichteinfall noch eine ordentliche Belüftung bedacht wurden: „Wenn die Air Condition ausfällt, müssen die Staatsangestellten wegen der extremen Hitze und des Fehlens von Fenstern, die für Ventilation sorgen, nach Hause geschickt werden.“ Die Kulturkritikerin Lisandra Paraguassu hat sich in diesen Tagen solche Bauten Brasilias angesehen: „In Brasilia, das für seine besondere Helligkeit und ein mildes Klima bekannt ist, sind die Nutzer eines Großteils der Niemeyer-Gebäude dazu gezwungen, den ganzen Tag mit Klimaanlage und künstlicher Beleuchtung zu verbringen.“ Das betreffe immerhin den Nationalkongreß, die Bundesanwaltschaft, das neue Museum der Republik sowie einen Teil des Außenministeriums.

Sylvia Ficher, Professorin für Architektur und Urbanismus an der Bundesuniversität von Brasilia: „Ich halte das für tragisch, gegen die Umwelt und eine sinnvolle Energienutzung gerichtet.“ Die Expertin erinnert daran, daß Brasilia-Architekt Lucio Costa ursprünglich vorhatte, kulturelle Gebäude Brasilias mit einem Wäldchen zu umgeben, damit die Leute dort Schatten suchen könnten, um nicht auf nacktem Beton heißer Tropensonne ausgesetzt zu sein. „Niemeyer hat das gar nicht gefallen. Er dachte, das Wäldchen würde seine Gebäude verdecken.“ All diese Fehlkonstruktionen seien sehr triste. Der bekannte brasilianische Umweltexperte Fabio Feldmann aus Sao Paulo erklärte während seiner Zeit als Kongreßabgeordneter über Brasilias Niemeyer-Bauten: „Hier sieht man überall, daß die Architektur von Oscar Niemeyer nicht funktional ist, schlecht in Bezug auf Komfort und inadequat in Bezug auf Belüftung und Beleuchtung. Seine Gebäude sind wunderbar für jenen, der sie von außen betrachtet, doch unbewohnbar, unangenehm, wenn man darin arbeiten, leben soll.“

Schlecht nur für Menschen? Ein Blick in etwas Fachliteratur, beispielsweise aus Europa, hätte Niemeyer davor warnen müssen, ein Gebäude wie Brasiliens Bundesanwaltschaft in der jetzigen Form zu entwerfen. Jeder einigermaßen ökologisch gebildete Schüler Mitteleuropas hätte Niemeyer gesagt, daß sein Entwurf die reinste Vogelfalle ist. Kurz nach der Einweihung im August 2002 fand man täglich getötete, stark verletzte Vögel direkt unter der kurvigen, wie ein Spiegel funktionierenden Total-Glasfassade, andere verendeten weiter entfernt. Unter den Opfern viele streng geschützte Arten, wie seltene Kolibris. Niemeyers naturfeindliches Werk sorgte für soviel Unruhe und Diskussion, daß schließlich eine Expertengruppe der Universität Brasilias gerufen wurde. In Europa, so hiesige Qualitätsmedien, pflanze man vor derartige Fassaden im Interesse des Naturschutzes hohe Bäume oder realisiere andere Lösungen gegen Vogelschlag. Miguel Marini, Leiter der Expertenstudie: „Die Leute von Architektur und Bau pflegen sich um mögliche Umweltschäden nicht zu kümmern. Die schauen nur auf die Ästhetik. Es fehlt einfach Verantwortungsbewußtsein bei der Planung.“

Ist die offizielle Liste der Werke Niemeyers komplett – oder fehlt da gewöhnlich einiges? Die über 500 Betonmonster-Schulen Rio de Janeiros werden häufig unterschlagen. Und wie die brasilianische Kunsthistorikerin Daniela Viana Leal herausfand, fehlen auch zahlreiche Kommerzbauten in und um Sao Paulo, weil diese im Widerspruch zu Niemeyers Diskurs über dessen eigene Architektur stünden. Laut Diana Viana Leal unterhielt Niemeyer in Sao Paulo ein Architekturbüro, dessen Existenz er heute abstreite. Die Kunsthistorikerin mußte daher nach dem Dementi Niemeyers mühselig und aufwendig alte Zeitungs-und Anzeigenarchive durchsuchen, um mehr über die sogenannte „fase renegada“ des Architekten zu erfahren.

Architekturprofessor Paulo Bruna von der Bundesuniversität Sao Paulo charakterisiert mehrere lokale Bauten Niemeyers schlichtweg als „Fiasko, schlechte Projekte.“

Dieser Beitrag wurde am Samstag, 30. Januar 2010 um 20:36 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

«  –  »

Keine Kommentare

Noch keine Kommentare

Die Kommentarfunktion ist zur Zeit leider deaktiviert.

    NEU: Fotoserie Gesichter Brasiliens

    Fotostrecken Wasserfälle Iguacu und Karneval 2008

    23' K23

interessante Links

Seiten

Ressorts

Suchen


RSS-Feeds

Verwaltung

 

© Klaus Hart – Powered by WordPress – Design: Vlad (aka Perun)