Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Brasilien: Ghetto-Sondergerichte der Paralleljustiz verhängen auch in Sao Paulo Todesurteile. Fünf junge Männer exekutiert.

Ebenso wie in der Scheiterhaufenstadt Rio de Janeiro, verhängen Ghetto-Sondergerichte des organisierten Verbrechens auch in der Wirtschaftsmetropole Sao Paulo Todesurteile.

„Wer in diesem Wohngebiet klaut, raubt, wird exekutiert.“ Großes Warnschild in Viertel der Millionenstadt Fortaleza, aufgestellt vom lokalen Banditenkommando. Auf Website-Anfrage sagen Bewohner, man müsse bei den „Männern“ nur das Delikt anzeigen, dann kümmerten sich diese um Tätersuche und sofortige Exekution. „So ist es doch eigentlich in ganz Brasilien.“ Ein beträchtlicher Teil der Täter werde indessen nicht gefaßt.

Brasilien – das Gewalt-Gesellschaftsmodell und die wichtige Rolle der Slums/Favelas. Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2017/01/01/brasilien-das-gewalt-gesellschaftsmodell-und-die-wichtige-rolle-der-slumsfavelas-hintergrundtexte-warum-brasilien-strategischer-partner-der-merkel-gabriel-regierung-ist-von-der-deutschen-regieru/

Gemäß Polizeiangaben hatte ein Tribunal der führenden Verbrecherorganisations Sao Paulos, „Primeiro Comando da Capital“(PCC) u.a. fünf junge Männer zum Tode verurteilt und vor der Exekution gefoltert. Wie es hieß, hatten die Männer zuvor den Verwandten eines PCC-Mitglieds gesteinigt.Namhafte brasilianische Rechtsexperten haben 2008 die Ghetto-Sondergerichte, von denen regelmäßig Todesurteile verhängt werden, als ”Barbarei“ bezeichnet. Alle Machtinstanzen des Staates müßten reagieren, um die Gerichte abzuschaffen. Angeprangert wurde, daß von diesen Tribunalen des organisierten Verbrechens sogar Jugendliche wegen einfachen Diebstahls gefoltert und exekutiert würden.

Der Präsident der nationalen Richter-Vereinigung(AMB), Mozart Valadares, sagte, die jüngsten Berichte über solche Sondergerichte zeigten, daß der Staat sich der Parallelmacht in den Slums beuge. Staatschef Lulas Justizminister Tarso Genro sprach ebenfalls von ”Barbarei“ sowie ”Abwesenheit des Staates sowie ”Paralleljustiz, beließ es indessen bei Worten. Die Qualitätszeitung ”O Globo hatte in einer großen Artikelserie die Aktivitäten der Sondergerichte Rio de Janeiros beschrieben. Der Staat, so hieß es, überlasse ganze Gemeinden dem ”Joch blutiger Diktaturen. Wie der Schriftsteller Zuenir Ventura betonte, würden Verurteilte sogar auf Scheiterhaufen aus Autoreifen, den sogenannten ”Microondas, lebendig verbrannt.

microondasklein1.jpgRio-Scheiterhaufen-Szene aus dem Berlinale-Sieger „Tropa de Elite“

Rio de Janeiro hat etwa die gleiche Einwohnerzahl wie Kuba, jedoch andere Sozialindikatoren.

Wie üblich, haben Alibi-Menschenrechtsorganisationen Mitteleuropas auf die Artikelserie von ”O Globo nicht reagiert.

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Installation des Fotografen Rogerio Reis in Rio über Scheiterhaufen, Microondas – ausgestellt auch in Paris.

Im Berlinale-Sieger ”Tropa de Elite wird eine typische Scheiterhaufen-Szene gezeigt

Zum Thema „Außergerichtliche Exekutionen, Folter“

Folterstaat Brasilien: Deutschland, Großbritannien und die USA fordern echte Maßnahmen gegen Torturen. **

Vor der UNO-Menschenrechtskommission in Genf ist die brasilianische Regierung laut Presseberichten von Deutschland, Großbritannien und den USA aufgefordert worden, effiziente Schritte zur Austilgung der nach wie vor gängigen Folter sowie der außergerichtlichen Exekutionen  einzuleiten. Es sei nicht hinnehmbar, daß Brasilia immer nur Absichtserklärungen und Pläne verkünde, Fortschritte aber ausblieben. Mitte Mai ist die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem offiziellen Besuch in Brasilien.

Hintergrund:

Günther Zgubic, Pfarrer und Gefangenenseelsorger aus Österreich: In Brasilien weiter Folter in allen Varianten ”Eine deutsche Frau wurde unglaublich mit Elektroschocks kaputtgemacht – psychisch, nervlich zerstört.Â **

Das UNO-Hochkomissariat für Menschenrechte hat erneut Folter und Rassismus sowie Straflosigkeit und erschreckende Sozialkontraste in Brasilien angeprangert. Basisinformationen und entsprechende Statistiken des neuen UNO-Berichts stammen größtenteils von der katholischen Gefangenenseelsorge des Tropenlandes, die von dem österreichischen Pfarrer Günther Zgubic geleitet wird. Im Exklusivinterview vergleicht er die total überfüllten Haftanstalten mit Konzentrationslagern und sagt wegen der unmenschlichen Bedingungen eine neue Welle blutiger Gefangenenrevolten voraus.

Im Jahre 2003, zum Amtsantritt von Präsident Luis Inacio Lula da Silva, hatten die neue brasilianische Regierung und das gesamte Justizwesen der größten lateinamerikanischen Demokratie eine grundlegende Verbesserung der gravierenden Menschenrechtslage versprochen. Gefangenenseelsorger Günther Zgubic war sehr skeptisch. ”Die haben öffentlich im Jahre 2003 erklärt, wir dulden  Folter und andere grausame, unmenschliche Praktiken nicht mehr. Das haben sie gemacht, um die UNO zufriedenzustellen “ das Dokument existiert.”Weil die Verbesserungen ausblieben, Folter weiterhin alltäglich war, appellierte die Gefangenenseelsorge immer wieder an die Weltöffentlichkeit, an die Vereinten Nationen.  ”Wir hatten einen Rückschritt. Wir haben die UNO-Kommissionen in die Gefängnisse geführt “ das Ergebnis ist jetzt veröffentlicht worden. Alle Gefängnisse sind illegal “ und was da drinnen passiert, ist Folter. Es gibt weiterhin alle Varianten.  Eine deutsche Frau wurde unglaublich mit Elektroschock kaputtgemacht, psychisch, nervlich zerstört.  Leute werden mit Schlagstöcken zusammengehauen, man schiebt Nadeln  unter die Fingernägel, preßt Leute mit dem Kopf in Wassereimer. Bis die Polizei merkt, er könnte sterben “ und dann wird ihm eine Chance gegeben: Willst du sprechen oder nicht?”Laut UNO-Bericht “ und laut Pfarrer Zgubic werden auf diese Weise auch Menschen zu Geständnissen gezwungen, bekennen sich viele unter der Folter zu Verbrechen, die sie gar nicht begangen haben. Andere werden solange traktiert, bis sie falsche Zeugenaussagen machen, völlig Unschuldige schwer belasten. ”Sogenannte gute, schnelle Aufklärungsarbeit ist in Wirklichkeit schlechteste, sodaß Leute unschuldig in unseren zwei-bis dreifach überbelegten Gefängnissen sitzen. Überfüllt heißt “ die Leute fangen an, durchzudrehen, was zu riesigen Rebellionen führt, das organisierte Verbrechen fördert. Überfüllt heißt auch “ weniger Essen, weniger ärztliche Betreuung. Wer dort herauskommt, ist traumatisiert und hat nichts mehr zu verlieren. Und oft höre ich dann, das erste, was ich, wir machen werden, ist, ein paar Polizisten umzubringen. 2006 hatten wir diese Revolten in Sao Paulo, als Polizisten erschossen wurden, Granaten flogen, Busse angezündet wurden. Diese Sicherheitspolitik bringt nur Rückschritt “  wirkliche Verbrecher im Polizeiwesen werden befördert auf höhere Machtpositionen, bis zum Polizeigeneral der Militärpolizei eines Bundesstaats. Für mich ist Brasiliens Strafvollzugssystem purer Wahnsinn!”Nach wie vor werden laut Zgubic die katholischen Gefangenseelsorger ausgerechnet in hochproblematische Haftanstalten gesetzwidrig nicht hineingelassen. „Wir sollen nicht merken, daß dort gefoltert wird,  – Gerichte und Medien sollen nicht von den Untaten erfahren. Per Zutrittsverbot wird der Eindruck erweckt, in solchen Gefängnissen sei alles ruhig. In Wirklichkeit sind es aber Zustände wie in Konzentrationslagern. Es wird immer ärger werden, da gibts überhaupt keinen Zweifel.”Laut UNO-Bericht klassifizieren viele Richter die Folter lediglich als „Machtmißbrauch”. „Dann kann der Fall in zwei Jahren verjährt sein”, erläutert Pfarrer Zgubic.

“Unterschiede zwischen Kuba und Brasilien”

Häufig werden Frauen in überfüllte Männerzellen gesperrt und dann massenhaft vergewaltigt. Zgubic nennt neueste Fälle “ all dies habe Tradition. ”In Brasilien wissen wir, daß zum Beispiel im 19. Jahrhundert Frauen und Männer, also die Armen, die Bettler, die Arbeitslosen in den Gefängnissen zusammengepfercht wurden. Wir kämpfen gegen die Kriminalisierung der Armut an. Armut wird vom Staat, von den Oberschichten produziert, die sich nie für einen Sozialstaat geöffnet haben. Schuld ist das Wirtschafts-und Konsumsystem, für das ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung schlicht überflüssig ist. Länder, die sich diesem System nicht unterwerfen, wie etwa Kuba, werden mit einem Wirtschaftsboykott überzogen. Während Brasilien als Musterland gilt. Doch absolut klar ist “ der größte Menschenrechtsverbrecher ist der Staat. Für Gesundheit, Schulwesen, für sozialpolitische Programme in den Slums, fürs Justizwesen sind keine Mittel da. Das heißt, man fragt sich dann, wer ist verantwortlich für das Ganze?”Wegen Bagatelldelikten, etwa des Diebstahls von umgerechnet drei Euro, oder von Tellern im Supermarkt, kommen laut Zgubic nach wie vor Menschen jahrelang hinter Gitter. Besonders gravierend sei die Lage in Amazonien: „Der Richter am Bistumssitz des aus Österreich stammenden Bischofs Erwin Kräutler in Altamira ist für einen Gerichtsbezirk von etwa tausend Kilometern Durchmesser zuständig. Häufig gibt es keine Rechtsanwälte, keine Aufklärungspolizei, nur die Militärpolizei. Diese steckt Leute ins Gefängnis, ohne jegliche Ermittlungen, nur nach Hörensagen oder Privatmeinung des Polizisten. Richtern wird gar nicht mitgeteilt, daß jemand eingesperrt wurde “ man weiß gar nicht, wer alles gefangen gehalten wird.” In Brasilien seien zwischen vierzig und siebzig Prozent der Eingesperrten entsetzlicherweise Untersuchungshäftlinge. „Ich kenne einen Gefangenen, der wegen Mordes bereits zehn Jahre in U-Haft sitzt. Und wenn dann herausgefunden wird, daß er unschuldig ist?” Als vergleichsweise sehr positives Beispiel stellt Zgubic indessen den südlichen, von vielen Deutschstämmigen bewohnten Teilstaat Rio Grande do Sul heraus.Die totale Überfüllung der Haftanstalten nennt Seelsorger Zgubic „strukturelle Folter” “ die UNO habe dies im neuen Brasilien-Bericht betont. Brasilianische Menschenrechtsexperten reagierten jetzt empört auf eine Kundgebungsrede von Staatspräsident Lula. ”Wenn man durch Zusammenschlagen die Leute erziehen könnte, müßte der Bandit das Gefängnis eigentlich als Heiliger verlassen”, sagte Lula ironisch in Rio de Janeiro.Damit, so die Menschenrechtler, habe der Staatschef die gravierende Situation in den Haftanstalten vollauf bestätigt. In der Stadt Sao Carlos bei Sao Paulo ist gemäß Kirche und Menschenrechtsorganisationen seit 1980 eine Straße nach dem berüchtigten Diktatur-Folterer Sergio Fernando Paranhos Fleury benannt. Dieser habe eine Todesschwadron gegründet, Oppositionelle ermordet, im Auftrage eines großen Drogenbosses sogar Konkurrenten liquidiert. Schließlich sei er laut offizieller Version vom Boot ins Wasser gefallen und ertrunken. Doch es heiße, er habe einfach zuviel gewußt und damit gedroht, auszupacken. In Brasilien, längst bekannt, heißen zahlreiche Bürger ganz amtlich Hitler, Himmler, Eichmann “ und sind Straßen, Plätze und selbst ein Plenarsaal des Nationalkongresses nach Filinto Müller, dem von der GESTAPO ausgebildeten Chef der Politischen Polizei des Judenhassers und Diktators Getulio Vargas benannt. Die Prachtausgabe von Adolf Hitlers „Mein Kampf”, hier „Minha Luta”, ist ein Bestseller und jenes bekannte Hitler-Zitat von Lula muß nicht mehr erwähnt werden.

Pfarrer und Gefangenenseelsorger Günther Zgubic, mit mehreren Menschenrechtspreisen geehrt, immer wieder mit Mord bedroht

 

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Dieser Beitrag wurde am Dienstag, 06. Mai 2008 um 00:03 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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