http://das-blaettchen.de/2008/02/karneval-in-leipzig-und-rio-6222.html
Joao Carlos Martins, Leipziger Bach-Jury-Mitglied, international bekannter Bach-Experte, dirigiert mal kein Bach-Orchester, sondern die Bateria von Vai-Vai.Die Website begleitete natürlich auch die Proben der Sieger-Sambaschule Sao Paulos.
Samba-Enredo anklicken, anhören: http://www.vaivai.com.br/samba2011.asp?id=90
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/02/25/vai-vai-ensaio-2011-gesichter-brasiliens-2/
Siegerparade von Vai-Vai: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/12/johann-sebastian-bach-aus-leipzig-im-karneval-von-brasilien-sao-paulos-sieger-sambaschule-von-2011-vai-vai-auf-der-abschlusparade-fotoserie/
Os Morenos – Marrom Bombom: http://www.youtube.com/watch?v=XrbyAl4WGWA
http://www.vaivai.com.br/carnaval2011.asp
Deutscher Dokumentarfilm über den brasilianischen Pianisten Joao Carlos Martins
Die Kölner Regisseurin Irene Langemann hatte eigentlich vor, die faszinierende Lebensgeschichte jenes brasilianischen Starpianisten Joao Carlos Martins aus Sao Paulo zu zeigen, der plötzlich nur noch mit der linken Hand spielen konnte – doch das mit jahrelangem Erfolg, sogar neuen Plattenaufnahmen. Stattdessen wurde es ein über eineinhalbstündiger Dokumentarfilm mit überraschendem Ende – der zweiundsechzigjährige Martins kann auch die linke Hand nicht mehr benutzen, muß aufhören. Abschied von der Musik? Keineswegs – ein Neuanfang folgt, der ihn auch immer wieder nach Deutschland führen wird. Der Streifen war 2004 erstmals in Deutschland zu sehen. Joao Carlos Martins – auch in Deutschland keineswegs ein Unbekannter – seine 21 CDs mit sämtlichen Klavierwerken Bachs sind auch hier im Handel – zudem war er als erster Ausländer Jurypräsident beim Bach-Nachwuchswettbewerb in Leipzig.
Joao Carlos Martins, einer der größten Bachinterpreten der Welt, sitzt nachdenklich, reflektierend am geliebten Piano, schlägt lediglich mit einem einzigen Finger der rechten Hand eine Melodie an – mehr geht nicht mehr – das ist das Aus seiner Pianistenkarriere, so endet der Film von Irene Langemann, der vom WDR und der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen gesponsert wurde. Nachdenklich, reflektierend sitzt Martins dieser Tage auch im Kölner Dom, hat gerade den Streifen bei der Abnahme zum ersten Mal gesehen.
“Da floß mein ganzes Leben vorüber, meine Probleme, meine Dramen, die Höhen und Tiefen. Aber ich sage immer, nur der wird im Leben wirklich wachsen, der auch das Scheitern kennt, der schon einmal abgestürtzt, tief gefallen ist. All das ging mir im Kölner Dom durch den Kopf – vor allem aber, daß mir dieser Film, die vielen Wochen der Dreharbeiten geholfen haben, einen Neuanfang zu finden, die Musik nicht aufzugeben.“
Jäh abgestürzt ist Martins weißgott nicht nur einmal. Mit zwölf Jahren gibt er die ersten Konzerte in Brasilien, mit zwanzig spielt er zum ersten Mal in der New Yorker Carnegie Hall. 1967 verletzt er sich ausgerechnet beim Fußballspielen den Ellenbogennerv schwer – sieben Jahre Zwangspause. 1985 eine seltene Krankheit in der rechten Hand, schmerzhafte Operationen, weitere acht Jahre ohne Piano – doch danach wieder ein großartiges Comeback, immer auch in der Carnegie Hall. In den Zwangspausen macht Martins in diesem Land der Dritten Welt nahezu alles – ist Boxmanager, veranstaltete Rockkonzerte, , sogar Shows mit Affen. Ist danach Bankier, Bauunternehmer, Kulturminister des Teilstaats Sao Paulo, Schatzmeister eines Politikers. Beschafft ihm eine Firmenspende, damals noch illegal, wird ertappt, landet beinahe im Gefängnis. 1995 schlagen ihm in Sofia Straßenräuber mit der Eisenstange den Schädel ein – das Gehirn schwer verletzt, eine Körperhälfte für acht Monate gelähmt. Weil wegen der starken Schmerzen die Nerven der rechten Hand durchtrennt werden müssen, spielt er nur noch mit der linken. Aber das mit Bravour, ob Bach ode Ravel.
“Während der Dreharbeiten mit Irene Langemann habe ich mich für die Dirigentenlaufbahn entschieden – werde noch dieses Jahr zum ersten Mal hier in Sao Paulo mit einem Orchester auftreten – und im nächsten Jahr in Europa schon die sechs Brandenburgischen Konzerte von Bach aufnehmen. Ein aufregender Moment in meinem Leben. Denn ich versuche erstmals, meine Gefühle, Stimmungen auf die Musiker zu übertragen – und das ist etwas völlig anderes, als Emotionen über ein Piano auszudrücken, das ich selber spiele. Wir werden sehen, was passiert. Natürlich konzentriere ich mich auf die Barockmusik, habe zu ihr die größte Affinität. Außerdem kann ich damit hier in Brasilien eine Lücke füllen.“
Derzeit bildet Martins zudem in Sao Paulo sein eigenes Orchester, hält in den Vereinigten Staaten, aber auch in Europa Vorträge – über seine Deutung, seine Interpretation der Werke von Bach.
“Mit diesem Bach habe ich die verrücktesten Dinge erlebt“, sagt Martins lachend, „dessen Musik ließ mich abheben. Aber man weiß ja von Bach, daß es ihm mit seiner eigenen Musik genauso ging – für mich ist er der größte Genius, den die Menschheit hervorgebracht hat.“
Aber wo lernt Martins jetzt eigentlich Dirigieren? An einer Universität Sao Paulos, die ihn zum Direktor der Musikfakultät berief.
“Dort bin ich zwar auch Dozent, aber studiere zudem, wie die ganz Jungen, wie man mit dem Taktstock umgeht – als Fakultätsdirektor – sicher ein kurioser Fall.“
Aber für einen so vielseitigen, auch sehr politischen Menschen wie Martins ist das noch nicht alles. Er lebt in der drittgrößten Stadt der Welt, der reichsten Südamerikas, mit kleinen Nobeldistrikten wie in Mitteleuropa, doch riesigen Slums wie in Afrika oder Asien. Enorme soziale Konflikte, jeden Monat weit über achthundert Morde. All das für Martins eine Provokation.
“In diesem Moment der Reflexion habe ich auch beschlossen, mich den sozialen Problemen hier zu widmen, arbeite seit vier Monaten mit jugendlichen Verbrechern, die in Anstalten einsitzen, will sie mit den Mitteln der Musik in die Gesellschaft reintegrieren. Ich glaube, mit Musik gelingt das besser als etwa über den Sport. Wir entwickeln zunächst die Rhythmik, entdecken die Begabung eines jeden für bestimmte Instrumente. Und die jungen Leute sind mit Begeisterung dabei. Ich rege sie an, einen musikalischen Beruf zu ergreifen. Wenn von jeweils zehn nur zwei die Musiklaufbahn einschlagen, wäre das schon ein Erfolg. Jetzt hat mir diese Gruppe folgendes geschrieben: Die Musik besiegte das Verbrechen. Ist das nicht ein phantastischer Satz?“