Im adlerreichsten Bundesland Brandenburg reißen nach 1990 erstaunliche Dinge ein. Horstschutzzonen werden dreist mißachtet, auch gräfliche Jagdkanzeln rechtswidrig direkt neben Nestern der seltenen Schreiadler errichtet, die im Westen längst ausgerottet sind. Alttiere verlassen die Bruten, Junge verenden – auch weil ABM-Brigaden mit nervig knatternen Motorsensen zur „Grabenpflege“ mitten in der Brutzeit an Adlerhorste vorrücken. Greifvögel werden immer häufiger abgeschossen oder in Fallen gefangen, dann sadistisch getötet. Das ist nicht nur in Brandenburg ein neues Ärgernis: Denn in der DDR stehen generell alle Greifvögel unter Naturschutz, im Westen sind sie dagegen dem Jagdrecht untergeordnet – nur zuviele Waidmänner mißachten dort Schonzeiten, holen sie vom Himmel – die Statistiken sprechen Bände. Indessen – auch in Brandenburg sind die Jäger als „Naturschutzverband“ anerkannt, obwohl sie, für die meisten Umweltfreunde ein Unding, sogar in den Naturschutzgebieten nach wie vor auf Tiere schießen. Nicht nur Artenexperten erinnern sich, daß Jahre zuvor die Fachleute der nahe Himmelpfort gelegenen Schutzstation Woblitz fast überall in Brandenburg aktiv waren, Umweltstraftaten rasch entdeckten, häufig verhindern konnten. Heute wissen potentielle Täter, daß mit Ärger durch Woblitz kaum noch zu rechnen ist: Von ehemals vier Festangestellten blieb nur einer übrig, die anderen wurden versetzt. Doch selbst für die raren Wanderfalken ist kaum Zeit – als unbekannte Täter im Schutzgebiet ein Junges vom Horst schießen, wird das erst zehn Tage später bemerkt. „Die Leute wissen genau – wir sind nicht mehr präsent wie früher – niemand paßt mehr auf, die Bürgernähe ist weg“, kommentiert Stationsleiter Paul Sömmer. „Ein Großschutzgebiet alleine nützt vielen Arten nix, wenn drumherum weiter rücksichtslose Land-und Forstwirtschaft betrieben wird.“Der Mann ist ein Naturschutz-Idealist, wie er im Buche steht. Sömmer stammt aus Berlin, wird zunächst Pfleger im Tierpark, schwärmt noch heute von Professor Dathe, war lange in dessen famosem Tierparkklub, beringt heute pro Jahr weit über einhundert Adler. Fallen irgendwo junge Falken, Habichte, Milane, Adler aus dem Nest, werden in Woblitz abgegeben, ohne daß der Fundort bekannt ist, weiß Sömmer, um welchen Horst es sich handeln könnte, oder welches Greifvogelpaar den Jungvogel problemlos adoptieren würde. Er nimmt den Nestling, klettert mit Steigeisen routiert den Baum hinauf, setzt den Vogel zwischen die anderen – und die Sache geht glatt. Dazu gehört viel, viel Erfahrung. Rehe, Hirsche, selbst Füchse und Dachse dringen nachts bis auf das Stationsgelände vor, im Winter pflügen Wildschweine den großen Hof um. Das nächste Fischadlerpaar brütet nur dreihundert Meter entfernt auf einem Hochspannungsmast.Die zunehmenden Abschüsse bedrücken Sömmer.„Wes Brot ich esse…“Gerichtsverwertbare Zeugenaussagen sind schwieriger als früher zu erlangen, da Abhängigkeiten zu neuen, auch adligen Wald-und Kiesgrubenbesitzern rasch wuchsen. Motto: „Wes Brot ich esse, des Lied ich singe“.Einer schiebt den Schwarzen Peter dem anderen zu, Wegsehen kommt in Mode. Die noch zu DDR-Zeiten gegründete Station erhält jetzt jährlich an die fünfhundert Großvögel – erschlagen, abgeschossen, vergiftet, an Strommasten verunglückt, mit Glasflächen kollidiert. Von Bussarden und Eulen wurden weit über die Hälfte Opfer des zunehmenden Straßenverkehrs nach der Wende, von den Störchen starben die meisten an Masten-Stromschlag, weitere an chronischer Mangelernährung und Schüssen. Habichte, theoretisch streng geschützt, werden gewöhnlich in Fallen gefangen und dann erschlagen, Bussarde weniger häufig.
Die Recherche der wahren, konkreten Verlustursachen, Basis einer möglichen Anzeige, erfordert kriminalistisches Geschick – doch die mit „Nachweisführung“ beauftragte ABM-Kraft wurde eingespart, gut für die Täter. „Derzeit können die Naturschutzbehörden maximal nur ein Drittel der eigentlichen Naturschutzaufgaben bewältigen“, betont bereits 1996 der Referatsleiter für Naturschutzrecht im Potsdamer Umweltministerium, Ulrich Stöcker. „Heute wären es noch weniger.“ Dennoch erklärt das Ministerium, von einer Kehrtwende, einem Roll-Back im Naturschutz könne keine Rede sein. Vielmehr sei dieser durch das Zusammenlegen von Landwirtschafts-und Umweltressort entschieden gestärkt worden. Stöcker habe recht. „Aber wir können nicht neben jeden Adlerhorst einen Naturwächter stellen.“ Stimmt – so sehen das auch die Umweltfreunde. Doch ein paar mehr Fachleute als heute müssens schon sein.
Denn geradezu alarmierend ist eine Studie, die Paul Sömmer, Dr. Torsten Langgemach als Leiter der Staatlichen Vogelschutzwarte Buckow und der Experte Jörg Lippert über die illegale Verfolgung geschützter Vögel Berlins und Brandenburgs seit 1990 anfertigten. Alle drei dachten, daß solche Straftaten – wie zu DDR-Zeiten – keine wesentliche Rolle mehr spielen – mußten sich indessen vom Gegenteil überzeugen. „Dabei haben wir lediglich die Spitze des Eisbergs erfaßt.“ Bei Parstein wird auf freiem Feld ein totes Seeadlerweibchen gefunden, das dort in seinem angestammten Revier gebrütet hätte. Im Körper Schrotkugeln, die eine chronische Vergiftung durch Blei bewirkten, den theoretisch streng geschützten Greifvogel immer stärker schwächten.“In einem toten Fischadler fanden wir sage und schreibe zweiunddreißig Schrotkugeln.“ Auch Bussarde und Habichte, selbst Kolkraben, Schleier-und Waldohreulen sowie Kraniche, Schwäne und Störche würden erlegt, die Tendenz sei eindeutig steigend.
Feudaler Trophäenkult wieder schick
„Bestimmte Kreise sind interessiert, daß solche Fälle nicht mehr aufgeklärt werden.“ Immer mehr Leute fänden es schick, einen ausgestopften Adler an der Wand zu haben, Trophäenkult, Trophäenmessen, das gierige Streben nach ausgefallenen Besitztümern seien wieder große Mode. Bei Tierpräparatoren wurden auf Anhieb illegal erlegte Adler entdeckt.
Auch den Brandenburger Grüne-Liga-Sprecher Norbert Wilke nervt hochherrschaftliches Jagdgebaren aus Leibeigenenzeiten:„Diese Hinwendung zur feudalen Trophäenjagd ist ein Rückschritt um Jahrhunderte. West-Jäger legen vieles um, was sie nicht dürfen – Tiere, die in der DDR in Ruhe gelassen wurden. Gutbetuchte Ost-Jäger verfahren leider inzwischen ähnlich.“ Andere Umweltaktivisten sehen sogar Verbindungen der Jagdlobby zu rechtsextremistischen Organisationen. Man jage nun auch im Osten wieder nach Generalfeldmarschall Hermann Görings Gesetz.
Zu DDR-Zeiten wurden – wegen des Naturschutzrechts – verunglückte Adler zu Sömmer gebracht und untersucht. Heute ist das äußerst selten – wegen des sogenannten jagdlichen Aneignungsrechts. Artenexperte Dr. Torsten Langgemach:“Wer heute einen abgeschossenen Adler im Wald findet, ihn in der Vogelwarte Buckow oder in Woblitz abgibt, macht sich sozusagen der Jagdwilderei schuldig.“ Denn tote Greifvögel, abgeschossene Kraniche gehören nach der Wende jetzt dem, der am Fundort das Jagdrecht hat. Damit wird es enorm schwierig, Täter zu ermitteln. Heißt es, der Adler sei halt im Revier gefunden worden, ist das nur zu oft eine Lüge. „Jäger heute sind oft sehr clever, nutzen Rechtsberatung, decken sich gegenseitig“, monieren Artenschützer. Auch in der Politik hätten sie Rückhalt und Einfluß, denn beim elitären, teuren Jagdvergnügen seien sogar Minister, Staatssekretäre und andere hohe Amtsträger sowie Bundestagsabgeordnete dabei – wie westwärts schon lange üblich, würden öffentliche und private Interessen verquickt.
Sömmer und andere Naturschutzexperten Brandenburgs stellen nicht zufällig die politische Forderung:“Greifvögel haben im Jagdrecht nichts zu suchen – müssen wieder heraus, so, wie früher in der DDR.“ Um dies zu erreichen, sei politischer Druck nötig. „Der NABU kam spät aus dem Mustopf“, so Sömmer,“erkennt aber jetzt allmählich das Problem, hat es trotz der Proteste jahrelang verschlafen.“
Prof. Dr. Matthias Freude, Präsident des Landesumweltamtes, nennt die Greifvogelstudie erschreckend; wieder Adler abzuschießen, sei pervers. „Doch wer das tut, tut es bewußt. Man hält heute auf alles drauf, was rumfliegt. Viele Naturschützer Brandenburgs sagen, daß es die Gastjäger aus dem Westen sind – da ist wahrscheinlich was dran; es darf sich nicht jeder hier einen Adler einstecken!“ Die Studie drückt sich keineswegs um dieses heikle, hochpolitische Thema herum: „Die Auffassung, daß gewohnheitsmäßiger Abschuß von Greifvögeln früher „bei uns“ keine Rolle gespielt hat, aber nunmehr von Gastjägern aus anderen Bundesländern hereingetragen wird, wurde mehrfach von einheimischen Jägern geäußert.“ Dr.Freude bemerkt, daß Wilderei zunimmt, Jagdverbände versuchen, vieles Illegale unter der Decke zu halten. “In der DDR ließen sich Täter höchst einfach ermitteln, heute ist das sehr schwierig.“
Aus Bayern ist bekannt, daß man die raren Eisvögel in Forellenzuchtanlagen sogar mit Fallen fängt, der früher an den bayrischen Gewässern häufige Fischadler bis heute trotz seines Schutzstatus erbarmungslos abgeschossen wird – das einzige Brutpaar wird wie ein Staatsgeheimnis behandelt, der Horst rund um die Uhr bewacht. Brandenburg hat weit über zweihundert Paare, bei steigender Tendenz, die bislang ohne Aufpasser auskamen. Die neue Studie belegt allein drei Abschußfälle, in einem hatte man dem Tier auch noch die Fänge „sauber abgetrennt“.
Killen statt Jagen
Zitiert wird ein aufgebrachter Neu-Jäger:“Was macht der Kolkrabe an meinem Fallwild? Das ist Jagdwilderei! Ich bezahle hier schließlich Pacht!“
Ausgerechnet Greifvögeln der freien Natur „Wilderei“ vorzuwerfen, wie es durch viele Jäger geschieht, zeigt deutlich, wieviel man vom Naturschutz tatsächlich versteht. Umweltamtschef Freude und Sömmer drücken sich vorsichtig aus – Ost-Jäger und ehrenamtliche Naturschützer reden dagegen Klartext: Überall in den neuen Bundesländern gebe es jetzt Riesenprobleme mit den zumeist gutbetuchten oder gar adligen Westjägern – die von ihnen beherrschten Jagdbehörden seien nur noch daran interessiert, daß seltene Tiere, wie Adler, „angeeignet“ würden. „Alle toten Greifvögel müssen neuerdings dem Revierjäger gehören“, protestiert einer, „und sei es der fünfzehnte tote Seeadler!“ Weil immer mehr Wildaufbruch mit zahlreichen Schrotkugeln darin von den Jägern achtlos in der Landschaft liegengelassen werde, vergifteten sich Greifvögel tödlich, die in der Natur als Gesundheitspolizei wirken, und wie Raben, Rotmilane oder Seeadler auch Aas fressen. „Die Praxis zeigt, daß nach der Wende zahlreiche der neu in Brandenburg Jagenden die Greifvögel nicht mal unterscheiden können, obwohl das theoretisch verlangt wird“, sagt ein Insider. Würden dann absurderweise Ausnahme-Abschußgenehmigungen etwa für Habichte erteilt, schössen die Grünrocke stets immer zahlreiche seltene Sperber, Kornweihen und andere Arten ab, bemerkten den Irrtum noch nicht mal, wenn sie die Vögel tot in der Hand hielten. Ein West-Jäger, wird berichtet, holte einen fliegenden Adler herunter, hielt ihn für eine Wildgans – ein anderer einen seltenen Wolf für einen streunenden Hund.
Daß vernünftige Jagd nötig ist, gerade auch die stark angewachsenen Bestände von Prädatoren wie Waschbär oder Marderhund reguliert werden müssen, steht dagegen für fast jeden Naturfreund außer Frage.
neue „Kulaken“
Auch in Mecklenburg-Vorpommern rebellieren Naturschutzaktivisten gegen die neuen Jagdsitten. Peter Strunk aus Stralsund verteidigt die bodenständigen Waidmänner aus der Region, hat mit denen schon zu DDR-Zeiten eng zusammengearbeitet. Nach der Wende werden die regelrecht über den Tisch gezogen, überfahren – Wild wird zur Ware, Jagd verkommt zu Kommerz, westdeutsche Revierkonkurrenten, gelegentlich „Kulaken“ genannt, mit hohem „Sozialstatus“ kaufen Vorrechte. „Neuerdings gibts immer mehr Schießer, nicht Jäger, die irgendwo in Stuttgart oder München wohnen, aber hier große Wälder gekauft haben. Die kommen selten her, knallen – rattattadong – Wild ab, schießen Pachten leer, verschwinden wieder – mit denen gibts viel Ärger! Da war ein kräftiger Hirsch, der seit Jahren für gesunden Nachwuchs sorgte, zur Freude der hiesigen Jäger – und dann eines Tages – bumm, lag er tot da. Die schwarzen Schafe haben einen teuren Pelz, haben das große Geld. Früher kamen Jagd und Naturschutz miteinander aus…“
Schwer nachvollziehbar, wieso von den zuständigen Behörden die besonders grausame, dazu auffallend häufige Tötung von streng geschützten Habichten durch organisierte Taubenzüchter nicht unterbunden wird, Umweltminister und –behörden sogar den Verkauf und die öffentliche Werbung für Habichtskörbe zulassen. So werden in Liebenwalde mindestens zwei Tiere gefangen und im Ofen verbrannt, andere verstümmelt. Bereits 1996 präsentiert und tötet man einen Habicht sogar auf einer Versammlung von Taubenzüchtern. Bezeichnend, wie diese mit Locktauben umgehen – mehrfach fand man sie verhungert in Greifvogelfallen. Auf einer Geflügelbörse werden 1998 neben anderen geschützten Greifvögeln auch zwei lebende Seeadler gegen Höchstgebot feilgehalten.
Gravierende Verschlechterungen sieht auch Professor Michael Stubbe von der Martin-Luther-Universität Halle überall. „Dem Osten wurde einfach das Jagdsystem des Westens übergestülpt. Dabei hatte man Jagd bei uns sehr progressiv geregelt. Die DDR-Jäger waren in vorderster Front des Naturschutzes.“ Auch er weiß von Greifvogelabschüssen, Problemen mit dem Bundesjagdgesetz.
Man braucht nur in den Jagdzeitschriften zu blättern, und begreift rasch, wie heute der Hase läuft: Bei der Treibjagd werden sogar Hunde der Kollegen miterledigt – doch keiner gibts zu, lieber vertuscht man die Tat. Logisch, daß dann Adlerabschüsse gleich gar nicht offengelegt, gegenüber der Öffentlichkeit unter den Teppich gekehrt werden, argumentieren Naturfreunde, weisen auf Fälle von Schießlust.
Ausländer mit Wildschweinen „verwechselt“?
In Mecklenburg-Vorpommern feuern zwei Jäger angeblich irrtümlich in einem Gerstenfeld auf über zwanzig illegale Ausländer – zwei Schleuser werden getötet. Die Täter flüchten, werden in erster Instanz freigesprochen. Der Tatverlauf exakt: Ein Ost-Revierpächter fährt mit zwei West-Jägern aus der Region Frankfurt/Main hinaus, der Westjäger schießt zuerst, dann der Ostjäger. Laut jenem West-Richter, der dem Schöffengericht vorsaß, das freisprach, war nicht nachzuweisen, wer die tödlichen Schüsse abgab. Dorfbewohner meinten, das Feuer, das die Toten verkohlen ließ, sei zwecks Tatvertuschung von den Jägern gelegt worden, dies sei aber ebenfalls nicht nachgewiesen worden. Die Jäger betonen, sie hätten gemeint, auf Wildschweine zu schießen.
Deutschlands Jägerpräsident, der Großgrundbesitzer Constantin Freiherr von Heeremann, zuvor Chef des westdeutschen Bauernverbandes:“Das ist doch gerade das Interessante, daß Jagen Freude macht, daß auch der Trieb, Beute zu machen, in uns steckt.“ Peter Friedrich Sieben, Geschäftsführer des Bayrischen Jagdverbandes erklärt gar, daß man „Freude an der Jagd und damit auch am Töten“ haben kann.
Nur gelegentlich blitzt Selbstkritik auf. So schreibt ein Waidmann in der Zeitschrift“Unsere Jagd:“Begriffe wie Moral und Weidgerechtigkeit sind für viele Jäger ein Fremdwort geworden….Wenn diese Eigenschaften mehr und mehr verlorengehen, müssen wir uns nicht wundern, wenn wir von Jagdgegnern angefeindet werden.“ Doch in derselben Ausgabe läßt sich ein Jäger stolz mit einundzwanzig durch Fallen getöteten, keineswegs häufigen Steinmardern abbilden, die Umweltschützer lieber weiterhin in der freien Natur beobachtet hätten. |