Wessen Konzerte arten jedesmal in tropisch-karnevaleske , zirzensische Happenings aus und haben dennoch philosophisch-politischen Tiefgang? Konzerte, bei denen sich das Publikum wie wild amüsiert, mitmacht, tanzt und trotzdem nachdenklich nach Hause geht, mit ein paar subversiven Ideen im Hinterkopf?
http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/04/rua-oscar-freire-sao-paulo-gesichter-brasiliens/
Das bringt nur einer fertig – der stets selbstironisch-selbstkritische, fröhliche Tom Zé aus der Megametropole Sao Paulo, experimentierfreudigster Komponist des Landes. Er stammt aus dem winzigen Dorf Iraré in Bahia, studierte bei dem vor den Nazis nach Brasilien geflüchteten Paul-Hindemith-Schüler Hans-Joachim Koellreutter Musik, führte mit Gilberto Gil, Caetano Veloso, Gal Costa und anderen die künstlerisch-musikalische Erneuerungsbewegung „Tropicalismo”, mitten in der Diktaturzeit. Und dann das – der rebellischste, kreativste Tropikalist von allen, der als einziger den Idealen der Bewegung wirklich treu bleibt, fällt für zwei Jahrzehnte in Vergessenheit, wird vom Musikmarkt geschnitten. Bis David Byrne von den Talking Heads rein zufällig zum Wiederentdecker wird, in den USA mehrere Tom-Zé-Alben herausbringt. Und die Musikzeitschrift „Rolling Stone” eines davon in die Liste der 150 besten CDs der neunziger Jahre aufnimmt. Keinem anderen Brasilianer widerfuhr diese Ehre.
„Ich bin in Bahia aufgewachsen und habe seit meiner Kindheit Thomas Mann gelesen, der ist mein Lieblingsautor bis heute. `Joseph und seine Brüder` zum Beispiel habe ich bestimmt schon fünf, sechs mal gelesen. Mein Opa hat Tabak nach Deutschland exportiert, der dort richtig berühmt war. Thomas Mann spricht ja an bestimmten Stellen über Zigarren, erwähnt dabei sogar die aus Cachoeira in Bahia. 1953 habe ich mit meiner ersten Freundin im Auto des deutschen Aufkäufers, eines Herrn Becker, herumgeschmust, der immer mal zu uns kam. Während des zweiten Weltkriegs hat man dessen Frau hier eingesperrt, weil sie Deutsche war “ damals wurden die Deutschen hier ja verfolgt. Mein erstes Konzert in Deutschland gab ich in Ostberlin. Ich fuhr dorthin von Paris aus mit dem Auto, kam nachmittags im Nebel an und hatte eine regelrecht kosmische Angst “ denn die ganze Kindheit galt Berlin für mich immer als Zentrum des Horrors, der Unmenschlichkeit. Und auf einmal fahre ich dorthin mit dem Auto! Ich hatte Horrorgefühle, es war nicht zu glauben! In Ostberlin habe ich diese großen Alleen bewundert, fand die Stadt angenehm. Was für eine Überraschung – denn ich dachte, in Deutschland ist alles finster, unheimlich, furchtbar, die Deutschen inbegriffen. Und dann auf einmal so sympathische Leute dort! Für mich gibt es zwei sympathische Völker in Europa – nach den Italienern sind das zu meiner eigenen Überraschung die Deutschen. Die sind liebevoll – sogar diese Riesen, diese so ernsten, auch die, die so brummig-verschlossen erscheinen. Alle sind dermaßen höflich – wir haben dort nur wunderbare Erfahrungen gemacht. Also wirklich, Italiener und Deutsche sind die sympathischsten in Europa. Die Franzosen, das weiß man ja, sind unerträglich – der Herr verzeihe mir! Meine Texte sind häufig eine Art Dadaismus. (Singt) Dalaque, tac-tac…Als ich in Brasilien in Vergessenheit geriet, habe ich sehr gelitten, mich aber nie aufgegeben und auch nie beklagt. Denn ich wußte einfach nicht, ob meine Musik denn wirklich gut war. So ab 1973 dachte ich, meine Musik sei zu schwierig, zu schlecht gemacht, da sie ja keiner wollte. Das tat mir weh. Und dann kauft David Byrne zufällig in Rio de Janeiro diese Platte „Estudando Samba”, von der, als sie herauskam, kein Mensch Notiz genommen hatte. Durch David Byrne kam ich mit dieser Platte wieder mit der Welt in Kontakt. Nur deshalb arbeite ich jetzt nicht in einer Tankstelle in meinem Heimatort Irarà . Was hatte ich mich geschämt, daß ich keinen Erfolg hatte, mich deshalb die Leute so anschauten. Warum packt der es denn nicht? Und dann bin ich plötzlich in der US-Billboard-Hitparade. Ich las das wie die Bibel “ ich sozusagen in der Bibel! Meine Musik ist eben anders “ trotz des Erfolgs in den USA und Europa wurde ich erst ab 1998 hier wieder als brasilianischer Musiker wahrgenommen. Dabei sind meine experimentellsten Musiken Sambas! Toc-toc-toc…Ich bin weiterhin ein experimenteller Tropikalist. Nicht weil ich besser bin als die andern, sondern weil ich andere Sachen einfach nicht kann. Ich kriege einfach keine wunderschönen Melodien hin, die die Leute in ihrem beschaulichen Leben singen. Meine Inspiration ist diese Stadt, sind die gesellschaftlichen Widersprüche hier. Ich bin schließlich Schüler von Hans-Joachim Koellreutter, von Ernst Widmer “ ich bin Schüler des praktisch-klassisch-mathematischen Deutschland! Ich bin kein Genie, arbeite manchmal 16 Stunden am Tag. Aber wenn die Sachen fertig sind, hasse ich richtig Musik, habe ich einen Horror davor! Ich bin eigentlich eine emotional unreife Persönlichkeit und suche mich durch meine Arbeit im Gleichgewicht zu halten. Ich will die Wahrheit über Dinge sagen, die ich für ungerecht halte. (Singt)Ja, mein Lied über Sao Paulo “ soviel Schmerz, soviel Liebe! In diesem Lied sage ich: Es sind zwanzig Millionen Einwohner, aus allen Ecken, aus allen Nationen, die sich gegenseitig mit aller Höflichkeit verletzen, die wie unter Hochdruck durch die Stadt rennen, sich mit allem Haß lieben, und mit ganzer Liebe hassen. Ein Haufen Einsamkeit. Tausend Schornsteine und luftverpestende Autos. Kurios, daß damals, als ich das Lied schrieb, die Luftverpestung erst als Gefahr drohte. Heute ist es tatsächlich eine, ist verantwortlich dafür, daß viele Leute teils schwere Krankheiten haben. Brasilien ist ein reiches Land, doch wir haben Misere. Wieso sind nur die Reichen dermaßen blöd, daß sie immer noch mehr haben, noch reicher werden wollen, obwohl sie doch nicht einmal mehr frei auf der Straße laufen können. In Deutschland, in der Schweiz ist alles ausgeglichener “ hier dagegen haben wir sehr Reiche und sehr Verelendete. Wenn du hier etwas Geld in der Schublade hast, muß du das vor allen verheimlichen. Wenn das dein Nachbar wüßte, würdest du am nächsten Tag überfallen. Die in Deutschland machen sich doch einfach keinen Begriff, wie das hier in Sao Paulo oder in Rio ist. Ich mache Psychoanalyse, habe deshalb ein klinisches Auge für die Politik “ ich lebe dank der Psychoanalyse “ Freud hält mich aufrecht! Wir sind eine junge Nation, mit einer Physiognomie ohne klare Konturen “ wir sind eine Art Vorentwurf eines Menschen, also gesellschaftlich gesehen. Und einer der kuriosesten Aspekte ist, daß wir Sympathien für Dinge hegen, die wir eigentlich nicht wollen. Das ist natürlich, das gibts viel in der Geschichte der Nationen. Jeder deutsche Politiker hätte dafür tausend Beispiele parat. Unser großer Bildungsexperte Paulo Freire, von der Diktatur verfolgt und eingesperrt, schuf den Begriff „den Unterdrücker freundlich wie einen Gast aufnehmen” “ das definiert Brasilien. Das bedeutet “ man sieht den Unterdrücker agieren, lernt dessen Methoden und Techniken kennen. Doch wenn dann auf einmal jemand Akteur der Geschichte sein kann, handelt er genau wie zuvor der Unterdrücker! Das ist Brasilien! Er handelt wie der Unterdrücker, weil er ja nur dessen Methoden kennt. Er hat den Unterdrücker in sich. Das ist unsere Tragödie, unsere Tragikomödie! Ich war schon mal Konzertkritiker von Karl-Heinz Stockhausen. Brasilien hat überall im Lande die verschiedensten Folklore-Stile, die verschiedensten Tänze, Improvisationen. Diese Folklore ist wie eine eigene Weltanschauung, wie es die Deutschen nennen würden “ habe ich das deutsche Wort „Weltanschauung” jetzt richtig ausgesprochen? Diese Folklore hat eine eigene Philosophie, eine eigene Metaphysik, ist  wie eine andere Konzeption des Universums “ es erschauert mich richtig, wenn ich sowas sage. Überall kleine kulturelle Zellen sozusagen in Brasilien, ein unglaublicher Reichtum. Man sagt, Brasilien habe keine Erdbeben. Lüge! Das Land wird ständig erschüttert durch die Kraft seiner Folklore. Wir armseligen Komponisten machen eigentlich nichts weiter, als aus dieser reichen Folklore zu zitieren. Obwohl es natürlich auch die Wegwerfmusik gibt “ das ist das andere Brasilien. Wenn du etwa nach Pernambuco im Nordosten reist, wenn du es überhaupt verstehst, hier die richtigen Orte auszuwählen, die richtigen Platten zu kaufen, wirst du in allen Regionen außerordentliche Dinge finden. Aber wenn du TV glotzt und siehst, was da angepriesen wird als d i e Musik von  Rio, Bahia, Sao Paulo “ da findest du nur Mist und Schrott.”
« Brasilien: Erschießung des Landlosen-Aktivisten Elton Brum, Folterung von Kindern – YouTube-Video über Räumungsaktion der Militärpolizei von Rio Grande do Sul. „Policia torturou criancas, diz Governo“. (Folha de Sao Paulo) Bischofskonferenz zur Menschenrechtslage unter Lula. „Se porrada educasse as pessoas, bandido saia da cadeia santo.“ (Lula) José Zapatero, EU-Ratspräsident. – Jüdische Organisation ADL bezichtigt Zelaya des Antisemitismus. Radio-Globo-Chef von Honduras, pro-Zelaya: „Es gibt Momente, wo ich mich frage, ob Hitler beim Eliminieren dieser Rasse mit dem famosen Holocaust richtig handelte oder nicht.“ Antisemitismus in Lateinamerika. »
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