Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Oded Grajew und Priester Jaime Crowe aus Irland über den Zustand Sao Paulos im Jahr 456 nach der Gründung. Tom Zé, Sampa, Weltsozialforum 2010.

Analyse: http://colunistas.ig.com.br/luisnassif/2010/01/25/o-movimento-nossa-sao-paulo/

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Priester Jaime Crowe im Viertel Jardim Angela.

Oded Grajew: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/22/warum-kopenhagen-scheiterte-weltsozialforum-erfinder-oded-grajewdie-regierenden-unterwarfen-sich-der-okonomischen-macht-die-ihre-wahlkampagnen-finanziert-diese-politiker-sind-angestellte-inter/

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Sao Paulos Bürgermeister Gilberto Kassab von der Rechtspartei DEM.

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/25/sao-paulo-die-hymne-von-tom-ze-originalvideo-anklicken-parabens-sao-paulo-456/

Hintergrund Jaime Crowe(2006)

Gemeindepfarrer im Kampf gegen die Gewalt

 Der Ire Jaime Crowe  wirkt seit etwa 40 Jahren als katholischer Priester an der unüberschaubaren, riesigen Slumperipherie von Sao Paulo. Das ist die drittgrößte Stadt der Welt mit über tausend deutschen Firmen, zudem Lateinamerikas Wirtschafts-und Kulturmetropole, von bizarren Sozialkontrasten gezeichnet. Im Elendsviertel Jardim Angela engagierte sich Crowe als Gemeindepfarrer erfolgreich gegen die ausufernde Gewalt, gegen den Terror der rivalisierenden Banditenmilizen des organisierten Verbrechens. In Brasilien werden jährlich über fünfzigtausend Menschen umgebracht, mehr als in den meisten Konfliktgebieten der Welt. „Ich bin Irländer und vergleiche deshalb die Lage mit dem Bürgerkrieg in Nordirland. In dreißig Jahren, von 1969 bis 1999, forderte er dreitausend Menschenleben, also etwa einhundert pro Jahr. Das war in einer Kriegssituation. Hier sind wir eigentlich in einer Friedenssituation. Doch jährlich wurden im Viertel Jardim Angela etwa fünfhundert Menschen umgebracht, handelte es sich um einen nichterklärten Bürgerkrieg, einen Genozid.  Die UNO hatte Jardim Angela, wo über dreihunderttausend Leute leben, 1996 zur gewalttätigsten Region der Erde erklärt. Jetzt ist hier endlich der Staat präsent. Das haben wir durch Druck und die Mobilisierung der Zivilgesellschaft erreicht. Seit 1996 haben wir die Zustände an die Öffentlichkeit gebracht, Forderungen gestellt, das Forum zur Verteidigung des Lebens gegründet. Etwa hundert Organisationen machen mit. Ob öffentliche Sicherheit oder Gesundheit “ der Staat kümmerte sich überhaupt nicht um diese Region, es gab früher nicht einmal Polizei. Noch 2002 hatten wir nur sechs Gesundheitsposten für die dreihunderttausend Bewohner und drohten deshalb den Autoritäten mit einer Klage. Das hat sie erschreckt. Ein halbes Jahr später hatten wir statt der sechs schon 26 Betreuungsstellen. Ein Hospital ist im Bau. Polizei hierher zu holen, war ebenfalls ein Kampf. Jetzt wurde in Jardim Angela ein Bataillon der Militärpolizei stationiert, haben wir hier ständig über sechshundert Beamte im Einsatz. Ich war seit jeher in der Politik aktiv, streite mich auch mit den Autoritäten persönlich, fordere den Rechtsstaat auch für Jardim Angela. Denn es gibt ja die nötigen Gesetze “ nur werden sie vom Staat gerade zugunsten der Slums nicht angewendet. Dialog hat bewirkt, daß die Polizisten jetzt anders vorgehen. Wenn sie einen Jugendlichen mit Drogen erwischen, bringen sie ihn nicht mehr zur Wache, sondern in unser Projekt für Suchtbehandlung. Und fängt ein Heranwachsender mit Raub und Überfällen an, liefern sie ihn bei unserem Projekt für gefährdete Jugendliche ab. Im Forum zur Verteidigung des Lebens diskutieren wir und die Bewohner regelmäßig mit dem Regionalbürgermeister, den Polizeichefs, den Schuldirektoren, den Verantwortlichen der Gesundheitseinrichtungen. Das hat sich im Alltag deutlich ausgewirkt, die Gewaltrate ist stark zurückgegangen. 2002 wurden monatlich noch um die fünfzig Menschen umgebracht. Wegen Karneval und Ferien mit Alkohol und Drogen sind die Monate Januar, Februar und März immer die schlimmsten. Doch in diesem Jahr hatten wir siebzig Tage lang überhaupt keinen Mord, im September gerade mal zwei. Dieser Erfolg ist die Summe vieler kleiner Aktionen. Viele Leute gratulieren uns jetzt “ früher wollte man uns einschüchtern. Man sagte, haltet den Mund, ihr macht nur das Viertel schlecht. Die Medien stellen mich immer heraus “ aber ich mache die ganze Arbeit ja nicht alleine. Wir haben doch viele gute Leute hier. Auch Gandhi hat nicht alles alleine erreicht. Doch ich streite nicht ab, daß ich die Dinge hier artikuliere, in einem fähigen Team. Polizeipräsenz, Entwaffnungen, unsere Friedensbotschaften haben eine neue Mentalität geschaffen. Doch wir dürfen nicht nachlassen, denn unglücklicherweise bestehen die Ursachen ja weiter. Die hohe Arbeitslosigkeit stürzt die Leute ins Elend. Dazu die fehlenden Wohnungen, der weiter florierende Drogenhandel. Wir haben eine Kultur der Gewalt und Korruption im Lande, die tief verwurzelt ist. Drogen sind zwar verboten, doch gibts die dennoch an jeder Ecke. Wir kümmern uns um die Süchtigen, legen uns aber mit der Drogenmafia nicht an. Das ist Sache der Polizei. Wir fordern nur, die Gesetze endlich anzuwenden. Ich weiß, wo Rauschgift gehandelt wird, die Polizei weiß es viel besser. Aber warum bleibt sie untätig? Auch gegen die Banditen brauchte nur das Gesetz angewendet zu werden. Wir leben nun einmal hier in Brasilien in dieser Korruptionskultur. Will ich an der Tankstelle einen Beleg über das gekaufte Benzin, fragen die mich, welche Summe möchten sie denn, Herr Pfarrer? Die wissen, daß ich Geistlicher bin, sehen mich aber als potentiellen Dieb, der sich dann hinterher aus der Gemeindekasse mehr rausgeben läßt, als er ausgegeben hat. In den Imbißstuben das gleiche Spiel. Und in der Politik läuft es leider ebenfalls so. Von unserer Regierung, der Arbeiterpartei hatte ich allerdings nicht erwartet, daß sie von einem derartigen Korruptionsskandal heimgesucht würde. Viele verfuhren nach dem Motto, der Zweck heiligt die Mittel “ um an die Macht zu kommen, ist alles erlaubt. Hier von der Slumperipherie Sao Paulos aus gesehen, ist das sehr enttäuschend und beklagenswert. Doch wir dürfen unsere Träume nicht aufgeben.“

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Dieser Beitrag wurde am Montag, 25. Januar 2010 um 22:43 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur, Naturschutz, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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