Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Brasilien – die bischöfliche katholische Gefangenenseelsorge, das Massaker an Häftlingen der Strafanstalt Carandiru in Sao Paulo. Der österreichische Gefangenenpriester Günther Zgubic.

http://carceraria.org.br/rede-2-de-outubro-manifesta-se-sobre-julgamento-do-massacre-do-carandiru.html

http://carceraria.org.br/a-pastoral-carceraria-e-as-denuncias.html

http://carceraria.org.br/o-papa-francisco-torna-se-agente-da-pastoral-carceraria.html

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/05/11/brasiliens-katholische-gefangenenseelsorge-klagt-folter-total-uberfullte-gefangnisse-unter-der-rousseff-regierung-an-steigende-kriminalitat-in-sao-paulo-von-jeweils-171-menschen-einer-hinter-gitte/

Deutscher Bundespräsident Joachim Gauck 2013 in Brasilien – die gravierende Menschenrechtslage:

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/17/brasilien-historischer-besuch-des-deutschen-bundesprasidenten-joachim-gauck-im-tropenland-trotz-gravierender-menschenrechtslage-folter-todesschwadronen-gefangnis-horror-sklavenarbeit-etc-b/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/10/03/brasiliens-carandiru-massaker-an-haftlingen-in-sao-paulo-okumenischer-gedenkgottesdienst-der-katholischen-gefangenenseelsorge-die-massaker-und-blutbader-gehen-weiter/

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Padre Valdir Joao Silveira erläutert gegenüber den nationalen TV-Sendern die weiterhin gravierende Situation in den brasilianischen Gefängnissen.

“O massacre não terminou e continua em nossas periferias com chacinas de população de rua e pessoas pobres. Com o ato de hoje, queremos dar início a uma grande discussão, durante todo o ano, até completar os 20 anos do massacre, sobre a segurança que temos e a segurança que queremos.”

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/03/brasilien-der-gefangnishorror-die-menschenrechte-unsere-gefangnisse-sind-wahre-schulen-des-verbrechens-bemerkenswertes-eingestandnis-des-zustandigen-justizministers-der-regierung-von-prasiden/

Priester Günther Zgubic: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/04/25/brasilien-der-massaker-oberst-von-carandiru-und-der-katholische-menschenrechtspriester-gefangenenseelsorger/

http://www.welt-sichten.org/artikel/221/der-hoelle-hinter-gittern

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/04/22/brasilien-stark-umstrittener-prozes-gegen-die-todesschutzen-des-massakers-an-haftlingen-der-strafanstalt-carandiru-vom-oktober-1992-katholische-gefangenenseelsorgeweiter-massaker-auf-den-strasen/

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Ausriß, Radio Vatikan. “Die Stimme des Papstes und der Weltkirche”. “Brasilien: Kirchliche Menschenrechtler enttäuscht über Merkel”. Österreichischer Priester Günther Zgubic, Plinio Sampaio…

Verhöhnung der Opfer

Brasiliens Prozeß-Farce um das Massaker an offiziell 111 Häftlingen von 1992

Katholische Gefangenseelsorge: „Weiter Blutbäder  in den Gefängnissen“.

Ungezählte Christen des Tropenlandes sind derzeit wütend und empört – soll das Gerechtigkeit sein? Über 20 Jahre nach dem größten Gefängnis-Massaker der Weltgeschichte bequemt sich die brasilianische Justiz zu einem ersten Teilprozeß, verurteilt 23 von insgesamt 79 angeklagten Militärpolizisten zu jeweils 156 Jahren – wegen der Tötung von 13 Gefangenen. Alle Polizeibeamten waren bisher auf freiem Fuß – und bleiben es  weiter. Bis ihre Berufung durch sämtliche Instanzen beim Obersten Gericht in Brasilia landet, vergehen laut Rechtsexperten mindestens zehn Jahre. Und sollten die Verurteilten dann tatsächlich hinter Gitter kommen, wäre es laut brasilianischen Gesetzen de facto nur für höchstens fünf Jahre.

Und auch das noch: Erst nach zwanzig Jahren haben die Klagen von Angehörigen der Toten Erfolg, werden jetzt erste Entschädigungen ausgezahlt. Wer großes Pech hatte und an ein sehr unsensibles Gericht appellierte, bekommt nach all dem Erlittenen, dem Verlust des Ehepartners und Vaters der Kinder umgerechnet nur 260 Euro(!), die mit weniger Pech erhalten 26000 Euro, einige mit „Glück“ maximal 65000 Euro. Fast alle anspruchsberechtigten Hinterbliebenen sind Slumbewohner, ein Teil verstarb bereits, viele sind im Katenlabyrinth der über 2600 Elendsviertel allein der Megacity Sao Paulo nicht mehr auffindbar.

Am 2. Oktober 1992  watet der österreichische Priester und Gefangenenseelsorger Günther Zgubic bis zu den Knöcheln im Blut, sieht 160 der von ihm betreuten Häftlinge durch Mpi-Salven zersiebt oder von Polizeihunden zerrissen.

Zgubic hört von einem brutalen Polizeieinsatz gegen Gefangene der mitten in Sao Paulo gelegenen Anstalt Carandiru, die bei einem Fußballspiel in Streit gerieten, rennt sofort los, ist kurz nach dem Massaker einer der ganz wenigen nicht zum Staatsapparat gehörenden Zeugen, die das ganze Ausmaß des Grauens sehen – bevor eine großangelegte Verschleierungskampagne anläuft, der Tatort gereinigt, „geschönt“ wird. Über 5000 Schuß werden auf die völlig unbewaffneten Häftlinge abgefeuert, bis sämtliche Munition aufgebraucht ist.

Priester Zgubic, der längst nicht bis zu allen Zellen vordringen kann, spricht damals  von über 200 Massaker-Opfern in dem mit mindestens 8000 Häftlingen total überfüllten Gefängnis – liest Tage später die offizielle Totenzahl – 111. Hat er übertrieben?

Jetzt, im Prozeß, sagt Ex-Häftling Antonio Carlos Dias, Zeuge der Anklage: „Aus einem einzigen Stockwerk sind über 100 Tote abtransportiert worden – die Zahl der Massaker-Opfer war doppelt so hoch. Jene 111 waren doch nur jene Personen, die Familie hatten, regelmäßig Besuch bekamen.“

Offiziell ist von einem blutigen Häftlingsaufstand die Rede, grausamer Abrechnung zwischen verfeindeten bewaffneten Gruppen – ist das harte Vorgehen der Beamten da nicht verständlich? Die Verteidigerin der 23 Verurteilten: „Es war eine legitime Aktion – die Polizisten erfüllten ihre Pflicht, haben absolut nichts zu bereuen!“

Der damalige Carandiru-Sicherheitsdirektor  Moacir dos Santos hält dagegen:“Es gab keine Revolte, nur einen geringen Streit unter Insassen. Wir von der Gefängnisleitung machten mit der Polizei aus, daß zuerst mit den Häftlingen verhandelt wird. Doch die Sondereinheit bricht das Abkommen, dringt ins Gefängnis ein, feuert sofort mit Maschinenpistolen – die meisten Männer werden in ihren Zellen erschossen.“

Wer in dem Gefängnistrakt überlebt, so die Zeugenaussagen, muß die blutigen Leichen der Zellenkameraden heraustragen – und wird hinterher zwecks Ausschaltung lästiger Mitwisser ebenfalls erschossen. Einer entkam:  „Ich sollte zum Schluß noch eine einzelne Leiche heruntertragen und sah, daß es mein Zellenkollege war, der mit mir Massaker-Leichen geschleppt hatte. Da dachte ich, jetzt liquidieren sie mich auch.“

Ein anderer Ex-Häftling vor Gericht:“Um mich zu retten, habe ich mich unter Leichen versteckt – deren Blut rann über meinen Körper.“

Padre Günther Zgubic rechnet wie die gesamte bischöfliche Gefangenenseelsorge mit zügigen Ermittlungen gegen den politisch verantwortlichen Gouverneur,  den Polizeiobersten Ubiratan Guimaraes, der den Einsatz leitete, sowie gegen alle Todesschützen – und mit einem baldigen Prozeß. Doch nichts geschieht – Oberst Guimaraes zieht allen Ernstes mit der Kandidatennummer 111, jener amtlichen Zahl getöteter Häftlinge, in den Wahlkampf, wird Abgeordneter. Als man ihn neun Jahre nach dem Blutbad zu 632 Jahren verurteilt, genießt er parlamentarische Immunität.

2006 sind Seelsorger Zgubic sowie Menschenrechtspriester Julio Lancelotti als Zuhörer im  Gerichtssaal von Sao Paulo – denn Oberst Guimaraes fordert gar die Annullierung seiner Gefängnisstrafe. Undenkbar? Die Richter sprechen ihn tatsächlich frei – entsetzt und bleich teilen Zgubic und Lancelotti den vorm Gerichtsgebäude wartenden Menschenrechtsaktivisten das Ergebnis mit. Als „Lizenz zum Töten“ wird es interpretiert – wer bei den wegen grauenhafter Überfüllung immer häufigeren Häftlingsaufständen drauflosfeuere, Morde begehe, könne mit Straffreiheit rechnen. Denn seit dem Massakerjahr 1992  ist die Zahl der brasilianischen Gefangenen von 90000 auf über eine halbe Million(!) angewachsen.

Aber hatte Ex-Gewerkschaftsführer Lula nach seiner Wahl zum Staatschef nicht Gerechtigkeit, strikte Einhaltung der Gesetze versprochen? Warum kam es während seiner Amtszeit zwischen 2003 und 2010 aber  dennoch nicht zum Prozeß, trotz internationalen Drucks? Ein Blick auf den politischen Kontext spricht Bände: Jener Massakeroberst Guimaraes versteht sich bestens mit den brasilianischen Machteliten,  gehört zur Rechtspartei PTB, die Lula zu seinem Regierungspartner erwählt. Lula vergibt an PTB-Politiker sogar Ministerämter und andere hohe Posten. Einer, der Ex-Offizier, Diktatur-und Folterbefürworter Jair Bolsonaro, wird sogar Mitglied der Ausschüsse für Verteidigung und Außenpolitik, findet das Carandiru-Blutbad völlig in Ordnung und sagt öffentlich gegenüber der Presse:“Ich bin weiterhin der Meinung, daß man die Möglichkeit ungenutzt ließ, dort drinnen tausend zu töten.“ Derzeit ist Bolsonaro Vizechef der Menschenrechtskommission des brasilianischen Parlamentes – schlecht für die Bürgerrechtsbewegung des Tropenlandes.

Der für das Massaker politisch verantwortliche Gouverneur wird nicht mehr angeklagt, Massakeroberst Guimaraes fand ein bizarres Ende: 2006 wird er unter nie geklärten Umständen mutmaßlich von seiner Freundin, einer gewieften Anwältin, aus Eifersucht in der Wohnung erschossen – sie später in einem widerspruchsvollen Gerichtsprozeß „aus Mangel an Beweisen“ freigesprochen.

Das Blutbad und der jahrelange Kampf für eine Bestrafung aller Schuldigen hat den Mitgliedern der katholischen Gefangenenseelsorge nur zu oft den Schlaf geraubt – doch jetzt, nach den ersten Urteilen, empfinden sie keinerlei Genugtuung. Denn ob, wie angekündigt, die restlichen 56 Todesschützen  im Dezember tatsächlich vor Gericht gestellt werden, bleibt abzuwarten. Was die „Pastoral Carceraria“ am meisten bedrückt: „Die Massaker in den Gefängnissen,  auf den Straßen gehen auch heute, mit Wissen des Staates weiter“, heißt es in ihrer Erklärung.

Das Großgefängnis Carandiru, mitten in Sao Paulo, wurde abgerissen – die Häftlinge verlegte man in zahlreiche kleinere Anstalten weit im Hinterland des Teilstaats – wo es für die Gefangenenseelsorge viel schwieriger ist, Zutritt und Informationen zu erhalten. „Was heute in diesen Gefängnissen mit über 200000 Häftlingen geschieht, weiß man nicht“, schreibt nicht zufällig „Folha de Sao Paulo“, größte Qualitätszeitung des Teilstaats.

Padre Lancelotti, der in Sao Paulo zugleich das weltweit einzige bischöfliche Vikariat für das Heer der Obdachlosen leitet, hält sein Engagement für die Menschenrechte trotz der Rückschläge und Niederlagen nicht für vergebens: ”Es ist ein Akt des Widerstands und der Hoffnung, daß die Gerechtigkeit eines Tages siegen wird. Ich glaube, es ist uns gelungen, wenigstens einigen Menschen unsere Position zu verdeutlichen. Wir wissen, daß unsere Arbeit weiterhin sehr schwierig und aufreibend sein wird. ” Auch Lancelotti wirkt unter Lebensgefahr, erhält Morddrohungen, war bereits Ziel von Anschlägen.

http://www.hart-brasilientexte.de/2012/07/27/brasiliens-katholische-kirche-lula-arbeiterpastoralfuhrer-waldemar-rossi-amazonasbischof-erwin-krautler/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/08/31/renommierte-brasilianische-menschenrechtsaktivisten-fotoserie/

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/03/07/der-brasilianische-krieg-a-guerra-brasileira-allgemeines-gemetzel-was-die-grose-qualitatszeitung-o-globo-in-rio-de-janeiro-zum-internationalen-frauentag-als-aufmacherthema-wahlt/

Dieser Beitrag wurde am Freitag, 17. Mai 2013 um 23:14 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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