„Brasilien ist eine Fassaden-Demokratie, ein Land der Apartheid“
Ex-Gewerkschaftsführer Luis Inacio Lula da Silva war auch von den deutschen Kommerzmedien zum „Star“ früherer Weltsozialforen hochgejubelt worden – auf dem Forum in Caracas läßt er sich wegen der zu erwartenden Proteste lieber nicht blicken. Kritik an Lula und dessen Arbeiterpartei war in Porto Alegre nur zu oft unterdrückt, kaum wahrgenommen worden – doch die damals verlachten Kritiker haben Recht behalten.
Dazu zählt Francisco Whitaker, 74, angesehener Mitgründer des Weltsozialforums, der die dem Kampf um Menschenrechte gewidmete „Kommission für Gerechtigkeit und Frieden“ der brasilianischen Bischofskonferenz koordiniert und jahrelang enger Mitarbeiter des befreiungstheologischen Kardinals Evaristo Arns in Sao Paulo war.
In der Arbeiterpartei(PT)von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva gehörte Whitaker zu den letzten hochgeachteten „Aufrechten”, nachdem zahlreiche seiner Mitstreiter von der zentralistischen Führungsspitze ausgeschlossen worden waren oder aus Unzufriedenheit mit dem Regierungskurs das Parteibuch zurückgegeben hatten.
Im Januar 2006 erklärte auch Francisco Whitaker seinen PT-Austritt, was in der brasilianischen Öffentlichkeit enormes Aufsehen erregte. Der einst zum „Hoffnungsträger”, kurioserweise gar zur „Ikone der Linken” aufgebaute Staatschef Lula und die Spitze seiner Arbeiterpartei stecken tief im Korruptionssumpf, ein raffiniertes System von Abgeordnetenbestechung, Parteien-und Stimmenkauf, Mittelabzweigung und Machtmißbrauch wurde enthüllt. „Die jüngsten Ereignisse gaben mir den letzten Anstoß”, sagte Whitaker im Website-Exklusivinterview. „ Die Parteibasis ist von der Führungsspitze, von Lula regelrecht verraten worden. Was die katholischen Kirche bereits vor den Wahlen von 2002 vorausgesagt hatte, ist eingetroffen, die jetzige politische Krise war vorhersehbar. Um die Wahlen zu gewinnen, wurde sogar der berüchtigte PR-Manager Duda Mendonca, der zuvor für rechte Politiker arbeitete, eingekauft, wurde mit Tricks und Täuschung, mit Lügen gearbeitet. Ist das nicht triste? Um an die Macht zu kommen, so die neue Logik, muß man Wahlen gewinnen, wofür viel Geld nötig ist – uninteressant, woher es kommt. Ja, der Traum ist aus, überall spürt man Bestürzung und Enttäuschung. Doch es gab Leute wie mich, die dachten, man könnte noch manches reparieren. Das war ein Fehlschluß. Die Deformierung der Partei, sogar den Stimmenkauf bei parteiinternen Wahlen, habe ich seit langem beobachtet. Besonders gravierend, daß man im Ausland sogar auf illegalen Schwarzkonten Geld hortete. Übelste politische Machenschaften, die die Arbeiterpartei stets bekämpft hatte, wurden unter Staatschef Lula auf einmal normal. Die Arbeiterpartei kann wegen der jüngsten Ereignisse ihren gesamten politischen Diskurs nicht mehr benutzen, der ist völlig wertlos, völlig unglaubwürdig.” Aber die PT galt doch sogar international als eherne Säule der Ethik und Moral im zwielichtig-korrupten Politikbetrieb Brasiliens? „Das Ethik-Image wurde nur gepflegt, um die Wahlen zu gewinnen – doch jetzt macht die Regierung extrem „pragmatisch”, was sie will, wirft die Ethik über Bord, verfährt nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel. Anhänger werden maximal auf öffentliche Posten verteilt, um abzufassen, so viel und so lange es nur geht. Für mich ist geradezu ein Verbrechen, daß die Lula-Regierung mit übelsten, reaktionärsten Figuren und Parteien paktiert, ihnen das politische Überleben, eine starke Position garantiert. Im Nationalkongreß schloß Lula politische Abkommen mit Leuten wie José Sarney und Antonio Carlos Magalhaes – das ist doch schlimmer als Verrat! Die archaischen Oligarchien Brasiliens haben unter Lula nichts zu befürchten, können ganz beruhigt sein.”
„Brasiliens Eliten finden Lula wunderbar”
Aber tiefgreifende soziale Veränderungen wurden von Staatschef Lula doch scheinbar glaubhaft versprochen, immer wieder spricht er jetzt von enormen Fortschritten? „In Deutschland, überhaupt in Europa, kann sich kaum jemand das tatsächliche Ausmaß der sozialen Ungerechtigkeiten in Brasilien vorstellen. Wenige Betuchte – doch eine enorme verarmte, verelendete Unterschicht. Die Arbeiterpartei hatte einst auf ihre Fahnen geschrieben, diese krassen Ungleichheiten abzuschaffen. Dafür wäre eine andere Wirtschaftspolitik nötig. Doch jetzt, unter Lula, wird nichts verändert, sollen die Sozialkontraste fortbestehen. Das ist unser Drama. Lula unterwirft sich den Interessen des Kapitals weit mehr als sein Amtsvorgänger Fernando Henrique Cardoso, übernahm dessen Wirtschaftspolitik. Lula hält das Kapital besser, mehr bei Laune, als es eigentlich von ihm verlangt. Lula war ein Gewerkschafter, der wußte, wie man mit Fabrikbesitzern verhandelt. Er war nie gegen die Bosse, er war immer pragmatisch. Die brasilianischen Eliten profitieren heute von Lula wunderbar, finden ihn optimal. Paradoxerweise sind deshalb die Privilegierten heute am meisten daran interessiert, daß er möglichst lange weiterregiert, um das neoliberale Wirtschaftsmodell zu garantieren. Als es um die Frage einer anderen Wirtschaftspolitik ging, schlug sich Lula auf die Seite der Sozialdemokratie. Nie zuvor haben die Banken solche Profite gemacht. Im Falle Lulas und der Arbeiterpartei agierten unsere Machteliten wieder einmal sehr intelligent. Zudem kontrolliert Lula die Sozialbewegungen, hält das Volk mit Almosen von Unruhen ab. Seine Sozialprogramme sollen dazu dienen, die Masse unterwürfig und abhängig zu halten. Selbst die oft so kämpferisch auftretende Landlosenbewegung MST wurde gezähmt, überschreitet nie bestimmte Grenzen der Kritik an der Lula-Regierung. Statt einer für Brasilien so dringend nötigen Agrarreform, die einen neuen Binnenmarkt, eine enorme Nachfrage bislang ausgeschlossener Bevölkerungsgruppen geschaffen hätte, wurde das exportorientierte Agrobusiness gefördert. Unter Lula wurde zudem der Anbau gentechnisch manipulierter Pflanzen generell ermöglicht, mit den entsprechenden Wirkungen auf die Umwelt. ”
Vertritt Whitaker in Brasilien eine isolierte Position, was meint die Kirche?
„In der Bischofskonferenz denkt man größtenteils wie ich, viele Bischöfe sehen die Dinge genauso. Enttäuschung über die Lula-Regierung gibt es in der Kirche deshalb nicht, weil man die Probleme ganz realistisch ja vorausgesehen hatte. Überrascht hat lediglich das Ausmaß der Machenschaften – mancher dachte, so weit würde es wohl nicht kommen. Unter den Gläubigen, in den befreiungstheologischen Basisgemeinden finde ich völlige Zustimmung.”
Der Staatschef und die SPD
Lula und seine Arbeiterpartei unterhielten besonders enge Beziehungen zu den deutschen Sozialdemokraten?
„Die PT-Spitze ging auch da ganz pragmatisch vor: Wir brauchen internationale Unterstützung – ohne die kommen wir nicht aus. Also gehen wir auf die Suche – wer öffnet uns die Türen mit besonders viel Sympathie, wo können wir möglichst viele Vorteile herausholen? Und so stießen die PT-Führer auf die SPD, die damalige rot-grüne Regierung, mit der ja auch das brasilianische Kapital wunderbare Beziehungen pflegte. Die deutschen Multis kommen wegen der Billigstlöhne nach Brasilien und entlassen dafür in Deutschland – die kapitalistischen Mechanismen sind furchtbar! Brasiliens Regierung stellt dem Auslandskapital keine Forderungen, macht ihm keinerlei Auflagen.”
Will Whitaker jetzt in eine andere Partei eintreten? „Auf keinen Fall. Brasilien ist nur eine Fassaden-Demokratie, ist ein Land der Apartheid – die Lage in den Slums, die dortige Macht des organisierten Verbrechens sprechen Bände. Der Weg, dies alles zu verändern, läuft nicht über Parteien, sondern über die Zivilgesellschaft, die sich besser organisieren muß, Autonomie gegenüber Parteien und Regierung braucht. Dieser Aufgabe werde ich mich jetzt völlig widmen. Die Zivilgesellschaft muß das Monopol der Parteien auf politische Aktion brechen. Das Weltsozialforum dient dafür als wichtige Erfahrung. Wir dürfen nicht mehr auf Führer hoffen, brauchen andere politische Perspektiven, eine andere politische Kultur. Jene Fraktion, die seit Jahren die PT dirigiert, hat mit eiserner Hand eine falsche Einigkeit konstruiert. Die Parteibasis hatte nur noch auf die von oben getroffenen Entscheidungen zu warten.”
Wie ist die Stimmung derzeit besonders unter den armen Brasilianern? „Nur zu oft halten sie Veränderungen für unmöglich, gerade in Wahlzeiten beobachtet man einen grauenhaften Fatalismus. Darüber hinaus gibt es die freiwillige Unterwerfung “ statt aufzubegehren und dann womöglich das bißchen, was man hat, auch noch zu verlieren. In den Slums unterwirft man sich dem organisierten Verbrechen “ doch es gibt auch Unterwerfung gegenüber korrupten Politikern. Man ist fatalistisch in Bezug auf Möglichkeiten, die Realität zu verändern. Wir hatten in Brasilien nie echte Revolutionen. Seit der Kolonialzeit haben wir eine Kultur der permanenten Anpassung an die Verhältnisse. Doch solche Unterwürfigkeit führt eben nicht zur Lösung der Probleme.”
Lula-Kritiker Chico Whitaker: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/21/lula-kritiker-francisco-whitaker-trager-des-alternativen-nobelpreises-mitgrunder-des-weltsozialforums-katholischer-menschenrechtsaktivist/
Francisco Whitakers neuestes Buch:
„O desafio do Forum Social Mundial “ um modo de ver”
Vorwort von Oded Grajew, jüdischer brasilianischer Unternehmer, der die Idee des Weltsozialforums hatte
Hintergrundtexte:http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/05/brasilien-%E2%80%93-kirche-und-gesellschaft-sammelbandtexte/
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Kir
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Der Freitag:https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/weisser-schnee-am-zuckerhut
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/das-kappchen-kilometerweit-fliegen-sehen
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-geheimen-friedhofe-der-fazendeiros
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/unappetitlicher-wahlkampf
Hintergrundtexte:
“Pressefreiheit“ in Brasilien: Engagierten, investigativen Journalisten droht die „Mikrowelle“, der moderne Scheiterhaufen aus Autoreifen
Unten, an den Stränden von Copacabana und Ipanema, tummeln sich auch Touristen, Diplomaten, NGO-Leute aus Deutschland – doch schon in Sichtweite, oben in den Hangslums von Rio, lodern seit Jahrzehnten regelmäßig die Scheiterhaufen. Banditenkommandos stapeln Autoreifen über die gefesselten Opfer, übergießen sie mit Benzin, entzünden ein Streichholz. Auf der nächsten Berlinale wird die „Microonda“ im brasilianischen Spielfilm „Tropa de Elite“ in allen Details erstmals zu sehen sein.
In der größten Demokratie Lateinamerikas beschränkt die neofeudale Herrschaft des organisierten Verbrechens über erhebliche Teile der brasilianischen Städte die Pressefreiheit, die Recherchemöglichkeiten der Journalisten brutal. Falls sie die Aktivitäten der Banditenkommandos im Parallelstaat der Slums konkret kritisieren, droht ihnen die Ermordung. 2002 wurde der bekannte Fernsehreporter Tim Lopes per „Mikrowelle“ bestialisch liquidiert. Seine Kollegin Carla Rocha vom Medienkonzern „Globo“, eine der führenden investigativen Journalistinnen des Tropenlandes, hat jetzt gemeinsam mit ihrem Team für eine unter hohem Lebensrisiko recherchierte Artikelserie just über die Slum-Diktatur den wichtigsten brasilianischen Menschenrechts-und Medienpreis erhalten. Der „Premio Vladimir Herzog“ erinnert an einen jüdischen Journalisten, der vom brasilianischen Militärregime ermordet worden war.
Kurz vor der Auszeichnung in der Megametropole Sao Paulo hatte im fernen Paris die Menschenrechtsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ Brasilien auf ihrer neuesten Rangliste über Medienfreiheit vom 75. Platz im Vorjahr auf die 84. Position heruntergestuft. Denn Gewalttaten gegen brasilianische Journalisten nehmen deutlich zu. In keinem Land der Erde sind zudem mehr Gerichtsprozesse gegen Journalisten im Gang. Erst kürzlich wurde an der Peripherie Brasilias ein Attentat auf den Reporter Amaury Ribeiro verübt, der wie Carla Rocha anschauliche Analysen über die Slum-Diktatur publizierte und deshalb Morddrohungen erhielt.
„Eine solche Serie zu schreiben, ist für mich auch Kampf für Menschenrechte“, sagt Carla Rocha gegenüber „Berliner Journalisten“ zu ihren Motiven. „Millionen leben in einer grauenhaften Realität, die viele Bessergestellte hier in Brasilien und auch im Ausland einfach nicht sehen wollen, einfach verdrängen. Ich kann das nicht, ich will diese Zustände ändern, wenigstens dazu beitragen.“
Die Serie „Os Brasileiros que ainda vivem na Ditatura“ (Brasilianer, die noch in der Diktatur leben) macht fassunglos, verstört angesichts der auch von deutschen Medien, der Tourismuswerbung massiv gepflegten Brasilienklischees.
“In diesen Slumregionen der brasilianischen Millionenstädte“, so Carla Rocha, „gelten weder Gesetz noch Verfassung, nur das Diktat bewaffneter Gruppen. Der Staat ist nicht präsent und läßt zu, daß dort Verbrecherorganisationen, Gangsterbosse, paramilitärische Milizen die Regeln gewaltsam bestimmen. Wer sich den Normen widersetzt, wird sogar mit dem Tode bestraft, zerstückelt, lebendig verbrannt – auf diesen Microondas aus Autoreifen. Folter ist gängige Praxis – alles eine mittelalterliche Barbarei.“
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„Brasiliens Strafvollzug ist purer Wahnsinn!“/2008
Österreichischer Pfarrer und Gefangenenseelsorger Günther Zgubic: In Brasilien weiter Folter in allen Varianten
„Eine deutsche Frau wurde unglaublich mit Elektroschocks kaputtgemacht – psychisch, nervlich zerstört“
Ist Pfarrer Zgubic sprichwörtlich jener Rufer in der Wüste, dessen Botschaft nur zu viele ablehnen, um sich nicht von sozialromantischen Klischeevorstellungen über das Land von Karneval, Samba und Traumstränden trennen zu müssen? Wie hält der Mann das psychisch aus, fast täglich in der Hölle auf Erden Seelsorge zu leisten, die Leiden von über einer halben Million Gefangenen im Blick zu haben, unermüdlich für deren Rechte zu streiten, Augenzeuge so vieler nie gesühnter Blutbäder an Häftlingen zu sein? Und immer wieder einstecken zu müssen, daß offenbar in jener Weltregion, aus der er stammt, die meisten denken: Na und – mir doch egal! Zgubic wohnt, arbeitet in einem Armenviertel der Megacity Sao Paulo, bekommt Morddrohungen, wirkt wegen der neuesten Ereignisse noch angespannter, nervöser als sonst. Jeden Moment kann eine neue Welle blutiger Häftlingsrevolten in Brasiliens Gefängnissen losbrechen, die er mit nazistischen Konzentrationslagern vergleicht. „Was da drinnen passiert, ist Folter – eine deutsche Frau wurde unglaublich mit Elektroschocks kaputtgemacht, psychisch zerstört. Leute werden mit Schlagstöcken zusammengehauen, man schiebt Nadeln unter die Fingernägel, preßt Menschen mit dem Kopf in Wassereimer. Bis die Polizei merkt, er könnte sterben. Und dann wird ihm eine Chance gegeben: Willst du sprechen oder nicht?“ Laut Pfarrer Zgubic werden auf diese Weise viele zu Geständnissen gezwungen, bekennen sich viele unter der Folter zu Verbrechen, die sie gar nicht begangen haben. „Andere werden solange traktiert, bis sie falsche Zeugenaussagen machen, völlig Unschuldige schwer belasten.“ Das nenne sich dann gute schnelle Aufklärungsarbeit… Die totale Überfüllung der Haftanstalten nennt Zgubic „strukturelle Folter“, was endlich auch die UNO anerkannt habe. „Überfüllung heißt, weniger Essen und weniger ärztliche Betreuung – die Leute beginnen durchzudrehen, starten riesige Rebellionen.“ Wer dort lebend herauskommt, ist traumatisiert, hat nichts mehr zu verlieren. „Oft höre ich dann: Ein paar Polizisten umzulegen, ist das erste, was wir machen.“ In der Tat wird in Brasilien alle paar Stunden ein Polizeibeamter ermordet. Gerade hat das UNO-Hochkomissariat für Menschenrechte erneut Folter und Rassismus, Straflosigkeit und erschreckende Sozialkontraste in Brasilien angeprangert – Basisinformationen und Statistiken des Berichts stammen größtenteils von Pfarrer Zgubic, dem Leiter der nationalen Seelsorge, und seinen Mitarbeitern. Zynisch-ironisch hat ausgerechnet Staatschef Luis Inacio Lula da Silva auf überraschende Weise die Kritik von Zgubic, der UNO vollauf bestätigt. „Wenn man durch Zusammenschlagen die Leute erziehen könnte, dann müßte der Bandit das Gefängnis eigentlich als Heiliger verlassen“, rief Lula bei einer Kundgebung in Rio aus. Die oberste Autorität der größten Demokratie Lateinamerikas redet über Verbrechen des Staates, als sei es die natürlichste Sache der Welt, empörten sich Menschenrechtsaktivisten. In Deutschland, Österreich gäbe es bei derartigen Präsidentenworten einen öffentlichen Aufschrei – kurz darauf zeigt eine repräsentative Meinungsumfrage, warum dieser in Brasilien ausbleibt: Jeder vierte Brasilianer würde Verdächtige foltern, falls er Polizist wäre. Unter Beserverdienenden und Hochschulabsolventen sind sogar mehr als vierzig Prozent erklärte Folterbefürworter. Kein harter Schlag mehr für Zgubic und die „Christliche Aktion zur Abschaffung der Folter“(ACAT), mit Sitz in Frankreich. Seit Jahrzehnten wissen sie um diese traurigen Tatsachen. „In Brasilien“, so Sao Paulos angesehener Menschenrechtspriester Julio Lancelotti bereits vor Jahren im Interview, „existiert eine Sklavenhalterkultur und eine Kultur der Folter – ein Großteil der Brasilianer befürwortet Torturen, die Todesstrafe, die Herabsenkung des Strafmündigkeitsalters auf sechzehn, teils sogar vierzehn Jahre.“ Für die Kirche ist dies eine enorme Herausforderung – Überzeugungsarbeit, das Vermitteln christlicher Werte ähneln nur zu oft dem Schwimmen gegen den Strom. Denn auch manche Sicherheitsexperten äußern Verständnis für die Folter-Befürworter: Daß 26 Prozent durchaus Verdächtige foltern würden, reflektiere den Grad der Verzweiflung in einem Land mit jährlich über fünfzigtausend Morden, von denen nicht einmal fünf Prozent aufgeklärt würden. In Rio de Janeiro oder Sao Paulo ist der größte Teil des Stadtgebiets besonders für Ausländer ein No-Go-Area – nur zu viele, die sich dennoch in die gewaltgeprägte Slumperipherie wagten, haben dies mit dem Leben bezahlt.
Für die allermeisten europäischen Menschenrechtsorganisationen ist keineswegs ein Thema, daß in Brasilien häufig Frauen und Mädchen in überfüllte Männerzellen gesperrt und dann massenhaft vergewaltigt werden. Zgubic nennt neueste Fälle – all dies habe Tradition. „Wir wissen, daß beispielsweise im neunzehnten Jahrhundert Frauen und Männer, also Arme, Bettler und Arbeitslose in den Gefängnissen zusammengepfercht wurden.“ Zgubic bringt auf, daß auch heute besonders die armen Brasilianer kriminalisiert werden:“Wegen Bagatelldelikten, etwa des Diebstahls von umgerechnet drei Euro oder von ein paar Tellern im Supermarkt kommen nach wie vor Menschen jahrelang hinter Gitter.“ Aber Brasilien ist doch ein reiches Land, immerhin die zehntgrößte Wirtschaftsnation des Erdballs? Zgubic weist auf extreme, perverse Sozialkontraste, die auch von der UNO erneut verurteilt worden waren. „Armut wird vom Staat und von den Oberschichten produziert, die sich nie für einen Sozialstaat geöffnet haben – schuld ist ein Wirtschafts-und Konsumsystem, für das ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung schlicht überflüssig ist.“
Sao Paulo, die reichste lateinamerikanische Metropole, wird wegen der über tausend deutschen Unternehmen auch „größte deutsche Industriestadt“ genannt. Kaum zu fassen, dort auf unzählige Elendshütten und Lepra wie in Kalkutta zu treffen. „Für Gesundheit, Schulwesen, für sozialpolitische Programme in den Slums, fürs Justizwesen sind keine Mittel da. Man fragt sich dann, wer ist für all das verantwortlich?“
Brasiliens katholische Kirche protestiert dagegen, daß in der Stadt Sao Carlos bei Sao Paulo seit 1980 eine Straße nach dem berüchtigten Diktatur-Folterer Sergio Fernando Paranhos Fleury benannt ist, der eine Todesschwadron gegründet, Oppositionelle ermordet, im Auftrage eines großen Drogenbosses sogar Konkurrenten liquidiert habe.
Zahlreiche Brasilianer heißen ganz amtlich Hitler, Himmler, Eichmann – Straßen, Plätze und selbst ein Plenarsaal des Nationalkongresses sind nach Filinto Müller, dem von der GESTAPO ausgebildeten Chef der Politischen Polizei des Judenhassers und Diktators Getulio Vargas benannt. Die Prachtausgabe von Adolf Hitlers „Mein Kampf“, hier „Minha Luta“, ist ein Bestseller. Und Staatschef Lula machte bereits als Gewerkschaftsführer zur Diktaturzeit keinen Hehl aus gewissen Sympathien für Hitler:“Er irrte zwar, hatte aber etwas, das ich an einem Manne bewundere – dieses Feuer, sich einzubringen, um etwas zu erreichen. Was ich bewundere, ist die Veranlagung, Bereitschaft, Hingabe.“
Kein Zweifel, ein schwieriges Umfeld für kirchliche Bürgerrechtler wie Padre Zgubic. Immer wieder hatte er an Regierungen und Menschenrechtsorganisationen Europas appelliert, sich für die gravierenden Zustände in Brasilien zu sensibilisieren. Für die Fußball-WM 2006 in Deutschland hatte Zgubic angeregt, beispielsweise mit Spruchbändern auf die Lage im Lande des Favoriten Brasilien hinzuweisen. Auch da war er Rufer in der Wüste…
« Brasilien, Elitenkandidat Lula erfüllt Erwartungen:“Jeden Tag 164 neue Millionäre – der Zuwachs an Superreichen ist atemberaubend.“ (Handelsblatt) – Brasilien, Stefan Zweig und Judenhasser Getulio Vargas, Träger des Bundesverdienstkreuzes. Die engen Beziehungen von Vargas zur GESTAPO Adolf Hitlers. Stefan Zweig und die lukrativ gepflegten Brasilienklischees. »
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